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Hans Fallada

Der Trinker

Ungekürzte und kommentierte Ausgabe

Hans Fallada

Der Trinker

Ungekürzte und kommentierte Ausgabe

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
EV: Aufbau-Verlag, Berlin, 1944/50 (312 S.)
1. Auflage, ISBN 978-3-962813-20-8

null-papier.de/568

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Inhaltsverzeichnis

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1

Ich habe na­tür­lich nicht im­mer ge­trun­ken, es ist so­gar nicht sehr lan­ge her, dass ich mit Trin­ken an­ge­fan­gen habe. Frü­her ekel­te ich mich vor Al­ko­hol; al­len­falls trank ich mal ein Glas Bier; Wein schmeck­te mir sau­er, und der Ge­ruch von Schnaps mach­te mich krank. Aber dann kam eine Zeit, da es mir schlecht zu ge­hen an­fing. Mei­ne Ge­schäf­te lie­fen nicht so, wie sie soll­ten, und mit den Men­schen hat­te ich auch man­cher­lei Miss­ge­schick. Ich bin im­mer ein wei­cher Mensch ge­we­sen, ich brauch­te die Sym­pa­thie und Aner­ken­nung mei­ner Um­welt, wenn ich mir das auch nicht mer­ken ließ und stets sehr selbst­be­wusst und si­cher auf­trat. Das Schlim­me­re war, dass ich das Ge­fühl be­kam, auch mei­ne Frau wen­de sich von mir ab.

Es wa­ren zu­erst un­merk­li­che Zei­chen, Din­ge, die ein an­de­rer ganz über­se­hen hät­te. Zum Bei­spiel ver­gaß sie, mir bei ei­nem Ge­burts­tag in un­se­rem Hau­se Ku­chen an­zu­bie­ten; ich esse zwar nie Ku­chen, aber frü­her bot sie mir trotz­dem stets wel­chen an. Und dann war ein­mal drei Tage lang ein Spinn­web in mei­nem Zim­mer über dem Ofen. Ich ging alle Zim­mer ab, aber in kei­nem gab es ein Spinn­web, nur in mei­nem. Ich woll­te ei­gent­lich ab­war­ten, wie lan­ge sie es so trei­ben wür­de mir zum Är­ger, aber am vier­ten Tage hielt ich es nicht mehr aus und sag­te es ihr. Da­rauf wur­de das Spinn­web ent­fernt. Ich sag­te es ihr na­tür­lich ziem­lich scharf. Ich woll­te mir um kei­nen Preis mer­ken las­sen, wie sehr ich un­ter die­sen Krän­kun­gen und mei­ner Ver­ein­sa­mung litt.

Aber es blieb nicht da­bei. Bald kam die Sa­che mit dem Fuß­ab­tre­ter. An je­nem Tage hat­te ich Schwie­rig­kei­ten auf mei­ner Bank ge­habt, zum ers­ten Male hat­ten sie mir eine Geld­aus­zah­lung ver­wei­gert; es hat­te sich wohl her­um­ge­spro­chen, dass ich Ver­lus­te er­lit­ten hat­te. Der Bank­vor­ste­her, ein Herr Alf, tat sehr lie­bens­wür­dig, sprach von vor­über­ge­hen­den Schwie­rig­kei­ten und er­bot sich so­gar, mit sei­ner Zen­tra­le we­gen ei­nes Son­der­kre­dits für mich zu te­le­fo­nie­ren. Ich lehn­te das na­tür­lich ab, ich war lä­chelnd und si­cher wie im­mer ge­we­sen. Aber ich hat­te gut ge­merkt, dass er mir die­ses Mal nicht wie sonst meist eine Zi­gar­re an­ge­bo­ten hat­te, die­ser Kun­de lohn­te ihm das wohl nicht mehr.

Sehr nie­der­ge­drückt ging ich durch einen schwer her­ab­rau­schen­den Herbst­re­gen nach Hau­se. Ich war noch gar nicht in ei­gent­li­chen Schwie­rig­kei­ten; es war nur eine ge­wis­se Sta­gna­ti­on in mei­nen Ge­schäf­ten ein­ge­tre­ten, die zu je­nem Zeit­punkt mit ei­ni­gem Elan si­cher noch zu über­win­den ge­we­sen wäre. Aber ge­ra­de die­sen Elan ver­moch­te ich nicht auf­zu­brin­gen, ich war zu nie­der­ge­drückt von all dem stum­men Miss­fal­len, dem ich be­geg­ne­te.

Als ich nach Hau­se kam (wir woh­nen et­was vor der Stadt in ei­ge­ner Vil­la, und die Stra­ße dort­hin ist noch nicht aus­ge­baut), woll­te ich vor der Tür mei­ne schmut­zi­gen Schu­he rei­ni­gen, doch ge­ra­de heu­te fehl­te der Fuß­ab­tre­ter. Är­ger­lich schloss ich auf und rief ins Haus nach mei­ner Frau. Es dun­kel­te schon, aber nir­gends sah ich Licht, und Mag­da kam auch nicht. Ich rief wie­der und wie­der, aber nichts er­folg­te. Ich be­fand mich in ei­ner höchst fa­ta­len Si­tua­ti­on: Ich stand im Re­gen vor der Tür mei­ner ei­ge­nen Vil­la und konn­te nicht ins Haus, woll­te ich nicht Vor­platz und Die­le är­ger­lich be­schmut­zen, und das al­les, weil mei­ne Frau ver­ges­sen hat­te, den Fuß­ab­tre­ter hin­aus­zu­le­gen, und zu ei­ner Zeit nicht zur Stel­le war, wo ich, wie sie ge­nau wuss­te, von der Ar­beit heim­kam.

Schließ­lich muss­te ich mich über­win­den: Ich ging vor­sich­tig auf Ze­hen­spit­zen ins Haus. Als ich mich auf einen Stuhl in der Die­le setz­te, um die Schu­he aus­zu­zie­hen, und da­für Licht mach­te, sah ich, dass all mei­ne Vor­sicht nichts genützt hat­te: Auf dem zart­grü­nen Dielen­tep­pich wa­ren die häss­lichs­ten Fle­cke ent­stan­den. Ich habe Mag­da im­mer ge­sagt, dass solch ein emp­find­li­ches Re­se­dagrün nichts für die Die­le sei, aber sie hat­te ja ge­meint, wir bei­de sei­en ja wohl alt ge­nug, ein biss­chen auf­zu­pas­sen, und die Else (un­ser Dienst­mäd­chen) be­nüt­ze ja so­wie­so den Hin­ter­ein­gang und sei ge­wohnt, im Hau­se auf Pan­tof­feln zu ge­hen. Ich zog sehr är­ger­lich mei­ne Schu­he aus, und ge­ra­de als ich den zwei­ten aus­zog, sah ich Mag­da, die eben aus der Tür kam, die die Kel­ler­trep­pe ver­deckt. Der Schuh ent­glitt mir und fiel mit Pol­tern auf den Tep­pich, einen wei­te­ren ab­scheu­li­chen Fleck ma­chend.

»Pass doch ein biss­chen auf, Er­win!«, rief Mag­da sehr är­ger­lich. »Wie der schö­ne Tep­pich wie­der aus­sieht. Kannst du dir nicht an­ge­wöh­nen, die Füße or­dent­lich ab­zu­tre­ten?!«

Die of­fe­ne Un­ge­rech­tig­keit in die­sem Vor­wurf em­pör­te mich, aber noch hielt ich an mich. »Wo in al­ler Welt hast du bloß ge­steckt?«, frag­te ich, sie noch im­mer an­star­rend. »Ich habe min­des­tens zehn­mal nach dir ge­ru­fen!«

»Ich war bei der Zen­tral­hei­zung im Kel­ler«, sag­te Mag­da kühl. »Aber was hat das mit mei­nem Tep­pich zu tun?«

»Es ist eben­so gut mein Tep­pich wie der dei­ne«, ant­wor­te­te ich er­regt. »Ich habe ihn wirk­lich nicht ger­ne be­schmutzt. Aber wenn kein Ab­tre­ter vor der Tür liegt …!«

»Es liegt kein Ab­tre­ter vor der Tür? Na­tür­lich liegt er vor der Tür!«

»Es liegt kei­ner da­vor!«, rief ich mit Nach­druck. »Bit­te, über­zeu­ge dich selbst!«

Aber sie dach­te gar nicht dar­an, vor die Tür zu ge­hen. »Wenn Else eben ver­ges­sen hat, ihn hin­zu­le­gen, so hät­test du die Schu­he gut auf dem Vor­platz aus­zie­hen kön­nen! Je­den­falls hät­test du nicht den einen Schuh hier mit sol­chem Plumps auf den Tep­pich zu wer­fen brau­chen!«

Ich sah sie, stumm vor Är­ger, nur em­pört an. »Ja«, sag­te sie, »da schweigst du. Wenn man dir Vor­wür­fe macht, schweigst du. Aber mir machst du stän­dig Vor­wür­fe …«

Ich fand kei­nen rech­ten Sinn in die­sen Wor­ten, aber ich sag­te doch: »Wann habe ich dir Vor­wür­fe ge­macht?«

»Eben erst«, ant­wor­te­te sie rasch. »Ein­mal, weil ich auf dein Ru­fen nicht ge­kom­men bin, und ich muss­te doch nach der Hei­zung se­hen, weil Else heu­te ih­ren frei­en Nach­mit­tag hat. Und dann, weil der Ab­tre­ter nicht vor der Tür liegt. Aber ich kann doch un­mög­lich bei all mei­ner Ar­beit auch noch jede Klei­nig­keit, die Else zu tun hat, kon­trol­lie­ren.«

Ich nahm mich zu­sam­men. Ich fand im stil­len, Mag­da hat­te in al­len Punk­ten un­recht, aber laut sag­te ich: »Wir wol­len uns nicht strei­ten, Mag­da. Ich bit­te dich, mir zu glau­ben, dass ich die Fle­cke nicht mit Ab­sicht ge­macht habe.«

»Und du glau­be mir«, ant­wor­te­te sie, noch im­mer ziem­lich scharf, »dass ich dich we­der mit Ab­sicht habe ru­fen noch mit Ab­sicht habe war­ten las­sen.«

Ich schwieg dazu. Bis zum Abendes­sen hat­ten wir uns bei­de wie­der ziem­lich in der Ge­walt, eine ganz ver­nünf­ti­ge Un­ter­hal­tung kam so­gar zu­stan­de, und plötz­lich hat­te ich den Ein­fall, eine Fla­sche Rot­wein, die mir ir­gend­je­mand mal ge­schenkt hat­te und die seit Jah­ren im Kel­ler stand, her­auf­zu­ho­len. Ich weiß wirk­lich nicht, wie­so ich auf die­se Idee kam. Vi­el­leicht lös­te das Ge­fühl un­se­rer Aussöh­nung bei mir den Ge­dan­ken an et­was Fest­li­ches wie Trau­ung oder Tau­fe aus. Mag­da war auch ganz über­rascht, lä­chel­te aber bei­fäl­lig.

Ich trank nur an­dert­halb Glas, ob­gleich mir an die­sem Abend der Wein nicht sau­er schmeck­te. Ich kam so­gar in eine hei­te­re Stim­mung und brach­te es fer­tig, Mag­da al­ler­lei vom Ge­schäft, das mir so viel Sor­gen mach­te, zu er­zäh­len. Na­tür­lich sprach ich kein Wort von die­sen Sor­gen, son­dern ich log im Ge­gen­teil mei­ne Mis­ser­fol­ge in Er­fol­ge um. Mag­da hör­te mir so in­ter­es­siert wie schon lan­ge nicht zu. Ich hat­te das Ge­fühl, dass die Ent­frem­dung zwi­schen uns völ­lig ge­schwun­den war, und in der Freu­de dar­über schenk­te ich Mag­da hun­dert Mark, da­mit sie sich et­was recht Hüb­sches kau­fen könn­te: ein Kleid oder einen Ring oder wo­nach sonst ihr Herz stand.

2

Ich habe mich spä­ter oft ge­fragt, ob ich an die­sem Abend wohl völ­lig be­trun­ken ge­we­sen bin. Na­tür­lich bin ich das nicht ge­we­sen, da­von hät­ten so­wohl Mag­da als auch ich et­was ge­merkt, und doch habe ich an die­sem Abend den ers­ten Rausch mei­nes Le­bens ge­habt. Ich schwank­te nicht, ich lall­te nicht. Das hat­ten die­se an­dert­halb Glas muf­fi­gen Rot­weins selbst bei ei­nem so nüch­ter­nen Men­schen wie mir nicht be­wir­ken kön­nen, aber doch hat­te mir der Al­ko­hol die gan­ze Welt ver­wan­delt. Er spie­gel­te mir vor, dass es kei­ne Ent­frem­dung und kei­nen Streit zwi­schen Mag­da und mir ge­ge­ben hät­te, er ver­wan­del­te mei­ne ge­schäft­li­chen Sor­gen in Er­fol­ge, in sol­che Er­fol­ge, dass ich so­gar hun­dert Mark zu ver­schen­ken hat­te, kei­ne be­trächt­li­che Sum­me ge­wiss, aber in mei­ner Lage war schließ­lich kei­ne Sum­me ganz un­be­trächt­lich.

Als ich am nächs­ten Mor­gen er­wacht war und alle Ge­scheh­nis­se von dem ver­ges­se­nen Fuß­ab­tre­ter bis zum ver­schenk­ten Hun­dert­mark­schein an mei­nem geis­ti­gen Auge vor­über­zie­hen ließ, da wur­de mir erst klar, wie schmäh­lich ich an Mag­da ge­han­delt hat­te. Ich hat­te sie nicht nur über mei­ne ge­schäft­li­che Lage ge­täuscht, nein, ich hat­te die­se Täu­schung auch noch durch ein Geld­ge­schenk un­ter­mau­ert, um sie noch glaub­haf­ter zu ma­chen, et­was, das ju­ris­tisch wohl »Be­trug« ge­nannt wer­den wür­de. Aber das Ju­ris­ti­sche war ganz gleich­gül­tig, das Men­sch­li­che al­lein war wich­tig, und das Men­sch­li­che an die­ser Sa­che war ein­fach furcht­bar. Ich hat­te zum ers­ten Mal in un­se­rer Ehe Mag­da wis­sent­lich be­tro­gen – und warum? Wa­rum in al­ler Welt?! Für gar nichts – ich hät­te ja von all die­sen Din­gen wun­der­bar schwei­gen kön­nen, wie ich bis­her von ih­nen ge­schwie­gen hat­te. Nie­mand zwang mich zum Spre­chen. Nie­mand? Doch ja, der Al­ko­hol hat­te mich dazu ge­bracht.

Als ich das erst ein­mal er­kannt hat­te, als ich in vol­lem Um­fan­ge er­fasst hat­te, welch Lüg­ner der Al­ko­hol ist und wie er dazu aus ehr­li­chen Men­schen Lüg­ner macht, schwor ich mir zu, nie wie­der einen Trop­fen Al­ko­hol zu trin­ken und auch auf das ab und zu bis­her ge­nos­se­ne Glas Bier zu ver­zich­ten.

Aber was sind Vor­sät­ze, was sind Ent­wür­fe? Ich hat­te mir ja auch an die­sem Mor­gen der Er­nüch­te­rung zu­ge­schwo­ren, we­nigs­tens die ges­tern Abend zwi­schen Mag­da und mir auf­ge­kom­me­ne wär­me­re Stim­mung zu nüt­zen und es nicht wie­der zu ei­ner Ent­frem­dung oder gar zu ei­nem Streit kom­men zu las­sen. Und doch ver­gin­gen nicht vie­le Tage, und wir strit­ten uns schon wie­der. Es war ei­gent­lich völ­lig un­be­greif­lich: Vier­zehn Jah­re un­se­rer Ehe wa­ren prak­tisch ohne je­den Streit ver­gan­gen, und jetzt im Fünf­zehn­ten war es, dass wir nicht mehr ohne Strei­ten le­ben konn­ten. Manch­mal schi­en es mir ge­ra­de­zu lä­cher­lich, über was für Din­ge al­les wir mit­ein­an­der in Streit ge­rie­ten. Es schi­en, als müss­ten wir uns zu be­stimm­ten Zei­ten strei­ten, ganz gleich warum. Auch das Strei­ten scheint wie ein Gift zu sein, an das man sich rasch ge­wöhnt und ohne das man bald nicht mehr le­ben kann. Zu­erst be­wahr­ten wir na­tür­lich ängst­lich die Form, wir such­ten mög­lichst sach­lich beim Streit­ge­gen­stand zu blei­ben und al­les per­sön­lich Krän­ken­de zu ver­mei­den.

Auch leg­te uns die An­we­sen­heit un­se­res klei­nen Haus­mäd­chens Else Hem­mun­gen auf. Wir wuss­ten, sie war neu­gie­rig und trug al­les wei­ter, was sie er­fuhr. Da­mals wäre es mir noch un­aus­sprech­bar schreck­lich ge­we­sen, wenn ir­gend­je­mand in der Stadt von mei­nen Sor­gen und un­se­ren Strei­te­rei­en er­fah­ren hät­te. Nicht sehr viel spä­ter frei­lich war es mir voll­kom­men gleich­gül­tig ge­wor­den, was die Men­schen von mir dach­ten und spra­chen, und, was das Schlim­me­re war, ich hat­te auch alle Scham vor mir selbst ver­lo­ren.

Ich habe ge­sagt, dass Mag­da und ich uns an fast täg­li­chen Streit ge­wöhn­ten. Frei­lich wa­ren das ei­gent­lich nur Quen­ge­lei­en, klei­ne Sti­che­lei­en um ein Gar­nichts, et­was, das die zwi­schen uns im­mer wie­der auf­tau­chen­den Span­nun­gen ein we­nig er­leich­ter­te. Auch das war ei­gent­lich ein Wun­der, aber kein schö­nes: Vie­le Jah­re hat­ten Mag­da und ich eine aus­ge­spro­chen gute Ehe ge­führt. Wir hat­ten uns aus Lie­be ge­hei­ra­tet, da­mals wa­ren wir alle bei­de sehr klei­ne An­ge­stell­te ge­we­sen, je­der mit ei­nem Hand­köf­fer­chen, so wa­ren wir zu­sam­men­ge­lau­fen. Ach, die herr­li­che ent­beh­rungs­rei­che Zeit un­se­rer ers­ten Ehe­jah­re – wenn ich heu­te dar­an zu­rück­den­ke! Mag­da war eine wah­re Haus­halts­künst­le­rin, man­che Wo­che ka­men wir mit zehn Mark aus, und es kam uns vor, als leb­ten wir da­bei wie die Fürs­ten.

Dann kam die wa­ge­mu­ti­ge, von im­mer­wäh­ren­der An­span­nung er­füll­te Zeit, da ich mich selbst­stän­dig mach­te, da ich mit Mag­das Hil­fe mein ei­ge­nes Ge­schäft auf­bau­te. Es glück­te – o du lie­ber Him­mel, wie uns da­mals al­les glück­te! Wir brauch­ten nur et­was an­zu­fas­sen, un­se­ren Fleiß und un­se­ren Ei­fer ei­ner Sa­che zu­zu­wen­den, und schon ge­lang sie, blüh­te auf wie eine gut ge­pfleg­te Blu­me, trug uns Früch­te … Kin­der blie­ben uns ver­sagt, so­sehr wir uns nach ih­nen auch sehn­ten. Mag­da hat­te ein­mal einen Um­schlag,1 von da an war es mit al­len Aus­sich­ten auf Kin­der vor­bei. Aber wir lieb­ten uns dar­um nicht we­ni­ger. Vie­le Jah­re un­se­rer Ehe wa­ren wir im­mer wie­der frisch ver­liebt in­ein­an­der. Ich habe nie eine an­de­re Frau als Mag­da be­gehrt. Sie mach­te mich voll­kom­men glück­lich, und mit mir ist es ihr wohl auch nicht an­ders ge­gan­gen.

Als dann das Ge­schäft lief, als es je­nen Um­fang er­reicht hat­te, der ihm durch die Grö­ße un­se­rer Stadt und un­se­res Land­krei­ses ge­ge­ben war, einen Um­fang, über den hin­aus eine Er­wei­te­rung nur durch völ­li­ge Än­de­rung all un­se­rer Le­ben­sum­stän­de und durch Weg­zug von un­se­rer Va­ter­stadt mög­lich war, als also das bren­nen­de In­ter­es­se et­was zu er­lah­men be­gann, kam als Er­satz der Er­werb des ei­ge­nen Grund­stücks vor der Stadt, der Bau un­se­rer Vil­la, die An­la­ge un­se­res Gar­tens, die Ein­rich­tung, die uns nun für den Rest un­se­res Le­bens be­glei­ten soll­te – al­les Din­ge, die uns wie­der eng an­ein­an­der­ban­den und uns die Ab­küh­lung, die in un­se­rer Ehe­be­zie­hung ein­ge­tre­ten war, nicht merk­lich wer­den lie­ßen. Wenn wir uns nicht mehr so wie frü­her lieb­ten, wenn wir nicht mehr so oft und heiß nach­ein­an­der be­gehr­ten, so emp­fan­den wir das nicht als einen Ver­lust, son­dern als et­was Selbst­ver­ständ­li­ches: Wir wa­ren eben all­ge­mach alte Ehe­leu­te ge­wor­den, was uns ge­sch­ah, ge­sch­ah al­len, war et­was Na­tür­li­ches. Und, wie ge­sagt, die Ka­me­rad­schaft beim Pla­nen, Bau­en, Ein­rich­ten er­setz­te uns das Ver­lo­re­ne voll­kom­men, aus Lie­bes­leu­ten wa­ren wir Ka­me­ra­den ge­wor­den, wir ent­behr­ten nichts.

Zu je­ner Zeit hat­te sich Mag­da schon ganz von der tä­ti­gen Mit­hil­fe in mei­nem Ge­schäft frei­ge­macht, ein Schritt, den wir bei­de da­mals als selbst­ver­ständ­lich an­sa­hen. Sie hat­te jetzt eine grö­ße­re ei­ge­ne Haus­hal­tung; der Gar­ten und ein biss­chen Fe­der­vieh er­for­der­ten auch Pfle­ge, und der Um­fang des Ge­schäf­tes ge­stat­te­te ohne Wei­te­res die Ein­stel­lung ei­ner neu­en Hilfs­kraft.

Spä­ter soll­te sich zei­gen, wie ver­häng­nis­voll sich das Aus­schei­den Mag­das aus mei­nem Be­trieb aus­wir­ken soll­te. Nicht nur, dass wir da­durch wie­der­um ein gut Teil un­se­rer ge­mein­sa­men In­ter­es­sen ver­lo­ren, auch stell­te sich her­aus, dass ihre Mit­hil­fe ei­gent­lich un­er­setz­lich war. Sie war bei Wei­tem ak­ti­ver als ich, un­ter­neh­mungs­lus­ti­ger, auch war sie viel ge­schick­ter als ich im Um­gang mit den Men­schen und ver­moch­te sie auf eine leich­te, scherz­haf­te Wei­se ge­ra­de da­hin zu be­kom­men, wo sie die Leu­te ha­ben woll­te.

Ich war das vor­sich­ti­ge Ele­ment in un­se­rer Ge­mein­schaft, die Brem­se ge­wis­ser­ma­ßen, die eine zu ge­wag­te Fahrt hemm­te und si­cher­te. Im Ge­schäfts­ver­kehr selbst hat­te ich die Nei­gung, mich mög­lichst zu­rück­zu­hal­ten, mich nie­man­dem auf­zu­drän­gen und nie um et­was zu bit­ten. Es war dem­nach un­ver­meid­lich, dass nach Mag­das Aus­schei­den die Ge­schäf­te erst ein­mal im al­ten Gleis wei­ter­gin­gen, dass we­nig Neu­es da­zu­kam und dass dann all­mäh­lich, ganz lang­sam, Jahr um Jahr, ihr Um­fang zu­rück­ging.

Über alle die­se Din­ge bin ich mir frei­lich erst viel spä­ter klar ge­wor­den, zu spät, als es schon nichts mehr zu ret­ten gab. Da­mals, als Mag­da aus­schied, war ich eher et­was er­leich­tert: Ein Mann, der sei­ne Fir­ma al­lein ver­tritt, ge­nießt bei den Men­schen ein grö­ße­res An­se­hen als der, dem die Frau in al­les hin­ein­re­den kann.


  1. Fehl­ge­burt  <<<

3

Erst, als un­se­re Strei­te­rei­en be­gan­nen, merk­te ich, wie fremd Mag­da und ich uns in den Jah­ren ge­wor­den wa­ren, da sie ihre Haus­wirt­schaft be­sorg­te und ich den Ge­schäf­ten vor­stand. Die ers­ten Male emp­fand ich wohl noch et­was wie Scham über un­ser Sich­ge­hen­las­sen, und wenn ich merk­te, dass ich Mag­da ver­letzt hat­te, dass sie gar mit ver­wein­ten Au­gen um­her­ging, schmerz­te mich das fast so sehr wie sie selbst, und ich ge­lob­te mir Bes­se­rung. Aber der Mensch ge­wöhnt sich an al­les, und ich fürch­te bei­na­he, er ge­wöhnt sich am ra­sche­s­ten, in ei­nem Zu­stand von Er­nied­ri­gung zu le­ben.

Es kam der Tag, da ich beim An­blick von Mag­das ver­wein­ten Au­gen mir nicht mehr Bes­se­rung ge­lob­te, son­dern mit ei­ner von er­schro­cke­nem Stau­nen un­ter­misch­ten Be­frie­di­gung mir sag­te: ›Dies­mal habe ich es dir aber or­dent­lich ge­ge­ben! Im­mer ge­winnst du mit dei­ner ra­schen Zun­ge doch nicht die Ober­hand über mich!‹ Ich fand es schreck­lich, dass ich so emp­fand, und doch fand ich es rich­tig, es be­frie­dig­te mich, so zu emp­fin­den, so pa­ra­dox dies auch klin­gen mag. Von da an war es nur ein klei­ner Schritt bis da­hin, wo ich sie be­wusst zu ver­let­zen such­te.

In je­nem äu­ßerst kri­ti­schen Zeit­punkt un­se­rer Be­zie­hun­gen wa­ren die Le­bens­mit­tel­lie­fe­run­gen für die Ge­fäng­nis­ver­wal­tung wie alle drei Jah­re neu aus­ge­schrie­ben. Wir ha­ben in un­se­rem Ort – ge­ra­de nicht zum Ent­zücken sei­ner Ein­woh­ner – das Zen­tral­ge­fäng­nis der Pro­vinz lie­gen, das stän­dig etwa fünf­zehn­hun­dert Häft­lin­ge in sei­nen Mau­ern birgt. Seit neun Jah­ren hat­ten wir die­se Lie­fe­run­gen schon, Mag­da hat­te sich sei­ner­zeit sehr dar­um be­müht, sie zu er­hal­ten. Bei den bei­den spä­te­ren Ver­ge­bun­gen hat­te sie im­mer nur einen kur­z­en Höf­lich­keits­be­such bei dem ent­schei­den­den Obe­rin­spek­tor der Ver­wal­tung ge­macht, und der Zu­schlag war uns ohne Wei­te­res zu­ge­fal­len.

Ich sah die­se Lie­fe­rung für einen so selbst­ver­ständ­li­chen Teil mei­nes Ge­schäf­tes an, dass ich auch dies­mal kein wei­te­res Auf­he­ben von der Sa­che mach­te: Ich ließ das alte An­ge­bot, des­sen Preis­ge­stal­tung sich nun schon seit neun Jah­ren be­währt hat­te, ab­schrei­ben und ein­rei­chen. Ich über­leg­te auch einen Be­such bei dem ent­schei­den­den Obe­rin­spek­tor, aber al­les lief ja in sei­nen ein­ge­lau­fe­nen Bah­nen; ich woll­te nicht auf­dring­lich er­schei­nen, ich wuss­te, der Mann war mit Ar­beit über­las­tet – kurz, ich hat­te min­des­tens zehn gute Grün­de, den Be­such zu un­ter­las­sen.

Da­nach traf es mich wie ein Blitz aus hei­te­rem Him­mel, als mich ein Schrei­ben der Ge­fäng­nis­ver­wal­tung mit we­ni­gen dür­ren Wor­ten da­hin un­ter­rich­te­te, dass mein An­ge­bot ab­ge­lehnt und dass die Lie­fe­run­gen ei­ner an­de­ren Fir­ma zu­ge­schla­gen wor­den sei­en. Mein ers­ter Ge­dan­ke war der: dass nur Mag­da nichts da­von er­fährt! Dann nahm ich mei­nen Hut und eil­te zu dem Obe­rin­spek­tor, jetzt den Be­such zu ma­chen, der drei Wo­chen frü­her sinn­voll ge­we­sen wäre.

Ich wur­de höf­lich, aber kühl auf­ge­nom­men. Der Obe­rin­spek­tor be­dau­er­te, dass die alte Ge­schäfts­ver­bin­dung nun un­ter­bro­chen sei. Er habe aber gar nicht an­ders han­deln kön­nen, da ein Teil der von mir ge­nann­ten Prei­se längst über­holt ge­we­sen sei, mal nach der hö­he­ren, mal nach der nied­ri­ge­ren Sei­te hin. Im Gan­zen glei­che es sich wohl etwa aus, aber mein An­ge­bot habe nun eben auf die maß­ge­ben­den Her­ren – ich möge sei­ne Of­fen­heit ver­zei­hen – ein­fach einen schlech­ten Ein­druck ge­macht, als sei es mei­ner Fir­ma ganz gleich­gül­tig, ob sie den Zu­schlag er­hal­te oder nicht. Ich er­fuhr wei­ter, dass eine ganz jun­ge, mit al­len Mit­teln auf­stre­ben­de Fir­ma, die mir schon ei­ni­ge Male Är­ger be­rei­tet hat­te, auch die­ses Mal wie­der als Sie­ger aus dem Ren­nen her­vor­ge­gan­gen war. Zum Schluss drück­te der Obe­rin­spek­tor noch in al­ler Höf­lich­keit die Hoff­nung aus, in drei Jah­ren wie­der mit mei­ner Fir­ma in die alte Ver­bin­dung tre­ten zu kön­nen, und ich war ent­las­sen.

Ich wuss­te, ich hat­te mir in dem Ge­fäng­nis­bü­ro nichts von mei­ner Be­stür­zung, ja mei­ner Verzweif­lung über die­sen Fehl­schlag an­mer­ken las­sen; ich hat­te mei­ne Er­kun­di­gung halb mit Höf­lich­keit, halb mit Neu­gier nach dem Na­men des glück­li­chen Ge­win­ners fri­siert. Als ich aber wie­der drau­ßen vor den schwe­ren Ei­sen­to­ren des Ge­fäng­nis­ses stand, als der letz­te Rie­gel ras­selnd hin­ter mir zu­ge­scho­ben war, sah ich in den hel­len Son­nen­schein die­ses wun­der­ba­ren Früh­lings­ta­ges wie je­mand, der so­eben aus ei­nem schwe­ren Traum er­wacht ist und noch nicht weiß, ob er nun wirk­lich wach ist oder ob er noch im­mer un­ter dem Alb­druck des Trau­mes seufzt. Ich seufz­te noch un­ter ihm, um­sonst hat­te das ei­ser­ne Git­ter­tor mich zur Frei­heit ent­las­sen, ich blieb ge­fan­gen in mei­nen Sor­gen und Mis­ser­fol­gen.

Es war mir jetzt un­mög­lich, in die Stadt und auf mein Kon­tor zu ge­hen, vor al­lem aber muss­te ich mich erst sam­meln, ehe ich vor Mag­da trat – ich ging fort von der Stadt und den Men­schen, ich ging in die Fel­der und Wie­sen hin­aus, im­mer wei­ter fort, als könn­te ich mir und mei­nen Sor­gen ent­lau­fen. Ich habe aber an die­sem Tage nichts von dem fri­schen Sma­ragd­grün der jun­gen Saa­ten ge­se­hen, nicht habe ich das ei­li­ge Gluck­sen der Bä­che und die Trom­mel­wir­bel der Ler­chen in der blau­gol­de­nen Luft ge­hört: Ich war gren­zen­los al­lein mit mir und mei­nem Miss­ge­schick. Mein Herz war so über­voll da­von, dass nichts an­de­res mehr hin­ein­konn­te.

Ich war mir ganz klar dar­über, dass dies für mein Ge­schäft nicht mehr ein klei­ner Fehl­schlag war, der mit ei­nem ach­sel­zu­cken­den Be­dau­ern hin­ge­nom­men wer­den konn­te: Die Lie­fe­rung der Nah­rungs­mit­tel für fünf­zehn­hun­dert Men­schen war selbst bei be­schei­de­nem Nut­zen ein so we­sent­li­cher Teil mei­nes Um­sat­zes, dass es nicht ohne ein­schnei­den­de Ver­än­de­run­gen mei­nes gan­zen Be­trie­bes hin­ge­nom­men wer­den konn­te. An einen Er­satz für die­sen Aus­fall war bei dem Man­gel ähn­li­cher Ge­le­gen­hei­ten in un­se­rer be­schei­de­nen Pro­vinz­stadt nicht zu den­ken. Äu­ßers­te Tat­kraft hät­te die Zahl der Ein­zel­ge­schäf­te um ei­ni­ge Dut­zend stei­gern kön­nen, aber ganz ab­ge­se­hen da­von, dass dies noch lan­ge kei­nen Er­satz für den Aus­fall be­deu­te­te, fühl­te ich mich ge­ra­de jetzt zu die­ser äu­ßers­ten Tat­kraft ganz un­fä­hig. Aus ir­gend­wel­chen Grün­den war ich schon seit fast ei­nem Jahr un­frisch. Im­mer mehr neig­te ich dazu, den Din­gen ih­ren Lauf zu las­sen und mich nicht zu sehr zu er­re­gen. Ich war ru­he­be­dürf­tig – warum, weiß ich nicht. Vi­el­leicht wur­de ich früh alt.

Es war mir klar, dass ich min­des­tens zwei An­ge­stell­te wür­de ent­las­sen müs­sen, aber auch das be­rühr­te mich nicht ein­mal so sehr, ob­wohl ich wuss­te, wie sehr dar­über ge­schwätzt wer­den wür­de. Nicht das Ge­schäft be­küm­mer­te mich im Au­gen­blick, son­dern Mag­da. Im­mer wie­der war mein Haupt­ge­dan­ke, mei­ne Haupt­sor­ge: dass bloß Mag­da nichts da­von er­fährt! Wohl sag­te ich mir, dass ich auf die Dau­er die Ent­las­sung von zwei An­ge­stell­ten und den Ver­lust der Lie­fe­run­gen über­haupt nicht vor ihr ver­ber­gen konn­te. Aber ich log mir vor, dass al­les dar­auf an­kom­me, dass sie nicht ge­ra­de jetzt da­von er­füh­re, dass ich in ei­ni­gen Wo­chen viel­leicht doch den einen oder an­de­ren Er­satz ge­fun­den ha­ben könn­te.

Dann hat­te ich wie­der einen hel­len Au­gen­blick. Ich blieb ste­hen, stieß mit dem Fuß ener­gisch ge­gen einen Stein im Stau­be des We­ges und sag­te zu mir: ›Da Mag­da doch da­von er­fah­ren wird, ist es bes­ser, sie er­fährt es durch mich als durch an­de­rer Leu­te Mund, und es ist wie­der­um bes­ser, sie er­fährt es heu­te als ir­gend­wann. Mit je­dem Tag, den du dies auf­schiebst, wird das Ge­ständ­nis schwe­rer. Schließ­lich habe ich kein Ver­bre­chen be­gan­gen, son­dern nur eine Nach­läs­sig­keit.‹ Wie­der stieß ich mit dem Fuß ge­gen den Stein: ›Ich wer­de Mag­da ein­fach bit­ten, mir wie­der im Ge­schäft zu hel­fen. Das ver­söhnt sie mit mei­nem Mis­ser­folg und bringt mir und dem Be­trieb nur Nut­zen. Ich bin wirk­lich nicht sehr frisch und kann eine Hilfs­kraft gut ge­brau­chen …‹

Aber die­se hel­len Au­gen­bli­cke gin­gen schnell vor­über. Ich hat­te stets so viel auf die Ach­tung der Leu­te und vor al­lem auf die Mag­das ge­ge­ben. Ich hat­te stets pein­lich dar­auf ge­se­hen, dass ich als der Chef re­spek­tiert wur­de. Ich konn­te es auch jetzt, ge­ra­de jetzt, nicht übers Herz brin­gen, von die­ser Wür­de ein Jota ab­zu­las­sen und mich ge­ra­de vor Mag­da zu de­mü­ti­gen. Nein, ich war ent­schlos­sen, die Lage selbst zu meis­tern, kom­me, was wol­le. Ich moch­te mir auch nicht von ei­ner Frau hel­fen las­sen, mit der ich mich fast täg­lich zank­te. Es war klar vor­aus­zu­se­hen, dass sich die­se Zän­ke­rei­en bis ins Kon­tor fort­set­zen wür­den – sie wür­de dort auf ih­rem Wil­len be­har­ren, ich wür­de wi­der­spre­chen, sie wür­de mir mei­ne Mis­ser­fol­ge vor­wer­fen – o nein, un­mög­lich!

Wie­der stampf­te ich mit dem Fuß auf, aber dies­mal in den Staub des We­ges. Ich sah hoch. Ich hat­te kei­ne Ah­nung, wo­hin mich mei­ne Füße ge­tra­gen hat­ten, so sehr war ich in mei­ne Sor­gen ver­spon­nen ge­we­sen. Ich stand in ei­nem Dorf, nicht über­mä­ßig weit von mei­ner Va­ter­stadt ent­fernt, ei­nem Dorf, das we­gen ei­ni­ger rei­zen­der Bir­ken­wäld­chen und ei­nes Sees ein be­lieb­ter Früh­lings­aus­flugs­ort mei­ner Mit­bür­ger ist. Aber an die­sem Wo­chen­tag­vor­mit­tag gab es hier noch kei­ne Aus­flüg­ler, da­für ist man bei uns da­heim zu flei­ßig. Ich stand ge­ra­de vor dem Gast­hof, und ich spür­te, dass ich Durst hat­te.

Ich trat in die nied­ri­ge, wei­te, aber dunkle Schank­stu­be ein. Ich hat­te sie im­mer nur er­füllt von vie­len Städ­tern ge­se­hen, die früh­lings­haft hel­len Klei­der der Frau­en hat­ten den Raum hel­ler ge­macht und ihm trotz sei­ner Nied­rig­keit et­was Be­schwing­tes ge­ge­ben. Denn wenn die Städ­ter hier wa­ren, hat­ten die Fens­ter of­fen­ge­stan­den, auf den Ti­schen la­gen dann bun­te De­cken, und über­all gab es in ho­hen Va­sen hel­le Sträu­ße von Bir­ken. Jetzt war der Raum dun­kel, auf den Ti­schen lag gelb­lich-bräun­li­ches Wachs­tuch, es roch sti­ckig, denn die Fens­ter wa­ren fest ver­schlos­sen.

Hin­ter der The­ke stand ein jun­ges Mäd­chen, des­sen Haar schlecht zu­recht­ge­macht und des­sen Schür­ze schmut­zig war, es flüs­ter­te eif­rig mit ei­nem jun­gen Kerl, der nach sei­ner kalk­be­spritz­ten wei­ßen Klei­dung ein Mau­rer zu sein schi­en.

Mein ers­ter Im­puls war der, um­zu­keh­ren. Aber mein Durst und mehr noch das Ge­fühl, so­fort wie­der mei­nen Sor­gen aus­ge­lie­fert zu sein, lie­ßen mich statt­des­sen an die The­ke tre­ten. »Ge­ben Sie mir was zu trin­ken, ir­gend­was, das den Durst löscht«, sag­te ich.

Ohne auf­zu­se­hen, ließ das Mäd­chen Bier in ein Glas lau­fen, ich sah zu, wie der Schaum über den Rand troff. Das Mäd­chen schloss den Bier­hahn, war­te­te einen Au­gen­blick, bis der Schaum sich ge­setzt hat­te, und ließ noch einen Schuss Bier nach­lau­fen. Dann schob es mir, wie­der­um ohne ein Wort, das Glas über den stump­fen Zink zu. Es mach­te sich wie­der an sein Flüs­tern mit dem Mau­rer­bur­schen, bis­her hat­te es mich noch nicht mit ei­nem Blick an­ge­se­hen.

Ich hob das Glas zum Mun­de und trank es be­däch­tig, Schluck für Schluck, ohne ein­mal ab­zu­set­zen, leer. Es schmeck­te frisch, pri­ckelnd und leicht bit­ter, und in­dem es mei­nen Mund pas­sier­te, schi­en es in ihm et­was von ei­ner Hel­le und Leich­tig­keit zu hin­ter­las­sen, die vor­her nicht in ihm ge­we­sen war.

›Ge­ben Sie mir noch ein­mal von dem‹, woll­te ich sa­gen, be­sann mich aber an­ders. Ich hat­te vor dem jun­gen Men­schen ein hel­les, kur­z­es, ge­drun­ge­nes Glas ste­hen se­hen, das man bei uns eine »Stan­ge« nennt und in dem ge­wöhn­lich Korn aus­ge­schenkt wird. »Ich möch­te auch solch eine Stan­ge«, sag­te ich plötz­lich. Wie ich, der ich mein Leb­tag kei­nen Schnaps ge­trun­ken, der ich im­mer eine tie­fe Ab­nei­gung ge­gen den Ge­ruch von Schnaps ge­habt habe, dazu kam, weiß ich nicht zu sa­gen. In je­nen Ta­gen än­der­ten sich alle Ge­wohn­hei­ten mei­nes Le­bens, ge­heim­nis­vol­len Ein­flüs­sen war ich aus­ge­lie­fert, und ge­nom­men war mir die Kraft, ih­nen zu wi­der­ste­hen.

Zum ers­ten Male sah mich jetzt das Mäd­chen an. Lang­sam hob es die et­was kör­ni­gen Li­der und blick­te mich mit hel­len, wis­sen­den Au­gen an. »Mit Schnaps?«, frag­te es.

»Mit Schnaps«, sag­te ich. Das Mäd­chen griff nach ei­ner Fla­sche, und ich über­leg­te mir, ob mich je in mei­nem Le­ben ein weib­li­ches We­sen schon ein­mal so scham­los wis­send an­ge­schaut hät­te. Die­ser Blick schi­en bis auf den Grund mei­nes Man­nes­tums drin­gen zu wol­len, als möch­te er er­fah­ren, was ich als Mann gel­te; ich emp­fand ihn wie et­was Kör­per­li­ches, et­was schmerz­lich süß Be­lei­di­gen­des, als sei ich nackt aus­ge­zo­gen wor­den von die­sen Au­gen.

Das Glas war ge­füllt, es wur­de zu mir über den Zink ge­scho­ben, die Li­der hat­ten sich wie­der ge­senkt, das Mäd­chen wand­te sich an den Bur­schen; mein Ur­teil war ge­spro­chen. Ich hob das Glas, zö­ger­te – und schüt­te­te den In­halt in ei­nem plötz­li­chen Ent­schluss in die Mund­höh­le. Es brann­te atem­rau­bend, dann ver­schluck­te ich mich, zwang die Flüs­sig­keit aber doch die Keh­le hin­un­ter. Ich fühl­te sie bren­nend und bei­zend hin­un­ter­rin­nen – und in mei­nem Ma­gen ent­stand ein plötz­li­ches Ge­fühl von Wär­me, ei­ner wohl­tu­en­den, hei­te­ren Wär­me.

Dann muss­te ich mich am gan­zen Lei­be schüt­teln. Der Mau­rer sag­te halb­laut: »Die sich so schüt­teln, das sind die Schlimms­ten«, und das Mäd­chen lach­te kurz. Ich leg­te eine Mark auf den Zink und ver­ließ ohne ein wei­te­res Wort die Gast­stät­te.

Der Früh­lings­tag emp­fing mich mit son­ni­ger Wär­me und leich­tem, sei­den­fei­nem Wind, aber als ein Ver­wan­del­ter kehr­te ich in ihn zu­rück. Aus der Wär­me in mei­nem Ma­gen war eine Hel­lig­keit in mei­nen Kopf em­por­ge­stie­gen, mein Herz poch­te frei und stark. Jetzt sah ich das Sma­ragd­grün der jun­gen Saa­ten, jetzt hör­te ich die Ler­chen­wir­bel im Blau. Mei­ne Sor­gen wa­ren von mir ab­ge­fal­len. ›Es wird sich al­les schon ein­mal re­geln‹, sag­te ich mir hei­ter und schlug den Weg heim­wärts ein. ›Wa­rum sich jetzt schon drum pla­gen?‹ Ehe ich in die Stadt kam, kehr­te ich noch in zwei wei­te­ren Gast­häu­sern ein und trank in je­dem noch solch ein Stäng­chen, um die rasch ver­flie­gen­de Wir­kung wie­der­zu­ho­len und zu ver­stär­ken. Mit ei­nem leich­ten, aber nicht un­an­ge­neh­men Be­nom­men­heits­ge­fühl lang­te ich zu Hau­se ge­ra­de zur rech­ten Zeit für das Mit­ta­ges­sen an.

4

Ich war mir klar dar­über, dass ich vor mei­ner Frau nun nicht nur den Fehl­schlag in den Le­bens­mit­tel­lie­fe­run­gen, son­dern auch mein Trin­ken ver­heim­li­chen muss­te. Aber ich fühl­te mich im Au­gen­blick der gan­zen Welt so über­le­gen, dass ich über­zeugt war, dies wür­de mir nicht die ge­rings­te Schwie­rig­keit ma­chen. Ich ver­weil­te län­ger als sonst im Ba­de­zim­mer und wusch mich nicht nur be­son­ders sorg­fäl­tig, son­dern putz­te mir auch lan­ge und gründ­lich die Zäh­ne, um je­den Al­ko­hol­ge­ruch zu ver­trei­ben. Ich wuss­te noch nicht, wel­che Hal­tung ich Mag­da ge­gen­über ein­neh­men soll­te, aber ein dunkles Ge­fühl warn­te mich da­vor, zu ge­sprä­chig zu sein – wo­für ich eine star­ke Nei­gung ver­spür­te –, bes­ser wür­de viel­leicht eine ru­hi­ge Pose ge­hal­te­nen Erns­tes sein.

Die Sup­pe war schon auf­ge­füllt, und Mag­da er­war­te­te mich be­reits, als ich ein­trat. Ich gab ihr flüch­tig die Hand und mach­te ein paar Be­mer­kun­gen über das herr­li­che Früh­lings­wet­ter. Sie stimm­te mir zu und er­zähl­te ei­ni­ges von den jetzt drin­gen­den Be­stel­l­ar­bei­ten im Gar­ten, auch bat sie mich, ihr heu­te Abend eine be­stimm­te Ge­mü­se­sä­me­rei, de­ren Feh­len sie eben erst be­merkt habe, aus der Stadt mit­zu­brin­gen. Ich sag­te ihr promp­tes­te Er­le­di­gung zu, und so ka­men wir ohne jede Fähr­nis über die Sup­pe. Ich merk­te wohl, dass mich Mag­da ab und zu prü­fend, bei­na­he mit stum­mer Fra­ge von der Sei­te an­sah, aber in dem Ge­fühl, dass mir un­mög­lich et­was an­ge­merkt wer­den konn­te und dass al­les vor­züg­lich ging, be­ach­te­te ich die­se Bli­cke nicht. Üb­ri­gens er­in­ne­re ich mich, dass ich an die­sem Mit­tag die Sup­pe mit be­son­de­rem Ap­pe­tit aß.

Else räum­te die Tel­ler ab und flüs­ter­te da­bei mei­ner Frau ir­gend­ei­ne Kü­chen­fra­ge zu, durch die Mag­da ver­an­lasst wur­de, auf­zu­ste­hen und mit Else in die Kü­che zu ge­hen, wohl um ir­gen­det­was ab­zu­schme­cken oder zu tran­chie­ren. Ich blieb al­lein im Spei­se­zim­mer, auf den Fleisch­gang war­tend. Ich dach­te an nichts Be­son­de­res, ich war von ei­ner hei­te­ren Zufrie­den­heit er­füllt, das Le­ben ge­fiel mir. Kei­ne Ah­nung hat­te ich von dem, was ich nun so­fort tun wür­de.

Plötz­lich – mir selbst über­ra­schend – stand ich auf, schlich ei­lig auf den Ze­hen­spit­zen zur An­rich­te, öff­ne­te die un­te­re Tür, und rich­tig – da stand noch die Rot­wein­fla­sche, die wir an je­nem ver­häng­nis­vol­len No­vem­be­r­abend, als un­se­re Strei­te­rei­en be­gan­nen, an­ge­trun­ken hat­ten! Ich hob sie ge­gen das Licht: Sie war, wie ich es nicht an­ders er­war­tet hat­te, noch halb ge­füllt. Ich hat­te kei­ne Zeit zu ver­lie­ren, je­den Au­gen­blick konn­te Mag­da zu­rück­kom­men. Mit den Nä­geln zog ich den ziem­lich weit in den Hals ge­trie­be­nen Kor­ken her­aus, setz­te die Fla­sche an den Mund und trank, trank aus der Fla­sche wie ein al­ter Säu­fer! (Aber was soll­te ich tun? Für die Be­nut­zung ei­nes Gla­ses war kei­ne Zeit, ganz ab­ge­se­hen da­von, dass ein be­nutz­tes Glas eine ver­rä­te­rische Spur ge­we­sen wäre.) Ich nahm drei, vier sehr kräf­ti­ge Schlu­cke, hielt die Fla­sche wie­der ge­gen das Licht und sah, dass in ihr nur ein schä­bi­ger Rest war. Ich trank auch ihn aus, ver­kork­te die Fla­sche wie­der, schloss die An­rich­ten­tür ab und schlich an mei­nen Platz zu­rück.

In mir wog­te es, mein Ma­gen, ge­reizt durch die plötz­li­che star­ke Al­ko­hol­zu­fuhr, mach­te ei­ni­ge krampf­haf­te Be­we­gun­gen, vor mei­nen Au­gen lag eine Art feu­ri­ger Ne­bel, und Stirn und Hän­de wa­ren schweiß­nass. Ich hat­te ge­wal­tig zu tun, bis zur Rück­kehr Mag­das ei­ni­ger­ma­ßen wie­der mei­ner Herr zu wer­den. Dann saß ich mit ei­nem Ge­fühl an­ge­neh­mer Hin­ge­ge­ben­heit an mei­nen Rausch zu Tisch, und nur die Not­wen­dig­keit, we­nigs­tens pro for­ma et­was zu es­sen, mach­te mir Schwie­rig­kei­ten. Mein Ma­gen schi­en ein sehr zer­brech­li­ches Ding, da­bei je­der­zeit be­reit, sich zu em­pö­ren; je­den ein­zel­nen Bis­sen muss­te ich ihm mit äu­ßers­ter Vor­sicht zu­füh­ren und be­dau­er­te da­bei, durch die­se aus äu­ße­ren Rück­sich­ten ge­bo­te­ne Nah­rungs­zu­fuhr den still wir­ken wol­len­den Rausch zu stö­ren.

Da­ran, dass es viel­leicht gut wäre, ein paar Wor­te mit Mag­da zu wech­seln, dach­te ich über­haupt nicht. Da­für be­schäf­tig­te mich ein an­de­res Pro­blem, das mir plötz­lich schwe­re Sor­gen be­rei­te­te. Wohl stand die Rot­wein­fla­sche wie­der ver­korkt in der An­rich­te, aber bei der Ge­nau­ig­keit, mit der Mag­da ih­ren Haus­halt führ­te, muss­te sie bin­nen Kur­zem ihre Lee­re mer­ken. Un­mög­lich konn­te ich das zu­las­sen, ich muss­te recht­zei­tig da­ge­gen Vor­keh­run­gen tref­fen. Aber wie un­glaub­lich schwie­rig das war!

Die bes­te Lö­sung wür­de sein, gleich heu­te Nach­mit­tag eine an­de­re Fla­sche Rot­wein zu kau­fen, etwa die Hälf­te fort­zu­schüt­ten und sie an die Stel­le der aus­ge­trun­ke­nen zu stel­len. Aber wann soll­te ich das tun, wie kam ich an das Bü­fett, da ich doch den Nach­mit­tag über im Ge­schäft sein muss­te, und da Mag­da und ich den Abend stets ge­mein­sam ver­brach­ten, sie mit ei­ner Hand­ar­beit, ich mit mei­nen Zei­tun­gen be­schäf­tigt – wann? Und wo blieb ich mit der lee­ren Fla­sche? Wür­de ich denn über­haupt einen Wein glei­cher Mar­ke zu kau­fen be­kom­men? Erin­ner­te sich Mag­da der Sor­te, der Art des Eti­ketts? Am bes­ten wür­de es sein, etwa um Mit­ter­nacht heim­lich auf­zu­ste­hen, das Eti­kett der al­ten Fla­sche vor­sich­tig ab­zu­lö­sen und auf die vol­le auf­zu­kle­ben! Aber wenn mich Mag­da da­bei über­rasch­te! Und hat­ten wir über­haupt Leim im Hau­se? Ich wür­de in mei­ner Ak­ten­ta­sche wel­chen aus dem Büro ein­schmug­geln müs­sen!

Je län­ger ich dar­über nach­dach­te, um so kom­pli­zier­ter wur­de die gan­ze An­ge­le­gen­heit, ei­gent­lich war sie schon ganz un­lös­bar. Es war eine sehr ein­fa­che Sa­che ge­we­sen, die Fla­sche leer zu trin­ken, aber ich hät­te vor­her dar­an den­ken sol­len, wie schwie­rig es sein wür­de, den Zu­stand wie vor­her her­zu­stel­len. Wenn ich die Fla­sche ein­fach zer­brä­che und vor­gä­be, ich hät­te sie beim Su­chen nach ir­gend­was um­ge­sto­ßen? Aber es war kein Wein mehr in ihr, der hät­te aus­flie­ßen kön­nen! Oder konn­te ich es wa­gen, sie ein­fach halb mit Was­ser zu fül­len, und die ei­gent­li­che Nach­fül­lung auf einen spä­te­ren Tag ver­schie­ben?

Es ging im­mer wir­rer in mei­nem Kopf zu, nicht nur das Es­sen, auch Mag­da hat­te ich ganz und gar über mei­nen Ge­dan­ken ver­ges­sen. So schrak ich völ­lig zu­sam­men, als sie mich mit ech­ter Be­sorg­nis in der Stim­me frag­te: »Was ist mit dir, Er­win? Bist du krank? Hast du Fie­ber – du siehst so rot aus?«

Ich griff gie­rig nach die­sem Ret­tungs­an­ker und sag­te ru­hig: »Ja, ich glau­be wirk­lich, ich bin nicht ganz in Ord­nung. Ich glau­be, ich lege mich am bes­ten einen Au­gen­blick hin. Ich habe – ich habe sol­chen Blu­tandrang im Kopf …«

»Ja, Er­win, das tu. Lege dich gleich ins Bett. Soll ich Dr. Mans­feld an­ru­fen?«

»Ach, Un­sinn!«, rief ich är­ger­lich. »Ich will mich nur eine Vier­tel­stun­de auf das Sofa le­gen, ich wer­de gleich wie­der in Ord­nung sein. Ich muss dann auch so­fort ins Ge­schäft.«

Sie ge­lei­te­te mich wie einen Schwer­kran­ken zum Sofa, half mir, mich hin­zu­le­gen, und leg­te eine De­cke über mich. »Hast du Är­ger im Ge­schäft ge­habt?«, frag­te sie ängst­lich. »Sage mir doch, was dich be­drückt, Er­win. Du bist ganz ver­än­dert!«

»Nichts, nichts«, sag­te ich, plötz­lich är­ger­lich. »Ich weiß nicht, was du willst. Ein biss­chen Schwin­del oder Blu­tandrang – und gleich soll et­was mit dem Ge­schäft sein! Pri­ma geht es mit dem Ge­schäft, ein­fach pri­ma!«

Sie seufz­te lei­se. »Also dann schlaf gut, Er­win!«, sag­te sie. »Soll ich dich we­cken?«

»Nein, nein, nicht nö­tig. Ich wa­che von selbst auf – in ei­ner Vier­tel­stun­de oder so …«

Da­mit war ich end­lich al­lein; ich leg­te den Kopf zu­rück, und der Al­ko­hol floss nun in un­ge­hemm­ter frei­er Wel­le ganz durch mich hin­durch, mit ei­ner sam­te­nen Schwin­ge be­deck­te er alle mei­ne Sor­gen und Küm­mer­nis­se, selbst den klei­nen, ganz fri­schen Är­ger, dass ich Mag­da so un­nö­tig einen »pri­ma« Gang der Ge­schäf­te vor­ge­lo­gen hat­te, schwemm­te er fort. Ich schlief … Ich schlief? Nein, ich war aus­ge­löscht. Ich war nicht mehr …

5

Es fängt schon an zu däm­mern, als ich er­wa­che. Ich wer­fe einen er­schro­cke­nen Blick auf die Uhr: Es ist zwi­schen sie­ben und acht Uhr abends. Ich lau­sche in das Haus, nichts rührt sich. Ich rufe erst lei­se, dann lau­ter: »Mag­da!« Aber sie kommt nicht. Ich ste­he müh­sam auf. Ich füh­le mich am gan­zen Kör­per zer­schla­gen, mein Kopf ist dumpf und mei­ne Mund­höh­le tro­cken und pel­zig. Ei­nen Blick wer­fe ich in das Spei­se­zim­mer ne­ben­an: Kein Abend­brot­tisch ist ge­deckt, und dies ist die Stun­de, zu der wir sonst nacht­mah­len. Was ist los? Was ist ge­sche­hen, wäh­rend ich schlief? Wo ist Mag­da?

Nach ei­ni­gem Über­le­gen tas­te ich mich nach der Kü­che hin; das Ge­hen fällt mir schwer, es ist, als sei­en alle mei­ne Glie­der steif und ver­bo­gen, sie be­we­gen sich so schwer in ih­ren Ge­len­ken.

Ich habe halb er­war­tet, auch die Kü­che leer und halb­dun­kel zu fin­den, aber in ihr brennt das Licht, und am Tisch steht Else, mit ir­gend­ei­ner Plät­te­rei be­schäf­tigt. Sie sieht er­schro­cken auf, als ich her­ein­kom­me, und ihr Ge­sichts­aus­druck wird auch nicht zu­trau­li­cher, als sie sieht, dass ich es bin. Ich kann mir wohl den­ken, dass ich et­was wüst aus­se­he. Plötz­lich habe ich das Ge­fühl, am gan­zen Kör­per schmie­rig zu sein. Ich hät­te zu­erst ins Ba­de­zim­mer ge­hen müs­sen, frü­her hät­te ich mich nie so ge­hen las­sen.

»Wo ist mei­ne Frau, Else?«, fra­ge ich.

»Die gnä­di­ge Frau ist in die Stadt ge­gan­gen«, ant­wor­tet Else, mit ei­nem kur­z­en, fast ängst­li­chen Auf­bli­cken zu mir.

»Aber es ist Abend­brot­zeit, Else!«, sage ich vor­wurfs­voll, ob­wohl ich nicht die ge­rings­te Nei­gung habe, jetzt ein Abendes­sen ein­zu­neh­men.

Else zuckt erst die Ach­seln, dann sagt sie, wie­der mit ei­nem ra­schen Auf­blick: »Es ist vom Ge­schäft an­ge­ru­fen wor­den; ich glau­be, Ihre Frau ist ins Ge­schäft ge­gan­gen …«

Ich schlu­cke müh­sam, ich füh­le, wie mein Mund tro­cken ge­wor­den ist. »Ins Ge­schäft?«, mur­me­le ich. »O du lie­ber Gott! Was will denn mei­ne Frau im Ge­schäft, Else?«

Sie zuckt die Ach­seln. »Ich weiß doch nicht, Herr Som­mer«, sagt sie, »die gnä­di­ge Frau hat mir nichts ge­sagt.« Sie be­sinnt sich, dann setzt sie hin­zu: »Die ha­ben gleich nach drei an­ge­ru­fen, und seit­dem ist Ihre Frau fort …«

Über vier Stun­den ist Mag­da also schon im Ge­schäft – ich bin ver­lo­ren. Wie­so ich ver­lo­ren bin, weiß ich nicht, aber dass ich’s bin, das weiß ich. Ich wer­de schwach in den Kni­en, ich stol­pe­re ein paar Schrit­te vor­wärts und las­se mich schwer auf einen Kü­chen­stuhl fal­len. Den Kopf wer­fe ich auf den Kü­chen­tisch. »Es ist aus und vor­bei, Else«, stöh­ne ich, »ich bin ver­lo­ren. Ach, Else …«

Ich höre, wie sie mit ei­nem er­schro­cke­nen Laut das Plätt­ei­sen auf­setzt, dann kommt sie zu mir ge­gan­gen und legt die Hand auf mei­ne Schul­ter. »Was ist denn, Herr Som­mer?«, fragt sie. »Ist Ih­nen nicht gut?«

Ich sehe sie nicht, ich hebe das Ge­sicht nicht aus dem Schutz mei­nes Ar­mes, ich schä­me mich vor die­sem jun­gen Ding mei­ner her­vor­quel­len­den Trä­nen. Es ist ja al­les aus und vor­bei, al­les ver­lo­ren, Fir­ma, Ehe, Mag­da – ach, hät­te ich nur heu­te Mit­tag nicht auch noch den Rot­wein aus­ge­trun­ken, da­von ist erst al­les so schlimm ge­wor­den, ohne das wäre Mag­da nie ins Ge­schäft ge­gan­gen. (Flüch­ti­ger Ne­ben­ge­dan­ke: Das mit der lee­ren Rot­wein­fla­sche muss ich auch noch in Ord­nung brin­gen!)

Else schüt­telt mich leicht an der Schul­ter. »Herr Som­mer«, sagt sie, »las­sen Sie sich doch nicht so ge­hen! Le­gen Sie sich noch einen Au­gen­blick hin, und ich ma­che Ih­nen un­ter­des so­fort Abendes­sen.«

Ich schüt­te­le den Kopf. »Ich will kein Abendes­sen, Else! Mei­ne Frau müss­te jetzt hier sein, es ist doch Zeit …«

»Oder«, sagt Else über­re­dend, »wol­len Sie hier bei mir in der Kü­che ein biss­chen es­sen, Herr Som­mer?« Selbst et­was be­denk­lich: »Wo Ihre Frau doch fort ist …«

Die­ser ganz un­er­hör­te Vor­schlag hat ge­ra­de durch sei­ne Neu­heit et­was Be­ste­chen­des. Hier in der Kü­che bei Else es­sen – was Mag­da wohl dazu sa­gen wür­de? Ich hebe den Kopf und sehe Else zum ers­ten Mal rich­tig an. Ich habe sie noch nie so an­ge­se­hen, für mich war sie im­mer nur ein dunk­ler Schat­ten mei­ner Frau in den hin­te­ren Re­gio­nen des Hau­ses. Jetzt sehe ich, dass Else ein recht net­tes dun­kel­haa­ri­ges Mäd­chen von etwa sieb­zehn Jah­ren und et­was ro­bus­ter Schön­heit ist. Sie hat un­ter ei­ner hel­len Blu­se eine vol­le Brust, und bei dem Ge­dan­ken, wie jung die­se Brust ist, füh­le ich eine Wel­le von Hit­ze über mich lau­fen.

Aber dann be­sin­ne ich mich. All dies ist un­mög­lich, schon mein Sich-vor-Else-Ge­hen­las­sen eben war ganz un­mög­lich. »Nein, Else«, sage ich und ste­he auf. »Es ist sehr nett von dir, dass du mich ein we­nig trös­ten willst, aber ich gehe jetzt bes­ser auch ins Ge­schäft. Soll­te ich mei­ne Frau ver­feh­len, sage ihr bit­te, ich sei auch ins Ge­schäft ge­gan­gen.« Ich wen­de mich zum Ge­hen.

Plötz­lich wird es mir schwer, aus der Kü­che und von die­sem freund­li­chen Mäd­chen fort­zu­ge­hen. Ich ste­he da noch einen Au­gen­blick un­ter der Tür und sehe sie an. Es fällt mir auf, wie blass ihr Ge­sicht ist und wie gut die dunklen, hoch­ge­schwun­ge­nen Au­gen­brau­en dazu pas­sen. »Ich habe vie­le Sor­gen, Else«, sage ich un­ver­mit­telt, »und ich habe kei­nen, Else, der mir bei­steht.« Ich wie­der­ho­le mit Nach­druck: »Kei­nen und kei­ne, Else, du ver­stehst mich?!«

»Ja, Herr Som­mer«, ant­wor­tet sie lei­se.

»Ich dan­ke dir, Else, dass du so nett zu mir warst«, sage ich noch und gehe. Erst als ich mich im Ba­de­zim­mer zu­recht­ma­che, fällt mir ein, dass ich so­eben Mag­da ver­ra­ten habe. Ver­ra­ten und be­tro­gen. Be­tro­gen und be­lo­gen. Aber gleich zu­cke ich die Ach­seln: Recht so! Im­mer tiefer hin­ab. Im­mer schnel­ler hin­ein. Nun gibt es doch kein Hal­ten mehr!

6

Vor­sich­tig ging ich den Weg zu mei­nem Ge­schäft, vor­sich­tig, denn ich woll­te es um je­den Preis ver­mei­den, Mag­da auf der Stra­ße zu tref­fen. Dann stand ich auf der an­de­ren Stra­ßen­sei­te im Schat­ten ei­ner Ein­fahrt und sah zu den fünf Par­ter­re­fens­tern mei­ner Fir­ma hin­über. Zwei, mein Chef­bü­ro, wa­ren er­leuch­tet, und manch­mal sah ich auf den Milchglas­schei­ben die Schat­ten­ris­se zwei­er Ge­stal­ten: Mag­das und die mei­nes Buch­hal­ters Hinz­pe­ter. ›Sie ma­chen Bilanz!‹, sag­te ich mir mit ei­nem tie­fen Er­schre­cken, und doch war die­sem Er­schre­cken ein Ge­fühl der Er­leich­te­rung bei­ge­mischt, weil ich nun die Füh­rung des Ge­schäf­tes in den tat­kräf­ti­gen Hän­den Mag­das wuss­te. Das sah ihr so recht ähn­lich, so­fort nach dem Er­fah­ren der schlim­men Nach­rich­ten sich vol­le Klar­heit zu ver­schaf­fen, die Bilanz zu zie­hen!

Mit ei­nem tie­fen Seuf­zer wand­te ich mich ab und ging durch die Stadt hin­durch, aus ihr hin­aus, aber nicht mei­nem Heim zu. Was soll­te ich auf dem Büro, was in mei­nem Heim? Die Vor­wür­fe noch auf­su­chen, die mir not­wen­dig ge­macht wer­den muss­ten, eine Recht­fer­ti­gung ver­su­chen, dort, wo nichts zu recht­fer­ti­gen war? Nichts von al­le­dem – und in­dem ich wie­der in das lang­sam im­mer dunk­ler wer­den­de Land hin­aus­wan­der­te, wur­de mir mit schmerz­haf­ter Ge­wiss­heit klar, dass ich aus­ge­spielt hat­te. Ich hat­te, end­gül­tig, mei­ne Stel­lung und mei­nen Sinn im Le­ben ver­lo­ren, und ich fühl­te nicht die Kraft in mir, eine neue zu su­chen oder gar um die ver­lo­re­ne zu kämp­fen. Was soll­te ich noch? Wozu leb­te ich noch? Da ging ich da­hin, wan­der­te fort von Kon­tor, Frau, Va­ter­stadt, ließ das al­les hin­ter mir – aber ich muss­te doch ein­mal wie­der heim­keh­ren, nicht wahr? Ich muss­te mich Mag­da ge­gen­über­stel­len, ihre Vor­wür­fe an­hö­ren, mich mit Recht Lüg­ner und Be­trü­ger schel­ten las­sen, muss­te zu­ge­ben, dass ich ver­sagt hat­te, auf eine schmäh­li­che und fei­ge Art ver­sagt!

Uner­träg­lich war die­ser Ge­dan­ke, und ich fing an, mit dem Ge­dan­ken zu spie­len, gar nicht wie­der heim­zu­keh­ren, in die wei­te Welt hin­aus­zu­ge­hen, ir­gend­wo im Dun­kel un­ter­zut­au­chen, in ei­nem Dun­kel, in dem man auch un­ter­ge­hen konn­te – ohne Nach­richt, ohne letz­ten Ruf. Und wäh­rend ich mir das al­les – in leich­ter Rüh­rung über mich selbst – aus­mal­te, wuss­te ich doch, dass ich mir et­was vor­log, nie wür­de ich den Mut ha­ben, ohne Zu­re­den, ohne die Ge­bor­gen­heit des hei­mi­schen Her­des zu le­ben. Nie wür­de ich auf das ge­wohn­te wei­che Bett ver­zich­ten kön­nen, die Ord­nung des Heims, die pünkt­li­chen nahr­haf­ten Mahl­zei­ten! Ich wür­de heim­keh­ren zu Mag­da, all mei­nen Ängs­ten zum Trotz, die­se Nacht noch wür­de ich heim­keh­ren, in mein ge­wohn­tes Bett – nichts da von ei­nem Le­ben drau­ßen im Dun­kel, von ei­nem Le­ben und ei­nem Ster­ben in der Gos­se!

›A­ber‹, sag­te ich mir dann wie­der und be­schleu­nig­te mei­nen ei­li­gen Schritt noch, ›a­ber was ist denn ei­gent­lich los mit mir? Ich bin doch frü­her ein leid­lich tat­kräf­ti­ger und un­ter­neh­mungs­lus­ti­ger Mensch ge­we­sen. Ein we­nig schwach war ich stets, aber das habe ich so gut zu ver­ber­gen ge­wusst, dass es bis heu­te wohl nicht ein­mal Mag­da ge­merkt hat. Wo­her kommt die Schlaff­heit, die mich seit ei­nem Jahr im­mer stär­ker be­fällt, die mir Glie­der und Hirn lähmt, die aus mir, ei­nem im­mer leid­lich an­stän­di­gen Men­schen, einen Be­trü­ger an sei­ner Frau macht, der den Bu­sen sei­nes Haus­mäd­chens mit be­frie­dig­ter Lüs­tern­heit be­trach­tet! Der Al­ko­hol kann es nicht sein, ich trin­ke ja erst seit heu­te Schnaps, und die Schlaff­heit liegt schon so lan­ge über mir. Was ist es nur?‹

Ich riet hin und her. Ich dach­te dar­an, dass ich so­eben die Vier­zig über­schrit­ten hat­te; ich hat­te ein­mal et­was von den »Wech­sel­jah­ren des Man­nes« re­den hö­ren – aber ich wuss­te von kei­nem Mann mei­ner Be­kannt­schaft, der beim Über­schrei­ten der Vier­zig sich so ver­än­dert hat­te wie ich mich. Dann fiel mir mein lieb­lo­ses Da­sein ein. Ich hat­te im­mer nach Aner­ken­nung und Lie­be ge­dürs­tet, in al­ler ge­bo­te­nen Heim­lich­keit na­tür­lich, und ich hat­te sie in ei­nem rei­chen Maße ge­fun­den, so­wohl bei Mag­da wie bei mei­nen Mit­bür­gern. Und nun hat­te ich sie all­mäh­lich ver­lo­ren. Ich wuss­te selbst nicht, wie das al­les ge­kom­men war. Hat­te ich die­se Lie­be und die­se Aner­ken­nung ver­lo­ren, weil ich schlaff ge­wor­den war, oder war ich schlaff ge­wor­den, weil mir die­se Auf­mun­te­run­gen ge­fehlt hat­ten? Ich fand auf alle die­se Fra­gen kei­ne Ant­wort: Ich war es nicht ge­wohnt, über mich nach­zu­den­ken.

Ich ging im­mer schnel­ler, ich woll­te end­lich dort­hin kom­men, wo es Frie­den vor die­sen quä­len­den Fra­gen gab. End­lich stand ich wie­der vor mei­nem Ziel, vor dem­sel­ben Dorf­gast­haus, das ich auch an die­sem ver­häng­nis­vol­len Vor­mit­tag auf­ge­sucht hat­te; ich sah durch die Fens­ter der Wirts­stu­be nach je­nem Mäd­chen mit den blas­sen Au­gen aus, das mein Man­nes­tum nach ei­nem scham­lo­sen Blick so ge­ring ein­ge­schätzt hat­te. Ich sah es sit­zen un­ter dem trü­ben Schein ei­ner ein­zi­gen klei­nen Glüh­bir­ne, mit ir­gend­ei­ner Nä­he­rei be­schäf­tigt. Ich sah es lan­ge an, ich zö­ger­te, und ich frag­te mich, warum ich ge­ra­de es auf­ge­sucht hat­te, in ei­nem Ge­fühl schmer­zen­der, wol­lus­t­er­füll­ter Selbs­t­er­nied­ri­gung. Und auch auf die­se Fra­ge fand ich kei­ne Ant­wort.

Aber ich war all die­ses Fra­gens müde, ich lief fast den Plat­ten­weg zum Gast­hof hin­auf, tas­te­te im dunklen Flur nach der Klin­ke, trat rasch ein, rief mit ver­stell­ter Mun­ter­keit: »Da bin ich, mein schö­nes Kind!« und warf mich in einen Korb­ses­sel ne­ben sie. All das, was ich eben ge­tan hat­te, glich so we­nig dem, was ich sonst zu tun pfleg­te, wich so sehr von mei­ner frü­he­ren Ge­setzt­heit, mei­nem ge­mes­se­nen Be­neh­men ab, dass ich mir selbst mit ei­nem un­ver­hoh­le­nen Stau­nen zu­schau­te, ja mit ei­ner fast ängst­li­chen Be­tre­ten­heit, wie man viel­leicht ei­nem Schau­spie­ler zu­schaut, der eine sehr ge­wag­te Rol­le über­nom­men hat, von der ganz und gar nicht si­cher ist, dass er sie auch über­zeu­gend zu Ende spie­len kann.

Das Mäd­chen sah von sei­ner Nä­he­rei auf, einen Au­gen­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­