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Über dieses Buch:

Amsterdam, Mitte des 17. Jahrhunderts. Um den Fängen der Inquisition zu entkommen, flieht der jüdische Geschäftsmann Miguel Lienzo in die niederländische Hauptstadt – ein pulsierendes Handelszentrum, das ungeahnte Möglichkeiten verspricht. Als die ebenso schöne wie einflussreiche Witwe Geertruid Damhuis ihm ein verlockendes Angebot macht, kann Miguel nicht widerstehen: Mit dem florierenden Kaffeehandel will er zu Ruhm und Ansehen aufsteigen. Doch das schwarze Gold ist eine begehrte Ware, die Konkurrenten intrigant und eiskalt – und sie schrecken vor nichts zurück, um Miguel und Geertruid in den Abgrund zu stürzen …

»Ein brillanter historischer Krimi!« San Francisco Chronicle

Über den Autor:

David Liss, geboren 1966 in New Jersey, studierte an der Columbia University über britische Literatur und Kultur im 18. Jahrhundert und widmete sich nach seinem Abschluss dem Schreiben von Romanen. Für seinen ersten historischen Krimi »Die Papierverschwörung« wurde er mit den drei bedeutendsten Preisen der Kriminalliteratur ausgezeichnet: dem Edgar-Allen-Poe-Award, dem Barry-Award und dem MacAvity-Award.

Bei dotbooks veröffentlichte David Liss bereits die drei Bände seiner spannungsgeladenen »Ben Weaver«-Reihe: »Die Papierverschwörung«, »Die Falschspieler« und »Die Teufelsgesellschaft«.

Die Website des Autors: www.davidliss.com

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Aktualisierte eBook-Neuausgabe April 2020

Die amerikanischen Originalausgabe erschien erstmals 2003 unter dem Originaltitel »The Coffee Trader« bei Random House, Inc., New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2005 unter dem Titel »Der Kaffeehändler« im btb Verlag.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2003 David Liss

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2005 btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

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Copyright © dieser aktualisierten Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Tony Maturano, AcantStudio, Everett-Art

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96148-145-3

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David Liss

Die Schatten von Amsterdam

Historischer Roman

Aus dem Amerikanischen von Almuth Carstens

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Kapitel 1

Dicker als Wasser oder Wein kräuselte sich die Flüssigkeit in der Schale, dunkel und heiß und wenig einladend. Miguel Lienzo beugte sich so weit darüber, dass er fast seine Nase in das teerige Gebräu tauchte. Während er das Gefäß einen Moment lang still hielt, atmete er ein und sog den Duft tief in seine Lungen. Der scharfe Geruch nach Erde und modernden Blättern überraschte ihn, er erinnerte ihn an einen Apothekerladen.

»Was ist das?«, fragte Miguel ungeduldig und schob mit dem Nagel des einen Daumens die Haut des anderen zurück. Sie wusste, dass er keine Zeit zu vergeuden hatte, warum also hatte sie ihn dieses Unsinns wegen hierher gebracht? Eine bittere Bemerkung nach der anderen wallte in ihm auf, doch Miguel ließ keiner von ihnen freien Lauf. Es war nicht so, dass er Angst vor ihr hatte, aber er stellte oft fest, dass er sich große Mühe gab, kein Missfallen bei ihr zu erregen.

Er schaute zu Geertruid hinüber und sah, dass sie seiner gedankenverlorenen Daumenverstümmelung mit einem Grinsen begegnete. Er kannte dieses unwiderstehliche Lächeln und wusste, was es bedeutete: Sie war höchst zufrieden mit sich selbst, und wenn sie eine solche Miene aufsetzte, war es schwer für Miguel, nicht auch höchst zufrieden mit ihr zu sein.

»Es ist etwas ganz Außergewöhnliches«, sagte sie, auf seine Schale deutend. »Trinken Sie.«

»Trinken?«, Miguel blinzelte in das Dunkel. »Es sieht aus wie Teufelspisse, die gewiss außergewöhnlich schmeckt, aber ich habe kein Verlangen, sie zu kosten.«

Geertruid beugte sich zu ihm und streifte fast seinen Arm. »Nehmen Sie einen Schluck, und ich erzähle Ihnen alles. Diese Teufelspisse wird uns beiden ein Vermögen einbringen.«

Vor knapp einer Stunde war es gewesen, als Miguel spürte, wie jemand ihn am Arm packte.

Noch ehe er den Kopf wandte, hakte er in Gedanken die unangenehmen Möglichkeiten ab: ein Konkurrent oder Gläubiger, eine verlassene Geliebte oder deren zorniger Verwandter, der Däne, dem er jene baltischen Getreideterminkontrakte mit einer übertrieben enthusiastischen Empfehlung verkauft hatte. Vor nicht allzu langer Zeit war die Annäherung eines Fremden verheißungsvoll gewesen. Händler und Spekulanten und Frauen, sie alle hatten Miguels Gesellschaft gesucht, ihn um Rat gebeten, nach seiner Freundschaft verlangt, um seine Gulden gefeilscht. Inzwischen wollte er nur noch wissen, in welcher neuen Form sich das Verhängnis offenbarte.

Es wäre ihm nie eingefallen, stehen zu bleiben. Er war Teil der Prozession, die sich jeden Tag bildete, wenn die Glocken der Nieuwe Kerk zwei Uhr schlugen und damit das Ende des Handels an der Börse einläuteten. Hunderte von Maklern strömten hinaus auf den Dam, den prächtigen Platz im Zentrum von Amsterdam. Sie verstreuten sich über die Gassen und Straßen und Kanalufer. An der Warmoesstraat, der kürzesten Strecke zu den beliebtesten Schenken, traten die Ladeninhaber mit breitkrempigen Lederhüten, die sie vor dem Schwall der Feuchtigkeit von der Nordsee schützen sollten, ins Freie. Sie stellten Säcke mit Gewürzen auf die Straße, Leinenballen, Fässer voller Tabak. Schneider und Schuster und Hutmacherinnen winkten die Männer nach drinnen; Verkäufer priesen Bücher und Federhalter und exotische Kinkerlitzchen lautstark an.

Die Warmoesstraat wurde zu einem Strom aus schwarzen Hüten und schwarzen Anzügen mit Einsprengseln von weißen Kragen, Ärmeln und Strümpfen oder von hell aufblitzenden silbernen Schuhschnallen. Händler schoben Waren aus dem Orient oder der Neuen Welt vorbei, aus Orten, von denen vor hundert Jahren noch niemand etwas gehört hatte. Ausgelassen wie Schuljungen nach dem Unterricht redeten die Kaufleute in einem Dutzend verschiedener Sprachen über ihre Geschäfte. Sie lachten und schrien und gestikulierten; sie griffen nach allem, was jung und weiblich war und ihnen in die Quere kam. Sie holten ihre Geldbeutel hervor und verschlangen die Delikatessen der Ladeninhaber, nichts war zu teuer.

Miguel Lienzo lachte weder, noch bewunderte er die vor ihm ausgebreiteten Angebote; er zwickte auch keine willigen Ladenmädchen in ihre Weichteile. Er schritt schweigend dahin, den Kopf gesenkt wegen des leichten Regens. Heute war der dreizehnte Tag des Mai 1659 auf dem christlichen Kalender. Die Schlussabrechnung an der Börse fand jeden Monat am zwanzigsten statt; mochte ein Mann manövrieren, wie er wollte, nichts davon zählte bis zum zwanzigsten, wenn die Guthaben und Verbindlichkeiten des Monats gegeneinander aufgerechnet wurden und endlich Geld den Besitzer wechselte. Heute war es in Sachen Weinbrandterminkontrakte schief gelaufen, und Miguel hatte jetzt weniger als eine Woche, um die Dinge ins Lot zu bringen, sonst verschuldete er sich um weitere tausend Gulden.

Weitere tausend, zusätzlich zu den dreitausend. Früher hatte er in einem Jahr das Doppelte verdient, doch vor sechs Monaten war der Zuckermarkt zusammengebrochen und hatte Miguels Vermögen mit sich gerissen. Und dann – nun ja, ein Fehler nach dem anderen. Er wäre gern gewesen wie die Holländer, für die ein Bankrott nicht als Schande gilt. Er versuchte sich einzureden, es mache nichts, es würde nur noch kurze Zeit dauern, bis er den Schaden behoben hatte, aber diese Geschichte zu glauben, erforderte immer größere Mühe. Wie lange noch, so fragte er sich, bis sein breites, jungenhaftes Gesicht einen verkniffenen Ausdruck annahm? Wie lange würde es dauern, bis seine Augen das eifrige Funkeln des Kaufmanns verloren und den verzweifelten, leeren Blick eines Spielers zeigten? Das würde ihm nicht passieren, schwor er sich. Er würde sich nicht in eine jener verlorenen Seelen verwandeln, die wie Gespenster die Börse heimsuchten, von einem Abrechnungstag zum nächsten lebten, sich abquälten und gerade genug Profit ergatterten, um ihre Konten noch einen Monat lang über Wasser zu halten, in der Hoffnung, dass sich alles zum Besseren wenden würde.

Jetzt, da unbekannte Finger nach seinem Arm griffen, drehte Miguel sich um und erblickte einen adrett gekleideten Holländer des mittleren Standes, kaum älter als zwanzig Jahre. Er war muskulös und breitschultrig, hatte blonde Haare und ein eher weich anmutendes Gesicht, wenn ihm auch sein schlaff herabhängender Schnauzbart einen Anstrich von Männlichkeit verlieh.

Hendrick. Den Nachnamen kannte niemand. Der Gefährte von Geertruid Damhuis.

»Hallo, Judenmann«, sagte er, Miguels Arm nach wie vor festhaltend. »Ich hoffe, alles läuft zu Ihrer Zufriedenheit heute Nachmittag.«

»Es läuft immer zu meiner Zufriedenheit«, antwortete er, während er sich den Hals verrenkte, um zu sehen, ob irgendein geschwätziger Unruhestifter hinter ihm lauerte. Der Ma'amad, Ältestenrat der portugiesischen Juden, verbot den Verkehr zwischen Juden und »unpassenden« Nichtjuden, und wenn diese Bestimmung auch sehr dehnbar war, konnte doch niemand Hendrick in seinem gelben Wams und den roten Kniebundhosen fälschlich für passend halten.

»Madame Damhuis schickt mich, Sie zu holen«, sagte er.

Geertruid hatte dieses Spielchen schon früher gespielt. Sie wusste, dass Miguel es nicht riskieren konnte, auf einer so belebten Straße wie der Warmoesstraat mit einer Holländerin gesehen zu werden, schon gar nicht mit einer Holländerin, mit der er Geschäfte machte, also schickte sie stattdessen ihren ständigen Begleiter. Miguels Ruf war dadurch nicht weniger in Gefahr, doch auf diese Weise konnte sie ihn unter Druck setzen, ohne auch nur ihr Gesicht zu zeigen.

»Sagen Sie ihr, ich habe keine Zeit für eine so reizende Zerstreuung«, sagte er. »Nicht jetzt.«

»Natürlich haben Sie die.« Hendrick grinste breit. »Welcher Mann könnte Madame Damhuis etwas abschlagen?«

Miguel nicht. Jedenfalls nicht so leicht. Er hatte Schwierigkeiten, Geertruid oder sonst jemandem – einschließlich sich selbst – etwas abzuschlagen, das nach Amüsement klang. Er musste sich jeden Tag zwingen, die Rolle des vorsichtigen Mannes zu spielen, der gegen den Ruin ankämpft. Das war, wie er wusste, sein wahrer Fluch, der Fluch aller ehemaligen Conversos: In Portugal hatte er sich allzu sehr an die Falschheit gewöhnt. Er gab vor, ein Katholik zu sein und Juden zu verachten und die Inquisition zu respektieren. Er hatte sich nichts dabei gedacht, zu sein, wer er war, und die Welt zugleich glauben zu lassen, er sei ein anderer. Täuschung, sogar Selbsttäuschung, fiel ihm nur allzu leicht.

»Danken Sie Ihrer Herrin, aber drücken Sie ihr mein Bedauern aus.« Da der Abrechnungstag kurz bevorstand, an dem ihn neue Schulden belasten würden, musste er seine Ausgaben einschränken, zumindest für eine Weile. Außerdem war heute Morgen ein Brief eingetroffen, ein seltsam anonymes Schreiben, hingekritzelt auf ein abgerissenes Stück Papier. Ich will mein Geld. Er war einer von rund einem halben Dutzend, die Miguel im letzten Monat erhalten hatte. Ich will mein Geld. Wartet, bis ihr an der Reihe seid, dachte Miguel bedrückt, wenn er diese Briefe öffnete. Dieses Mal war es anders, der kurz angebundene Ton und die unregelmäßige Handschrift beunruhigten ihn. Nur ein Verrückter würde eine solche Nachricht ohne Namen schicken – selbst wenn Miguel das Geld gehabt und selbst wenn er beabsichtigt hätte, das wenige, das er besaß, für etwas so Törichtes wie das Zurückzahlen von Schulden auszugeben, er wüsste nicht, an wen.

Hendrick glotzte, als ob er Miguels gutes, wenn auch mit starkem Akzent gesprochenes Holländisch nicht verstünde.

»Heute ist nicht der richtige Tag«, sagte Miguel mit mehr Nachdruck. Er vermied es, zu scharf mit Hendrick zu sprechen, den er einmal dabei beobachtet hatte, wie er den Kopf eines Metzgers auf die Steine des Damplatzes schmetterte, weil dieser Geertruid ranzigen Speck verkauft hatte.

Hendrick starrte Miguel mit jenem speziellen Blick an, den Männer des mittleren Standes höher Gestellten vorbehielten. »Madame Damhuis hat mir gesagt, ich soll Ihnen mitteilen, dass heute der richtige Tag ist. Sie sagt, sie will Ihnen etwas zeigen, und wenn Sie es erblicken, werden Sie Ihr Leben auf ewig in die Zeit vor diesem Nachmittag und die Zeit danach einteilen.«

Die Vorstellung, wie sie sich entkleidete, blitzte in ihm auf. Das wäre ein reizender Einschnitt zwischen Vergangenheit und Zukunft und gewiss eine Verschiebung seiner Angelegenheiten für den Nachmittag wert. Aber Geertruid liebte diese Spielchen. Es bestand kaum eine Chance, dass sie vorhatte, auch nur ihre Haube abzunehmen. Hendrick war jedoch nicht abzuschütteln, und so dringend Miguels Probleme auch sein mochten, er konnte keine Geschäfte machen, wenn dieser Holländer ihm auf den Fersen war. Das war schon öfter vorgekommen. Er verfolgte ihn von Schenke zu Schenke, von Gasse zu Kanalufer, bis Miguel aufgab. Am besten war es, wenn er es rasch hinter sich brachte, befand er, deshalb willigte er seufzend ein, mitzukommen.

Mit einer knappen Drehung seines Halses deutete Hendrick die Richtung an, fort von der uralten Kopfsteinpflasterstraße und über steile Brücken auf den neuen Teil der Stadt zu, der umringt war von den drei großen Kanälen – der Herengracht, der Keizersgracht und der Prinsengracht –, und dann in Richtung Jordaan, das am schnellsten wachsende Stadtviertel, wo das Klingen der Hämmer auf Ambossen und das Raspeln der Meißel auf Stein widerhallte.

Hendrick geleitete ihn die Rozengracht entlang, wo Kähne sich durch den dichten Kanalnebel bohrten, während sie auf die Docks zusteuerten, um ihre Fracht zu entladen. Zu beiden Seiten des trüben Gewässers standen die neuen Häuser der neuen Reichen mit Blick auf den von Eichen und Linden gesäumten Schifffahrtsweg. Einst hatte Miguel den größeren Teil eines so schönen Hauses gemietet, aus rotem Backstein und mit Türmen auf dem Giebel. Doch dann hatte die brasilianische Zuckerproduktion seine Erwartungen bei weitem übertroffen. Seit Jahren hatte er auf niedrige Erträge spekuliert, aber plötzlich brachten brasilianische Bauern eine riesige Ernte auf den Markt, und die Preise fielen unverzüglich ins Bodenlose. Genauso schnell war er, eben noch ein großer Mann an der Börse, zu einem Schuldner geworden, der von den Almosen seines Bruders lebte.

Sobald sie von der Hauptstraße abgebogen waren, verlor der Jordaan seinen Reiz. Das Viertel war neu – wo sie standen, war vor dreißig Jahren noch Ackerland gewesen –, doch die Gassen hatten bereits das verfallene Aussehen eines Elendsviertels. Lehm ersetzte das Kopfsteinpflaster. Hütten aus Stroh und Holz lehnten sich an gedrungene, schwarz verrußte Häuser. In den Gässchen pulsierte das hohle Klappern von Webstühlen, die die Weber von Sonnenaufgang bis spät in die Nacht betätigten, alle in der Hoffnung, genug zu verdienen, um sich einen weiteren Tag lang satt essen zu können.

In Augenblicken der Schwäche fürchtete Miguel, die Armut würde ihn endgültig heimsuchen, so wie sie die Erbärmlichen des Jordaan heimgesucht hatte; er würde in ein so tiefes Schuldenloch stürzen, dass ihm nicht einmal mehr der Traum bliebe, sich wieder zu fangen. Würde er dann noch derselbe Mann sein oder so blutleer werden wie die Bettler und unglücklichen Tagelöhner, an denen er oft vorüberging?

Er schwor sich, dass das nicht geschehen würde. Ein echter Händler gibt sich keiner düsteren Stimmung hin. Ein Mann, der verheimlichen konnte, dass er Jude war, würde immer einen Weg finden, um seine Haut zu retten. Zumindest, bis er der Inquisition in die Hände fiel, rief er sich ins Gedächtnis zurück, doch in Amsterdam gab es keine Inquisition. Nur den Ma'amad.

Aber was tat er hier mit diesem unergründlichen Holländer? Warum hatte er seinem Drängen nachgegeben, wenn er doch wichtige Geschäfte zu erledigen hatte?

»Wohin bringen Sie mich?«, fragte Miguel, da er hoffte, einen Grund zu finden, sich zu verdrücken.

»An einen jämmerlichen Ort«, sagte Hendrick.

Miguel öffnete den Mund, um einen Einwand zu äußern, doch es war zu spät. Sie waren angekommen.

Obgleich Miguel nicht wie die Holländer dazu neigte, an Omen zu glauben, sollte er sich später daran erinnern, dass sein Unternehmen an einem Ort begonnen hatte, der Zum goldenen Kalb hieß, fürwahr ein viel versprechender Name. Sie stiegen eine steile und tückisch niedrige Treppe in den Keller hinab, die zu einem kleinen Raum führte, der bequem dreißig Seelen hätte fassen können, jetzt aber ungefähr fünfzig beherbergte. Der erdrückende Rauch von billigem westindischem Tabak und muffigen Torföfen überdeckte fast den Geruch von vergossenem Bier und Wein, altem Käse und von fünfzig ungewaschenen Männern – besser gesagt, vierzig Männern und zehn Huren –, deren Atem nach Zwiebeln und Bier stank.

Am Fuß der Treppe versperrte ihnen ein gewaltiger Mann, der Ähnlichkeit mit einer Birne hatte, den Weg. Er hatte einen Humpen in einer Hand und eine Pfeife in der anderen und rief seinen Gefährten etwas Unverständliches zu.

»Beweg deinen fetten Wanst, Bursche«, sagte Hendrick zu ihm.

Der Mann wandte den Kopf gerade weit genug, um seine finstere Miene zu registrieren, und schaute dann beiseite.

»Bursche«, versuchte Hendrick es erneut, »du bist der harte Kotkrümel im Arsch meines Weiterkommens. Soll ich ein Abführmittel anwenden, um dich herauszuspülen?«

»Piss dir doch in die Hose«, antwortete der Mann und rülpste ein Lachen in die Gesichter seiner Freunde.

»Bursche«, sagte Hendrick, »dreh dich um und sieh, mit wem du so unverschämt sprichst.«

Der Mann drehte sich tatsächlich um, und als er Hendrick sah, schmolz das Grinsen von seinen unrasierten Hängebacken. »Bitte um Verzeihung«, sagte er. Er zog sich die Mütze vom Kopf und trat rasch beiseite, wobei er seine Freunde unbeholfen anstieß.

Diese plötzliche Demut befriedigte Hendrick aber noch nicht, er ließ seinen Arm nach vorn schnellen wie eine Peitschenschnur und packte den Mann an seinem schmutzigen Hemd. Humpen und Pfeife fielen zu Boden. »Sag mir«, fragte Hendrick, »soll ich dir die Kehle zerquetschen oder nicht?«

»Nicht zerquetschen«, schlug der Betrunkene eifrig vor. Seine Hände flatterten wie Vogelflügel.

»Was meinen Sie, Judenmann?«, wollte Hendrick von Miguel wissen. »Zerquetschen oder nicht zerquetschen?«

»Ach, lassen Sie ihn gehen«, erwiderte Miguel gelangweilt.

Hendrick lockerte seinen Griff. »Der Judenmann sagt, ich soll dich gehen lassen. Vergiss das nicht, Bursche, wenn es dir das nächste Mal einfällt, einen Juden mit einem toten Fisch oder einem fauligen Kohlkopf zu bewerfen. Ein Jude hat dir heute das Fell gerettet, und das auch noch ohne Grund.« Er wandte sich Miguel zu. »Hier entlang.«

Ein Nicken von Hendrick reichte, und die Menge machte ihnen Platz, wie sich das Rote Meer für Moses geteilt hatte. Auf der anderen Seite der Schenke erblickte Miguel Geertruid, die an der Theke saß, hübsch wie eine Tulpe in einem Misthaufen. Als Miguel auf sie zutrat, drehte sie sich zu ihm um und lächelte, breit und strahlend und unwiderstehlich. Miguel musste das Lächeln einfach erwidern, wobei er sich wie ein dummer Junge vorkam, ein Gefühl, das sie ihm regelmäßig vermittelte. Sie besaß den Reiz von etwas Verbotenem. Mit Geertruid zusammen zu sein, war wie mit der Frau eines Freundes ins Bett zu gehen (was er noch nie getan hatte, denn Ehebruch ist eine grässliche Sünde, und keine Frau, der er je begegnet war, wäre sie wert gewesen) oder einer Jungfrau den ersten Kuss zu rauben (das hatte er schon getan, doch nur einmal, und die Betreffende war später seine Frau geworden). Die Luft um Geertruid vibrierte stets vor unerlaubtem und schwer fassbarem Verlangen. Vielleicht lag es daran, dass Miguel noch nie so viel Zeit mit einer Frau, die nicht mit ihm verwandt war, verbracht hatte, ohne mit ihr zu schlafen.

»Madame, ich bin geehrt, dass Sie mich sehen wollen, aber ich fürchte, ich habe momentan keine Zeit für derlei Ablenkungen.«

»Der Abrechnungstag naht«, sagte sie mitfühlend. Sie schüttelte den Kopf mit einer Traurigkeit, die sowohl mütterlich als auch spöttisch war.

»Er naht, und ich habe eine Menge in Ordnung zu bringen.«

Er wollte ihr schon mehr erzählen; dass die Dinge schlecht gelaufen waren und er, falls ihm kein neuer Geschäftsabschluss gelang, in einer Woche noch mehr Schulden haben würde. Doch er sagte nichts. Ein halbes Jahr in bitterer, unbarmherziger, lähmender Trostlosigkeit hatte Miguel einiges über das Dasein eines Schuldners gelehrt. Er hatte sogar erwogen, eine kurze Abhandlung darüber zu schreiben. Die wichtigsten Regeln waren, dass man sich nie wie ein Schuldner verhalten und seine Probleme nie jemandem anvertrauen durfte, der nicht unbedingt davon wissen musste.

»Kommen Sie, setzen Sie sich einen Augenblick zu mir«, sagte sie.

Er hätte fast abgelehnt und gesagt, er stehe lieber, aber neben ihr zu sitzen, war allzu verlockend, deshalb merkte er, wie er nickte, ehe ihm überhaupt klar geworden war, dass er eine Entscheidung getroffen hatte.

Es war nicht so, dass Geertruid schöner gewesen wäre als andere Frauen, obwohl sie gewiss Schönheit ausstrahlte. Auf den ersten Blick wirkte sie nicht außergewöhnlich, eine wohlhabende Witwe Mitte dreißig, königlich hoch gewachsen, immer noch recht hübsch, besonders, wenn ein Mann sie aus der richtigen Entfernung oder nach einer ausreichenden Menge Bier anschaute. Doch wenn sie auch ihre besten Jahre hinter sich hatte, sie besaß noch genügend Reize und war mit einem jener glatten, runden, nordischen Gesichter gesegnet, sahnig weiß wie holländische Butter. Miguel hatte Jünglinge gesehen, die zwanzig Jahre jünger waren als Geertruid und sie hungrig anstarrten.

Hendrick trat hinter Miguel hervor und schob den Mann, der neben Geertruid saß, beiseite. Miguel nahm Platz, während Hendrick den Burschen fortführte.

»Ich habe nur wenige Minuten«, sagte er zu ihr.

»Ich glaube, Sie werden mir mehr Zeit schenken.« Sie beugte sich vor und küsste ihn, knapp oberhalb seines modisch kurzen Bartes.

Als sie ihn zum ersten Mal geküsst hatte, waren sie auch in einer Schenke gewesen, und Miguel, der noch nie zuvor mit einer Frau befreundet gewesen war, schon gar nicht mit einer Holländerin, fühlte sich verpflichtet, mit ihr in eines der Hinterzimmer zu gehen und ihr unter die Röcke zu greifen. Schon öfter hatten die Holländerinnen Miguel ihre Absichten auf diese Weise kundgetan. Sie mochten sein ungezwungenes Auftreten, sein offenes Lächeln, seine großen schwarzen Augen. Miguel hatte ein rundliches Gesicht, weich und jugendlich, ohne kindlich zu wirken. Manchmal fragten sie ihn, ob sie seinen Bart berühren dürften. Meist waren es Frauen in Schenken und Tanzdielen und auf den Straßen der weniger eleganten Stadtviertel. Sie behaupteten, sie wollten seinen Bart befühlen, der so sauber gestutzt und schön sei, aber Miguel wusste Bescheid. Sein Gesicht gefiel ihnen, weil es weich wie das eines Kindes und gleichzeitig hart wie das eines Mannes war.

Geertruid dagegen wollte nie mehr, als ihre Lippen auf seinen Bart zu drücken. Sie hatte ihm erklärt, sie sei nicht daran interessiert, dass ihr unter die Röcke gegriffen würde, zumindest nicht von Miguel. Diese Holländerinnen küssten jeden, der ihnen gefiel, und zwar kühner, als die jüdischen Frauen der portugiesischen Nation ihre Ehemänner zu küssen wagten.

»Wissen Sie«, sagte sie, während sie sich von ihm löste, »obwohl Sie schon seit Jahren in dieser Stadt sind, habe ich immer noch neue Sehenswürdigkeiten für Sie.«

»Ich fürchte, Ihr Vorrat an Neuem wird knapp.«

»Jedenfalls müssen Sie sich nicht sorgen, dass Sie der hebräische Ältestenrat hier sieht.«

Das stimmte allerdings. Es war Juden und Nichtjuden erlaubt, in Wirtshäusern Geschäfte zu machen, doch welcher Jude unter den Portugiesen würde dieses stinkende Loch wählen? Trotzdem, man konnte nie vorsichtig genug sein. Miguel hielt in seiner Umgebung rasch Ausschau nach verräterischen Anzeichen für Ma'amad-Spitzel: Juden, die womöglich als holländische Tagelöhner verkleidet waren, auffällige Burschen, allein oder zu zweit, die nichts aßen; Bärte, die hauptsächlich von Juden getragen wurden, mit der Schere ganz kurz geschnitten, damit sie wie abrasiert wirkten (die Thora verbot lediglich den Gebrauch von Rasiermessern, nicht das Stutzen von Bärten, doch Bärte waren in Amsterdam so sehr aus der Mode, dass selbst ein Anflug davon einen Mann als Juden auswies).

Geertruid strich über Miguels Hand, eine Geste, die fast schon erotisch war. Freizügigkeit im Umgang mit Männern liebte sie über alles. Ihr Ehemann, den sie als den grausamsten aller Schurken beschrieb, war jetzt seit einigen Jahren tot, doch sie feierte ihre Freiheit immer noch. »Der Fettsack hinter der Theke ist mein Vetter Crispijn«, sagte sie.

Miguel warf einen Blick auf den Mann: blass, korpulent, schwere Lider – er unterschied sich nicht von zehntausend anderen in der Stadt. »Danke, dass Sie mich mit Ihren aufgeblähten Verwandten bekannt machen. Ich hoffe, ich darf ihn wenigstens bitten, mir einen Humpen seines reinsten Biers zu bringen, um den Gestank zu ertränken.«

»Kein Bier. Ich habe heute etwas anderes im Sinn.«

Miguel versuchte nicht, ein Lächeln zu unterdrücken. »Etwas anderes im Sinn? Haben Sie beschlossen, dass ich endlich Ihre geheimen Reize kennen lernen darf?«

»Geheimnisse habe ich zuhauf, darauf können Sie sich verlassen, aber nicht solche, an die Sie denken.« Sie winkte zu ihrem Vetter hinüber, der mit einem feierlichen Nicken reagierte und dann in der Küche verschwand. »Ich möchte, dass Sie ein neues Getränk kosten – etwas Wundersames, etwas ganz Besonderes.«

Miguel starrte sie an. In diesem Augenblick hätte er in jeder beliebigen anderen Schenke sitzen und über Wollstoffe oder Kupfer oder den Holzhandel sprechen können. Er hätte mit aller Macht versuchen können, seine zerrütteten Konten auszugleichen, indem er ein Geschäft auftat, dessen Vorteile er allein erkannte, oder einen Betrunkenen dazu überredete, seinen Namen unter die Weinbrandterminkontrakte zu setzen. »Madame, ich dachte, Sie verstehen, dass meine Angelegenheiten dringend sind. Ich habe keine Zeit für etwas Besonderes.«

Sie beugte sich näher zu ihm und schaute ihm voll ins Gesicht, und einen Moment lang glaubte Miguel, sie wolle ihm einen Kuss geben, keinen verstohlenen auf die Wange, sondern einen echten Kuss, hungrig und gierig.

Er irrte sich. »Ich habe Sie nicht umsonst herkommen lassen, und Sie werden feststellen, dass ich Ihnen nichts Alltägliches biete«, sagte sie und ihre Lippen waren so nah an seinem Gesicht, dass er ihren zarten Atem spüren konnte.

Und dann brachte ihr Vetter Crispijn etwas herein, das Miguels Leben verändern sollte.

Zwei irdene Schalen standen da, in denen eine Flüssigkeit, schwärzer als die Weine von Cahors, dampfte. Im trüben Licht ergriff Miguel das leicht angeschlagene Gefäß mit beiden Händen und nahm seinen ersten Schluck.

Der Geschmack war von einer starken, beinahe berauschenden Bitterkeit, die Miguel noch nie erlebt hatte. Er hatte Ähnlichkeit mit Kakao, den er vor Jahren einmal probiert hatte. Vielleicht dachte er nur deshalb an Kakao, weil beide Getränke heiß und dunkel waren und in dickwandigen Tonschalen serviert wurden. Dieses hier schmeckte weniger üppig, schärfer und karger. Miguel nahm noch einen Schluck. Als er damals den Kakao gekostet hatte, war er so fasziniert gewesen, dass er zwei Schalen von dem Zeug geleert hatte, was ihn so entflammte, dass er es selbst nach dem Besuch zweier zufrieden stellender Huren für nötig befunden hatte, zu seinem Arzt zu gehen, der seine aus dem Gleichgewicht geratenen Körpersäfte mit einer gesunden Mischung aus Brech- und Abführmitteln beruhigte.

»Es wird aus Kaffeefrüchten gemacht«, teilte Geertruid ihm mit und verschränkte die Arme, als hätte sie selbst die Mixtur erfunden.

Miguel war schon ein-, zweimal mit Kaffee in Kontakt gekommen, aber nur als Ware, mit der ostindische Kaufleute handelten. Das Geschäft an der Börse erforderte nicht, dass man die Beschaffenheit eines Artikels kannte, bloß die Nachfrage und gelegentlich, im Eifer des Handelns, nicht einmal die.

Er durfte nicht vergessen, die Wunder der Natur zu segnen. Manche Juden wandten sich von ihren nichtjüdischen Freunden ab, wenn sie ihre Speisen oder Getränke segneten, Miguel dagegen hatte Vergnügen an den Gebeten. Er liebte es, sie in der Öffentlichkeit vorzutragen, in einem Land, wo er nicht verfolgt werden konnte, weil er die heilige Sprache sprach. Er wünschte sich, er hätte öfter Gelegenheit, Dinge zu segnen. Es erfüllte ihn mit Trotz; er stellte sich jedes offen ausgesprochene hebräische Wort als Messer im Bauch eines Inquisitors vor.

»Es ist eine völlig neue Substanz«, erklärte Geertruid, als sie ausgetrunken hatte. »Man nimmt sie nicht zu sich, um die Sinne zu berauschen, sondern um den Verstand zu wecken. Ihre Anhänger trinken sie zum Frühstück, um wieder zu sich zu kommen, und sie trinken sie abends, damit sie länger wach bleiben.«

Geertruids Miene wurde düster wie die der calvinistischen Prediger, die überall in der Stadt von provisorischen Kanzeln wetterten. »Kaffee ist nicht wie Wein oder Bier, das wir trinken, um uns aufzuheitern, oder weil sie den Durst löschen, oder weil sie gut munden. Dies hier macht nur noch durstiger und niemals beschwipst, und der Geschmack, seien wir ehrlich, mag kurios sein, aber nicht angenehm. Kaffee ist etwas … etwas weitaus Wichtigeres.«

Miguel kannte Geertruid lange genug, um mit ihren Launen vertraut zu sein. Sie konnte die ganze Nacht durchfeiern oder auch mal ihre Angelegenheiten vernachlässigen und wie ein Mädchen barfuß auf dem Land umherstreifen, doch in geschäftlichen Dingen war sie ernsthaft wie ein Mann. Eine Geschäftsfrau wie sie wäre daheim in Portugal unvorstellbar gewesen, aber in Holland war ihr alles möglich.

»Ich habe mir Folgendes überlegt«, sagte sie; ihre Stimme war kaum laut genug, um das Getöse in der Schenke zu durchdringen. »Bier und Wein machen einen Mann schläfrig, Kaffee dagegen macht ihn wach und verschafft ihm einen klaren Kopf. Bier und Wein mögen einen Mann liebestoll machen, durch Kaffee jedoch verliert er das Interesse am Fleischlichen. Den Mann, der Kaffee trinkt, kümmern nur seine Geschäfte.« Sie hielt inne, um noch einen Schluck zu nehmen. »Kaffee ist das Getränk des Handels.«

Wie viele Male hatte Miguels Konzentration, wenn er in Schenken Geschäfte tätigte, mit jedem Humpen Bier gelitten? Wie viele Male hatte er sich gewünscht, Klarheit für eine weitere Stunde aufzubringen, wenn er über den Preislisten der Woche brütete? Ein ernüchterndes Getränk war genau das Richtige für einen Händler.

Miguel hatte ein gewisser Eifer gepackt, und er merkte, wie er ungeduldig mit dem Fuß klopfte. Was die Schenke an Geräuschen und Bildern bot, trat in den Hintergrund. Es gab nur noch Geertruid. Und Kaffee. »Wer würde ihn trinken?«, fragte er.

»Ich weiß nicht so recht«, räumte Geertruid ein. »Ich habe gehört, dass es irgendwo in der Stadt ein Kaffeehaus gibt – von Türken frequentiert, heißt es –, aber ich bin noch nie da gewesen. Ich kenne keine Holländer, die Kaffee trinken, es sei denn, er wird vom Arzt verordnet. Doch das wird sich ändern. In England wurden bereits Schenken eröffnet, die statt Wein und Bier Kaffee servieren, und Börsenmakler strömen in Scharen herbei, um dort ihre Geschäfte zu besprechen. Diese Kaffeeschenken werden selbst zu einer Art Börse. Es kann nicht lange dauern, bis es sie auch hier gibt, denn keine Stadt liebt den Handel so sehr wie Amsterdam.«

»Schlagen Sie vor, ein Kaffeehaus zu eröffnen?«, fragte Miguel.

»Die Kaffeehäuser bringen uns nichts. Wir müssen uns in die Position versetzen, dass wir sie beliefern.« Sie griff nach seiner Hand. »Die Nachfrage wird sich einstellen, und wenn wir uns auf diese Nachfrage vorbereiten, können wir sehr viel Geld verdienen.«

Der Duft des Kaffees betörte ihn und steigerte sein Verlangen. Nein, nicht Verlangen. Gier. Geertruid war auf etwas gestoßen, und Miguel spürte, wie er sich von dieser Begierde anstecken ließ. Es war wie Panik und Jubel zugleich, jedenfalls wäre er am liebsten von seinem Sitz aufgesprungen. Rührte diese Energie von der Kraft ihrer Idee oder von der Wirkung des Kaffees her? Wenn die Kaffeefrucht einen Mann ruhig stellte, wie konnte sie dann das Getränk des pulsierenden Handels sein?

Dennoch, Kaffee war etwas Wunderbares, und falls er hoffen durfte, dass in Amsterdam niemand plante, sich dieses neue Gewächs zunutze zu machen, könnte er sich damit vor dem Ruin retten. Sechs trostlose Monate lang hatte Miguel sich manchmal wie in einem Wachtraum gefühlt. An Stelle seines Lebens war eine traurige Imitation getreten, das blutleere Dasein eines Verlierers.

Er liebte das Geld, das mit dem Erfolg einherging, aber noch mehr liebte er die Macht. Er genoss die Achtung, die er an der Börse und in der Vlooyenburg genossen hatte, dem Inselviertel, wo die portugiesischen Juden lebten. Er liebte es, Gastgeber üppiger Gesellschaften zu sein, ohne sich nach der Rechnung erkundigen zu müssen. Es machte ihm Vergnügen, an wohltätige Einrichtungen zu spenden. Hier war Geld für die Armen – lasst sie essen. Hier war Geld für die Flüchtlinge – mögen sie ein Zuhause finden. Hier war Geld für die Gelehrten im Heiligen Land – sollten sie daran arbeiten, das Zeitalter des Messias Wirklichkeit werden zu lassen. Die Welt konnte ein frommerer Ort sein, wenn Miguel Geld zu verschenken hatte, und er verschenkte es gerne.

Das war Miguel Lienzo, nicht dieser Tropf, über dessen Versagen Kinder und vierschrötige Hausfrauen grinsten. Er ertrug das ängstliche Starren der Kaufleute nicht mehr, die sich hastig von ihm abwandten, damit sein Pech nicht wie eine Seuche auf sie übergriff, oder die mitleidigen Blicke der hübschen Frau seines Bruders, deren feuchte Augen andeuteten, sie sähe eine Verwandtschaft zwischen ihrem Elend und seinem.

Vielleicht hatte er genug gelitten, und der Heilige, gesegnet sei Er, hatte ihm diese Gelegenheit geboten. Ob er es wagen sollte, daran zu glauben? Miguel hätte gern allem zugestimmt, was Geertruid vorschlug, doch er war vorsichtig geworden, da er in den letzten Monaten zu oft verloren hatte. Es wäre Wahnsinn, sich auf ein Abenteuer einzulassen, vor allem mit einer Partnerin, die ihn vor dem Ma'amad anschwärzen konnte.

»Wie kommt es, dass dieser Zaubertrank Europa nicht schon erobert hat?«, fragte er.

»Alles muss irgendwo seinen Anfang nehmen. Sollen wir denn warten«, fügte sie in verschwörerischem Ton hinzu, »bis ein anderer ehrgeiziger Händler von seinem Geheimnis erfährt?«

Miguel stieß sich von der Theke ab und setzte sich aufrecht hin. »Was schlagen Sie vor?« Er wartete mit erschreckender Ungeduld auf ihre Antwort.

Geertruid rieb ihre Hände aneinander. »Ich habe beschlossen, irgendeine Art von Geschäft mit Kaffee zu machen, und ich habe Kapital, aber keine Ahnung, wie ich vorgehen soll. Sie sind ein Mann des Handels, und ich benötige Ihre Hilfe – und Ihre Partnerschaft.«

Es war eine Sache, mit dieser temperamentvollen Witwe befreundet zu sein, mit ihr zu trinken und zu spielen, für sie an der Börse ab und zu kleine Geschäfte abzuschließen – obwohl der Ma'amad unter Androhung der Exkommunikation Juden verboten hatte, für Nichtjuden zu handeln. Etwas anderes war es jedoch, sie zur Geschäftspartnerin zu haben, für einen Juden kein ungefährliches Unterfangen.

Früher hatte Miguel über die humorlosen Urteile des Rates gespottet, doch der Ma'amad hatte begonnen, viele seiner Drohungen wahrzumachen. Er sandte seine Spione aus, um Menschen zu verfolgen, die den Sabbat entweihten und unreine Speisen aßen. Er verstieß Wucherer wie Alonzo Alferonda, die seine willkürlichen Regeln verletzten. Er jagte den armen Bento Spinoza, weil er ab und zu fluchte. Mehr noch, Miguel hatte einen Feind im Rat, der gewiss nur auf den fadenscheinigsten Vorwand wartete, um zuzuschlagen.

So viele Risiken. Miguel biss sich auf die Lippe und verkniff sich ein Grinsen. Er konnte mit den Risiken leben, er durfte einfach nicht daran denken.

Miguel trommelte auf die Theke. Er wollte unverzüglich handeln. Er konnte sofort anfangen, sich an allen bedeutenden Börsen Europas Kontakte und Mittelsmänner zu sichern. Er konnte mit Tonnen von Kaffee jonglieren, sie von einem Hafen in den nächsten verschiffen. Das war die wahre Natur von Miguel Lienzo; er schloss Geschäfte ab und knüpfte Verbindungen und traf Vereinbarungen. Er war kein Feigling, der vor einer Gelegenheit zurückschrak, weil verbitterte Heuchler ihm sagten, sie wüssten besser als die Weisen, was richtig und was falsch sei.

»Wie sollen wir vorgehen?«, sagte er schließlich, als ihm bewusst wurde, dass er seit Minuten nicht gesprochen hatte. »Der Kaffeehandel obliegt der Ostindischen Kompanie, und wir haben nicht die Macht, die Kontrolle darüber zu gewinnen. Ich verstehe nicht, was Sie vorhaben.«

»Ich ja auch nicht!«, Geertruid warf aufgeregt die Hände in die Luft. »Aber ich werde etwas vorschlagen. Wir müssen etwas unternehmen. Ich lasse nicht zu, dass die Tatsache, dass ich nicht weiß, was es sein wird, mir dabei im Wege steht. Wie es so schön heißt, auch das blinde Huhn findet ein Korn. Sie sind besorgt wegen des Zwanzigsten – Sie haben Schulden? Ich biete Ihnen Reichtümer. Ein großartiges neues Wagnis, mit dem Sie wieder etwas aufbauen und die gegenwärtigen Schulden als belanglos ansehen können.«

»Ich brauche Zeit, um darüber nachzudenken«, sagte er, obwohl das keineswegs zutraf. Doch Geertruid würde warten müssen. Ein Mann bekam nicht viele solcher Chancen in seinem Leben, und diese hier aus Ungeduld zunichte zu machen, wäre Wahnsinn. »Wir werden alles noch einmal nach dem Zwanzigsten erörtern. In einer Woche.«

»Eine Woche ist eine lange Zeit«, meinte die Witwe nachdenklich. »Vermögen werden in einer Woche gemacht. Königreiche entstehen und fallen in einer Woche.«

»Ich brauche eine Woche«, wiederholte Miguel leise.

»Dann also in einer Woche«, sagte Geertruid auf ihre gewinnende Weise. Sie wusste, dass sie nicht weiter drängen durfte.

Miguel merkte, dass er mit den Knöpfen an seinem Rock gespielt hatte. »Nun muss ich gehen und mich um meine unmittelbareren Angelegenheiten kümmern.«

»Ehe Sie gehen, will ich Ihnen noch etwas geben, das Ihnen bei der Entscheidung helfen soll.« Geertruid winkte Crispijn zu, der herangeeilt kam und einen groben Wollsack vor ihr abstellte.

»Er schuldet mir Geld«, erklärte sie, sobald ihr Vetter sich entfernt hatte. »Ich habe eingewilligt, ein wenig hiervon als Bezahlung anzunehmen, und ich wollte Ihnen etwas zum Nachdenken mitgeben.«

Miguel schaute in den Beutel, der ein Dutzend Hände voll bräunlicher Beeren enthielt.

»Kaffee«, sagte Geertruid. »Crispijn hat die Früchte für Sie zubereitet, weil ich weiß, dass man von einem portugiesischen Hidalgo nicht erwarten kann, dass er seine Bohnen selbst röstet. Man zermahlt sie einfach zu einem Pulver, das man mit heißer Milch oder gesüßtem Wasser mischt, und filtert dann das Pulver heraus, wenn man will, oder lässt es sich setzen. Trinken Sie nicht zu viel von dem Pulver, sonst geraten Ihre Eingeweide in Wallung.«

»Sie haben nichts von Eingeweidewallungen erwähnt, als Sie das Loblied sangen.«

»Selbst die größten Herrlichkeiten der Natur können schaden, wenn Sie sie in der falschen Dosis zu sich nehmen. Ich hätte ja gar nichts gesagt, aber ein Mann mit unruhigen Eingeweiden gibt einen schlechten Geschäftspartner ab.«

Miguel ließ sich noch einmal von ihr küssen, dann drängte er sich durch die Schenke und trat hinaus in die nebelige Kühle des späten Nachmittags. Nach dem Gestank im Goldenen Kalb erschien ihm die salzige Luft vom Ij so wunderbar reinigend wie die Mikwe, das rituelle Tauchbad, und er ließ den Nebel einen Moment lang auf seinem Gesicht verweilen, bis ein Junge, keine sechs Jahre alt, begann, ihn am Ärmel zu zupfen und kläglich nach seiner Mutter weinte. Miguel warf ihm im Vorgeschmack auf den Reichtum, den der Kaffee ihm bringen würde – die Befreiung von Schulden, sein eigenes Heim, die Möglichkeit, wieder zu heiraten, Kinder –, einen halben Stuiver zu.

Sofort tadelte er sich dafür, dass er so fahrlässig war. Weitere tausend Gulden im Soll. In der Vlooyenburg war er schon dreitausend schuldig, davon gingen fünfzehnhundert an seinen Bruder, die hatte er sich geliehen, nachdem der Zuckermarkt eingebrochen war. Er hatte dem Konkursamt im Rathaus gestattet, seine Schulden bei den Christen zu regeln, aber die Juden in seinem Viertel regelten ihre Angelegenheiten unter sich.

Die Flut fing an zu steigen, und jenseits der Rozengracht waren die Straßen schon nass. Auf der anderen Seite der Stadt, im Haus seines Bruders, würde der Keller, wo Miguel zurzeit übernachtete, bald überschwemmt sein. Das war der Preis dafür, in einer Stadt zu leben, die auf Pfählen ins Wasser gebaut war. Doch Miguel machte sich nichts mehr aus den Unannehmlichkeiten Amsterdams, die ihn anfangs gestört hatten. Er bemerkte den Gestank des Kanalwassers nach totem Fisch oder das Klatschen der Schritte auf den nassen Straßen kaum noch. Toter Fisch war der Duft von Amsterdams Reichtum, das Klatschen des Wassers seine Melodie.

Am vernünftigsten wäre es, gleich nach Hause zu gehen und Geertruid ein Briefchen zu schreiben, in dem er erklärte, die Risiken, mit ihr zusammenzuarbeiten, seien zu groß und könnten ihn in den Ruin stürzen. Aber mit Vernunft würde er seine Schulden nicht loswerden, und der Ruin drohte ihm bereits. Noch vor wenigen Monaten waren die Lagerhäuser an den Kanalufern von seinem Zucker übergequollen, und er war wie ein Bürger der Stadt durch die Vlooyenburg stolziert. Er war bereit gewesen, den Verlust Katarinas zu vergessen, sich eine neue Frau zu nehmen und Söhne zu zeugen. Die Heiratsvermittler hatten sich um ihn gestritten. Doch jetzt war er verschuldet. Sein Ansehen war auf weniger als nichts gesunken. Er erhielt Drohbriefe von einem Mann, der verrückt sein musste. Wie konnte er sein Schicksal wenden, wenn nicht durch ein wagemutiges Unterfangen?

Er war sein Leben lang Risiken eingegangen. Sollte er damit aufhören, weil er die Willkür und Tyrannei des Ma'amad fürchtete, jenes Rats, der, mit der Aufrechterhaltung des Gesetzes von Moses betraut, seine Macht höher einschätzte als das Wort Gottes? Im Gesetz stand nichts über holländische Witwen. Warum sollte er nicht sein Vermögen mit einer machen?

Er hätte versuchen können, heute noch mehr Geschäftliches zu erledigen, doch er war zu abgelenkt. Stattdessen ging er in die Talmud-Thora-Synagoge zum Nachmittags- und Abendgebet. Die mittlerweile vertraute Liturgie beruhigte ihn wie Gewürzwein, und als er heraustrat, fühlte er sich neu gestärkt.

Während er die kurze Strecke von der Synagoge zum Haus seines Bruders lief und sich dabei eng an die Häuser am Kanalufer hielt, um weder die Aufmerksamkeit von Dieben noch der Nachtwache zu wecken, vernahm Miguel das Klicken von Rattenkrallen auf den Holzplanken, die über den Kloaken lagen. Kaffee, sang er vor sich hin. Er benötigte kaum eine Woche, um Geertruid seine Antwort zu geben. Er brauchte nur Zeit, um sich selbst davon zu überzeugen, dass dieses gemeinsame Unternehmen nicht sein Untergang werden würde.

Aus

Die auf Tatsachen beruhenden und aufschlussreichen Memoiren des Alonzo Alferonda

Ich heiße Alonzo Rodrigo Tomas de la Alferonda, und ich brachte den Kaffee nach Europa – ich verhalf zu seiner dortigen Verbreitung, könnte man sagen. Nun, vielleicht ist das übertrieben, weil der Kaffee seinen Aufstieg gewiss auch ohne meine Anstrengungen vollzogen hätte. Sagen wir stattdessen, dass ich der Geburtshelfer war, der seinen Weg vom Dunkel ins Licht ebnete. Nein, werden Sie sagen, auch das sei ich nicht gewesen; es war Miguel Lienzo, dem das gelang. Welche Rolle könnte Alonzo Alferonda dann beim Triumphzug dieser herrlichen Frucht gespielt haben? Eine größere, als allgemein angenommen wird, das versichere ich Ihnen. Und denen, die da behaupten, ich hätte nichts als Unheil angerichtet, hätte die Sache behindert und ihr geschadet, statt sie gefördert, kann ich nur antworten, dass ich mehr weiß als meine Kritiker. Ich war dabei – und Sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht.

Mein richtiger Name ist Abraham, so wie der Name meines Vaters und seines Vaters. Alle erstgeborenen Söhne der Alferondas tragen insgeheim den Namen Abraham, weil Juden geheime Namen haben. Davor, als die Mauren Iberien regierten, nannten sie sich offen Abraham. Einen großen Teil meines Lebens war es mir nicht erlaubt, meinen Namen laut auszusprechen, außer in dunklen Räumen, und auch dort nur flüsternd. Diejenigen, die meine Handlungen anzweifeln, sollten sich dies vor Augen halten. Wie würden Sie sich verhalten, wenn Ihr Name geheim gehalten werden müsste, wenn dessen Enthüllung Sie und Ihre Freunde und Angehörigen das Leben kosten könnte?

Ich wurde im portugiesischen Lissabon in einer Familie von Juden geboren, denen es nicht gestattet war, als Juden zu beten. Man bezeichnete uns als Neuchristen oder Conversos, denn unsere Vorfahren waren gezwungen worden, zum christlichen Glauben zu konvertieren, sonst hätten sie ihr Vermögen – oft auch ihr Leben – verloren. Um Folter und Ruin oder sogar dem Tod zu entgehen, beteten wir öffentlich als Katholiken, im Schatten von Kellern dagegen, in geheimen Synagogen, an immer neuen Treffpunkten, beteten wir als Juden. Gebetsbücher waren rar und eine Kostbarkeit für uns. Bei Tageslicht mochte ein Mann seinen Reichtum in Gold messen, aber in der Finsternis jener dunklen Räume maßen wir Reichtum in Buchseiten und Wissen. Nur wenige von uns konnten die paar hebräischen Büchern lesen, die wir hatten. Nur wenige kannten die richtigen Gebete für die Feiertage oder für den Sabbat.

Mein Vater kannte sie, zumindest einige. Da er die frühe Kindheit im Osten verbracht hatte, war er unter Juden aufgewachsen, die das Gesetz in der Ausübung ihrer Religion nicht einschränkte. Er hatte Gebetsbücher, die er freizügig verlieh. Er besaß ein paar Bände des babylonischen Talmuds, doch er konnte kein Aramäisch und seine Seiten deshalb kaum entschlüsseln. Die heimlichen Juden von Lissabon kamen zu ihm und lernten die heilige Sprache, lasen Gebetsbücher für den Sabbat und erfuhren alles über das Fasten an Fastentagen und das Feiern an Feiertagen. Er lehrte sie, während des Laubhüttenfestes im Freien zu speisen, und brachte ihnen bei, sich zu Purim einen fröhlichen Rausch anzutrinken.

Ich will ehrlich sein: Mein Vater war kein frommer Mann oder ein Weiser oder Heiliger. Weit gefehlt. Ich räume dies offen ein und halte es für keine Beleidigung seines Namens. Mein Vater war ein Gauner und Betrüger; doch in seinen Augen waren Gaunerei und Betrug ehrbare Dinge.

Weil er in unserem Glauben erzogen worden war – kein Gelehrter, bewahre, sondern bloß ein Mann mit Bildung –, wurde mein Vater von den heimlichen Juden in Lissabon in einem Ausmaß toleriert, das es sonst vielleicht nicht gegeben hätte, denn er lenkte weitaus mehr Aufmerksamkeit auf sich, als es für einen Neuchristen klug war. Wo immer Kaufleute mit ein paar Münzen zusammenkamen, die sie erübrigen konnten, fand sich mein Vater ein mit seinen Wundermitteln zur Lebensverlängerung, Verbesserung der Potenz oder Heilung jeglicher Krankheit. Er kannte Tricks mit Karten und Kugeln und Würfeln. Er konnte jonglieren und Seiltanzen und Saltos machen. Er wusste, wie man Hunde darauf dressierte, einstellige Zahlen zu addieren und zu subtrahieren, und wie man Katzen beibrachte, auf den Hinterbeinen zu tanzen.