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Die großen Western
– 232 –

Der Fluch der Pueblogötter

Joe Juhnke

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-520-8

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»Und ich sag’ euch, Kameraden – im Gila-Badsland gibt es einen Ort, der mehr Gold beherbergt als alle Tresore von Fort Knox fassen können! Well – ich geh’ sogar noch weiter und behaupte, daß in der dreckigen Wüste die fündigsten Schüttelstellen der Staaten zu finden sind! Das Gold liegt frei und offen an der Oberfläche! Klumpen von Faustgröße, ach, was sag’ ich in meiner Bescheidenheit: Es sind Brocken, dicker als ein Menschenkopf, von denen jeder mindestens zwanzigtausend Dollar wert ist!

Well, Simson – kratz dich nur ruhig an deiner verdreckten und verlausten Melone! Dort findet man wirklich solche Dinger von der Größe deines repräsentablen Wasserkopfes…« Hier macht der Sprecher, ein alter Prospektor mit struppigem Bartwuchs und langer silbergrauer Mähne, eine kurze Atempause, die er ausnutzt, um einen doppelten Brandy in seine ausgelaugte Kehle zu kippen, und sich mit dem Ärmel seines zerschlissenen Hemdes schmatzend über den feuchten Schnurrbart zu wischen.

»Du bist ein alter Flunkerer, ein elender Lügenbold, Windy Garden – das größte Lästermaul, das unter Gottes Sonne herumläuft«, unterbricht der mit Simson Angesprochene.

»God’dam, Simson«, grollt der Prospektor und legt die knöcherne Rechte auf den alten, vorsintflutlichen Einschüsser, der nur als Attrappe an Windy Gardens Schenkel baumelt. »Wäre ich zwanzig Lenze später geboren, würde ich dir jetzt ein Loch in deinen hohlen Schädel pusten! Halt deine Fresse und bring mich nicht aus dem Konzept! Also, Freunde«, wendet sich der Erzähler wieder dem Zuhörerkreis zu. »Es stimmt alles, was Windy Garden sagt! In der Gila gibt es wirklich mehr Gold als auf den kalifornischen Goldfeldern, mehr als oben am Yukon River. Aber man kommt leider nicht an das Zeug ’ran.«

»Es wird wohl von einem bösen Geist bewacht?« höhnt Simson.

Windy Gardens wimpernlose Augen strafen ihn mit einem Blick voll Verachtung.

Er ist schon ein seltsam komischer Typ, dieser krummbeinige Prospektor, der da seit vielen Jahren in Buckeye, dem trostlosen Nest an der großen Schleife des Gila Rivers, haust. Eine verwitterte Gestalt, fast so alt wie Methusalem! Die Männer Buckeyes, die Cowboys der östlich gelegenen Ranchen, lachen über Windy Garden und nehmen ihn nicht ernst.

»Weshalb reitest du eigentlich nicht hinaus zu deinem Goldschatz und steckst dir die Taschen voll? Es lohnt sich doch, wie du behauptest – und wir könnten dann auch mal einen auf deine Kosten saufen!« ruft ein Cowboy namens Tim Cameron.

»Nicht einen Tropfen gebe ich dir ab! Für dich wäre klares Wasser gerade gut genug. Aber ich bleibe trotz allem bei meiner Behauptung. In der Gila gibt es wirklich Gold!« Trotzig wirft Windy Garden den Kopf in den Nacken.

»Hör zu, Windy!« Stan Horter, ein Ortsansässiger, der von gelegentlichen Arbeiten lebt, mischt sich beschwichtigend in die Unterhaltung. »Wir wissen ja, daß du ein alter Wüstenfuchs bist, der wohl die meiste Zeit seines Lebens wie ein Maulwurf die Erde umwühlte – in der Hoffnung, einmal ein reicher Mann zu werden. Aber in der verfluchten Gila gibt es doch außer Sand und Steinen höchstens ein paar kümmerliche Kakteen! Möchte wetten, daß dort nicht einmal ein Wassertümpel existiert! Und wenn es wirklich Gold im Badsland gäbe – niemand würde sich hinwagen zu diesem verfluchten Land, das trocken und heiß ist wie die Hölle selbst und den Körper austrocknet wie eine Feige.«

»So!« Die ausgemergelte Gestalt des alten Prospektors richtet sich merklich auf. Ein überlegenes Funkeln tritt in seine Augen. »Hör zu, Stan Horter – ich war draußen in der Gila – in der Hölle, wie du zutreffend sagtest. Ich durchstreifte das Badsland und machte Gesteinsproben!«

»Du warst eine Woche in der Gila?« fragen einige der Anwesenden neugierig und blicken ungläubig zu dem Erzähler hoch, der sich jetzt auf einen Tisch geschwungen hat.

»Eine Woche?« Windy Garden lacht spöttisch auf. »Drei Wochen waren es! Und wißt ihr, was ich gesehen habe?«

»Nun sag’s schon!« Ungeduldig schiebt Tim Cameron sich näher.

»Das Tal der Hölle!« trumpft Windy auf und wirft sich in seine eingefallene Brust.

»Ho, endlich mal was Neues auf der Walze«, spottet der Cowboy. »Wir wollen mehr davon hören.«

»Das Tal der Hölle?« Betroffen kratzen sich einige der Umstehenden in der Wolle. »Damned – da gibt es doch eine alte indianische Legende, die über dieses Tal berichtet. Die Pueblo-Sage! Sie erzählt von dem sagenhaften Tal in der Gilawüste, wohin die Pueblo-Indianer auf Anraten ihres großen Geistes Kitchi Manitu ihre Heiligtümer schafften, als die ersten Spanier mordend und plündernd durch Mexiko zogen. Aber wer glaubt schon an solch ein Märchen? Windy Garden ist komplett verrückt!«

»Well, ich fand wirklich das Tal der Hölle«, wiederholt der alte Prospektor mit Nachdruck.

»Woher willst du denn wissen, daß es tatsächlich das Tal der Hölle war, was du gesehen hast? forscht Billy, der Kneipenbesitzer, und reicht dem Alten eine halbvolle Brandyflasche.

Windy nimmt einen tiefen Schluck.

»Ich fand Zeichen in den glatten Felswänden, die dieses Tal umgeben und jedem Fremden den Zutritt verwehren – Zeichen, die darauf schließen lassen, daß ich den Ort der indianischen Sage tatsächlich gefunden habe.«

»Und weshalb hast du nicht gleich einen Goldklumpen mitgebracht, damit wir deinen Worten Glauben schenken können?« fragt Cameron, nun sehr interessiert.

»Man merkt, daß in deinem Hirn tatsächlich nur Kuhdung vorhanden ist!« Windy wirft dem Hünen einen bitterbösen Blick zu. »Sonst hättest du nämlich meiner Erzählung entnommen, daß das sagenhafte Tal von glatten Felswänden umgeben ist. Zudem zwang mich die Wassernot zur Umkehr.«

»Sicher war es eine Fata Morgana, die du gesehen hast. Oder ein Hirngespinst, das deiner überreichen Phantasie entsprang! Glaub’ eher, du willst dich hier nur wichtig machen und uns einen Bären aufbinden.«

Windy Gardens Blick wandert wild in die Runde.

»Und doch ist es wahr! Ich schwöre es bei meiner Gesundheit«, stöhnt der alte Prospektor verzweifelt und klettert von seinem ›Rednerpult‹ herab.

»Wenn es wirklich wahr ist, wie du da eben so feierlich geschworen hast, dann wirst du doch bestimmt bald dorthin zurückkehren?«

»By gosh, no…« Ernst schüttelt Garden den zottigen Schädel. »Bin doch kein Narr! Nur meiner Erfahrung verdanke ich es, daß ich den Klauen des Todes noch einmal entrinnen konnte. Keine Schätze der Welt bringen mich jemals wieder in die Gila zurück! Mögen sich andere an dem Gold der Pueblos ruhig bereichern.« Und zur Bekräftigung seines Entschlusses schiebt er sich einen Priem zwischen die Lippen, wandert mit einem letzten Seufzer durch die Tischreihen und stellt sich an die hohe Theke, um den Ärger mit einem gepumpten Brandy hinunterzuspülen.

*

Es gibt drei Männer im Lokal, die während der ganzen Zeit, in der Windy Garden sprach, still und aufmerksam seinen Worten lauschen.

Sie hocken an dem kleinen Ecktisch der Kneipe, unweit des halbblinden Fensters, durch das gerade die sinkende Sonne hereinlacht.

Kraftstrotzende Burschen sind es – wahre Recken, mit den Schultern von Athleten und Fäusten, die zeigen, daß sie zuzugreifen verstehen. Ein kurzer Blick schon läßt erkennen, daß sie einem Abenteuer nicht aus dem Weg gehen würden, ja, eher noch eins suchen! Sie machen einen verwegenen, kühnen Eindruck, der durch die mächtigen Schießeisen, von denen jeder zwei im tiefhängenden Halfter trägt, verstärkt wird.

Der Vorderste von ihnen, dessen blondes, fast silberglänzendes Haar stark mit dem Bronzeton seines markanten Antlitzes kontrastiert, richtet seine steingrauen Augen fragend auf die beiden neben ihm hockenden Kameraden.

»Yeah, Dutch«, meint sein rechter Nachbar und schüttelt zweifelnd den Kopf. »Weiß wirklich nicht, was ich von der Erzählung halten soll. Mir scheint so, als nähme man den Alten hier nicht für ganz voll. Wie denkst du darüber, Baby?«

Mit ›Baby‹ ist der dritte des sonderbaren Kleeblatts gemeint, der an Größe und Stärke seinen Partnern absolut nicht nachsteht, wohl aber der Jüngste im Bund dieser abenteuerlichen Gesellschaft zu sein scheint. Achselzuckend hebt er jetzt seine Schultern.

»Denke, wir holen uns den Alten mal an den Tisch und quetschen ihn etwas aus. Für einen Brandy scheint er ja alles zu tun. Weshalb soll er uns seine Geschichte nicht noch mal erzählen wollen? Ist er erst wieder im Fahrwasser, liegt es an uns, aus ihm noch einige Details herauszuholen. Es kommt nur auf einen Versuch an.«

»All right!« Gary Shatter, genannt ›Dutch‹, schiebt mit dem Unterschenkel den Schemel beiseite und richtet sich in voller Größe auf.

Damned, dieser ›Dutch‹ ist ein kleiner Riese! Nun, da er in seiner ganzen Größe dasteht, kann man erst die wahren Ausmaße seiner Gestalt richtig erfassen. Gut und gern sechseinhalb Fuß, also über ein Meter fünfundneunzig, mißt er in der Höhe und macht in seiner malerischen Tracht einen gefährlichen Eindruck. Doch das ist nur rein äußerlich. Gary Shatter ist ein gutmütiger Bursche, dem das Herz auf dem rechten Fleck sitzt.

Es gibt wohl kaum eine Arbeit, die Dutch nicht schon durch die Finger gegangen ist. Er fuhr auf einem Küstensegler, verdingte sich als Tellerwäscher und Hausbursche in den großen Städten des Ostens, stand als Schauboxer im Ring und ließ sich, wenn es ihm lohnend erschien, von einem ›Championissimo‹ vertrimmen. Er stand auf den westlichen Farmen schon als ›Helping Hand‹, Cowpuncher oder Strayman im Job und ließ sich ganz von dem unruhigen Leben treiben, wie es gerade kam.

Well, er schürfte auch schon auf den Goldfeldern Kaliforniens nach dem kostbaren Metall, bis er es überdrüssig wurde, die Schüttelpfanne in eine Ecke knallte und weiterzog. Sogar als Hilfssheriff ließ er sich einmal anwerben, was ihm aber von gewissen Kreisen sehr übel genommen wurde. Ein halbes Dutzend Narben am Körper und einige Lot Blei in seinem Körper zeugen noch heute von diesem überaus unruhigen und ungesunden Beruf, den er dann eines Tages auch wieder an den Nagel hängte, als ihm die Nase seines Vorgesetzten nicht mehr gefiel.

Bunt und verwegen ist das Leben von Dutch, wie das Leben eines Abenteurers und Draufgängers, der Gary Shatter nun einmal ist. Dabei ist Gary noch nicht einmal einer jener Burschen, deren Stärke allein in den mächtigen Fäusten liegt. Ein Blick in seine Augen beweist, daß Dutch klug und intelligent ist. Er wäre in den Staaten bestimmt zu etwas gekommen und könnte heute in einer gesicherten Existenz leben, wenn nicht dieses schöne Abenteuerleben locken, und ihn einem Wandervogel gleich, durch die riesige Weite des Landes treiben würde. Es ist das ständige Auf und Ab des Lebens, das Ungewisse, die Gefahren, das Abenteuer, das ihn im Bann hält – immer wieder aufs Neue in die unbekannte Ferne lockt.

Aber trotz des unsteten Tramplebens ist er ein gerade denkender Mensch mit offenem Charakter geblieben, der nichts mehr haßt als das Verbrechen. Well – und so, wie er denkt, fühlen auch seine beiden Kameraden Tommy Limos und Kent Slanda, das Baby.

Seit Jahren schon ziehen die drei Freunde gemeinsam durch das Land – rast- und ruhelos, nur immer kurz einen Job annehmend und weiterwandernd, wenn ihre Zeit gekommen ist. Eine unverbrüchliche Kameradschaft, die nur der Tod trennen kann, verbindet sie.

»All right«, wiederholt Dutch noch einmal, »nehmen wir den Alten an den Tisch und pumpen ihn voll Whisky!«

Gemächlich wandert der Hüne zwischen den Tischreihen hindurch und baut sich unweit von Windy Garden an der Theke auf.

Eine Weile noch lauscht er den Worten des eifrig plaudernden Prospektors, der auf den Wirt einspricht – dann stößt er ihm in die Seite.

»Hallo, old man«, meint er gemächlich und zeigt zwei Reihen perlender Zähne, »wie steht es mit einem Brandy auf meine Kosten?«

»Nehme nicht an, daß ihr etwa aus purer Menschenfreundlichkeit einem Fremden einen Brandy springen laßt«, knurrt der Prospektor.

»Stimmt, Alter! Ich möchte gern mehr von Euch hören. Setzt Euch doch zu einem kleinen Schwatz an unseren Tisch. Meine zwei Freunde und mich selbst interessiert Eure Geschichte über den Schatz der Pueblos!«

»Ihr glaubt also meinen Worten?« Erstaunt reißt Windy seine Äuglein auf.

»Weshalb denn nicht, old man? Aber folgt mir doch an unseren Tisch!«

Willig läßt sich Windy Garden durch die Reihen schieben und nimmt in der Runde der Freunde Platz.

»Glaubst mir, Strangers – das Tal der Hölle gibt es wirklich! Genauso, wie es ein verdammt dreckiges Nest gibt, das sich Buckeye nennt und wo ich vor vielen Jahren einmal hängenblieb und nicht wieder fortkam. Hell and devils, meine Geschichte ist so wahr wie jedes Wort in der Bibel! Aber diese dreckigen und stinkenden Cowpuncher glauben dem alten Windy einfach kein Wort«, erzürnt sich der alte Prospektor.

»Denen fehlt eben der nötige Verstand, Windy.« Beruhigend legt Dutch dem Alten die Hand auf die Schulter, während Tommy Limos ihm die Flasche zuschiebt.

»Well – so ist es! Ihr scheint mir wenigstens vernünftig zu sein. Habe das Tal der Hölle mit eigenen Augen gesehen! Wenigstens das Gebirge, das es einrahmt.«

»Und wo liegt es?«

»Inmitten der Hölle, in der Gila«, ist die Antwort.

»Würdest du uns hinführen?« fragt Shatter, direkt den Kernpunkt des Gespräches anschneidend.

»Never, no! Keine zehn Pferde schleppen mich in die Gila zurück. Wenn es so ist, dann habt ihr euren Brandy unnütz verschenkt.«

»Hast wohl Angst?« mischt sich das Baby in die Unterhaltung.

Einen Augenblick mustert Windy den Jüngsten des Kleeblattes, dann nickt er bestätigend. »Well, du Milchbart – Windy Garden fürchtet sich auch vor der Wüste! Habe am eigenen Körper diese brodelnde und kochende Hexenküche gespürt. Dabei war ich doch nur hundert Meilen in der Gila. Aber es genügte für einen alten Mann wie mich! Übertreibe nicht, wenn ich behaupte, daß das Wasser unter der mittäglichen Sonnenglut im Behälter zu kochen beginnt! Noch eine Woche länger in dieser Hölle, und das Blut wäre mir glatt in den Adern eingetrocknet. Also, laßt lieber die Hände weg von der Gila. Es liegt nun einmal ein Fluch über dem Totem der Pueblos!«

»Du sprachst von dem Gold und den Schätzen, die es dort geben soll. Wenn wir die Sache gemeinsam machen, kehren wir alle als steinreiche Leute zurück«, lockt jetzt Dutch.

»Niemals kehren wir zurück! Aus dieser gottverfluchten Wüste hat noch kein Mensch zurückgefunden!«

»Mit deiner Hilfe würden wir es aber ganz bestimmt schaffen.«

»Niemals!« Mit seltener Beharrlichkeit schüttelt der Prospektor den Kopf. »Damned, ich bin bestimmt kein Hasenfuß und schon in so mancher Wüste herumgekrochen. Drüben in Texas, in den Stacked Plains – weiter westlich in der Mohawa-Wüste. Well, habe sogar den Salzsee in Utah durchquert – war bestimmt eine Leistung! Aber keinen Fuß setze ich je wieder in die Gila! Für dieses Unternehmen müßt ihr euch schon einen Wahnsinnigen oder einen Selbstmörder suchen!«

Schon will Windy Garden sich erheben, da hält ihn Gary Shatter zurück.

»Auf ein Wort noch, Windy.«

»Ja?«

»Du kannst uns doch wenigstens den Weg beschreiben!«

»Das kann ich, Boys!« Windy wackelt ernst mit dem Kopf und blickt nachdenklich in die braungebrannten Gesichter der drei Fremden. »Wie mir scheint, habt ihr es euch tatsächlich in den Kopf gesetzt, die verbogenen Schätze der Pueblos dem Tal der Hölle zu entreißen. Schade um euch, Boys. Wirklich schade!«