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Über dieses Buch

Die Familie Habsburg ist reich an tragischen Schicksalen. Sigrid-Maria Größing, bewährte Bestsellerautorin, erzählt in ihrem Buch von bekannten und weniger bekannten Vertretern der Familie. Marie Antoinette wird als Königin von Frankreich geköpft, Leopoldine stirbt als Kaiserin von Brasilien an den Folgen einer Misshandlung durch ihren Mann. Maximilian wird 1867 als Kaiser von Mexiko standrechtlich erschossen. Fast mittellos stirbt der des Landes verwiesene letzte Kaiser Karl I. 1922.

„Tragödien im Hause Habsburg“: große Geschichte in großen Geschichten.

Inhalt

Vorwort

Einleitung

MARIE ANTOINETTE

Eine Habsburgerin auf dem Schafott

LEOPOLDINE

Die Mutter Brasiliens

MAXIMILIAN

Kaiser von Mexiko

KARL I. – LETZTER KAISER VON ÖSTERREICH

Die Tragödie eines anständigen Menschen

Stammtafeln

Literatur

Vorwort

Die zahlreichen und vielfältigen Tragödien, die sich in der langen Geschichte der Habsburger ereigneten, ließen sich kaum vermeiden. Dabei werden manche Lebensschicksale aus heutiger Sicht vielleicht tragischer gesehen, als sie von den betroffenen Personen zur gegebenen Zeit und unter den damaligen Umständen empfunden wurden. Erziehung und Freiheitsbewusstsein haben sich im Laufe der Zeit grundlegend geändert. Menschen unterschiedlichen Alters, die miteinander verheiratet wurden, ohne dass sie sich jemals zuvor im Leben gesehen hatten, empfanden ihr Schicksal wahrscheinlich anders als wir es heute nachvollziehen können. Und trotzdem gab es menschliche Tragödien zuhauf, von denen einige bereits Stoff meiner Bücher »Schatten über Habsburg«, »Mord im Hause Habsburg« und »Kronprinz Rudolf – Freigeist, Herzensbrecher, Psychopath« waren. Daher wird der Leser des vorliegenden Buches weder ein Kapitel über die Ermordung der österreichischen Kaiserin Elisabeth noch über den Freitod des Kronprinzen Rudolf in Mayerling und auch nicht über Leben und Sterben des Thronfolgers Franz Ferdinand und dessen Gemahlin Sophie Chotek finden, da ich diese folgenschweren Tragödien in den oben genannten Büchern ausführlich behandelt habe.

Im vorliegenden Buch sollen die Lebenswege und das tragische Ende Marie Antoinettes, der jüngsten Tochter Maria Theresias, Maximilians von Mexiko, Leopoldines von Brasilien, der genialen Tochter von Kaiser Franz I., sowie das Schicksal des glücklosen letzten habsburgischen Kaisers Karl I. aufgezeigt werden.

Staatspolitische Überlegungen, die sich keineswegs mit den privaten Vorstellungen und Wünschen eines jungen Mädchens deckten, waren der Hintergrund für die Verheiratung der jüngsten Tochter Maria Theresias nach Frankreich, wobei selbst die in vielem weit blickende Herrscherin die sich anbahnende Katastrophe in ihrem vollen Ausmaß nicht voraussehen konnte.

Die Tragödie des unglücklichen Kaisers Maximilian von Mexiko war schon eher berechenbar und hätte sich verhindern lassen. Aber der Bruder Kaiser Franz Josephs, der in Europa das tatenlose Dasein eines österreichischen Erzherzogs hätte führen müssen, erlag den Verlockungen, ein politisch erfülltes Leben jenseits des Ozeans zu finden. Diese Illusion bezahlte er mit dem Tod.

Kein glückliches Leben war auch der Tochter von Kaiser Franz I. beschieden. Leopoldine, ein gebildetes, talentiertes und hochmotiviertes junges Mädchen, das mit einem ungewöhnlichen politischen Spürsinn ausgestattet war, wurde auf Anraten des Kanzlers Fürst Metternich von ihrem Vater nach Brasilien verheiratet. Diese Ehe wurde für Leopoldine zur Katastrophe, die junge Frau sollte an der Seite ihres brutalen Ehemannes nicht einmal 30 Jahre alt werden. Und dennoch lebt die Habsburgerin im Gedächtnis der Brasilianer als Gründerin des Staates Brasilien bis heute fort, Leopoldine gilt als »Mutter Brasiliens«.

Als nach dem Tod von Kaiser Franz Joseph Karl als letzter Habsburger den Thron bestieg, kam mit ihm ein Mann an die Regierung, dem man gute Absichten nicht absprechen kann, der aber zu einem Zeitpunkt Kaiser wurde, wie er ungünstiger nicht hätte sein können. Der Tod hatte bis dahin Regie geführt, denn auch der Vorausschauendste hätte bei der Geburt des jungen Karl niemals prophezeien können, dass der Sohn von Erzherzog Otto, dem Neffen Kaiser Franz Josephs, dereinst die Krone tragen würde. Es musste sich zuerst die Katastrophe von Mayerling ereignen, der Vater von Karl einen frühen Tod sterben und die Schüsse von Sarajewo fallen, bis Karl mitten im Ersten Weltkrieg den Thron besteigen konnte, den er nicht zu halten vermochte. Obwohl die Monarchie durch die Nachkriegsregelungen zu Grabe getragen wurde, verzichtete Kaiser Karl dennoch nicht auf den Thron, was für ihn zur persönlichen Katastrophe werden sollte.

Sigrid-Maria Größing

Einleitung

Wenn auch einst über den weiten Gebieten, die zum Macht- und Einflussbereich der Habsburger gehörten, die Sonne nicht unterging, so lag über dieser Herrscherfamilie doch oftmals ein langer Schatten. Ursachen für die dunklen Kapitel in der Geschichte der Habsburger waren zeitweise die politischen Gegebenheiten, manchmal die Zeitumstände, aber auch Gesetze, die die Familie selbst erließ und die zu menschlichen Katastrophen führten. Vor allem das Gesetz der Primogenitur, das die Erbfolge dem Erstgeborenen zusprach, aber auch die strenge Einhaltung der standesgemäßen Hochzeiten, die zu Eheschließungen innerhalb der allernächsten Verwandtschaft führte, sollte sich im Laufe der Jahrhunderte verhängnisvoll auswirken. Debilität und Degeneration waren die Folge. Dazu kam, dass man sich nicht entschließen konnte, die weibliche Erbfolge zu akzeptieren, die Kaiser Karl VI. durch die »Pragmatische Sanktion« gesetzlich verankert wissen wollte. Daneben trug das »Spanische Hofzeremoniell« zu mancher Tragödie bei, dessen strikte Einhaltung die Angehörigen der Herrscherfamilie in ein starres Korsett presste und keinen menschlichen Spielraum ließ. Auf den Thron durch die Gnade Gottes berufen sollte der Kaiser, oder in Spanien der König, seine weltabgehobene Position den Untertanen jederzeit demonstrieren. Das strenge Reglement erlaubte dem Herrscher keine menschlichen Reaktionen.

Die Tragödien im Hause Habsburg begannen sehr früh, als Johann Parricida, der Neffe des regierenden Königs Albrecht I., im Jahre 1308 den Oheim ermordete, da er sich erbmäßig hintangesetzt fühlte. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, der nicht ungünstiger hätte sein können, denn die Herrschaft der Habsburger in Österreich hatte erst begonnen und war in keiner Hinsicht gefestigt. Die Folgen der Tat konnten nicht ausbleiben, denn in den nächsten Jahrzehnten traten Herrscher aus anderen Häusern auf den Plan, wie Ludwig der Bayer, der 1322 nach der siegreichen Schlacht bei Mühldorf seinen habsburgischen Gegenspieler Friedrich den Schönen gefangen nahm und ins Gefängnis warf.

Es dauerte lange, bis unter Friedrich III., der seine Herrschaft eigentlich nur einem Zufall zu verdanken hatte, die Macht an die Habsburger, jetzt für Jahrhunderte, zurückkehrte. Dieser seltsame, undurchschaubare Kaiser, der letzte in Rom gekrönte, begründete durch seine Heirat mit Eleonore von Portugal die zukünftige Macht des Hauses. Sein begabter Sohn Maximilian erweiterte das bestehende Reich durch seine Heirat mit Maria von Burgund, die als einzige Tochter Karls des Kühnen die reichen flandrischen Gebiete mit in die Ehe brachte, auf die der französische König ebenfalls ein Auge geworfen hatte. Langwierige Kriege mit dem französischen Nachbarn waren für die habsburgischen Herrscher die Folge. Auch das persönliche Schicksal Maximilians gestaltete sich tragisch, denn seine geliebte Gemahlin verunglückte nur wenige Jahre nach der Eheschließung tödlich. Der Kaiser heiratete noch einmal, aber es war nur die reiche Mitgift Bianca Maria Sforzas von Mailand, die ihn zu diesem Schritt bewog, die junge Frau interessierte ihn nicht. Bianca Maria starb völlig vereinsamt an »gebrochenem Herzen«.

Die Heiratspolitik, die Maximilian in den nächsten Jahren betrieb, indem er seinen Sohn Philipp den Schönen mit Johanna der Wahnsinnigen und seine Tochter Margarete mit dem Infanten von Spanien verheiratete, brachte den Habsburgern zwar nach dem Tode Juans Spanien mit seinen sämtlichen Besitzungen diesseits und jenseits des Ozeans ein, aber auch schwere psychische Erkrankungen, die sich in der spanischen Familie schon vor Generationen bemerkbar gemacht hatten und die sich in der Folgezeit durch die Eheschließungen innerhalb der Familie noch verstärkten. Frisches Blut kam selten in die Habsburgerdynastie.

Schon zur Zeit Kaiser Karls V. zeigte es sich, wie unendlich schwierig es war, ein Weltreich zu regieren. An allen Ecken und Enden machte sich Unzufriedenheit über die Fremdherrschaft breit, sodass der Kaiser allein kaum mehr in der Lage war, die politischen Zwistigkeiten und den religiösen Zerfall, der durch die Thesen Luthers hervorgerufen worden war, in den Griff zu bekommen. Die Franzosen, aber auch die Türken ließen Karl V. nicht zur Ruhe kommen, resignierend zog er sich nach seiner Abdankung 1556 ins Kloster San Jerónimo de Yuste zurück. Die menschlichen Tragödien innerhalb der Familie spielten sich in dieser Zeit allerdings am Rande ab: Maria, die Schwester Karls, die mit Ludwig, dem König von Ungarn und Böhmen, verheiratet gewesen war, verlor ihren Mann schon sehr früh nach der Schlacht bei Mohács im Jahr 1526. Sie blieb ein Leben lang Witwe. Auch das Schicksal der übrigen Schwestern war beklagenswert, denn der kaiserliche Bruder hatte sie wie Schachfiguren überall in Europa verteilt, um möglichst großen Einfluss zu gewinnen. Wie es im Inneren der jungen Mädchen aussah, als sie noch als halbe Kinder an lieblose Männer, die manchmal sogar Feinde gewesen waren, wie der französische König Franz I., verheiratet wurden, fragte niemand.

Als Kaiser Karl V. die Ehe seines erst sechzehnjährigen Sohnes Philipp mit dessen portugiesischer Cousine Maria Manuela arrangierte, hatte er wahrscheinlich vor allem den Erwerb Portugals im Auge. Nach den damaligen medizinischen Erkenntnissen konnte er freilich nicht ahnen, dass der Sohn aus dieser Verbindung schwerstens geschädigt war, der Enkel des Kaisers Don Carlos war geistig und körperlich behindert.

Noch gab es aber Hoffnung im Hause Habsburg, denn Karls Bruder Ferdinand heiratete eine gesunde junge Frau, Anna, die nach dem Tod ihres Bruders Ludwig Böhmen und Ungarn mit in die Ehe brachte. Und dieser Ferdinand sollte nach dem Willen des Kaisers einen Teil des Reiches regieren, was im Vertrag von Brüssel 1522 schriftlich vereinbart wurde. Auf diese Weise bestand die Aussicht, das beinah unüberschaubare Reich mit den zahlreichen Völkern und Kulturen in Zukunft im Sinne der habsburgischen Vorstellungen zu beherrschen. Der enge persönliche Kontakt innerhalb der beiden Linien blieb allerdings nach wie vor bestehen und wurde durch immer wiederkehrende Hochzeiten bewahrt. Denn für die katholische Habsburgerfamilie fanden sich auch wenig standesgemäße Bräute oder Ehekandidaten in Europa. Mit den Franzosen war man die längste Zeit über verfeindet, die Engländer hatten sich unter Heinrich VIII. von der katholischen Kirche abgewandt, die russischen Prinzessinnen hingen der russisch-orthodoxen Kirche an und die Skandinavier waren Protestanten. Und die Türken kamen ohnedies niemals in Betracht.

Wenn auch die Türken Kaiser Ferdinand im Laufe seiner Regierungsjahre große Schwierigkeiten bereiteten, so fand er doch in seiner großen Familie Ruhe und Glück genauso wie sein Sohn und Nachfolger Maximilian II., während dessen sechs Söhnen das Schicksal nicht wohl gesonnen war. So konnten der unvermählte Kaiser Rudolf und dessen Bruder Matthias, der ebenfalls kinderlos starb, den schrecklichen Religionskrieg, der schließlich 30 Jahre dauern sollte, nicht verhindern.

Verhängnisvoll wirkte sich die Inzucht vor allem in Spanien aus. Im Jahre 1700 starb der letzte spanische Habsburger, König Karl II., mit nur 39 Jahren in geistiger Umnachtung. Der Ahnenschwund innerhalb der Familie war erschreckend gewesen.

Aber auch bei den österreichischen Habsburgern gab es Probleme in der Erbfolge, als Kaiser Karl VI. im Laufe seiner Ehe nur ein einziger Sohn geboren worden war, der schon im Kleinkindesalter starb, sodass sich eine politische Tragödie auch für diesen Zweig der Familie anbahnte. Obwohl der Kaiser immer noch auf einen Sohn als Erben gehofft hatte, war er politisch weitsichtig genug gewesen, 1713 durch die »Pragmatische Sanktion« die weibliche Erbfolge im Hause Habsburg möglich zu machen. Dies sollte sich als Segen für die österreichischen Länder herausstellen. Denn keine andere als seine politisch begabte Tochter übernahm nach großen Schwierigkeiten, die man ihr von Seiten der europäischen Mächte gemacht hatte, die Herrschaft. Durch ihre Reformen in allen Lebensbereichen konnten sie und ihr genialer Sohn Joseph II. ähnliche staatsgefährdende Unruhen wie in Frankreich verhindern. Obwohl sich Maria Theresia an der Seite ihres kaiserlichen Gemahls trotz ihrer vielfältigen politischen Verpflichtungen persönlich der Erziehung ihrer zahlreichen Kinder widmete, opferte sie doch die meisten ihrer Söhne und Töchter ihren politischen Ideen, indem sie diese in ganz Europa verheiratete. Das persönliche Glück ihrer Kinder war für die Herrscherin von untergeordneter Bedeutung. Daher konnte es nicht ausbleiben, dass sich Tragödien an allen Ecken und Enden anbahnten, wobei Maria Theresia freilich nicht ahnen konnte, dass ihre jüngste Tochter Maria Antonia als französische Königin Marie Antoinette dereinst das Schafott besteigen würde.

Nach dem relativ kurzen Intermezzo ihrer beiden Söhne Joseph II. und Leopold II., die die geistigen Fähigkeiten ihrer Mutter geerbt hatten, zeigte es sich aufs Neue, wie verhängnisvoll die Familiengesetze sein konnten. Denn auf Grund der Primogenitur, wonach der älteste Sohn der Familie die Kaiserkrone erbte, wurde der schwache, wankelmütige und in politischer Hinsicht unzureichend interessierte älteste Sohn von Leopold dessen Nachfolger als Kaiser. Und dies zu einer Zeit, die von revolutionären Ideen getragen war. Ein starker Kaiser wäre auf dem Habsburger-Thron vonnöten gewesen, der einem Napoleon wirkungsvoll hätte entgegentreten können. Und unter den zahlreichen Söhnen Leopolds befanden sich tatsächlich geistig hoch stehende, politisch weit blickende Männer, wie Erzherzog Johann, der den wirtschaftlichen Aufschwung in der Steiermark bewirkte, oder Erzherzog Carl, der über Napoleon bei Aspern siegte. Aber beide hatten keine Chancen auf den Kaiserthron, sie waren Nachgeborene. Nicht der Fähige, der Tüchtige kam in der Habsburger-Familie an die Macht, sondern der Erstgeborene, wie das Reglement es befahl.

War der »gute Kaiser« Franz ein schwacher Herrscher in seiner Zeit, der seinem Kanzler Klemens Fürst Metternich in jeder Hinsicht freie Hand ließ, so war sein Nachfolger, sein schwer kranker Sohn Ferdinand eine Katastrophe. Die Epilepsie, an der Ferdinand von Jugend auf litt, war eine Folge zu naher verwandtschaftlicher Beziehungen zwischen seinem Vater Franz und dessen zweiter Ehefrau, die seine Cousine war. Diesmal aber erkannte man selbst innerhalb der Familie, dass eine Lösung des Problems gefunden werden musste. Ferdinand selbst fasste den Entschluss, zugunsten seines Neffen, des erst 18-jährigen Franz Joseph, im Jahre 1848 abzudanken.

Hatte man in dem jungen Franz Joseph einen Mann zum Kaiser erkoren, von dem man hoffte, er würde die Monarchie in moderner Weise regieren und vielleicht auch reformieren, so zeigte es sich schon nach kurzer Zeit, dass er wohl von seiner ehrgeizigen Mutter Sophie zum Kaiser erzogen war, dass ihm aber jegliche zukunftsorientierte liberale Einstellung fehlte. Als begeisterter Militarist und korrekter Arbeiter sah er sich als erster Beamter in seinem Staat, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, das riesige Reich vom Schreibtisch aus zu lenken, ohne Emotionen und ohne Visionen. Daher fanden modern denkende Menschen neben ihm keinen Platz, weder sein Bruder Maximilian, der schließlich in Mexiko einem traurigen Schicksal entgegenging, noch sein hochintelligenter Sohn Rudolf, dessen vielseitige Ambitionen vom kaiserlichen Vater als Spintisierereien abgetan wurden und der resignierend in die Zukunft blickend im Freitod die einzige Möglichkeit sah, sich vom riesigen Schatten seines Vaters zu befreien. Der Schreibtischtäter Franz Joseph war auf Grund seiner in althergebrachten Traditionen verankerten Einstellung nicht in der Lage, die rasche allumfassende Entwicklung, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts anbahnte, mitzumachen, er verstand weder die Signale der Zeit noch seine eigene Ehefrau Elisabeth, für die ein Leben am streng konservativen Kaiserhof in Wien schon sehr bald zur Qual geworden war. Auf seine Arbeit konzentriert, bemerkte Franz Joseph nicht die Tragödien, die sich um ihn herum anbahnten. Seine Kontakte mit den Familienmitgliedern beschränkten sich auf das Nötigste. Auf ihren langen, weiten Reisen war Elisabeth eine Suchende, die erst Ruhe fand, als sich ihr Schicksal in Genf erfüllte. Ein Anarchist erstach sie mit einer Feile im September 1898.

Die Tragödien im Hause Habsburg waren allerdings mit dem Tod der Kaiserin noch nicht vollständig: erst die Schüsse auf den Neffen Franz Josephs, auf den Thronfolger Franz Ferdinand, und dessen Gemahlin Sophie Chotek beschlossen den tragischen Reigen.

Als der uralte Kaiser die Kriegserklärung an Serbien unterzeichnete, war ihm wahrscheinlich nicht bewusst, dass er damit das Ende der jahrhundertelangen Monarchie besiegelte. Denn seinem Nachfolger, seinem Großneffen Karl, war es im Jahr 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, nicht mehr möglich, eine Änderung der Situation für das Kaiserreich herbeizuführen. Die republikanischen Tendenzen, die sich in ganz Europa breit gemacht hatten, waren auch in Österreich-Ungarn nicht mehr aufzuhalten. Und da er selbst Kaiser mit Leib und Seele war, der einen Auftrag Gottes zu erfüllen hatte, war es für Karl undenkbar, die Verzichtserklärung auf den Thron zu unterzeichnen, so wie dies die Vertreter der neu entstandenen Republik Österreich und auch die der Entente-Mächte von ihm gefordert hatten. Die letzte Tragödie im Hause Habsburg nahm dadurch ihren Lauf: Da Karl als Kaiser nicht zurückgetreten war, verweigerten die Siegermächte jegliche finanzielle Unterstützung, sodass der letzte Habsburger auf dem Kaiserthron beinah in völliger Armut fern der Heimat auf der Insel Madeira an einer Lungenentzündung verstarb.

Eine Habsburgerin auf dem Schafott

MARIE ANTOINETTE

»Gott hat Sie mit so viel Grazie, Güte und Sanftmut gesegnet, daß jedermann Sie lieben muß.«

Diese liebevoll aufmunternden Worte schrieb keine Geringere als Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich, gekrönte Königin von Böhmen und Ungarn, Gemahlin des römisch-deutschen Kaisers Franz Stephan von Lothringen an ihre ferne Tochter Maria Antonia nach Frankreich, obwohl sie mit Lob und Anerkennung ihren Kindern gegenüber eher zurückhaltend war und sich nicht scheute, die Fehler ihrer Söhne und Töchter mit großer Strenge zu tadeln.

Maria Theresia war für die Zeit, in der sie lebte, eine Bilderbuchmutter, die sich trotz der vielfältigen Pflichten, mit denen sie tagtäglich konfrontiert war, um jedes einzelne ihrer Kinder kümmerte. Sie selbst war in der beneidenswerten Lage gewesen, eine unbeschwerte Jugendzeit in einer intakten Familie verleben zu dürfen, und es war ihr vergönnt gewesen, den Mann ihrer Träume zu heiraten, allen Widerständen zum Trotz. Eine glückliche Familie war für sie der Ruhepol, den sie in den wirren Zeiten nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters, Kaiser Karls VI., dringend benötigte, der ihr die Kraft verliehen hatte, als unerfahrene junge Frau die Staatsgeschäfte in dem großen Reich zu übernehmen und ihrem preußischen Widersacher König Friedrich II. die Stirn zu bieten.

Aber das, was sie selber als lebensnotwendig empfand, einen Ehepartner zu haben, der sie mit Liebe und Zuneigung umgab, dies verweigerte sie ihren Nachkommen. Sie opferte ihre zahlreichen Töchter den Geboten der Vernunft, dem Wohle des Staates. Die Kinder, die sie in schöner Regelmäßigkeit zur Welt gebracht hatte, sah sie als politisches Kapital an, das es bestmöglich einzusetzen galt. Mit ihnen konnte man die Politik der Zukunft bestimmen, denn verwandtschaftliche Beziehungen schienen für Maria Theresia immer noch stabiler zu sein als alle Friedensverträge und Nichtangriffspakte.

Deshalb sah sie sich schon früh in Europa um, in welche Ehebetten sie ihre Söhne und Töchter legen konnte, und dabei war es für sie vollkommen unmaßgeblich, was ihre Kinder über die geplanten Heiratsprojekte dachten. Der Wunsch der Kaiserin war einzig und allein maßgebend, da halfen keine Tränen und keine Trauer über verlorene heimliche Liebeleien.

Die Mutter führte ein strenges Regiment am Wiener Hof, dem sich alle Familienmitglieder, selbst der eigene Mann, zu beugen hatten. Obwohl Maria Theresia ihren »Franzl« bis über dessen Tod hinaus abgöttisch liebte, war sie es, die in jeder Situation den Ton angab. Sie bestimmte den Tagesablauf ihrer Kinder, sie wählte die Ajos und Ajas, die Erzieher ihrer Söhne und Töchter aus und ließ sich von diesen genau Bericht erstatten, wie jedes ihrer Kinder den Tag verbracht hatte. Es grenzt beinahe an ein Wunder, dass sie trotz der vielfältigen Aufgaben, die sie selbst jeden Tag zu bewältigen hatte, noch die Zeit für viele private Dinge aufbrachte. Aber sie hatte im Laufe der Jahre ein System entwickelt, das es ihr ermöglichte, alles, was auf sie zukam und an sie herangetragen wurde, bestmöglich zu erledigen.

Hätte ihre jüngste Tochter Maria Antonia nur ein klein wenig vom konsequenten, verantwortungsbewussten Wesen ihrer Mutter geerbt, ihr Schicksal wäre wahrscheinlich ganz anders verlaufen. Aber schon von Jugend auf war sie gewöhnt, sich ihren Pflichten zu entziehen, wo sie nur konnte, obwohl sie sich genauso wie ihre Geschwister einem systematischen Tagesablauf unterziehen sollte. Schon bald hatte sie entdeckt, dass sie durch ihren Charme und ihr liebenswürdiges Wesen ihre Erzieher und Lehrer überlisten konnte, sodass sie immer nur ein Minimum an Aufgaben zu erfüllen hatte. Selbst ihre sonst so strenge Mutter vermochte sie dann und wann um den Finger zu wickeln, obwohl sich Maria Theresia eingestehen musste, dass dies sicherlich nicht zum Vorteil der Tochter sein würde.

Antonia oder Tonerl, wie sie von den Geschwistern liebevoll gerufen wurde, war es dadurch möglich, eine heitere Kinderzeit inmitten der pflichtstarrenden Welt zu verbringen, sich im süßen Nichtstun zu üben und nur das Allernötigste zu lernen, denn auch ihre Erzieherin Marie Judith Gräfin Brandis ließ bei ihrem Schützling so manches Mal die Zügel etwas zu locker.

So wie es Maria Theresia auch bei den älteren Kindern gehandhabt hatte, wurden die besten Lehrer für die jüngste Tochter ausgesucht, die das verspielte Kind mit seiner Unstetigkeit und Unkonzentriertheit beinahe zur Verzweiflung brachte. Trotz aller Bemühungen war es nicht möglich, Antonia etwas mehr Ernst einzureden, und alles, was sie an Wissen erwarb, war eine Halbbildung, die zahlreiche Lücken aufwies. Vielleicht war dies ein Erbteil ihres Vaters, der Zeit seines Lebens keine Sprache richtig schreiben oder sprechen konnte und dessen Briefe, die in einem lustigen Kauderwelsch aus Deutsch, Französisch und Italienisch abgefasst waren, von seiner eigenen Frau korrigiert wurden.

Für die Kaiserin stand die religiöse Erziehung ihrer Kinder an allererster Stelle. Der katholische Glaube war für Maria Theresia die absolute Stütze für den Menschen in dieser Welt. Und diesen tiefen Glauben wollte sie auch ihren Kindern weitergeben, wobei sie vor allem bei ihrem skeptischen Sohn und Nachfolger Joseph II. auf heftigen Widerstand stieß und ihn beinahe zum Atheisten machte. Aber auch Antonia wollte sich nicht durch die Gebote der Kirche in ihrem Leben einschränken lassen, immer wieder fand sie einen Weg, wie sie die vorgeschriebenen Andachten und Messen oder den Empfang der Sakramente umgehen konnte.

Vieles, was Maria Theresia ihren Kindern abverlangte, war nach heutigen Gesichtspunkten modern, vor allem die persönliche Hygiene, auf die sie ganz besonderen Wert legte. Tägliche Waschungen sowie die intensive Pflege der Zähne gehörten genauso wie die regelmäßigen Kontrollen durch ihren Leibarzt van Swieten zum allgemeinen Gesundheitsprogramm. Und trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass einige ihrer 16 Kinder den Schwarzen Pocken zum Opfer fielen.

Für Antonia war die Gewöhnung an regelmäßige hygienische Pflege ihres Körpers wahrscheinlich für die Zukunft von großer Wichtigkeit. Denn später, am französischen Königshof, sollte sie erfahren, dass man keineswegs Wert auf persönliche Sauberkeit legte. Anstatt Seife und sauberes Wasser zu benutzen, besprühte man lieber den ganzen Leib mit kostbaren Parfums und bestäubte ihn mit wohlriechendem Puder, das natürlich nach einiger Zeit seine Wirkung einbüßte.

Wie für alle ihre Kinder hatte die Kaiserin auch für Antonia einen allseits bekannten Musiklehrer ausgesucht, keinen Geringeren als Christoph Willibald Gluck. Er war wahrscheinlich mit den Erfolgen seiner Schülerin zufrieden, wenn er sich auch etwas mehr Fleiß zu der vorhandenen musikalischen Begabung gewünscht hätte. Für eine kleine Erzherzogin spielte Antonia immerhin ganz brav die Stücke auf dem Spinett, die Gluck für sie vorbereitet hatte.

Wahrscheinlich wäre das tändelnde Leben, das das heranwachsende Mädchen führte, noch eine Zeit lang weitergegangen, wäre nicht überraschenderweise eine Anfrage des französischen Hofes in Wien eingetroffen, ob nicht die junge Maria Antonia für den Enkel des Königs von Frankreich Ludwig XV. die passende Gemahlin wäre.

Diese Nachricht erregte am Wiener Hof das allergrößte Aufsehen, denn jahrhundertelang waren die Beziehungen der Habsburger zu Frankreich äußerst problematisch bis schwierig gewesen, man hatte zahlreiche Kriege gegeneinander geführt und auf diplomatischem Wege immer nur halbe Lösungen erzielt, die oftmals wieder der willkommene Anlass zu neuen Auseinandersetzungen waren. Jetzt schien für Maria Theresia endlich die Möglichkeit durch die Initiative Ludwigs XV. gegeben zu sein, einen Schlussstrich unter die habsburgisch-bourbonische Rivalität zu ziehen. Schon vor etlichen Jahren hatte sich dieses Tauwetter zwischen Wien und Paris seltsamerweise durch die Aktivitäten der damaligen Maîtresse en titre, der berühmt berüchtigten Madame de Pompadour, angekündigt, die Maria Theresia trotz ihrer strengen Moralvorstellungen schätzte. Vielleicht auch deshalb, weil der von ihr so gehasste Preußenkönig Friedrich II. gerade diese kunstsinnige Frau, wo er nur konnte, in den Schmutz zog.

König Ludwig XV. suchte eine Gemahlin für seinen Enkel, den Dauphin, der den gleichen Namen trug wie er, der aber keineswegs seinem Großvater glich, ja ihm nicht einmal ähnelte. Ludwig XV., dem schon sehr früh vom Volk der Beiname »der Vielgeliebte« verliehen worden war, galt als schöner Mann, dem die Frauen jeden Alters zu Füßen lagen und dessen Amouren nicht mehr zu zählen waren. Er genoss das Leben, das ihm als König von Frankreich alles bot, was man sich vorstellen konnte, in vollen Zügen und überließ die »ermüdenden« Regierungsgeschäfte weniger seinen Ministern als seinen jeweiligen Mätressen. Zwei Damen, die in der Gunst des Königs an vorderster Stelle lagen, waren Madame Pompadour und später, nach deren frühem Tod Madame Dubarry. Aber während die Pompadour – wenn auch um viel Geld – Kunst und Kultur förderte, warf die Dubarry ein Vermögen, das aus den Ersparnissen der kleinen Leute bestand, sinnlos zum Fenster hinaus. Den König kümmerte es weder, woher das Geld kam, noch in welcher Weise es verschwendet wurde. Er hatte keinen Kontakt mit dem Volk, er lebte in einer Welt, in der es keine Beziehungen zum einfachen Mann gab. Auf der Suche nach immer neuen Genüssen und Abwechslungen konnte ihm jeder Minister alles einreden und somit in die eigene Tasche arbeiten.

Das französische Volk, aber vor allem die Bauern waren bettelarm und wurden nicht nur durch den hohen Adel, sondern auch von der Kirche bis zum letzten Sou ausgepresst. Und während man am Königshof von Versailles nicht mehr wusste, was man noch alles an exquisiten Genüssen ausfindig machen sollte, wusste der einfache Mann kaum, wie er seinen Hunger stillen sollte. Was der Sonnenkönig Ludwig XIV. vorgelebt hatte, das imitierte in überreichem Ausmaß sein Enkel Ludwig XV. Und hatte man dem Sarg Ludwigs XIV. schon Steine nachgeworfen, so verfluchte man nun, zunächst noch im Geheimen, den »Vielgeliebten« und seine Günstlinge. Das Fass der Unzufriedenheit war noch nicht randvoll, aber es war abzusehen, wann es überlaufen würde. Dass dabei ein völlig Unschuldiger unter die Räder des Aufstandes kommen würde, sah weder Ludwig XV. voraus noch hätte ihn dies wahrscheinlich allzu sehr bewegt.

Der Enkel, für den der Großvater am Wiener Kaiserhof durch seine Diplomaten vorstellig geworden war, war ein zurückhaltender, schüchterner junger Mann, der so gar nicht an den luxuriösen französischen Königshof passte. Durch den frühen Tod seines Vaters und des älteren Bruders, der ganz anders als er geartet war und dessen Naturell eher dem des Großvaters glich, wurde er beinahe über Nacht mit elf Jahren in die Rolle des Thronfolgers gepresst. Er würde einmal eine Aufgabe zu übernehmen haben, die in der damaligen politischen Situation nicht schwieriger hätte sein können.

Man verabsäumte es sträflich, den heranwachsenden Knaben entsprechend vorzubereiten und ihn ausgiebig zu schulen. So hatte er niemals die Möglichkeit, zukunftsorientierte Konzepte zu studieren, wobei es allerdings fraglich ist, ob sich der Jüngling überhaupt für die politischen und sozialen Zustände im Lande interessierte, denn der wenig attraktive Knabe zeigte sich durch sein eigenbrötlerisches Wesen allem gegenüber abweisend, was man ihm darzulegen suchte. Es gab nur zwei Interessen im Leben Ludwigs: die Jagd und handwerkliche Tätigkeiten. Schon in jungen Jahren, aber auch später als König von Frankreich legte er selbst immer wieder zur großen Überraschung seiner Umgebung mit Hand an, wenn Not am Mann war. Als er einmal an einer Baustelle vorbeikam, ließ er die Kutsche anhalten, mischte sich unter die Maurer und arbeitete beinahe bis zur Erschöpfung beim Bau des neuen Hauses mit.

Der junge Ludwig war weder zum König von Frankreich geboren noch für dieses Amt prädestiniert. In ihm zeigte sich die ganze Tragik des Erbkönigtums, eine Verpflichtung, die ein Mensch durch seine hohe Geburt auf sich nehmen musste, der er nicht gewachsen war und die er – hätte es eine Möglichkeit für ihn gegeben – begeistert abgeschüttelt hätte. Aber aus den starren Gesetzen der Tradition auszubrechen war für einen Menschen wie Ludwig XVI. unmöglich, er hatte schon, kaum dass er die Kinderschuhe abgestreift hatte, eine Last auf sich zu nehmen, die ihn schließlich erdrücken sollte. Freilich konnte niemand zu der Zeit, als sein Großvater für ihn auf Brautschau ging, auch nur im Entferntesten ahnen, wie tragisch sich sein Schicksal einmal gestalten würde.

Nachdem die Antwort aus Wien für den französischen König durchaus positiv ausgefallen war, übersandte man ein Medaillon des jungen Mannes an die zukünftige Braut. Wahrscheinlich wusste auch Maria Theresia, dass der Enkel des schönen Ludwigs XV. beileibe kein Adonis wie sein Großvater war. Es hatte sich längst bis Wien durchgesprochen, dass der eher linkische Ludwig etwas kurzsichtig in die Welt blinzelte, wenngleich er auf dem Bild durchaus attraktiv wirkte. Aber die Kunst der Maler wurde jahrhundertelang in Anspruch genommen, wenn es galt, Heiratskandidaten möglichst geschönt abzubilden.

Die junge Maria Antonia allerdings konnte man tatsächlich so darstellen, wie sie wirklich war: Ein reizendes Geschöpf, zierlich, mit strahlend blauen Augen, ein bisschen klein vielleicht, aber mit ihren 14 Jahren würde sie sicherlich noch etwas wachsen und voller werden, sodass sie auch in den überreichen Roben mit ihren abgrundtiefen Dekolletees attraktiv wirken würde.

König Ludwig XV. allerdings interessierte sich nur für eines an seiner zukünftigen »Enkelin«: Er wollte von seinem Vertrauten Bouret wissen, wie es um den Busen der jungen Frau bestellt war. Als der so indiskret Befragte beinahe verlegen stammelte, dass Antoinette ein hübsches Gesicht und besonders schöne Augen hätte, wurde der König beinahe unwillig, denn für ihn zählten schöne Brüste mehr als alle anderen Attribute bei den Damen.

Es dauerte nicht allzu lange, da war der Heiratspakt zwischen dem zukünftigen König von Frankreich und der österreichischen Erzherzogin in allen Details besprochen und von beiden Seiten unterzeichnet. Es war ein Staatsakt wie jeder andere, der keinen Raum für zwischenmenschliche Überlegungen offen ließ, der über die Köpfe der beiden jungen Menschen hinweg geschlossen wurde, ob man sich sympathisch war oder sich verabscheute, ob man miteinander leben wollte oder konnte, das interessierte weder den Großvater Ludwigs noch die Mutter Maria Antonias.

Es war dem unbeschwerten Naturell Maria Antonias, die fortan in Frankreich Marie Antoinette heißen sollte, zuzuschreiben, dass sie sich wahrscheinlich wenig Gedanken über ihre Zukunft in Frankreich machte. Was ihr einigermaßen ungelegen kam, war der Ernst, den man plötzlich von ihr verlangte, dass vor allem die Mutter die Kontrollen ihres Wissens verschärfte und ihr mehr als allen ihrer Geschwistern tagtäglich gute Ratschläge gab. Dabei wäre sie liebend gern weiter in den kleinen Theaterstücken aufgetreten, die ihr jüngerer Bruder und sie zur Erheiterung der Familie bis jetzt so erfolgreich gespielt hatten. Jedes Mal anders verkleidet konnte sie in alle möglichen Rollen schlüpfen, etwas, was sie von klein auf bevorzugt hatte. Das Einzige, was sie in ihrem neuen Lernprogramm begeisterte, war der Tanzunterricht. Die Kaiserin hatte einen berühmten französischen Tanzmeister engagiert, der ihr nicht nur die üblichen Tanzschritte beibringen sollte, sondern auch darauf achtete, dass sich die junge Braut einen fast schwebenden Gang aneignete. Darauf legte man am französischen Hof neben vielen anderen Dingen ganz besonderen Wert, ein leichter Gang war die Grundvoraussetzung für ein elegantes Auftreten.

Natürlich wurden nun die Lektionen in der französischen Sprache intensiver und zahlreicher, stundenlang hatte »Tonerl« französische Vokabeln zu repetieren und die richtige Aussprache zu üben. Damit alles auch seine Richtigkeit hatte, ließ die Kaiserin einen Mann von ausgezeichnetem Ruf aus Paris kommen, Abbé Vermond, der die zukünftige Königin von Frankreich entsprechend ausbilden sollte. Er hatte es keineswegs leicht mit dem jungen Mädchen, dessen Kopf ganz woanders stand, als bei den französischen Adelsregistern oder der Geografie ihres zukünftigen Landes. Aber auch den Abbé verzauberte sie durch ihren Charme, sodass er über so manchen Fehler hinwegsah und einen begeisterten Bericht über die junge Braut nach Paris sandte.

Maria Theresia kannte natürlich die wenig ernste Art ihrer Tochter ganz genau, und da sie wusste, dass auch Vermond ihr in der kurzen Zeit, die bis zur Hochzeit blieb, nicht mehr alles eintrichtern konnte, was für sie als zukünftige Königin von Frankreich notwendig gewesen wäre, ließ sie das Bett der Tochter in ihr eigenes Schlafgemach stellen, um ihr wenigstens unter vier Augen vor dem Einschlafen noch einige Verhaltensregeln mit auf den Weg zu geben. Dabei wurde wahrscheinlich von Gott und der Welt gesprochen, das brisante Thema der sexuellen Aufklärung jedoch nicht einmal gestreift. So wie alle anderen jungen Mädchen der Zeit stieg die junge Tochter der Kaiserin völlig unaufgeklärt ins spitzenbesetzte Ehebett. Aber so sehr Maria Theresia über die Heirat ihrer Tochter mit dem jungen Dauphin von Frankreich erfreut war – endlich schien eine Änderung der politischen Konstellationen in Europa in Sicht –, ahnte sie vielleicht doch, dass viele Gefahren auf ihre unreife Tochter in der Schlangengrube des französischen Hofes lauerten und dass Marie Antoinette, würde sie nicht Tag und Nacht wachsam sein, vieles falsch machen konnte. Die junge Braut hörte sich, schläfrig wie sie war, die Ratschläge ihrer Mutter nur mit einem halben Ohr an, der Ernst des Lebens hatte für sie noch lange nicht begonnen, was sollte sie sich jetzt schon den Kopf zerbrechen! Ihr Leben würde sich sicherlich einmal ganz anders gestalten als das der kaiserlichen Mutter. Wozu sollte sie sich jetzt in Wien Gedanken über ihr Schicksal machen?

Noch lebte sie im Kreise der Familie, man traf sich am Abend zu einem gemütlichen Plausch in den Räumen der Kaiserin, jedes der Geschwister hatte etwas anderes zu berichten, man spielte Karten, lachte und scherzte. Es war beinahe ein bürgerliches Leben, das am Wiener Kaiserhof herrschte, wobei der gutmütige Vater oftmals eine ausgleichende Rolle zu spielen hatte, da die Kaiserin ihre Kinder streng im Griff hatte. Die Mutter war die oberste Respektsperson, und wenn sie auch ihren Söhnen und Töchtern viel Liebe entgegenbrachte, so schien es doch, als würden sich alle insgeheim vor ihr fürchten. Dies sprach ihre sehr geliebte Schwiegertochter Isabella von Parma in einem Brief an ihre Schwägerin Marie Christine aus, wenn sie schrieb:

»Du kennst ja ihre Weise, ihre Kinder zu lieben, jederzeit ist eine Art Misstrauen und anscheinender Kälte darein gemischt … Was ihre Kinder betrifft, so liebt die Kaiserin sie, doch geht sie von einem falschen Grundsatz aus, der in allzu großer Strenge besteht.«

Auch Marie Antoinette empfand das Verhalten der Mutter so. Sie liebte die Kaiserin, hatte aber ein Leben lang nicht nur Respekt vor ihr, sondern auch eine gewisse Furcht. Sie schrieb 1774: »Ich liebe die Kaiserin, aber ich fürchte sie sogar aus der Ferne. Selbst wenn ich ihr schreibe, fühle ich mich ihr gegenüber nicht ungezwungen.«

Das Leben der Kaisertochter wäre sicherlich anders verlaufen, hätte sie sich tatsächlich die Ratschläge der Mutter zu Herzen genommen, denn Maria Theresia blieb auch nach der Hochzeit Marie Antoinettes mit der Tochter in enger brieflicher Verbindung und unterließ es nie, die leichtlebige junge Frau zwar in mütterlicher Weise, aber doch mit erhobenem Zeigefinger zu ermahnen. Dabei hatte sie natürlich von den Verlockungen am französischen Hofe, denen ihre Tochter tagtäglich ausgesetzt war, viel zu wenig Ahnung, als dass sie tatsächlich auf die Situation Marie Antoinettes hätte konkret eingehen können.

Nachdem alle offiziellen Dokumente unterzeichnet, die Apanagen und andere finanzielle Absicherungen der jungen Braut festgelegt waren, wurden die Hochzeitsvorbereitungen in Wien getroffen. Die Aussteuer der Kaisertochter übertraf alles bisher Dagewesene, auch Ludwig XV. stattete seinen Enkel über die Maßen reich aus. Es war wie ein Wettstreit, wer mehr zu bieten hatte, die Kaiserin oder der König von Frankreich.

Wie es damals üblich war, fand die Hochzeit Marie Antoinettes in der Augustinerkirche in Wien statt. Die entzückende Braut wurde statt von ihrem fernen Bräutigam am 19. April 1770 von ihrem Bruder Erzherzog Ferdinand bei dieser Eheschließung »per procurationem«, die der Habsburger-Tradition seit Jahrhunderten entsprach, zum Altar geführt. Ihr »Ja-Wort«, das sie zwar nicht ihrem eigentlichen Bräutigam gab, sondern nur einem Stellvertreter, machte sie zur zukünftigen Königin von Frankreich.

Das, was auf den offiziellen Festakt folgte, war so richtig nach dem Geschmack des jungen Mädchens. Umjubelt von der Wiener Bevölkerung fuhr sie durch die Straßen ihrer Heimatstadt, war umschwärmter Mittelpunkt auf den Bällen, die ihr zu Ehren in Schloss Schönbrunn gegeben wurden, und genoss die letzten Tage in Wien in vollen Zügen. Denn der Abschied nahte viel zu schnell. Nachdem die überreiche Aussteuer in den Kutschen verstaut worden war, hieß es für das junge Mädchen, sich von allem zu trennen, was ihm bisher lieb und teuer gewesen war. Tränenüberströmt umarmte sie die Eltern und Geschwister, vielleicht ahnte sie, dass sie die Mutter niemals wiedersehen würde. Denn Maria Theresia war durch ihre vielen Aufgaben und Pflichten so in Anspruch genommen, dass sie es, wo sie konnte, vermied, eine längere Reise zu unternehmen. Und Frankreich war weit!