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Ernest William Hornung

Raffles als Richter

Kriminalroman

Ernest William Hornung

Raffles als Richter

Kriminalroman

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
Übersetzung: Berta Pogson
EV: Verlag von J. Engelhorns Nachf., Stuttgart, 1912 (288 S.)
1. Auflage, ISBN 978-3-962813-86-4

null-papier.de/590

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Inhaltsverzeichnis

Ers­tes Ka­pi­tel. Ein Be­grü­ßungs­schmaus

Zwei­tes Ka­pi­tel. Er­tappt

Drit­tes Ka­pi­tel. Kriegs­rat

Vier­tes Ka­pi­tel. Un­ser Shy­lock

Fünf­tes Ka­pi­tel. Ver­schwun­den

Sechs­tes Ka­pi­tel. Ka­mil­la Bel­si­ze

Sie­ben­tes Ka­pi­tel. Eine ver­lo­re­ne Par­tie

Ach­tes Ka­pi­tel. Die Lage der Din­ge

Neun­tes Ka­pi­tel. Ein Drei­bund

Zehn­tes Ka­pi­tel. Ich hal­te zu Raffles durch dick und dünn

Elf­tes Ka­pi­tel. Ein Streich im Dun­keln

Zwölf­tes Ka­pi­tel. Das Werk ei­ner Som­mer­nacht

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel. Über­lis­tet

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel. Cor­pus de­lic­ti

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel. Raffles’ Ver­hör

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel. Wa­che

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel. Ein heim­li­cher Dienst

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel. Ei­nes Sün­ders Tod

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel. Recht­fer­ti­gung

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Erstes Kapitel. Ein Begrüßungsschmaus

Raffles war aus dem Um­kreis von Lon­don ver­schwun­den, und selbst ich hat­te nicht die lei­ses­te Ah­nung, wo er sich auf­hielt, bis ich ein Te­le­gramm von ihm be­kam, in dem er mich bat, ihn am nächs­ten Abend um sie­ben Uhr ein­und­drei­ßig am Bahn­hof Cha­ring Cross ab­zu­ho­len. Das war am Diens­tag vor dem großen Uni­ver­si­täts-Kricket­match und vol­le vier­zehn Tage nach sei­nem rät­sel­haf­ten Ver­schwin­den. Die De­pe­sche kam aus Karls­bad, dem un­glaub­lichs­ten Ort der Welt für einen so ge­sun­den Men­schen wie Raffles, und es konn­te wohl nur einen Grund ge­ben, der ein sol­ches Bild phy­si­scher Kraft und Ge­sund­heit an die­sen bö­sen Platz ge­führt hat­te. Zu mei­nem Ent­set­zen aber ent­stieg am Mitt­woch Abend dem Zug an­statt des kraft­vol­len, ge­sund­heits­trot­zen­den Man­nes, den ich zu se­hen er­war­tet hat­te, eine ei­ner Lei­che ähn­li­che Ka­ri­ka­tur.

»Sprich kei­nen Ton, mein lie­ber Bun­ny, bis ich ei­ni­ge Bis­sen Roast­beef zu mir ge­nom­men habe«, sag­te er mit mat­ter, ton­lo­ser Stim­me, die völ­lig im Ein­klang mit sei­nen hoh­len Wan­gen stand. »Nein, jetzt mag ich mich nicht mehr mit dem Ge­päck auf­hal­ten; das be­sorgst du als gu­ter al­ter Ka­me­rad wohl mor­gen früh für mich, nicht, Bun­ny?«

»Na­tür­lich, wann du willst«, sag­te ich und schob mei­nen Arm durch den sei­nen. »Wo wol­len wir nun di­nie­ren? Bei Kell­ner? Nea­po­lo? Im Carl­ton oder im Klub?«

Raffles schüt­tel­te den Kopf.

»Ein Di­ner her­un­ter­es­sen mag ich nicht«, sag­te er, »ich weiß schon, was ich möch­te.«

So führ­te er mich aus dem Bahn­hof in die Stadt hin­ein. Be­hag­lich schlen­dernd schrit­ten wir durch die Stra­ßen; ein­mal blieb er ste­hen, um über Tra­fal­gar Squa­re hin­weg in die Son­ne zu star­ren. Woh­lig at­me­te er den Teer­ge­ruch des son­nen­war­men Holz­pflas­ters ein, der für sei­ne Nase einen eben­so lieb­li­chen Duft ent­hielt, wie der Lärm des Stra­ßen­ver­kehrs sei­nen Ohren Mu­sik be­deu­te­te. Wir ka­men dann an einen der po­li­ti­schen Pa­läs­te, die sich her­ab­las­send in der Lis­te der Klubs mit auf­zäh­len las­sen. Zu mei­nem Er­stau­nen trat Raffles ein, als sei die gan­ze präch­ti­ge Mar­mor­hal­le sein ei­gen; si­cher schritt er ge­ra­de hin­durch auf den Grill­room zu, wo Kö­che mit wei­ßen Müt­zen auf sil­ber­nen Ros­ten zi­schen­de Spei­sen be­rei­te­ten. Er frag­te mich nicht, was wir es­sen woll­ten; das hat­te er sich wohl be­reits im Zuge über­legt. Er wähl­te das Fi­lets­teak selbst aus, be­stand dar­auf, die Nie­ren zu se­hen, und füg­te noch ein paar Wor­te über die Brat­kar­tof­feln hin­zu, wie auch über das »Welsh Ra­re­bit«, das als Nach­spei­se fol­gen soll­te. Al­les dies sah dem nor­ma­len Raffles, der bei Tisch sonst nicht schwer zu be­frie­di­gen war, eben­so­we­nig ähn­lich wie der tie­fe Seuf­zer, mit dem er sich mir ge­gen­über in den Ses­sel fal­len ließ, um dann die Arme auf dem Tisch zu kreu­zen.

»Ich wuss­te gar nicht, dass du hier Mit­glied bist«, sag­te ich, weil die­se Ent­de­ckung mich wirk­lich in Auf­re­gung ver­setz­te, aber auch weil die­ses The­ma mir un­ver­fäng­li­cher er­schi­en als die Fra­ge nach sei­ner letz­ten ge­heim­nis­vol­len Fahrt.

»Es gibt noch so man­ches, was du von mir nicht weißt, Bun­ny«, gab er müde zu­rück. »Wuss­test du zum Bei­spiel, dass ich in Karls­bad war?«

»Nein.«

»Und doch ent­sinnst du dich wohl des letz­ten Abends, an dem wir zu­sam­men sa­ßen?«

»Du meinst den Abend, als wir im Sa­voy zu Nacht aßen?«

»Das ist kaum drei Wo­chen her.«

»Mir schei­nen es eben­so vie­le Mo­na­te.«

»Und mir Jah­re!« rief Raffles. »Du er­in­nerst dich doch ge­wiss noch des fa­mo­sen Stamm­va­ters am nächs­ten Tisch mit der Nase wie ein Pum­pen­schwen­gel und der Gat­tin mit dem herr­li­chen Sma­ragd­hals­band?«

»Das soll­te ich mei­nen!« er­wi­der­te ich. »Du re­dest von dem großen Dan Levy, ge­nannt Shy­lock. Du hast mir ja selbst al­les über ihn er­zählt, A. J.«

»So? Dann fällt dir viel­leicht auch wie­der ein, dass die Shy­locks am an­de­ren Tage nach Karls­bad reis­ten. Der Alte fei­er­te sei­ne letz­te Or­gie vor der all­jähr­li­chen Kur, und alle An­we­sen­den muss­ten da­von er­fah­ren. Ach, Bun­ny, jetzt füh­le ich wirk­lich et­was wie Mit­leid mit dem al­ten Kna­ben.«

»Was aber in al­ler Welt be­wog dich, auch da­hin zu fah­ren?«

»Das fragst du? Weißt du nicht mehr, dass du die Sma­rag­den un­ter dem Tisch lie­gen sahst, nach­dem sie auf­ge­stan­den wa­ren, und wie ich mich ver­gaß und ih­nen nach­lief mit dem schöns­ten Kol­lier, das ich seit den Ta­gen der Lady Mel­ro­se in mei­nen Hän­den ge­hal­ten habe?«

Ich schüt­tel­te den Kopf, halb als Ant­wort auf sei­ne Fra­ge, halb in Ge­dan­ken an eine recht ver­kehr­te Hand­lung, die mir noch im­mer den Sinn be­drück­te. Jetzt war ich frei­lich auf et­was noch weit Un­sin­ni­ge­res vor­be­rei­tet.

»Du hat­test nur zu recht«, fuhr Raffles fort; mei­ne da­ma­li­gen Vor­wür­fe la­gen ihm wohl im Sinn. »Ich war zu dumm und be­nahm mich wie ein takt­lo­ser Idi­ot, denn je­der halb­wegs ver­nünf­ti­ge Mensch muss­te se­hen, dass ein so schwe­res Kol­lier nicht her­un­ter­fal­len konn­te, ohne dass die Trä­ge­rin es be­merkt hät­te.«

»Meinst du denn, dass sie es ab­sicht­lich fal­len ließ?« rief ich mit plötz­lich er­wach­tem In­ter­es­se, denn ich fing an, die Fort­set­zung sei­ner Ge­schich­te zu er­ra­ten.

»Ja«, sag­te Raffles. »Die gute Alte tat es mit Vor­be­dacht, als sie sich nach ir­gen­det­was bück­te; und zwar da­mit es ge­stoh­len und ihre Rei­se nach Karls­bad da­durch ver­scho­ben wür­de, denn ihr Mann zwingt sie all­jähr­lich, dort die Kur mit ihm zu ge­brau­chen.«

Ich sag­te dar­auf, ich hät­te im­mer das Ge­fühl ge­habt, dass wir das un­ver­kenn­bar be­stimm­te Schick­sal der Sma­rag­den nicht er­füllt hät­ten, und es war bei­na­he rüh­rend, wie Raffles nun mit mir ge­gen sich selbst Par­tei nahm.

»In dem­sel­ben Au­gen­blick, als ich die Stei­ne er­griff und das fet­te Schwein flu­chen hör­te, sah ich mei­nen Irr­tum ein«, sag­te er. »Er sag­te ihr so­fort ins Ge­sicht sie habe den Schmuck mit Ab­sicht fal­len las­sen, und traf da­mit den Na­gel auf den Kopf; da es dies­mal ihr ar­mer Kopf war, sah ich mei­nen un­wür­di­gen Ei­fer gleich im rech­ten Licht, Bun­ny. Es be­durf­te nicht erst dei­ner Vor­wür­fe, um mir klar zu ma­chen, was für ein blö­der Tor ich ge­we­sen war. Das Hals­band war ei­gent­lich dein, und mei­ne Pf­licht war es, dir auf ir­gend­ei­ne Wei­se die Stei­ne zu ver­schaf­fen. Ich folg­te da­her den un­recht­mä­ßi­gen Be­sit­zern nach Karls­bad, so­bald es die Klug­heit ge­stat­te­te.«

»Groß­ar­tig«, rief ich, er­freut, Raffles nicht im ent­fern­tes­ten so ab­ge­spannt zu fin­den, wie er äu­ßer­lich den An­schein er­weck­te. »Aber dass du mich nicht mit­ge­nom­men hast, A. J., das wer­de ich dir so leicht nicht ver­ges­sen.«

»Mein lie­ber Bun­ny, du hät­test es dort nicht aus­ge­hal­ten«, sag­te Raffles fei­er­lich, »die Kur hät­te dich um­ge­bracht; sieh nur, wie ich aus­se­he.«

»Du willst mir doch nicht weis­ma­chen, du ha­best dort die Kur ge­braucht?« spot­te­te ich.

»Aber selbst­ver­ständ­lich, Bun­ny. Ich habe ge­wis­sen­haft al­les durch­ge­macht.«

»Wa­rum nur?«

»Du kennst eben Karls­bad nicht, sonst wür­dest du nicht fra­gen. Der gan­ze Ort wim­melt von Spio­nen und Schar­la­ta­nen. Wenn ich nun die mir von ei­nem Obe­r­auf­schnei­der und Be­trü­ger er­teil­ten Ver­hal­tungs­maß­re­geln nicht be­ach­tet hät­te, wäre ich als­bald aus­fin­dig ge­macht und selbst als Spi­on oder Be­trü­ger an die Luft ge­setzt wor­den.«

Jetzt ka­men uns­re Steaks, damp­fend heiß, dazu je eine Nie­re und im Kranz dar­um die ge­rös­te­ten Kar­tof­feln. Raffles’ nächs­te Wor­te gal­ten nur noch dem Kell­ner und be­zo­gen sich auf ei­ni­ge auf­ein­an­der fol­gen­de Krü­ge bit­te­ren Biers; au­ßer­dem mach­te er nur noch die über­flüs­si­ge Rand­be­mer­kung: »Der Mann, der ge­sagt hat, wir Eng­län­der sei­en kei­ne Bier­trin­ker, war ein Lüg­ner.« Of­fen­ge­stan­den ist mir das Bier­trin­ken im­mer schwer ge­wor­den, und ich leis­te­te das Un­mög­li­che jetzt nur aus Ka­me­rad­schaft. Schließ­lich er­hielt ich denn auch zur Be­loh­nung einen so bos­haf­ten Be­richt al­ler Ent­beh­run­gen, dass ich ihn nur mit Raffles’ ei­ge­nen Wor­ten wie­der­zu­ge­ben wage.

»Nein, Bun­ny, du hät­test es nicht drei Tage dort aus­ge­hal­ten. Du hät­test die gan­ze Zeit ein lan­ges Ge­sicht ge­macht, so wie jetzt«, sag­te Raffles la­chend. Ich ver­mu­te, dass ich ein lan­ges Ge­sicht mach­te – wie mir das leicht pas­siert – als er mei­ne Aus­dau­er und Stand­haf­tig­keit in Zwei­fel zog. »Lach mal, al­ter Jun­ge! So, das ist schon bes­ser«, fuhr er fort, als ich mir alle Mühe gab, lus­tig aus­zu­se­hen. »Aber dort ist’s wahr­lich nicht zum La­chen. Nach der ers­ten Wo­che lä­chelt nie­mand mehr, und zu­al­ler­erst wird dort der Sinn für Hu­mor aus­ge­rot­tet. In mei­nem Ho­tel wohn­te ein Sports­mann, der sein Ge­wicht her­un­ter­trai­nier­te, um ein be­stimm­tes Pferd rei­ten zu kön­nen; der war zu Haus si­cher ein fi­de­ler Kum­pan, dort aber gab es für ihn kei­ne fro­he Stun­de. Vor dem ers­ten Früh­stück muss­te er Ki­lo­me­ter um Ki­lo­me­ter zu Fuß lau­fen, dann gab es Moorum­schlä­ge den gan­zen Vor­mit­tag und nicht einen Trop­fen zu trin­ken, au­ßer dem elen­den koh­len­sau­ern Was­ser, Gies­hüb­ler oder wie das Zeug heißt; da­von durf­te er eine Stun­de nach der Mahl­zeit, wenn ihm die Zun­ge buch­stäb­lich am Gau­men kleb­te, ein Gläs­chen trin­ken. Beim ers­ten Hah­nen­schrei gin­gen wir zu­sam­men zur Wage, und ob­wohl er äu­ßerst gut­mü­tig aus­sah, als ich ihn ein­mal in sei­nem Ses­sel schla­fend über­rasch­te, habe ich ihn doch in hel­ler Wut sei­nen Wie­ge­zet­tel zer­rei­ßen se­hen, wenn er ein paar Gramm zu­ge­nom­men hat­te, an­statt ein oder zwei Pfund zu ver­lie­ren. Wir mach­ten an­fangs uns­re Spa­zier­gän­ge ge­mein­sam, doch pfleg­te sei­ne Un­ter­hal­tung in eine sol­che kör­per­li­che In­nen­schau aus­zuar­ten, dass man nicht ein Wort über die Ver­rich­tun­gen der ei­ge­nen Ma­schi­ne­rie ein­fü­gen konn­te.«

»Mit dei­nem in­nern Werk war aber doch nichts los«, mahn­te ich Raffles. Er zuck­te die Ach­seln, als sei er sei­ner Sa­che nicht ganz si­cher.

»Zu­erst wohl nicht, aber da­ge­gen hilft die Kur schnell ge­nug. Ich schrumpf­te zu­sam­men wie eine Zieh­har­mo­ni­ka und hof­fe nur, dass ich mich eben­so wer­de wie­der aus­deh­nen kön­nen. In dem ver­fluch­ten Nest ist es näm­lich Sit­te, dass man so­fort nach der An­kunft an einen Arzt te­le­fo­niert. Ich frag­te den Rei­ters­mann, der mir na­tür­lich den sei­ni­gen emp­fahl, um einen Ge­fähr­ten auf dem Mar­ter­rost zu ha­ben. Der alte Erz­be­trü­ger kam schon nach zehn Mi­nu­ten, un­ter­such­te mich von Kopf zu Fuß und fäll­te, ohne zu er­rö­ten, sein Ur­teil über mei­nen Ge­sund­heits­zu­stand. Er sag­te, bei mir sei es die Le­ber! Ich schwö­re, ich fühl­te nichts da­von, be­vor ich nach Karls­bad ging, wür­de mich aber gar nicht wun­dern, wenn sie sich jetzt be­merk­bar mach­te.«

Mit tief­erns­tem Ge­sicht klapp­te er mit dem De­ckel sei­nes Bier­kru­ges und mach­te sich dann eif­rig über sein damp­fen­des ge­rös­te­tes Kä­se­schnitt­chen her, das der Kell­ner ge­ra­de ser­viert hat­te.

»Gol­dig se­hen sie aus und es­sen sich auch gol­dig«, rief der arme aus­ge­hun­ger­te Raffles. »Ich wünsch­te nur, der schlaue Fuchs von Arzt könn­te mich jetzt se­hen. Er ver­ord­ne­te mir eine Kur, die der des Rei­ters­man­nes so völ­lig glich, dass sie für den gan­zen Abend die düs­tern Schat­ten aus des­sen See­le bann­te. Wir fin­gen uns­re Trink­kur bei der­sel­ben Quel­le an und pro­me­nier­ten in der­sel­ben Ko­lon­na­de bei dem Ge­lärm der feis­ten Mu­sik­ka­pel­le. Es war bei Gott kein Spaß, Bun­ny; Moorum­schlä­ge und tro­ckene Ge­rich­te zu den Mahl­zei­ten mit et­was al­ko­hol­frei­em Gift da­zwi­schen be­kam ich auch. Du rümpfst die Nase, was? Ich sag­te dir ja schon, du hät­test es nie­mals aus­ge­hal­ten; es war aber eben das ein­zi­ge Mit­tel, den ho­hen Ein­satz zu ge­win­nen, denn da­durch schützt man sich vor je­dem Ver­dacht. Au­ßer­dem ma­che ich mir aus leib­li­chen Genüs­sen nicht halb so viel wie du oder der Rei­ters­mann, der ei­nes Ta­ges in des Dok­tors Hau­se einen Ohn­machts­an­fall be­kam, in der Hoff­nung auf einen Schluck Ko­gnak; es gab aber nur ein Glas bil­li­gen Mar­sa­la.«

»Hast du denn schließ­lich die Sma­rag­den be­kom­men?«

»Na­tür­lich, Bun­ny«, ant­wor­te­te Raffles ge­dämpft und mit ei­nem Blick, der mir spä­ter wie­der in den Sinn kam. »Die Kell­ner hor­chen aber so­wie­so schon, des­halb er­zäh­le ich dir das üb­ri­ge ein an­der­mal. Du weißt ver­mut­lich, was mich so rasch zu­rück­brach­te?«

»War dei­ne Kur denn nicht be­en­det?«

»Es fehl­ten noch vol­le drei Tage, und ich hat­te den Ge­nuss ei­ner grim­mi­gen Aus­ein­an­der­set­zung mit dem al­ten Heuch­ler, um mei­ne über­stürz­te Abrei­se zu recht­fer­ti­gen. Wenn aber Ted­dy Gar­land nicht noch in elf­ter Stun­de zu der er­wähl­ten Mann­schaft der Blau­en von Cam­bridge ge­sellt wor­den wäre, so säße ich noch in Karls­bad.«

E. M. Gar­land ge­hör­te zu den Wäch­tern der Ball­stä­be des Kricket­klubs von Cam­bridge und war ei­ner der jun­gen Spie­ler, die Raffles zu großem Dank ver­pflich­tet wa­ren. Sie wa­ren ein­an­der auf dem Lan­de bei ge­mein­sa­men Be­kann­ten nä­her ge­tre­ten, spiel­ten in der Stadt auf der­sel­ben Par­tei, und im Hau­se des al­ten Gar­land wur­de Raffles stän­di­ger Gast. Ich fürch­te, ich heg­te ein lei­ses Vor­ur­teil so­wohl ge­gen den Va­ter, einen ehe­ma­li­gen Brau­er, den ich nie ken­nen lern­te, wie ge­gen den Sohn, mit dem ich ein oder zwei­mal im Al­ba­ny zu­sam­men­ge­trof­fen war. Und doch konn­te ich die Sym­pa­thie zwi­schen ihm, dem sehr viel Jün­ge­ren, und Raffles ver­ste­hen; er war in man­chen Din­gen noch fast kna­ben­haft, schi­en aber, wie so man­che mit der glei­chen Uni­ver­si­täts­er­zie­hung, eine Welt­kennt­nis über sei­ne Jah­re hin­aus zu be­sit­zen und hat­te da­ne­ben einen ur­sprüng­li­chen Reiz und eine Fri­sche, die we­der Wis­sen noch Er­fah­rung merk­lich be­ein­träch­ti­gen konn­ten. Und doch hat­te ich ihn im Ver­dacht, dass er sich die Hör­ner schon kräf­tig ab­ge­lau­fen habe und dass es Raffles ge­we­sen, der sich sei­ner an­ge­nom­men und ihn zu dem Ma­te­ri­al her­an­ge­zo­gen hat­te, aus dem die Blau­en ge­wählt wer­den. Über­dies wuss­te ich, dass es für einen jun­gen Mann kei­nen ehr­li­che­ren Freund und treue­ren Be­ra­ter ge­ben konn­te als Raffles, und vie­le wer­den mir im Her­zen recht ge­ben; aber sie kann­ten ih­ren Raffles nicht, wie ich ihn kann­te, und wenn sie be­haup­ten, das sei ge­ra­de der Grund, wes­halb sie so viel von ihm hiel­ten, so mö­gen sie nur Ge­duld ha­ben, und sie wer­den et­was zu hö­ren be­kom­men, das sie nicht ge­rin­ger von ihm den­ken lässt.

»Ich konn­te den ar­men Ted­dy nicht bei Lords spie­len las­sen«, er­klär­te mir Raffles, »wenn ich nicht da­bei war, um ihn an­zu­feu­ern. Wie du weißt, habe ich ihn al­ler­lei ge­lehrt, als wir im letz­ten Au­gust häu­fi­ger zu­sam­men spiel­ten. Ich neh­me ein wahr­haft vä­ter­li­ches In­ter­es­se an dem Jun­gen.«

»Du hast viel Gu­tes an ihm ge­tan«, warf ich ein, »in mehr als ei­ner Be­zie­hung.«

Raffles blick­te fra­gend von der Rech­nung auf. Ich sah wohl, dass mei­ne Be­mer­kung ihm nicht recht war, doch nahm ich sie nicht zu­rück.

»Nun, wenn du mich fragst: ich glau­be, du hast man­ches für ihn ver­mit­telt und ge­ord­net.«

»Ich habe dich gar nicht ge­fragt, Bun­ny«, sag­te Raffles, und ich be­ob­ach­te­te, wie er dem Kell­ner ein Trink­geld hin­schob, ohne dass ei­nem von bei­den das un­pas­send er­schie­nen wäre.

»Du hast mir doch selbst eine Men­ge über den Jun­gen er­zählt«, sag­te ich, wäh­rend wir die Mar­mor­trep­pe hin­ab­stie­gen. »Ein­mal hör­te ich zum Bei­spiel von dir, dass er einen Hau­fen Schul­den hät­te.«

»Das fürch­te­te ich«, ant­wor­te­te Raffles of­fen, »und un­ter uns ge­sagt, ich bot ihm an, ihn zu ar­ran­gie­ren, be­vor ich nach dem Kon­ti­nent reis­te. Aber Ted­dy woll­te nichts da­von hö­ren, sein hei­ßes, jun­ges Blut koch­te bei der Zu­mu­tung, und es war ge­ra­de­zu ent­zückend, wie er mich ab­lau­fen ließ. Zieh also kei­ne häss­li­chen Schlüs­se, Bun­ny, son­dern komm mit ins Al­ba­ny zu ei­nem Whis­ky.«

So lie­ßen wir uns denn in der Hal­le uns­re Hüte und Rö­cke aus­hän­di­gen, zün­de­ten uns­re Zi­ga­ret­ten an, und schrit­ten stolz wie die Be­sit­zer die­ses Palas­tes hin­aus.

»Das ist ent­schie­den der bes­te Grill in ganz Eu­ro­pa«, sag­te ich, um auf ein andres The­ma zu kom­men, und völ­lig zu­frie­den mit mir und der Welt.

»Da­rum gin­gen wir ja hin, Bun­ny.«

»Mich wun­dert nur, wenn du dort Mit­glied bist, dass du dem Kell­ner ein Trink­geld gibst und auch eine Mar­ke für dei­ne Gar­de­ro­be er­hältst.«

Es über­rasch­te mich nicht, dass Raffles sein Klub­lo­kal ver­tei­dig­te.

»Ich wür­de an dei­ner Stel­le noch einen Schritt wei­ter ge­hen und je­den Be­su­cher sei­ne Mit­glieds­kar­te vor­wei­sen las­sen«, sag­te er la­chend.

»Der Por­tier kennt die Mit­glie­der doch si­cher von An­se­hen.«

»Ach, kei­nes­wegs; dazu gibt es zu viel Tau­sen­de.«

»Ich dach­te, das sei sei­ne Pf­licht.«

»Ich weiß aber, dass er sie nicht kennt.«

»Du musst es ja wis­sen, da du selbst Mit­glied bist.«

»Im Ge­gen­teil, bes­ter Bun­ny, ich weiß es so ge­nau, weil ich nie­mals Mit­glied war.«

Zweites Kapitel. Ertappt

Wie lach­ten wir, als wir Whi­te­hall ent­lang schrit­ten! Ich ahn­te, dass ich mit Raffles auf ei­nem Holz­weg ge­we­sen war, und das er­höh­te mei­ne Freu­de. Er war noch der alte tol­le, lus­ti­ge Spitz­bu­be, und nur durch die un­heim­li­che Macht sei­ner er­staun­li­chen Wil­lens­kraft war es ihm ge­lun­gen, auf dem Bahn­hof einen so elen­den und jam­mer­vol­len Ein­druck her­vor­zu­ru­fen. In dem La­ter­nen­licht der Lon­do­ner Stra­ßen und un­ter dem thea­ter­blau­en Ster­nen­him­mel sah er jetzt schon wie ein and­rer Mensch aus. Wenn durch ei­ni­ge Glä­ser bit­tern Bie­res und ein paar Bis­sen Fi­lets­teak solch eine Ver­än­de­rung er­reicht wer­den konn­te, so war ich für mein fer­ne­res Le­ben ein Freund al­ler Bier­brau­er und er­klär­ter Feind al­ler Ve­ge­ta­ria­ner.

Un­ter der glän­zen­den Lau­ne ent­deck­te ich bei ihm doch tie­fen Ernst, be­son­ders als er wie­der von Ted­dy Gar­land an­fing und mir er­zähl­te, dass er auch ihm von Karls­bad aus te­le­gra­fiert habe. Mit ei­nem ganz lei­sen schimpf­li­chen Stich im Her­zen fühl­te ich die ver­wun­der­te Fra­ge in mir auf­stei­gen, ob der Ver­kehr mit die­sem eh­ren­wer­ten Jüng­ling in Raffles wohl Ge­wis­sens­bis­se über sei­ne Mis­se­ta­ten ge­weckt hat­te, die ich nur zu oft in ihm wach­zu­ru­fen ver­sucht hat­te, ohne da­mit Er­folg zu ha­ben.

Trotz uns­res kur­z­en Über­mu­tes ka­men wir jetzt be­son­nen und nach­denk­lich im Al­ba­ny an und grü­bel­ten wirk­lich ein­mal über nichts Bö­sem in un­serm sonst ge­setz­wid­ri­gen Le­ben.

Im Hof fan­den wir un­sern al­ten Freund Bar­raclough, den Por­tier, der uns freu­dig will­kom­men hieß.

»Oben ist ein Herr, der ein paar Wor­te für Sie auf­schrei­ben woll­te«, sag­te er zu Raffles, »es ist Herr Gar­land, des­halb führ­te ich ihn hin­auf.«

»Ted­dy«, rief Raffles und nahm zwei Stu­fen auf ein­mal.

Ich folg­te lang­sa­mer. In mir brann­te nicht ge­ra­de Ei­fer­sucht, doch fühl­te ich Be­den­ken die­ser neu­ge­ba­cke­nen Freund­schaft ge­gen­über. Ich folg­te also mit dem Ge­fühl, dass für mich der Abend ver­dor­ben sei – und weiß der Him­mel, dies Ge­fühl hat­te mich nicht be­tro­gen! Bis an mein Le­bens­en­de ver­ges­se ich den An­blick nicht, der sich mir in den wohl­be­kann­ten Räu­men bot. Ich sehe das Bild noch jetzt mit al­len Ein­zel­hei­ten vor mei­nem in­nern Auge.

Raffles hat­te die Tür so laut­los, wie nur er es konn­te, ge­öff­net, mit dem kna­ben­haf­ten Wunsch, den an­de­ren zu er­schre­cken; und na­tür­lich war Gar­land von dem Schreib­tisch, an dem er saß, in die Höhe ge­fah­ren, als plötz­lich dicht hin­ter ihm sein Name ge­nannt wur­de. Das war sei­ne letz­te na­tür­li­che Be­we­gung. Er mach­te nicht einen Schritt, um Raffles’ aus­ge­streck­te Hand zu er­grei­fen, und auf dem fri­schen, jun­gen Ge­sicht mit den nuss­brau­nen Au­gen und der ge­sun­den brau­nen Haut­far­be er­schi­en auch nicht der lei­ses­te Schim­mer von Freu­de über das Wie­der­se­hen. Un­ter un­sern Bli­cken wich so­gar je­der Bluts­trop­fen aus dem ju­gend­li­chen Ant­litz, das sich lang­sam mit krank­haf­ter Bläs­se über­zog. Ted­dy Gar­land stand wie fest­ge­na­gelt an dem Schreib­tisch, an des­sen Plat­te er sich mit al­ler Kraft an­klam­mer­te. Ich sehe noch sei­ne Knö­chel, die sich wie El­fen­bein von dem brau­nen Han­drücken ab­ho­ben.

»Was gib­t’s, was ver­steckst du denn da?« frag­te Raffles.

Warm hat­te die Lie­be sei­ne ers­te An­re­de durch­klun­gen; auch sei­ne ver­wun­der­te Fra­ge klang noch scher­zend und freund­lich, doch die Hal­tung des jun­gen Man­nes ver­än­der­te sich nicht.

Wäh­rend der Zeit war ich in un­be­stimm­tem Ent­set­zen auf der Schwel­le fest­ge­wur­zelt ste­hen ge­blie­ben. Jetzt wink­te mir Raffles und mach­te mehr Licht; es be­leuch­te­te ein geis­ter­haf­tes, schul­di­ges Ant­litz, das aber trotz­dem tap­fer der hel­len Licht­flut stand­hielt. Raffles ver­schloss die Tür hin­ter mir, steck­te den Schlüs­sel in die Ta­sche und trat auf den Schreib­tisch zu.

Es ist un­nö­tig, ihre ers­ten ge­stot­ter­ten Wor­te zu wie­der­ho­len; Gar­land schrieb näm­lich kei­nen Brief, son­dern einen Scheck, den er mit großer Mühe und Sorg­falt in Raffles’ Scheck­buch von ei­nem al­ten Scheck aus dem Aus­ga­ben­buch ko­pier­te, das in brau­nes Le­der ge­bun­den, in gol­de­nen Let­tern den Na­mens­zug A. J. Raffles trug. Raffles hat­te sich erst im Lau­fe die­ses Jah­res auf der Bank ein Kon­to er­öff­nen las­sen, und ich er­in­ner­te mich noch, wie er la­chend sag­te, es fal­le ihm nicht ein, sich an die Vor­schrif­ten auf dem Scheck­buch zu hal­ten; er wol­le es im­mer frei her­um­lie­gen las­sen, da­mit alle Welt wis­se, dass er ein Bank­kon­to habe. Und nun war dies das Re­sul­tat. Der ers­te Blick muss­te den jun­gen Mann ver­bre­che­ri­scher Ab­sicht über­füh­ren, denn auf dem Schreib­tisch lag ein mit dem ver­suchs­wei­se ge­schrie­be­nen Na­mens­zug über und über be­deck­ter Brief­bo­gen. Und doch sah Raffles mit tie­fem Mit­leid auf den Jüng­ling, der trot­zig den Blick er­wi­der­te.

»Mein ar­mer klei­ner Kerl«, war al­les, was er sag­te.

Da­rauf fand auch die Zun­ge des Jün­ge­ren wie­der Wor­te. »Ruf doch gleich die Po­li­zei«, stieß er hei­ser her­vor; »was willst du mich noch quä­len?«

Ich muss­te mit Ge­walt an mich hal­ten, um nicht dem Bur­schen zu­zu­ru­fen, dass es nicht an ihm sei, hier Fra­gen zu stel­len. Raffles aber frag­te ihn nur in al­ler Ruhe, ob er mit der Ab­sicht her­ge­kom­men sei.

»Weiß Gott, nein, A. J. Ich kam her­auf, um dir ein paar Wor­te auf­zu­schrei­ben, das schwö­re ich dir«, rief Gar­land von plötz­li­chem Schluch­zen un­ter­bro­chen.

»Der Schwur ist un­nö­tig«, gab Raffles mit lei­sem Lä­cheln zu­rück. »Dein Wort ge­nügt mir voll­kom­men.«

»Das loh­ne dir Gott, nach­dem, was ich tat«, sag­te Gar­land ton­los und in schreck­li­cher Ver­fas­sung.

»Aber das liegt ja auf der Hand.«

»Wirk­lich? Bist du des­sen ganz si­cher? Und er­in­nerst du dich, dass du mir im letz­ten Mo­nat einen Scheck an­ge­bo­ten hast, den ich aus­schlug?«

»Aber na­tür­lich«, rief Raffles mit so un­ge­küns­tel­ter Herz­lich­keit, dass ich so­fort wuss­te, er hat­te seit dem Es­sen, wo er mir da­von er­zähl­te, nicht wie­der dar­an ge­dacht. Ich sah nur gar kei­nen Grund zu so auf­fäl­li­ger Er­leich­te­rung dar­in, durch­aus kei­ne mil­dern­den, son­dern viel eher er­schwe­ren­de Um­stän­de des Ver­ge­hens.

»Ich habe mei­ne da­ma­li­ge ab­schlä­gi­ge Ant­wort seit­dem, Tag für Tag, be­reut«, fuhr der jun­ge Gar­land schlicht fort. »Schon da­mals war es ver­kehrt ge­han­delt, aber ge­ra­de in die­ser Wo­che wur­de es für mich zum Ver­der­ben. Geld muss ich ha­ben un­ter al­len Um­stän­den; ich wer­de dir gleich sa­gen, wes­halb. Als ich ges­tern Abend dein Te­le­gramm in Hän­den hielt, war es mir, als sei mein er­bärm­li­ches Ge­bet er­hört wor­den. Ich hat­te heu­te früh zu je­mand ge­hen wol­len, ent­schloss mich nun aber, lie­ber auf dich zu war­ten. Du bist ja der ein­zi­ge, dem ich ganz ver­trau­en kann, und doch schlug ich dein groß­mü­ti­ges Aner­bie­ten vor vier Wo­chen ab. Du hat­test ge­schrie­ben, du wür­dest heu­te Abend zu­rück sein, aber als ich her­kam, warst du nicht da. Ich te­le­fo­nier­te und hör­te, dass der Zug zur rech­ten Zeit an­ge­kom­men sei, und dass vor mor­gen früh kei­ner mehr ein­trä­fe. Mor­gen ist der Ver­fall­tag und mor­gen ist auch das Kricket­match.« Er hielt inne, als er sah, was Raffles tat. »Nein, Raffles, ich ver­die­ne das nicht«, füg­te er in neu­er Verzweif­lung hin­zu.

Aber Raffles hat­te den Tan­ta­lus schon auf­ge­schlos­sen, in dem Eck­schrank einen Si­phon ge­fun­den und reich­te dem schul­di­gen Jüng­ling ein gel­bes Glas.

»Trink mal«, sag­te er, »oder ich höre dir nicht län­ger zu.«

»Ich wer­de völ­lig rui­niert sein, be­vor das Match be­ginnt. Ja, ganz be­stimmt«, be­harr­te der arme Bursch und wand­te sich zu mir, als Raffles den Kopf schüt­tel­te. »Das bricht mei­nem Va­ter das Herz und – und – –«

Ich glaub­te, er hät­te uns noch Schlim­me­res zu beich­ten, da er in sol­cher Verzweif­lung ab­brach; aber ent­we­der än­der­te er sei­nen Sinn oder der Lauf sei­ner Ge­dan­ken wich von selbst in eine and­re Bahn, denn als er wie­der sprach, war es, um uns eine wei­te­re Er­klä­rung sei­ner Hand­lungs­wei­se zu ge­ben.

»Ich kam nur her­auf, um Raffles ein paar Zei­len zu hin­ter­las­sen für den Fall, dass er noch recht­zei­tig zu­rück­käme«, sag­te er zu mir. »Der Por­tier brach­te mich selbst her­auf und führ­te mich an den Schreib­tisch. Er wird Ih­nen er­zäh­len, wie oft ich vor­her schon da­ge­we­sen bin. Und dann, Raffles, sah ich in dem klei­nen Fach dein Scheck­buch und da­ne­ben dein Aus­ga­ben­buch mit ei­ner Men­ge al­ter Schecks drin.«

»Und weil ich nicht da war, um dir einen aus­zu­stel­len, ta­test du es für mich«, rief Raffles. »Und mit vol­lem Recht.«

»Mach dich nicht über mich lus­tig«, rief der jun­ge Mann, bei dem jetzt die tie­fe Bläs­se ei­ner hei­ßen Röte wich. Er sah wie­der zu mir her­über, als ver­letz­te ihn mein erns­tes Ge­sicht we­ni­ger als die mut­wil­li­ge Teil­nah­me sei­nes Freun­des.

»Ich ma­che mich nicht lus­tig, Ted­dy«, er­wi­der­te Raffles freund­lich, »ich war so­gar nie im Le­ben erns­ter. Es war freund­schaft­lich von dir, in dei­ner Be­dräng­nis zu mir zu kom­men, aber dei­ne auf­rich­ti­ge Zu­nei­gung ge­bot dir, hin­ter mei­nem Rücken auf mich zu zie­hen, um mir den le­bens­lan­gen Vor­wurf zu er­spa­ren, dich durch mein Zusp­ät­kom­men rui­niert zu ha­ben. Du kannst den Kopf schüt­teln, so­viel du willst, ich blei­be da­bei, mir ist nie ein grö­ße­res Kom­pli­ment ge­macht wor­den.«

Und die­ser vollen­de­te Ge­wis­sens­ver­dre­her fuhr fort, sei­ne Ge­dan­ken wei­ter aus­zu­spin­nen, bis ein we­ni­ger un­glück­li­cher Sün­der sich viel­leicht über­zeugt ge­fühlt hät­te, dass er gar nichts wirk­lich Ehren­rüh­ri­ges ge­tan habe; der jun­ge Gar­land aber be­saß so viel An­stand, we­der selbst eine Ent­schul­di­gung vor­zu­brin­gen, noch sei­ne Hand­lungs­wei­se durch Raffles ent­schul­di­gen zu las­sen. Wohl nie habe ich einen Men­schen sich selbst schär­fer ver­ur­tei­len oder das Beich­ten ei­nes Fehl­tritts in här­te­ren Wor­ten ab­le­gen hö­ren; aber trotz­dem lag in sei­ner Reue et­was so Auf­rich­ti­ges und Ur­sprüng­li­ches, et­was, das Raffles und ich schon seit so lan­ger Zeit ein­ge­büßt hat­ten, dass uns sein tö­rich­ter Streich mehr zu Her­zen ging, als uns­re ei­ge­nen Ver­bre­chen. Ja, tö­richt ge­nug war er ge­we­sen, ei­gent­lich wohl gar ein Ver­bre­cher, wie er selbst sich nann­te. Es war die alte Ge­schich­te vom ver­lo­re­nen Sohn und dem all­zu gü­ti­gen Va­ter. Er hat­te, wie ich ver­mu­te­te, in tol­lem Saus und Braus ge­lebt, und erst Raffles’ Ein­fluss hat­te die­sem Trei­ben Ein­halt ge­tan; un­be­küm­mert hat­te er aber auch die größ­te Ver­schwen­dung ge­trie­ben, wo­von Raffles na­tür­lich nichts wuss­te, denn so ein jun­ger Tu­nicht­gut be­kennt sich wohl zu sei­nen tol­len Strei­chen, nicht aber zu sei­nen Dumm­hei­ten. Schließ­lich hat­te er die Groß­mut des Va­ters an­ge­ru­fen und muss­te da mit Ent­set­zen er­ken­nen, dass der Va­ter selbst in Geld­ver­le­gen­heit war.

»Was?« rief Raffles, »trotz die­ses Hau­ses?«

»Ich wuss­te, dass dich das über­ra­schen wür­de«, sag­te Ted­dy Gar­land. »Ich kann es auch kaum fas­sen; er sag­te mir nichts Nä­he­res, die Tat­sa­che ge­nügt ja auch voll­kom­men. Da­nach konn­te ich mei­nem Va­ter nicht al­les ein­ge­ste­hen. Er stell­te mir einen Scheck aus über die Sum­me, die ich ge­beich­tet hat­te, und ich sah wohl, wie schwer ihm das wur­de; da schwor ich mir, mich nie wie­der auch nur um einen Gro­schen an ihn zu wen­den, und den Schwur wer­de ich hal­ten.«

Der Jüng­ling nahm einen Schluck aus dem Gla­se, denn sei­ne Stim­me brach; dann zö­ger­te er noch einen Au­gen­blick mit sei­nem wei­tern Be­richt, um sich eine neue Zi­ga­ret­te an­zu­zün­den, da ihm die sei­ne zwi­schen den Fin­gern er­lo­schen war. Das jun­ge Ge­sicht mit der ge­run­zel­ten Stirn und dem zu­cken­den Mund war voll so tiefer Emp­fin­dung und maß­lo­ser Verzweif­lung, dass Raffles den Blick ab­wand­te, bis das Zünd­holz aus­ge­bla­sen war.

»Zu der Zeit tat ich das Schlimms­te, was ich tun konn­te«, fuhr Ted­dy fort. »Ich nahm mei­ne Zuf­lucht zu den Geld­ver­lei­hern, denn ich hat­te noch mehr Schul­den – Ehren­schul­den – die be­gli­chen wer­den muss­ten. Ich fing mit zwei- oder drei­hun­dert Pfund an, und ihr wisst viel­leicht, wie solch ein Schnee­ball wächst in den Hän­den die­ser Teu­fel; ich hat­te kei­ne Ah­nung da­von. Ich lieh mir drei­hun­dert und un­ter­schrieb einen Hand­wech­sel auf vier­hun­dert­sechs­und­fünf­zig.«

»Nur fünf­zig Pro­zent«, sag­te Raffles, »da kamst du bil­lig da­von, wenn die Pro­zen­te jähr­lich be­rech­net wa­ren.«

»War­te einen Au­gen­blick. Es soll­te so­gar noch ge­lin­der sein, denn die vier­hun­dert­sechs­und­fünf­zig soll­ten in mo­nat­li­chen Ra­ten von je zwan­zig Gold­füch­sen zu­rück­er­stat­tet wer­den; das hielt ich ge­wis­sen­haft inne, bis die sechs­te Zah­lung fäl­lig war. Das war gleich nach Weih­nach­ten, wo je­der knapp ist, und zum ers­ten Mal kam ich um einen oder zwei Tage zu spät – mehr wa­ren es nicht, ver­si­che­re ich dir; und was meinst du, was ge­sch­ah? Mein Scheck kam zu­rück, und der gan­ze ver­fluch­te Sal­do wur­de bar auf den Tisch des Hau­ses ver­langt.«

Raffles folg­te ge­spannt je­dem Wort mit der voll­kom­me­nen Kon­zen­tra­ti­on, die in sei­ner geis­ti­gen Aus­rüs­tung das Haupt­mo­ment be­deu­te­te. Kei­ne Mus­kel in sei­nem Ge­sicht be­weg­te sich, er war voll so eif­ri­ger Auf­merk­sam­keit wie nur je ein Rich­ter beim Ver­hör. Noch nie sah ich so klar vor mei­nem geis­ti­gen Auge, was für ein her­vor­ra­gen­der Mensch er ge­wor­den wäre, hät­te er nicht von Mut­ter Na­tur die­sen Spar­ren mit­be­kom­men, der ihn zu dem ge­macht hat­te, was er lei­der war.

»Der Hand­wech­sel lau­te­te auf vier­hun­dert­sechs­und­fünf­zig, und die­se plötz­li­che For­de­rung ging auf die gan­ze Sum­me, ab­ge­rech­net die hun­dert Pfund, die du be­reits be­zahlt hat­test?« frag­te er.

»Ja.«

»Und was ta­ten Sie?« frag­te ich, um zu be­wei­sen, dass ich im schnel­len Er­fas­sen der Sach­la­ge nicht hin­ter Raffles zu­rück­ste­he.

»Ich sag­te, sie soll­ten mei­ne Zah­lung an­neh­men und sich mit dem Rest zum Teu­fel sche­ren!«

»Und was ta­ten sie?«

»Lie­ßen die gan­ze Sa­che völ­lig fal­len bis zu eben die­ser Wo­che und da kom­men sie und ver­lan­gen – was glaubt ihr wohl?«

»Na, es wird nah an die tau­send sein«, sag­te Raffles nach kur­z­em Be­den­ken.

»Un­sinn!« rief ich.

Gar­land sah eben­falls sehr er­staunt aus. »Raffles kennt den Rum­mel«, sag­te er. »Sie­ben­hun­dert war die ge­gen­wär­ti­ge Sum­me. Ich brau­che dir wohl nicht erst zu sa­gen, dass ich den Hun­den ge­hö­rig aus dem Weg ge­gan­gen bin, seit dem Tag des ers­ten Pum­pes. Jetzt ging ich aber hin und woll­te ih­nen dies tüch­tig ein­trän­ken. Aber die Hälf­te der sie­ben­hun­dert ist für ver­ab­säum­te Zin­sen­zah­lung, denk nur, von An­fang Ja­nu­ar bis zum jet­zi­gen Da­tum.«

»Hat­test du dich da­mit ein­ver­stan­den er­klärt?«

»Nicht dass ich wüss­te; aber da stand es klar und deut­lich auf mei­nem Wech­sel. Ei­nen hal­b­en Pen­ny auf den Schil­ling die Wo­che, au­ßer den ur­sprüng­li­chen Zin­sen, wenn nicht pünkt­lich ge­zahlt wür­de.«

»War es auf den Wech­sel ge­druckt oder ge­schrie­ben?«

»Ge­druckt – klein ge­druckt na­tür­lich, das brauch’ ich wohl kaum ex­tra zu er­wäh­nen, doch groß ge­nug, dass ich es hät­te le­sen kön­nen – als ich den ver­fluch­ten Wisch un­ter­schrieb. Ich glau­be so­gar, dass ich es ge­le­sen habe, aber was ist denn ein hal­ber Pen­ny die Wo­che. Wer ahnt denn, dass sich das so auf­sum­men kann. Es stimmt aber, und der lan­gen Rede kur­z­er Sinn ist, dass, wenn ich nicht bis mor­gen zwölf Uhr ge­zahlt habe, mein al­ter Herr ge­fragt wird, ob er für mich zah­len oder mich vor sei­nen Au­gen bank­rott er­klärt se­hen will. Zwölf, ge­ra­de wenn das Match an­fängt; das wis­sen sie na­tür­lich und bau­en dar­auf. Noch die­sen Abend be­kam ich ein höchst un­ver­schäm­tes Ul­ti­ma­tum, bis da­hin sei mit töd­li­cher Si­cher­heit mein letz­ter Ter­min.«

»Und da kamst du zu mir?«

»Ich wäre auf je­den Fall ge­kom­men; jetzt wün­sche ich nur, ich hät­te mir eine Ku­gel durch den Kopf ge­jagt.«

»Mein lie­ber Jun­ge, du hast mich nur stolz ge­macht; lass uns den Sinn für gleich­mä­ßi­ges Ver­hält­nis nicht ver­lie­ren, Ted­dy.«

Der jun­ge Gar­land aber hat­te das Ge­sicht in den Hän­den ver­bor­gen und war wie­der so ge­bro­chen wie zu An­fang, als er uns sto­ckend die Ge­schich­te sei­ner Schan­de zu ent­hül­len be­gann. Die un­be­wuss­te Le­ben­dig­keit, mit der er sein Herz ent­las­te­te, und die häu­fig jun­gen­haft der­be Aus­drucks­wei­se, mit der sein Be­richt ge­schmückt war, ver­blass­te auf sei­nem An­ge­sicht und erstarb auf sei­nen Lip­pen. Wie­der war er nur eine See­le in den Qua­len der Verzweif­lung und Er­nied­ri­gung; in die­sem er­neu­ten Zu­sam­men­bruch er­schi­en er be­mit­lei­dens­wert, nicht ver­ächt­lich und noch we­ni­ger der Lie­be un­wür­dig. Jetzt er­kann­te ich die Ei­gen­schaf­ten, die ihm Raffles’ Herz ge­won­nen hat­ten. Es gibt eine an­ge­bo­re­ne Vor­nehm­heit, die nicht durch ein ein­ma­li­ges Hin­ab­stei­gen zum Une­deln zer­stört wer­den kann, eine so wirk­li­che Ehren­haf­tig­keit, viel zu hell und glän­zend, um durch eine zu­fäl­li­ge Schmach ver­dun­kelt zu wer­den; bei­de Ei­gen­schaf­ten blie­ben dem jun­gen Mann in den Au­gen der an­de­ren zwei, die eben jetzt den Ent­schluss fass­ten, ihm al­les das zu be­wah­ren und zu er­hal­ten, was sie selbst ver­lo­ren hat­ten. Mir kam von selbst die­ser Ge­dan­ke; und doch kann ich ihn auch von ei­nem Ge­sicht her­ge­lei­tet ha­ben, das au­gen­blick­lich leicht zu le­sen war, ei­nem schön ge­schnit­te­nen Ge­sicht, das mei­nes Wis­sens noch nie zu glei­cher Zeit so fest und so mild im Aus­druck ge­we­sen war wie jetzt.

»Was tun wir mit die­sen Geld­leu­ten?« frag­te Raffles schließ­lich.

»Es han­delt sich im Grun­de nur um einen.«

»Sol­len wir sei­nen Na­men ra­ten?«

»Nein, ich will ihn gern nen­nen. Es ist Dan Levy.«

»Na­tür­lich!« rief Raffles und nick­te mir zu. »Un­ser ge­lieb­ter Shy­lock in vol­ler Glo­rie.«

»Du kennst ihn doch nicht etwa?« frag­te Ted­dy und hob plötz­lich den Kopf.

»Ich könn­te fast sa­gen, ich ken­ne ihn ge­nau; in Wahr­heit aber traf ich ihn erst auf der Rei­se.«

Jetzt stand Ted­dy wie­der auf den Fü­ßen. »Aber kennst du ihn gut ge­nug, um –«

»Na­tür­lich. Ich ma­che ihm mor­gen früh mei­nen Be­such. Ich muss dann aber die Quit­tun­gen ha­ben von den ver­schie­de­nen Zah­lun­gen, die du ge­leis­tet hast, und viel­leicht auch den Brief, in dem er dir mor­gen Mit­tag als letz­ten Ter­min an­gibt.«

»Hier ist al­les«, sag­te Gar­land und zog ein dickes Ku­vert her­vor. »Ich gehe aber na­tür­lich mit dir –«

»Du denkst gar nicht dar­an! Ich will nicht, dass du dir um die­sen al­ten Gro­bi­an die Au­gen für das Match verdirbst, auch las­se ich dich nicht die gan­ze Nacht hier her­um­sit­zen. Wo bist du ab­ge­stie­gen?«

»Noch nir­gends. Ich ließ mei­ne Sa­chen im Klub. Ich woll­te zu Fuß nach Haus ge­hen, wenn ich dich früh ge­nug ge­trof­fen hät­te.«

»Bra­ver Bursch! Du bleibst hier.«

»Aber, al­ter Freund, wie kann ich das!« rief Ted­dy dank­er­füllt.

»Mein Jun­ge, mich küm­mert es gar nicht, ob du kannst oder nicht. Du bleibst hier, und zwar ver­fügst du dich so­fort ins Bett. Ich kann dir mit al­lem aus­hel­fen, was du brauchst, und Bar­raclough kann dir dei­ne Sa­chen ho­len, noch ehe du auf­wachst.«

»Du hast doch gar kein zwei­tes Bett, Raffles.«

»Du be­kommst das mei­ne. Ich gehe doch sehr sel­ten ins Bett, was, Bun­ny?«

»Ich hab’ dich sel­ten dar­in ge­fun­den.«

»Du bist aber doch die gan­ze vo­ri­ge Nacht ge­reist?«

»Und den Tag dazu, glatt durch bis zum Abend, und im Zug schla­fe ich fast die gan­ze Zeit«, sag­te Raffles. »Heu­te habe ich den gan­zen Tag über kaum mal die Au­gen auf­ge­macht; wenn ich mich jetzt hin­le­gen woll­te, könn­te ich nicht ein­mal ein­ni­cken.«

»Nun, ich kann es auch nicht«, sag­te Gar­land hoff­nungs­los. »Ich habe das Schla­fen ganz ver­lernt.«

»Wart, bis ich es dich leh­re«, sag­te Raffles, ging in das in­ne­re Zim­mer und mach­te dort Licht.

»Ich bin ganz au­ßer mir über mich selbst«, flüs­ter­te mir der jun­ge Gar­land zu, als sei­en wir nun ganz alte Freun­de.

»Sie tun mir sehr leid«, sag­te ich herz­lich, »ich ken­ne das Ge­fühl.«

Gar­land starr­te noch vor sich hin, als Raffles mit ei­nem win­zi­gen Fläsch­chen zu­rück­kam und klei­ne run­de schwar­ze Din­ger­chen aus dem­sel­ben in sei­ne lin­ke Hand schüt­tel­te.

»Rei­ne Bett­wä­sche für dich, Ted­dy, sieht sehr ein­la­dend aus«, sag­te er. »Nimm nur noch zwei von die­sen und einen Trop­fen Whis­ky und du schläfst in zehn Mi­nu­ten.«

»Was ist das?«

»Som­nol. Das Neues­te, was es gibt, und zu­gleich das Al­ler­bes­te.«

»Be­kom­me ich aber nicht einen schreck­lich schwe­ren Kopf da­von?«

»Nicht im ge­rings­ten. Zehn Mi­nu­ten nach dem Er­wa­chen bist du frisch wie ein Fisch im Was­ser. Und vor elf brauchst du mor­gen früh ja nicht fort, denn du hast doch nicht nö­tig, erst ein paar Pro­be­schlä­ge zu ma­chen, nicht wahr?«

»Ei­gent­lich soll­te ich’s wohl«, sag­te Ted­dy ernst­haft.

Aber Raffles lach­te ihn aus.

Und ehe er noch recht wuss­te, wie ihm ge­sch­ah, hat­te Raffles ihm schon das Schlaf­mit­tel ver­ab­reicht; im nächs­ten Au­gen­blick drück­te er mir zum Ab­schied die Hand, und bald dar­auf ging Raffles zu ihm hin­ein, um das Licht aus­zu­lö­schen. Er blieb eine gan­ze Wei­le, und ich er­in­ne­re mich, dass ich mich zum Fens­ter hin­aus­lehn­te, um von ih­rem Ge­spräch nichts zu hö­ren. Die Nacht war ein­zig schön und die Ster­nen­de­cke über dem Hof des Al­ba­ny kaum we­ni­ger blau, als wir, Raffles und ich, vor ein paar Stun­den heim­ka­men. Von Pic­ca­dil­ly schall­te der lär­men­de Ver­kehr so deut­lich her­über wie in ei­ner frost­kla­ren Win­ter­nacht, und der nächs­te Tag bei Lords muss­te strah­lend schön wer­den. Ich möch­te wohl wis­sen, ob je ein Mann das Uni­ver­si­täts­match mit ei­ner sol­chen Last auf der See­le, wie E.M. Gar­land sie jetzt in dem er­zwun­ge­nen Schlum­mer ver­ges­sen soll­te, ge­spielt hat, aber auch, ob je eine schwer­be­las­te­te See­le auf zwei sol­che Beicht­brü­der wie Raffles und mich ge­sto­ßen ist!

Drittes Kapitel. Kriegsrat

Raffles summ­te die Me­lo­die ir­gend­ei­nes aus­er­le­se­nen Lie­des, das ich nicht kann­te, vor sich hin, als ich mich von der wun­der­vol­len Nacht ab­kehr­te und den Kopf wie­der ins Zim­mer her­ein­zog. Die Flü­gel­tü­ren wa­ren ge­schlos­sen, und die Stand­uhr auf der einen Sei­te zeig­te fast Mit­ter­nacht. Raffles moch­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­