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Gabriela Milli Otto

ALLES NESTROY

Eine Komödie über die Irrungen und Wirrungen des Lebens und der Liebe

© 2018 Gabriela Milli Otto

Autorin: Gabriela Milli Otto

Verlag: myMorawa von Morawa Lesezirkel

ISBN: 978-3-99070-447-9(Paperback)

ISBN: 978-3-99070-448-6(Hardcover)

ISBN: 978-3-99070-511-7(e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Für Dich

Man grinset immer,

wenn man neue Bekanntschaften macht.

Johann Nepomuk Nestroy

TEIL 1

 

Und ich denke mir, irgendwie lustig.

Zwei Jahre, ein Monat und drei Tage davor.

Ich weiß noch genau, wie mich meine Sekretärin gefragt hat, warum ich keinen Manager heirate, die verdienen doch eindeutig besser als Politiker. Da musste ich aber wirklich energisch widersprechen, denn man kann auch als Politiker sehr gut abkassieren, dazu braucht es auch nicht viel; also ein paar sehr gute Freunde in Spitzenpositionen und ein Konto in der Schweiz würden da schon reichen, und für später eventuell einen Top Anwalt. Aber ob man den einmal braucht oder nicht … da ist jetzt wiederum der Steuerberater wichtig, und bei diesem soll man wirklich nicht geizen, auch wenn der im Monat, sagen wir einmal 10.000 Euro, für seine Dienste verlangt, da kann man schon einiges dabei sparen, oft sogar Millionen, und das eventuell auch im Monat.

Und so hab ich halt Anton geehelicht. Jetzt nicht wegen des Kontos in der Schweiz … also nicht nur.

Kennengelernt habe ich meinen Mann vor 15 Jahren bei einem Empfang. Anton war damals noch Landesgeschäftsführer und hielt die Eröffnungsrede, ich war als Journalistin ebenfalls beruflich eingeladen. Anton stand am Pult und hielt souverän seine Ansprache – er war sich seiner Wirkung bewusst und setzte sie gekonnt ein. Nicht nur die Frauen hingen wie Trauben an seinen Lippen. Er ist aber auch eine Erscheinung und strahlt diese besondere Mischung aus Macht und Vertrauen aus, die nur wenigen Menschen eigen ist. Für meine Reportage benötigte ich ein kurzes Statement von ihm, wobei „kurz“ und „Politiker“ einen heftigen Widerspruch darstellen. Es war Abneigung auf den ersten Blick, für mich zumindest, deshalb lehnte ich seine erste Einladung zum Essen dankend ab. Knappe zwei Monate später sahen wir einander wieder. Mein wichtigster Kunde feierte Firmenjubiläum. Es handelte sich um eine jener üblichen langweiligen Veranstaltungen mit Reden, Sekt und Brötchen. Als ich grade überlegte, ob wohl die Ansprachen zäher waren als die Brötchen, sprach mich Anton an.

„Frau Klein, wie schön Sie wiederzusehen, ist das Vergnügen Ihrerseits privat oder geschäftlich? Halt, sagen Sie nichts. Eine Frau wie Sie ist immer im Dienste der Wirtschaft unterwegs.“

Dabei kam er sich sicher auch noch originell vor. Mir blieb nichts anderes übrig, als höflich zu sein, und so lächelte ich zurück und antwortete ganz charmant.

„Und Sie selbst? Brötchenjagd oder Stimmenfang?“

Da lachte er aus vollem Herzen, und dieser Heiterkeitsausbruch ging mir durch und durch, ja es trieb mir sogar einen leichten Schauer über den Körper. Und noch mehr: Es raubte mir beinahe dem Atem.

Das Eis war gebrochen und Anton bat mich daher ein zweites Mal um ein Treffen. Und dieses Mal konnte ich nicht widerstehen, denn es handelte sich um eine Nestroy-Premiere im Schloss Rosenstain.

Wir vereinbarten, uns vor dem Schlosseingang zu treffen. Männer die mir noch fremd waren durften mich nie abholen, ich bevorzugte es mit dem eigenen Auto anzureisen; so war ich unabhängig und konnte jederzeit die Heimfahrt antreten, ein Synonym für „die Flucht ergreifen“.

Als ich die letzten Schritte durch das vor dem Prunkbau liegende Rosarium marschierte, sah ich ihn, wie er sich erwartungsvoll umsah. Sein blondes Haar war an den Schläfen schon leicht ergraut, und seine blauen Augen stachen durch die Menge. Sie machten mir am Anfang etwas Angst, denn oft sprang seinem Gegenüber eisige Kälte aus ihnen entgegen, gepaart mit einer Portion überlegener Macht.

Ich hielt kurz inne, um den Mann näher zu betrachten. Sein dunkelgrauer Anzug schien sehr teuer zu sein, ebenso das rosa Hemd und die graurosa Krawatte. Anton ist ein großer Mann, mit seinen 1,95 Meter überragte er die Menschen um ihn, was er sichtlich genoss. Da sah er mich und kam mir lächelnd entgegengeschritten. Sein Blick glitt von meinem roten, langen, lockigen Haar über das weißgoldene Sommerkleid bis zu den weißen High Heels mit den zarten Bändchen um meine Fesseln, und ihm gefiel offenbar was er sah. Er nahm meine Hand und deutete einen galanten Handkuss an.

„Frau Klein, ich bin stolz darauf, mit der schönsten Frau des heutigen Abends ein Rendezvous zu haben. Sie übertreffen meine Erwartungen bei weitem.“ Bei diesen Worten grinste er mich an, doch da es sich bei ihm nicht nur um einen Mann, sondern vor allem um einen Politiker handelt, nahm ich ihn nicht ganz ernst. Welcher halbwegs zurechnungsfähige Mensch tut das schon?

„Guten Abend, Herr Riegler, wollen Sie einen schönen Abend mit mir genießen, oder mich von Ihrer Partei überzeugen?“, fragte ich forsch und zwinkerte ihm zu.

Er lachte, legte besitzergreifend seinen linken Arm um meine Schulter und führte mich zu der Loge, die er für uns reserviert hatte. Solche Plätze konnte ich mir damals noch nicht leisten, war daher umso mehr beeindruckt und sogar überwältigt. In der Pause wurde uns Champagner serviert, dazu kleine Häppchen für den Appetit. Anton war sehr gesprächig und witzig. Er konnte aber auch gut zuhören, was mich sehr erstaunte, denn Politiker sind Menschen die sich selbst gerne reden hören und dies auch mit Überzeugung tun – und nicht nur mit Überzeugung, sondern auch noch mit Begeisterung und vor allem in dem Glauben, sie meinen was sie sagen, und meinen, dass die Wähler, alles glauben, was sie sagen. Aber Anton lauschte aufmerksam meinen Worten, vor allem mein Beruf schien ihn zu interessieren.

Nach der Vorstellung gingen wir durch den erleuchteten Park und plauderten munter weiter. Mein Begleiter war ganz Kavalier und brachte mich zu meinem Auto, zur Verabschiedung gab es wieder den obligaten Handkuss. Sein Verhalten gefiel mir; Männer die gleich beim ersten Treffen aufdringlich wurden waren mir zuwider, die hatten keine Chance auf ein weiteres Wiedersehen, also die meisten davon jedenfalls.

Als ich schon im Auto saß und mich wunderte, dass mich mein Begleiter um kein weiteres Treffen oder wenigstens meine Telefonnummer gebeten hatte, sagte er leise: „Ich hoffe, der heutige Abend war zu Ihrer Zufriedenheit Paula, und Sie geben mir Gelegenheit, Sie schon recht bald wiederzusehen. Das würde mich jedenfalls sehr freuen.“ Dabei sah er mich etwas unsicher an – eine völlig fremde Seite an ihm. Dass Anton allerdings auch sehr gut schauspielern konnte, fand ich erst später heraus. Das hätte ich mir aber denken können bei einem Mann, der Politiker von Beruf war.

„Sie wissen, wo ich zu finden bin, unsere Firma steht in jedem Telefonbuch“, antwortete ich mit einem Augenzwinkern und fuhr davon.

Als ich am nächsten Tag ins Büro kam, lag auf meinem Schreibtisch ein Zettel, auf dem stand: Herr Anton Riegler hat um 8.10 Uhr angerufen und meldet sich im Laufe des Vormittags wieder bei Dir.

Ein weiteres privates Treffen ermöglichte sein Terminkalender dann doch nicht, denn die Landtagswahl stand bevor. Aber er lud mich auf ein Fest zum Wahlkampfauftakt ein. Und obwohl er mich im Vorhinein informierte, erst bei Ende der Veranstaltung Zeit für mich zu haben, nahm ich gerne an und willigte sogar ein, mich von Antons Chauffeur abholen zu lassen.

Bislang hatte ich nur mit Leuten aus der Wirtschaft zu tun gehabt, daher war ich neugierig, wie es bei politischen Events zugeht. Es wurden über 5.000 Menschen, oder besser gesagt Untertanen, erwartet, daher fand ich es durchaus angenehm, mich mit dem Fahrzeug bis vor die Türe bringen zu lassen und nicht Parkplatz suchen zu müssen.

Anton hatte nicht übertrieben, das Kongress-Center war randvoll mit fröhlich lachenden und plaudernden Personen. Da ich bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Parteifreunde kannte, sofern man im Zusammenhang mit einer politischen Zugehörigkeit im Umgang mit Gleichgesinnten überhaupt von Freunden sprechen kann, kam ich mir sehr fremd und verlassen vor. Doch Anton hatte vorgesorgt und mir einen Platz neben dem Kamerateam zugedacht. Von der Mitte der Galerie aus genoss ich einen wunderbaren Blick über den Saal und das mir dargebotene Spektakel. Alles war in den Landesfarben grün und rot geschmückt, selbst die Kleidung der Menschen, die ausgelassen mit Wappenwimpeln winkten – die Stimmung in der Halle glich der eines Fußballspiels.

Auf einmal wurde es dunkel und Musik setzte ein. Lautstark ertönte die „Eroberung des Paradieses“ von Vangelis, und die Lichter zuckten rhythmisch im Takt in grün und rot, ähnlich dem Farbspiel einer durchgeknallten Ampel. Noch nie hatte ich so etwas erlebt, es war faszinierend und skurril zugleich. Durch die johlende Menge schob sich ein Tross von Leuten, angeführt von Landeshauptmann Hugo Platt – wenn man dessen Nachnamen ein bisschen salopper und hinten weicher aussprach, hatte man auch gleich die Beschreibung seiner Figur. Hände wurden ihm von allen Seiten zum Gruß dargeboten, hinter ihm schritten die stolzen, und nicht zu vergessen wichtigen, Landesräte. Ja, und dann kam auch noch Anton. Ich machte mir noch nie viel aus Politik und dachte während des Spektakels nur lakonisch: Was gibt es da noch zu erobern, das ganze Land liegt ihm ohnehin zu Füßen.

Im ganzen Saal waren Monitore angebracht, sodass jeder Besucher den Einzug mitverfolgen konnte. Meine Aufmerksamkeit galt natürlich dem Mann, der mich eingeladen hatte; sein Gesichtsausdruck verriet, er wollte mehr als nur Landesgeschäftsführer sein.

Nachdem alle Reden beendet waren und der gemütliche Teil folgte, holte mich Anton ab und stellte mich einigen seiner Parteifreunde vor. Ich amüsierte mich wider Erwarten sehr gut. Neue Leute kennenlernen fällt mir dank meines Berufs sehr leicht, und nette Menschen gibt es auch in der Politik. Gut, nicht viele, aber doch ein paar wenige.

Weit nach Mitternacht brachte mich Anton nach Hause, dieses Mal gab er mir einen Abschiedskuss auf die Wange, und wir verabredeten uns fürs kommende Wochenende. Wir sollten an diesem Tag die Innenministerin zu einem wichtigen Termin begleiten. Dazu nur so viel: Wenn sie diese Stunden im Bett geblieben wäre, sie hätte absolut nichts versäumt. Für mich galt Selbiges.

So vergingen die Tage und Wochen, und ich lernte jede Menge interessante und uninteressante Personen kennen, bis Anton und ich endlich alleine etwas unternehmen konnten. Dass dieses Leben unseren Alttag bestimmen würde, war mir von Anfang an bewusst, es hat mich danach all die Jahre auch nie gestört. Die meisten Leute mochte ich gerne, nutzte die Kontakte auch für mein Geschäft und hatte damit großen Erfolg.

Und jetzt wohnen wir seit kurzem endlich in Rosenstain, in der Stadt, die ich seit meiner Kindheit liebe. Gut, die Bevölkerung befindet sich altersmäßig im letzten Drittel, was den Vorteil hat, dass ich hier ganz lange zu den jüngsten Einwohnerinnen zähle.

Geschafft, die letzten Schuhe sind verstaut, und ich merke, der neue Schrank bietet noch genügend Platz für einige Exemplare mehr, und das wiederum macht mich sehr zuversichtlich. Glücklich und müde gehe ich durch unser soeben bezogenes Heim und betrachte liebevoll die kostspielige Einrichtung. Anton und ich haben jahrelang geschuftet und gespart, um uns diesen Traum zu ermöglichen, genaugenommen hat Anton geschuftet und ich – hin und wieder zumindest – gespart, aber wen interessierte das schon.

Gespannt und mit Neugier blicke ich meiner Zukunft entgegen, ich werde wieder Zeit haben, um meine Freunde zu treffen, Theateraufführungen zu besuchen – meine große Leidenschaft gehört ja Nestroy – und mich ganz generell wieder den schönen Dingen des Lebens zu widmen.

Dieser Luxus kam, ebenso wie unsere Beziehung, die letzten Jahre zu kurz. Anton und ich waren nur mit unseren Berufen beschäftigt, darunter litt das gesamte Privatleben inklusive unserer Zweisamkeit. Doch die ganzen Entbehrungen und unser Einsatz haben sich gelohnt, denn mit nur 43 habe ich es weit gebracht. Ich besitze einen gut gehenden Verlag in einem wunderschönen Altbaubüro im Zentrum meiner neuen Heimatstadt Rosenstain, das nur zehn Minuten Fußweg von unserem neuen Zuhause entfernt ist. Anton ist mit ganzem Herzen Politiker. Vom Referenten, Ministersekretär über Kabinettchef schaffte er es bei der letzten Wahl zum Landesrat, und zusätzlich, ganz wichtig für ihn, zum Landeshauptmannstellvertreter.

Für kommenden Freitag habe ich wieder Karten für eine Nestroy-Premiere auf Schloss Rosenstain. Dieses Mal gehe ich alleine zu der Vorstellung, mein Mann hat keine Zeit, außerdem verabscheut er diesen österreichischen Dramatiker. Nur mir zuliebe hat er mich im Rahmen unseres Kennenlernens zu einem Nestroy-Stück eingeladen, denn er wusste von meiner Theaterleidenschaft und wollte mich beeindrucken. Antons Karte werde ich verschenken, es wäre schade, wenn sie ungenützt bliebe. Das Wetter erlaubt eine Aufführung im Freien, und ich freue mich auf die beeindruckende Kulisse.

Schloss Rosenstain befindet sich nicht weit von unserem Haus entfernt, und so mache ich mich am Freitagabend gemütlich zu Fuß auf den Weg, schlendere durch die kleinen verschlungen Gassen und wähle dabei den Weg durchs romantische Rosarium. Die Blumen stehen in voller Blüte und verbreiten einen angenehmen Duft. Das aus der Ferne heranplätschernde Stimmengewirr verrät, ich bin gleich am Ziel. Die letzten Meter zum Veranstaltungsort sind mit Fackeln hell erleuchtet. Vor dem Haupteingang laden Stehtische zum Verweilen ein, dazwischen laufen junge Leute mit silbernen Tablettes herum und verteilen halb gefüllte Weingläser an die eintreffenden Gäste. Auf dem gepflegten Rasen stehen elegant gekleidete Menschen, voller Vorfreude auf das bevorstehende Stück, lachen, plaudern und trinken. Auf dem Programm steht „Der alte Mann mit der jungen Frau“. Ich bin heute eine junge Frau ohne Mann. Ungern besuche ich Konzerte und dergleichen alleine, denn ich liebe es, Erlebnisse zu teilen und das Gesehene oder Gehörte danach mit einer zweiten Person zu diskutieren. Um nicht ganz so allein gelassen zu wirken, hole ich mir ein Glas Weißwein und stelle mich zu einer kleinen Gruppe an einen der Tische und lausche frech dem Gespräch.

Neben mir steht ein etwas aufgewühlt wirkender Mann und telefoniert.

„Das darf doch nicht wahr sein, du hast doch gesagt, die Karte stecke in meinem Sakko, da ist sie aber nicht. Schau bitte nach, ob sie auf dem Schreibtisch liegt.“

Er wirft mit verzweifelter Miene einen Blick in die Runde und wartet, das Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt, während seine Finger imaginäre Schmutzpartikel vom Stehtisch vor ihm wischen. Als er mich sieht, wird sein Blick, mit dem er mich ungeniert mustert, schlagartig freundlicher.

„Da ist sie auch nicht … Gut, lass es einfach bleiben, ich mach jetzt Schluss. Ja, dir auch einen schönen Abend.“

Er steckt sein Handy in die Sakkotasche und murmelt: „Als ob das jetzt noch ein schöner Abend werden könnte, wenn ich keine Karte für die Vorstellung habe.“

„Entschuldigung“, sage ich freundlich und wende mich ihm zu, „Ihr Gespräch war nicht zu überhören. Sie benötigen eine Karte und ich habe eine zu viel, darf ich aushelfen?“

„Sie schickt der Himmel! Ja gerne. Hat man Sie versetzt?“

„Mein Mann ist geschäftlich unterwegs, und um ehrlich zu sein, Nestroy mag er nicht.“

Und so ist die junge Frau doch noch in Begleitung eines älteren Herrn, denn Michael Heidegger, Generaldirektor der Erste Versicherung, ist um 15 Jahre älter als ich.

Die Pause verbringen wir plaudernd im Garten. Mein Gesprächspartner wohnt schon seit seiner Geburt in Rosenstain und berichtet mir voller Begeisterung von seiner Stadt, den Bewohnern mit all ihren Macken und Eigenheiten, und, nicht zu vergessen, dem kulturellen Angebot. Er ist, genau wie ich, ein begeisterter Theater- und Konzertbesucher und liebt die immer wieder stattfindenden Aufführungen, vor allem die im Schloss.

Nach der gelungenen Premiere gehe ich müde nach Hause, Michaels Einladung in die Talisman Bar lehne ich ab.

Der Sommer ist heiß und windstill, es gibt keinen Tag, an dem Regen oder ein frischer Luftzug für etwas Abkühlung sorgen würde. Seit der Nestroy-Aufführung meide ich es, auszugehen, und genieße stattdessen unseren Garten. Mein Verlag befindet sich im wohlverdienten Sommerurlaub, auch bei Anton ist etwas Ruhe eingekehrt. Wir beide nutzen die freie Zeit für gemeinsame Unternehmungen. Fast jeden Tag spazieren wir abends durch den an unser Grundstück grenzenden Wald, grillen mit Freunden oder lassen irgendwo im Grünen oder am Ufer eines Sees einfach unsere Seele baumeln.

Doch der Arbeitsalltag nähert sich in großen Schritten. Heute ist der letzte Tag unseres Urlaubs und Anton hat mich zum Abendessen in die Villa Nova eingeladen. Wir sitzen auf der Terrasse des Restaurants und genießen den Blick ins angrenzende Rosarium mit dem kleinen Teich.

„Paula, die nächsten Wochen werden wieder anstrengend. Ich bin bei der Nationalratswahl Spitzenkandidat, und wenn wir ein Mandat dazu gewinnen, bekomme ich ein Ministeramt. Was sagst du?“

Für einen kurzen Moment schweige ich, denn ich weiß, was das bedeutet. Anton ist noch mehr im Einsatz, als schon bisher, und trägt noch mehr Verantwortung. Gleichzeitig ist mir bewusst, wie wichtig meinem Mann seine Karriere ist.

„Dann mach es, Anton“, lächle ich ihn an und sehe gleich darauf die Erleichterung in seinen Augen. Er nimmt meine Hand und küsst sie sachte.

„Du bist die beste aller Ehefrauen, mein Schatz, ich danke dir für dein Verständnis.“

Drei Wochen später hat bereits der Herbst Einzug gehalten und der Alltag bestimmt wieder unser Leben. Nur noch sehr selten begleite ich meinen Gatten am Wochenende zu seinen Terminen. Mein Bedarf an Politik und dem schleimigen sowie verlogenen Gerede ist gedeckt und mir längst zuwider geworden. Ich genieße unser Haus, habe in meiner Freizeit im Garten jede Menge Arbeit, die ich mit großer Freude bewältige, und stets Karten für die aktuellen kulturellen Veranstaltungen in unserer Umgebung, auf die ich mich immer besonders freue. Für heute Nachmittag habe ich mir einen Stadtbummel vorgenommen, denn ich benötige Garderobe für die kommende Jahreszeit, und den neuen Schuhsalon in der Stadt gilt es ebenfalls zu erkunden. Das Wetter ist angenehm warm, aber nicht mehr zu heiß, also gerade richtig für eine kleine Tour durch die City. Als ich mich gerade vor einer Auslage zwischen schwarzen Stiefeln und eleganten Abendpumps zu entscheiden versuche, höre ich jemanden meinen Namen sagen.

„Grüß Gott, Frau Klein, wo haben Sie sich den Sommer über versteckt?“

Wie es sich gehört, grüße ich zurück und überlege zugleich, woher ich diesen Mann mit dem atemberaubenden Grinsen kenne. Mein Gegenüber scheint meine Unsicherheit in Bezug auf seine Person sofort erkannt zu haben und hilft mir galant auf die Sprünge.

„Michael Heidegger, Sie haben mich mit einer Nestroy-Karte gerettet.“

„Ach ja … stimmt. Ich kenne in dieser Stadt noch nicht so viele Leute, außer die Amtskollegen meines Mannes, und war daher gerade etwas überrascht, meinen richtigen Namen zu hören. Die meisten Menschen sprechen mich nämlich automatisch mit dem Nachnamen meines Gatten an.“

Kam dieses Geplapper jetzt wirklich aus meinem Mund?

Michael lächelt mich unwiderstehlich an und erwidert: „Ja, da hat sich viel geändert in den letzten Jahren, meine Tochter hat auch ihren Namen behalten. Finde ich gut. Aber etwas anderes: Darf ich mich endlich für die Karte revanchieren und Sie für heute Abend einladen? Die Erste Versicherung gibt ihr traditionelles Herbstfest in der Orangerie. Selbstverständlich ist Ihr Mann auch willkommen, falls er sich nicht gerade auf Stimmenfang befindet. Übrigens“, er deutet auf die Pumps in der Auslage, „diese Schuhe würden Ihnen sicherlich hervorragend stehen, Sie haben tolle Beine.“

Sein Handy läutet, und bevor er abnimmt, verabschiedet er sich mit einem unverschämt charmanten Grinsen.

Ich hole tief Luft und überlege, ob dieser Michael jetzt tatsächlich mit mir geflirtet hat. Aber möglicherweise ist es seine Art, so mit Frauen zu sprechen.

Natürlich kaufe ich mir die Schuhe nicht und marschiere weiter, während ich darüber nachdenke, ob ich seine Einladung annehmen soll. Da läutet auch mein Handy. Es ist Anton. Zu meinem Erstaunen sagt er: „Schatz, ich habe für heute Abend eine Einladung von der Erste Versicherung. Ich hoffe, du begleitest mich. Was machst du gerade?“

„Ich bin in der Stadt unterwegs und habe gerade den Generaldirektor der Versicherung getroffen. Er hat mich als Dankeschön für die Nestroy-Karte, die ich ihm letztens überlassen habe, ebenfalls eingeladen. Natürlich gehe ich mit! Ich freue mich schon sehr.“

Sofort trete ich den Heimweg an, es ist schon nach 17 Uhr und in zwei Stunden beginnt das Fest. Zuhause angekommen, gehe ich ins Bad und beginne mit meinen Vorbereitungen. Duschen und Haare waschen, Beine rasieren und Zähne putzen. Anschließend salbe ich meinen Körper mit meiner besten Creme und parfümiere mich mit einem verführerischen Duft. Mit meinen roten Locken, die ich anschließend unkompliziert kopfüber föhne, wurde ich von der Natur bevorzugt, sie benötigen nur alle zwei Monate einen stufigen Schnitt und fertig ist die Pracht. Ich wähle meine beste Unterwäsche und ziehe mich fünf Mal um bevor ich mich für ein kurzes dunkelgrünes Kleid entscheide. Zufrieden betrachte ich mich im Spiegel und überlege plötzlich: Um Himmels willen, für wen betreibe ich diesen Aufwand? Wem möchte ich gefallen, wen auf mich aufmerksam machen oder gar beeindrucken? Ich ertappe mich bei dem Gedanken an Michael, an seine blitzenden braunen Augen, sein breites freches Grinsen, seinen männlichen Drei-Tages-Bart. Nur das nicht, seit 13 Jahren bin ich glücklich mit Anton verheiratet, kein Mann außer er hat mich seitdem interessiert, für keinen anderen habe ich mich hübsch gemacht, an keinen anderen mehr gedacht.

Das Hupen von Antons Chauffeur holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Ich erschrecke, denn es ist schon 20 Uhr vorbei, über zwei Stunden habe ich benötigt, um mich herzurichten, und es nicht einmal bemerkt. Tief durchatmen und ruhig bleiben, du wirst heute Michaels bildhübsche Frau kennenlernen und mit deinem Mann einen wundervollen Abend genießen.

Mein Mann steht vor dem Wagen und pfeift anerkennend durch die Zähne als er mich sieht. „Donnerwetter Paula, du siehst heute verdammt gut aus. Ich werde vor Stolz platzen, weil ich so eine schöne Frau an meiner Seite habe.“

Er küsst mich, setzt sich neben mich auf die Rückbank und nimmt meine Hand. Ich bin nervös wie schon lange nicht mehr. Als wir nach zwei Minuten Fahrtzeit bei der Orangerie ankommen, ist das Fest schon in vollem Gang. Anton hat es sich zur Gewohnheit gemacht, immer und überall zu spät und mit Chauffeur zu erscheinen.

Sofort ist Michael zur Stelle, um uns zu begrüßen. Er ist sichtbar erstaunt über meinen Begleiter – er wusste, dass mein Mann Politiker ist, doch nicht, dass es sich dabei um den Landeshauptmannstellvertreter und Landesrat Anton Riegler handelt. Ich behalte das gerne so lange wie möglich für mich, außer ich habe einen Nutzen vom Gegenteil.

Die beiden Männer geben sich die Hand, und sofort ist die Antipathie zwischen ihnen zu spüren. Der eine mächtig in der Politik, der andere eine Größe in der Wirtschaft, und ich steh dazwischen und bin aufgeregt und nervös wie ein Teenager.

Sie haben fast die gleiche Größe, Michael ist höchstens eine Spur kleiner. Doch ansonsten sind sie grundverschieden: Michael hat warme braune Augen, schütteres Haar in der gleichen Farbe und einen sexy Drei-Tages-Bart, die kleine Wölbung unter seinem Hemd lässt erahnen, dass er kein Kostverächter ist. Anton ist nur drei Jahre jünger, besitzt noch immer einen vollen blonden Schopf, der nur an den Schläfen leicht ergraut ist, und eine sportliche Figur, obwohl er kaum Bewegung macht, die über das normale Alltagsmaß hinausgeht.

Nach ein paar belanglosen Floskeln zur Begrüßung lässt Anton Michael kommentarlos stehen. Das macht er gerne, will damit zeigen, dass er weitaus wichtigere Personen zum Plaudern findet, als sein Gegenüber. Michael scheint das nicht unangenehm zu sein oder zu stören, er beginnt sogleich ein Gespräch mit mir.

„Es ist mir eine Freude, dass Sie gekommen sind, Frau Klein. Sie sehen ganz bezaubernd aus. Ihre roten Locken leuchten strahlend durch die finstere Nacht. Das ist auch gut so, auf diese Weise kann ich Sie nicht verlieren.“

Um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken sage ich: „Habe ich auch das Vergnügend, Ihre Gemahlin kennenzulernen?“

„Leider nein.“

Seine Stimme verrät jedoch die Lüge – er bedauert es kein bisschen.

„Meine Frau begleitet mich schon seit Jahren auf keine Veranstaltung mehr, und alles, was mit meinen Beruf zu tun hat, hasst sie prinzipiell. Sie werden schon mit mir alleine vorlieb nehmen müssen.“

Dabei sieht er mich wieder mit seinem atemberaubenden unwiderstehlichen Lächeln an. Ich schiele zu meinem Mann, er ist wie immer mit seiner Rolle als wichtiger Politiker beschäftigt und von zahlreichen Menschen umringt.

„Was darf ich Ihnen zu trinken bringen, Paula? Es wäre jammerschade, wenn Sie verdursten.“ Ich bitte ihn um ein Glas Weißwein und marschiere damit im Anschluss zu Anton. Sogleich legt dieser seinen Arm um meine Schultern und stellt mich seinen Gesprächspartnern vor. So lerne ich die Bürgermeisterin kennen, sie dürfte sich in Antons Alter befinden, trägt ein Dirndl und tut wahnsinnig wichtig, dazu einige Stadträte, den Stadtamtsdirektor und einige Funktionäre, quasi die wichtigsten Menschen, die diese Stadt zu bieten hat.

Nach ein paar Stunden des angenehmen Plauderns, in denen ich Michael immer wieder aus den Augen verliere und er sich auch nicht mehr zu uns gesellt, gehen wir zu Fuß die paar Schritte bis zu unserem Haus zurück. Mit meiner Vermutung, dass Anton Michael nicht ausstehen kann, liege ich richtig, denn kaum haben wir das Fest verlassen, erklärt er mir: „Dieser Generaldirektor Heidegger ist ein mächtiger Mann in der Wirtschaft, ich habe mich erkundigt. Er hat noch weitere Funktionen als Aufsichtsrat und ist im Vorstand des Flughafens. In Rosenstain wird er hofiert, an ihm kann man hier nicht vorbei. Politisch ist er kaum zuzuordnen … das gefällt mir ganz und gar nicht. Paula, ich habe eine Bitte an dich. Er hat uns doch für nächste Woche zu einer Vernissage eingeladen, doch wir befinden uns zu dieser Zeit mitten in der Regierungsklausur. Ich bin daher verhindert, aber du könntest doch hingehen und mir danach davon berichten. Angeblich verkehrt er auch häufig in der Kunstszene und ist dort gerne gesehen. Er soll viel sponsern.“

Viel zu schnell folgt meine Antwort: „Gerne, ich kenne jetzt ja schon einige Leute, da macht es viel mehr Spaß. Und kulturelle Events sind immer interessant.“

Im Stillen denke ich: In einer Woche sehe ich ihn wieder. Und: Was soll ich bloß anziehen?

Dieses Problem konnte ich heute Vormittag lösen, indem ich ganz einfach einkaufen war und ein schlichtes, kurzes Strickkleid in Dunkelgrau, dazu wunderschöne Wildlederstiefel sowie einen weißen Hosenanzug mit passenden Schuhen erstanden habe. Schließlich weiß ich nicht, wie das Wetter später sein wird, da es sich schließlich nicht immer an die Prognosen hält. Doch es ist warm und trocken geblieben, weshalb ich jetzt im Strickkleid vor dem Haupteingang der Erste Versicherung stehe, tief durchatme und hinein gehe. Michael hält bereits seine Willkommensrede, und als er mich sieht, sagt er ganz laut „Grüß Gott“ und strahlt mir entgegen. Ein paar der Gäste drehen sich um, während ich ihn anlächle und mir bewusst wird, ich habe mich verliebt. Obwohl ich ihn kaum kenne, verursacht sein Anblick ein Kribbeln in meinem Bauch, seine Augen brennen auf meiner Haut, sein frecher Blick jagt mir Schauer über den Rücken und sein Händedruck lässt mich vor Wonne zerfließen.

Ein Mädchen serviert Wein und Bier, was in mir Eindruck entstehen lässt, nur mit Alkohol seien die ausgestellten Bilder zu ertragen. Ich nehme mir ein Glas vom weißen Rebensaft und drehe eine Runde durch die Räumlichkeiten. Das Bürogebäude ist sehr modern, viele reflektierende Flächen in lichtdurchfluteten Räumen. Ich spüre, wie Michaels Blick mich verfolgt. Ich sehe ein paar bekannte Gesichter und fühle mich daraufhin gleich wohler. Locker gehe ich auf sie zu und bringe mich ins Gespräch ein. Michael habe ich nach einiger Zeit aus den Augen verloren, aber der Abend ist ja noch jung, nachdem er bereits vielversprechend angefangen hat. Mittlerweile sind schon über zwei Stunden vergangen, und außer einer kurzen Begrüßung gab es keine Gelegenheit mehr, miteinander zu plaudern. Michael wird als Gastgeber und Hausherr in Beschlag genommen, und um mich kümmert sich liebevoll die Bürgermeisterin, auch dieses Mal im Dirndl. Sie sieht es wahrscheinlich als ihre Pflicht an, sich um die Gemahlin des Landeshauptmannstellvertreters zu kümmern. Gleichzeitig möchte sie mich für die Frauen in der Wirtschaft gewinnen, doch sofort lehne ich dankend ab. Die letzten Jahre gab es außer meinem Beruf nur Politik, verbunden mit viel Präsenz in der Gesellschaft, davon habe ich genug.