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Der Bergpfarrer
– Staffel 8 –

E-Book 71-80

Toni Waidacher

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-703-5

Cover

Alle waren gegen sie

Vorsichtig rangierte Wenzel Ottinger die Zugmaschine über den Festplatz. Christel, seine Tochter, wartete in dem PKW, der den Wohnwagen zog, bis ihr Vater den Hänger, mit dem Karussell darauf, an die richtige Stelle gebracht hatte. Karsten Steiner hatte unterdessen das zweite Auto, das den anderen Wohnwagen zog, abgestellt und war ausgestiegen. Er eilte seinem Chef zur Hilfe und half Wenzel, die Räder des Hängers und der Zugmaschine zu blockieren, indem er schwere Bremsklötze darunter schob.

Christel schaute sich um. Überall auf der Festwiese waren die Schausteller damit beschäftigt, ihre Fahrgeschäfte aufzubauen, es herrschte ein geschäftiges Treiben, das im Moment eher noch einem Chaos glich, und das junge Madl fragte sich, wie es bis zur Eröffnung der Kirchweih, am Nachmittag, geschafft wer-

den sollte, daß alles ordentlich aussah.

Dreiundzwanzig Jahre war Christel Ottinger jetzt alt, und etwas anderes, als das Leben auf Jahrmärkten und Volksfesten kannte die hübsche junge Frau nicht. Aber sie liebte es, wenn das Kinderkarussell sich drehte, die Musik spielte und sie die glänzenden Augen der Buben und Madln sah, die vergnügt auf den kleinen Motorrädern, den Feuerwehr- und Polizeiautos oder auf den bunten Holzpferden ihre Runden drehten und vor Vergnügen jauchzten.

Christel war das Kind einer Schaustellerfamilie, geboren auf einem Rummelplatz, und es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, etwas an diesem Leben ändern zu wollen.

Karsten Steiner, der Gehilfe, den der Vater eingestellt hatte, weil es für ihn allein zu schwer geworden war, das Fahrgeschäft aufzubauen und zu transportieren, kam her-übergelaufen und hängte den Wohnwagen ab.

»Hier steht er gut«, meinte er, mit einem Kopfnicken. »Den anderen schieben wir dort hinüber.«

Er wies mit dem Kopf auf ein Stück Wiese, hinter der Zugmaschine. Christel nickte und packte mit an. Ihr Vater kam hinzu

»Wir müssen uns beeilen«, drängte er. »Um drei ist die Messe, und dann geht’s los.«

»Dann kümmer’ ich mich gleich ums Essen«, sagte Christel und öffnete die Tür des Wohnwagens.

Seit Mutters Tod lebte sie alleine darin. Der Vater teilte sich den anderen, größeren Wagen mit dem Schaustellergehilfen. Hier drinnen war auch die Küche untergebracht, mit einem dreiflammigen Gaskocher, auf dem das Madl das Mittag-essen zubereitete.

Während Kartoffeln geschält wurden, und Gemüse geputzt, lauschte Christel der Musik aus dem kleinen Kofferradio, das auf einem Regal über der Spüle stand. Zwischendurch schaute sie aus dem Fenster, um zu sehen, wie weit die Männer mit dem Aufbau waren. Das Gerüst des Karussells stand bereits, und Karsten und ihr Vater waren dabei, die Autos, Pferde und Motorräder abzuladen und zu montieren.

Papa hat recht, dachte sie, als sie auf die Uhr schaute. Bis zur feierlichen Messe, die der Pfarrer unter freiem Himmel vollziehen würde, blieb nicht mehr viel Zeit. Außerdem mußte erst noch der Sachverständige vom Technischen Überwachungsverein das Fahrgeschäft auf seine Sicherheit überprüfen und für den Gebrauch freigeben. Christel schaltete die Flamme niedriger und ließ den Eintopf langsam vor sich hinkochen, dann eilte sie hinaus und legte letzte Hand mit an.

Wenzel Ottinger unterwarf das Karussell einer ersten eigenen Prüfung und befand alles sei in Ordnung. Der Sachverständige würde zufrieden sein. Jetzt schnell gegessen und sich umgezogen, und dann konnte der feierliche Teil der Kirchweih beginnen.

Christel hatte inzwischen Tisch und Stühle unter dem Dach des Vorzelts aufgestellt und das Essen aufgetragen.

»Hoffentlich hält’s Wetter«, meinte ihr Vater mit einem skeptischen Blick zum Himmel. »Wenn’s regnet, kommen die Leut’ net.«

Christel nickte. Lange genug war sie in diesem Geschäft, um zu wissen, daß Regen die Leute davon abhalten würde, auf die Kirchweih zu gehen. Es war ohnehin nicht mehr so lukrativ, wie früher, ein Kinderkarussell zu betreiben. Die Kleinen wollten auch in diesem Alter oft lieber in rasanten Fahrgeschäften den Kitzel im Bauch spüren, wenn sie aus hundert Metern Höhe zur Erde stürzten, oder in rasender Geschwindigkeit um die eigene Achse gewirbelt wurden. Da war mit einem altmodischen Kinderkarussell nicht mehr viel Geld zu verdienen. Abgesehen davon mußte Karsten Steiner seinen Lohn bekommen, Standgebühren und Versicherungen bezahlt werden.

Dennoch, Christel liebte dieses Leben in Freiheit, heute hier, morgen dort, es war immer wieder eine Freude, auf anderen Plätzen Freunde und Schaustellerkollegen zu treffen und am Abend, wenn die Besucher nach Hause gegangen waren, noch lange bei einem Plausch zusammenzusitzen.

»Lecker, die Suppe«, sagte Karsten Steiner und nahm sich noch eine Kelle voll.

Dabei zwinkerte er der jungen Frau zu. Christel erwiderte den Blick nicht. In den drei Jahren, seit der Bursche bei ihnen war, hatte er öfter versucht, ihr den Hof zu machen. Zugegeben, sie mochte den immer lustig aufgelegten Schau-stellergehilfen, und eigentlich konnte sie sich gar nicht mehr vorstellen, wie es ohne ihn war, aber mehr empfand sie für Karsten nicht.

»Möchtest auch noch was?« fragte sie ihren Vater.

Der schüttelte den Kopf und lehnte sich zurück.

Während er seine Pfeife hervorzog und bedächtig stopfte, glitt sein Blick über den Platz. Gerade kam eine Zugmaschine herangefahren. Wenzels Miene verfinsterte sich, als er erkannte, wer hinter dem Lenkrad saß.

»Na, die Bande hat uns gerad’ noch gefehlt«, raunzte er ungehalten.

Christel schaute zu den Ankömmlingen.

»Kümmer’ dich einfach net darum«, sagte sie.

Allerdings wußte sie auch, daß das leichter gesagt, als getan war. Wo immer die Familie Kaiser mit ihrem Losgeschäft und der Schießbude auftauchte, da war Ärger vorprogrammiert.

Schad’, dachte die hübsche junge Frau mit den dunklen Locken, eigentlich hatte ich gehofft, daß Anton Kaiser und seine Familie zur Kirchweih nach Unterstellingen fahren würden.

Aber offensichtlich hatten sie es sich anders überlegt. Jetzt hieß es, das Beste daraus zu machen.

Wie das allerdings gehen sollte, war Christel ein Rätsel, denn die Zugmaschine hielt genau auf den letzten freien Platz zu, direkt neben ihnen...

*

Im Pfarrhaus saß man um diese Zeit ebenfalls beim Mittagessen. Sophie Tappert hatte Fleischpflanzerl gebraten und reichte dazu geschmorten Wirsing und Kartoffeln. Max Trenker langte tüchtig zu. Fleischpflanzerl gehörten zu seinen Lieblingsgerichten, und wenn es dazu auch noch den mit Sahne und Speck geschmorten Kohl gab, dann konnte sich der junge Polizeibeamte kaum noch zurückhalten.

»Wie schaut’s auf dem Festplatz aus?« erkundigte sich sein Bruder.

»Sehr schön«, antwortete Max. »Fast alle sind dabei, die auch im letzten Jahr hier waren.«

Der Polizist war nicht nur für die Sicherheit und Ordnung in St. Johann zuständig, während der alljährlichen Kirchweih mußte Max auch dafür sorgen, daß es auf dem Festplatz nicht zu Ausschreitungen und Raufereien kam. Dabei wurde er von drei Kollegen aus der Kreisstadt unterstützt.

Sebastian Trenker schaute auf die Uhr.

»Zeit wird’s«, sagte der Seelsorger und stand auf.

Die Messe unter freiem Himmel war der erste Höhepunkt der Kirchweih. Die Schausteller freuten sich darauf, und natürlich kamen auch viele Einheimische hinzu, um dem feierlichen Gottesdienst beizuwohnen. Anschließend wurde das Festwochenende, das am Donnerstag begann und am Samstagabend endete, von Markus Bruckner, dem Bürgermeister von St. Johann, mit einem Faßanstich und Freibier für jedermann, im Festzelt eröffnet.

Alois Kammeier, der Mesner, hatte mit Hilfe einiger Schausteller, am Rande der Wiese einen Altar aufgebaut. Für die Älteren gab es ein paar Sitzgelegenheiten, die anderen standen, als Pfarrer Trenker und die Meßdiener vor die Gemeinde traten.

Wie es seine Art war, hielt Sebastian die Predigt in einer humorvollen Art, und so manches Schmunzeln glitt über die Gesichter der Gläubigen, aber sie waren auch berührt und ergriffen von den Worten.

Nach der Messe ging der gute Hirte von St. Johann unter die Leut, begrüßte sie und sprach mit jedem einzelnen von ihnen ein paar Sätze. Die meisten Schausteller kannte Sebastian von früheren Veranstaltungen her, und oft wurde es ein freudiges Wiedersehen. Der Geistliche war bei den Schaustellern nicht weniger beliebt, als bei seinen Schäfchen aus dem Wachnertal.

Dann strömten die Leute zum Festzelt, das wie immer von Sepp Reisinger betrieben wurde. Auch wenn der große Ansturm erst für den Samstag und Sonntag erwartet wurde, wenn die meisten frei und Zeit hatten, auf den Festplatz zu gehen, so herrschte doch auch jetzt schon reger Andrang. Die Aussicht, ein Freibier zu ergattern, hatte viele den Weg hierher finden lassen und jetzt drängten sie sich vor der Bühne, auf der die Blasmusik ihren Platz hatte. Den samstäglichen Tanz, der sonst auf dem Saal des Hotels stattfand, veranstaltete Sepp Reisinger während der Kirchweih natürlich hier im Zelt, und das gleich an drei Abenden.

Den ersten Schluck aus dem Maßkrug nahm der Bürgermeister selbst, dann hatte Markus Bruckner alle Hände voll zu tun, die Gläser zu füllen, die ihm gereicht wurden. Der Hotelier unterstützte ihn dabei, und insgeheim rieb sich Sepp schon die Hände über das gute Geschäft, das er wieder machen würde.

Sebastian Trenker hatte sich auf eine der Bänke gesetzt und sah dem Treiben schmunzelnd zu. Neben ihm hatte Christel Ottinger Platz genommen.

»Wie geht’s euch denn nun?« erkundigte sich der Bergpfarrer.

Vorhin, bei der Begrüßung nach der Messe, war natürlich keine Gelegenheit gewesen, ein ausführliches Gespräch zu führen.

»Danke schön, Hochwürden«, erwiderte das Madl. »Eigentlich gibt’s keinen Grund zum Klagen.«

Sebastian schaute Christel prüfend an.

»Eigentlich? Hör’ ich da ein ›Aber‹ heraus...?«

Die junge Frau hob die Schultern und ließ sie wieder fallen.

»Na ja, ich weiß gar net, ob’s überhaupt wert ist, daß es erwähnt wird«, sagte sie schließlich. »Aber der Anton Kaiser und seine Familie sind auch da, und ich fürcht’, daß Vater wieder mit ihnen aneinander geraten könnt’. Es wär’ ja net das erste Mal.«

Der Seelsorger nickte. Er kannte, zumindest zum Teil, die Fehde, die die beiden alten Schausteller seit Jahren ausfochten. Auch wenn keiner mehr so recht wußte, worum es da eigentlich ging, so kamen sich die beiden doch immer wieder ins Gehege, wenn sie sich auf den Festplätzen begegneten.

»Ich werd’ ein Auge auf die beiden haben«, versprach der Geistliche. »Und wenn’s gar net anders geht, dann werden der Max und seine Kollegen schon eingreifen. Allerdings hoff’ ich, daß es auch ohne geht.«

In diesem Moment erscholl von draußen lautes Geschrei, das den Lärm im Festzelt sogar noch übertönte. Sebastian war ebenso aufgesprungen wie Christel. Sie liefen durch den seitlichen Ausgang und sahen auch schon, was sich da vor dem Zelt abspielte.

Wenzel Ottinger und Anton Kaiser kugelten über den Boden des Festplatzes. Keuchend, eng umschlungen, stöhnend und ächzend. Schon waren sie von einer Menge Schaulustiger umringt.

Der Geistliche, der sich mit der Christel einen Weg durch die Neugierigen gebahnt hatte, versuchte die beiden Kontrahenten auseinanderzubringen.

»Seid ihr narrisch geworden?« rief er. »Hört sofort auf!«

Christel beugte sich zu ihrem Vater und zog an ihm.

»Aufhören!«

Einer der Umstehenden hatte inzwischen die Polizei gerufen. Max Trenker und sein Kollege kamen herbeigelaufen. Der Bruder des Bergpfarrers fackelte nicht lange. Auf ein Zeichen von ihm packten er und der andere Beamte die Streithähne und schleiften sie kurzerhand über den Boden.

»Schluß jetzt!« rief Max. »Auf der Stelle! Sonst sperr’ ich euch für den Rest des Tages ein, und morgen verweise ich euch des Platzes. Dann findet die Kirchweih ohne euch statt!«

Diese Drohung wirkte. Mit gesenkten Häuptern rappelten sich die beiden Schausteller auf und wagten nicht den Blick zu erheben.

»Was ist denn bloß in euch gefahren?« wandte sich Pfarrer Trenker an die beiden.

Wenzel Ottinger schnaubte wütend.

»Der hat angefangen«, sagte er und deutete mit dem Kopf zu seinem Kollegen.

»Nix da, du Hirsch. Red’ net solch einen Unsinn«, herrschte der Beschuldigte ihn an.

Er drehte sich zu Max.

»Auf Ehr’ und Gewissen, der Kerl lügt, wenn er auch nur den Mund aufmacht.«

»Wie auch immer«, meinte der Polizist bestimmt, »wenn ich euch noch mal auseinander bringen muß, dann ist für euch das Fest vorbei.«

Anton Kaiser entfernte sich mit einem wütenden Blick auf Christels Vater. Die junge Frau nahm den Karussellbesitzer in den Arm.

»Vater, warum läßt dich denn immer wieder von ihm provozieren?« fragte sie kopfschüttelnd. »Du weißt doch, daß er nur auf Streit aus ist.«

Wenzel Ottinger blickte dem anderen hinterher.

»Eines Tages...«, zischte er, ohne weiter auszuführen, was da geschehen würde.

Sebastian Trenker nahm den Alten beiseite.

»Hör’ mal, Wenzel«, sagte er, »so kann’s wirklich net weitergehen. Wo soll denn das noch hinführen? Wenn du und der Anton so weitermacht, könnt ihr euch bald nirgendwo mehr sehen lassen.«

Der Schausteller zog ein grimmiges Gesicht.

»Der Teifi soll ihn holen!« stieß er aus und trollte sich.

Kopfschüttelnd sah der Bergpfarrer ihm hinterher. Christel, die neben ihm stand, hatte Tränen in den Augen. Tröstend legte Sebastian seinen Arm um sie.

»Paß auf deinen Vater auf«, sagte er. »Und wenn die beiden noch einmal aneinandergeraten, dann kommst’ ins Pfarrhaus. Dann werd’ ich mit den beiden ein ernsthaftes Wort reden, das sie net so schnell vergessen.«

Während er über den Festplatz zurück zur Kirche ging, war rings um den Geistlichen der Trubel im vollen Gange. Die Fahrgeschäfte hatten geöffnet, Lose wurden verkauft und Zuckerwatte. Musik ertönte aus dem Zelt, und die Menschen vergnügten sich.

Der gute Hirte von St. Johann blieb einen Moment stehen und schaute auf das Treiben. Es war ein schönes und friedliches Bild, das sich ihm bot.

Hoffentlich bleibt’s so, dachte er und ging weiter.

Dabei ahnte er allerdings nicht, daß vieles dafür sprach, daß sein Wunsch sich nicht erfüllte...

*

»Thomas, wann gehen wir denn endlich auf die Kirchweih?«

Lisa Hofstetter zupfte ihren Onkel am Arm. Der junge Bauernsohn lachte und griff nach ihr.

»Sei net so ungeduldig, kleine Maus«, sagte er. »Ich bin ja gleich soweit.«

Franz, sein Bruder, kam gerade aus der Haustür.

»Na, läßt sie dir keine Ruhe?«

Thomas zwinkerte ihm zu.

»Die Burschen werden alle neidisch schauen, wenn sie mich mit so einem feschen Madl sehen«, meinte er.

Die Sechsjährige drehte sich selbstbewußt um die eigene Achse. Lisa trug ein hübsches Kleid, die blonden Haare hatte ihre Mutter in einem langen Zopf gebändigt, der über die kleinen Schultern hing.

»Wenn ich mal groß bin, werd’ ich dich heiraten«, hatte sie einmal zu ihrem Onkel gesagt und ihn dabei treuherzig angeschaut.

»Oje«, meinte Thomas daraufhin, »dann bin ich ja schon ein alter Mann.«

»Das macht nix«, war Lisas Meinung, »so junge Burschen mag ich sowieso net.«

Dabei hatte sie Florian Drechsler im Sinn gehabt, den Sohn vom Nachbarhof, mit dem sie, just an diesem Morgen, Streit gehabt hatte.

»Weißt’ was?« hatte Thomas Hofstetter daraufhin vorgeschlagen. »Wir können zwar net heiraten, aber dafür gehn wir zusammen auf die Kirchweih.«

Das Gespräch hatte schon vor Monaten stattgefunden, und beinahe jeden Tag fragte Lisa, wann denn nun Kirchweih sei. Als ihr Onkel dann beim Mittagessen erzählte, daß heute der große Tag gekommen sei, da konnte sie es gar nicht mehr abwarten, endlich loszugehen.

Klara Hofstetter, Franz’ Frau kam, eine Strickjacke in der Hand, aus dem Haus.

»So, ihr zwei, dann kann’s ja losgeh’n.«

Sie zog Lisa die Jacke an und setzte sie auf den Kindersitz, den Thomas schon auf die Rückbank seines Autos gestellt hatte.

»Viel Spaß«, riefen die Eltern hinterher, als der Wagen vom Hof fuhr.

»Den werden wir haben, was, Spatzl«, sagte Thomas, während er gutgelaunt die Richtung nach St. Johann einschlug.

Natürlich löste er sein Versprechen gerne ein, aber es gab auch noch einen anderen Grund, warum der gutaussehende Bursche sich auf die Kirchweih freute, und der hieß Christel Ottinger.

Im letzten Jahr war ihm das Madl vom Kinderkarussell zum ersten Mal aufgefallen. Es saß in der kleinen Kabine und verkaufte die Fahr-chips, mit denen die Kleinen dann ihre Fahrten ›bezahlten‹. Mehr als den Namen wußte Thomas eigentlich nicht, nur daß Christel ihm in den letzten zwölf Monaten nicht aus dem Sinn gegangen war, und er hoffte, daß das kleine Unternehmen auch in diesem Jahr den Weg zur Kirchweih in St. Johann gefunden hatte.

Oft hatte er sich gefragt, warum er sein Herz ausgerechnet an eine Frau verloren hatte, die zu einer Gesellschaftsschicht gehörte, die der Volksmund gemeinhin als ›Fahrendes Volk‹ bezeichnete, und die auch nicht immer gut gelitten war?

Natürlich hatte sich diese Einstellung mit den Jahren geändert, aber Thomas wußte genau, daß er seinen Eltern nicht damit kommen durfte, Christel heiraten zu wollen.

Aber soweit war es auch noch gar nicht. Niemand, auch seine Angebetete, wußte nicht von dieser Liebe, die er heimlich, seit einem Jahr, in seinem Herzen trug.

Der Bauernsohn parkte seinen Wagen auf dem dafür vorgesehenen Acker, gleich neben der Festwiese. Lisa sprang heraus.

»Ich kann schon die Musi’ hörn«, rief sie und klatschte begeistert in die Hände.

Ihr Onkel schmunzelte und nahm sie an die Hand.

»Na, dann wollen wir mal.«

Obwohl es der erste Tag war, hatten schon zahlreiche Besucher den Weg hierher gefunden. Thomas und Lisa reihten sich in den Strom der Vergnügungssuchenden ein und betraten die Festwiese. Viele bekannte Gesichter begegneten ihnen, und alle lächelten fröhlich, während es nach gerösteten Mandeln und Bratwürstchen roch.

Natürlich führte der erste Weg zum Kinderkarussell. Schon auf der Fahrt hatte Lisa davon gesprochen, in einem der kleinen Autos fahren zu wollen. Als sie dort ankamen drehte sich das Karussell gerade, obwohl es kaum besetzt war. Aus den Lautsprechern erklangen alte Schlager.

Thomas hatte erwartungsvoll zu der kleinen Kabine gesehen, in der er Christel zu sehen hoffte. Zu seiner Enttäuschung saß dort aber ein alter Mann. Ihr Vater, vermutete der Bauernsohn und ging hinüber, um die Chips zu kaufen.

Gleichzeitig machte er sich darüber Gedanken, warum das Madl nicht die Aufgabe des Verkaufens übernommen hatte.

War es anderswo beschäftigt? Oder gar krank? Oder war Christel – noch schlimmer! – in diesem Jahr vielleicht gar nicht mitgekommen?

Zu fragen wagte Thomas Hofstetter nicht. Er bezahlte den geforderten Preis für drei Fahrten und nahm die Chips entgegen. Das Karussell hatte inzwischen angehalten, und Lisa sucht sich bereits ein kleines Auto aus. Rotlackiert, mit einer Hupe, die einen Heidenlärm machte, wenn die Kleine darauf drückte. Schmunzelnd reichte er ihr einen Chip und stellte sich etwas abseits. Ein junger Mann ging herum und sammelte die Chips bei den Kindern wieder ein.

Der Alte in der Kabine, der auch gleichzeitig die Ansagen machte, gab das Signal zum Start. Lisa hupte, als sich das Karussell langsam in Bewegung setzte und schließlich ein bißchen an Fahrt gewann. Sie winkte ihrem Onkel zu, und Thomas winkte zurück, während er immer wieder zu der Kabine hinüberschaute, und zu den Wohnwagen, die hinter dem Fahrgeschäft standen.

Aber von Christel Ottinger war nichts zu sehen.

*

Max kam etwas später zum Abendessen ins Pfarrhaus als sonst. Die Einsätze auf dem Festplatz bedeuteten immer eine Änderung im Dienstplan. Jeweils zwei Beamte gingen Streife, und nach dem Essen würde der Bruder des Geistlichen noch einmal für ein paar Stunden dort Dienst haben.

»Bis auf die beiden Streithähne, heut’ mittag, ist alles ruhig«, berichtete er zufrieden.

Er hatte auch nicht damit gerechnet, daß es gleich heute zu Ausschreitungen kommen würde. Die ›heiße Phase‹, wie es bei ihm und seinen Kollegen genannt wurde, würde erst am Freitagabend beginnen, wenn die übermütigen jungen Burschen aus den Nachbardörfern auf das Volksfest kamen. Dann mußte durchaus damit gerechnet werden, daß nach einigen überzähligen Maß Bier die Gäule mit den Besuchern durchgingen.

»Mir tut’s Madl leid«, sagte Sebastian. »Es hat ohnehin kein leichtes Leben. Der Wenzel kann von Glück sagen, daß die Christel noch bei ihm ist und sich net schon längst einen Burschen zum Mann genommen hat. Da müßt’ er als Vater eigentlich darauf bedacht sein, daß es so bleibt.«

»Ich hoff’, daß meine Worte den beiden Mahnung genug waren«, seufzte Max und griff zum Brot. »Jedenfalls werd’ ich net lang’ fackeln und hart durchgreifen.«

»Und ich werd’ wohl noch mal mit ihnen reden müssen«, meinte der Geistliche. »Jetzt mögen sie zwar erst einmal klein beigegeben haben, aber immerhin sind’s drei Tag’, die sie da auf dem Festplatz zusammenhocken.«

Sebastian schenkte Mineralwasser ein. Sonst gab es zum Abendessen im Pfarrhaus schon mal ein Glas Bier, aber da Max nur Essenpause, aber noch keinen Dienstschluß hatte, wurde heute darauf verzichtet.

»Außerdem frag’ ich mich, wie sich die beiden Söhne vom Anton verhalten werden?« fuhr der Seel-sorger fort. »Ich erinner’ mich, daß sie im letzten Jahr net aufgefallen sind, als die beiden Alten sich gestritten haben.«

Der junge Polizist verdrehte die Augen, als sein Bruder ihn an die Episode erinnerte. Während der Kirchweih im vergangenen Jahr hatte es schon einmal einen heftigen Streit zwischen den beiden alten Schaustellern gegeben. Damals waren sie allerdings nicht körperlich aneinandergeraten, wie heute. Was sie sich aber an den Kopf geworfen hatten, das war schon schlimm genug gewesen. Anton Kaisers Söhne, Wolfgang und Tobias, hatten sich indes aus dem Streit herausgehalten.

»Auf die Burschen werd’ ich allerdings ein Auge haben müssen«, sagte Max. »Auch wenn ich damals keine Beweise gefunden hab’, bin ich mir fast sicher, daß die zwei net die Unschuldslämmer sind, für die sie sich ausgeben.«

Sebastian Trenker nickte. Er wußte, was sein Bruder meinte.

Während der Kirchweih im letzten Jahr, war es in dieser Umge-bung von St. Johann wiederholt zu Einbrüchen und Diebstählen gekommen. Der Verdacht war gleich auf die Kaiserbrüder gefallen. Mehrmals waren sie in unmittelbarer Nähe der Tatorte gesehen worden. Allerdings gelang es dem Polizeibeamten nicht, sie zu überführen. Anton Kaiser gab an, daß seine beiden Söhne zu den fraglichen Zeiten im Wohnwagen der Eltern gewesen wären, und seine Frau bestätigte diese Aussagen. Der alte Schausteller wetterte über den ungeheuren Verdacht gegen seine Familie und sprach von Vorurteilen, die man gemeinhin gegen Leute seines Berufsstandes habe.

Natürlich waren diese Vorwürfe gegen Max Trenker absurd. Der Bruder des Bergpfarrers empfand gegenüber niemandem irgendwelche Vorurteile und was er tat, um die Diebstähle aufzuklären, ge-schah ganz legal im Rahmen seiner Dienstvorschriften.

Aber die Beweise reichten eben nicht aus, und es stand Aussage gegen Aussage.

Daß die Einbruchsserie indes endete, nachdem die Kirchweih zu Ende war, und die Schausteller weitergezogen waren, gab ihm schon zu denken.

»Hoffen wir, daß es diesmal net zu neuen Diebstählen kommt«, sagte Sebastian Trenker.

*

Am ersten Abend war recht früh Schluß. Die meisten Besucher mußten am nächsten Morgen wieder früh aus den Federn und konnten es sich nicht leisten, lange zu feiern. Sepp Reisinger, der Festwiesenwirt, war dennoch zufrieden mit dem Umsatz. Es war reichlich Bier geflossen, und von den gegrillten Hendln waren keine mehr übriggeblieben. Während der Wirt und seine Angestellten aufräumten, saßen nur noch ein paar Schausteller im Zelt und tranken ihr Feierabendbier. Auch Tobias und Wolfgang Kaiser waren noch hereingekommen, nachdem sie ihre Geschäfte geschlossen hatten.

Die beiden Brüder teilten sich das kleine Familienunternehmen. Tobias hatte die Schießbude übernommen, sein Bruder verkaufte Lose. Anton Kaiser und seine Frau, Maria, fuhren eigentlich nur noch aus Gewohnheit mit über die Plätze. Der Senior war schon Mitte Sechzig, Maria Kaiser nur knapp drei Jahre jünger als ihr Mann. Sie saß ebenfalls in der Losbude und teilte die Gewinne aus.

Die Kaiserbrüder hatten sich bereits von den anderen Schaustellern hingesetzt und steckten die Köpfe zusammen.

»Wolln wir gleich heut’ nacht unser Glück versuchen?« fragte Wolfgang grinsend.

Er war der ältere der beiden, vor zwei Monaten gerade dreißig Jahre alt geworden. Allerdings sah er wesentlich älter aus. Das Haar war schon dünn und fiel bereits aus. Und man sah ihm an, daß er gerne aß und trank. Der Umfang seines Bauches war beeindruckend.

»Ich weiß net«, gab Tobias zurück. »Vielleicht sollten wir erst einmal abwarten. Morgen ist Freitag, da bleiben die Leut’ länger und schlafen schließlich fester, wenn sie dann daheim sind. Denk’ nur daran, wie’s letztes Jahr war. Der Polizist war uns ziemlich dicht auf den Fersen.«

Tobias war der besonnenere der zwei Brüder. Fünf Jahre jünger als Wolfgang, war er deutlich schlanker und hatte eigentlich ein umgängliches Wesen. Allerdings stand er sehr unter dem Einfluß des Älteren und ließ sich immer wieder von ihm mitziehen und anstiften.

»Dann laß uns was anderes unternehmen«, schlug Wolfgang vor.

Wieder grinste er schief.

»Was meinst’ denn?« wollte Tobias wissen.

Sein Bruder kratzte sich am Kinn.

»Ich hab’ schon lang’ kein richtiges Stück Fleisch mehr zu beißen gehabt«, antwortete er. »Hast’ net auch Lust auf einen schönen Rehbraten?«

»Du meinst...Wildern?«

Wolfgang stieß ihn an.

»Pst! Net so laut. Braucht doch net jeder zu hörn, wovon wir reden«, sagte er.

Tobias beugte sich zu ihm hinüber.

»Aber..., das ist doch gefährlich«, wandte der Jüngere ein.

»Pah, net gefährlicher, als in ein Haus einzusteigen oder ein Huhn zu stibitzen. Wenn s’ uns erwischen, sind wir eh’ dran.«

Er nahm seinen Bierkrug und leerte ihn.

»Also, was ist? Machst’ mit?«

Tobias zuckte die Schultern. Was blieb ihm anderes übrig? Erstens tat er immer, was der Bruder sagte, zweitens hatte Tobias recht. Der Speisezettel war wirklich recht mager. An drei Tagen in der Woche gab es Nudeln, weil sie billig waren und satt machten. Schließlich irgendwelche Eintöpfe, und Fleisch, wenn es hoch kam, vielleicht zweimal im Monat. Alles in allem keine rechte Kost für gestandene Mannsbilder.

Wolfgang wandte sich um.

»Zahlen«, rief er.

Sepp Reisinger kam herüber.

»Schon gut«, sagte der Gastwirt, »das geht aufs Haus.«

»Dank’ schön, Sepp. Dann noch einen schönen Abend«, nickten die beiden und verließen das Zelt.

Über dem Festplatz lag Ruhe Die meisten Schaustellerfamilien waren schlafen gegangen, nur in wenigen Wohnwagen brannte noch Licht. Auch Anton Kaiser und seine Frau schliefen schon. Wolfgang und Tobias, die zusammen in einem Wagen wohnten, öffneten die Tür und stiegen ein. Drinnen zogen sie sich um. Dunkle Jacken und Hosen, Wollmützen, die sie aufsetzten und weit bis in die Stirn schoben.

Rechts und links befanden sich die Betten. Sie waren hochgebaut, darunter gab es Schränke, in denen man allerhand verstauen konnte. Wolfgang öffnete eine Schiebetür unter seinem Bett und kramte in dem Schrank herum. Nach einer Weile kam er ächzend wieder hoch. In den Händen hielt er einen länglichen Gegenstand, der in eine Wolldecke gewickelt war. Sie war mit einer Schnur zusammengebunden. Der Schausteller wickelte den Gegenstand aus, der sich als ein Jagdgewehr entpuppte. Sorgfältig überprüfte er die Waffe, griff dann noch einmal in das Versteck und holte eine Schachtel Munition hervor.

»Können wir?« fragte er seinen Bruder.

Tobias nickte. Sie löschten das Licht und stiegen aus dem Wagen. Nachdem sie die Tür verriegelt hatten, schlichen sie sich durch die Büsche am Rande der Festwiese. Ihr Ziel war der Ainringer Wald.

*

Christel Ottinger saß draußen vor dem Wohnwagen und machte die Abrechnung vom Vorabend. Seufzend schaute sie in die kleine Geldkassette, in der sich nur ein paar Münzen und wenige Scheine befanden. So gut, wie sie gehofft hatte, war das Geschäft am ersten Tag der Kirchweih in St. Johann nicht gewesen.

Na ja, vielleicht wird’s heute ja besser, dachte sie und trug die Einnahmen sorgfältig in das Kassenbuch ein.

Die Tür des anderen Wohnwagens wurde geöffnet, und ihr Vater kam heraus.

»Guten Morgen, Christel«, sagte er und setzte sich. »Gibt’s Frühstück?«

»Gleich«, sagte das Madl und nahm die Geldkassette und das Kassenbuch. »Kaffee ist schon fertig, ich deck’ schnell den Tisch.«

Christel eilte in ihren eigenen Wohnwagen und richtete Brot, Butter und Aufschnitt auf einem Tablett her. Nachdem sie Geschirr und Bestecke hinzugelegt hatte, ging sie wieder nach draußen. Karsten Steiner war inzwischen ebenfalls aufgestanden und saß schon an dem Tisch, unter dem Vorzelt.

»Grüß dich«, sagte Christel und reichte dem Gehilfen das schwere Tablett. »Ich muß nachher gleich ins Dorf, Vater. Die Vorräte gehen zu Ende. Brauchst du auch was, oder du vielleicht, Karsten?«

Die beiden Männer schüttelten die Köpfe.

»Wie war’s denn gestern, mit dem Geschäft?« erkundigte sich Wenzel Ottinger, während er seinen Kaffee schlürfte.

Das Madl zog die Stirn kraus.

»Hätt’ besser sein können«, antwortete er. »Aber das war am ersten Tag auch net anders zu erwarten.«

Karsten Steiner äußerte sich nicht dazu. Seit er beim Ottinger-Wenzel angestellt war, hatte er mitbekommen, daß mit dem Kinderkarussell nicht das große Geld zu verdienen war. Sein Gehalt war dem entsprechend auch eher mager, und wahrscheinlich hätte er sich längst nach einer besser bezahlten Stelle umgeschaut, wenn da nicht die Tochter seines Chefs gewesen wäre, auf die der Bursche, von Anfang an, ein Auge geworfen hatte.

Er hatte sich Zeit gelassen und abgewartet, ehe er damit begann, der hübschen Christel Avancen zu machen. Allerdings biß er bisher auf Granit. Die junge Frau wehrte seine Annäherungsversuche schmunzelnd ab und gab ihm zu verstehen, daß er nicht der Mann war, der ihr Herz ansprach.

Karsten hingegen liebte Christel Ottinger mit Haut und Haaren, und in den einsamen Stunden, wenn er in seinem Bett lag und das Schnarchen des Alten von der anderen Seite her hörte, dann stellte er sich vor, wie schön es wäre, zusammen mit Christel das Fahrgeschäft zu führen. Dabei träumte er sogar noch kühnere Pläne. Längst hatte er erkannt, daß die Kinder andere Attraktionen wollten, und im Geiste sah er sich schon als Besitzer eines großen, modernen Karus-

sells. Damit würden er und Christel nicht mehr die kleinen Festplätze abklappern, sondern auf richtigen Volksfesten, wie den Münchener Wiesn das große Geld machen. Einen großen Wohnwagen würden sie haben, in dem sie gücklich sein konnten.

Aber dazu mußte er sie erst einmal erobern und davon überzeugen, daß er das Zeug zu etwas Großem hatte und in der Lage war, ihr etwas zu bieten. Doch der gestaltete sich schwieriger, als er zu Anfang geglaubt hatte.

»Möchtest noch Kaffee?«

Christels Frage unterbrach seine Träumereien. Karsten blickte überrascht auf.

»Was hast’ gesagt?«

»Ob du noch Kaffee willst?«

»Ja, danke schön«, nickte er und hielt ihr seinen Becher hin.

Die Tür des Nachbarwohnwagens wurde geöffnet. Anton Kaiser hatte das Gefährt unmittelbar neben dem von Wenzel Ottinger abgestellt, wohlwissend, daß der andere sich ganz bestimmt nicht darüber freuen würde.

»Grüßt euch«, rief er zu Christels Erstaunen herüber.

Sie erwiderte den Gruß, während ihr Vater nur brummelnd nickte. Anton kratzte sich den Bauch und wandte sich grinsend ab.

»Ich fahr’ dann jetzt«, sagte Christel, nachdem sie das Frühstücksgeschirr abgeräumt hatte.

Sie schaute ihren Vater eindringlich an.

»Geh’ ihm einfach aus dem Weg«, bat sie, mit einem Kopfnicken zum Nachbarn.

Wenzel verzog das Gesicht, erwiderte aber nichts auf die Bitte seiner Tochter.

»Wir müssen ein paar Glühbirnen auswechseln«, wandte er sich an Karsten Steiner.

Der Gehilfe hatte sich schon erhoben.

»Mach’ ich, Chef«, antwortete er und warf Christel einen sehnsüchtigen Blick hinterher.

Die hatte sich in den PKW gesetzt, der sonst ihren Wohnwagen zog, und fuhr vom Platz. Bis ins Dorf war es nicht sehr weit, aber die Vorräte, die eingekauft werden mußten, konnte sie nicht alle zurücktragen.

Trotz der gestrigen Auseinandersetzung, die ihr Vater mit Anton Kaiser gehabt hatte, und der geringen Einnahmen des ersten Tages, war die junge Frau zuversicht-

lich. Heute, am Freitag, begann

das eigentliche Wochenende. Da hatten mehr Leute Zeit, zur Kirchweih zu gehen, und das Wetter schien auch zu halten. Jedenfalls strahlte die Sonne vom blauen Himmel.

Während sie nach St. Johann hineinfuhr, dachte Christel an Karsten Steiner. Natürlich hatte sie seinen Blick bemerkt, und daß er sie liebte, war für sie keine Neuigkeit mehr. Doch mehr als Sympathie konnte sie einfach nicht für ihn empfinden. Dabei sehnte sie sich schon manchmal danach, von einem Mann geküßt zu werden. Aber viele Möglichkeiten jemanden kennenzulernen, gab es in ihrem unsteten Leben nicht.

Gewiß, unter den Schaustellerkollegen gab es schon ein paar attraktive Burschen, und man begegnet sich immer wieder. Aber oft waren sie schon vergeben. Außerdem hatte Christel unter ihnen noch keinen getroffen, von dem sie auf den ersten Blick gewußt hätte, daß er ihr Traumprinz war.

Seufzend lenkte sie den Wagen auf den Parkplatz vor dem kleinen Supermarkt und stieg aus.

Wer weiß, dachte sie, vielleicht ist’s mein Schicksal, als alte Jungfer zu sterben...

Allerdings mußte sie bei diesem Gedanken dann doch schmunzeln. Sie war jung, und bis dahin lag noch ein ganzes Leben vor ihr.

Warten wir also ab, was dieses Leben noch für Überraschungen für mich bereit hält, ging es ihr durch den Kopf, während sie eine Münze für den Einkaufswagen aus der Geldbörse holte.

*

Karsten Steiner hatte die Glühbirnen ausgewechselt, und Wenzel Ottinger überprüfte, ob die bunten Lichter jetzt wieder vollständig brannten. Zufrieden schaltete er sie aus und schlurfte zum Wohnwagen zurück, den er und sein Gehilfe bewohnten.

»Chef, kann ich einen Vorschuß haben?« fragte Karsten ihn.

Wenzel war erstaunt. Es kam selten vor, daß der Bursche um Vorauszahlung auf sein Gehalt bat. Warum sollte er auch? Miete brauchte Karsten Steiner nicht zu zahlen und Verpflegung gab es auch. Geld auszugeben, dazu hatte er selten Gelegenheit. Außerdem wußte Wenzel, daß sein Angestellter jeden Cent sparte, deshalb war es schon verwunderlich, daß er einen Vorschuß wollte.

Der Schausteller nickte dennoch.

»Wieviel brauchtst’ denn?«

Karsten zuckte die Schultern.

»Ich denk’, hundert Euro reichen«, antwortete er.

Wenzel nickte wieder und stieg in den Wohnwagen. Drinnen nahm er die Geldkassette aus dem Schrank, zählte die Scheine ab und reichte sie Karsten.

»Dank’ schön, Chef«, sagte der und steckte das Geld in die Hosentasche.

»Verlier’s net«, mahnte der Alte ihn. »Was hast’ denn damit vor?«

Karsten Steiner wirkte verle-

gen.

»Die Christel hat doch im nächsten Monat Geburtstag«, antwortete er. »Ich wollt’ ihr eine Freud’ machen...«

Wenzel war verblüfft.

»Für hundert Euro?« fragte er. »Was willst’ ihr denn schenken«

Die beiden Männer setzten sich unter das Vordach, wo gegessen wurde, oder sich ausgeruht, bevor am Nachmittag das Geschäft begann.

Karsten sah seinen Arbeitgeber zögernd an.

»Ich..., ich hab’ an einen Ring gedacht«, erwiderte er schließlich und spürte, daß er feuerrot anlief.

Wenzel Ottinger schmunzelte. Daß sein Gehilfe ein Auge auf die Christel geworfen hatte, das wußte er schon seit langem. Allerdings hatte er seiner Tochter gebenüber bisher kein Wort darüber verloren. Wenzel wollte sich da nicht einmischen. Er mochte den stets zu einem Scherz aufgelegten jungen Mann und hätte nichts dagegen gehabt, wenn der sein Schwiegersohn würde.

Überhaupt machte er sich seit geraumer Zeit Gedanken darüber, wie es weitergehen sollte. Mit dem Geschäft, mit Christel und überhaupt. Schließlich lebte er nicht ewig, und mehr als das Karussell hatte er nicht zu vererben. Da wäre es schon gut, zu wissen, daß die Tochter einen tüchtigen Mann zur Seite hatte, der etwas von dem Geschäft verstand. Und ein bissel was auf der hohen Kante hatte der Karsten ja auch.

»Mußt net verlegen werden«, schmunzelte der Ottinger. »Von mir aus kannst du die Christel haben. Ich hab’ nix dagegen.«

Der junge Bursche schluckte vor Aufregung.

Er hatte lange überlegt, ob er einmal mit Christels Vater sprechen sollte, wenn das Madl mal net da war. So, von Mann zu Mann, erschien es ihm einfacher.

»Es stimmt schon, daß ich sie gern’ hab«, gab er zu. »Ich würd’ deine Tochter gern’ zur Frau nehmen. Und glaub’ net, daß ich’s auf das Erbe abgesehen hab’. Du weißt, daß ich das meiste von meinem Lohn spar’. Eines Tages möcht’ ich nämlich ein neues Karussell kaufen, ein modernes, so eines, wo die Kinder am liebsten gar net mehr aussteigen wollen.«

Wenzel Ottinger nickte.

Ja, an so ein Karussell hat er auch schon gedacht. Er wußte selbst, daß sein altes Kinderkarussell, mit dem schon sein Vater über die Plätze gezogen war, keine große Attraktion mehr darstellte. Mehr, als die ganz Kleinen konnte er damit nicht gücklich machen. Die Jugendlichen wollten Fahrgeschäfte, mit rasenden Geschwindigkeiten und nervenkitzelnden Schikanen.

Nur, wie sollte er so etwas bezahlen?

Keine Bank der Welt würde es ihm finanzieren. Rücklagen hatte er nicht, nur ein kleines Häuschen im Allgäuischen, wohin er und Christel sich zurückzogen, um zu überwintern, wenn die Saison vorbei war. Doch das Haus stellte einen kaum ausreichenden Wert dar. Als Sicherheit für einen Millionenkredit, den er für ein modernes Karussell benötigte, würde es einer Bank bestimmt nicht reichen. Hinzu kam, daß er viel zu alt war, um noch so einen Neuanfang zu wagen, nicht zu vergessen, die vielen Freizeitparks, die mit ihren Attraktionen, eine recht große Konkurrenz für die Schausteller bedeuteten. Doch die jungen Leute, die konnten es durchaus schaffen.

Mit einem Mal schien die Zukunft doch nicht mehr so düster, wie sie noch am Morgen ausgesehen hatte, als Christel ihm von den mageren Einnahmen des Vortages erzählte.

In Gedanken malte Wenzel sich schon aus, wie er sich ganz aus dem Geschäft zurückzog und einen ruhigen Lebensabend in seinem Haus verbrachte, während Tochter und Schwiegersohn über die ganz großen Plätze zogen – München, Stuttgart, vielleicht sogar bis nach Hamburg hinauf, wo man noch den Winterdom mitnehmen konnte.

Er würde derweil zu Hause in seinem Garten sitzen und nur zu seinem Vergnügen, das alte Karussell für die Nachbarskinder laufen lassen.

Wenzel Ottinger schmunzelte bei dieser Vorstellung. Vielleicht hatte er ja auch noch das Glück, Großvater zu werden...

Aber das stand alles noch in den Sternen. Bisher hatte Christel sich Karsten Steiners Werben widersetzt. Vielleicht mußte er, als Vater, mal mit der Tochter reden.

Er beugte sich zu seinem Gehilfen.

»Also, versuch’ dein Glück«, munterte er ihn auf. »Ich sprech’ mit der Christel. Wie gesagt – ich hab’ nix dagegen, wenn aus euch ein Paar wird.«

Der junge Bursche strahlte.

»Dann weiß ich auch schon, was ich ihr zum Geburtstag schenk«, sagte er. »Bestimmt gibt’s in Sankt Johann ein Juweliergeschäft...«

*

Anton Kaiser schlug mit der Faust an die Tür des Wohnwagens, in dem seine Söhne lebten.

»Ja, Himmelherrgottnocheinmal, wollt ihr Faulpelze heut’ gar net aufstehen?« brüllte er. »Ist ja schon gleich Mittag!«

Nach einer Weile rührte sich drinnen etwas. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet, und Wolfgang streckte verschlafen seinen Kopf heraus.

»Kann man net einmal in Ruhe ausschlafen, wenn man den ganzen Tag gearbeitet hat?« fragte er gähnend.

»Gearbeitet?« höhnte sein Vater. »Daß ich net lach’! Im Festzelt seid ihr gesessen und habt euch vollaufen lassen.«

»Das stimmt net«, protestierte der Sohn. »Bloß eine Maß haben wir getrunken.«

Er drehte den Kopf nach hinten.

»Stimmt’s, Tobias?«

Anton Kaiser hört ein zustimmendes Brummen.

»Trotzdem«, sagte er ärgerlich, »ihr könnt’ net bis in die Puppen schlafen und eurer Mutter und mir die ganze Arbeit überlassen. Also, beeilt euch, die Gewinne an der Losbude müssen aufgefüllt werden, und du, Wolfgang, mußt die Gewehre noch reinigen. Oder hast’ das etwa schon gestern abend gemacht?«