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Ashley Carrington

Jessica

Im Sturmwind der Leidenschaft

Roman

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21

Noch am Mittag erhielt Jessica ihre Reisetasche zurück, damit sie ihre verdreckte Kleidung, die sie vier Wochen lang getragen hatte, wechseln konnte. Der Wärter brachte ihr auch einen großen Krug Wasser und eine Blechschüssel zum Waschen sowie das erste reichhaltige Essen ihrer Gefangenschaft.

Das Essen rührte sie nicht an. Schon der Geruch rief in ihr Übelkeit hervor. Sie entkleidete sich und wusch sich zitternd von Kopf bis Fuß. Doch eine Kanne Wasser reichte längst nicht, um ihr das Gefühl zu geben, sauber zu sein und den Gestank der Zelle von ihrem Körper gewaschen zu haben.

Am Nachmittag des nächsten Tages holte Kenneth sie aus der Zelle. Er überreichte ihr ein Schreiben von William Hutchinson. Ihr Anwalt unterrichtete sie darin, eine Bestätigung von Lieutenant Forbes erhalten zu haben, die ihn als alleinigen Eigentümer einer Rum-Destillerie auf Seven Hills auswies und sie von jeder illegalen Tätigkeit in diesem Zusammenhang freisprach.

»Ganz so, wie du es verlangt hast«, sagte er. »Du siehst, ich stehe zu meinem Wort.«

Jessica fühlte sich wie taub. »Was ist mit Ian, Patrick und Lew?«

»Sie sind frei – so wie du.«

»Ich will mit Ian sprechen.«

Er zuckte die Achseln. »Sicher, warum nicht.«

»Allein!«, verlangte sie.

Kenneth führte sie in das Zimmer, in dem Captain Hembow sie mehrfach vernommen hatte. Augenblicke später trat Ian in den Raum. Die vier Wochen Kerker waren auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen. Sein Gesicht war eingefallen, erschreckend blass und von scharfen Linien durchzogen. Seine Kleidung starrte vor Dreck.

Als er sie erblickte, kam Leben in sein Gesicht, und seine Augen zeigten unsägliche Erleichterung. »Mein Gott, Jessica!«, rief er. »Die Sorge um Sie hat mich fast um den Verstand gebracht.«

»Es ist vorbei, Ian!«, sagte sie und dachte, dass es in Wirklichkeit jetzt erst begann. »Wir sind frei! Keiner wird nach Norfolk Island müssen.«

Sie sahen sich einen Augenblick an, und dann fielen sie sich in die Arme, hielten sich einen Moment umfangen, als wollten sie sich gegenseitig Trost spenden.

Jessica fürchtete, ihre mühsam erzwungene Beherrschung zu verlieren, und löste sich aus seinen starken Armen. »Wie geht es Patrick und Lew?«, fragte sie.

»Es war die Hölle, Jessica! Sie haben uns wie die Hunde behandelt, wie den letzten Dreck, dieses verfluchte Soldatenpack!«, schimpfte er. »Doch wir haben ihnen nichts gesagt und sind nicht in die Knie gegangen.«

Jessica lächelte schwach. »Ja, das habe ich gewusst, Ian. Aber es hätte uns vor Gericht nicht geholfen. Sie waren auch so über alles informiert.«

Ian sah sie verstört an. »Und weshalb lassen sie uns jetzt frei?«

»Weil Lieutenant Forbes und Captain Hembow skrupellose, korrupte Schweine sind!« Sie reichte ihm das Schreiben von ihrem Anwalt. Ian durfte nie erfahren, welchen Preis sie noch für ihre Freilassung bezahlen musste. Er hätte Kenneth dafür umgebracht, ohne die Folgen zu scheuen, das wusste sie. »Sie wollen die Destillerie.«

Er überflog das Schreiben. »Mein Gott, für diesen Freibrief können sie die verdammte Anlage gern haben!«, stieß er erleichtert hervor. »Wir müssen direkt froh sein, dass sie nicht auch noch die Shamrock verlangt haben. Das wäre ihnen zuzutrauen gewesen!«

»Sie kehren nach Seven Hills zurück …«

Stirnrunzelnd sah er sie an. »Ja, kommen Sie denn nicht mit uns?«

Sie schüttelte den Kopf und mied seinen Blick. »Ich … ich werde nach Sydney fahren und mich ein paar Tage dort aufhalten. Ich brauche ein wenig Zeit, um über das hier … hinwegzukommen. Mich um Brading’s zu kümmern, wird mir dabei helfen. Außerdem muss ich mich doch auch um eine neue Hauslehrerin für die Kinder bemühen.«

Forschend und mit einem unguten Gefühl betrachtete er sie. »Ist auch wirklich alles in Ordnung, Jessica?«, fragte er eindringlich.

Jessica musste ihre ganze Willenskraft aufwenden, um ihm ins Gesicht zu blicken und dabei noch ein Lächeln zustande zu bringen. »Ja, das ist es«, log sie. »Wir sind noch mal mit vier Wochen Kerker davongekommen, Ian.« Schnell wechselte sie das Thema. »Bauen Sie die Anlage ab. Captain Patrick soll sie nach Parramatta bringen. In ein paar Tagen werde ich auch zu Hause sein.«

»Ich wünschte, Sie würden jetzt gleich mit mir kommen, Jessica.«

»Es ist schon richtig so, glauben Sie mir!«, versicherte sie. »Ich möchte einige Tage allein sein, und nun gehen Sie. Ich muss noch zu Captain Hembow und ein Papier unterzeichnen, dass ich anständig behandelt worden bin. Grüßen Sie mir die Kinder und sagen Sie ihnen, dass ich sie liebe und bald nachkomme.«

Erschöpft sank Jessica auf einen Stuhl, als Ian das Zimmer verlassen hatte. Sie zitterte am ganzen Leib. Wie sollte sie die Tage, die vor ihr lagen, nur durchstehen?

Kenneth ließ seine Kutsche vorfahren und wenig später waren sie auf dem Weg nach Mirra Booka. Die Sonne schien, und der Frühling hatte das Land mit einer bunten Blütenpracht überzogen. Doch sie sah nichts davon. Sie nahm auch nichts von dem wahr, was Kenneth zu ihr sagte. Steif und wie in Trance saß sie in der Kutsche.

Sie schreckte hoch und zuckte zurück, als Kenneth sie berührte. »Wir sind da, Jessica.«

Jessica hatte das Gefühl, als bewegte sie sich durch ein Meer von Baumwollflocken, das alle Geräusche wie aus weiter Ferne an ihr Ohr dringen ließ.

Kenneth führte sie ins Haus. »Du wirst ein Bad nehmen und dich gründlich waschen wollen!«, sagte er, und es klang wie ein Befehl. »Ich habe schon dafür gesorgt. Emily wird sich um dich kümmern.«

Willenlos folgte sie ihm. Ihr war, als stünde sie neben sich und betrachtete eine Fremde, die nun ein geräumiges Waschkabinett betrat. Ein Dienstmädchen, das ihr gesichtslos erschien, erwartete sie dort. Was sie zu ihr sagte, glitt an ihr ab wie Wassertropfen an einer öligen Oberfläche. Doch sie ließ es geschehen, dass sie ihr beim Entkleiden half und ihr die Haare wusch, als sie in den Bottich stieg.

»Ist Ihnen denn noch immer kalt, Miss?«, fragte das Mädchen verwundert, als sie sah, dass Jessica zitterte. »Und ich dachte, heißer könnte man ein Bad gar nicht vertragen. Soll ich denn noch einen Eimer heißes Wasser aus der Küche holen?«

Jessica schüttelte nur den Kopf. Das Badewasser dampfte, doch gegen die Kälte in ihrem Innern hätte auch brühend heißes Wasser nichts auszurichten vermocht.

»Kommen Sie, ich trockne Sie ab«, sagte Emily dann.

Wortlos erhob sich Jessica, stieg aus dem Bad und ließ sich von dem Mädchen abtrocknen. Anschließend reichte Emily ihr ein Nachtgewand. Es war ein hauchdünnes rosafarbenes Gewand von der Art, wie es die Mädchen in Betsy’s Place trugen. Es reichte ihr gerade bis über die Hüften und stand vorne offen. Nur zwei dunkelrote Satinbänder schlossen es vor der Brust.

Jessica bemerkte gar nicht, dass das Mädchen ihre Sachen nahm und sich entfernte. Sie stand im Raum, ohne sich zu rühren, und wartete.

Dann ging die Tür zum benachbarten Schlafzimmer auf, und Kenneth erschien. Er trug einen königsblauen Morgenmantel aus schillernder Seide.

»Mein Gott, du siehst unwirklich schön aus!«, entfuhr es ihm bei ihrem Anblick, und einen Moment lang betrachtete er sie mit fast andächtiger Bewunderung.

»Komm!«, sagte er dann.

Mit hölzernen Bewegungen folgte sie seinem Befehl und ging ins Schlafzimmer hinüber.

Erst jetzt fand sie ihre Sprache wieder. »Kenneth, bitte! Tu es mir nicht an!«, flehte sie.

»Sei still!« Seine Stimme war leise und von Erregung erfüllt. »Zehn Jahre habe ich auf diesen Augenblick gewartet! Zehn Jahre habe ich mich nach dir verzehrt, Jessica. Und jetzt ist es endlich so weit. Mein Gott, du weißt ja gar nicht, in wie vielen Nächten ich wach gelegen und mir vorgestellt habe, wie es sein wird, dich zu berühren und deinen Körper wieder so zu spüren wie damals.«

Er trat zu ihr, und seine Hände berührten sie. Sie schien zu Eis zu werden, als er über ihre Brüste strich und den Linien ihres fast nackten Körpers folgte. »Leg dich aufs Bett!«

Jessica legte sich auf das weiße Laken und presste die Beine zusammen. Sie starrte zur Zimmerdecke hoch, als er seinen Morgenmantel ablegte und zu ihr kam.

Wieder tasteten seine Hände voller Begierde über ihren Leib. Sie öffneten die Schleifen, streiften den zarten Stoff zur Seite und entblößten ihre Brust.

»Du wirst sehen, es wird schön, Jessica«, keuchte er. »Entspann dich. Wehr dich doch nicht dagegen. Ich werde ganz zärtlich zu dir sein. Es wird wieder so sein wie früher. Ich weiß es, und du musst es nur wollen.«

Jessica biss sich auf die Lippen, als sie seinen feuchten Mund auf ihrer Brust spürte. Ekel wallte in ihr auf. Sie unterdrückte einen Schrei, als seine Hand zwischen ihre Schenkel griff. Sie schloss die Augen, als könnte sie dadurch vor dem Entsetzlichen flüchten, zu dem ihr Halbbruder sie zwang.

Sie schmeckte Blut, als er schließlich ihre Beine auseinanderdrückte. Der Albtraum begann.

22

Der kleinwüchsige Mann auf dem Bock ließ die Peitsche knallen und jagte die Kutsche über die steinige Landstraße. Die Sonne war schon im Westen versunken, und ein letztes Nachglühen warf einen schnell verblassenden, feurigen Schein über das Buschland.

Wesley weinte, das Gesicht in Kate Mallocks Schoß verborgen. »Wir brechen uns noch alle Kopf und Kragen, wenn dieser Zwerg von einem Kutscher so weitermacht!«, schimpfte sie.

»Ich habe ihm gesagt, dass er sich beeilen soll«, erwiderte Rosetta, die mit Maneka an ihrer Seite der Zofe gegenüber saß. »Gleich ist es dunkel, und ich möchte so schnell wie möglich auf Mirra Booka sein. Die Reise war lang genug.«

»Dem Jungen ist es bestimmt schon ganz schlecht von dem schrecklichen Geschaukel und Gerüttel!«, sagte Kate vorwurfsvoll und fuhr Wesley über den Kopf.

»Er soll sich nicht so anstellen!«, entgegnete Rosetta barsch und wünschte, sie hätte Kate und den Jungen in Sydney gelassen. Doch Kenneth hätte dafür kein Verständnis gehabt. Wenn sie zu ihm auf die Farm kam, erwartete er, dass sie auch Wesley mitbrachte. Er war vernarrt in seinen Sohn und brannte darauf, ihn auf das Pony zu setzen, das er extra für ihn gekauft hatte.

Rosetta blickte hinaus in die Dunkelheit, die fast mit einem Schlag kam. Sie waren mit einem Flussschiff, der Magdalena von Sydney nach Parramatta hochgesegelt. Eigentlich hätten sie dort schon gegen Mittag eintreffen sollen. Doch auf halber Strecke hatte das Flussschiff wegen eines Ruderschadens am Ufer anlegen müssen. Stunden hatte es gedauert, bis der Schaden behoben war und sie die Fahrt endlich fortsetzen konnten. Erst am Abend hatten sie Parramatta erreicht und in eine Mietdroschke umsteigen können.

Die Kutsche krachte plötzlich in ein tiefes Schlagloch. Rosetta wurde gegen die Rückwand geschleudert und schrie auf, wie auch Kate, Maneka und Wesley. In ihre Schreie mischte sich das Bersten von Holz. Ein entsetzter Ruf kam vom Kutschbock, gefolgt von einem dumpfen Aufschlag und einem gellenden Schmerzensschrei. Die Kutsche hing plötzlich stark nach links durch. Metall und Holz schabten kreischend über den Boden. Dann kam die Kutsche zum Stehen.

»Ich wusste es doch! Ich wusste, dass dieser Tölpel uns noch zu Schanden fahren wird!«, schimpfte Kate, während Wesleys Weinen in schrille Höhen stieg.

»Was ist passiert?«, rief Maneka erschrocken.

»Wir haben einen Achsenbruch erlitten oder ein Rad verloren, was weiß ich!« Rosetta stieß den Schlag auf und stieg aus. Das linke Vorderrad war geborsten. Gut die Hälfte der Speichen war zersplittert wie Kienspäne. Mit der Kutsche würden sie keine hundert Yard weit mehr kommen.

Nun verließen auch Maneka und Kate, die Wesley auf dem Arm trug, die Kutsche.

Lautes Stöhnen wies ihnen den Weg zum Kutscher, der vom Bock geschleudert worden war und am Straßenrand lag, das linke Bein unter dem Knie unnatürlich verdreht. Es war gebrochen.

»Hätte er sich doch den Hals gebrochen!«, zischte Kate. »Er hätte es verdient! Jetzt stehen wir mitten in der Nacht auf der Straße.«

»Mein Bein!«, jammerte der Kutscher. »Mein Bein! Ich brauche einen Arzt!«

»Da werden Sie sich schon in Geduld üben müssen!«, fuhr Rosetta ihn zornig an. »Sagen Sie uns lieber, wo wir sind und wie weit es noch bis Mirra Booka ist!«

»Es ist nicht mehr sehr weit! Bitte, holen Sie Hilfe! Ich komme um vor Schmerzen!«

»So schnell stirbt man nicht an einem gebrochenen Bein! Also reißen Sie sich zusammen!«, herrschte Rosetta ihn an.

»Ich soll bei Nacht durch den Busch marschieren? Das kommt gar nicht in Frage! Ich rühre mich nicht von der Stelle! Da draußen gibt es wilde Tiere!«, zeterte Kate.

»Gut, dann bleibst du mit dem Jungen hier!«, sagte Rosetta wütend. »Komm, Maneka, machen wir uns auf den Weg. Oder hast du auch so Angst wie Kate?«

»Nein«, erwiderte Maneka gefasst.

Also marschierten sie los. Die Spurrillen wiesen ihnen den Weg. Ihnen war auch nicht wohl zumute, als die Kutsche mit dem tröstlichen Schein ihrer Lampen hinter ihnen zurückfiel und die Dunkelheit sie umhüllte. Sie gingen so rasch, wie ihre Schuhe es zuließen, und lauschten dabei angestrengt in die Nacht. Dingos machten zwar gewöhnlich einen großen Bogen um Menschen, aber wussten sie denn, was da draußen sonst noch für Gefahren lauern konnten?

»Wir müssen es bald geschafft haben, Maneka! … Ich glaube, eine Meile sind wir schon marschiert. Jetzt kann es nicht mehr weit sein! … Nur noch diesen Hügel, dann können wir bestimmt schon die Lichter von Mirra Booka sehen!« Mit diesen und ähnlichen Bemerkungen machten sie sich Mut, während sie ins Schwitzen gerieten und ihnen die Luft knapp wurde. Doch sie wagten nicht, langsamer zu werden, geschweige denn eine Atempause einzulegen.

Die Stoßseufzer der Erleichterung schienen aus einem Mund zu kommen, als sie auf der letzten Hügelkuppe waren und die Farm vor ihnen lag.

Rosetta konnte jetzt sogar lachen, als sie auf das hohe Tor mit dem Rundbogen zuliefen, in den der Name Mirra Booka Kreuz des Südens eingebrannt war. »Kate ist ein richtiger Hasenfuß! Wir haben uns nicht gefürchtet, nicht wahr, Maneka?« Stolz klang aus ihrer Stimme.

Maneka lachte leise. »Nur ein wenig.«

»Lauf du zum Verwalterhaus hinüber und sag Mister Wilcox, dass er einen Wagen zur Kutsche und einen Reiter zum nächsten Arzt schicken soll«, trug Rosetta ihr auf. »Ich sage meinem Mann Bescheid. Er wird sich bestimmt schon Sorgen gemacht haben.«

»Ja, Rose.«

Sie trennten sich auf dem Hof. Rosetta betrat völlig verschwitzt, aber mit dem zutiefst befriedigenden Gefühl, eine besondere Bewährung mit Bravour bestanden zu haben, das Herrenhaus. Wenn sie das ihren Freundinnen in Sydney erzählte, würden sie es kaum für möglich halten. Missis Dorsey wäre bestimmt in Ohnmacht gefallen, und Missis Rodwell sicherlich auch.

Emily begegnete ihr im Flur, blieb abrupt stehen und schaute ganz bestürzt.

Rosetta bezog die Verstörung auf ihr schweißglänzendes Gesicht und ihr eingestaubtes Kleid. »Der Kutscher hat den Wagen zu Bruch gefahren, ein paar Meilen von hier. Ich bin den ganzen Weg mit Maneka gelaufen, denn der Schwachkopf hat sich ein Bein gebrochen. Wo ist mein Mann?«

»Im Schlafzimmer, aber …«

»Lass nur, ich sage ihm schon selbst, dass wir da sind. Lauf du in die Küche und heiz den Kessel an. Ich brauche dringend ein Bad. Was schaust du mich so an? Mach dich an die Arbeit!«

Emily zögerte, dann eilte sie davon.

Rosetta ging den Flur hinunter, bog um die Ecke und betrat den Raum, der dem Schlafzimmer ihres Mannes vorgesetzt war und von Kenneth als Arbeitszimmer benutzt wurde. Sie wollte schon seinen Namen rufen, als sie aus dem Schlafzimmer einen gedämpften Schrei vernahm und dann die wütende Stimme ihres Mannes: »Verdammt noch mal, tu endlich etwas! … Beweg dich! … Wir haben nicht ausgemacht, dass du während der drei Tage wie ein steifes Brett im Bett liegst! … Du machst alles kaputt!«

Rosetta erstarrte.

»Nicht mehr! … Nicht mehr!«, flehte eine weibliche Stimme. »Ich kann nicht mehr! … Ich ertrage es nicht mehr! … Mein Gott, hab doch Erbarmen mit mir!«

»Ich lasse mich nicht um mein Recht betrügen! Gestern habe ich das noch hingenommen und gedacht, du brauchtest nur etwas Zeit. Aber nicht den kleinen Finger rührst du! Du liegst da wie ein Stück Holz! Jede billige Hure ist besser als du!«, schrie er. »Nimm ihn schon! … Du sollst ihn nehmen! … Oder du wirst mich kennenlernen!«

»Mein Gott, warum tust du mir das an … und dir?« Die Frauenstimme war durch ein Schluchzen entstellt. »Warum schändest du mich und erniedrigst dich? … Bitte!«

Ein Fluch und ein Schlag.

Rosetta zuckte zusammen, als hätte der Schlag ihr gegolten. Ihre Gedanken jagten einander. Kenneth hatte eine Frau in seinem Schlafzimmer! Vielleicht eine der Bediensteten? Im Prinzip gingen sie seine Affären nichts mehr an, seit sie das Übereinkommen mit ihm getroffen hatte, das ihn aus ihrem Bett fernhielt und ihm die Freiheit gab, sich das bei willfährigen Frauen zu holen, was er brauchte.

Doch diese Frau dort, jenseits der Tür, war alles andere als willfährig! Sie flehte ihn an, von ihr abzulassen! Ihrer Stimme waren die Qual und Verzweiflung deutlich anzuhören. Sie litt!

Konnte sie da einfach den Rücken kehren, aus dem Zimmer schleichen und so tun, als ginge sie das nichts an?

Nein! Es geht mich nichts an! Ich darf nicht eingreifen!, versuchte sie sich einzureden.

Doch in dem Moment hörte sie ihren Mann sagen: »Du tust es dir selber an, Jessica! Benimm dich endlich wie eine richtige Frau, und dann hast auch du deinen Spaß dabei, zum Teufel noch mal!«

Jessica?

Eine Gänsehaut überlief sie. Einem inneren Zwang folgend, ging sie auf die Tür zu. Ihre Hand streckte sich zitternd nach dem Knauf aus, umschloss ihn und verharrte einen Augenblick. Noch immer zögerte sie. Doch als sie ein Schluchzen hörte, konnte sie einfach nicht anders, als ihrem Gewissen zu folgen, und sie riss die Tür auf.

Ihr Blick fiel auf das Bett, und sie wusste in diesem Moment, dass sie den Anblick, der sich ihr bot, bis zu ihrem Tod nicht vergessen würde.

Jessica lag nackt auf dem Bett, die Arme in einer ohnmächtigen Geste der Schutzlosigkeit vor der Brust und die Hände zu Fäusten geballt. Das verzerrte Gesicht hatte sie zur Tür abgewendet, die Augen geschlossen. Ihre Oberlippe war aufgeplatzt, und Blut sickerte aus der Wunde.

Kenneth kniete zwischen ihren Beinen. Sein Mannesstolz war kläglich in sich zusammengefallen, und Wut über seine mangelnde Potenz stand auf seinem Gesicht.

Sein Kopf fuhr herum, als die Tür aufging, und mit einem grotesken Ausdruck von Fassungslosigkeit starrte er seine Frau an.

»Du wirst sie nicht noch einmal schlagen, Kenneth!«, stieß Rosetta hervor. »Und du wirst sie auch gegen ihren Willen nicht mehr anrühren! Mein Gott, wie kannst du nur so etwas … Abstoßendes tun?«

Sein Gesicht verzerrte sich. »Raus! … Raus!«, schrie er mit sich überschlagender Stimme und sprang vom Bett. »Wie kannst du es wagen?«

Rosetta bekam es mit der Angst zu tun, schlug die Tür zu und rannte davon. Sie flüchtete in ihr Zimmer und riegelte die Tür ab.

Wenige Minuten später hörte sie seine Schritte. »Mach sofort auf!« Er rüttelte an der Tür und schlug mit den Fäusten dagegen. »Ich gebe dir zehn Sekunden, Rose! Wenn die Tür dann nicht offen ist, trete ich sie ein!«

Sie schob den Riegel zurück.

Die Tür flog auf und traf sie an der Schulter. Rosetta schrie vor Schmerz und wich vor ihrem Mann zurück. Sein Gesicht, das vor Wut rot angelaufen war, jagte ihr Angst ein.

»Was hast du hier zu suchen?«, schrie er sie an und knallte die Tür hinter sich zu. »Wie kannst du es wagen, unangemeldet auf Mirra Booka zu erscheinen und dann auch noch in mein Schlafzimmer zu kommen?«

»Aber es war doch ausgemacht, dass ich mit dem Jungen …«

»Nächsten Sonntag! Nächsten Sonntag war ausgemacht!«, brüllte er. »Du spionierst mir nach! Ist das der Dank dafür, dass ich zu meinem Wort gestanden bin?«

»Ich habe wirklich gedacht … die Kutsche … ein Radbruch … ich …« Sie stammelte und brachte in ihrer Angst keinen ganzen Satz mehr zustande.

»Ich werde dich lehren, dich noch einmal in Dinge einzumischen, die dich nichts angehen!«, zischte er. Seine Hand fasste in den Ausschnitt ihres Kleides und riss das Oberteil brutal auseinander.

Aufschreiend wankte sie zurück und stieß gegen einen Pfosten ihres Bettes. Doch er folgte ihr sofort. Er packte ihr Mieder und riss es ihr vom Leib. Als sie ihn abwehren wollte, schlug er ihr ins Gesicht. Sie stürzte aufs Bett.

Wie von Sinnen fiel er über sie her und riss ihr ein Kleidungsstück nach dem anderen vom Körper. Sie wand sich wimmernd unter seinen roh zupackenden Händen. Er hatte jedoch kein Erbarmen mit ihr.

»Du willst nicht, dass ich es mit anderen Frauen treibe? Bist du deshalb in mein Schlafzimmer gekommen? Sag, bist du eifersüchtig geworden und möchtest du nun doch, dass ich mir bei dir hole, was mir nach Recht und Gesetz auch zusteht, ja? Willst du demnächst das Bett wieder mit mir teilen, weil du es ohne Mann doch nicht aushältst?«, höhnte er und zwang seine Hand zwischen ihre Beine. Grob umfasste er ihr weiches Fleisch. »Na los, sag es mir, ob es das ist, was du möchtest? Oder habe ich da vielleicht etwas falsch verstanden?«

»Bitte nicht, Kenneth!«, flehte Rosetta. »Es war ein Missverständnis! Ich habe dir nie nachspioniert, und wenn ich gewusst hätte, du … du … ich … ich wäre bestimmt nicht gekommen! Bitte, tu mir nichts an!«

»Schwöre, dass du so etwas nie wieder tun wirst!«, herrschte er sie an.

»Ich schwöre es, Ken! Ich schwöre es!«, rief sie aufschluchzend.

Er ließ von ihr ab und trat einen Schritt zurück. »Ich habe den Sohn, den ich mir gewünscht habe, Rose. Und wir haben unsere Abmachung getroffen!«, erinnerte er sie mit kaltem, funkelndem Zorn in den Augen. »Brich sie nie wieder, sonst werde ich dafür Sorge tragen, dass du noch ein halbes Dutzend Kinder gebärst! Dann werde ich dich nehmen, wann mir danach zumute ist! Haben wir uns verstanden?«

»Ja, Ken«, winselte Rosetta.

»In einer Stunde erwarte ich dich zu Tisch! Makellos gekleidet und ein Lächeln auf dem Gesicht. Immerhin sind wir doch eine glückliche Familie, nicht wahr?« Mit diesen höhnischen Worten ließ er sie allein.

Rosetta rollte sich auf dem Bett wie zu einem Ball zusammen und weinte lautlos, aus Verzweiflung, aber auch aus Erleichterung, dass er sie verschont hatte. So fand Maneka sie wenig später.

23

Kenneth jagte sie wie einen räudigen Hund aus dem Haus. »Sieh zu, wie du nach Parramatta oder Seven Hills kommst! Und wage es nicht, mir oder jemandem von meiner Familie unter die Augen zu treten! Auspeitschen lassen sollte ich dich!«

Seelisch wie körperlich zerschunden, schlich Jessica sich in den Stall und verkroch sich in einer dunklen Ecke wie ein weidwundes Tier, das sich in seinem Versteck zum Sterben niedergelegt hatte.

Und zum Sterben war Jessica auch zumute. Für Tränen hatte sie kaum noch die Kraft. Zitternd, die Arme um sich geschlungen und wimmernd wiegte sie sich im Stroh. Zwei Tage hatte sie ihm zu Willen sein müssen, und mehr als einmal hatte sie gewünscht, ihr Herz möge stillstehen, damit diese Qual und Schändung endlich ein Ende hatte. Einen dritten Tag hätte sie mit klarem Verstand wohl kaum ausgehalten. Rosettas Erscheinen hatte sie davor bewahrt, dass in ihr alles zerbrach und sich ihr Geist in den Wahnsinn flüchtete.

Jessica fiel in dieser Nacht immer nur für kurze Zeit, meist nur für Minuten, in den Schlaf. Denn die Tortur, die hinter ihr lag, lebte in ihrem Gedächtnis weiter und quälte sie mit Albträumen, die fast schrecklicher waren als die Wirklichkeit. Immer wieder ließen die Schrecken ihrer Träume sie auffahren.

Kaum kündigte sich der neue Tag an, da zog Jessica schon los. Der stundenlange Marsch machte ihr nichts aus. Sie war wie taub, und ihre Beine bewegten sich so gleichmäßig, als hätten sie nichts mit dem Rest des Körpers zu tun.

Mit der Mietdroschke von Jonathan Gilmore fuhr sie von Parramatta nach Sydney. Es war schon dunkel, als sie in der Stadt ankamen, und Brading’s hatte bereits geschlossen, wofür Jessica sehr dankbar war.

In ihrer Wohnung riss sie sich die Kleider vom Leib und konnte kein Ende finden, ihren Körper zu waschen und mit der Bürste zu bearbeiten. Sie ließ erst von sich ab, als ihre Haut brannte und die Berührung der Borsten sie vor Schmerz aufschreien ließ. Dann zog sie alle Gardinen zu, dass es stockdunkel war, und kroch ins Bett.

Erst am Nachmittag des folgenden Tages merkten Glenn Pickwick und seine Frau, dass sie im Haus war. Sie hatten von Jessicas Einkerkerung erfahren und waren im ersten Moment überglücklich, sie auf freiem Fuß zu sehen. Doch die Freude währte nur einen kurzen Moment. Sie erschraken zutiefst über den gehetzten, verstörten Blick, der in Jessicas Augen stand, und über ihre Einsilbigkeit.

»Sie muss im Kerker Schreckliches mitgemacht haben«, vermutete Glenn Pickwick bestürzt. »Du musst dich um sie kümmern, Constance.«

Und das tat sie dann auch. Sie hielt sich stets in ihrer Nähe auf, nachdem sie festgestellt hatte, dass Jessica das Alleinsein fürchtete. Die ersten beiden Tage verließ sie nur das Bett, um ihre Notdurft zu verrichten. Sie erlaubte auch nicht, dass die Vorhänge aufgezogen wurden und Tageslicht ins Zimmer fiel. Constance versuchte mehrmals, sie zum Reden zu bringen. Doch als Jessica ihr dann klar und deutlich zu verstehen gab, dass sie nicht darüber sprechen wollte, respektierte sie das.

Dass Constance einfach nur da war und sich um sie sorgte, tat Jessica gut. Was sie durchgemacht hatte, würde sie nie vergessen können. Doch ganz langsam verlor der körperliche und seelische Schmerz, der ihr anfangs fast den Verstand hatte rauben wollen, seine quälende Schärfe.

Widerstand, sich nicht ihrer Verzweiflung zu überlassen, regte sich in ihr. Er hatte sie benutzt wie eine Hure, nein, schlimmer noch! Immer wieder hatte sie ihn in diesen beiden Tagen ertragen müssen, hatte die Qual und den Ekel, sich ihm auszuliefern, und die Schändung ihres Körpers hinnehmen müssen. Allein der Gedanke, dass sie damit das Leben von Patrick, Lew und Ian rettete und das ihre, hatte sie davor bewahrt, durchzudrehen.

Was Kenneth ihr angetan hatte, war nicht wiedergutzumachen. Die Wunden an ihrem Körper würden sich schließen und bald nicht mehr zu sehen sein. Doch die Wunden in ihrem Innern, in ihrer Seele, würden auf ewig schwere Narben davontragen.

Daran konnte sie nichts ändern. Doch sie durfte nicht zulassen, dass Kenneth ihr Leben zerstörte. Sie durfte sich nicht ihrem Selbstmitleid und ihrem dumpfen Hass überlassen und dabei den Bezug zur Wirklichkeit verlieren.

Sie musste an ihre Kinder denken. Sie brauchten sie. Und Seven Hills brauchte sie. Nein, sie konnte und durfte sich nicht in ihren Schmerz vergraben!

Es fiel Jessica unsagbar schwer, sich wieder unter Menschen zu begeben und so zu tun, als wäre gar nichts geschehen und als könnte sie ihr Leben dort wieder nahtlos aufnehmen, wo es durch ihre Verhaftung unterbrochen worden war. Doch sie zwang sich dazu, und seltsamerweise half ihr der Umgang mit den Kunden, wieder Tritt zu fassen und zumindest äußerlich ihre Selbstbeherrschung wiederzufinden.

Nach fast einer Woche fühlte sie sich kräftig und sicher genug, um zu ihren Kindern auf die Farm zurückkehren zu können – und Ian unter die Augen zu treten, ohne sich ihre innere Qual anmerken zu lassen.

»Endlich, Jessica! Wir haben uns schon Sorgen gemacht!«, rief Ian bei ihrer Ankunft erleichtert. Die Freude, die Jessica nicht nur von ihren Kindern entgegenschlug, sondern von fast allen auf Seven Hills, berührte sie, und sie schämte sich ihrer Tränen nicht. Hier, auf ihrer Farm und im Kreis der Menschen, für die sie viel mehr war als nur die Herrin von Seven Hills, fühlte sie sich geborgen, und hier würde sie auch die Kraft finden, die Schrecken der Vergangenheit zu überwinden – wie schon einmal, als sie als Sträfling nach New South Wales gekommen war.

Jessica stürzte sich förmlich in die Arbeit, die der fortschreitende Frühling in Hülle und Fülle mit sich brachte. Bis zur Erschöpfung arbeitete sie auf den Feldern, und als die Schur begann, griff auch sie zur Wollschere und gönnte sich keine Ruhe. Ian unterließ es diesmal, sie zur Schonung zu mahnen, wusste er doch, dass sie die Arbeit und die völlige körperliche Verausgabung brauchte, um mit sich selbst ins Reine zu kommen. Den wirklichen Grund ahnte er jedoch nicht, und er durfte ihn auch nie erfahren.

Wochen zogen ins Land.

Und dann kam der erste Morgen, an dem Jessica mit einem Gefühl der Übelkeit erwachte. Sie versuchte, es zu ignorieren, und klammerte sich an die Hoffnung, dass es nur die Folge ihrer Überarbeitung war.

Doch die Übelkeit suchte sie von nun an täglich heim. Eine schreckliche Angst wuchs in ihr, die sie durch noch mehr Arbeit zu bekämpfen suchte. Sie quälte ihren Körper, als wollte sie ihn für das bestrafen, was er ihr antat.

Als ihre Tage sechs Wochen überfällig waren, konnte sie nicht länger vor der Wahrheit flüchten. Das Unaussprechliche, das Entsetzliche war eingetroffen: Sie erwartete ein Kind.

Von ihrem Halbbruder!

24

An einem frühen Abend Ende Oktober trat Maneka ins Schlafzimmer von Rosetta, um das Bett aufzuschlagen und im Waschkabinett frisches Wasser in die Kannen zu füllen. Überrascht blieb sie stehen, als sie Rosetta dort im Dämmerlicht am Fenster sitzen sah.

»Rose?«, fragte sie besorgt und ging zu ihr. »Ist dir nicht gut?« Rosetta streckte die Hand nach ihr aus. »Es verfolgt mich immer wieder«, sagte sie mit bedrückter Stimme.

»Was auf Mirra Booka geschehen ist?«, fragte Maneka leise und voller Mitgefühl. Rosetta hatte ihr alles erzählt, was an jenem Abend passiert war. Sie war erschüttert gewesen und hatte sie zu trösten versucht, so gut es ihr möglich gewesen war.

»Ja, ich werde dieses schreckliche Bild einfach nicht los. Immer wieder sehe ich es vor mir, wie … wie sie dort vor ihm lag. Ihr Gesicht werde ich nie vergessen. Diese Qual in ihrem Blick, als sie mich anschaute. Es war schlimmer als ein Schrei!«

Maneka streichelte die Hand der Frau, die sie über alles liebte und deren Kummer und Schmerz sie teilte. »Du musst versuchen, das zu vergessen, Rose.«

»Wie kann ich das vergessen?«, fragte Rosetta gequält. »Wie kann ich so tun, als wäre das nicht geschehen? Es war mein Mann, der ihr das angetan hat!«

Maneka schwieg, weil es darauf nichts zu sagen gab.

»Und es ist meine Schuld!«, fügte Rosetta nach einer Weile bedrückenden Schweigens hinzu.

»Nein!«, widersprach Maneka nun heftig. »Das darfst du dir nicht einreden, Rose! Es stimmt nicht! Du bist nicht für die Fehler deines Mannes verantwortlich. Dich kann gar keine Schuld an dieser entsetzlichen Sache treffen.«

Rosetta lachte bitter auf. »O doch, mich trifft sehr wohl Schuld. Ich habe ihn geheiratet und bin damit auch die Verpflichtung eingegangen, ihm in jeder Hinsicht seine Frau zu sein – auch im Bett. Dass ich nicht ahnte, wie sehr mich das abstößt, was ein Mann von einer Frau erwartet, spricht mich nicht frei. Ich bin es gewesen, die Kenneth dazu gebracht hat, diese … Wollust bei anderen Frauen zu suchen. Ich allein bin dafür verantwortlich.«

»Das ist nicht wahr! Du hast mir selbst gesagt, dass er dich so oder so mit anderen Frauen betrogen hätte!«, hielt Maneka ihr entgegen.

»Aber vielleicht wäre er dann nicht so weit gegangen, wie er es jetzt getan hat«, grübelte Rosetta. »Vielleicht wäre alles anders gekommen … auch mit Wesley.«

»Du darfst dich nicht damit quälen, Rose!«, sagte Maneka eindringlich. »Dein Mann hat dich nicht weniger gefühllos behandelt. Niemand kann dir einen Vorwurf daraus machen, dass du ihn im Bett nicht mehr ertragen konntest. Das hat er sich selbst zuzuschreiben. Für alles, was er Schändliches getan hat, ist er allein verantwortlich. Und was auf Mirra Booka geschehen ist, musst du versuchen zu vergessen. Was bleibt dir auch anderes übrig? Du kannst dieser Frau ja doch nicht helfen.«

Rosetta fand während der nächsten Tage keine Ruhe. Die Szene im Schlafzimmer auf Mirra Booka verfolgte sie, und sie konnte sich nicht von dem quälenden Gedanken befreien, dass auch sie dafür verantwortlich war.

Vielleicht kann ich ihr doch helfen, ging es Rosetta immer wieder durch den Kopf. Zumindest kann ich dafür sorgen, dass ihr so etwas nie wieder zustoßen und Kenneth sie nie mehr mit seinen Nachstellungen quälen wird. Das kann ich für sie tun!

Doch sie zögerte lange, bis sie den Mut fand und die unterste Schublade ihrer Wäschekommode öffnete, in der sie Puppen und andere Erinnerungsstücke aus ihrer Kindheit aufbewahrte – und ein fest verschnürtes, in blaue Seide gewickeltes Päckchen. Es lag ganz unten versteckt. Seit sie in das Haus in der Marlborough Street gezogen war, hatte sie es nicht wieder in die Hand genommen, geschweige denn die Bänder geöffnet und den Inhalt ausgewickelt.

Nicht einmal Maneka durfte wissen, was die blaue Seide für ein Geheimnis barg. Deshalb schloss sie sich in ihr Zimmer ein. Mit einem Gefühl der Beklemmung nahm sie das Päckchen dann aus der Schublade, schnürte es auf und schlug den Stoff zurück.

Zum Vorschein kamen ein halbes Dutzend Briefe sowie ein altes, abgegriffenes Tagebuch. Auf der ersten Seite stand in zierlicher, aber ausgeprägter Schrift Helen Jakes Ravan. Die Eintragungen begannen mit dem Jahr 1792. Die Briefe stammten dagegen aus der Feder von Sir Wesley Forbes, Turnburry Hall, und waren an seinen Sohn Kenneth in Eton gerichtet.

Tagebuch und Briefe hatte Rosetta in einer kleinen Kiste gefunden, die mit in Leder gebundenen Gesetzestexten, rechtswissenschaftlichen Büchern sowie einigen Romanen und Gedichtbänden vollgestopft gewesen war. Diese Truhe hatte zu den zahlreichen Kisten ihres Umzugsgutes gehört, als sie nach New South Wales gekommen waren. Zufällig war sie ihr in die Hände gefallen – und als sie daranging, sie auszuräumen, war sie auf die Briefe und das Tagebuch gestoßen – und damit auf ein großes Geheimnis, besser gesagt, einen Skandal.

Sie hatte die Kiste mit all den Büchern verschwinden lassen, und Kenneth hatte auch nie danach gefragt, entweder weil er sie für verloren hielt oder aber der Überzeugung war, diese brisanten Unterlagen an einem sicheren Ort auf Turnburry Hall zurückgelassen zu haben.

Während der ganzen Zeit, die das fest verschnürte Päckchen in ihrer Kommode unter alten Kindersachen versteckt gelegen hatte, hatte sie geahnt, dass diese Briefe und das Tagebuch eines Tages für sie von großem Wert sein würden – eine Art Versicherung sogar. Doch sie hatte nie für möglich gehalten, dass sie diesen Schatz eines Tages aus der Hand geben würde.

Es war jedoch das Einzige, was sie tun konnte, um einen Teil ihrer schweren Schuld abzutragen. Und so setzte sie sich an ihren Sekretär, griff zu Papier und Feder und schrieb mit verstellter Schrift:

Verehrte Missis Brading,

Sie werden verwundert sein, von mir einen Brief zu erhalten, aber die Ereignisse der letzten Wochen, für die mir die Worte fehlen, lassen mir keine Ruhe. Ich möchte Ihnen helfen, dass sich so etwas nie wiederholen wird – und ich hege den begründeten Glauben, Ihnen helfen zu können. Bitte machen Sie es möglich, dass wir uns recht bald treffen können – und zwar hier in Sydney. Am geeignetsten wäre wohl Ihr Geschäft. Ich werde eine Woche, nachdem ich das Schreiben abgeschickt habe, an jedem zweiten Tag, beginnend mit dem Montag, am Vormittag gegen elf in Ihrem Geschäft erscheinen, um irgendeine Kleinigkeit zu kaufen. Sie werden verstehen, dass ich um Ihre höchste Verschwiegenheit jedem gegenüber bitte, da mein Vorgehen mich selbst einer großen Gefahr aussetzt, sollte es der Person bekannt werden, die schon so viel Unglück über Sie gebracht hat.

Eine Freundin, die mit Ihnen leidet und nicht länger schweigen kann.

Lange nachdem sie die Feder aus der Hand gelegt hatte, saß Rosetta an ihrem Sekretär und blickte auf die Zeilen. Dann versiegelte sie das Schreiben und verließ das Haus.

Sie begab sich in die Pitt Street und bat den Geschäftsführer von Brading’s um ein vertrauliches Gespräch. Ein wenig verwundert, aber zuvorkommend führte Glenn Pickwick sie in das Büro.

»Was kann ich für Sie tun?«, erkundigte er sich.

Rosetta reichte ihm den Brief. »Das ist eine vertrauliche und höchst wichtige Nachricht für Missis Brading«, teilte sie ihm mit. »Ich möchte Sie bitten, ihr diesen Brief zuzustellen – und zwar mit einem persönlichen Boten.«

»Natürlich, ich werde mich sofort darum kümmern«, versprach er.

»Für die Kosten komme ich selbstverständlich auf.«

»Das wird nicht nötig sein. Auch ich habe für Missis Brading noch einige wichtige geschäftliche Unterlagen, die ich ihr zukommen lassen möchte«, sagte er freundlich. »Ich werde sie mit Ihrem Brief noch heute per Boten nach Seven Hills schicken.«

Rosetta dankte ihm und verließ das Geschäft, erleichtert, dass sie sich endlich zu diesem Schritt durchgerungen hatte. Ob ihr Gewissen jetzt endlich Ruhe finden würde? Vielleicht ein wenig. Sie hoffte es.

25

Nur mit einem dünnen Höschen bekleidet, das ihr bis über die Knie ging und reich mit Spitzen und Rüschen besetzt war, saß Lavinia vor der Frisierkommode mit dem dreiteiligen Spiegel und richtete ihre Frisur. Sie hatte bei ihren leidenschaftlichen Liebesspielen im Bett arg gelitten. Wie gut, dass sie es sich angewöhnt hatte, ihr Haar offen zu tragen. So bedurfte sie nicht der Hilfe einer Zofe, um es wieder in Ordnung zu bringen.

Kenneth lag noch auf dem Bett, entspannt und gesättigt von der Lust, die sie ihm mal wieder im Übermaß geschenkt hatte. Er drehte sich auf die Seite, stützte sich mit einem Ellbogen ab und betrachtete ihren Körper. Keck reckten sich ihre Brüste ihrem Spiegelbild entgegen. Verwunderung lag in seinem Ausdruck.

Er seufzte.

»Es tut mir auch leid, Ken, aber es wird wirklich Zeit für mich«, bedauerte sie und warf ihm einen schmerzlich liebevollen Blick zu.

»Ach, das ist es nicht, was mir gerade durch den Kopf gegangen ist«, sagte er.

»Sondern?«

»Ich habe daran gedacht, was für ein Narr ich doch gewesen bin, zu glauben, dass man die Vergangenheit wieder zurückzwingen und mit neuem Leben erfüllen kann.«

»Das verstehe ich nicht, Ken.« Sie drehte sich zu ihm um. »Von welcher Vergangenheit sprichst du? Hat es vielleicht mit uns zu tun?«

»O nein!«, beruhigte er sie, als er ihre besorgte Miene sah. »Mit uns ist alles so wunderbar, wie ich es mir nicht hätte träumen lassen.«

»Was ist es dann, was dich so beschäftigt?«

Er zögerte. »Ach, es betrifft einen … alten Freund, der mir einmal unglaublich viel bedeutet hat. Das war noch in England und liegt schon gut zehn Jahre zurück. Wir waren damals ein Herz und eine Seele, und ich glaubte, dass das, was wir füreinander empfanden, immer so sein würde.«

»Du hast mir von diesem Freund nie erzählt«, sagte Lavinia überrascht. »Wie heißt er?«

»Sein Name tut nichts zur Sache«, wich er einer direkten Antwort aus. »Unsere Wege trennten sich noch in England, doch ich habe immer an ihn denken müssen und mir so sehr gewünscht, dass wir eines Tages wieder … zusammenfinden würden. All die Jahre habe ich mir wieder und wieder ausgemalt, wie das sein würde. Mein Gott, wie sehr fieberte ich diesem Tag entgegen. Du wirst vielleicht darüber lachen, aber ich war davon geradezu besessen.«

»Warum soll ich denn darüber lachen?«, meinte sie ahnungslos. »Ich finde es vielmehr wunderbar, dass du eine Freundschaft so hochhältst. Es spricht nur für dich, mein Liebster – wie so vieles für dich spricht.« Sie lächelte ihm zu.

Er verzog das Gesicht. »Na ja …«

»Und? Was ist dann passiert? Hast du ihn wiedergetroffen?«, wollte sie wissen.

Er nickte. »Ja, hier in der Kolonie.«

»Aber das Wiedersehen war nicht so, wie du es dir erhofft hattest?«

»Ganz und gar nicht!«, stieß er bitter hervor. »Es war die schlimmste Enttäuschung meines Lebens. Wir hatten uns nicht mehr das Geringste zu sagen, so als wären wir uns völlig fremd, ja, schlimmer noch, uns verband auch nicht mehr die gemeinsame Vergangenheit. Ich war wie vor den Kopf gestoßen und konnte es einfach nicht begreifen. Ich wollte es nicht akzeptieren, dass die Jahre uns verändert und quasi ausgelöscht hatten, was wir einmal füreinander empfunden haben. Ich weigerte mich, von meinem besessenen Traum abzulassen, und versuchte, es zu erzwingen.«

»Aber Ken, Zuneigung lässt sich doch nicht erzwingen«, rügte sie ihn sanft.

Sein Gesicht verschloss sich. »Du kannst es nicht verstehen. Es war etwas ganz Besonderes, und ich konnte nicht glauben, dass es vorbei sein sollte. Doch genauso war es. Wie ein Idiot komme ich mir jetzt vor, dass ich mir jahrelang solche Hoffnungen, nein Illusionen gemacht habe, um dann zu erfahren, dass nichts mehr geblieben ist. Es ist sogar zu einer recht hässlichen Szene zwischen uns gekommen.«

»Das tut mir leid.« Sie ging zu ihm ans Bett und streichelte ihn. »Aber mit solchen Enttäuschungen muss man leben, Ken. Die Menschen sind nun mal so, voller Undankbarkeit und Gefühllosigkeit. Ich brauche dabei bloß an Henry zu denken. Für ihn bin ich kaum mehr als ein hübsches Möbelstück. Meine Gefühle haben ihn nie interessiert. Aber ich habe damit zu leben gelernt, und nun, da ich dich habe, macht es mir nichts mehr aus. Ich lebe für die Stunden mit dir.«

Kenneth zog sie an sich und barg sein Gesicht zwischen ihren Brüsten. Wie hatte er so verblendet sein können zu glauben, Jessicas Liebe und Hingabe erzwingen zu können? Wie entsetzlich war es gewesen, sie zu nehmen, während sie reglos und mit Ekel auf dem Gesicht unter ihm lag und es über sich ergehen ließ.

Dafür hatte er sie gehasst und sie in seinem Hass immer wieder gezwungen, ihn zu ertragen, bis noch nicht einmal dieses Gefühl stark genug gewesen war, um ihn in Erregung zu versetzen. Danach hatte er sich vor sich selbst geekelt.

Warum nur hatte er sich das angetan, da er doch bei Lavinia alles und viel mehr fand, was er sich bisher von einer leidenschaftlichen Frau gewünscht hatte? Was hatte ihn bloß zu diesem Wahnsinn getrieben?

Er wusste es nicht mehr, und er wollte auch nicht mehr daran denken!

Seine Hände glitten über ihren warmen, geschmeidigen Körper, als suchte er Trost. Eine Weile ließ sie es geschehen, und sie seufzte sehnsüchtig, als sich seine Lippen um eine Brust schlossen.

Doch dann schob sie ihn sanft zurück. »Es geht wirklich nicht, mein Liebster, obwohl ich so gern noch bleiben würde. Ich muss mich anziehen und sehen, dass ich nach Hause zurückkomme. So lange wie heute war ich noch nie bei der Schneiderin zur Anprobe.« Sie lachte leise auf.

Widerwillig gab er sie frei und begann schließlich auch, sich anzuziehen. Er half ihr, das Mieder zu schnüren und die Knopfleiste ihres Kleides im Rücken zu schließen. Dann tauschten sie einen leidenschaftlichen Abschiedskuss. Augenblicke später hatte Lavinia das kleine Haus verlassen. Er hörte, wie ihr Einspänner aus dem Stall rollte und sich der Hufschlag rasch entfernte. Er nahm ihren Körpergeruch noch immer wahr. Warum nur hatte er nicht eine Frau wie Lavinia geheiratet?

Er fuhr in seine Jacke, und seine Gedanken gingen noch einmal kurz zu Jessica zurück. »Verdammter Narr!«, schimpfte er über sich selbst. Sie war es nicht wert gewesen, dass er seine mühsam gekittete Ehe mit Rosetta derart in Gefahr gebracht hatte, im Gegensatz zu Lavinia. Aber immerhin konnte er sich damit trösten, dass der ganze Aufwand, den er auf sich genommen hatte, doch nicht völlig umsonst gewesen war. Die Destillerie stand mittlerweile auf Mirra Booka und produzierte munter Rum, wenn auch nicht von der Qualität, die von Seven Hills gekommen war.

»Zum Teufel mit Jessica und Seven Hills!«, stieß er hervor, verdrängte den Gedanken an sie und verließ das Haus. Er schloss sorgfältig ab und ging dann um das Haus zum Stall, der mehr ein Unterstand war, um sein Pferd zu holen.

Plötzlich trat eine gedrungene Gestalt hinter der Bretterwand hervor.

Kenneth fuhr ein eisiger Schreck in die Glieder.

Captain Whittaker stand vor ihm. »Sie falscher, hinterhältiger Freund!«, schleuderte er ihm mit hochrotem Gesicht entgegen. Seine rechte Hand kam hoch, in der er einen ledernen Stulpenhandschuh hielt.

Bevor Kenneth sich noch vom Schock der Begegnung erholt hatte, traf ihn der Handschuh rechts und links im Gesicht. »Sie Dreckskerl!«, zischte Henry Whittaker. »Ich verlange von Ihnen Genugtuung!«

Kenneth riss ihm den Handschuh aus der Hand. »Sind Sie verrückt geworden? Was wollen Sie?«

»Das fragen Sie noch? Nachdem Sie schon wer weiß wie lange mit meiner Frau in diesem Haus herumhuren?«, fuhr der Captain ihn an.

»Wie bitte?«, krächzte Kenneth.

»Jawohl! Lavinia, diese läufige Schlampe, betrügt mich mit einem Schweinehund, der den Namen Kenneth Forbes trägt! Ich habe es schon längst geahnt, doch heute habe ich die Gewissheit erhalten!«

»Das ist ja lächerlich!«, wies Kenneth die Beschuldigung empört zurück, während sich die Gedanken hinter seiner Stirn jagten. Wie war er ihnen bloß auf die Spur gekommen? Sie waren doch so extrem vorsichtig gewesen! Hatte er tatsächlich gesehen, wie Lavinia das Haus verlassen hatte, oder war er erst nach ihrem Weggang hier erschienen? »Sie müssen mal wieder zu viel getrunken haben, dass Ihnen so eine absurde Unterstellung …«

»Sparen Sie sich Ihre Lügenworte, Lieutenant!«, fuhr ihm Henry Whittaker zornbebend in die Rede. »Ihre Ausflüchte verfangen nicht. Anprobe bei der Schneiderin! Wenn mir gestern nicht zufällig zu Ohren gekommen wäre, dass die Schneiderin ihr das fertige Kleid nach Hause gebracht hat, hätten Sie und Lavinia Ihre Schäferstündchen vielleicht noch eine Weile ungestört genießen können. Aber ich hatte schon einen Verdacht und habe so getan, als hätte ich nicht mitbekommen, dass sie das Kleid heimlich in ihrem Schrank versteckt hat. Als sie dann heute angeblich noch einmal zur Anprobe musste, bin ich Lavinia hierhin gefolgt! Vor zwei Stunden! Und ich habe gehört, was Sie da drinnen getrieben haben!«

Kenneth sah ein, dass Leugnen angesichts dieser Lage sinnlos war. Ihre Affäre war aufgeflogen. »Ich hoffe, Sie hatten beim Lauschen auch nur halb so viel Vergnügen wie wir im Bett, Captain!«, sagte er mit höhnischer Verachtung. »Jetzt wissen Sie vielleicht, wie man eine Frau befriedigt!«

Henry Whittaker machte den Eindruck, als wollte er sich im nächsten Moment auf ihn stürzen. Doch er bezwang seine Wut und ballte nur die Fäuste. »Und ich habe Sie für einen Freund gehalten!«, keuchte er. »Dabei ist es Ihnen von Anfang an nur um meine Frau gegangen. Vom ersten Tag an haben Sie es auf Lavinia abgesehen gehabt!«

»Ich habe sie nicht dazu überreden müssen, mit mir ins Bett zu gehen! Sie war ausgehungert, sie brauchte endlich einmal einen richtigen Mann!«

»Ich werde Ihnen schon beweisen, dass ich Mann genug bin, um mit einem Lumpen wie Ihnen auf die einzig richtige Art fertigzuwerden! Sie werden mir Satisfaktion leisten, Lieutenant. Mit der Pistole in der Hand! Dann sehen wir, was Sie taugen!«, forderte er ihn zum Duell heraus.

»Ich habe nicht die Absicht, mich mit Ihnen zu schießen! Sie werden sich doch nicht zum Gespött der Leute machen und aller Welt erzählen, dass ich Ihnen Hörner aufgesetzt habe!«, sagte Kenneth verächtlich.

»Sie werden sich mit mir duellieren, Lieutenant! Wenn Sie jetzt kneifen, werde ich Sie in aller Öffentlichkeit demütigen, und dann wird Ihnen keine andere Wahl mehr bleiben, wenn Sie nicht als Feigling dastehen und aus dem Corps ausgestoßen werden wollen!«

Kenneth presste die Lippen zusammen und starrte ihn an.

Henry Whittaker würde seine Drohung wahrmachen, das war zu erkennen. Und dann würde die ganze Geschichte noch mehr Aufsehen erregen. Nein, dem Duell konnte er nicht ausweichen.

»Also gut, Sie können Ihre Genugtuung bekommen, Captain! Aber Sie schaufeln sich damit Ihr eigenes Grab! Ein Trinker wie Sie kann höchstens ein Rumglas ruhig halten, wenn er schon so viel getrunken hat, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten kann!«

Ein hasserfüllter Blick traf Kenneth. »Sie bekommen meine Antwort darauf übermorgen – und ich garantiere Ihnen, dass sie nach Blut schmecken wird! Nach Ihrem Blut!«

»Sie tun mir leid, Sie Versager!«

»Wer wird Ihr Sekundant sein?«

Kenneth überlegte nicht lange. »Captain Hembow.«

»Ich werde meinen Sekundanten zu ihm schicken!«

»Hören Sie, wenn Sie Lavinia auch nur ein Haar krümmen, werde ich Ihnen die Knochen brechen, dass Sie noch nicht einmal mehr in der Lage sein werden, zu einem Glas zu greifen, geschweige denn zu einer Pistole!«, drohte Kenneth, und die Angst, die ihn um Lavinia erfüllte, überraschte ihn selbst.

Henry Whittaker spuckte vor ihm aus. »Ich bin nicht von Ihrem Schlag, Lieutenant! An einer Hurenschlampe mache ich mir die Finger nicht schmutzig!« Abrupt wandte er sich ab und entfernte sich mit schnellen Schritten.

»Ich werde Ihnen die Eier abschießen!«, rief Kenneth ihm gehässig nach. »Die sind bei Ihnen ja sowieso unnütz!« Er bekam keine Antwort, und mit einem unterdrückten Fluch trat er auf den Fehdehandschuh zu seinen Füßen.

26