Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären zufällig und sind nicht beabsichtigt.
Kay Tyrak
© 2018 Kay Tyrak
Autor: Kay Tyrak
Umschlaggestaltung, Illustration:
I. Brümann (Foto), E. Itzenga (Cover-Design)
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN Taschenbuch: 978-3-7469-0437-5
ISBN Hardcover: 978-3-7469-0438-2
ISBN e-Book: 978-3-7469-0439-9
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
Die Grundrechte
Artikel 2
Absatz 2
Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Ein harter Plastiksitz, ein kleiner Schlitz zum Rausgucken, zu wenig Platz, um meine Beine auszustrecken. Mit einem Gefangenenbus fahren sie mich und andere in den nächsten Knast. Den Ort, an dem ich die nächsten Jahre sitzen soll. Seit Stunden bin ich hier. Eine Klimaanlage bläst frische Luft herein und dennoch hängt jede Blähung wie Kleister in der Luft. Mein Arsch fängt an einzuschlafen, meine Muskeln wollen sich bewegen. Ich starre auf die Wand mir gegenüber. Unten stoßen meine Füße dagegen. Ich balle meine Hände zu Fäusten, schlage in meine Handflächen. Aber eigentlich will ich sie auf die Wand krachen lassen. Will spüren, wie meine Knochen den Widerstand der Wand versuchen zu brechen. Der Schmerz würde mir durch den Arm direkt in die Schulter ziehen. Das Krachen würde einen Moment körperlich zu spüren sein. Es wäre schnell vorbei, zu schnell. Ich balle meine Hände zu Fäusten und schlage auf meine Handflächen, immer wieder. Starre auf die Wand mir gegenüber. Ich ringe den Drang nieder, dagegen zu schlagen.
Die Fahrt wird unterbrochen. Der Bus fährt durch ein Tor, über einen Innenhof in eine Schleuse. Der Bullige schließt auf: „Wir verbringen hier die Nacht und fahren morgen zum Bestimmungsort weiter.“ Ich nicke. Der Bullige ist irgendein Schließer, der schon dafür gesorgt hat, dass ich in diesem Kackbus gelandet bin. Er ist kleiner als ich, vielleicht 1,75. Hat ein eckiges Gesicht, kurze Haare, eine Boxernase und kleine, stechende Augen. Darf ich nicht unterschätzen. Er wirkt träge, aber vielleicht bekommt er alles mit. Seine Ärmel sind hochgekrempelt. Seine Arme sind behaart wie bei einem Affen. Bulliger Affe. Ich gehe hinter ihm her, in der Hand eine Tüte mit dem Nötigsten.
Ein Knast sieht aus wie der andere: Hohe Mauern, Stacheldraht, vergitterte Fenster. Austauschbar. Wie die Schließer. Alle gleich. „Schneller“, blökt der Dünne, der schon auf uns wartet. Das spitze Kinn, die Hakennase, kalte Augen. Ich drehe mich zu ihm um. Er hebt den Schlagstock. „Geh schneller.“ Er versucht mich mit seinem Blick zu beherrschen. Pisser. Ich schaue wieder geradeaus und gehe weiter. Der Dünne denkt, er sei böse, mächtig, gefährlich. Arroganter Arsch, das macht dich angreifbar. Die Fresse würde ich Dir gerne zu Brei schlagen, das wäre es dann mit dir gewesen. Der Bullige ist anders. Gefährlich. Überlegen. Wie ein fetter Berg steht er da. Ruhig und beobachtet. Er hat Kraft in sich. Einer, den man nicht unterschätzen darf.
„Ko si ti? Wer bist du?“ – „Ivo.“ – „Ko si ti?“ – „Ivo.“ – „Wer bist du, hab’ ich gefragt?“ Er brüllt mich an. Sein Speichel trifft mein Gesicht. „Ivo.“ – „Du bist’n Scheiß. Govno. `N Scheiß. Und du gehörst mir. Du bist einfach nur’n Scheiß, hast du das kapiert?“ – „Da. Ja.“ – „Hast du das kapiert?“ Er brüllt direkt in mein Gehör. Ich spüre seine nassen Lippen an meinem Ohr. Speicheltropfen treffen mich auf der Wange, dem Hals. Seine Stimme ist so laut, dass es schmerzt. „Da, Marko.“ – „Was bedeutet das? Hä?“ – „Dass ich...“ – „Was bedeutet das?“ Seine Stimme überschlägt sich fast. Er brüllt groß, mächtig, wütend, gewaltig. Seine Pranke krallt sich in meine Haare und drückt meinen Kopf weiter runter. „Ich tu’s.“ – „Was?“ – „Ich be-sorg’ den Wagen.“ – „Wann?“ – „Gleich morgen.“ – „Wann?“ – „Gleich heute. Gleich.“ – „Dobro. Gut.“
Eine kleine Handbewegung und Dan lässt meine Arme los. Ich kann mich kaum bewegen, meine Arme fühlen sich taub und blutleer an. Ich hasse ihn. Ihn und Marko. Dan - Markos Schläger, seine Faust. Schon ewig ist er seine Faust, solange ich denken kann.
Dan - wenn ich Dich wieder sehe, trete ich dir in die Fresse. Ich will nicht mit dir reden oder so’n Scheiß – ich will einfach nur, dass du Schmerzen hast. Ich will sehen, wie dir das Blut aus der Nase läuft. Wie du dich auf dem Boden krümmst und dir den Bauch hältst. Ich will, dass du mich anflehst aufzuhören. Du sollst so schlimme Schmerzen haben, dass du deinen Namen nicht mehr weißt. Ich will, dass du blutest und schreist. Und ich will das Geräusch von brechenden Knochen hören. Gezielte, wütende Tritte auf Dan, der am Boden liegt. Dann das Knacken der Knochen, gekrönt von einem hilflosen, ohnmächtigen, am Boden zerstörten Schrei. Laut. Ein Schrei, der in meinen Ohren dröhnt. Meine kurze Rache.
Wir kommen in einer Zelle an. „Hier ist ihr Haftraum für diese Nacht. Essen bekommen sie in einer halben Stunde. Wir fahren morgen früh gegen zehn Uhr weiter. Wecken morgen gegen 7 Uhr, Frühstück auf’m Haftraum.“
Er geht und schließt die Zellentür. Die schwere Tür knallt in ihre Umrandung, ein Riegel wird vorgeschoben, ein Schlüssel dreht sich. Bald schon kommt das sogenannte Abendbrot – Brote mit irgendeinem Scheiß.
Danach Stille. Ich schaue mich um. Ein Haftraum. Zatvorske ćelije. So nennen sie diesen Dreck. Klingt fast höflich. Haftraum. Zelle. Mehr ist es nicht – eine kleine, dreckige Zelle. Dreckszelle – das sollten sie sagen, dann wären sie ehrlich. Ich lege mich in der Dreckszelle auf das Bett. Es quietscht und ist extrem unbequem. Meine Augen suchen das Fenster. Das letzte Licht des Tages fällt herein. Durch die blaugrauen Wände wirkt es kalt. Kälte macht mir nichts aus. Ist das alles, was ihr habt? Ein bisschen kaltes Licht? Deutsche! Buba schwaba! Ich schließe die Augen. Zoran, ich denke an dich. Wenn ich hier rauskomme werde ich dich besuchen. Du feiger Arsch.
Die abgeblätterte Farbe an der Decke, die abgestandene Luft, das Klo an der Wand, die alten Möbel – es ist mir scheißegal. Ich denke an Zoran. Der Arsch. Drkadžija - Wichser. Dein Gesicht würde ich gerne in dieses Klo drücken, dein Blut auf dem Grau der Wand verschmieren, deinen schlaffen Körper in die Ecke werfen. Zoran. Izdajnik -Verräter. Ich hasse dich. Dich und deinen Plan.
Dich und dein Gelaber. Zoran, du Arschloch. Šupak.
Irgendwann schlafe ich ein.
Das alte Gerichtsgebäude wurde scheinbar vor ein paar Jahren saniert. Der Verhandlungsraum – groß, hell, nüchtern. Ein großer Tisch für den Richter, kleinere über Eck für die Staatsanwaltschaft und meinen Anwalt, Stühle in braun mit grünem Polster.
„...Der Tathergang ist wie folgt zusammengefasst: ...“
Der Richter trägt eine Brille, ist extrem dünn und groß und hat ein Gesicht wie ein Geier. Er schaut mich an, als er das Urteil verkündet. Er sucht in meinem Gesicht nach einer Reaktion. Bekommen tut er sie nicht. Nichts bekommt er von mir. Kurvin sine - Hurensohn. „...gemeinschaftlich sind sie in das Haus des Geschädigten eingedrungen...“ Regungslos lasse ich den Schwall von Scheiße über mich ergehen. Es ist mir egal. Er will über mich richten. Pisser, du richtest nicht über mich. Niemand tut das. Du denkst, du kannst mich erreichen mit deinem Scheiß über Gerechtigkeit und Sühne. Ich saß schon so oft als Kind in der Kirche und habe das über mich ergehen lassen, das ist hier doch nicht anders. Nur, dass du nicht mit dem Fegefeuer drohst, sondern mit einer pissigen Haftstrafe. „...nachdem sie mit einem schweren Schlagwerkzeug auf den Geschädigten eingeschlagen haben, sind sie auf seinen Brustkorb gesprungen und sind mehrmals auf und nieder...“ Denkt ihr Spinner, das schüchtere mich ein? Oh, oh, jetzt hab’ ich aber Angst gekriegt. `Ne Haftstrafe – wie unerwartet. Als ob ich da nicht mit gerechnet hätte. Ich stelle mir den Geier vor, wie er über mir kreist und mich reißen will. Er will mein Herz fressen, aber was er bekommt ist meine Kacke, sonst nichts. „...Mehrere Tage haben sie sich im Haus der Geschädigten vor der Polizei verborgen gehalten und haben...“ Ich muss unvermittelt lächeln bei der Vorstellung, wie sich der Richter über einen großen Kackhaufen von mir hermacht.
Sofort zieht der Richter eine Augenbraue hoch, mein Anwalt stößt mich mit dem Ellenbogen an. Ich kleide mein Gesicht wieder in eine undurchdringliche Maske. Što ti gledaš? Was glotzt du so? Scheiß Richter. Er soll nichts von mir bekommen. „...Nachdem sie der Geschädigten die Hand mit einer Axt, die sie im Keller des Hauses gefunden haben, abgetrennt hatten, gingen sie in die Küche und...“
Irgendwann ist es vorbei. Alle erheben sich, die Bullen kommen und bringen mich weg. Mein Anwalt sagt noch, dass er Berufung einlegt. Ich nicke. Soll er doch. Ihr bekommt nichts von mir. Ihr bekommt gar nichts. „...verurteile ich Sie zu 13 Jahren Haft. Die Haftstrafe ist sofort anzutreten. Zur Begründung...“
Um zehn Uhr am nächsten Tag geht es weiter. In den nächsten Knast. Alles nach Plan. Wie ein Uhrwerk. Die Deutschen. Machen alles nach Plan. Macht unflexibel, habe ich gehört. Sie möchten so alles kontrollieren, denken sie. Andere machen ihnen Angst. Weil sie selber keine Stärke, keine Ehre besitzen, sondern nur dieses Kontrollieren, Aufschreiben, Abhaken. Wir machen ihnen Angst: Männer mit Mut und Kraft in den Adern. Männer wie Löwen. Lavovi. Ich mache ihnen Angst. Deshalb sind sie vorsichtig und beobachten, schreiben auf, reden, tauschen Blicke aus.
Ein Knast. Sieht aus wie alle Knäste. Graue lange Gänge. Es geht zur Aufnahme. Wir sind zu dritt. Ich mustere die anderen.
Der eine hat lange Haare, eine breite Nase und einen fetten Bauch wie Marko. Seine Arme und der Hals sind komplett tätowiert. Drachen, Streitäxte, Höllenhunde, `ne Nackte auf ’ner Harley.
Der andere sieht aus wie ein Windhund: Spitzes Gesicht, kleine, kalte Augen, gibt sich betont lässig, ist aber angespannt. Man erkennt es an seiner Halsmuskulatur, einem Zucken der Augen und seinem Adamsapfel, der rauf und runter hüpft.
Der Fette glotzt mich an, dann nickt er kurz. Ich erwidere.
Den Windhund nehmen wir beide nicht ernst. Körperlich sind wir ihm überlegen. Aber auch sonst. Der Hund wird im Knast leiden. Er wird ein guter Fußabtreter sein. Vielleicht kann ich ihn zu irgendwas gebrauchen.
Der Fette wird eine Gruppe um sich scharen oder sich einer anschließen. Er ist ein Anführer. Einer, dem man nicht widerspricht. Wahrscheinlich macht er hier drinnen das, was er auch draußen gemacht hat. Vielleicht führt er auch seine Geschäfte von hier weiter. Wie auch immer – nach seiner Strafe kommt er nahezu wie heute wieder raus. Der Hund nicht – er wird verändert sein. Nicht geläutert – er spielt und hat einmal verloren, kein Grund aufzuhören, sondern von vorne zu beginnen und mit neuem Einsatz einen höheren Gewinn zu erzielen. Er wird versuchen nicht mehr im Knast zu landen. Besser aufpassen, listig durch die Maschen zu schlüpfen. Er wird es dennoch nicht schaffen – er ist zu angespannt. Er macht irgendwann wieder einen Fehler und ist wieder hier. Aber da hat er noch nicht mal die ersten Jahre verdaut. Der zweite Knastaufenthalt wird ihm das Gefühl geben ein Verlierer zu sein. Während er sich beim ersten Mal noch eingeredet hat, es sei cool und gehöre dazu, wird er sich das zweite Mal nicht schön reden können. Sollte er ein drittes Mal kommen, ist es mit ihm vorbei. Er packt das nicht.
Der Fette weiß, dass er immer wieder hier landet. Dieses Wissen ist seine Versicherung. Gibt ihm Gelassenheit. Die Frage ist nur, für welches Delikt kommt er wieder. Hat er es sogar geschafft seine Leute so um sich zu versammeln, dass sie ihm einen Teil seiner Schuld abnehmen?
Zoran, der Arsch. Verrät mich. Zoran. Du. Arsch. Du solltest hier stehen. Zwischen Fischgesicht und Oberwichser. Der eine riecht nach Schweiß und Zigaretten. Er ist fett, kann wahrscheinlich keine zehn Schritte mehr rennen. Der andere ist groß und dünn und muskulös. Strahlt überlegene Lässigkeit aus.
Sei alles kein Problem, hast du gesagt. Die Bullen würden nie jemanden fassen – außer Nigger und Polacken. Und dann bist du gerannt. Um dein Leben. Und du hattest Glück – sie liefen hinter mir her, du konntest entkommen. Wenn ich hier rauskomme mache ich dich platt.
Fischgesicht und Oberwichser bringen mich in ein kleines, schlichtes Büro.
Weiße Wände, zwei Aktenschränke, ein Schreibtisch. Lampe, Monitor, Aktenstapel, Foto, Telefon. Dahinter ein Mann mittleren Alters. Untersetzt, rundes Gesicht, kurze, dunkle Haare, Schnurrbart, Brille.
„Tag, Herr Branković. Mein Name ist Tripke. Bitte setzen Sie sich.“ Ich setze mich ihm gegenüber auf einen dieser ungemütlichen Stühle, die in jedem Amt der Welt stehen. Aus Plastik oder Holz, Metallgestell, ein dünnes Sitzkissen. Das soll Gemütlichkeit suggerieren, tut es aber nicht. Unbequem und vorhersehbar. Mein Arsch weiß schon, wie sich dieser beschissene Stuhl anfühlt, bevor ich sitze.
„Ich nehme Sie jetzt in der Anstalt auf. Das Aufnahmeersuchen der Staatsanwaltschaft liegt mir vor, ebenso der Haftbefehl und Ihre Ausweispapiere. Gut.“ Tripke spricht mehr zu sich selbst, blättert in den Papieren, die ihm der Oberwichser gegeben hat.
„Um Sie besser kennenzulernen, stelle ich Ihnen zunächst ein paar allgemeine Fragen.“ – „Kennenlernen?“ – „Ja, wir müssen doch wissen, mit wem wir es zu tun haben.“ – „Ist in Computer.“
– „Nun, aber einiges kann sich ja auch verändert haben. Wir müssen die Daten hier jetzt schon aktualisieren. Außerdem weise ich Sie darauf hin, dass es sich um eine strafrechtlich relevante Tat handelt, sollten Sie falsche Angaben machen. Haben sie das verstanden?“ – „Da.“ Ich nicke.
„Sie kommen gebürtig aus Kroatien?“ – „Hrvatska.“ – „Geraten Sie mit anderen schnell in Schwierigkeiten – zum Beispiel mit Serben, Bosniern, Türken, Russen oder anderen?“ – Ich fixiere seinen Blick. Er sollte meinen Großvater nach Serben fragen, dann hätte er eine Faust in der Fresse. „Deutsche.“ – „Gibt es einen bestimmten Grund, warum sie mit Deutschen aneinander geraten?“ – „Ist Deutschland.“ – „Okay, ich schreib’ mal: keine besonderen Probleme mit anderen Nationalitäten. Gehören Sie zu einer Gang?“ – „Ne.“ -
„Weiß Ihre Familie, dass Sie in Haft sind?“ – „Ne.“ – „Sollen wir jemanden benachrichtigen?“ – „Ne. Doch. Bruder Yasha.“ – „Gut, dann schreiben Sie bitte auf dieses Blatt die Kontaktdaten Ihres Bruders.“
Ich schreibe die Handynummer von Yasha auf – mehr brauchen sie nicht zu wissen.
„Versteht Ihr Bruder deutsch?“ – „Ne. “ – „Haben Sie Kinder oder Tiere, um die man sich von Seiten der Behörde kümmern muss?“ – „Ne.“
„Üben Sie derzeit einen Beruf aus?“ Tripke schaut kurz hoch, erwartet eine Antwort. „Ne.“ On je levat. Er ist ein Idiot. Ich mag ihn nicht, mit seiner deutschen Fresse. „Beziehen Sie eine Rente oder andere Leistungen wie Grundsicherung oder Sozialhilfe?“ – Ne.“ „Beziehen Sie sonstige Einkünfte, zum Beispiel aus Vermietungen oder Unterhalt?“ – „Ne.“ – „Gehören Sie einer gesetzlichen Krankenversicherung, Rentenversicherung oder Arbeitslosenversicherung an?“ – „Ne.“ - „Sind Sie verheiratet?“ Er leiert das so runter. Hat er schon hundert Mal gestellt, die Fragen. Zinka. Zinka hätte ich geheiratet. Für Zinka hätte ich alles gemacht. Aber sie wollte nicht. Fotze. Hat Schluss gemacht. Heirat, schöne Scheiße. Ficken kann man sie alle auch so. Schmeicheln, trinken, ficken. Immer das Gleiche. „Und, sind Sie? Verheiratet mein’ ich.“ Tripke. „Ne.“
„Haben Sie chronische Krankheiten?“ – „Ne.“ – „Nehmen Sie Drogen?“ – „Ne.“ – „Marihuana, LSD, Kokain, Crystal Meth, Heroin oder andere?“ – „Ne.“ – „Trinken Sie Alkohol?“ Was für ein Scheiß. Jeder trinkt. „Was soll Frage? Da.“ – „Wieviel genau?“ Ich gucke ihn an. Wieviel – was? „Täglich? Alle zwei Tage? 2-3 mal die Woche? Einmal die Woche oder seltener?“ Tripke guckt von oben herab. „Mal mehr, mal weniger.“ – „Wissen Sie Herr Branković, mir ist das egal, ob sie auf Entzug gehen oder nicht. Ich kann Ihnen nur in ihrem eigenen Interesse raten, diese Fragen so genau wie möglich zu beantworten.“ – Ich gucke ihn über seine Schreibtischplatte, sein Foto und das Telefon hinweg an: „Mal mehr, mal weniger.“ – „Okay, mal mehr, mal weniger.“ Tripke seufzt und notiert alles in seinen Formularen.
„Haben Sie schon mal an Selbstmord gedacht?“ – „Wie Mädchen?“ Ich atme hörbar aus. So ein Schwachsinn. „Ne.“
„Größere Verletzungen sehe ich jetzt nicht – haben Sie Verletzungen, die ich so nicht erkennen kann?“ – „Ne.“ – „Schön, dann sind Sie ja hafttauglich. Hier sind noch einige Formblätter, die Sie unterschreiben müssten.“ Er gibt mir einen Kugelschreiber – irgendein billiges Scheißding aus Plastik mit Werbung drauf. Schrill-orange. Ich schreibe meinen Namen auf die von Tripke mit einem X versehenen Linien.
„Hier ist noch ein Merkblatt mit den Besuchszeiten, zu Telefonaten und Geldüberweisungen. Zudem gebe ich Ihnen folgende Belehrung schriftlich als Kopie, benötige aber auch eine Unterschrift auf meinem Exemplar. Sie müssen mit Sanktionen rechnen, sollten Sie gegen die Anweisungen der Bediensteten oder gegen die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt verstoßen. Im Falle einer Flucht, eines Angriffes auf einen Bediensteten, einer Sachbeschädigung oder wenn Sie sich selbst körperlichen Schaden zufügen, kommen Sicherungsmaßnahmen zur Anwendung. Dies sind zum Beispiel Beobachtungen bei Nacht, Entzug von gefährlichen Gegenständen, Isolationshaft, Einschränkung des Aufenthaltes im Freien, Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum oder auch Fesselung. Sollten Sie Widerstand leisten, wird dieser auch mit körperlicher Gewalt oder unter Anwendung von Waffen gebrochen. Außerdem können Disziplinarverfahren zur Anwendung kommen. Haben Sie das verstanden?“ – „Da.“ Ich schaue ihn an. Sein Gesicht. Seine Geilheit, wenn er irgend so’ne Scheiße vorliest. Na, wirst du schon steif, du Schwanzlutscher?
„Herr Branković?“ Ich gucke hoch. „Unterschreiben Sie das bitte.“ Ich unterschreibe seinen Kack. Er unterzeichnet auch.
„Zum Briefverkehr,“ Tripke hält kurz inne, blättert, „Briefe und Umschläge, auf denen Aufkleber und Sticker...“ Wem soll ich einen Brief schreiben? Meiner Mutter? Yasha? Ich lasse den Scheiß über mich ergehen und unterschreibe abermals. Tripke zeichnet gegen.
„Herr Manovski wird Sie in die Kammer bringen. Dort bekommen Sie eine Erstausstattung.“
Tripke händigt Manovski, so heißt Oberwichser also, irgendwelche Papiere aus. Ich stehe auf und gehe zur Tür. „Bleibt mir nur noch, Ihnen einen schönen, ruhigen und langen Aufenthalt zu wünschen.“ Ruckartig drehe ich mich zu Tripke. Mein Gesicht wird sofort heiß, mein Kopf platzt fast, meine Hände ballen sich zu Fäusten. Wären wir draußen, hätte er jetzt eine in der Fresse. Ich starre ihn an, Tripke lächelt süffisant. Er hat mich bewusst provoziert und ich bin drauf reingefallen. War das letzte Mal, du Pisser. Manovski notiert irgendwas auf den Papieren, nimmt mich am Arm und dirigiert mich Richtung Tür.
Er schließt auf, ich gehe durch, er geht durch, er schließt ab. Den Gang runter. Hässliche, gelbe Fliesen, graue Wände, ab und zu eine verschlossene Tür. Der Gang ist schmal, ich gehe voraus bis zu einer grauen Gittertür. Manovski schließt auf, ich gehe durch, er geht durch, er schließt zu. Weiter. Vor einem Treppenhaus bleiben wir stehen. Manovski schließt die Tür auf, ich gehe durch, er geht durch, er schließt ab. Die Treppe runter, der nächste Gang, durch Türen. Alles sieht gleich aus.
Es ist wie ein kleines Labyrinth. Ich versuche mir den Weg zu merken, aber ich gebe nach der vierten Ecke auf. Ist eh egal. Für heute. Wenn es wichtig wird, werde ich schon einen Weg finden.
Er bringt mich in einen muffigen Raum. Alt und schäbig riecht es hier. Regale mit Kleidung und Säcken hinter einem Tresen aus Holz.
„Das ist Herr Branković. Neuaufnahme. Hier sind die Papiere. Ist Martin heute gar nicht hier?“ – „Hat frei.“ Der Typ hinter dem Tresen nimmt die Papiere entgegen und schaut drauf. Liest irgendwas.
„Tag, Herr Branković,“ wendet er sich an mich, „mein Name ist Freiler. Ich gebe Ihnen gleich ihr Bündel und die Kleidung für die nächsten Tage aus. Zunächst gehen Sie bitte in die Kabine und ziehen sich aus. Die neue Kleidung suche ich Ihnen raus. Welche Hosengröße haben sie?“ – „34.“ - „Passen Ihnen T-Shirts in L?“ - „Da.“ – „Wie ist Ihre Schuhgröße?“ - „43.“ – „Okay. Dann ziehen Sie sich jetzt aus. Sie können schon mal einen Satz Kleidung mitnehmen und direkt wieder anziehen.“ Er geht zu den Regalen und holt Klamotten. Hose, T-Shirt, Socken, Unterhose. Er deutet auf einen Umhang, hinter dem ich mich ausziehen soll. An einer ihm abgewandten Seite ist er offen. Dort steht ein Tisch. „Legen Sie Ihre Kleidung dann einfach auf dem Tisch ab.“ Ich gehe rüber, der Vorhang wird so weit es geht geschlossen. Ich bücke mich und öffne meine Schuhe. Meine Turnschuhe.
Meine Jacke, meine G-Star, mein T-Shirt, meine Socken und meine Unterhose lege ich auf den Tisch. Der Stapel Einheitskleidung gafft mich an: Billige Jeans, blaues T-Shirt, einfacher Pulli, weiße Unterhose, Tennissocken. Schlechte Qualität. Billigscheiß. „Ich will andere Hose.“ Nackt stehe ich in der Umkleidekabine und ärgere mich. Geben mir – MIR - eine billige Unterhose. „Sie bekommen zunächst unsere Einheitskleidung. Nach der Überprüfung Ihrer Sachen können Sie diese im Rahmen der Hausordnung zurück erhalten.“ Freiler klingt gelangweilt, so als würde er nicht zuhören oder als hätte er das hier schon tausend Mal erlebt. „Ich will andere Hose haben. Jetzt.“ – „Ziehen Sie die Ihnen ausgehändigte Kleidung an oder gehen Sie nackt. Andere Kleidung werden Sie nicht bekommen.“ Ich ziehe die Jeans an, das Shirt und den Pulli. Socken und Unterhose nehme ich und werfe sie ihm auf den Tresen. Soll er den Dreck doch tragen.
Er zieht die Augenbrauen hoch. Sagt nichts, hakt irgendwas auf einer Liste ab.
Manovski beobachtet mich. Er ist leicht angespannt, in Hab-Acht-Stellung. Freiler ist ungerührt. „In dieser Wolldecke eingewickelt befinden sich die nötigsten Dinge: Tassen, Geschirr, Seife, Shampoo, Duschbad, Bettwäsche, Zahnputzzeug. Und eine Hausordnung. Können Sie deutsch lesen oder brauchen Sie die Hausordnung auf kroatisch?“ Meine Augen werden zu kleinen Schlitzen. „Meine Sachen – wann bekomme ich?“ „Ihre private Kleidung können Sie im Rahmen der Hausordnung zurückerhalten, sobald diese überprüft ist und Sie Geld auf Ihrem Hauskonto haben, um sich Waschmittel zu kaufen und die Kleidung zu waschen. Die Anstaltskleidung wird in unserer Wäscherei gewaschen – für diese Reinigung entstehen Ihnen keine Kosten. Sollten Sie Zigaretten in Ihrem Handgepäck haben, können Sie diese jetzt an sich nehmen.“ Er leiert alles runter. Er sagt das immer und immer wieder. Aber ich habe zum ersten Mal gefragt. Ich will eine richtige Antwort. Meine Kiefer pressen sich zusammen. Manovski beobachtet mich. Er steht schräg hinter mir und ist bereit. Sie sind im Vorteil – zu zweit. Freiler und Manovski gucken mich an. Mehr tun sie nicht – sie gucken.
Freiler durchbricht die Starre als Erster, packt zwei Hausordnungen in das braun-graue Wolldecken-Bündel und schiebt es mir rüber. Ich nehme es und schaue Manovski an. „Ja, Zigaretten.“ Freiler geht zu einem Regal, auf dem einige Plastiktüten mit Nummern drauf liegen. Er nimmt eine, kommt zurück zum Tresen und öffnet sie. „Sind das Ihre Sachen?“ Ich erkenne mein Portemonnaie, mein Schlüsselbund, die Zigaretten, nicke. Er streckt die Hand nach einer Liste aus, trägt etwas ein und gibt mir die Zigaretten. Da liegt mein Feuerzeug.
„Yasha, ich gehe.“ Mein Bruder steht vor mir. Nickt. „Ich hab’ Scheiße gebaut.“ – „Wo gehst du hin?“ – „Nach Deutschland, mit Zoran.“ – „Du weißt, dass du Zoran nicht vertrauen kannst?“ – „Ja, aber ich habe keine Wahl. Wenn Marko mich findet, war’s das.“ „Hier, nimm.“ Yasha gibt mir Geld – Dollar. „Woher hast du die?“ – „Is’ egal, nimm’ sie und lass’ dich nicht erwischen.“ Wir schauen uns an. Er zieht an seiner Zigarette, gibt mir eine Largo. Ich suche nach einem Feuerzeug in meinen Taschen und habe wie immer keines. Er zieht sein Zippo aus der Hosentasche, gibt mir Feuer und lässt es zuschnappen. „Nimm es und verlier’ es nicht.“ Ich lasse das Zippo in meine Tasche gleiten. Schweigend rauchen wir zu Ende. Ich werfe die Kippe auf den Boden und zertrete sie auf den alten Steinen in der Auffahrt.
Ich will mir mein Zippo nehmen, aber Freiler macht eine verneinende Handbewegung. „Die sind hier nicht gestattet. Lesen sie bitte in der Hausordnung nach, welche Art von Feuerzeugen gestattet ist.“ Šupak. Arschloch. Ich starre ihn an. Er erwidert meinen Blick, nimmt dabei die Tüte vom Tresen und legt sie ins Regal hinter sich. Meine Zähne pressen sich aufeinander, meine Zunge drückt von unten an meinen Gaumen. Ich spüre die Anspannung im ganzen Körper. Ich will ihm in die Fresse hauen. Jetzt. Ich will, dass er schreit. Ich will seine Visage unter meiner Faust spüren. „Bitte quittieren Sie hier den Empfang der Hausordnung.“ Freiler schiebt mir ein Formular rüber. Ich bewege mich nicht.
Manovskis Stimme dringt an mein Ohr. „Wir können direkt weiter – Herr Branković, bitte kommen Sie.“ Ich bin wie erstarrt und glotze Freiler an. Ich weiß, dass es besser ist, jetzt zu gehen. Šupak. Aber ich will das Zippo. Jetzt. Ich werde es nicht bekommen. Gar nicht. Nicht hier drin, wo es nur billige Jeans gibt.
Ich wende mich zur Tür. „Herr Branković, bitte quittieren Sie den Erhalt der Hausordnung“, Freilers Stimme wird kalt und schneidend. Ich gehe zurück zum Tresen und unterzeichne sein scheiß Formular. Wichser. Wir blicken uns an. Freiler guckt kalt. Er ist auf der Hut. Er sieht meine Wut. Ich hasse ihn.