(K)ein Millionär für eine Nacht

(K)ein Millionär für eine Nacht

Paris Sanders

Inhalt

(K)ein Millionär für eine Nacht

1. Cocaine

2. Ist da jemand

3. Bilder von dir

4. Feel

5. Everything About You

6. Angels

7. See you again

8. Purple Rain

9. Sweet Child O’ Mine

10. Don’t Tell Me No Lies

11. Human

12. (N)one-Night-Stand

13. With or Without you

14. Kinderlied (Part 2)

15. You could be mine

16. Wind of Change

17. Abschied nehmen

18. Lifesaver

19. It Will Rain

20. Frozen

21. All Summer Long

22. We Will Rock You

23. Hey

24. Einmal seh'n wir uns wieder

25. There's Nothing Holdin' Me Back

26. Broken Wings

27. Kinderlied (Part 1)

28. Mercy

29. Apologize

30. Killing Me Softly With His Song

31. Every Breath You Take

32. I Don’t Want To Miss A Thing

Epilog

Anmerkungen

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(K)ein Millionär für eine Nacht

1

Cocaine

Eric Clapton

Kokain.

Nur eine Line, dann wäre ich fit. Die Musik würde aus mir herausströmen. Nicht nur in Klängen, Melodien, Harmonien, sondern in Farben, die tanzten, Muster woben, sich zu einem Kunstwerk zusammenfügten.

Kokain war die Lösung und das Problem. Der Grund, weshalb ich seit Monaten vor dem Mischpult saß und schwitzte. Versuchte Musik zu komponieren, die berührte, die Menschen zum Tanzen verführte, ein Lächeln auf ihre Lippen zauberte. Stattdessen war alles, was ich hinbekam, Mist.

Ich stand auf, wanderte auf und ab. Las zum hundertsten Mal die Zeilen, die ich damals im Drogenrausch geschrieben hatte. Manchmal waren es bunte Pillen, die mir auf die Sprünge halfen, oder Koks. Hin und wieder eine Mischung. Ein Cocktail, der mich ins All schoss, ohne dass ich meine vier Wände verlassen musste.

Irgendwann einmal hatte es eine Melodie zu diesem Text gegeben. Blöderweise hatte ich sie nicht sofort aufgeschrieben. Weil ich dachte, das würde ewig so weitergehen. Ich würde einen Hit nach dem anderen produzieren. Einfach, weil ich es konnte.

Dumm, nicht wahr?

Nicht ich hatte die Hits produziert, sondern die Drogen. Das wurde mir klar, als ich auf Entzug ging. Seitdem klappte nämlich gar nichts mehr.

Ich drehte mich zum Mischpult, schnappte mein Handy, das darauf lag. Meine Finger schwebten über dem Display. Die Lösung meiner Probleme war nur eine Telefonnummer entfernt. Wenn ich mir nur dieses eine Mal etwas reinzog, würde ich vorankommen. Dann wäre es nicht Müll, was aus den Lautsprechern kam, sondern der nächste Clubhit. Der Song, der die Charts stürmen würde.

Nur noch einmal.

Dann bräuchte ich das Zeug nie wieder anzurühren.

Einmal ...

2

Ist da jemand

Adel Tawil

Ich schaute in den Spiegel und strich mir ein paar Haare aus der Stirn, die, weil sie noch nass von der Dusche waren, tintenschwarz wirkten. Für einen Augenblick musterte ich mein Gesicht. Ich war nicht so selbstverliebt, dass ich mich stundenlang im Spiegel betrachtete. Nein, jedes Mal, wenn ich kurz davor war, Kokain oder eine bunte Pille zu nehmen, weil ich mein Leben nicht mehr aushielt, bemalte ich meinen Körper.

Mein Seelenklempner, Dr. Scherenbach, hatte mich auf die Idee gebracht. Er sagte, wenn ich es schaffen würde nachzudenken, bevor ich etwas nahm, wäre das ein erster Schritt zur Heilung. Die meisten Menschen gaben einfach dem Reflex nach, wollten sich besser fühlen, nicht mehr gegen die Sucht ankämpfen und wurden rückfällig. Scherenbach hatte bestimmt nicht an gemalte Tattoos gedacht, als er mit mir sprach, aber bis jetzt funktionierte es. Immer wenn ich spürte, wie die Versuchung übermächtig zu werden drohte, griff ich zu einer Spezialtinte, die für gemalte Tattoos hergestellt wurde. Sie verblasste nach circa zwei Wochen und war ideal, wenn man des Öfteren sein Erscheinungsbild verändern wollte.

Ich starrte in mein Spiegelbild, mein Blick glitt über mein Gesicht, zu meiner Brust, von da zu den Bauchmuskeln und wieder nach oben. Genau dorthin, wo ich mein Herz vermutete. Falls ich noch eines besaß.

Ich musste nur noch entscheiden, welches Bild ich kreieren wollte. Ein Muster aus geschwungenen Linien? Ein Bild von einem Drachenkopf? Einem Tiger?

Nein. Das traf es nicht. Der Drang, mit Kokain oder einer anderen Droge eine Veränderung herbeizuführen, konnte nicht mit einem mystischen Wesen oder einem Tier dargestellt werden. Die Tatsache, dass ich kurz davor gewesen war, etwas zu nehmen, zeigte meine Frustration an. Die künstlerische Flaute, die ich seit Monaten nicht überwinden konnte. Was hatte sie herbeigeführt?

Schmerz.

Es musste weh tun, nichts mehr schaffen zu können. Immer wieder gegen Mauern anzurennen.

Bald wand sich ein dünner Stacheldraht um meinen Oberkörper. Der Draht würde einschneiden, sich in die Zellen fressen, Entzündungen hervorrufen, mir die Luft abschnüren. Wäre er echt, würde ich zumindest den körperlichen Schmerz spüren.

Während ich malte, fokussierte ich mich auf mein Tun, verbannte alle anderen Gedanken aus meinem Kopf. Die Linien mussten perfekt werden. Das zeigen, was ich darstellen wollte. Ein Gefühl der Ruhe legte sich wie ein warmer Mantel um meine Schultern. Ich musste nichts tun, außer die schwarze Farbe so auf meiner Haut zu verteilen, wie ich mir das vorstellte. Nichts denken. Nichts fühlen. Nur einen Strich nach dem anderen setzen.


Als ich fertig war, verstaute ich meine Utensilien in dem Badezimmerschrank. Die Studios bei Quest, der Plattenfirma, die zur Hälfte mir gehörte, belegten einen eigenen, abgeschlossenen Bereich für die Musikproduzenten. Insgesamt drei Studios standen uns zur Verfügung, eines davon nutzte ich permanent. Als Miteigentümer des Plattenlabels war es einer der Vorzüge, die ich zu schätzen wusste.

Eine Stahltür trennte diesen Bereich von der übrigen Firma ab und verhinderte, dass die Musik die Mitarbeiter vom Arbeiten abhielt. Uns schützte sie vor allzu neugierigen Zuhörern. Wir verfügten außerdem über ein eigenes Badezimmer, ausgestattet mit einer Dusche, einer Toilette und dem Schränkchen, in dem ich meine Spezialtinte aufbewahrte. Außer der abschließbaren Stahlschachtel, die meine Malutensilien beherbergte, verstaubten in den Regalen ein paar Einwegrasierer, Seife und Kondome.

Nachdem ich alles weggeräumt hatte, musterte ich noch einmal das Tattoo im Spiegel und streifte mein Shirt über. Ich brauchte etwas zu trinken. Einen Kaffee, einen Energydrink. Irgendetwas, das mich zum Leben erwecken würde. Zumindest lange genug, um es bis in meine Wohnung zu schaffen. Dort konnte ich den Tag verschlafen. Ich arbeitete ausschließlich nachts, wenn alles still war, die meisten Menschen schliefen, ihren Träumen nachhingen und mir den Freiraum gaben, den ich brauchte, um Musik zu schreiben. Obwohl ich schon seit Langem die Nacht zum Tag machte, war ich müde. Mein Körper hätte sich eigentlich mittlerweile darauf eingestellt haben sollen, aber im Gegensatz zu mir hing er offensichtlich am Tageslicht.

Auf der Suche nach Koffein, das mich genügend wachrütteln würde, um es mit dem Fahrrad in die Stadtmitte zu schaffen, wankte ich in die Küche. Ich brauchte ungefähr einen Liter Kaffee, um in der Lage zu sein, nach Hause zu radeln, ohne in den Main zu fallen.

Mit halb geschlossenen Augen bewegte ich mich zu den Schränken, um mir eine Tasse zu holen, die Kaffeemaschine anzuwerfen und wieder zu einem Wesen zu werden, das halbwegs in der Lage war zu funktionieren.

Ich kam nur ein paar Schritte weit, dann sah ich sie.

Eine junge Frau. Eingerahmt von Sonnenstrahlen, deren funkelnde Lichter in ihren Haaren tanzten. Blonde Locken fielen über ihre Schultern bis zur Mitte ihres Rückens. So muss ein Engel aussehen, geschickt, um mich zu retten. Der Gedanke war so kitschig, dass ich ihn sofort verwarf. Gott hatte andere Sorgen, als mich zu retten. Wenn es überhaupt einen Gott gab, dann beschäftigte er sich nicht mit den Menschen, die er zerstörte oder durch seine Unachtsamkeit zerstören ließ.

Sie bemerkte meine Anwesenheit nicht, denn sie schaute noch immer aus dem Fenster, kehrte mir den Rücken zu, hörte nicht, wie ich neben sie trat, um mir eine Tasse zu holen. Ich wusste nicht, was da draußen so spannend war, die Küche ging auf ungenutztes Bauland hinaus, von Unkraut überwuchert. Nicht mehr als eine illegale Müllhalde.

Vielleicht konnte ich verschwinden, bevor sie sich umdrehte und ich Small Talk halten musste. Leise öffnete ich die Tür eines Küchenschranks. Eine total dämliche Idee. Ich hätte wissen müssen, dass ich sie erschrecken würde, wenn ich wie ein Geist neben ihr hantierte, aber so klar dachte ich noch nicht um diese Tageszeit. Vor allem nach einer Nacht, die total frustrierend verlaufen war. Gerade als ich eine Tasse aus dem Schrank nahm, drehte sie sich in einer ruckartigen Bewegung zu mir um. Ein scharfer Schmerz ließ mich, ohne nachzudenken, einen Satz nach hinten machen.

Sie hatte mir die kochend heiße Flüssigkeit übergeschüttet, die sich zuvor in ihrem Becher befunden hatte und die jetzt eine heiße Spur über meinen Bauch zog.

„Au!“ Ich zog mir das T-Shirt über den Kopf. Mein einziger Gedanke war, dass ich den Stoff von meinem Körper wegbringen musste. Dann schaute ich auf. Sie starrte mich an, murmelte Worte, die ich nicht verstand und auch nicht verstehen wollte, dazu war ich zu sehr damit beschäftigt, meinem Unmut Luft zu machen.

„Verdammt, ist das heiß. Kannst du nicht aufpassen?“ Ich wusste, wie unfreundlich ich klang, aber das Zeug, das sie mir übergeschüttet hatte, brannte noch immer.

„Oh, nein. Das tut mir leid. Wirklich!“ Sie trat einen Schritt zurück. Wahrscheinlich, weil ich sie noch immer wütend mit meinem Blick fixierte. Irgendwo in meinem Bewusstsein machte sich die Erkenntnis breit, dass ich etwas freundlicher reagieren könnte. Ich achtete nicht darauf. Der Morgen war nie meine beste Tageszeit und dann noch die Überraschung, jemandem zu begegnen, die Sonne, die sie umrahmte, ihr Missgeschick. All das war zu viel nach einer langen Nacht.

„Scheiße, das brennt“, entgegnete ich, denn ein Teil der heißen Flüssigkeit war dort angekommen, wo es wirklich unangenehm wurde. Sie sah sich hektisch um. Ich sollte, verdammt noch mal, ihre Entschuldigung annehmen, ein paar freundliche Floskeln in den Raum werfen und verschwinden. Je schneller ich das auf die Reihe bekäme, desto besser.

Bevor ich mein Shirt wieder anziehen konnte, um diese glänzende Idee in die Tat umzusetzen, traf mich ein Schwall kaltes Wasser. Für einen Augenblick fehlten mir tatsächlich die Worte. Das Letzte, womit ich gerechnet hatte, war eine weitere Dusche.

„Bist du total bekloppt?“, fauchte ich sie an, was mal wieder zeigte, dass ich nicht besonders überlegt reagierte, wenn man mich auf diese Art endgültig aufweckte.

„Ich dachte, du hast dich verbrannt, und da ist kaltes Wasser am besten, um die Schmerzen zu lindern.“ Sie lief rot an. Die ganze Angelegenheit war ihr peinlich, trotzdem war sie immer noch besser dran als ich. Wasser strömte über meinen Körper, die Jeans hing total durchweicht an mir herab. Das einzig Positive an der ganzen Sache war, dass ich jetzt keinen Kaffee mehr brauchte, um die Müdigkeit abzuschütteln.

„Ich glaube es nicht.“ Normalerweise war ich an die Verrückten gewöhnt, die Quests Firmenräume bevölkerten, die Irre jedoch schoss echt den Vogel ab. Als wäre es nicht genug, mich erst heiß und dann kalt zu duschen, meinte jetzt auch noch die Sonne, sie müsse sich erneut einmischen und den Körper der Blondine mit ihren Strahlen umrahmen. Jetzt sah sie noch mehr aus wie ein Engel.

„Fucking Sunshine Angel“, brach es aus mir hervor. Ein stechender Schmerz schoss in meine Brust, fast so, als sollte ich für mein unfreundliches Verhalten bestraft werden. Zuerst dachte ich, es sei etwas Körperliches. Ich war es nicht mehr gewohnt, Gefühle zu spüren, doch dann merkte ich, dass es sich tatsächlich um eine Emotion handelte. Eine, die ich nicht benennen konnte. Kein Wunder, es war lange her, seit ich so etwas zugelassen hatte.

„Es tut mir wirklich sehr leid. Soll ich dein Hemd in die Reinigung bringen?“ Sie sah mich an. Ihre Unterlippe zitterte, als sei sie kurz davor, in Tränen auszubrechen.

„Nein.“ Ich drehte mich um und ging.

3

Bilder von dir

Laith Al-Deen

Während ich am Main entlangradelte, kreisten meine Gedanken um die Begegnung in der Küche. Um die Frau, die ich Sunshine Angel genannt hatte, weil ich ihren richtigen Namen nicht kannte. Was für eine dämliche Eingebung. Der Name klang noch immer genauso blöd wie vorhin. Ich sollte ihn vergessen, genauso wie sie, aber wie immer taten meine Gedanken, was sie wollten. Egal wie schnell ich fuhr, ich konnte ihr Bild nicht aus meinem Kopf vertreiben. Die weit aufgerissenen Augen, der Schreck auf ihren Gesichtszügen, als ihr klar wurde, was sie getan hatte. Trotz des Schocks sah sie aus wie ein Engel. Angel. Das englische Wort passte irgendwie besser, klang nicht so kitschig. Angel hatte mich überrascht, aber mehr noch das plötzliche Gefühl, das ich bei ihrem Anblick gespürt hatte. Zum ersten Mal seit langer Zeit war da mehr gewesen als das dumpfe Erstarren, in dem ich lebte. Ein Aufflackern, begleitet von dem scharfen Schmerz des heißen Wassers, das mich kurz darauf getroffen hatte, dann, etwas später, der Stich, der mir in die Brust gefahren war. So als sollte diese Begegnung in mein Gedächtnis eingebrannt werden. Was ein weiterer total dämlicher Gedanke war, genauso dämlich wie der, dass sie ein Engel sein könnte, geschickt, um mich zu retten.

Am liebsten wäre ich umgekehrt, um sie ein weiteres Mal zu sehen, um herauszufinden, ob ich wieder etwas spüren würde, wenn ich sie erblickte.

Ich hielt an, zog in tiefen Atemzügen die Luft in meine Lungen. Mein T-Shirt war mittlerweile nicht mehr von Wasser durchweicht, sondern von meinem Schweiß. Die Sonne brannte vom Himmel herab. Es war verdammt heiß.

Ich schüttelte den Kopf, als könnte ich so klarer denken. Natürlich brachte die Bewegung weder Klarheit noch sonst etwas. Wie um mich zu ärgern, liefen noch immer Satzfetzen durch meine Gedanken.

Was war es, was ich da gespürt hatte? Welches Gefühl steckte dahinter? Fragen, auf die ich nicht wirklich eine Antwort wollte. Wer brauchte schon Gefühle? Alles, was sie hervorriefen, war Chaos.

Dieser letzte Satz brachte die ersehnte Klarheit. Chaos hatte es bereits genug in meinem Leben gegeben. Ich wollte nicht noch mehr davon.

Ich schwang mich in den Sattel, trat in die Pedale, biss die Zähne zusammen und raste dem Eisernen Steg entgegen, der Brücke, die mich auf die andere Seite des Main bringen würde.