TRENDSPOTTING

MAGNUS LINDKVIST

Trendspotting

Alles, was Sie wissen, ist falsch

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Trendspotting

© 2011 Midas Management Verlag AG

ISBN 978-3-907100-36-3

Magnus Lindkvist:

© 2010 by Magnus Lindkvist

Titel der englischen Ausgabe:

Übersetzung: Gregory C. Zäch

Druck- und Bindearbeiten: GGP Media GmbH, Pößneck

Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Bilder, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in Seminarunterlagen und elektronischen Systemen.

Midas Management Verlag AG, Dunantstrasse 3, CH 8044 Zürich

INHALT

Einleitung

Ziel und Struktur des Buches

1 Blind durch Zeitlupe

Wie die Verbreitung des Unternehmertums den Kapitalismus langsam neu definiert

2 Die Matrix durchschauen

Wie das Trugbild von klaren Grenzen und Rändern bröckelt

3 Ein Schock für die Sinne

Wie uns der Informationsüberfluss ratlos gemacht hat

4 Die Trend-Illusion

Wie eine immer schnellere Welt unsere Fantasie herausfordert

5 Jenseits des Horizonts

Wieso eine ältere Gesellschaft mehr bedeutet als graue Haare

6 Das Gesamtbild verkennen

Weshalb eine neue Perspektive die wertvollste Währung ist

7 Glauben heißt sehen

Warum die Welt immer besser wird und warum viele von uns das nicht mitbekommen

8 Fazit

Alles, was Sie wissen, ist falsch – richtig?

Anmerkungen

Danksagungen

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Einleitung

Mögest du in interessanten Zeiten leben.

Chinesisches Sprichwort

Herzlichen Glückwunsch!
Sie sind völlig ahnungslos

Korčula, eine Insel in Kroatien, September 2008. Der Spätsommer bläst eine milde Brise über dieses wundervolle Fleckchen Erde mitten im Adriatischen Meer. Die Olivenbäume sind dunkelgrün. Das Wasser glänzt smaragdblau. »Zeitlos« wäre eines der Wörter, die einem hier in den Sinn kämen, klänge es nicht so klischeehaft. Im Wohnzimmer läuft der Fernseher, der meinen kleinen Zwillingen abwechselnd als Beißobjekt und Gehhilfe dient. Drama und Anspannung beherrschen die BBC-Nachrichten. Banken brechen zusammen. Das Finanzsystem befindet sich in freiem Fall und fast sieht es so aus, als stünde der gesamte Kapitalismus auf dem Spiel. Der Kontrast zwischen dem Drama, das sich auf meinem Fernsehbildschirm abspielt, und der Beschaulichkeit in meiner Umgebung könnte nicht größer sein.

Diese Krise wird in den nächsten Monaten als »außergewöhnlich« beschrieben werden. Außergewöhnlich, weil sie so unermesslich ist und so viele verschiedene Bereiche der Wirtschaft betrifft. Außergewöhnlich aber auch wegen der globalen Auswirkung, der beispiellosen Bandbreite und des Fehlens jeglichen Bedauerns für die destruktive Kraft der Finanzmärkte. Vor allem aber wird die Krise als außergewöhnlich bezeichnet, weil sie für alle so völlig unerwartet kam und wir uns wie vom Blitz getroffen fühlten.

In den Monaten nach der Kernschmelze hat sich eine große Anzahl von Professoren, Wirtschaftsfachleuten und anderen Experten gemeldet und behauptet, dass sie das natürlich alles schon lange haben kommen sehen. Der Rest von uns aber – also circa 99 Prozent der Menschheit – wurde einfach überrumpelt. Wenn es überhaupt eine Art von Schönheit oder zumindest eine Art ausgleichende Gerechtigkeit in einem scharfen ökonomischen Abschwung gibt, dann ist es die Tatsache, dass wir alle zugeben mussten, dass wir völlig blind sind und die vielen versteckten Kräfte nicht sehen, die sich hinter dem Alltagsleben verbergen. Wir sind blind, was langfristige Entwicklungen anbelangt, die bereits vor Jahrzehnten eingeleitet wurden und zum Teil erst jetzt zum Tragen kommen. Wir sind blind bezüglich der meisten Dinge, die in der Welt geschehen, und zwar völlig unabhängig davon, wie viele Nachrichten wir konsumieren.

Dieses Buch hat die Absicht, Ihnen diese Art von Blindheit bewusst zu machen. Es ist ein Buch über das Nichtwissen. Der Untertitel Alles, was Sie wissen, ist falsch soll deshalb keine kollektive Beleidigung sein, sondern ein Aufruf zur Neugier.

Wir alle sind Trendspotter

Der Kreativitätsautor und ehemalige Redenschreiber von Al Gore, Daniel Pink, behauptet, dass wir in einem Zeitalter leben, das zunehmend von »Schöpfern« und »Mitfühlern«, von »Muster-Erkennern« und »Sinn-Machern« dominiert wird. Es gibt einen Begriff, der alle diese vier Eigenschaften und Aktivitäten umfasst: Trendspotting. Genau wie die französische Zeitung Le Monde nach den Anschlägen vom 11. September 2001 proklamiert hat: »Wir sind alle Amerikaner!«, so haben uns die Ereignisse vom Herbst 2008 vor Augen geführt, dass wir alle Trendspotter sind. Wir können unser Verständnis der Welt nicht irgendwelchen selbst ernannten Experten überlassen, so wie die römischen Soldaten vor 2000 Jahren das Orakel von Delphi befragten. Die Experten haben uns im Stich gelassen. Wir müssen die Sache selbst in die Hand nehmen. Um ein Trendspotter zu sein, muss man sich lediglich die folgende Frage stellen: »Was geschieht in der Welt?« Nehmen Sie eine Zeitung in die Hand, surfen Sie im Web, schalten Sie den Fernseher an oder stellen Sie anderen Menschen immer wieder genau diese Frage. Es braucht nicht mehr als eine gesunde Portion Neugier und das Bestreben, die eigenen gedanklichen Grenzen zu erweitern, um sich den Titel »außerordentlich« auf die Visitenkarte setzen zu können. Dieses Buch ist für alle Trendspotter dieser Welt geschrieben – und Sie gehören dazu.

Trend – die Geschichte hinter dem Wort

Der englische Begriff »Trend« hat seinen Ursprung im nordischen Wort »trendr«, was so viel heißt wie »umdrehen«. Dieses Wort wurde lange Zeit dazu verwendet, den Richtungsverlauf eines Flusses oder Baches zu beschreiben. Als die Statistik im 19. Jahrhundert an Popularität gewann, wurde die Bedeutung des Wortes »Trend« um die Definitionen von demografischen Bewegungen und Massenphänomenen erweitert. Der wahre Durchbruch für dieses Wort aber kam nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Gesellschaft von einer konformistischen Vergangenheit nach und nach zu einer individuellen Differenzierung überging. Das Attribut »trendy« war geboren. So wie man den Eskimos nachsagt, sie hätten Hunderte von Wörtern für Schnee, so gibt es vermutlich ebenso viele Möglichkeiten, die Arten von Wandel zu beschreiben, die wir um uns herum sehen (oder eben nicht sehen). Zur Vereinfachung hilft die Vorstellung, dass Sie auf einer belebten Straße inmitten einer Großstadt stehen. Vor Ihnen gibt es drei verschiedene Trendebenen:

image Wenn Sie die Menschen auf der Straße anschauen, fällt Ihnen auf, wie sie sich kleiden und was sie in der Hand halten. Vielleicht schnappen Sie auch einige Gesprächsfetzen auf. Diese Art von Trends nennen wir Mikrotrends oder Modetrends. Sie haben eine Verfallszeit zwischen einem und fünf Jahren. Diese Trends sagen uns, welche Kleidung gerade modern ist, welche elektronischen Gadgets angesagt sind und welche Modebegriffe unsere Sprache prägen.

image Wenn Sie den Blick ein wenig heben, sehen Sie die Fassaden der Gebäude. Sie erkennen die Makrotrends mit einer Lebenszeit von einem oder zwei Jahrzehnten. Diese Trends umfassen die ökonomischen Lebenszyklen und Veränderungen, die politischen Tendenzen oder neuartigen Technologien. Auch an den verschiedenartigen Firmenlogos, die an den Fassaden der Gebäude prangen, wird deutlich, welche Industrien wachsen und welche langsam verschwinden.

image Schließlich betrachten Sie die Dächer der Gebäude und sehen dort die Megatrends. Hier handelt es sich um tief greifende Änderungen in der Gesellschaft, die mehr als zwei Dekaden anhalten und sich entweder in der Höhe der Gebäude (mehr Menschen auf engem Raum aufgrund von Urbanisierung) oder in einer Veränderung der Funktion (die ehemalige Kirche wird zum Konzertsaal) äußern.

So weit kann unser Auge hier auf der Erde sehen, doch wenn wir ins All reisen und von dort die Welt betrachten, wären wir auch noch in der Lage, die sogenannten Gigatrends zu erkennen. Diese Trends umspannen ein halbes Jahrhundert oder mehr und sind vor allem nachts sichtbar, wenn man anhand der Lichter beobachten kann, in welchen Regionen der Erde intensive ökonomische Aktivitäten stattfinden, wo sich Wachstum und Urbanisierung konzentrieren und wie Städte zu großen Megaregionen zusammenwachsen.

In den vergangenen Jahrzehnten hat der Gebrauch des Wortes »Trend« inflationär zugenommen. Dies hat zum einen sicherlich damit zu tun, dass den Menschen viel mehr Medien zur Verfügung stehen, zum anderen aber auch damit, dass im Wort »Trend« immer mehr verschiedene Phänomene zusammengefasst werden. Dazu gehören unter anderem:

image Die Beobachtung von Ähnlichkeiten in einer bestimmten Region oder in einem bestimmten Zeitraum. Beispiele: Die globale Erwärmung steigt, Menschen leben länger und haben weniger Kinder, eine bestimmte Kleidermarke oder Modefarbe wird von immer mehr Leuten bevorzugt.

image Eine Verkaufsempfehlung, mit der eine selbst ernannte Autorität wie zum Beispiel eine Modejournalistin oder ein Management-guru Leute dazu bringen will, in einer bestimmten Art und Weise einzukaufen oder zu handeln, um damit »in«, »trendy«, »hip«, »der letzte Schrei« oder Ähnliches zu sein. Einige Beispiele: »Weiß ist das neue Schwarz«, »Weniger ist mehr«, »Shoppingtouren in europäischen Metropolen« und so weiter.

image Anomalien, die den Status quo anfechten, Annahmen oder Vorurteile. Diese können ein neues oder geändertes Verhalten oder eine neuartige Technologie beschreiben und werden oft mit der Frage »Haben Sie schon gewusst …?« eingeleitet.

Die Inflation der Bedeutungsinhalte des Wortes »Trend« kann leicht zu Verwirrung führen. Ein Beispiel dafür ist auch die Tatsache, dass es schon fast wieder in Mode gekommen ist, den »Tod aller Trends« zu proklamieren – vor allem im Umfeld von Umweltbewegungen oder als Folge der immer stärkeren Fragmentierung der Medien. Aussagen wie diese vereinfachen jedoch das Wort »Trend« und reduzieren es auf eine der vielen Verwendungsmöglichkeiten. Zudem gibt es eine ganze Reihe von Gründen, weshalb Menschen ein natürliches Bedürfnis haben, Phänomene zu gruppieren und mit Etiketten zu versehen, damit man sie beschreiben und darüber reden kann:

image Wir sind soziale Wesen, die sich nach einer gemeinsamen Sicht der Welt sehnen. Oder, um es mit den Worten von C. S. Lewis zu sagen: »Wir lesen, um zu wissen, dass wir nicht alleine sind.«

image Die explosionsartige Vermehrung der Medienkanäle erhöht das Bedürfnis nach einer Klassifizierung unserer Beobachtungen, um weltweite Ereignisse besser gewichten zu können.

image Wir sind Imitierwesen, und das auf einer sehr grundlegenden Ebene. Wenn Sie eine Gruppe von Menschen in einem Raum ohne ihr Wissen filmen, stellen Sie fest, dass selbst die kleinsten Änderungen der Körpersprache kopiert werden, ohne dass sich die Menschen dessen bewusst sind. Dieses Verhalten wird aber auch in einem bewussten Kontext wiederholt, zum Beispiel durch die Kleidung, die wir tragen, oder Meinungen, die wir in unserem Umfeld austauschen.

image Information bedeutet Macht und Geld. Das Verständnis für Märkte, Kundenverhalten und Gesellschaftsformen bringt einen wertvollen Wettbewerbsvorteil und stellt zudem einen guten Weg dar, um bei Trivial Pursuit oder Tischgesprächen zu glänzen.

image Wir haben ein biologisch angelegtes Interesse an der Zukunft. Im präfontalen Cortex – also dem vordersten Teil unseres Gehirns – ist die Fähigkeit eingebettet, abstrakt über die Zukunft nachzudenken, indem aktuelle Informationen dazu verwendet werden, das Kommende abzuschätzen.

Die Zukunft ist unscharf

Dass unser Gehirn in der Lage ist, über die Zukunft nachzudenken, heißt noch lange nicht, dass jeder Mensch dies in derselben Art und Weise tut. Es gibt unzählige Arten und Weisen, wie die Zukunft betrachtet werden kann. Hier ein kurzer Abriss der historischen und zeitgenössischen Schulen des Zukunftsdenkens:

image Utopisten und Endzeitpropheten. Diese Gattung sieht die Zukunft als Einbahnstraße, die entweder in den Untergang oder ins Paradies führt. Die Anhänger dieser These zeichnen sich durch eine verbissene Beharrlichkeit aus, die es ihnen erlaubt, praktisch alles, was sie sehen, als klaren Beweis für ihre Sichtweise der Welt zu interpretieren.

image Das Pendel und die Wendeltreppe. Diese beiden Schulen betrachten die Zeit als kreisförmig, also als etwas, das wie ein Echo immer wiederkehrt. Die Anhänger der Pendeltheorie sehen ein ständiges Hin- und Herschwingen zwischen zwei Extremen – politisch, technologisch oder in anderen Bereichen. Die Anhänger der Wendeltreppe haben eine ähnliche Sicht, behaupten aber, dass wir uns entweder auf einer positiven oder einer negativen Umlaufbahn befinden. Der Unterschied besteht darin, dass sich auch hier die Themen wiederholen, aber nicht in identischer Form, sondern eher in einer verstärkten beziehungsweise extremeren Ausprägung ins Positive oder Negative.

image Das schwarze Loch. Schließlich gibt es Leute, die jegliches Philosophieren über die Zeit und jede Vorhersage der Zukunft für zwecklos halten. Zeit ist für sie eine vom Menschen erfundene Abstraktion und in der Zufälligkeit sehen sie den ultimativen Herrscher über die Welt. Lehnen Sie sich einfach zurück und schauen Sie, was passiert.

Ein Trendspotter weiß nie genau, was Sache ist

Wenn ich zu Vorträgen eingeladen werde, stellt man mich oft – gegen meinen Willen – als Trendexperte vor. Dies aber ist ein Widerspruch in sich, denn um Trends aufzuspüren und Muster zu erkennen, muss man neugierig und aufgeschlossen sein und der Versuchung widerstehen, stets irgendwelche Schlüsse zu ziehen.

Mit anderen Worten: Als Trendspotter bin ich stolz darauf, dass ich absolut nichts weiß. Ein Experte in Sachen Trends zu sein, ist daher nichts Erstrebenswertes, sondern per definitionem unmöglich. Denn wenn Sie Sachen bereits wissen, dann verschließen Sie sich gegenüber neuen Perspektiven und Ideen. Mein Berufsverständnis stützt sich daher auf zwei grundlegende Ideen. Die eine stammt von einer New-Age-Unternehmerin, die andere von mir selbst:

Ein opportunistischer Sammler. Die Body-Shop-Gründerin Anita Roddick sagte einmal, dass nicht bloß erfolgreiches Trendspotting, sondern auch erfolgreiche Unternehmensführung darin bestehe, ein opportunistischer Sammler zu sein und seine Antennen stets auf Empfang zu schalten. Dies ist der fundamentale Unterschied zwischen professionellen Trendspottern und Managementberatern. Letztere arbeiten an zeitlich und umfangmäßig begrenzten Projekten. Sie tauchen zwar tief in die Materie ein, analysieren und kombinieren, gehen dann aber weiter zum nächsten Auftrag. Ein guter Trendspotter hält immer Ausschau nach Zitaten, Mustern und Einsichten, die in irgendeiner Art erkennen lassen, wie unsere Welt funktioniert. Oder im Falle dieses Buches etwas deutlich machen, was wir vorher nicht gesehen oder gehört haben oder worüber wir noch nie nachgedacht haben.

Ein Ideen-DJ. Bei einer Veranstaltung vor vielen Jahren stellte mir ein Teilnehmer folgende Frage: »Wie kommt es, dass Sie angeblich so viel über die Zukunft wissen und damit noch nicht reich geworden sind?« Einmal abgesehen von der Dreistigkeit der Annahme (die sogar zutraf) zog ich die Analogie zwischen meiner Arbeit und der eines DJs. Sie fragen ja einen DJ auch nicht, wieso er oder sie kein Instrument spielt oder singt, weil Sie wissen, dass sein Job darin besteht, die Leute zum Tanzen zu bringen. Anders als beispielsweise bei einem Investmentbanker oder einem Unternehmensberater besteht meine Arbeit darin, unerwartete Verbindungen herzustellen und dadurch bei Menschen die Sichtweise und die Wahrnehmungsfähigkeit für bestimmte Dinge zu verändern. DJs bringen die Leute zum Tanzen. Ideen-DJs bewegen den Geist.

Seien sie Ihr eigenes Orakel

Unwissen entfesselt die Neugier. Viele Menschen suchen die Annehmlichkeiten einer sicheren Überzeugung – von religiösem Fundamentalismus bis zu politischem Dogma –, doch eine viel größere Welt wird sich dem eröffnen, der bereit ist, mit Zweifeln und Skepsis zu leben. Vor langer Zeit vertrauten die Menschen obskuren Medizinmännern, um Informationen über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft zu erhalten. Heutzutage steht uns eine enorme Anzahl von Werkzeugen zur Verfügung, die uns als Navigationshilfe für unseren Weg in die Zukunft dienen können.

Wir müssen deshalb unser eigenes Orakel sein. Oder der Medizinmann. Oder die lenkende Kraft. Mein Anliegen ist es, Sie mit diesem Buch zu einem besseren Trendspotter zu machen, der die Fähigkeit hat, zu inspirieren, zu erheitern, Gemüter zu bewegen und letztlich die Welt zu ändern. Lesen Sie dieses Buch und erzählen Sie anderen, was Sie sehen und was es für Sie bedeutet. Ich freue mich darauf, Ihre Geschichten zu hören und in Ihre Welten einzutauchen.

Magnus Lindkvist
magnus@pattern-recognition.se

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Ziel und Struktur
des Buches

Trendspotting in zehn Sekunden

Als ich vor Kurzem mal wieder in der Buchhandlung war, ist mir eine große Anzahl von Titeln aufgefallen, die darauf abzielen, Menschen mit wenig Zeit zu helfen. So ändern Sie Ihr Leben in 20 Tagen. Einfach abnehmen im Schlaf. So schaffen Sie Ihre erste Million innerhalb eines Jahres. Da möchte ich natürlich nicht hintanstehen. Ich liefere Ihnen hier eine 10-Sekunden-Anleitung zum Thema Trendspotting: Geben Sie einfach bei Google das Wort »Trend« ein, und schon erhalten Sie Millionen von Links, die alle nur darauf warten, von Ihnen erkundet zu werden. Nun, das Resultat wird im besten Fall gemischt ausfallen und vor allem die Meinungen anderer Leute ausdrücken. Wenn Sie an einer reichhaltigeren und tief greifenderen Sicht der Dinge interessiert sind, müssen Sie wohl oder übel weiterlesen.

Eine verborgene Welt

Stellen Sie sich eine geheime, verborgene Welt vor. Solche Fantasien sind der Stoff, aus dem Märchen und Science-Fiction-Storys sind. Was aber, wenn ich Ihnen sage, dass es tatsächlich eine solche Welt gibt, und zwar hier, unmittelbar vor Ihrer Nase? Bevor also vor Ihrem geistigen Auge Bilder von sprechenden Hasen oder bösen Hexen auftauchen, lassen Sie mich festhalten, dass diese Welt mehr oder weniger denselben wissenschaftlichen Gesetzen folgt wie unsere eigene. Sie existiert hier und heute, und die Chancen sind groß, dass viele von uns sie einfach nicht sehen, weil wir unsere Rolle als Trendspotter nicht ernst genug nehmen. Aber wie um Himmels willen kann es denn sein, dass wir eine ganze Welt verpassen, die unmittelbar vor uns liegt?

Der Grund ist ganz einfach. Wir Menschen leiden unter einem Symptom, das ich Veränderungsblindheit nennen möchte – die Unfähigkeit, selbst elementarste Änderungen wahrzunehmen, die sich unmittelbar vor unseren Augen abspielen. Diese Blindheit hat verschiedene Gründe. So können die Veränderungen entweder zu groß und komplex sein oder über einen zu langen Zeitraum stattfinden, sodass wir keine Notiz davon nehmen. Umgekehrt können die Veränderungen aber auch zu gering oder zu gewöhnlich sein, sodass wir sie gar nicht erst wahrnehmen. Wir leben in einem Mikrokosmos, der von unserem Gehirn erschaffen wurde und nicht unbedingt ein akkurates Abbild dessen darstellt, was wir relativ unscharf als »die reale Welt« bezeichnen. Veränderungsblindheit ist einer der Gründe, weshalb so viele von uns von Ereignissen wie dem 11. September oder der Finanzkrise überrumpelt wurden.

Der blinde Führer

Die Rolle eines Trendspotters besteht darin, Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft aufzudecken. In dieser Funktion habe ich untersucht, weshalb über bestimmte Trends ganz viel gesprochen und geschrieben wird, während andere kaum bemerkt werden. Es schien mir, als ob viele Menschen blind für Veränderungen waren, die mir selbst aufgefallen sind, während ich im Gegenzug offensichtlich eine Menge Dinge verpasst hatte, über die mir andere erzählten. Am Anfang war ich unheimlich stolz darauf, etwas zu wissen, was nur wenigen bekannt war, und übersah großzügig die Punkte, die mir entgangen waren.

Irgendwann aber realisierte ich, dass der Grund, weshalb andere Menschen gewisse Veränderungen im Geschäftsleben und in der Gesellschaft übersehen, wenig bis gar nichts damit zu tun hat, welche Zeitungen, Zeitschriften oder Blogs sie lesen. Belesene Menschen werden oft als hip und trendy betrachtet – am Puls der Zeit. Natürlich gibt es eine Menge von Mode- oder Lifestyletrends, die man zwangsläufig mitbekommt, wenn man bestimmte Medien konsumiert. Aber diese kurzlebigen Trends und »letzten Schreie«, die heute kommen und morgen gehen, haben mich nie sonderlich beeindruckt. Ich interessiere mich eher für einen tief greifenden, transformativen Wandel, der mehr Veränderung in sich trägt als ein bloßer Wechsel der T-Shirt-Farbe oder der MP3-Player-Marke. Über diese Art von Trends wird in Zeitschriften oder Blogs selten bis nie geschrieben, denn sie erfordern, dass wir unter die Oberfläche schauen, verschiedenste Quellen anzapfen, unsere Antennen ausfahren und neben unseren Augen auch unseren Verstand weit öffnen.

Unsichtbare Trends

Viele Menschen betrachten ihre angeborene Fähigkeit zum Aufspüren von Veränderungen – also ihre Trendspotter-Qualitäten – als überdurchschnittlich. In den vergangenen Jahren habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, alle Menschen, die ich treffe, diesbezüglich nach ihrer Selbsteinschätzung zu fragen, und zwar auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 10 der Höchstwert ist. Ich habe sicher über 1.000 Personen aus allen Gesellschaftsschichten befragt und die Mehrheit dieser Leute, deutlich über 80 Prozent, nennt eine Zahl, die höher ist als 5. Dieses Phänomen lässt sich sehr gut mit Erhebungen vergleichen, bei denen sich 80 Prozent der Autofahrer für überdurchschnittlich souveräne Verkehrsteilnehmer halten, die ganz klar in den oberen 20 Prozent einzustufen sind.

Wir glauben nur allzu gerne, dass wir besonders gut im Erkennen von Veränderungen sind, weil dieser Fähigkeit ein hoher Stellenwert zukommt, besonders wenn Sie in der Geschäftswelt oder gar an Aktienmärkten tätig sind. Viele von uns täuschen sich jedoch gewaltig. Wir sind nicht annähernd so gut im Erkennen von Trends, wie wir gerne glauben. Die beschlagenen Brillengläser, durch die wir die Welt betrachten, funktionieren wie ein Schutzschild, das ein Universum voller Einblicke und Einsichten vor uns verbirgt. Um genau diese Facetten der Unsichtbarkeit geht es in diesem Buch.

Die sieben Facetten der Unsichtbarkeit

Dieses Buch ist in sieben Kapitel gegliedert, wobei sich jedes einzelne einer konkreten Ursache widmet, die bewirkt, dass wir bestimmte Arten von Trends nicht sehen. Ich werde jeden dieser Trends mit einem Beispiel illustrieren, das meine Sicht der Welt in den vergangenen Jahren verändert und geformt hat. Ich hoffe sehr, dass die eine oder andere Geschichte auch für Sie als Leser anregend ist und Ihnen die Augen für gewisse Dinge öffnet. Außerdem können Sie dieses Buch auf zwei Arten lesen: Zum einen dient es als Einblick in die Funktionsweise unserer Wahrnehmung, zum anderen gibt es einen Abriss der Trends, die gegenwärtig unsere Welt verändern.

Die sieben Facetten der Unsichtbarkeit sind:

1. Unsichtbarkeit durch Gewöhnung – die Veränderungen waren zu langsam, um von uns bemerkt zu werden.

Langsame und langfristige Veränderungen sind für uns oft unsichtbar, da unser Gehirn sie nicht registriert. Wenn Veränderungen mehrere Jahrzehnte umspannen, so wird sich jede Generation im Laufe der Zeit zunehmend an sie gewöhnen, sodass sie auf natürliche Weise in unser Leben eingebettet werden. Ein gutes Beispiel dafür ist die Umweltverschmutzung. Stellen Sie sich einmal vor, dass plötzlich von heute auf morgen an Seen und Flüssen Schilder aufgestellt werden, auf denen »Achtung, giftig! Schwimmen verboten!« steht. Wir würden in Panik geraten und wütend nach den Schuldigen suchen. Weil aber die Umweltverschmutzung im Laufe der letzten Jahrzehnte nach und nach zur Lebensrealität geworden ist, entlockt es kaum mehr jemandem ein Stirnrunzeln, wenn im Wetterbericht vor einem erhöhten Smoglevel gewarnt wird oder Seen und Flüsse erwiesenermaßen zu dreckig geworden sind, um darin zu schwimmen.

2. Unsichtbarkeit durch winzige Veränderungen – wir konnten den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen.

Die menschliche Sichtweise ist darauf trainiert, Dinge als starr zu betrachten, auch wenn sie in Wahrheit aus sich ständig bewegenden Teilen bestehen. Die Schweizer Alpen sind für uns ewig und unverrückbar, obwohl sie durch Abnutzung der Elemente ständig ein wenig schrumpfen. Auch die Persönlichkeit von Mitmenschen betrachten wir als statisch, mit Ausnahme von uns selbst natürlich, denn wir können uns ja jederzeit ändern, wenn wir wollen. Weil wir als Menschen diese Vorstellung von Starrheit bzw. Stabilität haben, tendieren wir dazu, diese auch auf die Märkte und die Gesellschaft im Allgemeinen zu übertragen. Organisationen definieren sich über Grenzen und basteln sich ausgeklügelte Leitbilder und Markenstrategien. Ganze Industrien werden mit Namen und Begrenzungen versehen. Menschen werden zu Clustern zusammengefasst. Geografische Territorien werden als Staaten definiert – durch das Setzen von Grenzsteinen im Erdboden. Diese starre Sicht der Dinge ist oft falsch und führt dazu, dass wir Änderungen übersehen, die unmittelbar vor unseren Augen stattgefunden haben. Wir waren so sehr damit beschäftigt, den Wald zu beobachten, dass wir nicht bemerkt haben, dass die Bäume bereits weitergezogen sind.

3. Unsichtbarkeit durch Plötzlichkeit – wir haben kurz geblinzelt und alles verpasst.

Wenn uns langsame und graduelle Veränderung verborgen bleibt, müssten wir doch zumindest in der Lage sein, eine drastische und plötzliche Veränderung wahrzunehmen, oder? Falsch. Die Gräueltaten des 11. September 2001 kamen sehr plötzlich und wurden von Millionen von Leuten in der ganzen Welt gesehen. Und wir alle wurden überrumpelt, weil unsere Brillengläser nicht für die neuen Rahmenbedingungen geeignet waren. Die Neunzigerjahre wurden oft als »das geschichtslose Jahrzehnt« bezeichnet und der neue Wohlstand, ausgelöst durch den Dotcom-Boom, hat uns blind gemacht für tief greifende Veränderungen der Geopolitik, die durch das Ende des Kalten Krieges hervorgerufen wurden. Wir sind immer wieder überrascht von solchen Erscheinungsformen, weil wir nicht in der Lage sind, die zugrunde liegenden unsichtbaren Veränderungen zu erfassen. Wir konzentrieren uns gewissermaßen auf die »Hardware« und ignorieren dabei die »Software«. Dazu gehört auch, dass wir oft nicht verstehen, wie bestimmte Veränderungen in unserem Umfeld, wie zum Beispiel die Globalisierung oder die Verbreitung des Internets, unsere Denk- und Funktionsweise als menschliche Wesen verändern.

4. Unsichtbarkeit durch lineares Denken – wir sind nicht in der Lage, exponentiell zu denken.

Es gefällt uns, wenn unsere Welt einigermaßen sicher und vorhersehbar ist, was unter anderem ein Grund dafür ist, dass der Begriff »Trend« so beliebt ist. Trends verleihen abstrakten Entwicklungen einen Namen und geben uns ein Gefühl der Kontrolle. Viele Trends aber sind nur eine lineare Hochrechnung dessen, was wir heute sehen.

Die Zukunft hingegen wird unter anderem durch Phänomene technischer oder anderweitiger Art geformt, die oft aus dem Nichts zu kommen scheinen und sich innerhalb weniger Jahre explosionsartig verbreiten. Diese Art des nichtlinearen Denkens ist sehr schwierig zu meistern, weshalb die meisten von uns blind sind für Trends, die sich exponentiell entwickeln.

5. Unsichtbarkeit durch Präsentismus – wir glauben, dass morgen alles mehr oder weniger so sein wird wie heute.

Henry Ford soll einmal gesagt haben, dass die Leute wohl am häufigsten »schnellere Pferde« geantwortet hätten, wenn er sie gefragt hätte, was er für sie produzieren solle. In gleicher Weise sind wir oft unfähig, Veränderungen wahrzunehmen, da sie unsere Sicht der Welt zu sehr infrage stellen. Wir denken gerne, dass die Zukunft uns vertraut ist, und genau diese Vertrautheit ist auch das Merkmal vieler Science-Fiction-Filme und Fernsehserien über die Zukunft. Natürlich gibt es jede Menge tolle, neue Gadgets und fliegende Untertassen, aber die grundlegenden soziologischen Strukturen der Gesellschaft sind immer noch dieselben. Wir möchten gerne glauben, dass sich nur die Blätter am Baum bewegen, nicht aber der Stamm und die Äste.

6. Unsichtbarkeit durch Kurzsichtigkeit – wir glauben, dass unsere Welt die einzig wahre ist.

Wir alle glauben nur zu gerne, dass das Bild der Welt, die wir vor Augen haben, ein akkurates Porträt der realen Welt ist. Wenn diese stille Übereinkunft zwischen Augen und Hirn nicht mehr gelten würde, so würden wir höchstwahrscheinlich des Wahnsinns fette Beute. Natürlich funktioniert das menschliche Bewusstsein etwas komplexer, aber es bleibt dabei, dass wir die Welt sehr persönlich und individuell wahrnehmen. Dies bedeutet, dass die meisten Menschen ihre kleine Trendkarte haben, und erst, wenn eine kritische Masse von Leuten ein bestimmtes Phänomen registriert, bezeichnen wir es als »Trend«, »Mode-Erscheinung« oder das »nächste große Ding« – selbst wenn es uns schon seit Jahren begleitet.

7. Unsichtbarkeit durch Pessimismus – wie können Dinge überhaupt besser werden, wenn wir doch ohnehin alle dem Untergang geweiht sind?