image

Dieses Buch ist ein Transkript aus einer Original-Vortragsserie, die Osho vor einer internationalen Zuhörerschaf gehalten hat. Die Vorträge sind unter dem englischen Original-Titel HsinHsin Ming – The Book of Nothing publiziert worden. Alle Diskurse Oshos sind als vollständige Bücher publiziert worden und auch als Audios und / oder Videos erhältlich. Audios und das vollständige Text-Archiv finden sie unter der online-Bibliothek „Osho Library“ bei: www.osho.com

Titel der englischen Ausgabe:
Hsin Hsin Ming – The Zen Understanding of Mind and Consciousness, Chap. 1-5

Ebook-Auflage © 2017

eISBN 978-3-942502-82-5

OSHO

Weder leicht
noch
schwer

Der Zen-Weg
zu mehr
Gelassenheit

image

Inhalt

1. Der Verstand ist immer zwiespältig

2. Für „Nichttun“ braucht man keine Lehre

3. Reden und denken bringen dich vom Weg ab

4. Das Wirkliche kann nicht sterben

5. Das Einssein in der Stille finden

1. KAPITEL

Der große Weg fällt allen leicht,

die keine Vorlieben haben.

Wenn weder Liebe noch Hass da sind,

wird alles klar und unverstellt.

Werte auch nur ansatzweise,

und Himmel und Erde trennen Welten.

Wer die Wahrheit erkennen will,

der enthalte sich jeglicher Beurteilung …

Der Kampf zwischen Neigung und Abneigung

ist die Krankheit des Denkens.

DER VERSTAND IST IMMER ZWIESPÄLTIG

HEUTE LERNEN WIR DIE HERRLICHE WELT DES NICHTDENkens eines Zen-Meisters namens Sosan kennen. Er ist der dritte Zen-Patriarch. Wir wissen nur wenig über ihn – und so sollte es auch sein; denn die Geschichte zeichnet nur Gewalttaten auf. Geschichte zeichnet nicht die Stille auf, das kann sie nicht. Geschichte ist dazu da, Störungen aufzuzeichnen. Wer immer wirklich in tiefer Stille ist, wird in keinerlei Annalen erwähnt. Er ist nicht mehr Teil unseres Wahnsinns. Und so soll es sein.

Sosan blieb sein ganzes Leben lang ein Wandermönch. Er ließ sich nirgends nieder; er war immerzu unterwegs, auf Achse, in Bewegung. Er war ein Fluss, kein stilles Gewässer. Er war immer in Bewegung. Deswegen wollte Buddha, dass seine Schüler immer weiterwanderten. Sie sollten nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich heimatlos bleiben. Denn immer wenn du dich häuslich einrichtest, wirst du dich daran binden. Die Mönche sollten wurzellos bleiben; es gibt kein anderes Zuhause für sie als dieses ganze Universum. Sogar als Sosan bereits ein anerkannter Erleuchteter war, blieb er bei seiner alten Bettlergewohnheit. Und nichts war an ihm besonders. Er war ein gewöhnlicher Mann, ein Mann des Tao.

Ich möchte noch erwähnen … erinnert euch immer wieder daran: Zen ist eine Kreuzung. Und genauso, wie durch Kreuzungen schönere Blumen entstehen können oder schönere Kinder zur Welt kommen, ist es auch mit Zen gewesen.

Zen ist eine Kreuzung zwischen Buddhas und Laotses Vorstellungswelt. Es ist eine große Begegnung – die größte, die jemals stattgefunden hat. Darum hat Zen sowohl Buddhas wie auch Laotses Vorstellungswelten weit übertroffen.

Es ist die nie da gewesene Blüte zweier Gipfel – sowie die Begegnung von beiden Gipfeln. Zen ist weder buddhistisch noch taoistisch, sondern vereint beides in sich.

Was Religion angeht, ist Indien ein wenig humorlos – eine lange Vergangenheit, ein uralter Ballast drückt den indischen Geist nieder und seine Religion ist ernsthaft geworden. Laotse dagegen war immer eine Lachnummer: Loatse ist als „der alte Narr“ bekannt, kein bisschen ernst: Ein unernsterer Mensch ist nicht zu finden. Irgendwann trafen sich die Vorstellungswelten Buddhas und Laotses, trafen sich Indien und China – und Zen wurde geboren. Und dieser Mann Sosan stand der ursprünglichen Quelle ganz nah, als Zen sozusagen aus dem Mutterleib kam. Er ist ein Überbringer der ursprünglichen Botschaft.

Seine Biografie spielt dabei keine Rolle. Denn sobald ein Mensch erleuchtet wird, verschwindet seine Biografie. Er hat keine Form mehr, also werden die Daten seiner Geburt und seines Todes völlig bedeutungslos. Darum haben wir uns im Orient auch nie um Biografien und historische Fakten gekümmert. Diese Besessenheit war uns stets fremd. Inzwischen ist sie jedoch vom Westen aus zu uns gedrungen, und seither interessiert man sich hier zunehmend für belanglose Dinge. Was spielt es für eine Rolle, wann Sosan geboren wurde? – In welchem Jahr genau, und wann er starb? – Wieso ist das wichtig?

Sosan ist wichtig, nicht aber, wann er in diese Welt und seinen Körper eingetreten ist … oder wann er wieder gegangen ist. Ankunfts- und Abfahrtszeiten spielen keine Rolle. Es kommt einzig und allein darauf an, wer man ist! Und das hier sind die einzigen Worte, die Sosan geäußert hat. Denkt aber daran, dass es sich nicht um Wörter handelt, da sie einem Geist entspringen, der Wörter hinter sich gelassen hat. Dies sind keine Spekulationen, sondern authentische Erfahrungen. Alles, was er sagt, hat er erkannt.

Er ist kein Mann des Wissens, sondern ein Weiser.

Er ist in das Mysterium eingedrungen, und was er mitbringt, ist höchst bedeutsam. Es kann dich restlos transformieren. Man braucht ihm nur zu lauschen, und währenddessen wird man transformiert. Denn alles, was er sagt, ist reinstes Gold.

Aber das ist auch gar nicht so einfach, denn die Entfernung zwischen euch und ihm ist unermesslich groß: Ihr denkt noch, er aber denkt nicht mehr. Auch wenn er noch Worte macht, bleibt er in seinem Schweigen; ihr dagegen plappert innerlich weiter, selbst wenn ihr schweigt.

Folgende Geschichte …

Mulla Nasruddin musste vor Gericht erscheinen. Er war wegen Polygamie, Vielweiberei angeklagt. Alle wussten Bescheid, aber keiner konnte es nachweisen.

Sein Anwalt hatte Nasruddin gewarnt: „Halt einfach den Mund, mehr nicht. Wenn du auch nur ein Wort sagst, bist du geliefert. Schweig du also, und lass mich alles regeln.“ Mulla Nasruddin bleibt still aber innerlich kocht er, will eingreifen, was sagen, aber letztlich schafft er es, sich zusammenzureißen.

Äußerlich gleicht er einem Buddha, innerlich einem Irren. Das Gericht kann ihm nichts nachweisen. Obwohl der Richter genau weiß, dass dieser Mann in der Stadt viele Frauen hat, kann er ohne Beweise nichts ausrichten.

Er muss ihn freisprechen und sagt: „Mulla Nasruddin, Sie sind ein freier Mann. Sie können nach Hause gehen.“ Mulla Nasruddin, etwas verdattert, sagt: „Äh… Euer Gnaden, welches Zuhause meinen Sie?“

Wer viele Frauen hat, ist überall zu Hause.

Jedes Wort von euch verrät den Verstand in eurem Innern; ein einziges Wort genügt, um euer ganzes Dasein bloßzustellen. Man braucht noch nicht einmal ein Wort zu sagen: Eine bloße Geste verrät, wes Geistes Kind man ist. Und selbst wenn ihr still seid, zeigt eure Stille nichts anderes als das Plappermaul in euch. Wenn ein Sosan etwas sagt, spricht er auf einer absolut anderen Ebene. Er ist gar nicht am Sprechen interessiert; er will ja niemanden beeinflussen oder gar von irgendeiner Theorie oder Philosophie oder durch irgendeinem „ismus“ überzeugen. Nein, wenn er spricht, blüht sein Schweigen auf. Wenn er spricht, sagt er etwas über das, was er erkannt hat, und das möchte er euch gern mitteilen. Und wenn du auch nur ein Wort davon verstehst, spürst du die immense Stille, die in dir da ist.

Wir werden uns mit Sosan und seinen Worten befassen. Wenn ihr aufmerksam zuhört, werdet ihr plötzlich spüren, wie sich in euch Stille ausbreitet. Diese Worte sind voller Energie. Wann immer ein Erleuchteter etwas sagt, ist sein Wort ein Saatkorn, das über Jahrmillionen hinweg sein Potenzial bewahren und nach einem Herzen suchen wird.

Wenn du bereit bist, bereit zum Erdreich zu werden, dann werden diese Worte – diese ungeheuer starken Worte Sosans–zur Saat. Sie sind Saatkörner, die, wenn du sie einlässt, dein Herz befruchten und aus dir einen absolut anderen machen werden.

Hört ihnen nicht mit dem Verstand zu, denn für den haben sie keinerlei Bedeutung; der Verstand ist absolut impotent, er kann sie nicht verstehen. Sie kommen nicht aus dem Verstand, also kann er sie auch nicht verstehen. Sie kommen aus einem Nichtverstand. Also können sie nur von einem verstanden werden, der sich auch im Zustand des Nichtverstands befindet.

Versucht also nicht zu interpretieren, während ihr hier zuhört. Lauscht nicht den Worten, sondern den Lücken zwischen den Zeilen, nicht dem, was er sagt, sondern dem, was er meint – der Bedeutung.

Lasst euch von dieser Bedeutung umhüllen wie von einem Duft. Er wird in euch einfließen, ihr werdet davon geschwängert. Aber interpretiert nicht; sagt nicht: „Aha, dies oder jenes meint er also!“ Denn so bleibt ihr nur im eigenen Verstand. Interpretiert nicht – hört zu. Und wer interpretiert, kann nicht zuhören, weil das Bewusstsein nicht zwei verschiedene Dinge gleichzeitig tun kann. Wenn ihr anfangt zu denken, hört das Zuhören automatisch auf. Hört zu, so wie ihr einer Musik zuhört – es ist eine andere Art des Hörens, weil ihr nicht interpretiert dabei. In den Klängen liegt keine Bedeutung. Hier haben wir es auch mit Musik zu tun.

Dieser Sosan ist ein Musiker, kein Philosoph. Dieser Sosan spricht nicht nur Worte, er hat viel mehr zu sagen … mehr als nur Worte. Sie haben zwar eine Bedeutung, machen aber keinen Sinn. Sie sind wie musikalische Töne.

Setz dich neben einen Wasserfall: Du lauschst ihm, aber interpretierst du etwa, was der Wasserfall sagt? Er sagt nichts… und dennoch sagt er etwas. Er sagt viel – Dinge, die man nicht sagen kann. Was machst du neben einem Wasserfall? Du lauschst, du wirst ruhig und still, du bist empfänglich. Du erlaubst dem Wasserfall, immer tiefer und tiefer in dich einzudringen. Dann wird in dir alles still und schweigsam. Du wirst zum Tempel – der durch den Wasserfall mit dem Unbekannten erfüllt wird. Was machst du denn, wenn du dem Gesang der Vögel lauschst oder dem Wind, der in den Bäumen rauscht, oder dem Rascheln der toten Blätter, die ein Windstoß aufwirbelt? Was machst du? Du wirst einfach ganz Ohr…

Dieser Sosan ist weder Philosoph noch Theologe noch Priester. Er will euch keine Idee verkaufen. Er will euch nicht überzeugen, sondern blüht einfach nur auf. Er ist ein Wasserfall oder auch ein Wind, der durch die Bäume rauscht, oder auch nur ein Vogelgezwitscher – ohne Sinn, aber ausgesprochen bedeutsam. Ihr müsst euch für dieses Bedeutsame öffnen, nur dann werdet ihr verstehen können. Lauscht also, aber denkt nicht nach. Und dann mag alles Mögliche in euch geschehen.

Denn ich versichere euch: Dieser Mann – dieser Sosan, über den man kaum etwas weiß –, war ein Geistesriese, ein Mann, der erkannt hat. Und wenn der etwas sagt, dann nur, weil er der Welt des Bekannten etwas Unbekanntes vermitteln will. Mit ihm tritt das Göttliche auf – wie ein Lichtstrahl reicht es in die Dunkelheit deines Geistes hinein.

Vergesst bitte nicht, bevor wir auf seine Worte eingehen, dass es auf ihre Bedeutsamkeit ankommt, nicht ihren Sinn; auf ihre Musik, ihre Melodie, nicht ihren Sinn; auf den Ton seines tonlosen Geistes, auf sein Herz und nicht auf das, was er denkt. Ihr müsst seinem Wesen lauschen, wie dem Wasserfall.

Wie aber geht das? Seid einfach still. Lasst euren Verstand ruhen. Denkt gar nicht erst: „Was will er damit sagen?“ Lauscht einfach – ohne euch ein Urteil zu bilden, ohne zu entscheiden, ob er recht hat oder nicht, ob er euch überzeugt oder nicht. Wenn ihm eure Überzeugung egal ist, kann sie auch euch egal sein. Lauscht einfach nur. Menschen wie Sosan gilt es zu genießen; sie sind Naturphänomene.

Was soll man sonst auch mit einem schönen Felsen anfangen? Man genießt ihn, man berührt ihn, geht um ihn herum, berührt das Moos darauf. Was soll man sonst auch mit den Wolken anfangen, die am Himmel ziehen? Man tanzt auf der Erde, schaut zu ihnen auf oder legt sich einfach nur still hin und schaut ihnen nach, wie sie weiterschweben. Und sie erfüllen euch, nicht nur den äußeren Himmel. Nach und nach – je stiller ihr werdet – füllen sie auch euren inneren Himmel. Auf einmal seid ihr nicht mehr da, nur noch die ziehenden Wolken – innen und außen. Die Trennung ist aufgehoben, es gibt keine Grenzen mehr: Du bist zum Himmel geworden und der Himmel ist zu dir geworden. Bevor wir uns tiefer mit seiner Bedeutsamkeit befassen, gilt es, noch ein paar Dinge zu klären.

Der Verstand ist eine Krankheit. Dies ist eine Grundwahrheit, die der Osten entdeckt hat. Dem Westen zufolge kann der Verstand krank oder gesund sein. Hierauf beruht die westliche Psychologie: Der Verstand kann gesund oder krank sein. Aber dem Osten zufolge ist der Verstand als solcher krank; er könne gar nicht gesund sein. Keine Psychiatrie werde helfen; man könne diese Krankheit allenfalls auf ihr Normalmaß reduzieren. Somit gibt es zwei Arten von Geisteskrankheiten: Das Normalmaß – du bist sozusagen genauso krank wie alle um dich herum; oder ihr Übermaß – du fällst sozusagen aus dem Rahmen. Deine Krankheit ist nicht gewöhnlich, ein Ausnahmefall. Deine Krankheit ist individuell, nicht die der Masse; das ist der einzige Unterschied. Entweder normal krank oder anormal krank, aber einen gesunden Verstand gibt es nicht. Warum?

Dem Osten zufolge ist der Verstand als solcher grundsätzlich ungesund. Das englische Wort health für Gesundheit ist schön. Es kommt aus derselben Wurzel wie das Wort whole. Die Wörter health, healing, whole und holy (Gesundheit, Heilen, ganz und heilig) gehen alle auf dieselbe Wurzel zurück. Der Verstand kann schon deshalb nicht gesund sein, weil er nie heil und ganz sein kann. Er ist immer gespalten. Er beruht auf Spaltung. Wenn er nicht ganz sein kann, wie kann er dann gesund sein? Und wenn er nicht gesund sein kann, wie kann er dann heilig sein?

Alles Denken ist weltlich. So etwas wie ein heiliges Denken existiert nicht. Ein heiliger Mensch braucht nicht zu denken, weil er nicht gespalten ist. Denken ist eine Krankheit. Und wie lautet der Name dieser Krankheit? Aristoteles lautet ihr Name. Und wenn ihr wollt, dass sie auch wirklich wie eine Krankheit klingt, dann nennt sie meinetwegen „Aristotelitis“. Das klingt eindeutig nach Krankheit. Warum ist Aristoteles die Krankheit? Weil Aristoteles sagt: „Entweder dies oder das: Entscheide!“ Und die Aufgabe des Verstandes besteht darin zu wählen. Der Verstand muss wählen, er darf nicht wahllos sein. Wähle, und du sitzt in der Falle. Denn was immer du auch wählst, du hast dich damit gegen etwas anderes entschieden. Wer für irgendwas ist, muss auch gegen irgendwas sein, man kann weder nur Befürworter noch nur Gegner sein. Das dagegen folgt dem dafür wie ein Schatten. Wo es ein „gegen“ gibt, muss es auch ein „für“ geben – ob verborgen oder nicht.

Wer wählt, der spaltet. Dann heißt es: „Dies ist gut, das ist schlecht.“ Dabei ist das Leben eine Einheit. Die Existenz bleibt ungeteilt, die Existenz bleibt zutiefst eins. Sie ist eins. Wer sagt: „Dies ist schön und das ist hässlich!“, ist nur im Kopf, denn das Leben ist beides zugleich. Und das Schöne wird hässlich, und das Hässliche wird immer wieder schön. Es gibt keine Grenze, es gibt keine wasserdichten Sparten. Das Leben fließt ständig vom einen zum andern.

Der Verstand hat festgelegte Sparten. Fixiertheit ist das Wesen des Verstandes, und Beweglichkeit ist das Wesen des Lebens. Darum ist der Verstand eine Obsession: Er ist immer fixiert, er hat etwas Unbewegliches. Und das Leben ist nicht unbeweglich; es ist fließend, flexibel, es wird ständig zum Gegenteil.

Etwas lebt in diesem Moment, im nächsten Moment ist es tot. Jemand war jung, im nächsten Moment ist er alt. Die Augen waren wunderschön, jetzt sind sie verloschen – gebrochen. Das Gesicht war wie eine Rose, jetzt ist nichts mehr davon übrig – noch nicht mal ein Hauch davon. Schön wird hässlich, Leben wird zum Tod und der Tod bringt wieder neues Leben hervor. Was also mit dem Leben anfangen? Du kannst nicht wählen. Wenn du mit dem Leben gehen willst, mit dem Ganzen, dann musst du vorurteilsfrei bleiben.

„Denken heißt Wählen!“

Das hat Aristoteles zum Grundstein seiner Logik und Weltanschauung gemacht. Man kann niemanden finden, der weiter von Sosan entfernt wäre als Aristoteles.

Denn Sosan sagt: „Weder dies noch das – wähle nicht.“

Sosan sagt: „Triff keine Wahl.“ Sosan sagt: „Mach keine Unterschiede! Sobald du unterscheidest, sobald du eine Wahl triffst, bist du bereits gespalten, zersplittert – jetzt bist du erkrankt, bist du nicht mehr heil und ganz.“

Macht euch Folgendes klar: Fragt man einen Christen, so hört er im Grunde gar nicht auf Jesus, sondern hört in Wirklichkeit auf Aristoteles … Das Christentum beruft sich mehr auf Aristoteles denn auf Christus. Jesus war mehr wie Sosan, denn auch er sagt: „Urteilt nicht! Richtet nicht!“ Er sagt: „Trefft keine Wahl. Sagt nicht: ‚Dies ist gut und das ist schlecht!‘ Das steht euch nicht zu. Das hat das Ganze zu entscheiden. Richtet nicht!“

Aber das Christentum hört im Grunde überhaupt nicht auf Jesus. Die Gründer des Christentums waren mehr aristotelisch als christlich. Auf Sosan oder Jesus kann man keine Kirche bauen. Wie will man auch eine Kirche bauen, wenn man sich nicht entscheidet? Eine Kirche muss für etwas und gegen etwas sein – zumindest für Gott und gegen den Teufel.

Im Leben jedoch sind Gott und Teufel nicht zweierlei, sondern eins. Der Teufel ist nur ein Gesicht derselben Energie und Gott ist ein anderes – sie sind nicht zu trennen. Mal kommt er als ein Teufel und mal kommt er als ein Gott. Und wer tiefer zu blicken vermag und genau hinsieht, der wird entdecken, dass sie identisch sind. Mal kommt er als Dieb und mal als ein Tugendbold. Mal wird man ihn in achtbaren Kreisen finden und mal bei denen, die nicht geachtet, sondern verdammt werden. Er bewegt sich, er bleibt in Bewegung. Und nichts ist ihm zu fern, um hinzufinden, niemand steht über ihm – alle stehen ihm offen.

Jesus macht keine Unterschiede, wohl aber macht das Christentum Unterschiede. Denn einer Religion bleibt gar nichts anderes übrig – eine Religion hat ein Moralsystem zu sein. Und sobald eine Religion zu einem Moralsystem wird, ist sie keine Religion mehr. Religion ist das Wagemutigste überhaupt. Nicht zu entscheiden erfordert höchsten Mut; denn der Verstand befiehlt: „Entscheide!“

Der Verstand fordert: „Sag etwas! Dies ist falsch, das ist gut. Dies ist schön, das ist hässlich. Ich mag dies, ich hasse das.“ Der Verstand sagt: „Wähle!“ Der Verstand verführt euch zur Spaltung. Sobald ihr trennt, fühlt der Verstand sich wohl. Wenn ihr nicht trennt, wenn ihr sagt: „Ich werde gar nichts sagen. Ich werde nichts beurteilen“, hat der Verstand das Gefühl, als hätte sein letztes Stündlein geschlagen.

„A ist A“, sagt Aristoteles, „und A kann nicht nicht A sein“… Anders gesagt: „kann nicht sein Gegenteil sein.“ Sosan sagt, es gibt keine Gegensätze – sie begegnen sich immerzu, sie sind sich seit jeher begegnet. Dies ist eine der tiefsten Grundwahrheiten, die es zu erkennen gilt: dass Gegensätze überhaupt keine sind. Ihr seid es, die behaupten, sie seien Gegensätze, sie aber denken gar nicht daran, welche zu sein. Geht der Existenz auf den Grund, und ihr werdet spüren: Sie haben dieselbe Energie.

Du liebst jemanden …

Einmal kam eine Frau zu mir und sagte: „Seit zehn Jahren bin ich nun verheiratet und wir haben uns nie gestritten. Und jetzt plötzlich passiert es? Er hat mich verlassen!“

Nun, sie glaubt, sie hätten sich tief geliebt, und der Beweis dafür sei, dass es nie Streit gegeben habe. Dies ist zwar töricht, aber typisch aristotelisch: Die Frau ist absolut logisch.

Sie sagte: „Wir sind seit zehn Jahren verheiratet. Wir hatten nie Streit, wir waren einander nie böse.“ Sie will damit sagen: „Wir haben uns dermaßen tief geliebt, dass wir nie Meinungsverschiedenheiten hatten. Kein einziges Mal gab es Streit. Wie kann es also sein, dass er mich jetzt plötzlich verlassen hat? Ist er verrückt geworden? Wir haben uns so geliebt!“

Sie irrt. Wenn die Liebe tief geht, gibt es zwangsläufig manchmal Streit. Dann liegt man sich in den Haaren. Das zerbricht die Liebe aber nicht, sondern bereichert sie. Wenn Liebe da ist, wird sie durch Streiten bereichert. Wenn keine Liebe da ist, dann ist es aus und ihr trennt euch. Zehn Jahre ist eine lange Zeit – selbst mit vierundzwanzig Stunden Einmütigkeit seid ihr schon überfordert, da der Verstand ständig zwischen Gegensätzen hin und her pendeln muss.

Du liebst jemanden: Manchmal wirst du wütend. Dabei wirst du nur deswegen wütend, weil du liebst. Manchmal hasst du. Manchmal würdest du dich am liebsten für deinen Partner opfern, und manchmal würdest du ihn am liebsten umbringen. Und beides bist du. Dass ihr euch zehn Jahre lang nie gestritten habt, beweist, dass keine Liebe da war. Das beweist, dass es keine Beziehung war. Und aus lauter Angst, dass beim ersten Wutausbruch, ersten Streit oder kleinsten Anlass die ganze Sache zusammenbrechen könnte, habt ihr euch halt nie gestritten. Ihr habt nicht für möglich gehalten, dass eure Liebe tief genug war, um einen Streit zu überdauern, und dass ihr euch hinterher umso verliebter um den Hals fallen könntet. Nein, dies Vertrauen hat euch gefehlt. Nur deswegen habt ihr es geschafft, euch nie zu streiten. Und so ist es nicht verwunderlich, dass der Mann gegangen ist. Ich schloss: „Es überrascht mich, dass er zehn Jahre lang bei dir geblieben ist. Wie kommt’s?“

Einmal kam ein Mann zu mir und sagte: „Irgendwas ist mit meinem Sohn schiefgelaufen. Ich kenne ihn seit zwanzig Jahren, er war immer gehorsam. So ein guter Junge ist nirgends zu finden. Er war nie ungehorsam, er hat mir stets gehorcht. Und jetzt auf einmal ist er zum Hippie geworden. Er hört nicht mehr auf mich. Er schaut mich wie einen Fremden an, als ob ich nicht sein Vater wäre. Was ist mit ihm passiert?“

Nichts ist passiert. Damit war ja zu rechnen, denn ein Sohn, der seinen Vater wirklich liebt, widerspricht ihm auch. Wem sonst sollte er nicht gehorchen? Wenn ein Sohn seinen Vater wirklich liebt und ihm vertraut, wendet er sich auch mal ab – denn er weiß, die Beziehung ist so tief, dass ihr selbst Ungehorsam nichts anhaben kann. Sie wird dadurch bereichert. Das Gegenteil bereichert. In Wirklichkeit ist das Gegenteil gar kein Gegenteil, sondern nur ein Rhythmus, ein Rhythmus im selben Takt: Mal gehorcht man und mal widersetzt man sich – es ist ein Rhythmus. Wenn man dagegen immerzu nur gehorcht, ständig gehorcht, wird alles monoton und tot. Monotonie ist das Wesen des Todes – weil kein Gegenteil da ist.

Das Leben ist lebendig, weil das Gegenteil da ist, ein Rhythmus da ist. Man geht, man kommt zurück; man reist ab, man kommt an; mal gehorcht man nicht, mal doch; man liebt und man hasst. So ist das Leben, nicht aber die Logik.

Die Logik sagt: Wenn du liebst, kannst du nicht hassen. Wie kannst du wütend werden, wenn du liebst? Wer so lebt, wird auf die Dauer eintönig – immer dieselbe Tonlage. Aber damit verspannt man sich, dann ist es unmöglich, sich zu entspannen. Für die Logik gibt es nur lineare Vorgänge: Es geht immer geradeaus. Aber das Leben bewegt sich in Kreisen: Die Linie steigt auf, geht wieder runter, bildet einen Kreis.

Ihr kennt sicher alle den chinesischen Kreis von Yin und Yang. Genauso ist das Leben: Gegensätze, die sich vermischen. Dieser Kreis von Yin und Yang ist halb schwarz, halb weiß. Mitten im Weiß ist ein schwarzer Punkt, und mitten im Schwarz ist ein weißer Punkt: Das Weiße dringt in das Schwarze ein, und das Schwarze dringt in das Weiße ein – es ist ein Kreis. Die Frau wird zum Mann, der Mann wird zur Frau – so ist das Leben. Und wer genau beobachtet, wird es in seinem Innern erkennen.

Ein Mann kann nicht rund um die Uhr ein Mann sein, das geht einfach nicht, manchmal wird er zur Frau. Eine Frau kann nicht rund um die Uhr eine Frau sein, manchmal wird sie auch zum Mann. Sie gehen zum Gegenpol. Wenn eine Frau wütend wird, ist sie keine Frau mehr; sie wird aggressiver als jeder Mann, und sie wird gefährlicher als jeder Mann, denn ihr Mannsein ist reiner und unverbraucht. Sobald sie es aber aktiviert, bekommt es eine Schärfe, mit der sich kein Mann messen kann.