Der kleine Fürst – 198 – Die erste Liebe in Gefahr

Der kleine Fürst
– 198–

Die erste Liebe in Gefahr

… denn ein ganz normaler Nachmittag wird zum Albtraum

Viola Maybach

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-978-7

Weitere Titel im Angebot:

»Bitte, geh mit«, sagte Stephanie von Hohenbrunn. »Das ist Caros größter Wunsch. Wahrscheinlich will sie bei ihren Freundinnen mit dir angeben, aber ich finde das nicht so schlimm, sie ist ja erst neun. Mit neun war ich wahrscheinlich genau so.«

»Mit mir angeben?«, fragte Christian von Sternberg aufrichtig verblüfft. Er lief Hand in Hand mit Stephanie durch den Park von Schloss Sternberg. Ihr Ziel war das Labyrinth im Inneren des Parks. »Wie kann man denn mit mir angeben?«

Sie blieb stehen, um ihn anzusehen. Ihre roten Haare waren ein wenig zerzaust, denn es ging ein leichter Wind. Er fand, dass sie noch nie so schön ausgesehen hatte wie in diesem Augenblick. Sie war erst seit kurzem seine Freundin, manchmal konnte er es noch immer nicht fassen, dass sie tatsächlich zusammen waren.

»Du bist der kleine Fürst«, sagte Stephanie, als sei damit alles erklärt. »Wärst du etwas älter und nicht erst sechzehn, hätte man dir bestimmt schon längst den Titel ‚begehrtester Junggeselle des Landes’ verliehen. Caro weiß natürlich, dass du ziemlich berühmt bist.«

Langsam gingen sie weiter. »Ich und berühmt?« Christian schüttelte den Kopf. »Meine Eltern waren vielleicht berühmt und sind es dadurch, dass sie so früh ums Leben gekommen sind, noch mehr geworden, aber ich bin es ganz bestimmt nicht. Ich habe in meinem Leben noch nichts getan, wofür ich es verdient hätte, berühmt zu sein.«

»Du wirst der nächste Fürst von Sternberg sein, Chris. Gut, vielleicht bist du noch nicht berühmt, aber jedenfalls kennt dich jeder.« Langsam gingen sie weiter. »Mir wäre es übrigens lieber, du wärst ein unbekannter Junge, dann würde sich niemand für uns interessieren. Aber Caro sieht das völlig anders.«

Caroline von Hohenbrunn war Stephanies jüngere Schwester. Christian hatte sie vor kurzem kennengelernt und die pfiffige Neunjährige, die ihrer großen Schwester zu ihrem größten Leidwesen überhaupt nicht ähnlich sah, sofort gemocht. Umgekehrt hatte das auch gegolten: Bereits nach wenigen Minuten waren sie ein Herz und eine Seele gewesen.

»Na schön«, sagte er, »ich komme mit. Aber ich verstehe nichts von Kuscheltieren, das sage ich dir gleich. Bei der Auswahl kann ich ihr nicht behilflich sein.«

Caroline hatte seit einiger Zeit ihr Taschengeld eisern gespart, um ihrer bereits sehr großen Plüschtiersammlung ein weiteres Exemplar hinzuzufügen. Jetzt war es so weit: Sie hatte genug Geld beisammen, noch in dieser Woche sollte der Kauf stattfinden.

»Das ist auch nicht nötig«, versicherte Stephanie, »sie weiß eigentlich schon, was sie will. Aber vorher möchte sie mit uns durch die Fußgängerzone laufen und dabei von möglichst vielen Leuten gesehen werden.« Sie lächelte bei diesen Worten, Caroline und sie verstanden einander sehr gut.

»Dann bringen wir es am besten so schnell wie möglich hinter uns«, sagte Christian. »Immerhin lassen uns die Fotografen ja einigermaßen in Ruhe.«

Das war nicht immer so gewesen. Es hatte Zeiten gegeben, in denen Christian von den Medien buchstäblich gejagt worden war. Im vergangenen Jahr zum Beispiel, kurz nach dem Hubschrauberabsturz, der nicht nur seine Eltern, sondern auch den Piloten das Leben gekostet hatte. Und in den Monaten danach, als sein toter Vater plötzlich als Lügner und Betrüger verleumdet worden war. Damals war die Freundschaft mit seiner ersten Freundin Sabrina von Erbach in die Brüche gegangen: Sie hatte die Kraft nicht gehabt, zu ihm zu stehen, als er gemeinsam mit seinen Verwandten um den Ruf seines Vaters hatte kämpfen müssen.

Er dachte nicht gern an diese Zeiten zurück. Das war Vergangenheit. Die Gegenwart sah freundlicher aus. Noch immer ging er jeden Tag auf den Hügel, wo seine Eltern ihre letzte Ruhe gefunden hatten, und sprach in Gedanken mit ihnen. Das tröstete ihn und vermittelte ihm zugleich das Gefühl, dass sie, auch wenn er sie nicht sehen konnte, noch bei ihm waren und ihn auf seinem Lebensweg begleiteten. Und er hatte in seiner Tante Sofia von Kant, ihrem Mann Friedrich und ihren Kindern Anna und Konrad eine neue Familie gefunden, die ihn auffing, wenn Trauer und Verzweiflung doch noch einmal übermächtig wurden. Zum Glück wurden diese Momente seltener.

Und jetzt hatte er sich also in Stephanie verliebt, die seine Gefühle erwiderte. Besser hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Er war jetzt sechzehn Jahre alt und sah endlich wieder voller Zuversicht in die Zukunft.

»Vielleicht entdeckt uns niemand«, sagte Stephanie hoffnungsvoll in seine Gedanken hinein. »Vielleicht können wir das Kuscheltier kaufen, ohne dass uns jemand erkennt. Oder vielmehr: dich.«

»Die Leute erkennen mich eigentlich immer, aber die meisten lächeln mich nur an, nicken mir zu, sagen vielleicht einen Satz und gehen weiter«, erwiderte Christian nachdenklich. »Von den Leuten auf der Straße haben wir nichts zu befürchten, die respektieren meine Privatsphäre, das war eigentlich immer so. Aber sobald ein Reporter auftaucht, ist es vorbei. Die machen dann gerne aus nichts eine Geschichte. Es ist ein Wunder, dass sie über uns noch keine langen Geschichten geschrieben haben.«

»Wahrscheinlich, weil es nichts zu schreiben gibt«, stellte Stephanie vernünftig fest. »Also kann ich Caro sagen, dass wir Donnerstag nach der Schule mit ihr einkaufen gehen?«

»Ja, kannst du. Aber bei Gelegenheit werde ich sie doch mal fragen, ob sie wirklich damit angibt, dass du mit mir zusammen bist. Das ist so abwegig …«

Stephanie lachte. »Ist es gar nicht. Für Caro bist du so etwas wie der zukünftige König von Deutschland. Du lebst in einem Schloss, deine Eltern waren ein für seine Wohltätigkeit weithin berühmtes Fürstenpaar, ihr habt ein großes Gestüt, aus dem schon ein paar Wunderpferde hervorgegangen sind, ihr habt einen Butler, der als perfekt gilt, eine umwerfende Köchin, einen …«

»Hör auf, sonst glaube ich am Ende selbst noch, dass ich etwas Besonderes bin!«, rief er.

Sie blieb stehen und sah ihn an. Ihre Haut mit den niedlichen Sommersprossen auf der Nase war sehr hell, die Haare bewegten sich im Wind. Sie hob eine Hand und strich ihm sanft über die Wange. »Aber du bist etwas Besonderes, Chris«, sagte sie leise. »Und das hat nichts damit zu tun, dass du der kleine Fürst bist.«

Er beugte sich zu ihr hinunter, denn sie war einen halben Kopf kleiner als er, und küsste sie. Ihre Lippen waren weich und warm, ihre Hände lagen auf seinen Schultern. Er schlang seine Arme um sie und zog sie näher zu sich heran. Alles, was ihn in letzter Zeit beschwert oder beunruhigt hatte, fiel von ihm ab, wenn Stephanie in seiner Nähe war. Sie war ihm ähnlich, eher zurückhaltend und still, es lag ihr nicht, sich in den Vordergrund zu spielen. Ihm gefiel das. Sie konnte gut zuhören, und manchmal platzte, ganz unerwartet, ein fröhliches Lachen aus ihr heraus. Er fühlte sich wohl in ihrer Nähe.

Ihr Kuss dauerte lange. Vom Schloss aus wurde er von Eberhard Hagedorn, dem alten Butler, mit wohlwollendem Lächeln beobachtet. Es war gut, dass das Leben und die Liebe wieder Einzug ins Schloss gehalten hatten.

*

Am Montagmorgen saß Hanne Maurer an ihrem Küchentisch, stülpte das Portemonnaie um und zählte, was herausgefallen war. Dreizehn Euro und ein paar Cents. Sie konnte es nicht fassen, dass das Geld schon wieder weg war. Dabei war das Monatsende, an dem es Rente gab, noch weit weg, und sie wusste, was noch auf ihrem Konto war. Wenn sie nicht ins Minus abrutschen wollte, würde sie sich sehr anstrengen müssen. Letzten Monat hatte ein Ersatzteil an ihrer Waschmaschine ausgetauscht werden müssen, das war sehr teuer gewesen. Zwar hatte sie für solche Notfälle Geld zurückgelegt, doch es hatte nicht gereicht.

Sie stand mühsam auf, das Rheuma plagte sie seit einigen Tagen wieder sehr. Als sie den Kühlschrank öffnete, seufzte sie. Zwei bescheidene Mahlzeiten konnte sie sich von ihren Vorräten noch kochen. Wenn sie sehr geschickt einkaufte, schaffte sie es vielleicht bis Donnerstag, aber spätestens dann würde sie auf die Bank gehen und Geld abheben müssen.

Sie kehrte zum Küchentisch zurück und trank den restlichen Kaffee. Sie war Schneiderin gewesen, hatte immer ihr gutes Auskommen gehabt, aber die Rente reichte hinten und vorne nicht. Ihre Kinder kamen selbst kaum über die Runden, ihr Mann war seit über zehn Jahren tot. Sie hätte allen Grund gehabt, mit ihrem Schicksal zu hadern, doch das tat sie nicht. Sie war immer ein positiver Mensch gewesen, sie würde es bleiben. Und bisher hatte sie allen Widrigkeiten ja auch tapfer getrotzt.

Während Hanne Maurer an ihrem Küchentisch saß und Pläne machte, wie sie ihr Geld bis Donnerstag strecken sollte, standen Lisa Lanstein und Marco Feldmann vor dem Schaufenster eines Juweliers und studierten das Angebot an Eheringen.

»Die sind alle so teuer«, sagte Lisa ein wenig verzagt. »Ich hatte keine Ahnung, dass die so viel Geld kosten, Marco.«

Er war auch erschrocken, versuchte das aber zu überspielen. »Wir schaffen das schon irgendwie«, sagte er. »Und wir müssen uns ja nicht die teuersten aussuchen.«

Sie waren beide noch sehr jung, Lisa war zwanzig, Marco einundzwanzig, aber sie waren überzeugt davon, dass sie ihr Leben lang zusammen bleiben würden, und deshalb wollten sie sich am Wochenende in aller Stille verloben und im Spätsommer heiraten. Ihren Eltern hatten sie noch nichts davon verraten.

»Die da vorne sind schön«, sagte Lisa. »Die in Rotgold. Ich mag Rotgold gerne. Die sind schön geschwungen und ganz schlicht.«

Er nickte. Ihm war es eher gleichgültig, wie die Ringe aussahen, ihm ging es nur um Lisa. Wenn sie glücklich war, war er es auch. »Der Preis geht auch«, sagte er. »Sollen wir gleich hineingehen? Es müssen ja noch unsere Namen eingraviert werden.«

Lisa war einverstanden, und so betraten sie den Juwelierladen. Der Inhaber beriet sie freundlich und geduldig und sagte ihnen, wenn die Verlobung schon am Wochenende stattfinden solle, müssten sie die Gravur am besten gleich in Auftrag geben.

»Bist du dir sicher, dass die Ringe die richtigen sind?«, fragte Marco.

Lisa strahlte ihn an. »Ja, ganz sicher.«

Sie gaben also die Gravur in Auftrag, dann sagte der Juwelier: »Sie müssten mir bitte eine Anzahlung leisten. Wissen Sie, es kommt vor, dass Leute Ringe gravieren lassen und dann nicht wiederkommen …«

Marco hatte zum Glück noch Geld in der Tasche. »Mehr habe ich nicht«, sagte er. »Reicht das?«

»Das reicht«, erwiderte der Juwelier freundlich. »Ich denke, am Donnerstag können Sie die Ringe abholen.«

Sie verließen das Geschäft. Lisa sagte: »Ich lade dich zu einem Eis ein. Und am Donnerstag …«

»… gehe ich erst einmal auf die Bank«, murmelte Marco. »Hoffentlich habe ich noch genug Geld auf dem Konto.«

»Ich kann auch etwas dazugeben, du musst die Ringe doch nicht allein bezahlen!«

Aber davon wollte Marco nichts hören. »Doch«, sagte er energisch, »das muss ich!«

Auf dem Weg zum Eiscafé begegneten sie zwei jungen Frauen mit drei Kindern, denen sie aber keine Beachtung schenkten, so sehr waren sie mit sich und ihrer bevorstehenden Verlobung beschäftigt.

Die beiden Frauen hingegen hatten das verliebte junge Paar sehr wohl bemerkt. »Das waren noch Zeiten«, seufzte Kristin Döring, die Mutter der drei Kinder. »So verliebt waren wir auch mal, Sven und ich. Und jetzt? Wir sind geschieden, ich bin allein mit den Kindern und ständig todmüde.« Sie warf ihrer Begleiterin einen dankbaren Blick zu. »Ohne dich wäre ich völlig verloren, Mara.«