Die Klinik am See – 26 – Das Wichtigste in meinem Leben bist du

Die Klinik am See
– 26–

Das Wichtigste in meinem Leben bist du

Du darfst mich nie mehr verlassen

Britta Winckler

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-982-4

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Bequem hatte Nicola Troll sich zurückgelehnt. Sie drehte den Kopf und sah ihren Mann an. Hendrik Troll spürte ihren Blick. »Was ist?« fragte er, ohne seinen Blick von der Straße zu nehmen.

»Nichts!« erwiderte die junge Frau. Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.

Trotzdem fragte Hendrik: »Hast du Beschwerden?«

»Nein, mir geht es ausgezeichnet. Ich freue mich, daß du mich mitgenommen hast.«

»Wird es dir nicht zuviel?« erkundigte er sich. »Vielleicht sollten wir irgendwo anhalten. Wir könnten etwas trinken.«

»Nein, es ist alles in Ordnung!« Nicolas Hand legte sich unwillkürlich auf ihren Bauch. Deutlich konnte sie die Bewegungen ihres Kindes spüren. In zwei Monaten würde sie ihrem Mann einen Sohn schenken. Sie hoffte, daß er sich über den Erben freuen würde. Neun Monate war sie nun schon Hendriks Frau, noch immer schien ihr alles wie ein Traum. Sie hatte Hendrik Troll, der in Tegernsee ein großes Sportgeschäft sein eigen nannte, erst ein halbes Jahr gekannt, als er sie fragte, ob sie seine Frau werden wollte. Nie hätte sie gedacht, daß er sie dies fragen würde, nicht einmal in ihren heimlichsten Träumen. Wer war sie schon? Ein Mädchen, das seine Eltern früh verloren hatte und von einer alten Verwandten aufgezogen worden war. Dabei hatte ihr Herz beim ersten Kennenlernen gleich schneller geschlagen.

Ein verträumtes Lächeln legte sich um Nicolas Lippen. Sie konnte sich noch an jedes Wort erinnern, das sie bei der ersten Begegnung gewechselt hatten. Es war dies auf einem Tanzfest gewesen, das sie mit ihrer Freundin besucht hatte. Plötzlich hatte Hendrik vor ihrem Tisch gestanden.

In ihre Gedanken hinein erklang seine Stimme: »Wir kommen gleich durch Auefelden. Dort werden wir eine kleine Pause machen und etwas trinken.«

»Das ist wirklich nicht nötig«, sagte Nicola rasch. Sie richtete sich auf. »Mir geht es ausgezeichnet.«

»Trotzdem! Es ist auch sehr schwül, da wird es dir sicher guttun, wenn du etwas Flüssigkeit zu dir nimmst. Vielleicht hast du auch Hunger?«

»Nein, wirklich nicht!« Unwillkürlich sah Nicola an sich hinab. Ihr Bauch hatte sich in den letzten Wochen merklich gerundet, was wirklich kein Wunder war, denn sie aß für drei.

Hendrik Troll verlangsamte das Tempo, und als Nicola den Kopf wieder hob, sah sie, daß sie bereits das Ortsschild von Auefelden passierten. Hier war sie aufgewachsen, war sie zur Schule gegangen. Vor einem Jahr war ihre Tante gestorben, in deren kleiner Wohnung sie bis zu ihrer Heirat gelebt hatte. Ihre Tante war nicht vermögend gewesen, sie hatte ihr nichts hinterlassen.

Sie merkte, daß ihr Mann von der Hauptstraße abbog. »Wohin willst du?« fragte sie.

»Zum Strandcafé! Dort können wir etwas trinken, und anschließend können wir einen kleinen Spaziergang am See machen.«

»Hast du denn Zeit?« freute Nicola sich. Sie erinnerte sich noch gut an die Worte ihrer Schwiegermutter. Sie hatte ihrem Sohn noch nachgerufen, nicht zu lange wegzubleiben.

»Sie werden schon einmal ohne mich zurechtkommen«, sagte ihr Mann. Er nahm kurz die Hand vom Lenkrad und rückte seine dunkle Hornbrille zurecht.

Nicola sah ihn an. Ihr Herz schlug noch immer schneller, wenn sie ihn ansah. Er sah gut aus, so männlich! Die Hornbrille gab ihm ein seriöses Aussehen. Nicola war einundzwanzig Jahre, und es störte sie nicht, daß ihr Mann zehn Jahre älter war.

Hendrik fuhr auf den Parkplatz, er lag dicht am Wasser. Rasch stieg er aus, kam um das Auto herum, um seiner Frau beim Aussteigen behilflich zu sein. Nicola stützte sich schwer auf seinen Arm, da meinte Hendrik: »Hoffentlich ist die Fahrt doch nicht zuviel für dich?«

»Aber nein!« Nicola streckte sich etwas. Sie fühlte sich wirklich wohl.

»Nun, in deinem Zustand.« Sein Blick glitt an ihr hinab. »Mutter hat uns gewarnt.«

Nicola senkte den Blick. »Mutter wollte nicht, daß ich mitkomme, nicht wahr?«

»Sie ist der Ansicht, daß du dich zu wenig schonst.«

»Aber der Arzt hat gesagt, daß Bewegung mir guttut«, protestierte Nicola.

Jetzt lächelte ihr Mann. »Deswegen machen wir hier auch Halt. Von hier aus kann man gut am Ufer entlanggehen.«

»Das ist lieb von dir, daß du dir dafür Zeit nimmst«, sagte Nicola sofort. Sie hängte sich bei ihrem Mann ein, sah ihn liebevoll an. Sie wußte, daß er sehr viel zu tun hatte. Fast nie gelang es ihm, pünktlich Feierabend zu machen, und so wußte sie es zu schätzen, daß er sich an einem gewöhnlichen Wochentag Zeit für sie nahm. Er hatte geschäftlich in Miesbach zu tun gehabt, und sie hatte ihn lange bitten müssen, bis er sie mitgenommen hatte.

»Wenn wir nun schon mal hier sind«, Hendrik zuckte die Achseln, »wollen wir zuerst etwas trinken und anschließend einen kleinen Spaziergang machen, oder umgekehrt.« Er sah seine Frau an.

»Zuerst spazierengehen«, entschied sie spontan. Tiefer schob sich ihre Hand unter seinen Arm. Sie genoß es, an seiner Seite zu sein. Sie hoffte nur, daß dieser Spaziergang recht lange dauern würde. Zum Alleinsein mit ihm hatte sie so selten Gelegenheit. In Tegernsee lebten sie in seinem Elternhaus, der Troll-Villa, die sie mit seiner Mutter teilten. Sein Vater war bereits vor zehn Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. So hatte der damals Einundzwanzigjährige sich von heute auf morgen um das Geschäft kümmern müssen. Das hatte ihn sehr schnell zu einem Mann werden lassen.

Nachdem sie einige Schritte am Ufer entlanggegangen waren, fragte Hendrik: »Ist dir nicht zu warm?«

Nicolas Herz tat zwei rasche Schläge. Er sorgte sich um sie. Das war schön!

Hendrik ahnte nichts von ihren Gedanken. So fragte er gleich weiter: »Und das Gehen? Ist es dir nicht zu beschwerlich?«

Nun lachte Nicola laut auf. »Ich bin doch nicht krank! Ich bekomme nur ein Kind, unser Kind.«

»Unser Kind!« Hendrik wiederholte ihre letzten Worte. Er würde Vater werden, ein faszinierender Gedanke, an den er sich zu gewöhnen anfing. Ein kleines Wesen, das aus seinem Fleisch und Blut war.

»Du wünschst dir doch einen Sohn?« Nicola fragte es mit leuchtenden Augen.

»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht«, gab Hendrik ehrlich zur Antwort.

Sekundenlang war Nicola bestürzt. Dann warf sie jedoch ihren Kopf in den Nacken. »Es wird ein Sohn«, verkündete sie. »Ich spüre es. Für dich ist ein Sohn auch wichtig. Mutter hat da ganz recht. Ein Sohn kann dich einmal im Geschäft entlasten.«

»Das kann eine Tochter auch«, stellte Hendrik fest. Langsam gewann er Freude daran, Zukunftspläne zu schmieden.

»Deine Mutter denkt aber nur an einen Sohn, an einen Enkel, an einen Nachfahren.«

»Mutter ist in dieser Hinsicht etwas altmodisch.« Er sagte es lächelnd, doch dann wurde er nachdenklich. Es war ihm nicht bewußt, aber er begann, seine Mutter zu verteidigen. »Mutter hatte Jungen schon immer vorgezogen, von kleinen Mädchen hielt sie nie viel. Es ist auch kein Wunder, schließlich hat­ sie nur ein Kind, und das ist ein Sohn.«

»Deine Mutter hängt sehr an dir.« Nicola sagte es ohne Eifersucht. Sie war so froh, Hendriks Frau zu sein. Durch ihn hatte sie den Wohlstand kennengelernt. Ihr war überhaupt noch nicht bewußt geworden, daß sie ihren Mann mit ihrer Schwiegermutter teilen mußte.

Das Gesicht ihres Mannes wurde abweisend. »Mutter hat sonst niemanden«, sagte er knapp. Er schritt schneller aus, und Nicola hatte Mühe, an seiner Seite zu bleiben. Sie hatten bereits eine größere Strecke zurückgelegt, als Hendrik merkte, daß er zu schnell ging.

»Verzeih! Ich war in Gedanken. Ich dachte nicht an dich.«

»Macht nichts!« Nicola versuchte zu lächeln. Es kam leider öfter vor, daß ihr Mann sie vergaß. Jetzt dirigierte er sie aber mit entschuldigender Miene zu einer nahen Bank.

»Du mußt dich etwas ausruhen«, bestimmte er.

Nicola wagte nicht zu protestieren.

Ihr Atem war wirklich kurz geworden. Sie lehnte sich zurück, ließ ihren Blick schweifen. Plötzlich wurde sie ganz aufgeregt. Sie streckte die Hand aus. »Dort drüben beginnt bereits der Park, der zur Klinik am See gehörte.«

Gleichgültig nickte Hendrik.

Erregt griff Nicola nach seinem Arm. »Die Klinik am See gehört Dr. Lindau. Er ist Frauenarzt und Gynäkologe.« Leider setzte sie hinzu. »Hier möchte ich unser Kind zur Welt bringen.«

»Das wird nicht gehen. Mutter würde das sicher nicht billigen. Sie findet, daß du das Kind in der Villa zur Welt bringen sollst. Dort wurde nicht nur ich geboren, sondern auch schon mein Vater. Es ist eine Art Familientradition, wenn du so willst.« Er zuckte die Achseln.

»Natürlich«, murmelte Nicola. Sie kannte die Ansichten ihrer Schwiegermutter und hätte auch nicht gewagt, dagegen anzugehen. Trotzdem rückte sie näher an ihren Mann heran, legte ihren Kopf an seine Schulter. Hendrik griff nach ihrer Hand. Einige Zeit saßen sie so, dann sah er auf die Uhr. Nicola verstand sofort, sie richtete sich auf.

»Es muß sein! Laß uns zurückgehen. Wir wollen doch auch noch etwas trinken.«

Nicola nickte. Henrik erhob sich, sie tat es ihm nach, und Seite an Seite gingen sie den Weg zurück.

*

Hendrik Troll hatte den Arm um die Hüften seiner Frau gelegt, während sie die Stufen zur Villa hinaufgingen. Nicola bedauerte es sehr, daß dieser Ausflug schon zu Ende war. Sicher würde ihr Mann gleich ins Geschäft fahren, und dort würde er dann bis in die späten Abendstunden bleiben. Schließlich mußte er aufarbeiten, was während des Tages angefallen war.

Sie betraten den Flur, und unwillkürlich griff Nicola nach der Hand ihres Mannes. Sie wollte ihn festhalten, wollte ihn nicht von ihrer Seite lassen. »Hendrik, ich habe mir einige Kataloge kommen lassen. Zwar habe ich schon sehr viel gestrickt und genäht, aber einiges möchte ich doch noch kaufen. Unser Baby soll das schönste der Welt sein.« Sie sagte es mit einem verklärten Lächeln.

»Du kannst kaufen, was du willst.«

»Aber…«

Hendrik ließ sie nicht ausreden. »Wenn du Geld brauchst, dann mußt du es nur sagen.« Er entzog ihr die Hand, griff nach der Brieftasche.

»Nein, nein, du hast mir ja ein Konto eingerichtet.« Nicolas Wangen röteten sich. »Ich möchte nur, daß dir die Sachen auch gefallen.«

Hendrik kam nicht mehr dazu zu antworten, denn seine Mutter erschien in der Diele.

»Ihr kommt spät!« Der mißbilligende Blick galt der Schwiegertochter. »Es wäre wirklich besser gewesen, du wärst hiergeblieben.«

Hendrik trat einen Schritt zur Seite, er betrachtete seine junge Frau. »Ich glaube, der Ausflug hat ihr gutgetan.«

»Darum geht es nicht! Es wurde bereits zweimal nach dir gefragt. Ich finde, Nicola, du müßtest vernünftiger sein. Du kannst deinen Mann nicht von der Arbeit abhalten. Hast du noch immer nicht begriffen, was alles auf ihm lastet?«

»Nun übertreibst du aber, Mutter!« Hendrik lächelte seiner Mutter beruhigend zu. Seine Mutter war eine elegante, gepflegte Frau. Sie ging bereits auf die Sechzig zu, doch ihr Alter sah man ihr nicht an. Es fehlte ihr auch nicht an Verehrern, aber sie dachte gar nicht daran, einen von ihnen zu erhören. Sie lebte nur für ihren Sohn, sorgte dafür, daß es ihm an nichts fehlte.

»Ich werde mich auch nach weiteren Mitarbeitern umsehen. Herrn Preis will ich zu meinem Stellvertreter heranziehen.«

»Wie?« Wilma Troll war schockiert. »Darüber hast du mit mir noch nicht gesprochen.« Ihr Blick glitt zur Schwiegertochter. »Hast du etwa mit ihr…«

»Mutter, bitte! Ich habe noch mit niemandem darüber gesprochen, auch nicht mit Herrn Preis. Ich möchte nur selbst gern etwas mehr Freizeit haben.«

»So!« Wilma Troll preßte die Lippen aufeinander. »Um mehr Zeit für deine Frau zu haben, ich verstehe!« Beleidigt wandte sie sich um.

»Mutter!« In Hendriks Stimme war wieder der beschwichtigende Ton. »Ich werde bald Vater. Etwas mehr Zeit sollte ich dann schon für meine Familie haben.«

»Gut, das ist verständlich.« Wilma schenkte ihrem Sohn ein flüchtiges Lächeln, dann umfing ihr Blick Nicola. »Ich hoffe, deiner Frau ist es bewußt, daß sie deinen Erben trägt. Sie sollte sich dementsprechend verhalten.«

»Nicola hat mir versichert, daß sie sich wohl fühlt.« Hendrik stand nun zwischen seiner Mutter und seiner Frau. Er sah von der einen zur anderen, dann trat er jedoch zu seiner Frau. »Du wirst dich also wirklich bemühen müssen und einem Sohn das Leben schenken. Mutter wäre sonst enttäuscht.«

»Ich werde mir Mühe geben.« Nicola vergaß ihre Schwiegermutter. Sie lehnte sich an ihren Mann, und als dieser seinen Arm um ihre Schultern legte, gab sie ihm einen Kuß.

Laut räusperte sich Wilma Troll. Verlegen ließ Nicola ihre Arme sinken.

»Nicola, bitte! Ich hätte dich für vernünftiger gehalten« erklang da auch schon die Stimme ihrer Schwiegermutter. »Dein Mann muß ins Geschäft. Er wird dort gebraucht.«

»Sie werden auch einmal ohne mich auskommen«, warf Hendrik ein. Nicola freute sich darüber, denn es kam nicht oft vor, daß er seiner Mutter widersprach.

*

Es war Sonntag, und trotzdem war Nicola allein. Ihr Mann hatte sich hinter seinen Schreibtisch verkrochen. Es gab so vieles, was er zu erledigen hatte. Sie hatte versucht, dies zu verstehen, und so war sie in den Garten gegangen. Wie lange saß sie nun schon im Schatten des Baumes auf einer Bank? Sie konnte es nicht sagen. Sie hatte vor sich hin geträumt, hatte sich vorgestellt, wie es sein würde, wenn erst ihr Sohn hier herumsprang.

Seufzend legte sie die Hände auf ihren Bauch. So weit war es noch lange nicht. Ob Hendrik heute noch Zeit fand, über einen Namen nachzudenken? Dies hatten sie gemeinsam tun wollen, doch jedesmal, wenn sie das Gespräch darauf brachte, hatte er abgewinkt. Es war noch Zeit bis zu ihrer Niederkunft. Dabei strampelte das kleine Wesen schon heftig in ihr.

Nicola erhob sich. Sie hatte beschlossen, nach ihrem Mann zu sehen. Sie würde es vorsichtig tun. Wenn er noch immer an seinem Schreibtisch saß, dann wollte sie ihn natürlich nicht stören. Langsam schlenderte sie den Gartenweg entlang. Es war ein wunderschöner Garten. Alles grünte und blühte. Ihre Schwiegermutter legte sehr viel Wert darauf, dafür hatte sie eigens einen Gärtner eingestellt.

Sie stieg die Treppe zur Terrasse hinauf. Minutenlang lehnte sie sich an das Geländer und ließ den Blick schweifen. Das hier war ein kleines Paradies, und sie lebte mitten darin. Nicola lächelte glücklich. Sie kam sich vor wie Aschenputtel, und Hendrik war ihr Prinz.