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Fred McMason

Der Admiral

Den Rang gab er sich selbst – aber sonst war er ein Hundesohn

Der heimtückische Plan der adeligen Dunkelmänner ans England war nicht aufgegangen. Er hatte sich ins Gegenteil verkehrt und war zu einem Fiasko geworden. Philip Hasard Killigrew lebte, die Kunst des Kutschers hatte ihn gerettet. Denn der Feldscher der Seewölfe hatte den Eingriff gewagt und die Kugel herausoperiert, die in Hasards Rücken steckte – dicht vor dem Herzen. Die Schurken hatten für ihre Untaten büßen müssen. Das war eine Entscheidung des Kriegsgerichtes gewesen, das Kapitän Tottenham anberaumt hatte. Sir John Killigrew, der Duke of Battingham und Charles Stewart waren zum Tode verurteilt worden und hatten ihr Leben vor den Musketenläufen eines Pelotons von Seesoldaten beendet. Aber da waren noch die Goldbarren, die etwas auslösen sollten …

Die Hauptpersonen des Romans:

Jean Ribault – entwickelt einen tollkühnen Plan, um den Spaniern eins auszuwischen.

Philip Hasard Killigrew – ist ziemlich skeptisch, wird aber durch einen Losentscheid überstimmt.

Edwin Carberry – der Profos gewinnt eine Wette und sorgt in der „Schildkröte“ für Abwechslung.

Luis Campos – ein portugiesischer Schnapphahn, der sich Admiral nennen läßt und meint, ein großer Frauenbetörer zu sein.

Siri-Tong – erteilt dem Admiral eine Abfuhr und muß sich dafür mit drei Schaluppen herumärgern.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Schlangen-Insel, 29. September 1594.

Es war ein Bilderbuchsonntag mit strahlendem Sonnenschein, wohliger Wärme und leisem Rauschen der See, die an die Felsen der Insel schlug.

Auf der Werft des alten Ramsgate wurde heute nicht gearbeitet. Die Männer hatten ihren freien Tag und vertrieben sich die Zeit mit Angeln in der Bucht, Streifzügen über die Insel oder Faulenzen. Ein paar, Unentwegte hockten oben in den Felsen in „Old Donegals Rutsche“, tranken kaltes Bier und palaverten.

Es gab kaum etwas zu tun.

Hasard war von der Schußwunde in den Rücken, die er von Sir Andrew Clifford heimtückischerweise erhalten hatte, wieder genesen und fühlte sich wohl.

Don Juan de Alcazar war mit seiner Crew und der Schebecke nach Spanien aufgebrochen. Dort wollte er über befreundete Mittelsmänner bei Hofe Anklage gegen den Gouverneur von Kuba, Don Antonio de Quintanilla, erheben und ihn auf diese Weise zur Strecke bringen.

Ein neues Schiff hatte der Bund der Korsaren ebenfalls dazugewonnen.

Es war die „Lady Anne“, die Karavelle des alten Schnapphahns Sir John Killigrew, der sein ruchloses Leben ebenso ausgehaucht hatte wie Sir Henry, Duke of Battingham, und Charles Stewart, der ehemalige Kommandant der „Dragon“. Ihr Leben hatte vor den Musketenläufen eines Pelotons englischer Seesoldaten ein Ende gefunden.

Auch die Goldladung der „Santa Cruz“, die sich Sir John unter den Nagel gerissen hatte, aber von Jean Ribault und seinen Mannen mit der „Lady Anne“ sicher zur Schlangen-Insel gebracht worden war, ruhte bereits in den unterirdischen Schatzhöhlen der Insel. So war alles wieder im Lot, und es herrschte prächtige Stimmung.

Auf der „Isabella“ hockten ein paar Seewölfe unter dem Sonnensegel auf der Kuhl und lauschten grinsend den Worten des Profos’ Edwin Carberry, der heute ganz besonders gute Laune hatte und groß an Deck herumtönte und haarsträubende Geschichten erzählte.

Der Kutscher blickte andächtig und mit starren Blicken pausenlos in den azurblauen Himmel, bis es dem Profos auffiel.

„Was stierst du so?“ fragte er. „Siehst du etwa quergestreifte Affenärsche am Himmel hängen?“

„Nein“, sagte der Kutscher ernst. „Ich sehe nur nach, ob der Himmel auch weiterhin so blau bleibt.“

„Klar bleibt er das. Warum auch nicht?“

„Nun, es gibt Leute, die lügen einfach das Blaue vom Himmel herunter, und dann wird er schwarz.“

„Du willst mir doch nicht den schönen Sonntag verderben, was, wie?“ fragte der Profos sanft. „Stell dir mal vor, wir müßten heute noch zur Beerdigung eines gewissen Kutschers. Das wäre doch ein recht betrüblicher Tag, vor allem für den gewissen Kutscher, der dann seinen letzten Knödel gebacken hätte.“

„Noch ist der Himmel ja blau“, sagte der Kutscher vorsichtig.

„Na, siehst du!“ entgegnete der Profos mit seiner durchschlagenden Logik. „Ein Zeichen, daß ich nichts als die Wahrheit sage und alles stimmt.“

„Auch, daß du Kakerlaken gejagt hast, die dreimal größer als Ratten waren?“

„Na klar!“

„Und die Art, wie du grüne Affen gefangen hast, stimmt auch?“

„Selbstverständlich. Ich habe mich in den Urwald gestellt und immer wieder die Stiefel an- und ausgezogen. Die Affen wurden schon ganz neugierig, und sie heißen ja auch deshalb Affen, weil sie alles nachäffen. Dann habe ich Kleister in die Stiefel gefüllt und sie einfach stehenlassen. Schwupp, war der erste Affe da, zog sich die Stiefel an und klebte fest. Ich brauchte ihn nur noch aus den Latschen zu pflücken.“

„Beachtlich“, murmelte der Kutscher, „sehr beachtlich. Und wie hast du den Kleister wieder aus den Stiefeln entfernt?“ fragte er hinterhältig.

„Ja, wie war das doch gleich? Ach ja, einer der Affen ist mit den Stiefeln einfach abgehauen. Wie er den Kleister wieder herausgekriegt hat, war ja nicht mein Problem, oder?“

„Ganz recht. Das war ein Affenproblem. Sicher latscht er heute noch in den Stiefeln herum.“

„Genau. Solltest du mal einem gestiefelten Affen begegnen, dann weißt du sofort, was los ist.“

Die anderen grinsten bis an die Ohren und lauerten darauf, daß der Profos-Kutscher-Dialog ernsthaftere Formen annahm. Doch der Dialog wurde plötzlich unterbrochen, denn Jean Ribault näherte sich der „Isabella“. Auch er schien ausnehmend gute Laune zu haben – wie all die anderen. Er trug eine zusammengedrehte Rolle unter dem Arm. In der Hand hatte er etwas, das im Sonnenlicht immer wieder grell aufblitzte. Es schien ziemlich schwer zu sein.

„Ist es gestattet und so weiter?“ fragte er grinsend.

„Aber gewiß doch, mein lieber Jean“, sagte der Profos ebenfalls grinsend. „Bringst du jetzt schon dein Zehrgeld mit, oder ist das etwa kein Goldbarren, den du uns großzügig als Geschenk anbietest, damit wir ihn umgehend versaufen können?“

Ribault setzte sich auf die Kuhlgräting und legte den Goldbarren auf die Planken.

„Ein schöner Barren! Oder nicht?“ fragte er.

„Doch“, bestätigte der Profos, „sehr schön. Was meint ihr?“

Die anderen fanden den Barren auch sehr schön, aber auch gleichzeitig etwas langweilig, denn sie hatten schon einige dieser Barren gesehen, gleich tonnenweise, wie sie versicherten.

Smoky nahm ihn schließlich der Höflichkeit halber in die Hand, drehte ihn um und legte ihn wieder hin.

„Richtig goldig“, sagte er grinsend. „Und schwer ist er auch.“

„Sonst fällt dir nichts auf?“ fragte der Franzose.

Keinem fiel etwas auf. Ein Goldbarren – na und? Die gab es in den unterirdischen Höhlen der Insel wie Sand am Meer.

„Doch – er glänzt so schön“, sagte Paddy Rogers. „Aber ein Pfannkuchen von diesem Gewicht wäre mir lieber.“

„Na, ihr glänzt heute nicht gerade“, sagte Jean seufzend. „Erzählt nur weiter euren Stuß. Ist euer Kapitän an Bord?“

Carberrys mächtiger Daumen wies nach achtern. Daraufhin setzte sich der Franzose in Bewegung.

„Käse“, sagte Ed, womit er den Goldbarren meinte. „Habe ich euch schon mal erzählt, wie mir damals die Großrah auf den Schädel fiel und glatt zersplitterte?“

„Nee, noch nicht“, sagte Jeff Bowie, „du hast nur erzählt, wie du den abgefeuerten Siebzehnpfünder mit den Händen gefangen hast. Und dabei sind dir nur die Flossen ein bißchen warm geworden.“

Inzwischen trat Ribault bei Hasard ein. Er fand den Seewolf bei bester Laune vor und begrüßte ihn freudig.

„Noch Beschwerden, Sir?“ fragte er, auf Hasards Rücken deutend.

„Nein, mir geht es wieder prächtig, Jean. Setz dich.“

Ribault nahm lächelnd Platz. Den Goldbarren legte er wie provozierend auf den schweren Tisch, die gerollte Karte direkt daneben.

„Aha“, sagte Hasard, auf den Goldbarren deutend, „soll das dein Sonntagsgeschenk sein?“

„Er stammt aus der Beute der ‚Santa Cruz‘. Sei bitte so gut und sieh ihn dir etwas genauer an. Deinen Arwenacks ist nichts aufgefallen, aber vielleicht fällt dir etwas auf.“

Hasard nahm den Barren verwundert zur Hand und betrachtete ihn. Er wußte zwar nicht, was an dem Barren dran sein sollte, aber er drehte ihn um und prüfte ihn.

Als er den Barren umgedreht hatte, fiel ihm ein Prägestempel auf. Jetzt blickte er mit zusammengekniffenen Augen genauer hin. Der Stempel war rund und um den Rand herum beschriftet.

Halblaut las er die Worte vor und übersetzte sie gleich aus dem Lateinischen: „Philipp der Zweite, König von Spanien und Westindien.“

„Richtig“, sagte Jean. „Quer über die Mitte ist aber noch ein anderes Wort eingeprägt.“

„Potosi steht da“, sagte Hasard. „Na und? Was ist das Besondere daran?“

Ribault verdrehte die Augen, blickte an die getäfelte Decke und ließ sich gleichzeitig ein wenig zurücksinken. Dann sah er wieder Hasard an, wobei er tief Luft holte.

„Weißt du nicht, wer oder was Potosi ist?“ fragte er verwundert. „Oder hast du heute deinen schlechten Tag, Sir?“

„Im Gegenteil“, versicherte Hasard freundlich. „Ich fühle mich ausgesprochen wohl. Das verpflichtet mich jedoch nicht, zu wissen, wer oder was Potosi ist. Ich habe es nie gehört.“

„Hm, wenn das so ist … Ich habe mich mit diesem Problem bereits beschäftigt, als ich mit Sir Johns ‚Lady Anne‘ zurückkehrte.“

„Demnach ist Potosi also ein Problem.“

„So kann man es sehen.“ Ribault hatte jetzt wieder sein verwegenes Grinsen drauf, ein Grinsen, das Hasard nur allzugut kannte. Der Kerl heckt wieder einmal etwas aus, dachte er.

„Ich habe mich sogar eingehend damit beschäftigt“, gab Ribault zu. „Dabei stieß ich auf etwas ganz Erstaunliches: Sobald die Spanier in der Neuen Welt irgendwo Gold- oder Silbervorkommen entdeckten, errichteten sie gleich an Ort und Stelle Münz- oder Scheideanstalten.“

„Ganz richtig, Jean, das ist mir bekannt.“

„Nun, da wurden also gleich Gold- und Silbermünzen geschlagen oder geprägt, aber es wurden auch die Barren gegossen und mit dem königlichen Stempel versehen, um auf diese Weise kundzutun, daß sie durch den Stempel Eigentum Seiner Allerkatholischsten Majestät seien.“

„Stimmt auch“, sagte Hasard lächelnd, „nur nehmen die ehrenwerten Señores in den Münzanstalten die Sache mit dem königlichen Eigentum nicht so genau. Sie stopfen sich gleich an der Quelle die Taschen voll.“

„Sehr richtig. Und weil wir gerade bei diesen ehrenwerten Señores sind – jene, die das edle Metall in dieser oder jener Form transportieren, langen auch noch einmal kräftig zu. Und auch die Kapitäne der nach Spanien zurücksegelnden Galeonen rupfen noch ein bißchen an dem Gold und Silber herum. Den letzten Aderlaß gibt es dann in Sevilla, wenn die kostbare Ladung endlich an Ort und Stelle ist. Die Beamten der Casa wollen natürlich auch nicht leer ausgehen, und so greifen auch sie noch einmal zu. Der Rest des Edelmetalls fällt dann, ziemlich gefleddert, Seiner Allerkatholischsten Majestät zu.“

Hasard lächelte, genau wie Ribault auch. Er goß seinem alten Kampfgefährten funkelnden Rotwein in ein Kristallglas und schob es zu ihm hinüber. Beide Männer tranken sich grinsend zu.

„Und wo liegt jetzt das Problem?“ fragte der Seewolf.

„In Potosi. Das ist nämlich jener Ort, wo die Dons das Gold in Barren gegossen haben, und genau diese Barren sollte die Galeone ‚Santa Cruz‘ nach Spanien bringen. Was da auf dem Tisch liegt, ist also ein Goldbarren aus Potosi. Die Ladung hatte sich Sir John unter den Nagel gerissen, und jetzt haben wir sie.“

„Also gut, wir haben Gold aus Potosi. Und weiter?“

Ribaults Grinsen wurde noch breiter und verwegener.

„Daraus folgert doch, daß an einem Ort, wo man Barren gießt und Münzen prägt, noch mehr von dem Zeug vorhanden sein muß. Oder sehe ich das falsch?“

Ribault griff scheinbar in die Luft, rieb die Finger gegeneinander und hielt eine Goldmünze in der Hand, die er Hasard von beiden Seiten zeigte.

„Hier, auf der einen Seite, zeigt die Prägung die Säulen des Herkules mit Atlantikwellen und der Aufschrift Potosi. Auf der anderen Seite befindet sich ein Kreuz, dazu die Türme von Kastilien und der Löwe von Léon, das königliche Wappen. Das ist doch eine Prachtmünze, mein lieber Sir. Und sie hat noch eine Unmenge Brüder, davon bin ich überzeugt.“

In Hasards Blick lag jetzt eine gespannte Aufmerksamkeit, als er Barren und Münze nochmals genauer betrachtete. Dann blickte er sehr nachdenklich Jean Ribault an.

„Wo liegt dieses Potosi? Tut mir leid, aber ich habe wirklich noch nie davon gehört.“

Ribault griff lächelnd zu der mitgebrachten Rolle, entfaltete sie und beschwerte sie demonstrativ mit dem Brocken aus Potosi. Auf den anderen Rand legte er die Goldmünze.

„Auch damit kann ich dienen“, sagte er eifrig, „die Sache hat mir nämlich keine Ruhe mehr gelassen. Das ist eine Karte von der Westküste Südamerikas bis hinauf nach Mittelamerika. Hier!“ Er tippte mit dem Finger auf einen kleinen Punkt. „Das ist die Hafenstadt Arica, und hier, etwas weiter in östlicher Richtung, liegt Potosi. Genau da, wo ich das Kreuz eingezeichnet habe. Potosi ist eine Stadt, die bereits vor zwanzig Jahren mehr als einhundertzwanzigtausend Einwohner hatte. Da staunst du, was?“

Hasard staunte wirklich, dann stieß er pfeifend die Luft aus und sah Ribault stirnrunzelnd an.

„Mein lieber, guter Jean“, sagte er, „hast du – gelinde gefragt – eigentlich noch alle Mucks im Schapp? Potosi – das sind, über den Daumen gepeilt, mindestens dreitausend Meilen von der Schlangen-Insel bis nach Arica. Weiter dürften es etwa dreihundert Meilen Landweg von Arica nach Potosi sein, und das im Hochland, ganz abgesehen von der Überquerung des Isthmus von Panama. Oder gedachtest du etwa, den riesigen Umweg um das Kap Hoorn zu nehmen, lieber Freund?“

„Aber, aber, Gevatter“, sagte Jean mit süffisantem Grinsen. „Natürlich habe ich solche Argumente erwartet, aber ich lasse sie in aller Ruhe an mich heran. Wir sind doch zwei weitblickende Männer, und der Weg um die Hoorn ist sicher ein bißchen zu weit.“

„Ein bißchen?“ schnaubte Hasard. „Ein bißchen ist gut.“

Ribault ließ sich wirklich nicht aus der Ruhe bringen. Dickfellig und impertinent grinsend saß er da. Seinem Gesicht war anzusehen, daß er sich regelrecht auf Potosi verbissen hatte. Er mußte nur noch den Seewolf überzeugen.

„Klammern wir die Hoorn aus“, sagte er. „Ich empfehle eine andere, wesentlich kürzere Route, und zwar südwestwärts über die Karibik nach Porto Bello oder Nombre de Dios, von dort über Land nach Panama und von dort wiederum längs der Küste immer südwärts über Callao nach Arica. Das ist eine kurze und handfeste Route. Der Rest ist auch nicht mehr als ein Klacks“, fügte er lässig hinzu.

„Natürlich, Gevatter Jean“, sagte Hasard höhnisch. „Und auf der Route Panama über Callao nach Arica immer lustig gegen den meist aus Süden wehenden Wind anknüppeln. Und ab Punta de Aguja auch noch kräftig gegen den Peru-Strom, nicht wahr?“

„Sehr richtig, Sir. Aber das hat auch seine guten Seiten“, sagte Jean grinsend, „denn auf der Rückfahrt werden wir dann wieder von Wind und Strom geschoben.“

„Wir?“ fragte Hasard mit hochgezogenen Brauen. „Was, mein lieber Gevatter, verstehst du bitte sehr unter wir?“

„Ach, das ist doch ganz einfach“, erklärte Jean seelenruhig. „Unter wir verstehe ich euch, die Arwenacks, selbstverständlich und dazu noch meine Schwefelbande. Das reicht doch wohl.“