Cover

Joe Fischler

Veilchens Show

Ein Fall für Valerie Mauser

Alpenkrimi

Hollywood ist ein Ort, an dem sie dir tausend Dollar für einen Kuss bezahlen und fünfzig Cents für deine Seele.

Norma Jeane Baker

alias Marilyn Monroe

PROLOG

„Willkommen bei der Bauerlorette! Wir melden uns live mit dem Früheinstieg um sieben Uhr. Natürlich befinden wir uns wieder im Innsbrucker Flötzlerhof, wo es vor wenigen Stunden zu einer unerwartet heißen Szene zwischen unserer Bauerlorette und dem Kandidaten Hans gekommen ist. In der alten Bauernstube ging es zur Sache, nachdem der Hans unsere Jackie mit einem romantischen Abendessen verwöhnt und zum Dessert vor den knisternden Kamin gebeten hat. Was für eine spektakuläre Wendung nach dem Stalldienst von vorgestern. Unsere Jackie in Gummistiefeln, über und über besudelt mit Mist, nachdem sie von einer Milchkuh umgestoßen wurde. Zum Schießen! Aber dann hat der Hans ja noch einmal die Kurve gekriegt. Und zwar mit Romantik pur. Risotto, Rotwein, Kerzenschein in der Stube und Robbie Williams im Radio. Robbie Williams! Wer wäre da nicht schwach geworden. Ein Prachtexemplar ist er zudem, der Hans. Der weiß halt, wie man eine Frau verführt. Und so wurden wir Zeugen ihres allerersten Kusses. Aber dabei blieb es nicht. Schnell gingen die beiden auf Tuchfühlung. Oder sollte man Nahkampf dazu sagen? Die Bewegungen unter der Kuscheldecke boten Stoff für wilde Fantasien. Zum ersten Mal ließ die Bauerlorette einen unserer feschen Kandidaten ganz nah an sich heran, und das bescherte unserer Show eine Rekordquote und ein fantastisches Echo in den sozialen Medien. Wir freuen uns sehr – und wir wollen mehr!

Aber wie wird sich das Erwachen nach der ersten gemeinsamen Nacht gestalten? Nicht selten graut einem da ja nicht nur der Morgen, sondern auch das Gegenüber. Aber jetzt pst! Wir müssen ganz leise sein, denn gleich kommen wir ins Schlafzimmer unserer beiden Turteltauben unter dem Dach des Erbhofs. Hier in diesen vier Wänden haben schon zahlreiche Generationen geschlafen, viele Kinder wurden hier gezeugt. Ein Raum der Liebe, ein Love Room sozusagen.

Ein guter Fang wäre der Hans für unsere Bauerlorette allemal. Sein Anwesen mit erhabenem Blick auf die Tiroler Landeshauptstadt, hundert Stück Rind, ein beliebter Gastronomiebetrieb obendrein. Wird der Flötzenhans Jackie am Ende bekommen und damit auch den EINE MILLION Euro schweren Geldkoffer, oder wird es doch einer der anderen Kandidaten? Die nächsten Tage werden es uns zeigen.

So, jetzt aber zurück ins Hier und Jetzt. Wir haben uns eine kleine Überraschung ausgedacht, die möglicherweise das eine oder andere pikante Detail offenbaren wird. Ein Erweckungserlebnis der besonderen Art. Wir sehen den großen Eimer, den der Kameraassistent trägt. Ich sage nur: Ice Bucket Challenge trifft auf Wet-T-Shirt-Contest. Gleich werden wir unsere Verliebten aus dem Land der Träume reißen. Für nur zehntausend Anrufe machen wir es wahr. Also ran an die Telefone, Handys und Münzfernsprecher. Die Leitungen sollen glühen! Die Zeit läuft … ab … jetzt! Und da geht der Zähler hinauf, schon zwei…, nein dreihundert! Gleich tausend! Es geht immer schneller nach oben. BUMM, dreitausend! Sitzt denn das ganze Land hinter den Bildschirmen? Sie-ben-tau-send! Jeder kann mitmachen. Also rufen Sie schnell an. NEUNTAUSEND! Sie hören, ich muss mich bremsen, um die beiden vor lauter Begeisterung nicht aufzuwecken, bevor es das Eiswasser tut … Wasserträger, hol schon mal Schwung … und zehntausend! Feuer frei! Der Assistent geht in die Knie, nimmt Anlauf – ich sage eins … zwei … und DREI, Wasser marsch!

Jackie springt auf und schreit – köstlich, wie sie sich bewegt, als wolle sie fliehen, leider in alle Richtungen zugleich. Also SO möchte ich wirklich niemals geweckt werden. Aber, oh, là, là, äußerst figurbetont, das Negligé, das nass an Jackies Körper … aber was ist mit unserem Kandidaten Hans los? Hat ihn der Schwall etwa verfehlt? Unsere Kameras sind besser als das menschliche Auge, aber ich sehe nicht einmal das leiseste Räkeln unter der Decke. Was hat die Bauerlorette bloß mit dem armen Hans angestellt? Hat sie ihn etwa so ausgelaugt in ihrer ersten gemeinsamen Liebesnacht? Respekt, Respekt. Wirklich, eine großartige Frau. Aber jetzt Licht an! Holen wir den Hans aus den Federn … Es blendet. Aber die Kamera passt sich ja schneller an ihre Umgebung an als das menschliche Auge … Da liegt er, der Hans, als könnte er kein Wässerchen trüben, mit der Bettdecke über dem Kopf. Schüttelt ihn! Immer noch nichts? Also so ein Morgenmuffel – der schläft ja wie ein Murmeltier! Nehmt ihm die Decke weg! TAGWACHE, HANS! Aber … oh … äh … Moment, was ist das denn … äh … ich höre gerade von der Regie, dass wir … auf Werbung gehen. Äh … also bis … äh … dann.“

SONNTAG, 31. Oktober

1.

Der Tag hätte so schön werden können. Geradezu perfekt. Es hieß, der Bilderbuchherbst würde in die Verlängerung gehen, und schon im ersten Morgenlicht bestätigten sich alle Prognosen.

Valerie Mauser stand am Schlafzimmerfenster und schaute zur Nordkette hoch, die in der klaren Luft zum Greifen nahe schien. Sie legte ihren Zeigefinger und Daumen an die Frau Hitt, jene markante Felsnadel, bei der es sich der Sage nach um eine versteinerte Frau hoch zu Pferd handelte. Valerie brach sie in ihrer Vorstellung ab und führte sie wie einen Tobleronezacken an den Mund. Dann fuhr sie beidhändig in ihre Lockenmähne, schüttelte ihr Haar durch, streckte sich und gähnte herzhaft. Zweimal schmatzend sah sie wieder hinaus. Im Innenhof, an den bewaldeten Berghängen, einfach überall überboten sich die Laubbäume und Sträucher mit ihrer Farbenpracht. Keine Wolke am Himmel. Wirklich, ein wunderbarer Morgen. Zudem hieß es, dass es windstill bleiben würde. Die Sonnenstrahlen würden wärmen, mehr noch, die Temperaturen würden zur Mittagszeit beinahe sommerliche Werte erreichen. Wer konnte, würde den Tag im Freien verbringen und den letzten Gruß des Sommers mit allen Sinnen aufsaugen, wissend, dass die dunkle und kalte Zeit des Jahres unmittelbar bevorstand.

Valerie und Sandro mussten bald aufbrechen, wenn sie den Kolonnen von Bergwanderern entgehen wollten, die für diesen Tag erwartet wurden. Sie hatten sich die Serles vorgenommen, diesen markanten, aber nicht sonderlich anspruchsvollen Ausflugsberg, der aufgrund seiner unverwechselbaren Ansicht auch Hochaltar Tirols genannt wurde und die Menschen in Scharen anzog. Nach dem Abstieg dann ein eleganter Einkehrschwung in den Klostergasthof Maria Waldrast, Schnitzel, Weizenbier und Sonne. Viel besser als Bratapfel, Glühwein und Schnee, womit man zu dieser Jahreszeit genauso hätte rechnen können.

Die verlockenden Aussichten rissen Valerie aus der morgendlichen Trägheit. Sie trat ans Bett, bückte sich und weckte Sandro mit einem dicken Kuss auf die Wange. Dann zog sie ihm die Bettdecke weg und flüchtete vor dem Polster, den er ihr nachwarf – Sandro war im Unterschied zu ihr überhaupt kein Morgenmensch. Sie hastete in die Küche, wo sie die Kaffeemaschine aktivierte, und weiter zum Vorraum, um die Zeitung zu holen. Wieder zurück, schmierte sie sich ein Brot.

„Sandro!“, rief sie energisch und musste grinsen, als er Minuten später und scheinbar noch immer im Tiefschlaf, jedenfalls aber ferngesteuert an den Tisch schlurfte, sich auf den Stuhl fallen ließ und seinen doppelten Espresso auf ex trank. „Nutellabrot?“, fragte sie mit vollem Mund und hielt ihm ihres hin. Er schob ihre Hand weg und brummte etwas, das sich furchterregend anhörte. Je grummeliger er sich gab, umso wacher und neckischer wurde sie. Valerie wusste genau, dass er spätestens nach einer vierfachen Koffeindosis wieder zu dem Menschen wurde, in den sie sich bis über beide Ohren verliebt hatte. Jenen Menschen, mit dem sie einen wunderbaren Tag verbringen würde. Bald schon wären sie auf der Autobahn und nur etwas später auf dem Weg zum Gipfel.

Ja, es wäre ein Traumtag geworden. Wäre nicht dieser unsägliche Fall mitten in ihr Frühstück hineingeplatzt.

2.

„Veilchen, bist da?“, rief Manfred Stolwerk und klopfte, nein hämmerte geradezu gegen Valerie Mausers Wohnungstür.

Sie schluckte den großen, noch nicht fertig gekauten Bissen Nutellabrot hinunter, konnte aber nicht sofort antworten, weil das Frühstück nun in ihrem Hals quersaß und mit einem großen Schluck Kaffee hinuntergespült werden wollte.

„Veil-chen! Hal-lo!“

Jetzt hatte sie Schluckauf.

„Pff … wieso kann er nicht die Klingel benutzen wie jeder normale Mensch?“, fragte Sandro und konnte nicht verbergen, dass ihn Stolwerk gerade ziemlich nervte, so sehr sich die beiden Männer auch schätzten.

„Komme!“, rief Valerie, hickste laut und erhob sich. Was immer ihren besten Kumpel und seit kurzem auch wieder Ermittlungspartner am Landeskriminalamt beschäftigte, es musste wichtig sein.

„Stolwerk!“, grüßte sie halb freundlich, halb verdutzt, denn er trug einen zwar verblichenen, aber immer noch ungemein farbenfrohen Pyjama, der das Licht der Welt noch in den Siebzigern erblickt haben musste. „Shaga-delic!“, ergänzte sie in Austin-Powers-Manier, bevor sie sah, wie aufgeregt er wirklich war. „Stolwerk, was ist passiert?“, fragte sie nun ernster.

„Veilchen, wir haben einen Fall!“, hechelte er. „Wir müssen sofort zum Flötzlerhof.“

„Hat Geyer dich angerufen? Wer hat heute Journaldienst?“

„Ich, Veilchen.“

„Oh. Dann … dann ruf doch Geyer an und frag ihn, ob du … äh … ob wir uns das ansehen sollen. Und sonst eben den alten Berger. Was sagt die Staatsanwaltschaft?“

„Nichts Geyer oder Staatsanwalt! Wir müssen den ersten Angriff machen! Hör zu, Veilchen, die Bauerlorette ist gerade neben dem Flötzenhans aufgewacht, und der war mausetot! Wir müssen sofort hin! Jetzt!“

„Äh“, machte sie. Stolwerk schaute Bauerlorette? Am frühen Sonntagmorgen? Und wieso schlief diese aufgetakelte Fernsehtussi neben einem Toten – einem, wie hieß der, Flötzenhans?

„Los, Veilchen!“

„Willst du nicht erst mal reinkommen? Bist du sicher, dass es dir gut geht, Stolwerk?“

„Hör zu, Veilchen. Ich hab’s selbst gesehen. Die wollten sie gerade aufwecken, und dann war er tot, der Flötzenhans. Und das hat ganz sicher nicht zur Show gehört, weil jetzt nur noch Werbung läuft!“

„Die … äh … was ist los?“ Sie war noch viel zu weit davon entfernt, wach zu sein. Oder träumte sie gar?

„Abfahrt in fünf!“, sagte er knapp, drehte sich im Stand und hastete in die untere Wohnung zurück.

3.

Erstaunlicherweise war sie tatsächlich in fünf Minuten startklar. Obwohl sie inzwischen nicht schlauer aus Stolwerks Sätzen geworden war. Auf LiveTV, einem neuen Ableger des staatlichen Fernsehsenders und zugleich der Kanal der Bauerlorette, lief Endloswerbung. Im Teletext stand nichts, und auch die schnelle Überprüfung der wichtigsten Nachrichtenseiten brachte keine Neuigkeiten. Der oberste Eintrag in der Online-Seite der nationalen Schmuddelzeitung deutete darauf hin, dass es tags zuvor bei der Bauerlorette wohl ziemlich explizit zugegangen sein dürfte – von Toten stand da aber nichts.

Inzwischen hatte Valerie noch ihr unfassbar widerspenstiges Haar in Form gebracht und in Rekordzeit Zähne geputzt – ehrlich gesagt war es nur eine Mundspüllösung, die sie kreuz und quer durch den Mund drückte, während sie sich wie immer in Jeans, T-Shirt und Sneakers warf und dann noch einmal zurückhastete, um die Spülung wieder auszuspucken. Sie einfach hinunterzuschlucken, um Zeit zu sparen, war ihr noch in lebhafter, nicht besonders angenehmer Erinnerung. Und man lernte ja dazu. Beinahe hätte sie vergessen, sich von Sandro zu verabschieden. Dann eilte sie die Treppen hinunter.

„Also, Stolwerk, jetzt bitte noch einmal ganz von vorn“, drängte Valerie, als sie im Dienstwagen Platz nahm. „Wozu sollen wir noch mal den nächsten Rüffel riskieren?“

„Wirst schon sehen“, gab er knapp von sich, als er mit quietschenden Reifen losstartete.

„Stolwerk!“, protestierte sie, während sie etwas zum Festhalten suchte. Es war ja wirklich toll, ja geradezu eine Sensation, mit ihm zusammen wieder ein Ermittlerteam zu bilden, ganz wie in ihren besten gemeinsamen Zeiten in Wien. Aber gerade war er dabei, ihre Nerven überzustrapazieren. „Wieso gibst du nicht einfach den uniformierten Kollegen Bescheid? Wenn wirklich etwas ist, werden sie uns schon …“

„Ein Blick genügt, Veilchen. Beim Flötzenhans kann die Streife gar nichts mehr machen. Außerdem hat sicher schon wer den Notruf gewählt. Wir müssen schneller sein, sonst versauen die uns wieder alles.“

Sie brausten über die Innbrücke und links weiter in die Mariahilfstraße.

„Sag das nicht.“

„Was denn, Veilchen?“

„Flötzen… und so weiter. Der hat doch sicher einen richtigen Namen, wie jeder normale Mensch auch, oder?“ Unwillkürlich verschränkte sie die Arme vor der Brust. Bei so manchem bäuerlichen Hofnamen, den man statt des eigentlichen Familiennamens führte und auch noch stolz darauf war, stellte es Valerie die Gänsehaut auf.

„Johann Innbrüggler“, gab Stolwerk ebenso trotzig zur Seite.

„Hm“, antwortete sie, unsicher, ob ihr der richtige Name jetzt wirklich lieber war. Viel eher lag ihre schlechte Laune wohl an der flachgefallenen Bergtour. Sie atmete einmal tief durch, bevor sie fortfuhr: „Und dieser Flötzenjohann ist tot, sagst du?“

„Mausetot, ja. Schau her, die wollten die beiden eiskalt wecken, auf ihr feuriges Zusammenkommen gestern, uiuiui!“ Gestenreich fächerte er sich mit der rechten Hand frische Luft zu.

Valerie musste grinsen, obwohl sie es nicht wollte. Feuriges Zusammenkommen … Stolwerk verfügte über beängstigendes Insiderwissen, was diese Show betraf. „Du schaust den Mist? Im Ernst jetzt?“

Er blieb still.

Hatte sie ihn verärgert? Valerie riskierte einen Seitenblick. Er starrte mit undefinierbarem Gesichtsausdruck auf die Straße hinaus. Sollte sie etwas sagen? Ihr Blick glitt an ihm herab. Wieder einmal staunte sie, wie gut ihm die letzten Monate getan hatten. War er in seinen letzten Jahren als selbstständiger Sicherheitstechniker auseinandergegangen wie der sprichwörtliche Kirchtagskrapfen, hatte er seit seiner Rückkehr in den Polizeidienst nicht nur gut dreißig Kilo abgespeckt, sondern auch an Fitness gewonnen und Muskelmasse zugelegt, sodass er nun wieder viel mehr an den Cobra-Spezialeinheits-Beamten erinnerte, der er ganz zu Beginn seiner Karriere gewesen war. Er trug sein Haar jetzt millimeterkurz, was ihm viel besser stand als der Glatzendeckel. Aber ganz ehrlich gesagt, wusste Valerie nicht, ob ihr der neue Stolwerk gefiel. Es war angenehm, jemanden um sich zu haben, dessen einzige Sorge ihrem Wohlergehen galt, der sie bekochte und umsorgte. Bequem und egoistisch, erweiterte sie ihren Gedanken. Stolwerk war auf dem besten Weg, wieder das Leben zu führen, das ihm zustand. Und das war gut so.

„Was hast du?“, fragte sie ihn vorsichtig.

„Ach!“, begann er, „weißt ja, Veilchen … manchmal sind die Tage ziemlich lang, und dann …“

Die Erklärung fiel ernster aus, als sie erwartet hatte. Deutete er da gerade etwas an? Kümmerte sie sich etwa zu wenig um ihn? War er einsam? In den letzten Wochen hatten sie sich kaum noch außerhalb ihres Dienstes gesehen – obwohl sie doch im selben Wohnhaus lebten. Ihr schlechtes Gewissen meldete sich. „Wenn dir fad ist, kannst du jederzeit zu uns hochschauen, Stolwerk.“

„Ach was, Veilchen“, antwortete er knapp. Dann bremste er scharf, zirkelte den Wagen rechts herum in die Höttinger Auffahrt und gab wieder Gas. Einen haarsträubenden Moment später waren sie auch schon in der Sonnenstraße.

Sie beließ es dabei, musste bei Gelegenheit aber unbedingt noch herausfinden, ob zwischen ihnen alles stimmte. Dann konzentrierte sie sich auf das Bevorstehende. „Erzähl mir bitte, was genau du gesehen hast“, forderte sie ihn auf. Vorne kam die Zufahrtsstraße, die steil auf den Flötzlerhof führte. Valerie wusste natürlich, dass die Fernsehshow diesmal in Tirol spielte und in aller Munde war. Allerdings hätten sie keine zehn Pferde dazu gebracht, diesem entwürdigenden Schmierentheater auch nur fünf Minuten ihrer Zeit zu schenken. Das Bisschen, das sie in den Klatschzeitschriften zu sehen bekam, hatte ihr die Haare zu Berge stehen lassen – mehr noch, als diese es ohnehin schon taten: Eine – zugegeben hübsche – Braut aus Wien-Favoriten ließ sich vor laufenden Kameras von fünf Tiroler Bauernkandidaten bespringen, von denen man höchstens zwei als attraktiv bezeichnen konnte, und sollte sich am Ende ihren Märchenprinzen herauspicken, der nicht nur eine Frau bekam, sondern auch einen Haufen Geld. So lautete Valeries Wissensstand, der mehr auf Hörensagen als auf Fakten basierte.

„Nur, was ich bereits gesagt habe, Veilchen. Ich habe in der Früh eingeschaltet, gerade als sie die Jackie und den Hans aufwecken wollten. Mit einem großen Kübel Eiswasser. Aber gesprungen ist nur einer. Also eine. Stell dir vor, Veilchen, der Hans ist einfach liegen geblieben, als wäre nichts gewesen. Dann haben sie das Licht angemacht und ich hab genau gesehen, wie …“

„Aufpassen, Stolwerk!“, unterbrach Valerie panisch, weil sie im Unterschied zu ihm den Blick auf der Straße gehalten und gesehen hatte, wie ein riesiger schwarzer Bus mit viel zu hoher Geschwindigkeit ums Eck bog und auf der einspurigen Straße direkt auf sie zuraste. Die Fahrer beider Fahrzeuge sprangen gleichzeitig auf die Bremsen. Valerie hörte Reifenquietschen unter sich, vor sich, überall, während sie mit zusammengepressten Lidern den Einschlag abwartete, begleitet vom Geräusch zerberstenden Metalls und sich explosionsartig öffnender Airbags. Aber nichts dergleichen geschah.

„Pff“, hörte Valerie links von sich. Gleich darauf erscholl ein Truckerhorn, das so gar nichts mit himmlischen Trompeten zu tun hatte. Sie lebte noch. Also riskierte sie einen Blick nach vorne, wo die Vorderseite des Busses die gesamte Frontscheibe des Dienstwagens ausfüllte.

„So ein Volldepp!“, schimpfte Stolwerk und machte mit der flachen rechten Hand den Scheibenwischer, um dem anderen seinen Unmut zu zeigen.

Valerie las die formatfüllende Aufschrift unter der Frontverglasung des Busses: Street Rockers. „Ein Tourbus“, sagte sie halb zu ihrem Partner, halb zu sich selbst. Solche Fahrzeuge beförderten normalerweise Rockbands und andere Stars von Auftrittsort zu Auftrittsort. Zumindest solche, die sich Flugzeuge und teure Hotels nicht leisten konnten. Ein Untersatz, der dafür gebaut war, um tausende Autobahnkilometer mit Stil hinter sich zu bringen und den Insassen für die Wochen auf Achse ein Gefühl von Heimat zu geben. Hier auf der schmalen Zufahrtsstraße wirkte das Fahrzeug völlig deplatziert.

Valerie gab sich einen Ruck und öffnete die Beifahrertür. „Was meinst du, warum der es wohl so eilig hat?“, fragte sie Stolwerk mehr rhetorisch als sonst was, als sich die beiden vorne links an der Stoßstange des Dienstwagens trafen. Dann trat sie an die Tür des Busses heran und bedeutete dem Fahrer durch Klopfen und andere Gesten, sofort zu öffnen. „Hat der mir gerade im Ernst den Vogel gezeigt?“, stellte sie die nächste rhetorische Frage und zückte mit zitternden Händen ihren Dienstausweis, worauf das süffisante Lächeln des Mannes hinter dem Steuer einfror. Er betätigte eine Taste vor sich, Druckluft entwich und die große Eingangstür schwang auf. Ein Schwall muffiger Luft empfing sie. „Mauser, LKA Tirol. Das ist mein Kollege Stolwerk. Darf ich erfahren, warum Sie hier durch die Gegend bolzen wie vom Affen gebissen? Beinahe hätten Sie uns abgeschossen!“

Einen Moment lang sah der Fahrer sie an wie eine Marienerscheinung. „¿Qué?“, antwortete er dann kopfschüttelnd, stirnrunzelnd und schulterzuckend zugleich.

Valerie geriet kurz aus dem Konzept. Wenn sie es richtig mitbekam, gluckste Stolwerk hinter ihr.

„Polifffía! Äh … qué pasa … aquí?“, bemühte sie eine Sprache, die sie sich eilig aus längst verblichenen Urlauben zusammenreimte. In ihrem Rücken gluckste es ein weiteres Mal. Dafür, dass sie dem Tod gerade so von der Schaufel gesprungen waren, war Stolwerk unangemessen gut gelaunt. Sie überlegte kurz, mit der Ferse nach hinten zu treten.

„What happenend, Ernesto?“, fragte jemand im Businneren nach vorne. „Why did you just brake so hard?“

„Landeskriminalamt“, übernahm Valerie, ohne die Angesprochene sehen zu können, „sprechen Sie deutsch?“

„Ja“, kam als Antwort nach kurzem Zögern.

„Wir haben da ein paar Fragen an Sie“, sagte Valerie, während sie den rechten Fuß auf die Eingangstreppe setzte und in den Bus stieg. Dabei intensivierte sich der muffige Geruch sofort.

Die Seitenscheiben waren abgedunkelt. Ohnehin war es hier auf dieser engen, baumumsäumten Straße ziemlich düster, sodass Valerie zunächst niemanden im Inneren des Busses erkennen konnte.

„Hier“, meldete sich eine ältere Frau, die kaum zwei Meter vor ihr stand und in ihrer schwarzen Kleidung so gut wie unsichtbar war.

„Wer sind Sie?“

„Ich bin Else Zipplinger“, sagte sie so fest wie kurz angebunden, als gehörte ihr Name zur Allgemeinbildung. Und ja, ganz entfernt klingelte tatsächlich etwas in Valeries Kopf.

„Zipplinger“, wiederholte Stolwerk, der nun ebenfalls im Bus stand. Valerie schien, als hätte er es ehrfurchtsvoll gesagt.

„Warum beeilen Sie sich so, vom Flötzlerhof zu kommen?“ Dass der Tourbus zur Fernsehshow gehörte, war offensichtlich, sonst gab es hier in dieser Gegend wohl keine Stars, die herumgekarrt werden mussten.

„Wir haben einen Termin“, antwortete die Frau.

Ihre Stimme klang hart und jedenfalls genervt, und der proletoide Dialekt gab Valerie einen weiteren Hinweis. Sie hätte am liebsten nachgehakt, was für ein Termin das wohl gewesen sein mochte am Sonntag in aller Herrgottsfrüh. Aber ein anderes Detail erschien ihr noch interessanter. „Wer ist WIR?“

„Das muss ich Ihnen nicht sagen“, gab sie schnippisch zurück und fügte hinzu: „Oder haben Sie einen Durchsuchungsbefehl? Ermitteln Sie hier gegen irgendwen? Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie sich mir gegenüber ausgewiesen hätten, Frau …?“

Stolwerk flüsterte: „Das ist die Mutter von der Jackie. Jacqueline Zipplinger. Der Bauerlorette.“

Valerie hob die Augenbrauen und dann ihren Dienstausweis. „… Mauser. Nein, keine Ermittlungen. Wir haben einen Hinweis erhalten, dass es heute Morgen zu einem Vorfall auf dem Flötzlerhof gekommen sein soll. Wissen Sie etwas davon?“

„Das können Sie alles gerne meinen Anwalt fragen.“ Else Zipplinger zückte eine Visitenkarte aus ihrem Täschchen, als hätte sie die Frage bereits vorhergesehen, und reichte sie Valerie. „Und jetzt verlassen Sie auf der Stelle diesen Bus und lassen uns passieren!“

Das Verhalten der Frau passte zu Stolwerks Theorie. Auf dem Hof war wohl tatsächlich etwas passiert. Und jetzt wollten sich diese merkwürdige Frau und ihre Tochter eilig aus dem Staub machen. Valerie ging in Gedanken die Dienstvorschriften durch. Es gab keine Ermittlungen. Nicht einmal der Todesfall, den Stolwerk gesehen zu haben glaubte, war irgendwie bestätigt. Mit Fantasie ließ sich vielleicht von Gefahr im Verzug sprechen. Fluchtgefahr bestand allemal. Der Bus musste auf den Hof zurück, bis sie mehr in Erfahrung gebracht hatten.

Valerie legte sich bereits eine entsprechende Aufforderung zurecht, als Stolwerk ihr zuvorkam: „Frau Zipplinger, glauben S’ mir, es ist uns genauso unangenehm wie Ihnen und ihrer Tochter, aber ich hab selbst gesehen, was passiert ist, und vermutlich tausende Fernsehzuschauer schon in Innsbruck allein. Die werden nicht lange warten. Es wäre wirklich besser, wenn Sie jetzt …“

„Wenn wir jetzt von hier verschwinden!“, fuhr sie ihm ins Wort. „Was glauben Sie, warum wir es so eilig haben?“, gab sich Else Zipplinger keine Mühe mehr, andere Gründe als das Ableben des Bauernkandidaten ins Spiel zu bringen. „In ein paar Minuten wird es hier nur so von Schaulustigen und Reportern wimmeln! Lassen Sie uns endlich vorbei und verschwinden Sie!“

Im selben Moment hörte Valerie das Folgetonhorn eines Rettungswagens, der die Straße hochraste und kurz darauf hinter Stolwerks Dienstwagen zum Stehen kam. Darauf folgte ein kastenförmliches Gefährt mit Antennen und Satellitenschüsseln auf dem Dach, danach ein Kleinwagen, und als hätten sich die Eintreffenden in der Uhrzeit abgesprochen, ergänzte ein Streifenwagen das Quartett, das dem Bus jede Möglichkeit nahm, vom Hof zu kommen. Else Zipplinger starrte mit weit aufgerissenen Augen nach vorne.

Valerie übernahm wieder. „Stolwerk, lass die Einsatzwägen vorbei, aber sorg dafür, dass sonst niemand hochkommt. Die Kollegen sollen gleich das ganze Gebiet absperren“, wies sie ihren Partner an, der nickte und aus dem Bus sprang. „Und wir stoßen jetzt zurück“, sagte sie in einem Tonfall, der keinen Widerspruch zuließ, und pantomimisch untermalt, sodass es auch der Señor hinterm Steuer verstehen konnte.

4.

Vom Piepen der Rückfahrwarnung begleitet, gelangten sie Minuten später auf den großen Vorplatz des Flötzlerhofs und kamen neben einem Übertragungswagen von LiveTV zum Stehen. Valerie sprang aus dem Bus und wies die ebenfalls eingetroffenen uniformierten Beamten an, ein Auge auf Else Zipplinger und ihre Tochter zu werfen. Sie selbst sah zum Hof hinüber und staunte: Überall wimmelte es von Menschen. Einige trugen die leuchtend roten Anoraks des Fernsehsenders, andere dunkle Arbeitskleidung, manche von ihnen auch Bauhelme. Die meisten waren damit beschäftigt, Metallstangen, Scheinwerfer und anderes Zeug in Kisten und Transporter zu verfrachten. Es krachte hier und da, Befehle flogen durch die Gegend und Unfreundlichkeiten wurden ausgetauscht. Man hatte den Eindruck, auf einer riesigen Baustelle gelandet zu sein. Und mittendrin erhob sich der mächtige Hof, der über Innsbruck thronte und vor allem seiner Aussicht wegen ein beliebtes Ausflugsziel darstellte.

Zwei Autos kamen die Straße herauf. Vorne Stolwerk, direkt hinter ihm der Krankentransporter. Valeries Ermittlungspartner fuhr dicht an sie heran und sprang aus dem Fahrzeug. „Alles geregelt, Veilchen“, sagte er. „Eine weitere Streife ist bereits unten und sperrt alles ab.“

„Wird wohl schwierig werden“, sagte Valerie und deutete auf die Schaulustigen, die sich bereits eingefunden hatten. Viele von ihnen hielten Smartphones in die Höhe. Weitere Sensationsgierige strömten den Wanderweg herauf. Dass sie in den Hof gelangen und Spuren verwüsten könnten, wollte sich Valerie lieber nicht vorstellen. Sie entschied sich deshalb zu Sofortmaßnahmen und sagte zu den Beamten, die sie gerade mit der Bewachung der Zipplingers beauftragt hatte: „Anderer Plan. Wir brauchen Verstärkung. Alles absperren. Rund um den Hof herum, auch die Wanderwege. Keiner kommt ohne triftigen Grund auf den Vorplatz. Sichtschutz, wo es möglich ist. Die Fernsehleute sollen helfen. Die haben sicher blickdichten Stoff, Aufsteller und so weiter. Verstanden?“

Die beiden Beamten nickten, ließen aber erkennen, dass sie mit der Situation überfordert waren.

„Los, los!“, drängte Valerie. „Und dann bringen Sie mir den Verantwortlichen für die Dreharbeiten!“, rief sie noch in deren Rücken und stieg wieder in den Bus. „Frau Zipplinger, Sie und Ihre Tochter bleiben zum eigenen Schutz hier. Niemanden reinlassen, okay?“ Ein unsicheres Kopfnicken später war Valerie auch schon wieder im Freien und sah, wie Stolwerk den Sanitätern nachlief, die ihre Krankenliege samt Ausrüstung laut scheppernd über den gekiesten Vorplatz schoben – die nächsten, die Spuren vernichten würden. Valerie nahm die Beine unter die Arme. „Sie bleiben hier“, rief sie den Leuten von der Rettung zu. „Wir melden uns, wenn wir Sie brauchen.“

Mit vorgehaltenen Dienstausweisen passierten Valerie und Stolwerk einen Mann, der an der Eingangstür postiert war und ein Funkgerät trug. Er schloss die Tür hinter ihnen.

Im Hof selbst war es im Vergleich zu draußen herrlich still. Unheimlich still, besser gesagt. Sie hielt einen Moment lang inne und konzentrierte sich ganz auf ihr Gehör.

Aber da war nichts.

„Hallo?“, rief sie dann, und: „Polizei! Ist jemand hier?“

Es blieb still.

„Wo ist das Schlafzimmer, Stolwerk?“, fragte sie ihren Partner, der den Zeigefinger hob und nach links oben wies. Valerie runzelte die Stirn, verzichtete aber auf einen Kommentar und ließ ihn vorausgehen.

Sie näherten sich dem möglichen Tatort, ohne etwas anzufassen. Schuhüberzüge wären noch sinnvoll gewesen, aber im ersten Angriff mussten sie Kompromisse machen. Schließlich wäre es ja – zumindest theoretisch – denkbar gewesen, dass man noch helfen konnte. Sehr theoretisch, wenn man Stolwerk glaubte. Oben stand eine Tür offen. Der Raum war gleißend hell ausgeleuchtet. Wie ein Fernsehstudio. Schon aus mehreren Metern Entfernung sah man eine Wasserlache, aus der viele Fußspuren auf den Gang hinaus führten.

„Na bravo“, kommentierte Stolwerk das spurentechnische Chaos.

Schließlich waren sie nahe genug, um durch den Türrahmen aufs klatschnasse Bett zu sehen, vor dem ein großer blauer Kübel lag. Dann traten sie ein. Valerie musste blinzeln, so sehr blendete es sie.

„Au“, sagte sie, als sie die Szenerie erfasst hatte.

„Dem kannst nur mehr den Holzpyjama anziehen“, meinte Stolwerk.

Valerie lachte nicht. Humor war Stolwerks Art, mit Situationen wie dieser umzugehen, aber nicht ihre. Sie bevorzugte Stille – die ihr Gefährte schon in ihrer gemeinsamen Zeit am LKA Wien liebend gerne unterbrach.

„Genau wie er im Fernsehen dagelegen ist. Na, glaubst mir jetzt, Veilchen?“

Valerie nickte nur und bedeutete ihm, ruhig zu sein. Dann näherte sie sich der Leiche, soweit es möglich war. Der Flötzenjohann – sein richtiger Name fiel ihr nicht mehr ein – lag nackt und leichenblass im Bett. Viel zu hell strahlte sein Gesicht, aus dem er mit weit aufgerissenen Augen an die Decke starrte. Unheimlich und jedenfalls leblos, sodass sich jeder Zweifel über den Zustand erübrigte. Er war einer der beiden gut aussehenden Kandidaten, soweit sie sich noch an die Klatschfotos erinnern konnte. Muskulös, kein Härchen an seinem Körper, gepflegt. Ein Mann, der auf sich achtete.

Die Todesursache war oberflächlich nicht festzustellen. Kein rauchender Colt, wie es so schön hieß: Keine Male am Hals oder an anderen Stellen, keine oberflächlichen Verfärbungen, kein Blut und keine verdächtigen Gegenstände im Bett oder im Raum – wenn man vom Wasserkübel und dem großen Scheinwerfer im Eck absah. Valerie dachte einen Moment daran, die Sonnenbrille aus ihrer Umhängetasche zu holen.

„Was meinst du, Stolwerk?“, fragte sie und war sich sicher, dass er verstand.

„Schwer zu sagen. Die haben gestern gerammelt wie die Ka…“

„Stolwerk!“

„Äh … ja. Also, ein topfitter Mensch, siehst ja. Stirbt nach einer Liebesnacht mit der Jackie … also Jacqueline Zipplinger. Ohne irgendwelche Anzeichen. Ich mein, die Jackie hat neben ihm geschlafen. Wenn ihm was gefehlt hätte, hätt ihr doch was auffallen müssen, oder?“

Er hatte Recht. Wäre ihm übel oder eng um die Brust geworden, hätte er sich bemerkbar gemacht. „Er ist still gestorben“, vermutete sie.

„Schaut so aus. Sekundenherztod? Kann natürlich mit der Aufregung zu tun haben, den Hormonen oder einer angeborenen Herzschwäche, was weiß ich.“

„Wahrscheinlich?“

„Eher nicht. Auch in dem Fall hätt er vermutlich nicht einfach still und heimlich die Patschen aufgestellt.“

Sie nickte und hakte die sonntägliche Bergtour mit Sandro endgültig ab. Dann sah sie sich nochmals um und versuchte, sich den Moment des Auffindens vorzustellen. Die Fernsehleute und diese Jackie hatten die Leiche sich selbst überlassen. Jedem hier drin wie auch draußen an den Fernsehgeräten musste unmittelbar klar gewesen sein, dass man dem jungen Mann nicht mehr helfen konnte.

„Dann schauen wir mal, dass wir hier nicht noch mehr versauen“, sagte sie und balancierte um die Wasserflecken herum nach draußen, während sie hoffte, dass ihr Partner, der nicht nur zwei Kopf größer, sondern immer noch mindestens einen Menschen breiter war als sie, das ebenfalls hinbekam.

5.

„Ihr Name?“, fragte Valerie eine knappe Stunde später einen Mann, der sich als Verantwortlicher für die Fernsehproduktion ausgab. Sie hatte ihn in den Bus gelassen und auf einen Platz in der ledergepolsterten Sitzgruppe hinter dem Fahrerplatz gedeutet.

Draußen hatten die Kollegen alle Hände voll zu tun, die mittlerweile hunderten Schaulustigen im Zaum zu halten. Stolwerk half ihnen. Als ehemaliger Spezialeinsatzbeamter war er unter anderem für solche Einsätze ausgebildet worden. Mehr Verstärkung sollte bald kommen.

Weil man den Flötzlerhof zur Gänze der Spurensicherung überlassen wollte, blieb der Tourbus der einzige Platz, wo Valerie Befragungen durchführen konnte, ohne zusätzliches Aufsehen zu erregen. Mutter und Tochter Zipplinger hatten sich im hinteren Schlafraum des Busses verkrochen. Somit blieb Valerie die weibliche Hauptdarstellerin der Show weiterhin verborgen. Sie würde ihr nur im Beisein ihres Anwalts gegenübertreten, wie sie ausrichten ließ.

„Franz-Xaver Lichtenberg“, sagte der mit Trainingsanzug und Sportschuhen recht schlampig gekleidete Mann. Er wirkte nervös. Im selben Moment, als er seinen Namen aussprach, klingelte es in seiner Hosentasche. Er fummelte ein Smartphone heraus und drückte den Anruf mit zittrigen Fingern weg.

„Sie sind also der Verantwortliche hier?“

Er nickte: „Der Regisseur, ja. Aber ich bin nicht für das verantwortlich, was in dem Zimmer da oben passiert ist, nur damit wir uns gleich richtig verstehen.“ Sein Raucheratem widerstand ihr.

„Was ist denn passiert?“, fragte sie schlicht, lehnte sich zurück und sah kurz nach oben, ob es vielleicht eine Luftdüse gab, die sich aktivieren ließe – vergeblich.

„Haben ja alle gesehen, oder nicht? Der Hans ist tot. Eine Katastrophe!“ Einen kurzen Moment lang schien er sich in seinen Gedanken zu verlieren. Dann schüttelte er den Kopf, richtete sich wieder auf und sagte mit fester Stimme: „Aber nicht zu ändern. The Show must go on.“

Valerie zog die Augenbrauen nach oben. Sie stellte sich die junge Hauptdarstellerin vor, die hinten im Bus irgendwie damit klarkommen musste, neben einem Toten aufgewacht zu sein. Und der Mann vor ihr redete ernsthaft vom Weitermachen. Sie fühlte sich in ihrer Meinung bestätigt: Sendungen wie die Bauerlorette waren erniedrigend und menschenverachtend und beuteten die Teilnehmer aus, die oft gar nicht wussten, wie ihnen geschah. Und jetzt war einer von ihnen tot. „There’s no business like show business“, murmelte sie nach einer längeren Pause und schrak auf, als Lichtenbergs Handy auf dem Tisch vor ihr zu vibrieren und gleichzeitig zu leuchten begann. THE BOSS, las sie verkehrt herum. Der Regisseur fuhr sich durchs Haar, dann tippte er mit den Fingerspitzen an seine Lippen. Mit der anderen Hand drückte er wieder eine Taste, die das Anrufsignal, nicht aber den Anruf selbst unterdrückte.

„Wer ist The Boss?“, fragte Valerie neugierig.

Er blieb still.

„Ihre Frau?“, stichelte sie. „Oder The Boss persönlich, Bruce Springsteen?“

Der spanische Busfahrer hinter ihm kicherte, als hätte er verstanden.

„Blödsinn“, sagte Lichtenberg und spähte über die eigene Schulter. „Können Sie sich doch vorstellen, wer The Boss ist, oder? Der Sender will eine Erklärung haben.“

„Genau wie ich. Also?“

„Also was? Was soll ich Ihnen sagen? Sie haben’s doch selbst gesehen, und mehr weiß ich auch nicht. Ich war die ganze Zeit im Regieraum des Ü-Wagens.“

Ü-Wagen – Überraschungswagen?, versuchte Valerie zunächst, eine Analogie zum Ü-Ei herzustellen, reimte sich dann aber Übertragungswagen zusammen. „Und dann?“

„Werbung“, sagte er eisig. „Wir mussten abbrechen. Können Sie sich vorstellen, was das bedeutet? So etwas kann mich ruinieren!“

„Die Werbung?“, gab sie sich provokant begriffsstutzig.

„Nein, der tote Kandidat! Wir sind live auf Sendung. Sonntag in der Früh ist Familienzeit, Herrgott noch mal. Wir dürfen nichts dem Zufall überlassen. Wenn so etwas passiert, mitten in einem Unterhaltungsformat, ist das der Super-GAU.“

In der Zwischenzeit hatte sie sich die Szene ansehen können, denn irgendwer hatte sie längst auf YouTube geladen. „Und deshalb begießen Sie das Liebespaar mit Eiswasser und hoffen, dass sich pikante Details offenbaren?“

„Meine Güte, sind wir prüde, oder was? Hier geht’s doch nicht um Nacktheit. Nackt ist normal. Aber eine Leiche auf einem morgendlichen Sendeplatz im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, da knüpft uns der Publikumsrat den Strick! Ich bin ruiniert!“, rief er und legte die rechte Hand an seinen Mund. Das Telefon vor ihm hörte nicht auf zu blinken.

„Das Risiko muss dem Sender doch bewusst sein, oder? Gibt’s denn keine Stopptaste … Verzögerungsdings … wie heißt das noch mal?“

„Sie meinen eine künstliche Latenz?“, schlug er vor.

Valerie nickte.

„Nein, wir übertragen eins zu eins. Was wir sehen, sieht auch der Zuschauer. Kein Fake, kein Sicherheitsgurt. Was passiert, passiert. Das ist unser Erfolgsgeheimnis.“

Sie ließ sein letztes Wort wirken. Dann hakte sie nach: „Und wenn so etwas passiert wie heute?“

„Wer bitte schön soll denn DAMIT rechnen? Was soll vernünftigerweise passieren, wenn wir das Pärchen mit einem kleinen Spaß aufwecken? Ein Busenblitzer? Darauf warten die Leute doch nur. Etwas politisch völlig Unkorrektes aus dem Mund eines dieser Bauernschädel? Die Lacher hätten wir auf unserer Seite. Wir sind keine politische Sendung und kein Hochrisikosport. Bei uns geht’s um Liebe und Leben, um gesunde Menschen in bestem Zustand! Wer rechnet da schon mit einem Todesfall? Im Ernst jetzt, Frau Mauser!“ Mit neuer Selbstsicherheit und deutlicher Wut im Bauch fuhr er fort: „Hören Sie, es ist tragisch genug, dass wir die Leiche kurz im Bild hatten. Aber es hilft uns überhaupt nicht, wenn die Spurensicherung vor dem Haus parkt und eine Million Polizisten herumwimmeln. Der Hans ist eines tragischen, aber natürlichen Todes gestorben.“

„Behauptet wer?“

„Mein Gott, was sind Sie denn für eine? Egal, schon gut. Ich behaupte das. ICH! Schauen Sie, Ihre Vorsicht ist ja ganz nett, aber völlig übertrieben. Das hat doch jeder gesehen, der zwei Augen im Kopf hat!“

Valerie ließ sich nicht auf seine kleine Gemeinheit ein und sagte in aller Ruhe: „Ein junger Mann – in bester Verfassung, wie Sie selbst gerade gesagt haben – ist tot. Alles ist möglich. Bis zum Beweis des Gegenteils werden wir alles veranlassen, was uns nötig erscheint.“

„Das gibt’s doch nicht!“, tobte er und boxte sich auf die Oberschenkel.

Valerie war kurz davor, sich auf einen körperlichen Angriff gefasst zu machen. Da klopfte schon wieder jemand gegen die Einstiegstür des Busses. Es war der Forensiker Bernd Spängler im weißen Plastikoverall.

„Schauen Sie sich den an!“, protestierte Lichtenberg. „Fehlt nur noch, dass er mit Blutspritzern auf seinem Ganzkörperkondom vor den Leuten draußen herumstolziert. Die warten doch nur darauf! Alles nur wegen Ihres Verfolgungswahns, Frau Mauser!“

„Jetzt reicht’s aber!“, entfuhr es ihr unvermittelt. „Sie bleiben in Innsbruck und halten sich zu meiner Verfügung, klar? Inzwischen können Sie sich schon mal überlegen, wer ein Interesse daran haben könnte, Ihrer Sendung zu schaden. Ich erwarte mir Antworten und keine Vorwürfe. Verstanden?“

Er schnaubte. Sie schnaubte.

Spängler klopfte, jetzt fester. „Fffallerie“, hörte sie den aus Deutschland stammenden Spurensicherungsexperten halb singen, halb rufen, was ihre Autorität nicht gerade zu untermauern half.

„Verstanden?“, wiederholte sie und starrte ein Loch direkt zwischen die Augen des Regisseurs.

Fünf Sekunden später nickte er, nur einen Moment, bevor es wieder irgendwo zu klingeln begann – dieses Mal war es Valeries Telefon. Sie wies Lichtenberg an, den Bus zu verlassen, bat Spängler herein und ging ans Handy, obwohl sie die Rufnummer nicht erkannte.

„Mauser?“

„Geyer hier.“

Valerie erschrak. Sie hätte ihren Vorgesetzten längst informieren müssen, was den Einsatz betraf, den Stolwerk und sie an sich gerissen hatten. Sie hatte es im Eifer des Gefechts völlig vergessen. Valerie drehte sich von Spängler weg, machte ein paar Schritte in den Gang des Busses hinein und suchte nach einer plausiblen Erklärung. Oder lieber die Wahrheit? Andererseits wusste sie ja gar nicht, weshalb er anrief. Es konnte auch völlig harmlos sein. „Herr Geyer! Wie geht es Ihnen?“, fragte sie und hätte sich die flache Hand an die Stirn schlagen können, nicht nur wegen des blöden Satzes, sondern weil sie ja eigentlich längst per Du waren.

Sie hörte ihn schnaufen, als würde er gerade joggen. „Valerie, ich steh hier auf dem Golfplatz und muss zu meinem Privathandy greifen, weil ich angenommen hatte, ich könnte mein Dienstgerät einmal, EINMAL nur ausnahmsweise am Sonntag daheim lassen. Offensichtlich war das falsch gedacht. Also, ich höre?“

„Ich äh …“ Was nützte es noch, um den heißen Brei herumzureden. „Niki, wir sehen uns gerade den Toten aus dieser Fernsehshow an. Auf dem Flötzlerhof.“

„Jaja, ich hab’s gesehen.“

Geyer auch? „Ach sooo?“, fragte Valerie in die Länge gezogen.

„Das war doch alles gestellt! Schon klar, oder? Seid ihr etwa drauf reingefallen? Das war inszeniert! Wegen HALLOWEEN! Heute ist Halloween, werte Frau Kollegin! Und ihr macht den Ground Zero draus! Fliegen gleich noch die Hubschrauber herum? Outen wir uns gerade als die totalen Dummköpfe und Brauchtumsmuffel, oder wie?“

„Was ist los?“ Vor lauter Bauklötzen, die sie staunte, fand sie nichts Vernünftiges, das sich erwidern hätte lassen.

„Hör zu, Valerie. Kristo… äh … Rundfunkintendant Schmollinger hat mich angerufen, ob wir noch ganz bei Trost sind, so einen Zirkus zu machen. Und ich muss mich bei ihm rechtfertigen! Dass ausgerechnet wir darauf einsteigen, geht zu weit. Wir können unsere Ressourcen nicht so leichtfertig verschwenden, Valerie. Überstunden, Kostenstellen, alles wegen eurer Fehlentscheidung. Sonntagszuschlag! Wie schaut denn das aus?“

„Niki, vielleicht wär’s besser, wenn du dich in den Wagen setzt und herkommst. Oben im Schlafzimmer liegt nämlich der …“

„Nichts komm ich! Ihr sorgt jetzt dafür, dass die Aktion eingestellt wird, und zwar plötzlich. Klar?“

Aufgelegt.

Sie drückte sofort die Wahlwiederholung, doch es kam nur das Besetztzeichen. Zehn Sekunden später wählte sie erneut – wieder mit demselben Ergebnis. „Ich glaub, ich spinn“, sagte sie schließlich und ging zu Spängler zurück.

6.

„Liiiebe Fffallerie!“, grüßte er sie und strahlte übers ganze Gesicht.

„Grüß dich, Bernd. Heute ist Halloween?“, fragte sie gedankenverloren.

„Au ja. Meine bessere Hälfte ist schon ganz zappelig wegen des ganzen Gedöns. Ha! Hat einen ganzen Schrank mit Schleckzeug für die kleinen Banditen vollgerammelt. Schade drum, denn es landet ja am Ende sowieso nur im Sondermüll. Besser so, denn da kannst du weiß Gott was reinmischen oder abgelaufenes Zeug loswerden, jaja, die Welt ist schlecht …“

„Aha“, sagte sie, weil sie gar nicht zugehört hatte. Wieder wählte sie Geyers Nummer – jetzt war sein Handy ausgeschaltet.

„Hattest eben das Rhinozerus an der Strippe, ja?“

Sie nickte. Spängler und Geyer verstanden sich ausschließlich dann, wenn sie beide betrunken waren. Im nüchternen Zustand hieß der eine Piefke und der andere Rhinozerus. „Manchmal könnt ich ihn … aber so!“, murmelte sie mehr zu sich selbst und sah Spängler hoffnungsvoll an. „Sag mir, dass das da oben im Bett keine Halloweenpuppe ist.“

„Eine häää? Ach Quatsch. ’ne Leiche, ’ne mausetote, mia cara.“

„Und?“

„Tja, und … und nichts! Niente. Wieso haste mich denn geholt, sag mal?“

Sie schnappte unwillkürlich nach Luft. Der Albtraum jedes Polizisten: die Spurensicherung umsonst eingeschaltet zu haben. Am Wochenende noch dazu. Eine Auffindesituation falsch zu beurteilen, konnte einem Jahre des Spotts einbringen. „Nichts?“, fragte sie und sandte ein Stoßgebet zum Himmel.

„Na ja, nichts außer einem Konvolut von Abdrücken von einer Unzahl von Menschen. Kannst dir ja vorstellen bei dem Gewusel dieser Fernseh-Ameisen. Und für meinen Geschmack gehört die Flötzenspelunke hier mal ordentlich durchgesaugt. Sonst nur der begossene Tote, aber der ist allerhöchstens ein Fall für den Rechtsmediziner. Wenn überhaupt.“

Valerie hatte Mühe, ihre Gedanken zu ordnen. Inszeniert, hatte Geyer gesagt. Wegen Halloween. Aber was sollte denn hier bitte dargestellt werden? Der echte Tod eines Kandidaten? Der wohl kaum freiwillig mitgespielt hatte. Sie glaubte auch nicht, dass der Regisseur ihr etwas vormacht hatte, als er sich so betroffen über das Unglück zeigte. Der Tod des Hofbauern gehörte definitiv nicht zum Plan.

„Hast du irgendeine Vermutung, was die Todesursache betrifft?“

„Wie gesagt: No, purtroppo no.“

Seine Liebe zu Italien, die er sprachlich vor sich herzutragen pflegte, nervte gehörig. „Gift? Überdosis? Schlafmittel? Gewalt? Gar nichts?“

„Also, ich hab den werten Verstorbenen jetzt nicht so richtig unter die Lupe genommen, und wie du weißt, ist das auch gar nicht meine Angelegenheit, liebe Fffallerie. Aber natürlich hab ich mal geschnuppert und geguckt – senza risultato. Kein Gift vom lieben Mütterlein, kein Schnee im werten Näschen und auch sonst nicht viel … mein Häschen.“ Er grinste über beide Ohren und war sichtlich stolz auf seinen spontanen Reimerguss.

Valerie fand die Situation überhaupt nicht komisch. Sie befand sich in einer Zwickmühle. Ihr Chef hatte befohlen, den Einsatz zu beenden. Freilich aufgrund einer offensichtlichen Fehlinformation. Und Spängler, eine Koryphäe auf seinem Gebiet und selbst halber Rechtsmediziner, deutete an, dass der Nachweis eines Gewaltverbrechens zur harten Nuss, wenn nicht zur Mission: Impossible werden könnte. „Aber der stirbt doch nicht einfach so mir nichts, dir nichts“, sagte sie, um sich selbst zu beruhigen.

Da klopfte schon der nächste Mann an die Bustür, es war Stolwerk. Er hatte etwas Weißes in der Hand, das aussah wie …

„Komm rein“, sagte sie und gab dem Fahrer ein entsprechendes Zeichen. Durch die aufschwingende Tür drang Lärm ins Innere. Ohne zum Hof zurückzusehen, wusste sie, dass sich die Zahl der Herumstehenden vervielfacht hatte. Menschen riefen durcheinander, einer pfiff, etwas krachte.

Stolwerk wirkte erschöpft. „Servus, Bernd!“, grüßte er den Forensiker und wandte sich Valerie zu. „Schau, Veilchen, ich hab uns ein Vogerl gefangen“, sagte er stolz und hielt ihr den weißen Gegenstand vor die Nase. Ihre erste Vermutung war richtig gewesen: eine Drohne. Mit Kamera. Ziemlich verbeult.

„Bin ich jetzt im Fernsehen, Stolwerk?“, fragte sie und zeigte auf die Kameralinse, die sich an der Unterseite des Flugkörpers befand.

„Glaub ich nicht, schau!“ Er kramte in seiner Jackentasche und hielt ihr einen großen, länglichen Akkupack hin. „Drohnenherz, hehe. Aber Wahnsinn, Veilchen, die hat einer von den Zuschauern steigen lassen. Wetten, dass er damit vorm Schlafzimmerfenster herumgeflogen ist? Ich hab mir das Ding gerade noch greifen können.“

„Du hast ihm die Drohne abgenommen?“

„Sozusagen“, meinte er und deutete auf eine lange Metallstange, die draußen neben der Bustür lag.

„Speerwurf?“

„Mhm“, summte er mit breitem Grinsen.

Sie nickte und wurde wieder ernst. „Hör zu, Stolwerk, dein toter Hans macht uns gehörig Kopfweh. Bernd hat nichts gefunden. Und Geyer meint, es sei überhaupt alles ein Halloween-Fake.“

Stolwerk formte die letzten beiden Wörter mit seinen Lippen, ohne einen Laut von sich zu geben, und machte ein ungläubiges Gesicht.

„Nicht so wichtig, das klärt sich schon auf. Aber wir sollten schauen, dass wir nicht noch mehr Aufmerksamkeit erregen. Bernd, kannst du den Abtransport in die Gerichtsmedizin so dezent wie möglich organisieren?“

Spängler nickte und verließ den Bus.

„Und wir, Veilchen?“

„Wir, Stolwerk, wir werden die Karawane jetzt wohl oder übel ziehen lassen müssen.“

7.

Valerie saß mit Sandro bei einem späten Abendessen, als jemand lautstark das Treppenhaus hochpolterte. Dieser Jemand konnte nur Stolwerk sein. Schon wieder.