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ROMANTRUHE SF

Band 4

Science-Fiction-Serie

E-Book Edition

 

DIE HÄNDLER
DES TODES
(1. Teil)

 

(Ein Roman aus der Serie
LEX GALACTICA)

 

von

M. S. ARMSTRONG

IMPRESSUM

 

ROMANTRUHE - SF

SF-Klassiker und neue Romane

Herausgeber: ROMANTRUHE-Buchversand.

Cover: shutterstock.

Satz und Konvertierung:

ROMANTRUHE-BUCHVERSAND.

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1. Flucht ohne Ketten

 

Neo Alcatraz, Hochsicherheitstrakt

»Fass mich nicht an, du heruntergekommenes Subjekt«, kreischte der kleine schmächtige Mann und versuchte, den Pranken des hochgewachsenen Menschen zu entgehen, der sich offenbar darüber amüsierte, dass der kleine Arzt und Wissenschaftler Vincente Calypso vor Angst fast in die Hosen machte. Dabei konnte Pluto Alvarez seinen Zellennachbar nicht wirklich erreichen. Um gewalttätigen oder auch sexuellen Übergriffen vorzubeugen, gab es in jeder Zelle einen geschützten Bereich. Calypso hatte schon häufig Gebrauch davon gemacht, das Refugium war immer sein letzter Ausweg. Er war nicht nur für Pluto Alvarez ein beliebtes Ziel für mehr oder weniger harmlose Angriffe. Hatte der Arzt, dessen verbrecherische Experimente fast die neue Lex Galactica scheitern ließen, zu Anfang noch damit gerechnet, dass dieser Aufenthalt auf dem berüchtigten Gefängnisplaneten nicht mehr als ein kleines Zwischenspiel von einigen Stunden oder schlimmstenfalls Tagen sein würde, so war ihm mittlerweile klar geworden, dass seine einflussreichen Freunde und Auftraggeber ihn hier offenbar vergessen hatten – oder ihm gar nicht helfen wollten.

Er war einer unter Tausenden Gefangenen, rechtskräftig verurteilt und für den Rest seines natürlichen Lebens aus der Gemeinschaft normaler Lebewesen ausgeschlossen.

Das allein hätte Calypso vermutlich weder beeindruckt noch gestört, doch zu seiner Bestrafung gehörte es auch, dass er nie wieder praktizieren oder gar forschen durfte. Keine Versuche an Lebewesen, gleich welcher Art, keine Behandlung von Patienten – man hatte ihm sogar die Approbation und den Doktortitel aberkannt. Er war nichts weiter als der verurteilte Verbrecher Calypso, Vincente, Häftlings-ID NA-3409-12812-G17-A4- 23, wobei die letzten Daten auf den Zellenbereich im Gefängnis verwiesen.

G 17 war ein Komplex von mehreren Gebäuden inmitten eines speziell gesicherten Areals. Kreisrund war der Bereich, umgeben von einem sichtbaren, wenn auch wenig effektiven Zaun aus Stacheldraht auf einer hohen Mauer. Das allein würde niemanden von einer Flucht abhalten, es war nur eine Art Placebo. Die elektronischen Sicherungen waren deutlich subtiler. Bewegungssensoren, Mentalscanner, Selbstschussanlagen und zusätzliche Türme mit Wachposten und automatische Kameras verhinderten effektiv jede Annäherung an den Sperrbereich – von beiden Seiten. Wer hier untergebracht war, sollte nie wieder freikommen. Wobei eine Flucht auch dann aussichtslos war, wenn sie aus diesem abgeschirmten Bereich gelingen sollte.

Neo Alcatraz war ein Gefängnisplanet, auf dem außer den Häftlingen niemand lebte. Die Wachen und einige ihrer Familien wohnten in drei Raumstationen, die man im Orbit verankert hatte. Jedes Raumschiff, das von hier wegflog, wie auch die regelmäßig verkehrenden Fähren zu den Stationen, wurden mehrfach überprüft. Wer keinen Erfassungschip im Körper trug, hatte keine Chance, den Sicherheitseinlagen zu entgehen. Hier waren nur schwere Fälle untergebracht und sie konnten entsprechend ihrer Rassenzugehörigkeit versorgt und gegebenenfalls isoliert werden. Technische Einrichtungen ermöglichten unterschiedliche Schwerkraftzonen, viele verschiedene Atmosphären konnten erzeugt werden. Die Kosten wurden von der Völkergemeinschaft getragen, die zufrieden damit war, ihre gefährlichen Subjekte auf Dauer im Nirwana verschwinden zu lassen.

Da das Budget generell begrenzt war, hatten die Gefangenen die Pflicht, Nahrungsmittel selbst anzubauen, nur Fleisch wurde von außen geliefert.

Neo Alcatraz besaß zwei Kontinente, so bot es sich an, männliche und weibliche Häftlinge auf jeweils einer Landmasse unterzubringen. Kontakte waren aufgrund der großen Entfernungen nicht möglich, wären aber natürlich auch nicht erwünscht.

Zu Anfang hatte die Frage im Raum gestanden, die normalen Häftlinge im offenen Vollzug unterzubringen. Ernsthafte Wissenschaftler, die sich mit Massenphänomenen beschäftigten, hatten jedoch davon abgeraten. Es würden sich unerwünschte Strukturen bilden, in denen die aggressiven, brutalen und starken Häftlinge ihre eigenen Machtbereiche schufen, die letztendlich nicht nur die Aufseher bedrohen, sondern auch die Hochsicherheitstrakte stürmen konnten. Von da aus wäre es nur ein Schritt bis zur Selbstbefreiung und Flucht. So aufwendig es auch sein mochte, es war notwendig, Disziplin und ein streng geregeltes Leben durchzusetzen, auch wenn es als sicher galt, dass keiner der Insassen je wieder freikam.

Die Lex Galactica, das gewaltige Gesetzbuch der Galaxis, forderte die menschenwürdige Behandlung aller Lebewesen – wobei der Begriff der Mensch als Synonym für alle intelligenten Lebewesen stand. Deshalb gab es in den Zellen der Hochsicherheitstrakte einen geschützten Bereich. Sobald einer der Häftlinge dieses Refugium aufsuchte, erhielt der andere automatisch ein Beruhigungsmittel, sodass die Ruhe schnell wieder hergestellt wurde.

Den meisten Insassen war weder bekannt noch bewusst, dass bei ihrer Ankunft in der kleinen Raumstation im Orbit nicht nur die Individualdaten gescannt und auf einem Chip implantiert wurden. Die gesamte Hautoberfläche wurde mit einer elektrostatischen Chemikalie behandelt, die in die Haut einsickerte und dort für immer verblieb. Damit sollte verhindert werden, dass jemand durch die Kontrollen kam und flüchtete. Die Gefahr blieb jedoch gering, denn die Sicherheitsvorkehrungen waren einfach nur gut. Natürlich verhinderten sie auch, dass jemand von außen versuchte, einen Häftling zu befreien.

Vincente Calypso mochte noch so einflussreiche Freunde besitzen, ein Insasse des Gefängnisplaneten war ein vergessenes und ausgelöschtes Individuum. Doch dass der Arzt die Hoffnung noch immer nicht aufgegeben hatte, zeugte eher von einer gestörten Wahrnehmung der Wirklichkeit als von einer realistischen Chance.

Auch in den nächsten Tagen musste Calypso immer wieder im geschützten Bereich Zuflucht nehmen, wie es schon seit seiner Ankunft hier öfter, sogar regelmäßig, vorkam. Sein Mitbewohner in der Zelle war erstaunlich hartnäckig. Die Selbstmordrate im Hochsicherheitstrakt war unglaublich niedrig, was weniger an den versuchten Suiziden lag als vielmehr an einer gut funktionierenden Überwachung. Auch Calypso gelang es nicht, der täglich neuen Qual durch seinen vorzeitigen Tod zu entfliehen. Häftling Nummer NA-3409-12812-G17-A4- 23 war auch weiterhin dazu verdammt, die stumpfsinnige tägliche Küchenarbeit auszuführen. Denn wer sich weigerte zu arbeiten, wurde vom normalen Essen ausgeschlossen und bekam kalorienreiche Proteinnahrung über eine Magensonde, ein äußerst unangenehmer Vorgang. Das System auf dem Gefängnisplaneten war perfekt und effektiv. Ob man das Ganze wirklich menschenwürdig bezeichnen konnte, war eine andere Frage.

Da es sich bei allen Insassen jedoch um Schwerverbrecher handelte, die selbst keine Menschlichkeit kannten, war davon auszugehen, dass man die Behandlung angemessen nennen konnte.

 

New Tortuga, Störtebeker-Central

Es hätte Calypso zutiefst befriedigt zu hören, dass es durchaus jemanden gab, der sich Gedanken über seine Befreiung vom Gefängnisplaneten machte. Das Wissen und die Forschungsergebnisse des Mediziners waren speziell der Tendri-Makaal, den Waffenhändlern der Galaxis, sehr wichtig. Die Gilde der Händler des Todes, die in ihren Reihen auch eine beachtliche Anzahl an berufsmäßigen Mördern beinhaltete, besaß viele Interessen. Waffenentwicklung und galaxisweiter Handel waren wohl der wichtigste Zweig. Die Beseitigung unliebsamer Regierungen gehörte allerdings ebenso zum Repertoire wie der Aufbau sicherer Handelswege und die Unterhaltung hoch entwickelter Forschungsstätten. Fast alles, was die Mitglieder der Tendri-Makaal taten, diente der Erhöhung des Profits. Das Netzwerk erstreckte sich quer über fast alle Planeten, obwohl kaum jemand der normalen Bevölkerung von ihrer Existenz wusste. Die Gilde der Händler des Todes verfügte über schier unerschöpfliche Geldmittel und ein Heer von offiziellen wie inoffiziellen Mitarbeitern.

Jasha Solomon, ausgebildete und ungeheuer effektiv arbeitende Assassine vom Planeten Soljan, gehörte auch zu diesen Mitarbeitern, allerdings nur gezwungenermaßen. Im Zuge der Abstimmung über die neue Lex Galactica hatte sie einen Auftrag auf New York Planet ausführen sollen, der allerdings völlig aus dem Ruder gelaufen war. Sie hatte widerwillig die Hilfe der Tendri-Makaal in Anspruch nehmen müssen, dafür sollte sie im Gegenzug einen Auftrag ausführen. Dieser Auftrag beinhaltete die Ablieferung von Vincente Calypso, der zu jener Zeit noch nicht verhaftet worden war. Bevor sie den Arzt jedoch in seinem Versteck aufspüren konnte, war es dem Kopfgeldjäger GD Cavelorn gelungen, in Zusammenarbeit mit seinem Vater Damien und dessen Partnerin Amber Donegal, den Verbrecher dingfest zu machen.

Jasha war nicht mehr rechtzeitig eingetroffen, und im Kampf gegen den Kopfgeldjäger war sie mit ihrem Schiff unterlegen gewesen. Sie hatte auch diesen Auftrag nicht ausführen können, für die Auftragsmörderin ein praktisch unhaltbarer Zustand. Bisher hatte sie es vermeiden können, sich der Händlergilde zu verpflichten, um ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Assassinen ihres Standes nahmen nur bestimmte Aufträge an und gingen dafür auch lächelnd in den Tod, falls es notwendig war. Für die Waffenhändler war sie lebend deutlich wertvoller, und solange sie Calypso nicht abgeliefert hatte, konnte sie sich nicht von ihnen lösen. Also musste sie einen Weg finden, den Mann aus dem sichersten Gefängnis der Galaxis zu befreien.

Auf Neo Alcatraz war der Mann aber selbst für die Assassine, die aufgrund ihrer königlichen Herkunft über beste Verbindungen verfügte, nicht einfach erreichbar. Solomon konnte jederzeit auf das Netzwerk und die Hilfe der Tendri-Makaal zurückgreifen, doch sie würde sich damit immer weiter in die Hände der gierigen Kraken begeben und schließlich gar nicht mehr selbst über ihr Leben und ihre Aufträge entscheiden können.

Nein, sie musste einen Weg finden, Calypso aus dem Gefängnis zu holen, ohne auf die Macht der Waffenhändler zurückzugreifen. Die Möglichkeiten waren jedoch begrenzt, ihre Familie und das Königshaus würden sie nicht offen unterstützen, hier war eher das Gegenteil der Fall. Sie würde einen anderen Weg finden müssen, mit dem sie keine weiteren unmöglichen Verpflichtungen eingehen musste.

Eine Möglichkeit gab es noch, die allerdings barg ein großes Risiko: Luzifer Rose. Er gehörte zum Gilden-Rat der Söldnergemeinschaft auf New Tortuga und hielt neben Macht und Einfluss auch eine Schar von Söldnern unter persönlicher Kontrolle. Seine Beziehungen reichten ebenfalls über die ganze Galaxis, doch besaß er nicht die Macht, Regierungen zu stürzen oder Gesetze auszuhebeln. Das lag auch nicht in seiner Absicht. Er wusste, dass die Tendri-Makaal von einem Triumvirat geleitet wurde, deren Personen sich gegenseitig nicht ausstehen konnten und nur um der Profitgier willen zusammenarbeiteten. Er selbst führte sein Unternehmen allein, musste sich mit niemandem abstimmen und trug Entscheidungen wie auch die gesamte Verantwortung selbst. Nur als Mitglied des Rates bestimmte er über die große Linie der Söldner, kochte aber insgeheim sein eigenes Süppchen. Er hatte bereits mit Solomon zu tun gehabt, einer ihrer Auftraggeber hatte einst seinen Tod angeordnet. Doch aufgrund bestimmter Umstände hatte Jasha den Auftrag storniert und den Auftraggeber überredet, ihn komplett zurückzuziehen. Im Gegenzug hatte Rose ihr geholfen.

Eigentlich hätte die geschäftliche Beziehung damit beendet sein können, aber ganz so war es doch nicht. Geschäfte funktionierten immer auf Gegenseitigkeit, das galt für die Söldner ebenso wie für die Tendri-Makaal. Luzifer Rose, den Damien Cavelorn wegen seines Aussehens einmal als Buddha bezeichnet hatte, war durchaus in der Lage, Emotionen zu empfinden und dementsprechend in Ausnahmefällen zu handeln. Doch er hatte sich auch Grundregeln gegeben, an die er sich hielt, selbst wenn er dadurch ein Geschäft verlor. Er hatte eine seltsame Vorliebe für Jasha Solomon, er würde einiges dafür geben, könnte er sie zu seinen persönlichen Kämpfern zählen. Doch die Attentäterin war eine Einzelgängerin, die sich nur unter großem Zwang jemandem verpflichtete.

Gilde-Rat Rose saß in seinem Arbeitszimmer, das sich auf dem Freihandelsplaneten New Tortuga, in der Hauptstadt Störtebeker-Central befand. Statt einer Einrichtung gab es eine Dschungellandschaft im Raum, schwül-warme Luft und eben Luzifer Rose. Der kleine dicke Mann besaß am ganzen Körper kein einziges Haar, und sein Gesicht war so still und friedlich wie bei einem Engel. Jovial wirkte er, freundlich und harmlos. Das täuschte jedoch niemanden in seiner Umgebung darüber hinweg, welchen Charakter er besaß. Obwohl er seine Angestellten recht gut bezahlte und im Allgemeinen ordentlich behandelte, gab es durchaus Personen, die weder für Geld noch für gute Worte in seine Dienste treten würden. Sobald Rose die Geduld verlor oder sich über etwas ärgerte, verschwand seine Jovialität. Er hatte bereits bedenkenlos einige seiner Söldner töten lassen, weil sie versagt hatten. Dieses Versagen hatte ihn damals eine Menge Geld und auch einiges an Reputation gekostet. Das wollte und konnte er sich nicht bieten lassen. Seit diesem Zeitpunkt hatte es allerdings keine solchen Fehlschläge mehr gegeben. Söldner, die für Rose arbeiteten, führten ihren Auftrag um jeden Preis aus, selbst wenn es sie das eigene Leben kostete. Für die Hinterbliebenen sorgte Luzifer allerdings großzügig, auch das wusste jeder.

Mittlerweile rankten sich Geschichten und Gerüchte um den Mann, dessen Heimatplanet kaum bekannt war – genau genommen wusste niemand, woher er stammte. Er hatte es bis heute verstanden, sich weder die Tendri-Makaal zu Feinden zu machen, noch sich den Gesetzen der neuen Lex Galactica vollständig zu beugen. Er war klug genug, keine Aufträge anzunehmen, die seine Leute nicht erfüllen konnten, und er reizte seine Möglichkeiten nicht bis zum Äußersten aus. Alles in allem konnte man von Rose sagen, dass Geschäfte mit ihm nicht mehr als einen Handschlag brauchten, solange sie auch vom Auftraggeber punktgenau eingehalten wurden.

Jasha Solomon kannte alle Gerüchte, die man sich über den Söldnerführer erzählte. In gewisser Weise war er vertrauenswürdig.

Für die Soljanerin war er im Augenblick die letzte Hoffnung. Sie wollte lieber Rose verpflichtet sein, als ein weiteres Mal die Hilfe der Tendri-Makaal in Anspruch zu nehmen. Es ging ihr nicht um Geld, im Augenblick würde sie gerne dafür bezahlen, wenn es eine Chance gäbe, den Verbrecher Calypso zu befreien. Alles Geld der Galaxis vermochte es jedoch nicht, auch nur einen der Gefängniswärter zu bestechen. Es handelte sich durchweg um genmanipulierte Lebewesen. Obwohl derartige Manipulationen als Verbrechen galten und mittlerweile in der ganzen Galaxis verboten waren, hatte die Regierung auf New York Planet keine Hemmungen besessen, die daraus entstandenen Wesen für eigene Zwecke einzusetzen. Die Genmodifikationen hatten dazu geführt, dass einmal erteilte Befehle unbedingt und ohne emotionale Empfindung ausgeführt wurden, mochte es sich um die Bewachung der Gefangenen handeln oder als angstfreie Vorhut bei einer kriegerischen Auseinandersetzung vorneweg zu gehen; diese Lebewesen widersprachen nicht, und sie besaßen keine moralischen Skrupel, sie führten einfach ihre Befehle aus.

Es war nur einem Zufall zu verdanken, dass die Regierung diese Leute schneller in die Finger bekommen hatte als die Tendri-Makaal, in deren geheimem Auftrag sie überhaupt erst entstanden waren. Die Händler des Todes hätten mit Sicherheit andere Verwendungszwecke gefunden. Diese Tatsache allerdings erschwerte die Arbeit von Jasha Solomon. Sie brauchte Zugang zum Gefängnisplaneten – offiziellen Zugang, denn nicht einmal Besuche von Angehörigen waren dort erlaubt. Sie kämen allerdings auch nicht vor.

Es kostete Jasha keine große Mühe, auf dem Freihandelsplaneten zu landen. Schließlich konnte sich dort jeder aufhalten, der über genügend Geld verfügte. Und Geld war wirklich das Letzte, woran es Solomon mangelte. Sie ließ es ganz im Gegenteil sehen, dass sie keine Begrenzung auf ihrem Konto besaß. Sie hatte nach dem Zusammenstoß mit Cavelorn die Flucht ergriffen und auf einem kleinen, fast unbekannten Planeten eine neue Identität gekauft. Es kümmerte sie wenig, dass dafür ein Lebewesen hatte sterben müssen. Sie schlüpfte in das Leben von Akira Steels, die niemand vermissen würde. In der vollständig vernetzten Gesellschaft war es fast unmöglich, eine Identität aus dem Nichts zu erschaffen, viel einfacher und praktischer war als, eine bestehende Identität zu übernehmen, was in gewissen Kreisen zu einem blühenden Handel mit den entsprechenden Dokumenten führte. Es brauchte nur wenige Modifikationen der globalen Daten und die Implantation eines eigentlich streng verbotenen ID-Chips, der die Individualdaten des nun toten Lebewesens besaß. Mit genügend Geld waren diese Vorkehrungen kein größeres Problem.

Die bisher ausgeführten Aufträge hatten die Konten von Solomon gut gefüllt, und als sie nun mit einem geleasten Luxus-Raumschiff New Tortuga anflog, war ihre Identität über jeden Zweifel erhaben. Akira Steels war vorgeblich eine reiche Erbin, die unbedingt ein paar Abenteuer erleben wollte. Der Freihandelsplanet bot in dieser Hinsicht eine Menge Möglichkeiten, sofern die Frau nicht vorher ausgeraubt oder umgebracht wurde, oder beides. Sie brachte ihr Schiff an einer Dockingstation im Weltraum unter und stieg auf dem Planeten in einem der besten und teuersten Hotels ab. Jasha entsprach voll und ganz dem Schönheitsideal der meisten humanoiden Völker, sie spürte die bewundernden Blicke von Gästen und Personal, als sie eincheckte. Die beträchtliche Summe für den Aufenthalt von mindestens drei Tagen wurde sofort von ihrem Kreditchip eingezogen. Hier gab es kaum eine Dienstleistung oder ein Produkt, das nicht im Voraus bezahlt werden musste. Schließlich gab es auf diesem Planeten keine Gewähr, dass der Kunde auch am nächsten Tag noch Geld besaß – oder noch lebte. Die Verführungen und Möglichkeiten waren vielfältig, sodass zahlreiche Besucher den Anreizen erlagen. Jedes in der Galaxis bekannte Rauschmittel war hier ebenso erhältlich wie sämtliche erotischen Dienstleistungen, die sich ein Lebewesen nur ausdenken konnte. Dazu kamen zahllose Casinos, in denen vom einfachen Kartenspielen über Wetten bis hin zum Glücksspiel unter Einsatz des eigenen Lebens keine Grenzen vorhanden waren. Und wem das alles noch nicht reichte, der konnte Waffen, Schiffe oder Sklaven kaufen; Bergwerke wechselten die Besitzer, und ganze Asteroiden wurden verschachert. Assassinen konnten angeheuert werden, und auch Leibwächter aus allen bekannten Rassen boten ihre Dienste an.

Jasha befand sich nicht zum ersten Mal hier. Die Gilde der Attentäter unterhielt auf New Tortuga eine Niederlassung, dort wurden Angebote und Aufträge vermittelt. Attentäter von der Klasse Solomons suchten sich ihre Aufträge und besonders die Auftraggeber sorgfältig aus. Sie hatten es nicht nötig, jeden Auftrag zu akzeptieren, und konnten es sich leisten, einen Kunden abzulehnen, weil ihnen sein Aussehen oder sonst etwas nicht passte.

Jasha war sicher, dass niemand sie erkennen würde. Es gab nur wenige Lebewesen, die sie persönlich kannten und daher wiedererkennen konnten. Ihre Maske als Akira Steels war so gut, dass nicht einmal ein Soljaner ihre Tarnung so einfach durchschauen würde. Eine Frau ihres vorgeblichen Standes konnte allerdings auch nicht ohne Bodyguard auftreten – jedenfalls nicht auf einem Freihandelsplaneten. Doch das Hotel bot in der Tat jede denkbare Annehmlichkeit. Sie erhielt einen schweigsamen Mann von Englands Glory als Leibwächter gestellt. Jetzt musste sie nur noch einen Weg finden, ein Gespräch mit Luzifer Rose zu erlangen. Ihre Maske verhinderte, dass sie einfach den Söldnerführer aufsuchen konnte, ihre wahre Identität wagte sie jedoch nicht zu offenbaren. Rose war dafür bekannt, nur mit wenigen Kunden persönlich zu verhandeln. Sie befürchtete zu Recht, dass er sie als Akira Steels nicht empfangen würde. Jasha Solomon jedoch wurde in der ganzen Galaxis als Attentätern gesucht, und auch, wenn eine Verhaftung und Auslieferung nicht sehr wahrscheinlich waren, würde ihre wahre Identität einfach zu viel Aufsehen hervorrufen und ihren Aufenthaltsort in Kometenschnelle überall bekannt machen.

Natürlich hatte Rose zu ihr gesagt, sie könnte sich persönlich bei ihm melden, falls es noch einmal etwas zu besprechen gab. Und natürlich gehörte er zu den wenigen, relativ vertrauenswürdigen Personen, mit denen Solomon überhaupt offen reden konnte. Das hieß aber noch längst nicht, dass er Steels eine Audienz gewähren würde, solange sie die Maske aufrechterhielt.