Entführer meines Herzens

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2017

Copyright Cartland Promotions 1985

 

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

1~ 1889

»Wenn Sie mich nicht heiraten wollen, dann bringe ich mich um!«

Der junge Mann sprach erregt, während er mit großen Schritten den Raum durchquerte. Am Fenster blieb er stehen und starrte auf die Fifth Avenue hinunter.

Orina Vandeholt, die auf dem Sofa saß, erstarrte.

»Aber Clint«, sagte sie, »wie können Sie nur solchen Unsinn reden!«

»Es ist wahr«, entgegnete er. »Ich liebe Sie seit vier Monaten. Ich habe Sie hundertmal am Tag gebeten, meine Frau zu werden. Aber nun bin ich mit meiner Geduld an Ende. Ich kann nicht mehr!«

Er verhielt sich so theatralisch, daß sich Orina vom Sofa erhob.

 »Wenn Sie so reden«, sagte sie leise, »dann verlasse ich Sie.«

»Nein, nicht, hören Sie mich an! Ich liebe Sie! Ich liebe Sie doch! Ohne Sie kann ich nicht leben!«

Orina musterte ihn nachdenklich. Clint war ein sehr gutaussehender junger Mann. Und doch haftete ihm etwas Unausgeglichenes und Schwächliches an, das sie nicht mochte.

Im Grunde mochte Orina die meisten Männer nicht.

In den beiden letzten Jahren hatten sie sie unablässig verfolgt, was Orina nicht nur verschreckt, sonden auch mit tiefem Mißtrauen erfüllt hatte. Mit Männern, die ihr ihr Herz zu Füßen legten, so. dachte sie, stimmte doch irgend etwas nicht.

Orina war ausschließlich von englischen Gouvernanten aufgezogen und von englischen Lehrern in einem englischen Internat unterrichtet worden.

Von Männern verstand sie nichts und vom gesellschaftlichen Leben nur sehr wenig.

Ein Amerikaner hatte einst das Herz ihrer Mutter Lady Muriel Loth, Tochter des Grafen von Kinloth, bei deren erstem Londoner Aufenthalt im Sturm erobert.

Lady Muriels Eltern wäre es nie im Ttaum eingefallen, daß eine ihrer Töchter jemals einen Mann als möglichen Ehemann in Erwägung ziehen würde, der den Atlantik überquert hatte.

Eigentlich war Dale Vandeholt in England nur deshalb geduldet worden, weil er sehr reich war. Zufällig war er ebenfalls außergewöhnlich intelligent.

Er war nach England gekommen, um seine originellen Ideen über Maschinen-, Eisenbahn- und Schiffsbau vorzustellen, die überall auf großes Interesse stießen. Sogar der Kronprinz hatte ihm seine Anerkennung gezollt.

Vandeholt war ein äußerst gutaussehender, sympathischer junger Mann. Und dennoch war es den Eltern der heiratsfähigen Töchter nie in den Sinn gekommen, daß er in ihre Familie einheiraten könnte.

Lady Muriel war beim ersten Mal, da sie ihn sah, sofort klargeworden, daß er anders war als sämtliche Männer, denen sie bis dahin begegnet war.

Anläßlich ihrer Einführung bei Hofe hatte ihr Vater in der Saison zuvor einen großen Ball organisiert. Daraufhin erhielt sie von jeder Dame, die sie eingeladen hatte, eine Einladung zu deren Ball, und sie hatte überall außerordentlich viel Erfolg.

Sie war ein sehr schönes, zurückhaltendes junges Mädchen. Ihre ganze Familie zeigte sich daher äußerst überrascht, als sie mit fester Stimme erklärte, sie wolle Dale Vandeholt heiraten.

Ihr Vater hatte gewettert und ihre Mutter geweint. Ihre Verwandten hatten über den Amerikaner gespottet und Muriel inständig gebeten, ihn nicht zu heiraten.

Doch sie hatte auf ihrem Entschluß beharrt, den Mann zu heiraten, den sie liebte. Falls sich ihr Vater ihren Plänen weiterhin widersetzte, so hatte sie gesagt, werde sie von zu Hause fortlaufen.

»Von zu Hause fortlaufen« bedeutete in diesem Zusammenhang nicht etwa, nach Gretna Green zu gehen oder an einen anderen Ort auf den britischen Inseln. Nein, damit war der Weg über den Atlantik gemeint!

Schließlich gab der Graf seinen Widerstand auf.

Nur widerstrebend nahm die Familie an Lady Muriels Hochzeit teil. Noch auf dem Weg zur Kirche debattierten die junge Braut und ihr Vater miteinander, jedoch ohne sich näherzukommen.

Danach reisten Muriel und Dale Vandeholt nach New York.

Trotz allseitiger Befürchtungen entwickelte sich ihre Ehe ausgezeichnet, und die beiden wurden sehr glücklich miteinander.

Dale Vandeholt stellte sich als ein weitaus kultivierterer Mensch heraus, als die Engländer gemeinhin angenommen hatten. Er hatte die Klugheit vom Vater und den Charme von seiner Mutter geerbt. Dazu verfügte er über kraftvollen Schwung und Optimismus — Eigenschaften, die ihn stets unbeirrt seinen eigenen Weg gehen ließen.

Da er fest entschlossen war, seine Frau glücklich zu machen, kletterte Dale die Erfolgsleiter so leichtfüßig hinauf, daß jedermann, der ihn dabei beobachtete, außer Atem geriet.

Alles, was er anfaßte, schien sich in pures Gold zu verwandeln.

Als man schließlich auf seinem Land in Ibcas auf Öl stieß, lachte seine Frau übermütig.

»Nunmehr hast du alles erreicht, Liebling«, meinte sie, »mehr kannst du wirklich nicht verlangen.«

»Alles, was ich habe, gehört dir«, antwortete ihr Mann liebevoll. »Du wolltest, daß ich ein bedeutender Mann werde, und danach habe ich gestrebt.«

 Dann hatte er sie zärtlich geküßt.

Lady Muriel hatte stets an ihn geglaubt, und dieser Glaube hatte ihn dazu angespornt, von Gipfel zu Gipfel zu stürmen. Oder besser gesagt, da es sich um Amerika handelte, von Wolkenkratzer zu Wolkenkratzer.

Das einzige, das Muriels und Dales Glück trübte, war die Tatsache, daß die Ärzte Muriel nach der Geburt ihrer ersten Tochter eröffneten, es sei besser für sie, wenn sie keine weiteren Kinder mehr bekäme.

»Die nächste Geburt bringt sie möglicherweise um«, warnten sie den Ehemann.

Dabei hätte Dale Vandeholt gerne ein Dutzend Söhne gehabt.

Da dies jedoch unmöglich war, rang er sich dazu durch, sich mit seiner Tochter Orina zu bescheiden.

Dann schlug das Schicksal zu.

Als Orina kaum zehn Jahre alt war, starb Lady Muriel.

Sie war an einer Bauchfellentzündung erkrankt, gegen die damals noch kein Mittel bekannt war, das die Kranken davor bewahrt hätte, zwar schnell, jedoch schmerzvoll zu sterben.

Dale Vandeholt brach es das Herz.

Er fühlte, wie angesichts des Verlustes seiner geliebten Frau alles, wonach er gestrebt hatte, wertlos geworden war.

Lady Muriels Vater, der noch kein alter Mann genannt werden konnte, schrieb ihm nach dem Tod der Tochter einen langen Brief und unterbreitete ihm folgenden Vorschlag:

Da meine Enkelin nun niemanden mehr hat, der sie anleitet, wäre es im Interesse des Kindes am besten, wenn Sie erlauben würden, daß sie in England, wenigstens ein paar Monate im Jahr, erzogen wird.

Ich bin sicher, daß Muriel — wäre sie noch am Leben — wünschte, daß ihrer Töchter die Anmut zu eigen wäre, die in einem solch neuen Land wie dem Ihren ein wenig fehlt, und daß sie den Mitgliedern der Familie begegnet, unter denen ihre Mutter aufwuchs.

Unter ihnen wird sie Freunde finden und natürlich auch einen zukünftigen Ehemann, wenn sie ihr Debüt macht. . .

Dale Vandeholt verstand genau, was sein Schwiegervater damit sagen wollte. Er wußte nur zu gut, warum er seine Frau so innig geliebt hatte: Sie hatte sich so wohltuend von jenen aufdringlichen und eher lauten amerikanischen Frauen unterschieden.

Er fand stets, daß es ihnen an Schliff fehlte und an dem, was der Graf die »Anmut« nannte, die englischen Frauen zu eigen war.

Also schickte er Orina — wenn auch schweren Herzens — zu ihrem Großvater nach England, jedoch erst nachdem Einverständnis darüber erzielt worden war, daß sie mindestens zwei Monate im Jahr zu ihm kommen konnte.

Der Graf war überglücklich.

Und auch Orina genoß es, im angestammten Haus der Familie in Huntingdonshire zu leben.

Es war ein wunderschönes Haus mit einer kostbaren Einrichtung und einem großen Grundbesitz. Im Gegensatz zum geschäftigen Reiben jenseits des Atlantiks war hier alles wohl geordnet, geruhsamer und friedlicher.

Orina beobachtete oft ihre Großmutter, wie sie ihre Gäste mit zurückhaltender Würde empfing. Es erinnerte sie an die Bewegungen bei einem Ballett.

Sie beobachtete die Diener bei den Mahlzeiten, die nie einen Fehler machten und ihre Pflichten so verrichteten, als würden sie von einer nicht wahrnehmbaren Stimme dirigiert.

Auch die Gäste, so bemerkte sie, verhielten sich völlig anders als die lauten und plappernden Amerikaner. In Amerika unterhielt man sich quer über den Tisch hinweg, in England hingegen nur mit seinem Tischnachbarn zur Rechten und zur Linken.

Im Unterschied zu jedem anderen Mädchen ihres Alters erhielt Orina so eine zweifache Erziehung. Aus beiden Ländern stand ihr das Beste zur Verfügung.

Ihr Großvater war zwar ein reicher Mann, doch ihr Vater hatte darauf bestanden, daß er für alles aufkam, was sie benötigte. Er hatte sie mit einem beschämend großen Bankkonto nach England geschickt, von dem sie Geld abheben konnte, wann immer es ihr gefiel.

Da ihr Großvater wollte, daß sie ihre erste Saison in London verbrachte, wurde sie von ihrer Großmutter bei Hofe eingeführt.

Sie besuchte einen Ball nach dem anderen.

Beim Pferderennen in Ascot saß sie in der königlichen Loge, und war zweifelsohne das hübscheste Mädchen der Saison.

Es war natürlich nicht allein ihre Schönheit, die dazu führte, daß man ihr einen Heiratsantrag nach dem anderen machte. Die Geschichten über den Reichtum ihres Vaters und die Tatsache, daß sie ein Einzelkind war, trugen zu ihrem durchschlagenden Erfolg nicht unerheblich bei.

Orina wäre ein ungewöhnlicher Mensch gewesen, hätte sie nicht gegen Ende der Saison über ein sehr gesundes Selbstvertrauen verfügt.

Zu diesem Zeitpunkt segelte sie auf Wunsch ihres Vaters nach New York zurück. Sie wurde von einer Anstandsdame, einem Reiseleiter und einer Kammerzofe begleitet. Die schönste Luxussuite auf dem Schiff stand zu ihrer Verfügung.

Ihr Vater holte sie in New York ab, wo sich viele Pressefotografen eingefunden hatten, um sie abzulichten, als wäre sie eine königliche Hoheit.

Dale Vandeholt hatte bereits den größten Ball vorbereitet, den New York je erlebt hatte.

Noch vor dem Ball gab er ein Dinner für fast dreihundert Personen und eine Anzahl weiterer Gäste, die später eintrafen. Jeder der Gäste erhielt ein Geschenk aus Gold, in das Orinas Initialen eingraviert waren..

Drei Orchester spielten zum Tanz auf, eines davon war das bekannteste und erfolgreichste Orchester New Yorks. Das zweite war ein Zigeunerorchester, das eigens zu diesem Zweck aus Ungarn verpflichtet worden war. Das dritte, das Country Music spielte, stammte von der Vandeholt Farm.

Von diesem gesellschaftlichen Ereignis sprach man noch lange in New York.

Es waren schließlich allerlei ungewöhnliche Dinge zu besichtigen gewesen.

So gab es einen Springbrunnen, der Parfüm versprühte und einen eigens im Park angelegten See mit Gondeln.

Um Mitternacht wurde ein Feuerwerk gezündet, das den Himmel in ein Farbenmeer verwandelte.

Alles in allem war es die teuerste und aufregendste Zurschaustellung, die man je gesehen hatte. 

Wie nicht anders zu erwarten, amüsierte sich Orina köstlich.

In den folgenden Monaten erhielt sie sogar noch mehr Heiratsanträge als in London.

Doch eines Tages hatte sie genug.

»Laß uns zur Farm fahren, Papa«, bat sie ihren Vater.

Er lachte.

»Willst du all deine Bewunderer allein lassen?«

»Alle sagen immer dasselbe«, beschwerte sich Orina. »Und während sie mich mit vor Bewunderung glänzenden Augen ansehen, rechnen sie im Kopf aus, wieviel Geld du wohl im vergangenen Jahr verdient hast!«

Ihr Vater hob abwehrend seine Hände.

»Erst achtzehn und schon Zynikerin? Das darf nicht wahr sein!«

»Ich bin nicht zynisch«, verteidigte sich Orina. »Ich bin nur so praktisch veranlagt wie du, Papa. Es ist besser, den Tatsachen realistisch ins Auge zu sehen, als an Märchen zu glauben.«

Zu ihrer Überraschung lachte er nicht, sondern sah sie ernst an.

 »Märchen gibt es immer wieder«, antwortete er ruhig. »Als ich deiner Mutter begegnete, wurde mein Märchen jedenfalls Wirklichkeit.«

»Das weiß ich doch, Papa«, sagte Orina sanft. »Ich kann mich daran erinnern, daß Mama sagte, wie wunderbar sie dich fand. In dem Augenblick, in dem sie dich erblickte, schlug ihr Herz einen Purzelbaum.« Sie zögerte einen Augenblick. »Leider habe ich so etwas noch nie erlebt«, fügte sie dann leise hinzu.

»Das kommt noch«, meinte ihr Vater. »Ich verspreche dir, daß du es eines Tages auch erlebst, und aus diesem Grund möchte ich, daß du mir dein Wort gibst, nur einen Mann zu heiraten, den du liebst und von dem du überzeugt bist, daß er dich um deiner selbst willen begehrt.«

Orina nickte, und ihr Vater setzte hinzu: »Ich war immer der Meinung, es sei schlecht für dich, daß du ein Einzelkind geblieben bist, aber da Gott mir in meinem Leben so viel geschenkt hat, darf ich nicht so unverschämt sein, noch mehr von ihm zu verlangen. Aus diesem Grund jedoch trägst du eine große Verantwortung.«

»Das weiß ich«, sagte Orina.

»Es ist nicht allein die Verantwortung für andere Menschen«, fuhr Dale Vandeholt fort, »sondern du mußt auch noch die Spreu vom Weizen trennen, mein Schatz — und dies ist eine sehr schwierige Aufgabe.«

Orina seufzte leise, und da sie nichts erwiderte, sah ihr Vater sie nach einer Weile streng an.

»Wenn du dies alles schon entdeckt hast, so hat es dich doch nicht geschmerzt, oder?«

»Nein, natürlich nicht!« antwortete Orina schnell, allzu schnell.

Sie sagte weiter nichts mehr, und Dale Vandeholt war feinfühlig genug, um zu wissen, daß er nicht weiter in sie dringen durfte.

Sie hatten sich auf die Farm begeben, und er war glücklicher, als er nach dem Tod seiner Frau je gewesen war.

Sie ritten gemeinsam aus und unterhielten sich bis spät in die Nacht hinein. Eines Tages nach dem Abendessen erzählte er ihr von seinen Zukunftsplänen und den verschiedenen Unternehmungen, an denen er im Augenblick beteiligt war.

Er war klug genug gewesen, um zu erkennen, daß er nicht alles allein erledigen konnte. Also hatte er sich nach ehrgeizigen jungen Männern umgesehen, die er als Verwalter einstellte. Sie besaßen, davon war er überzeugt, denselben intuitiven Sinn dafür, was richtig und was falsch war, wie er.

Nacht für Nacht fuhr er damit fort, Orina seine Geschäftsgeheimnisse anzuvertrauen.

Sie ließ sich von dem riesigen Geflecht, das er über ganz Amerika ausgebreitet hatte, begeistern und faszinieren.

»Dies ist ein großartiges Land — und ein neues dazu«, sagte ihr Vater. »Die Möglichkeiten, etwas zu entwickeln, warten nur darauf, daß sie von einem fähigen Kopf aufgegriffen werden.«

»Deshalb kann sich Amerika glücklich preisen, daß es dich gibt, Papa.«

»Ich bin stolz auf das, was ich bisher erreicht habe«, antwortete er. »Zugleich gibt es Raum genug für jedermann — es besteht also keine Veranlassung, mich zu beneiden. Aber eins solltest du wissen, Orina: Man darf beim Bauen und Entwickeln nicht nur an sich selbst, sondern muß auch an das Land denken.«

Er zeigte Orina seine Pläne für die Weiterentwicklung der Eisenbahnlinien, die seiner Meinung nach noch in den Kinderschuhen steckten.

Dale Vandeholt besaß viele Maschinenbaufabriken jeglicher Art in verschiedenen Großstädten.

Männer seines Vertrauens gingen in seinem Auftrag nach Europa, um dort die neuesten Entwicklungen auszuspionieren. Ihre Aufgabe bestand auch darin, Männer mitzubringen, die die Gelegenheit, ihre neuesten Ideen in die Praxis umzusetzen, beim Schopf ergreifen wollten.

»Du bist sehr, sehr gescheit, Papa«, sagte Orina ehrfürchtig.

»So mußt du irgendwann in der Zukunft auch sein«, meinte ihr Vater ruhig.

Sie starrte ihn an.

»Erwartest du von mir, daß ich — falls dir etwas zustoßen sollte — dein Werk fortführe?«

»Selbstverständlich!« rief er aus. »Das ist dein Schicksal! Es muß erfüllt werden, sonst hätte ich vergebens gelebt.«

Orina schlang ihre Arme um seinen Nacken.

 »Du bist noch sehr jung, Papa«, sagte sie. »Ich brauche mir meinen Kopf noch nicht darüber zu zerbrechen, was ich tue, wenn ich dich verliere. Und natürlich möchte ich noch viel von dir lernen und genau das tun, was du von mir erwartest.«

Dale Vandeholt küßte sie.

 »Irgendwie kommt es einem vielleicht ungerecht vor, mein Liebes«, murmelte er, »daß du sowohl Schönheit als auch Intelligenz besitzt. Aber ich bin sehr, sehr froh darüber.«

Sie hatten sich noch eine Zeitlang auf der Farm aufgehalten, bevor Dale Vandeholt seine Tochter auf eine Rundreise zu seinen großen Besitztümern mitgenommen hatte.

Mit seiner eigenen Eisenbahn fuhren sie zuerst nach Chicago und besuchten viele Orte im Westen. Dann machten sie sich nach Washington D.C. und schließlich nach Miami auf. Dale wollte Orina einige seiner Schiffsbaufirmen und seine fast fertiggestellte Jacht vorführen, die beinahe so groß wie ein Ozeandampfer war.

Dale Vandeholt war entschlossen, sich jede technische Spielerei zu leisten, die noch kein anderer besaß. So war er auch Eigentümer eines Motorschiffes, mit dem er jeder anderen Jacht auf dem Meer davonfahren konnte.

Für Orina war das alles weit aufregender, als auf einem Ball zu tanzen oder die Empfänge zu besuchen, die ihr Vater in jeder Stadt gab, in der sie sich aufhielten.

Das Jahr ging zu Ende, und es war an der Zeit, nach New York zurückzukehren. Doch Orina schlug vor, sie sollten zuerst noch einmal zur Farm fahren.

»Ich möchte auf einem deiner temperamentvollen Pferde reiten, Papa«, sagte sie, »die sich so wohltuend von den Schaukelpferdchen im Central Park unterscheiden!«

Ihr Vater lachte.

»Aber gern, mein Kind, das machen wir — obwohl es dir vermutlich auf dem Lande kalt werden wird.«

Orina lächelte.

Als sie beide das letzte Mal auf der Farm gewesen waren, hatte ihr Vater ihr die neue Heizungsanlage vorgeführt, die er hatte einbauen lassen. Sie unterschied sich von allem, was Orina bis dahin gesehen hatte.

Um ihr zu gefallen, hatte er sie eingeschaltet. Danach war es im Farmhaus, das recht groß war, unerträglich warm geworden.

Damals hatte Orina sich gedacht, daß sie im Winter, trotz der Kälte draußen, bestimmt nichts anderes als sommerliche Hitze spüren würde.

Sie waren also zur Farm zurückgekehrt und hatten dort das Weihnachtsfest verbracht.

Ihr Vater hatte ihr, neben vielen anderen Geschenken, die das Wohlgefallen jeder Königin gefunden hätten, ein Halsband aus kostbaren Orientperlen überreicht.

Noch mehr als über dieses Präsent hatte sich Orina jedoch gefreut, als sie die feurigen, nur teilweise gezähmten Pferde geritten hatte. Ihr Vater hatte sie selbst von Pferden aus dem besten Gestüt, das es gab, gezüchtet.

Auch am Tag vor ihrer Abreise nach New York ritten Orina und Dale Vandeholt gemeinsam aus.

Es war sehr kalt, und in der Nacht hatte es stark gefroren.

»Ein Galopp wärmt uns schnell auf«, meinte Dale Vandeholt.

»Komm, reiten wir um die Wette!« schlug Orina übermütig vor.

Schon ritten sie los.

Dann, gerade als Orina dachte, daß sie einen Vorsprung herausgeritten und daher vermutlich das Rennen gewonnen habe, hörte sie den Schrei ihres Vaters und ein lautes Krachen.

Sie brauchte einige Zeit, bevor sie ihr Pferd stoppen, es wenden und zu ihrem Vater zurückreiten konnte. Mit einem Blick erkannte sie, daß der Hengst, auf dem er geritten war, auf dem gefrorenen Boden ausgerutscht war. Das Tier war gestürzt und hatte seinen Reiter dabei unter sich begraben.

Nach einer Weile, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, fand Orina schließlich Hilfe. Dale Vandeholt wurde auf die Farm zurückgebracht.

Er hatte sich zahlreiche Knochenbrüche zugezogen und erlangte nicht mehr das Bewußtsein.

Der Tod ihres Vaters betrübte Orina so sehr, daß sie glaubte, das Ende der Welt sei angebrochen.

Am liebsten wäre sie ewig auf der Farm geblieben, doch dies war unmöglich. Freunde, Verwandte und die Leiter der umfangreichen Besitztümer bestanden darauf, daß sie nach New York zurückgehe.

Dort angekommen, stellte sich heraus, daß ihr Vater ihr alles, was er besaß, vermacht hatte. Dies brachte für sie enorm viel Arbeit mit sich.

Es ging nicht allein darum, Dokumente zu unterzeichnen. Vielmehr wurden Orina plötzlich Entscheidungen abverlangt, die sie allein unmöglich hätte treffen können.

Nie im Leben hatte Dale Vandeholt geglaubt, daß er bereits so jung sterben würde. Dennoch hatte er sich der Mitarbeit der besten Rechtsanwälte und Berater versichert, die sich um seinen Besitz kümmerten.

Orina wußte, daß sie sich in Zukunft an diese Männer wenden und ihnen vertrauen konnte. Sie schätzte sie ebenso sehr, wie ihr Vater dies getan hatte.