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[bachir]

Auserwählt

Bibelstudien zum jüdischen Volk, zum Land Israel,
zur Stadt Jerusalem und zum Berg Zion

Stefan Haas

© 2018 TOS Verlag, Tübingen, 1. Auflage

Buch:

ISBN: 978-3-9818040-2-7

eBook:

ISBN: 978-3-9818040-3-4

Die Bibelzitate in diesem Buch sind, wenn nicht anders angegeben, entnommen aus der Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

Zu den alttestamentlichen Datierungen verweise ich auf „Das Alte Testament. Entstehung – Geschichte – Botschaft“, von Helmuth Egelkraut (W. S. LaSor, D. A. Hubbard, F. W. Bush), Gießen 2012, 5. Auflage.

Satz: Stefan Gärtner

Lektorat: Carmen Shamsianpur, Nicole Anders

Umschlaggestaltung: Jonathan Rager, Annika Krempel

Ich widme dieses Buch meiner geliebten Familie
– meiner Frau Dorothee und meinen Kindern
Samuel, Judith und Simon,

unseren geistlichen Eltern – Jobst und Charlotte Bittner,
die uns gelehrt haben, das jüdische Volk
und Israel zu lieben,

und meinen vielen jüdischen Freunden in Leipzig und
Halle, Deutschland, Israel und in anderen Ländern,
deren Freundschaft mir sehr kostbar ist.

Inhalt

Statements

Auserwählt

1. Der Bund mit Abraham

1.1. Von der Urgeschichte zu Abraham

1.2. Die Berufung Abrahams

1.3. Weitere Etappen auf Abrahams Weg Vorbemerkungen zur weiteren Vorgehensweise

2. Das verheißene Land

2.1. Isaak

2.2. Jakob

2.3. Josef

2.4. Mose

2.5. Josua

2.6. Die Richter- und Königszeit

2.7. Die Propheten

2.7.1. Joel

2.7.2. Jesaja

2.7.3. Jeremia

2.7.4. Obadja

2.7.5. Hesekiel

2.7.6. Daniel

2.7.7. Sacharja

2.7.8. Nehemia

2.8. Schlussfolgerungen

2.9. Was sagt das Neue Testament zu den Landverheißungen?

2.10. „Damit erfüllt würde, was die Schrift sagt“

2.11. Die Ankündigung der Zerstörung Jerusalems

3. Die Bundesschlüsse

3.1. Das hebräische Wortfeld

3.2. Der Bund mit Noah

3.3. Der Bund mit Abraham

3.4. Der Bund mit Mose und dem Volk Israel

3.5. Die Geschichte der Bundeslade

3.6. Ein neuer Bund

3.7. Welcher Bund?

4. Das auserwählte Volk

4.1. Abraham und Isaak – der Sohn der Verheißung

4.2. Isaak und Jakob – der Auserwählte

4.3. Jakob und die 12 Stämme – das auserwählte Volk

4.4. Welche Beziehung hat Gott zum jüdischen Volk?

4.5. Der Geliebte

4.6. Der erstgeborene Sohn

4.7. Knecht Gottes

4.7.1. Was bedeutet es, ein „Knecht Gottes“ zu sein?

4.7.2. Wo wird diese Berufung Israels sichtbar?

4.7.3. Eine besondere Berufung

4.7.4. Eine besondere Geschichte

4.7.5. Besondere Offenbarung

4.7.6. Das Volk Israel im Buch der Offenbarung

4.7.7. Der besondere Preis

4.7.8. Was bedeutet das für uns?

4.8. Besetzte Plätze

4.9. Was ist der Römerbrief?

4.10. Amalek und die Entstehung von Antisemitismus

4.11. Eine verborgene Botschaft des Ester-Buches?

4.12. Hier ist nicht Jude noch Grieche?

5. Jerusalem und der Berg Zion

5.1. Abraham und Jerusalem

5.2. Die weitere Geschichte Jerusalems bis David

5.3. David und Jerusalem

5.4. Der Berg Zion

5.5. El Elyon

5.6. Endzeitliche Prophetien über Israel

5.7. Exkurs zum Umgang mit prophetischen Worten

5.8. Hauptlinien biblischer Endzeit-Prophetien über Jerusalem

5.8.1. Die erste Hauptlinie: Der letzte Kampf

5.8.2. Die zweite Hauptlinie: Geographische Veränderungen

5.8.3. Die dritte Hauptlinie: Veränderungen in den Herzen

5.8.4. Die vierte Hauptlinie: Gebetserweckung in Jerusalem

5.9. Das Tal der Entscheidung

5.10. Gedanken zum fünften Kapitel

6. Was sagt das Neue Testament zur Auserwählung?

6.1. Die Stämmbäume Jesu

6.2. „… damit die Schrift erfüllt würde“

6.3. Jesus und die Thora

6.4. Der zunächst exklusive Auftrag Jesu zum Volk Israel

6.5. Jesu Haltung zur Auserwählung

6.6. Der neue Bund

6.7. Der Missionsauftrag Jesu und die Berufung als Knecht Gottes

6.8. Jesu Umgang mit Schriftgelehrten, Pharisäern und Sadduzäern

6.9. Warnung vor falscher Heilssicherheit

6.10. Weitere Zitate des Neuen Testaments

6.11. Zusammenfassung des sechsten Kapitels

7. „Auserwählt“ – eine Zusammenfassung

7.1. Unsere Stellung im Nahost-Konflikt

7.2. Die Auserwählung des jüdischen Volkes

7.3. Auserwählung aus jüdischer Sicht

Literaturverzeichnis

Statements

Rabbi Zsolt Balla, Gemeinderabbiner der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig

Als mein Freund, Stefan Haas, mich um eine Rezension für sein Buch „Auserwählt“ bat, war ich zunächst etwas zögerlich. Ich glaube, es kommt nicht so oft vor, dass der Pastor einer Freikirche einen orthodoxen Rabbiner um ein Empfehlungsschreiben für ein Buch bittet, das er geschrieben hat – vor allem dann nicht, wenn es sich um ein Buch handelt, das sich mit vielen theologischen Bereichen befasst, bei denen Christentum und Judentum für gewöhnlich nicht auf der gleichen Seite stehen. Aber bei allem anfänglichem Zögern stand trotzdem nie in Frage, dass ich die Kapitel lesen würde, die er mir zur Ansicht geschickt hatte. Das liegt an der erstaunlichen Freundschaft, die sich seit dem Jahr 2011 zwischen Herrn Haas und mir entwickelt hat, als wir uns das erste Mal in den Büroräumen der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig begegnet sind. Es war eine sehr ungewöhnliche Begegnung zwischen einem Pastor und einem Rabbi; aber das aufrichtige und leidenschaftliche Bemühen von Herrn Haas, den gemeinsamen Nenner in unserem Gespräch zu finden, war mehr als überzeugend.

Ich glaube eigentlich, dass Christen und Juden häufig nicht den richtigen Ausgangspunkt finden, wenn sie sich auf einen interreligiösen Dialog einlassen. Wir sind unterschiedlich, und wir vertreten unterschiedliche theologische Positionen, die sich oft gegenseitig ausschließen. Erst wenn wir das anerkennen, können wird in einen echten Dialog eintreten.

Es scheint ein sehr mutiger Schritt für einen Pastor, sich so eingehend mit der Frage zu befassen, was es bedeutet, erwählt zu sein. Einer meiner ersten Lehrer sagte mir einmal, dass er stets Mühe mit dem Wort „erwählt“ gehabt hatte, und damit, wie die Menschen es im Allgemeinen verstanden. Er zog das Wort „kostbar“ oder „geschätzt“ vor. „Kostbar“ bedeutet nicht besser oder schlechter als andere. In dem Ausdruck „erwählt“ schwingt oft die Vorstellung von besser mit. Im Verlauf der Kapitel, die ich las, wurde deutlich, dass die Bedeutung, die Herr Haas dem Ausdruck „erwählt“ beimisst, viel treffender durch das Wort „kostbar“ oder „geschätzt“ wiedergegeben wird. Es ist meine feste Überzeugung, dass Herr Haas bis zum Äußersten ging, um zu beweisen, dass selbst die christliche Theologie diese Bedeutung nicht leugnen kann, und dass diese Erkenntnis der Anfang einer möglichweise fruchtbaren Zusammenarbeit ist.

Diese Zusammenarbeit entsteht nicht plötzlich. Wir haben die schwere Last vieler Jahrhunderte auf unsrer Schulter. Wir können unsere Vergangenheit nicht leugnen. Wenn wir aber aufrichtig und ehrlich sind, haben wir eine Chance – ganz besonders, wenn die Beteiligten an der Zusammenarbeit bereit sind anzuerkennen, dass wir nicht in allem einer Meinung sein müssen und dass wir unterschiedlich sind in dem, was wir glauben. Was wir aber haben, ist die Kraft der Annahme. Diese Annahme bedeutet auch intellektuelle Ehrlichkeit und die Bereitschaft zuzugeben, dass wir nicht immer alles ganz verstehen, was unsere eigene Religion uns lehrt. Wir müssen uns Zeit nehmen, um nachzudenken und uns von der göttlichen Lehre verändern zu lassen.

Ich wünsche Stefan und seiner „eshet chayil” – seiner tüchtigen Frau – Dorothee, und ihren wunderbaren Kindern Samuel, Simon und Judith viel Kraft, seine Anstrengungen fortzusetzen, die christliche Gemeinschaft auch weiterhin diese Werte und Erkenntnis zu lehren, die uns in wahrem Verständnis einander näher bringen können.

Max Privorozki, Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Sachsen-Anhalt, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Halle (Saale)

Lieber Stefan! Es ist für mich eine Freude und auch eine Ehre, ein paar Sätze für Dein Buch „Bachir – Auserwählt“ schreiben zu dürfen.

Ich bin kein Theologe und möchte daher keine Stellung zum Inhalt des Buches beziehen. Für mich ist aber etwas anderes wichtig: Du und Deine Gemeinde haben gezeigt, dass sich wahre Christen ganz klar gegen Antisemitismus stellen können – das war und ist sowohl in der christlich-jüdischen Geschichte als auch im gegenwärtigen Zusammenleben von Juden und Christen in Europa, und speziell in der Bundesrepublik Deutschland, nicht unbedingt selbstverständlich – und dass es wichtig ist, sich öffentlich zu positionieren und den Entscheidungsträgern in der Regierung, die für die staatlich gesteuerte Antisemitismusbekämpfung zuständig sind, Empfehlungen für die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und das aktive Eintreten gegen aktuellen Antisemitismus auszusprechen.

Ihr seid ein gutes Beispiel dafür, wie man effektiv gegen Antisemitismus kämpfen kann. Du hast absolut zutreffend erkannt, dass sich der gegenwärtige Antisemit unter der so genannten „berechtigten“ Kritik am Staat Israel tarnt und somit ein Alibi schafft. Es gibt leider zu wenige aufrechte Christen, die sich sofort beunruhigt fühlen, wenn jemand sagt: „Man kann doch Israelpolitik kritisieren, ohne sofort als Antisemit bezeichnet zu werden.“ Ebenso richtig hast du erkannt: Man kann alles kritisieren, auch den Staat Israel. Jedoch sollte man dabei fair bleiben und sich keine Doppelzüngigkeit erlauben.

Vor einem Jahr hatte ich in unserer Jüdischen Gemeinde zu Halle vorgeschlagen, der von Deinen geistigen Eltern Jobst und Charlotte Bittner initiierten Bewegung „Marsch des Lebens“ unseren Emil-L.-Fackenheim-Preis für Toleranz und Verständigung zu verleihen. Das Gemeindeparlament nahm diesen Vorschlag einstimmig an und wir organisierten im April 2017 gemeinsam eine sehr emotionale und wichtige Veranstaltung: den Marsch des Lebens in Halle (Saale) am Jom ha-Schoa mit anschließender Preisverleihung. Ich sage ganz ehrlich: Zu dem Entschluss, den Marsch des Lebens e. V. als Preisträger vorzuschlagen, führte mich die gemeinsame Zusammenarbeit mit Dir. Durch diese hatte ich, vermutlich zum ersten Mal, realisiert, dass wir unter den Christen wirkliche Freunde haben, die nicht nur aus einer gesellschaftlichen Verpflichtung heraus handeln, sondern mit dem ganzen Herzen auf unserer Seite stehen.

Benjamin Berger, Gemeindeleiter der „Kehilat ha‘she al Har Zion“ (Gemeinde des Lammes auf dem Berg Zion) in Jerusalem

Wir leben in einer Zeit, die wir die „Nachchristliche Zeit“ nennen können. Ganz besonders in Europa haben so viele ihren Weg im Leben verloren. Wenn wir irgendwo hingehen oder hinfahren wollen, brauchen wir aber eine Landkarte oder jemand, der uns den Weg zeigen kann.

Der Zweite Weltkrieg hat sehr viel Schaden hinterlassen. Viele Menschen haben ihr Vertrauen in Gott verloren. Die erste und die zweite Generation nach dem Krieg sind dann Stück für Stück immer weiter weg von dem Glauben an den lebendigen Gott Israels gekommen. Und auch viele Christen sind entwurzelt und ihr Christentum ist zur toten Religion geworden. Kurz nach den Krieg und nach dem tiefsten Leiden im Holocaust sind gleichzeitig viele Tausende von Juden nach fast 2.000 Jahren zurückgekehrt in ihre Heimat Israel, das Land, das Gott Abraham verheißen hat – weil sie verstanden haben, dass sie auf dieser Erde nur eine Heimat haben: und das ist das Land Israel. So hat Gott angefangen, sie auf diesem Weg zu sammeln. Langsam haben auch manche Christen angefangen zu verstehen, dass das, was die alten Propheten vor vielen tausenden Jahren verheißen haben, in unserer modernen Zeit Schritt für Schritt vor unseren Augen in Erfüllung kommt.

Stefan Haas führt uns in seinem Buch durch die Bibel und zeigt uns dabei die einzigartige Beziehung zwischen dem Gott Israels, dem Volk Israel und dem Land Israel. Für Christen ist es so notwendig zurückzufinden zu diesem Gott – und zu diesem Volk und diesem Land. Gott schreibt Geschichte in diesem Land und durch seine Hauptstadt Jerusalem. Für das Christentum und die Menschheit, die noch nicht den Weg zurück gefunden haben, ist die göttliche Perspektive und Orientierung völlig verloren gegangen. Der lebendige Gott ist der Gott Israels und die Nationen, die diesen Gott erkannt haben und sein Handeln in der Geschichte (ganz besonders in Bezug auf das Volk Israel), haben ihren Weg und ihre wahre Identität in Jesus Christus, dem Messias, dem König der Juden, wieder entdeckt und dazu zurückgefunden.

Stefan Haas führt uns, die wir sein Buch lesen, zurück in der Heilsgeschichte – der Geschichte, zu der jedes Kind Gottes gehört. Unsere wahren Wurzeln sind nicht griechisch, römisch oder europäisch. Wenn wir uns Christen nennen, sind unsere wahren Wurzeln „hebräisch“. Jesus sagt zu den Juden seiner Zeit, die zu seiner Herde gehören: Ich habe auch andere Schafe, die ich sammele und die zusammen mit euch eine Herde bilden und die nur einen Hirten haben. „Ich bin der gute Hirte.“

Möge dieses Buch eine Hilfe sein für alle, die es lesen, den Weg zurückzufinden zum Gott Israels, zum Volk Israel und dem Land Israel.

Schwester Joela Krüger, Evangelische Marienschwesternschaft

Die vielen verstreuten Segmente unseres biblischen Wissens hat Stefan Haas gesammelt und zu einem klaren Gesamtbild zusammengefügt. Darin lässt sich unsere Kirchen-, Volks- und Familiengeschichte wiederfinden und verorten. Doch dabei bleibt es nicht. In dieser Schrift wird ein Weg gezeigt, wie wir aus unserer höchst gefährlichen Neutralitätszone heraus in eine Zukunft mit Hoffnung hineingenommen werden können.

Harald Eckert, Christen an der Seite Israels

Das Buch des Pastors und Bibellehrers Stefan Haas „Auserwählt“ ist eine große Bereicherung und eine notwendige Ergänzung im deutschsprachigen christlichen Büchermarkt. Aus mindestens drei Gründen:

Zum einen scheut sich der Autor nicht, einige der zentralsten und teilweise brisantesten Fragen um die Besonderheit und Einzigartigkeit der kollektiven Berufung des jüdischen Volkes ins Visier zu nehmen. Er tut dies mit einem sehr warmen Herzen, aber auch mit Direktheit und Geradlinigkeit – und immer mit der Bibel als dem Hauptkompass seiner Darlegungen. Dabei berührt er einige der dunkelsten Flecken der Kirchengeschichte und zeigt Wege auf, Licht in diese Dunkelheit hineinstrahlen zu lassen. Er berührt aber auch einige der existenziellsten Fragen des jüdischen Volkes und schmerzvolle Punkte ihrer Leidensgeschichte – aber ebenfalls mit einer biblischen Perspektive der Hoffnung und dem Ausblick auf eine herrliche Zukunft. Diese mutige Klarheit und Direktheit ist ein erstes Qualitätsmerkmal dieses Buches.

Zum zweiten arbeitet dieses Buch auf erhellende Weise das übereinstimmende, ganzheitliche Zeugnis von Altem und Neuem Testament heraus in Bezug auf die einzigartige Berufung des jüdischen Volkes und die damit verbundenen Konsequenzen und Verheißungen. Die heilsgeschichtliche Bedeutung und Rolle des jüdischen Volkes von ihren Ursprüngen in der Urväterzeit bis hin zu ihrer Vollendung im Buch der Offenbarung wird in seiner erstaunlichen Kontinuität herausgearbeitet. Darin eingebettet sind die Berufung der Gemeinde Jesu und die Verwobenheit dieser beiden Bundesvölker Gottes, welche in der Endzeit immer klarer zutage tritt und wirksam wird. Die Prozesse, die dazu führen, dass dem jüdischen Volk zunehmend die „Decke von den Augen genommen wird“ in Bezug auf Jesus als ihrem Messias sind zutiefst verwoben mit den Prozessen, die dazu führen, dass die Decke des Antisemitismus, der Ersatztheologie und des Triumphalismus gegenüber dem jüdischen Volk von den Augen der Gemeinde Jesu genommen wird. Beide Prozesse sind zutiefst miteinander verbunden. Dies aus dem einheitlichen Zeugnis der Schrift heraus deutlich zu machen ist das zweite große Verdienst dieses Buches.

Zum dritten schätze ich an dem Buch, dass komplexe und teilweise brisante Sachverhalte in großer gedanklicher und sprachlicher Klarheit vermittelt werden. Und diese Klarheit ist zu erkennen als eine Frucht intensiver Beschäftigung mit der Materie. Sie geht nicht auf Kosten von Tiefe und Substanz, sondern transportiert tiefe Einsichten in einer Art und Weise, dass sie einer breiten Leserschaft zugänglich sind und für diese nachvollziehbar gemacht werden. Das ist ein großer Gewinn.

In diesem Sinne wünsche ich diesem Buch eine große Verbreitung und eine starke Wirkung in den Köpfen und Herzen der Leserschaft.

„Danke, Stefan, dass Du uns diesen Dienst geleistet hast!“

Gottfried Bühler, Internationale Christliche Botschaft Jerusalem – Deutscher Zweig e. V. (ICEJ)

Vor sieben Jahrzehnten hat sich das jüdische Volk aus der Asche des Holocaust erhoben und mit der Staatsgründung Israels seine Unabhängigkeit wiedererlangt. Ein Jahrhunderte alter Traum der Juden ging am 14. Mai 1948 in Erfüllung. Uralte totgeglaubte Prophetien der jüdischen Propheten werden vor unseren Augen lebendige Wirklichkeit. In den letzten Jahrzehnten sind wir Augenzeugen einer beispiellosen Zeit der Wiederherstellung Israels geworden und wir können daran ein gewaltiges Wirken Gottes erkennen.

Fast zeitgleich mit der Wiederherstellung Israels ist eine weltweite christliche Erweckung in Gang gekommen, die ein gewaltiges Wachstum der weltweiten Gemeinde Jesu ausgelöst hat.

Allerdings ist Antisemitismus wieder auf dem Vormarsch. Er präsentiert sich vielerorts in einem neuen Gewand mit dem Namen Anti-Israelismus. Als Christen sollten wir uns deshalb mehr als je zuvor unserer jüdischen Wurzeln bewusst werden und anerkennen, dass Gottes Bund mit Israel und dem jüdischen Volk ein ewiger Bund ist. Dazu gehört auch, dass wir unsere Stimme gegen Antisemitismus erheben. Gott ermutigt die Nationen, bei der Durchführung seiner Pläne mit Israel zu helfen und nicht tatenlose Zuschauer zu sein. Als Christen haben wir das Vorrecht im Gebet für Israel, die arabischen Völker und die Nationen einzutreten. Lassen Sie sich von diesem Buch inspirieren, treu an Gottes Seite zu stehen und seine Vorhaben mit Israel von ganzem Herzen zu unterstützen.

Auserwählt

Ich saß vor einigen Jahren in der Lobby des berühmten King David-Hotels in Jerusalem, als sich ein älterer Mann neben mich setzte. Er war amerikanischer Jude, ein reicher Unternehmer mit mehreren Firmen in den USA, wie ich nach unserer Begegnung herausfand. Er begann ein Gespräch und fragte mich, was ich in Israel mache. Ich erzählte ihm kurz, dass ich als Christ mit einer Gruppe auf dieser Reise unterwegs war, um für Israel zu beten. Dabei hatte ich irgendwie von dem „chosen people“, dem auserwählten jüdischen Volk gesprochen. Wir hatten gerade erst ein paar Sätze ausgetauscht und kannten uns nicht.

Plötzlich schaute er mich ganz direkt und durchdringend an und stellte mir eine Frage: „Warum und wofür sind wir das auserwählte Volk?“ Ich war sprachlos. Was mich besonders schockierte, war die Tatsache, dass er diese Frage nicht provozierend gestellt hatte. Es war offensichtlich eine wirklich ernste Frage für ihn. Sie platzte förmlich aus ihm heraus. Vermutlich hatte er schon viel darüber nachgedacht. Und es schwangen eine ganze Menge weiterer, sehr ernstgemeinter Fragen und Unsicherheiten mit:

„Was denkt Gott über uns? Sind wir wirklich das auserwählte Volk? Warum? Und wozu? Sind wir es immer noch? Oder hat Gott sich von uns abgewandt? Warum erleben wir all die Ablehnung und Verfolgung der Nationen seit Jahrhunderten? Und was ist mit Auschwitz? Was ist mit dem Holocaust? Wie konnte uns das passieren?“

Nach einem Moment des Nachdenkens fand ich eine vorläufige Antwort. Dennoch ließ mich diese Frage nicht mehr los. Sie hatte eine sehr nachhaltige Wirkung auf mich: „Warum und wofür sind wir das auserwählte Volk?“ Ich begann, über das jüdische Volk nachzudenken.

Währenddessen lernte ich Israel immer mehr kennen – ein wunderschönes Land. Und gleichzeitig eine zerrissene Region voller Konflikte. Der Prophet Daniel nennt es immer wieder das „herrliche Land“.1 Seit Mose wurde es „das Land, wo Milch und Honig fließt“ genannt. Es ist das Land der Verheißung an Abraham. Und es ist der Sehnsuchtsort von Millionen von Juden weltweit durch Jahrhunderte der Weltgeschichte.

Was bedeutet eigentlich „Auserwählung“? Warum erwählt Gott ein Volk – und ein Land, eine Stadt und einen Berg? Wozu? Was hat er damit vor? Und wie soll das funktionieren? Und: Ist es in der Geschichte sichtbar geworden?

Wir lesen in Joh. 4,22, dass Jesus zu einer Nicht-Jüdin sagt:

„Ihr wisst nicht, was ihr anbetet;

wir aber wissen, was wir anbeten;

denn das Heil kommt von den Juden.“

„Auserwählt“ – damit wollen wir uns in dem vorliegenden Buch beschäftigen. Ich wünsche Ihnen viel Segen beim Lesen!

Stefan Haas

1Dan. 8,9; 11,16.20.41

1. Der Bund mit Abraham

1.1. Von der Urgeschichte zu Abraham

In den ersten elf Kapiteln der Bibel lesen wir die Geschichte einer globalen Katastrophe. Es beginnt mit einem goldenen Zeitalter von unvorstellbarer Schönheit: Gott erschafft eine wunderbare Welt, das Paradies schlechthin. Dem Menschen geht es ausgezeichnet. Es gibt nur Gutes. Auch nicht im Ansatz ist etwas von Leid, Not, Krankheit, Tod, Trauer, Frustration, Hoffnungslosigkeit, Sinnlosigkeit oder Armut zu spüren. Es gibt auch keinerlei Beziehungsprobleme. Die Menschen erleben Gottes Nähe und Liebe täglich unmittelbar. Sie sehen ihn und sprechen mit ihm.

Dann entscheidet sich der Mensch für die Sünde. Es ist wie ein Ehebruch: Das Vertrauen und die Beziehung zwischen Gott und Mensch sind in einem Moment zerstört. Die Menschen müssen daraufhin das Paradies verlassen. Sie verlieren damit den Zugang zur unsichtbaren Welt. Sie sehen und erleben Gott nicht mehr und sind von nun an in einer finsteren Welt auf sich alleine gestellt. Innerhalb von einigen Jahrzehnten haben sie jede Erkenntnis Gottes verloren. Gleichzeitig reißt die Sünde immer weiter ein – wie ein Stück Stoff, das einen Riss bekommen hat, der nicht mehr zu flicken ist. Bereits im 6. Kapitel der Bibel lesen wir, dass Gott in seinem Herzen zutiefst traurig und erschüttert darüber ist, wie böse die Menschen geworden sind.2 Der Riss geht immer weiter, bis wir schließlich in Kapitel 11 vom Turmbau zu Babel und der anschließenden Sprachverwirrung und Verteilung aller Völker auf die Erde lesen. Damit sind wir in der heutigen Realität angekommen. Die Sünde hat alles zerstört.

Wenn man diese Geschichte nicht kennen und zum allerersten Mal lesen würde, dann würde man es im 11. Kapitel der Bibel vor Spannung kaum aushalten: „Und was kommt jetzt?!“ Man fühlt sich wie an einem Day After nach einem globalen Atomkrieg. Wie kann es wohl nach dieser größten Katastrophe der Menschheit weitergehen?

Es ist auf dem ganzen Erdball finster geworden. Wir schauen uns die beteiligten Akteure an: Wer könnte jetzt noch etwas bewegen? Die Menschen sind im Innersten ihres Herzens durch und durch böse, gottlos und rettungslos verloren. Sie haben keine Chance mehr, ihre Lage von sich aus zu verändern. Und Gott? Was hat er nun vor?

Wenn Gott an dieser Stelle nichts getan hätte, dann wäre die Geschichte der Menschheit mit Gott bei den Fakten von Kapitel 11 des Buches Genesis3 (1. Mose) stehen geblieben. Und was tut der Herr? Er zündet auf diesem inzwischen finsteren Erdball weit im Osten ein einzelnes Licht an. Gott ruft einen einzigen Menschen, mit dem er nach dieser Katastrophe eine neue Geschichte beginnt: Abraham. Dieser Geschichte kann man gar nicht genug Aufmerksamkeit und Bedeutung zumessen. Es ist nicht die Geschichte eines einzelnen Mannes aus dem fernen Osten. Es ist der Anfang einer neuen Beziehung Gottes zur Menschheit. Wir können die gesamte folgende Geschichte Gottes mit der Menschheit nur verstehen, wenn wir seine Geschichte mit Abraham verstehen. Dazu müssen wir genau hinschauen und sehr genau auf die Worte Gottes achten. Wir werden dabei sehen, dass es in der nun folgenden Geschichte Gottes mit der Menschheit zwei Koordinaten gibt, die aus Gottes Sicht das Zentrum dieser gesamten Geschichte darstellen: Das jüdische Volk und das Land Israel (mit der Hauptstadt Jerusalem und dem Berg Zion).

Was passiert nun am Day After – nach der großen Katastrophe? Während wir in den Kapiteln 1 bis 11 ständig eine gewisse globale Perspektive hatten, engt sich der Fokus plötzlich auf einen einzelnen Mann ein. Ganz unscheinbar werden wir eingeführt in die Familienherkunft eines gewissen Abraham.4 Wir lesen davon, dass bereits sein Vater Terach zusammen mit der Familie seine Heimat in Ur in Chaldäa verließ, um nach Kanaan zu ziehen.

Schauen wir es uns auf der Karte an:

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Karte 1 (erstellt mit Bible Mapper 5.0)

Um von Ur in Chaldäa (heutiger Irak, rechts unten auf der Karte) zum Land Kanaan zu kommen, musste Terach zunächst auf der Indien- bzw. Seidenstraße (grau-gestrichelte Linie) nach Norden ziehen, da der direkte Weg durch die Wüste geführt hätte. Die Strecke von Ur nach Haran ist etwa 1.500 Kilometer lang und führte vermutlich etwa in der Nähe des heutigen Bagdad, Kirkuk und Erbil entlang. So kam Terach mit seiner Familie nach Haran und siedelte dort. Warum er von dort (entgegen seinem ursprünglichen Vorhaben) nicht mehr weiterzog, verrät uns die Bibel nicht.

In Gen. (1. Mose) 11,32 wird uns berichtet, dass Terach im Alter von 205 Jahren in Haran starb. Anschließend beginnt in Kapitel 12 die Geschichte Abrahams. Es klingt so, als ob Abraham erst aus Haran ausgezogen wäre, als sein Vater bereits gestorben war. Rechnet man aber die Jahreszahlen zusammen, dann stellt sich heraus, dass dieser Eindruck täuscht: Terach war 70 Jahre alt, als er Abraham zeugte5 und Abraham zog mit 75 Jahren aus Haran aus.6 Abraham verließ die Stadt Haran also im 145. Lebensjahr seines Vaters Terach, der aber 205 Jahre alt wurde. Nach 25 Jahren des Wartens wurde schließlich der lang ersehnte Sohn Isaak geboren. Abraham war zu der Zeit 100 Jahre alt.7 Und: Sein Vater Terach lebte immer noch in Haran – mittlerweile in seinem 170. Lebensjahr. Terach hätte Isaak also noch als erwachsenen Mann kennenlernen können.

Der Vater Abrahams zog also aus einem Grund, den wir nicht kennen, von seiner Heimat Ur in Chaldäa in Richtung des Landes Kanaan. Auf mehr als der Hälfte der Strecke blieb er stehen und wurde in Haran sesshaft. Hier spricht nun der Herr zu Abraham und ruft ihn.

1.2. Die Berufung Abrahams

Wir lesen dazu in Gen. (1. Mose) 12,1-3:

(1) Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. (2) Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. (3) Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.

Wir wollen uns diese Verse genau anschauen, weil sie so grundlegend sind. Es sind neun einzelne Elemente, aus denen diese drei Verse bestehen:

1.Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause

2.in ein Land, das ich dir zeigen will.

3.Und ich will dich zum großen Volk machen

4.und will dich segnen

5.und dir einen großen Namen machen,

6.und du sollst ein Segen sein.

7.Ich will segnen, die dich segnen,

8.und verfluchen, die dich verfluchen;

9.und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.

Betrachtet man einmal den Inhalt, so zeigt sich, dass es drei große Themenschwerpunkte gibt:

1.Ein Land, das der Herr Abraham zeigen will.

2.Ein Volk, das der Herr groß machen wird.

3.Gewaltiger Segen: Fünf Mal wird das Wort „Segen“ oder „segnen“ innerhalb von nur zwei Versen benutzt. Der Gipfel dieses Segens besteht schließlich darin, dass der Herr sagt, dass er durch Abraham alle Familien der ganzen Erde segnen wird. Im Hebräischen steht hier das Wort image (Mischpachah – im Deutschen: „Mischpoke“): „Familie“.

Wir müssen dabei wahrnehmen, dass es zwei grundsätzlich verschiedene Arten von Verheißungen in der Bibel gibt: Verheißungen mit Bedingung und Verheißungen ohne jede Bedingung. Verheißungen mit Bedingung8 können verloren werden, wenn die Bedingung nicht erfüllt wird. Welche Art von Verheißung haben wir hier bei Abraham? Wenn überhaupt, dann ist die einzige Bedingung der erste Versteil von Vers 1: „Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause (…)“. Abraham hat es getan. Von nun an gab es keine weitere Bedingung mehr, an die die Erfüllung der Verheißungen Gottes geknüpft gewesen wäre. Daher müssen sich die in Gen. (1. Mose) 12,1-3 ausgesprochenen Verheißungen Gottes an Abraham erfüllen – sonst würde Gott lügen.

Schauen wir uns die Aussagen des Verses 3 noch einmal genauer im Hebräischen an:

imageimage „Ich werde segnen, die dich segnen“ – auch wenn man kein Hebräisch kann, kann man doch erkennen, dass hier im Hebräischen zweimal dasselbe Wort steht: segnen und segnen.

imageimage „… und verfluchen, die dich verfluchen“ – während hier in den deutschen Übersetzungen in der Regel wieder zweimal dasselbe Verb vorkommt, stehen im Hebräischen zwei unterschiedliche Wörter:

image (arar) – „Ich werde verfluchen“.9

image (qalal) – bedeutet dagegen in der Grundform: „gering, unbedeutend, verachtet sein“.10 Die hier in Gen. (1. Mose) 12,3 benutzte Verbform (Piel) hat die Bedeutungsebene: „jemand gering oder verächtlich machen“11 – und in diesem Sinne dann auch „verfluchen“.

Man kann diesen Versteil also etwa folgendermaßen übersetzen: „Ich werde den verfluchen, der dich geringschätzig behandelt.“