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Roland Zingerle

Narrentod

Klagenfurter Kneipen-Krimi Nr. 3

 

 

 

 

 

Prolog

 

Gesetz und Verbrechen unterliegen dem Henne-Ei-Prinzip. Zwar scheint das Verbrechen älter zu sein, da Gesetze ansonsten nicht nötig geworden wären, doch hätte man schwerlich je ein Verbrechen erkannt, wäre damit nicht irgendein Gesetz gebrochen worden.

Gesetze regeln das menschliche Zusammenleben und über ihre Einhaltung wacht die Polizei. Aber nicht nur: In Klagenfurt haben sich der Großhandelsvertreter Hubert Pogatschnig und der Bierführer-Assistent Ludwig Melischnig die Aufklärung von Kapitalverbrechen zur Aufgabe gemacht. Dabei besteht der besondere Reiz für die beiden darin, schneller zu ermitteln als die Polizei. Von den Medien als „Zwei für die Gerechtigkeit“ gefeiert und von der Polizei unter dem Kommando von Gruppeninspektor Leopold Ogris als „Deppen-Duo“ verachtet, machen sich die beiden Hobby-Detektive die Vorteile des Tratsches zunutze: Sie suchen dort nach Hinweisen, wo Informationen ausgetauscht werden, nämlich in den Gaststätten in und um Klagenfurt…

Sonntag, 17 Uhr, Kochwirt Joainig, Pörtschach.

 

„Liebe Damen und Herren, ich freue mich, Sie in so großer Zahl hier in Pörtschach begrüßen zu dürfen. Der Kriminalfall, den Sie gleich erzählt bekommen werden, hat sich tatsächlich zugetragen. Mein Name ist Kurt Eisler, ich bin der Hausherr hier beim Kochwirt Joainig, und der Mann, den ich Ihnen nun präsentiere, hat vor einigen Monaten eine Wette gegen mich verloren. Sein Name ist Hubert Pogatschnig, er arbeitet als Vertreter bei meinem Lebensmittel-Lieferanten, schreibt Gastronomie-Kritiken in einer namhaften Kärntner Zeitung und frönt einem ganz besonderen Hobby: Wann immer ein Kapitalverbrechen in Klagenfurt passiert, setzen er und sein Partner Ludwig Melischnig Himmel und Hölle in Bewegung, um den Fall schneller zu lösen als die Polizei.“

Das Publikum honorierte Pogatschnigs Auftritt mit Applaus.

„Der Herr Melischnig sitzt heute auch bei uns im Publikum“, sprach Eisler weiter, „er arbeitet als erster Assistent eines Bierführers.“

Ludwig Melischnig stand auf und es hatte den Anschein, als wollte er damit nicht mehr aufhören. Als er sich endlich zu seiner vollen Länge aufgerichtet hatte, winkte er und sonnte sich im Begrüßungs-Applaus. Kurt Eisler fuhr in seiner Moderation fort:

„Der Wetteinsatz, den der liebe Herr Pogatschnig heute einlösen muss, besteht darin, Ihnen die Geschichte des letzten Kriminalfalls zu erzählen, den Gruppeninspektor Leopold Ogris von der Kriminalabteilung der Klagenfurter Polizei schneller gelöst hat als er.“

Pogatschnig hatte sich zwar nicht auf diesen Nachmittag gefreut, aber schon vor geraumer Zeit beschlossen, das Beste aus ihm zu machen: Er hatte sich eine Erzählstrategie zurechtgelegt, die ihn und Melischnig in ein strahlendes Bild setzen, den Erfolg der Polizei hingegen eher wie einen ungerechten Glückstreffer aussehen lassen würde.

Entsprechend selbstherrlich war nun auch sein Auftritt: Seine Wurstfinger strichen sein schütter Haar nach hinten und schoben sein Nasen-Fahrrad den hohen Zinken hinauf.

„Hubert Pogatschnig ist aber nur ein Teil des heutigen Nachmittags.“

Pogatschnigs Glorienschein dimmte ab – wovon redete Kurti Eisler da?

„Es ist mir eine besondere Freude und Ehre, Ihnen auch den Gegenpart von Pogatschnig und Melischnig präsentieren zu dürfen: den Hüter der Harmonie, den Greif des Gesetzes, Gruppeninspektor Leopold Ogris!“

Ogris’ Auftritts-Applaus wirkte auf Hubert Pogatschnig wie ein Motor, der seine Mundwinkel nach unten trieb. Quasi aus dem Nichts erschien der Gruppeninspektor neben ihm und winkte in die Menge.

Mit einem Mal nahm Pogatschnig seine Umwelt wie in Zeitlupe wahr: Er spürte sein Herz pochen, sah die Leute im Publikum begeistert klatschen und das Schlimmste daran war: Unter ihnen befanden sich namhafte Persönlichkeiten der Kärntner Medienlandschaft. Pogatschnig selbst hatte sie dazu gedrängt, heute hierher zu kommen, um dem Vortrag seines Heldenliedes beizuwohnen, nicht ahnend, dass auch Gruppeninspektor Leopold „die Spaßbremse“ Ogris auftauchen und mit Sicherheit nicht einmal die kleinsten von Pogatschnigs Übertreibungen durchgehen lassen würde. Was immer auch heute hier geschah: Die Kärntner Medien bekamen alles mit – live und ungeschnitten!

Hilfe suchend sah er zu seinem Partner hinüber, doch selbst Melischnig bot Pogatschnig keine moralische Unterstützung, denn er war abgelenkt: An seinem Tisch nahmen nämlich gerade Gruppeninspektor Ogris’ Frau und ihre zwei Töchter Platz. Und wenn Bettina, Ogris’ ältere Tochter, hier war, gab es nichts, absolut nichts, was Ludwig Melischnigs Aufmerksamkeit von ihr ablenken konnte, auch nicht die bittere, kleine Not seines besten Freundes. Er schwebte dann auf Wolke sieben, jener

Wolke, aus der Pogatschnig bei Gruppeninspektor Ogris’ Auftritt vorhin gefallen war.

„Ich werde Euch erzählen, wie sich der Mordfall damals zu Fasching wirklich zugetragen hat“, begann Gruppeninspektor Ogris.

Pogatschnig glaubte das nicht: Der Gruppeninspektor wirkte nicht nur charmant und umgänglich, er lächelte auch noch!

„Warum hast du mir das nicht gesagt, Kurti?“, wisperte Pogatschnig nervös zum Joainig-Wirt und dieser erwiderte:

„Sei nicht so! Du hast eine Wette verloren, da muss ein bisserle Strafe schon sein. Außerdem ist der Herr Gruppeninspektor gerade erst achtundvierzig Jahre alt geworden, da ist sein Gastauftritt als ‚Sieger’ in diesem Mordfall so etwas wie ein Geburtstagsgeschenk.“

Hubert Pogatschnig fühlte sich, als hätte Kurt Eisler ihm gerade die Unterhose hinuntergezogen. Und das Publikum klatschte.

 

„Darf ich dir meine Mutter und meine Schwester vorstellen?“ Bettina Ogris lächelte, während Ludwig Melischnig zunächst Ogris’ Frau und dann der jüngeren Tochter artig die Hand reichte.

„Ich bin die Heike“, sagte Bettinas Schwester. „Warum stehst du nicht auch auf der Bühne? Der Herr Pogatschnig und du, Ihr gehört ja zusammen, oder? Ihr seid ja die beiden – wie sagt Papa immer?“

„‚Zwei für die Gerechtigkeit’“, erwiderte Melischnig mit stolzgeschwellter Brust und erklärte: „Weißt du, ich ziehe die Fäden im Hintergrund.“

„Nein“, Heike kicherte, „Papa nennt Euch anders … irgendwie – genau: ‚Deppen-Duo’!“

Sie lachte und erntete einen strengen Blick von Bettina.

„Ludwig ist Bierführer“, erklärte diese, um sanft das Thema zu wechseln. Aber eines interessiert mich auch: Warum ziehst du immer mit diesem Pogatschnig herum?“

Ludwig Melischnig schenkte Bettina Ogris einen Blick, der geduldiges Verständnis für diese einfältige Frage ausdrückte.

„Es ist so etwas wie Mitleid“, erklärte er, „einer muss ja auf diesen liebenswerten Tollpatsch aufpassen!“

„Also ich finde ihn süß“, meinte Heike mit geschürzten Lippen, stützte ihr Kinn auf ihre Hände und schmachtete Hubert Pogatschnig an, der gerade von einem Bein auf das andere trat, während die Schweißtropfen auf seiner Stirn im Rampenlicht glitzerten.

„Sie ist achtzehn“, erklärte Bettina in einer Lautstärke, die ihre Schwester hören musste. „Die vier Jahre, die sie jünger ist als ich, muss sie erst noch aufholen. In ihrem Alter ist man irgendwie komisch.“

„Seltsam-komisch oder lustig-komisch?“, fragte Melischnig.

„Verdammt komisch“, erwiderte Bettina.

 

„Herr Pogatschnig wird Ihnen erzählen, wie er die Aufklärung des Mordfalles erlebt hat“, erklärte Gruppeninspektor Ogris gerade dem Publikum, „und ich sage Ihnen dann, wie es wirklich war.“

Das Publikum lachte, Pogatschnig nicht. Er griff hastig zu dem Mikrofon, doch Ogris gab es nicht aus der Hand. Er ließ nur zu, dass Pogatschnig es ein wenig in seine Richtung drehen konnte, ein Akt bösartiger Clownerie.

„Umgekehrt“, stammelte Pogatschnig schwitzend, „es wird genau umgekehrt sein.“ Pogatschnig lachte, das Publikum nicht.

„Nachdem unser Freund Pipifax hier noch im Lexikon unter ‚Humor’ nachschlagen muss, werde doch lieber ich mit der Erzählung beginnen“, meinte Gruppeninspektor Ogris trocken und Pogatschnig erwiderte mit unverhohlener Empörung, die er erfolglos als gespielt hinstellen wollte:

„He, geht’s auch höflicher?“

Ogris lächelte mit dem schiefen Mund eines Entertainers und gab zurück: „Oh, Entschuldigung: Herr Pipifax, natürlich!“

Faschingsamstag, 20.30 Uhr, Gemeindezentrum Sankt Ruprecht, Klagenfurt.

 

„Unsere Geschichte beginnt am Faschingsamstag im Gemeindezentrum des Klagenfurter Stadtteils Sankt Ruprecht“, begann Gruppeninspektor Leopold Ogris. „Das Faschings-Gschnas, das dort stattfand, hatte um 20 Uhr seine Tore geöffnet und es befanden sich schon einige Narren im Saal. Da kam plötzlich ein Affe zur Tür herein, ein Faschingsnarr in einem Gorillakostüm. Er sprang affig umher, neckte einige Gäste und trollte sich dann in den Hauptsaal, wo er sich zunächst genau umsah. Als er einen als Zoo-Wärter verkleideten Narren erspähte, stürzte er sich auf diesen. Für die Anwesenden war das ein gelungener Scherz: Die gepeinigte Kreatur erhebt sich gegen ihren Unterdrücker und probt den Aufstand. Doch der Scherz dauerte entschieden zu lange. Nachdem der Gorilla den Wärter schon eine halbe Minute lang gewürgt hatte, begann dieser panisch um sich zu schlagen. Aber er hatte keine Chance: Der Gorilla saß auf seinem Rücken, hielt sich mit den Beinen an seinen Oberkörper geklammert und hatte ihn mit den Händen fest am Hals gepackt. Das Opfer schaffte es nicht einmal, sich vom Boden aufzustützen, geschweige denn, den Angreifer mit den Händen zu erwischen oder sich sonst wie aus dessen Umklammerung zu lösen.

Die umstehenden Narren waren zunächst einmal unentschlossen. Die Szene spielte sich im verschwommenen Grenzbereich zwischen Spaß und Ernst ab und alle waren ratlos, ob sie lachen oder eingreifen sollten. Es war also kein Wunder, dass die erste helfende Hand erst nach mehr als einer Minute eingriff. Der Gorilla floh durch den Hinterausgang. Das Opfer – wie sich herausstellte handelte es sich um den Sankt Ruprechter Schlosserei-Besitzer Emil Sadovnik – lebte zwar noch, hatte aber keine Überlebenschance: Der Gorilla hatte ihm den Kehlkopf zusammengedrückt und das Zungenbein gebrochen. Sadovnik erstickte binnen Minuten an seinen eigenen Körperteilen.

Während sich einige Narren um das Opfer kümmerten, stellten andere dem Täter nach. Sie fanden ihn im Durchgang zwischen dem Hinterausgang des Saales und der Hintertür des Gemeindezentrums, die ins Freie führte: Der Gorilla saß am Boden, mit dem Oberkörper an die Wand gelehnt. Offensichtlich war er auf der Flucht gestürzt, hatte sich den Schädel angeschlagen und das Bewusstsein verloren. Als sie ihm die Maske vom Kopf zogen, waren das Erschrecken und das Grauen groß: In dem Gorilla steckte niemand anderer als Eva Sadovnik, die Ehefrau des Opfers!