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Nr. 2983

 

Kants letztes Kunstwerk

 

Sein Geschäft ist der Tod – er ist ein Meister seines Fachs

 

Christian Montillon

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Geld ist nicht das Problem

2. Zielperson

3. 13,7 Sekunden

4. Vom Kunst- zum Meisterwerk

5. Spuk

6. Gatasergift

7. Hinter der Kulisse

8. Gejagt

9. Der doppelte Kant

10. Offenbarungen

11. Hinter den Kulissen

12. Die Stadt der Käferpiraten

13. Die Geschichte der Lady

Leserkontaktseite

Glossar

Risszeichnung HARL DEPHIN

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Gut dreitausend Jahre in der Zukunft: Perry Rhodan hat nach wie vor die Vision, die Milchstraße in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln. Der Mann von der Erde, der einst die Menschen zu den Sternen führte, möchte endlich Frieden in der Galaxis haben.

Davon ist er in diesen Tagen des Jahres 1552 Neuer Galaktischer Zeitrechnung allerdings weit entfernt: In der von der Superintelligenz ES verlassenen Milchstraße machen sich Boten anderer Superintelligenzen breit, ebenso alte Feinde von ES und neue Machtgruppen.

Eine dieser Machtgruppen ist der sogenannte Techno-Mahdi, der das Solsystem unter seine Kontrolle gebracht hat. Sein wichtigster Repräsentant nennt sich Adam von Aures, und er scheint nach der völligen Unabhängigkeit von allen Hohen Mächten zu streben. Bei seinen Bemühungen hat er aber etwas ausgelöst, das den Untergang der Milchstraße nach sich ziehen kann: den Weltenbrand.

Der Weltenbrand wirkt sich auf die Sinne aller intelligenten Lebewesen aus – Licht wird zu grell, Wärme zu heiß, Kühle zu kalt, Geräusche zu laut. Nichts bietet echten Schutz dagegen, es gibt keine Vergleichswerte, keine echte Therapie, und nirgendwo einen Ort, der sicher ist. Auf dem Planeten Lepso entsteht in diesen Tagen KANTS LETZTES KUNSTWERK ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Kant – Der Künstler versucht sich an seinem Meisterwerk.

Senator – Ein vielseitiger Roboter wirkt bei der Krönung einer Künstlerkarriere mit.

Die Lady – Eine Fremde ist Ziel und Meisterwerk.

1.

Geld ist nicht das Problem

 

Mein Urteil fiel vernichtend aus: »Es ist ein Elend.«

Mein Roboter Senator, der mir wieder einmal als Psychologe diente, gab nicht auf und fragte erneut nach den Gründen für meinen Trübsinn: »Etwas genauer, Asherman.«

Was sollte ich ihm sagen?

Geld war nicht das Problem: Ich habe mehr als genug davon.

Sinnlosigkeit war nicht das Problem: Meine Arbeit füllt mich aus.

Einsamkeit war nicht das Problem: Es ist wunderbar, meine Ruhe zu genießen.

»Ich weiß es nicht«, sagte ich also.

»Damit gebe ich mich nicht zufrieden.«

»Das musst du aber.«

»In diesem Fall ergibt unser Gespräch keinen Sinn mehr.«

»Einverstanden. Betrachte es als beendet.«

Ich stand auf, ging zum Fenster meines Appartements und schaute durch die – dank des automatischen Helligkeitsfilters stark getönte – Scheibe hinab. Sechshundert Meter nach unten waren keine Kleinigkeit, ich ließ mir meine Wohnung einiges kosten.

Auf Orbanas Straßen – und darüber – war eine Menge los, wie immer. Daran änderte auch der Weltenbrand nichts.

Eigentlich änderte er alles, aber in Lepsos Hauptstadt schien man geradezu trotzig darauf versessen zu sein, so weiterzumachen wie zuvor. Sich nicht in die Knie zwingen zu lassen.

»Du flüchtest, Asherman«, sagte Senator. Offenbar konnte er das Psychologisieren noch nicht beenden.

Ich drehte mich nicht zu ihm um. Etwa fünfzig Stockwerke tiefer kroch im Zeitlupentempo ein Orgiengleiter vorüber – die Hälfte der Leute darin aß von einer überreich gedeckten Tafel, die anderen badeten in einem Pool, der den größten Teil des Passagierraums füllte.

Die heißen Speisen, das Licht, die ständige Berührung des Wassers, der Lärm der Gespräche ... all das musste sie furchtbar schmerzen. Seit dem Ausbruch des Weltenbrands vor drei Wochen reagierten sämtliche Sinne hypersensibel – da ging es ihnen keinen Deut besser als mir. Aber sie feierten trotzdem, offenbar nach dem Motto Jetzt erst recht.

Ich fragte mich, ob ich sie bewundern oder für verrückt halten sollte.

»Asherman!«, beharrte mein Roboter.

Unter mir tauchte eine Cheborparnerin aus dem Becken. Wasser tropfte ihr aus dem Fell. Sie legte den Kopf in den Nacken, als wollte sie zu mir hochschauen, und lachte. Ihr Gesicht blieb dabei ausdruckslos. Wahrscheinlich betäubte sie sich mit Medikamenten oder Drogen. Das war eine Flucht.

»Du glaubst also, ich würde flüchten?«, fragte ich. »Wovor? Vor dem Weltenbrand? Ich bin nicht wie diese Narren dort draußen. Ich arrangiere mich und passe mich an. Man muss das Leben so nehmen, wie es auf einen zukommt.«

Ich hörte die trippelnden Geräusche von Senators vier Krabbenbeinen, als er erst ebenfalls zum Fenster ging, dann einige Schritte an der Wand hochkletterte, bis er mit meinem Kopf auf einer Höhe stand. Sein glattes Metallgesicht, edel wie immer, drehte sich mir zu. »Mach dich nicht lächerlich! Natürlich nicht vor dem Weltenbrand. Vor dir selbst!«

Wieder stellte ich mir eine Frage, ob ich ihm für diese unverschämte Behauptung seinen Hauptsteuerchip herausreißen sollte. »Wie kommst du auf diese Idee?«, fragte ich ihn stattdessen.

»Du bist unausgeglichen. Es liegt zu lange zurück, dass du eines deiner Kunstwerke vollenden konntest.«

»Aber ich ...« Diese beiden Worte kamen wie von selbst, ehe ich verstummte.

»Ja?«

»Du hast recht«, gab ich zu.

»In dir wächst Ungeduld, weil sich bei der aktuellen Anfrage die Dinge nicht weiterentwickeln.«

Als ich mich vom Fenster abwandte, verdunkelte es sich automatisch stärker – je spärlicher das Licht in die Wohnung fiel, umso weniger konnte es mich quälen. Egal, was die Leute dort draußen sich selbst und dem Universum vorspielten, der Weltenbrand schränkte alle ein.

Sogar auf Lepso.

Nein, gerade auf Lepso, dieser lauten, wimmelnden, feiernden, grellen Welt. Wenn meine Heimat für etwas nicht bekannt war, dann für Ruhe und dezente Zurückhaltung – im Zwielicht spielten sich nur die maximal halb legalen Geschäfte ab.

Senator stakste rückwärts die Wand hinunter und klackerte quer durch den Raum, an unseren Sesseln vorbei, hin zur Antigrav-Vitrine. »Sieben«, sagte er.

Die Wohnungspositronik hörte auf seine Stimme ebenso wie auf meine – er war der Einzige, dem ich uneingeschränkt vertraute.

Aus Fach sieben schwebte die Mikropole hinab, die erst seit knapp einem Monat dort stand. Ich hatte sie am Tag vor dem Ausbruch des Weltenbrands erworben. Abergläubischere Seelen als meine könnten das als übles Omen bewerten, aber selbstverständlich gab es keinerlei Zusammenhang.

Ich liebte dieses Stück, eine der vollkommensten Arbeiten, die ich je hatte bewundern dürfen, von Nay las Hudad höchstpersönlich angefertigt, in ihrem Atelier am flachen Ozean von Plophos. Einmal hatte sie mir erlaubt, sie zu besuchen, in ihrem Glasbau, auf den frühmorgens die ersten Strahlen der gelben Sonne Eugaul fielen und sich in den Rillen des Dachs zu tausend Regenbögen brachen.

Die Erinnerung versetzte mir einen Stich. Keinesfalls konnte Nay dort noch arbeiten, in diesem lichtdurchfluteten Raum.

Der Weltenbrand ... immer wieder der Weltenbrand.

Mein Roboter packte die Mikropole mit sanft gepolsterten Fingern und brachte sie zu mir. Senator reichte mir gerade bis zu den Knien, fuhr den Greifarm jedoch aus, sodass er mir das kostbare Stück bequem reichen konnte. Ich streckte Zeige- und Mittelfinger aus, und Senator stellte es darauf ab.

Anders als die meisten, üblicherweise runden Mikropolen zog sich diese Nachbildung des Stadtteils Neu-Alashan von Terrania in die Länge. Eine Glaskuppel wölbte sich über den winzigen Häusern, Straßen, Brücken und Parks.

Ich tippte an die Spitze, und das Lupenfeld der Glassitkuppel aktivierte sich. An einem Bachlauf stand eine Gruppe Terraner, im Gespräch mit einem Haluter vertieft, so realistisch, als müssten sie jeden Augenblick weiterlaufen. Ein Kind saß auf der Schulter des vierarmigen Giganten. Das Mädchen hatte blonde Locken, im Nacken mit einem braunen Band zu einem Zopf gebunden.

Das Lupenfeld wanderte weiter, machte andere winzige Details sichtbar, aber ich sah nicht mehr hin.

Das Kind.

Das Mädchen.

»Ich gehe in die Klinik«, sagte ich. »Versuch du, den Kunden zu erreichen.«

John C. Shelton nannte sich der Fremde, von dem ich bislang nur die Stimme kannte. Ein Blick in die Geschichtsdateien hatte ans Licht gebracht, dass es vor ewigen Zeiten einen Oberst mit diesem Namen gegeben hatte, ein führendes Besatzungsmitglied der CREST III. Wahrscheinlich hatten seitdem, in den vergangenen fast dreitausend Jahren, zahllose Leute so geheißen, samt der altertümlich wirkenden Mittelinitiale, aber ich glaubte trotzdem nicht an einen Zufall.

Viele wählten einen Tarnnamen, wenn sie einen Killer engagierten.

 

*

 

Boulter begrüßte mich überschwänglich. Dass sich der Chefmediker einer so großen Klinik persönlich einem Gast widmete, kam nicht häufig vor. Ich könnte mir darauf etwas einbilden, wenn ich nicht genau wüsste, dass diese Ehre weniger mir selbst als vielmehr meinem Geld galt.

Der Ara kam in den schlichten Warteraum, den mir die Empfangspositronik zugewiesen hatte. Boulter reichte mir die Hand, ganz nach terranischer Sitte; wahrscheinlich wollte er mir schmeicheln, indem er sich mir anpasste. Ich stellte ihn mir vor, wie er das zonrakonische Begrüßungsritual vollzog und sich flach auf den Boden legte, direkt vor mir, neben dem kleinen Springbrunnen, in dem ein Blaufisch schwamm.

Seine Finger waren schmal, aber kräftig, die Nägel perfekt gepflegt. Die Haut fühlte sich kühl an. »Entschuldige«, sagte er. »Ich arbeite momentan im Kältelabor. Ein Experiment.«

»Will ich mehr darüber wissen?«

Aras waren dank ihres alles überschattenden Rufs als Galaktische Mediziner nicht gerade für ihren Humor bekannt, aber er lachte herzlich. Ich hielt es ohnehin schon immer für falsch, eine komplette Sternennation auf eine einzelne Tätigkeit zu reduzieren – wer an Terraner denkt, stellt sich auch keine Profikiller vor. Bin ich also eine ... Abweichung? Eine krankhafte Wucherung im Genom meines Volkes? Oder die Ausnahme, die die Regel bestätigt?

»Oh, ich glaube, du möchtest nicht mehr darüber wissen«, antwortete er. Um seinen spitz zulaufenden Kopf schlang sich ein eng anliegendes Tuch, dessen tiefes Rot die Blässe seines Gesichts betonte. Prakaralon-Klinik für Orphane Krankheiten, stand darauf. »Allein die Umgebung im Labor: ein steriler Bereich, überall nur blanke Metallwände, neunzig Meter tief im Erdreich. Wenn ich mich dort aufhalte, fühle ich, wie die Depressionen nach mir greifen.« Er winkte ab. »Ich möchte dich nicht belästigen. Ich danke dir für deinen Besuch.«

»Es ist angenehm unter dem Schirm der Klinik«, sagte ich. »Der Weltenbrand wirkt sich viel schwächer aus.«

»Nicht wahr? Alles für meine Patienten. Aber ich genieße es ebenfalls ... seit Wochen verlasse ich den Gebäudekomplex nur selten. Die Zuflucht hier ist allerdings vergänglich. Die meisten Prognosen lauten, dass höherdimensionale Schutzschirme nicht mehr lange als Blockade für die Auswirkungen des Weltenbrands wirken werden.«

»Was glaubst du?«

»Sämtliche Mittel gegen die Ekpyrosis lindern Symptome, ohne Ursachen zu bekämpfen. Nett, aber grundlegend nutzlos.«

»Das klingt wenig optimistisch.«

»Ich bin Wissenschaftler. Mich interessieren weder Pessi- noch Optimismus, sondern Fakten. Sollte ich dich lieber anlügen?«

»Nichts ist aussichtslos«, behauptete ich und wechselte das Thema. »Lebt das Mädchen noch?«

»Die kleine Gataserin? Zum Glück, ja. Wir machen es ihr so angenehm wie möglich. Willst du sie besuchen?«

Ich nickte.

»Sie wird sich freuen, und das ist genauso viel wert wie deine finanziellen Zuwendungen.«

»Glaubst du das wirklich?«

Boulter sah mir in die Augen, ein leises Lächeln auf den Lippen. »Ja.«

Ich versuchte ihn seit Jahren zu verstehen, aber ich konnte ihn einfach nicht lesen. Ein interessanter Mann. Normalerweise waren Angehörige humanoider Völker wie ein offenes Buch für mich – er blieb für meine Wahrnehmung stets dunkel und undurchschaubar.

Hielt er mich zum Narren, wenn er behauptete, dass es ihm nicht um mein Geld ging? Vermutlich.

»Dann glaube ich dir ebenfalls«, log ich. »Ich möchte deiner Klinik trotzdem etwas zuwenden, falls du erlaubst.«

»Anonym?«

»Wie immer.«

Der Ara nickte. »Setzen wir uns.« Er wies auf die gepolsterte Bank, die unter dem Fenster stand.

Natürlich konnte man dort nicht nach draußen sehen, denn echte Außenräume im Klinikbau blieben den teuersten Patientenzimmern vorbehalten. Aber ein perfektes Holo ließ ein einfaches Gemüt sich direkt über einer Steilküste wähnen, mit atemberaubender Brandung an zerklüfteten Klippen. Man roch die Gischt beinahe, wenn man sich darauf einließ – jenes etwas herbe Aroma, das Salzgeschmack auf den Lippen hinterließ. Ein ruhiger, naturverbundener Ausblick, wie es ihn auf ganz Lepso nicht gab.

»Ich habe mir erlaubt ...«, setzte er an.

»... einen aktivierten Authentifizierungskristall bereits mitzubringen? Ich schätze deine Effektivität.«

»Und ich deine Bescheidenheit.«

Ich umschloss den Kristall mit der Hand. Er bestätigte mittels einer raschen DNS-Analyse meine Identität. »Fünfhunderttausend Galax.«

Ich nannte einen Kode, den ich bei meiner Hausbank, einem überaus diskreten Unternehmen, für diese Transaktion hinterlegt hatte.

Meine Daten blieben dort absolut sicher. Sollte es dennoch jemals jemandem gelingen sie einzusehen, würden sie nur die Spur zu meinem bürgerlichen Leben weisen – zum erfolgreichen, im Grund seines Herzens integren Kunsthändler, der gerade so weit am Rand der Legalität entlangschrammte, wie es auf Lepso eben nötig war, um kein Außenseiter zu sein.

»Du brauchst mir nicht zu danken«, sagte ich zu Boulter. »Bring mich stattdessen bitte zu dem Mädchen.«

»Selbstverständlich.«

»Falls du dein Experiment fortführen willst, kannst du mir ebenso gut einen Pflegeroboter zur Seite stellen. Das genügt mir.«

»Ich begleite dich persönlich.« Wieder lachte er. »Wenn das Kältelabor noch auf mich warten muss, stört es mich nicht.«

Er führte mich aus dem Warteraum, einen Korridor entlang, auf dessen Boden ein echter hochfloriger Teppich lag. Auf Podesten standen Töpfe mit nicht weniger echten Pflanzen. Eine kopfgroße, tieflilafarbene Blüte verströmte einen süßlichen Duft.

Ein Antigravschacht brachte uns siebzehn Stockwerke höher.

»Ich habe die Krankheit der kleinen Yiilüsh inzwischen benannt«, erklärte Boulter. »Sie betrifft eines der Proteine der inneren Mitochondrienmembran, das für die Fusion und Spaltung der Mitochondrien zuständig ist. Der Intermembranraum ist dadurch beeinträchtigt, sodass ...«

Ich hörte nicht länger zu. Ich hatte das Mädchen bei meinem letzten Besuch gesehen, und sein Blick ging mir seitdem nicht mehr aus dem Sinn. Diese Gewissheit in den Augen, dass sie sterben würde, aber nicht vom kleinsten Hauch Angst oder Unsicherheit begleitet. Yiilüsh ruhte vollkommen in sich selbst – sie scherte sich weder um ihren Intermembranraum noch um irgendwelche Mitochondrien.

Wir verließen den Antigravschacht. Ich ignorierte das Laufband, das gebrechlichen Patienten ein rasches Vorankommen im Flur ermöglichte.

Ein Medoroboter stellte sich mir in den Weg. »Womit kann ich ...«

»Lass uns durch!«, forderte Boulter.

»Selbstverständlich, Herr«, bestätigte die Maschine.

Der Chefmediker ging zielsicher zur siebten Tür. Sie bestand aus echtem Holz, soweit ich es beurteilen konnte. Er öffnete, blieb jedoch zurück.

Ich trat ein.

Yiilüsh lag im Bett. Der hintere Teil des Tellerkopfes versank in einer genau auf ihn zugeschnittenen Mulde. »Du bist es«, übersetzte der Translator am Hals des Mädchens die zirpenden Laute seiner Muttersprache. »Wie schön.«

»Ich danke dir«, sagte ich.

»Wofür? Dass ich noch lebe?«

Ich kam näher. Neben dem Bett stand ein Teller, auf dem ein schwarzer, faustgroßer Klumpen lag, umgeben von hellgrünen Halmen. Das Mädchen hatte die Mahlzeit nicht angerührt.

»Ein Skonzblattfressermagen mit gehäckseltem Latosgras«, sagte ich. »Willst du nicht wenigstens versuchen?«

»Ich kann nicht. Zu schwach.«

»Dann lass dir helfen.« Ich nahm die achtzinkige Gabel neben dem Teller und stach ein Stück des Blattfressermagens ab.

Yiilüsh zirpte einen Sprachbefehl, und der obere Teil des Krankenbettes fuhr lautlos nach oben, bis das Mädchen saß. Der Kopf ruhte nach wie vor in der Mulde. Ich sah kleine Gurte, die ihn fixierten; wahrscheinlich würde er sonst zur Seite kippen. »Das geht auch nicht«, sagte das Kind.

»Bist du zu stolz?«

»Ich kann den Magen nicht essen. Die Füllung ist widerlich. Die Maden leben nicht mehr.«

Ich sah nach. »Stimmt.« Ich säuberte die Gabel und stach etwas Latosgras auf.

Das Mädchen öffnete den Mund, der bei Gatasern am langen Hals saß.

Ich fütterte Yiilüsh.

»Du schuldest mir eine Antwort«, sagte sie zwischen zwei Bissen. »Warum dankst du mir? Ich kann nichts für dich tun, oder für sonst irgendwen. Ich kann nur noch sterben.«

Ich widersprach nicht, brachte keinen billigen Trost vor – es wäre eine Beleidigung, nicht mehr. »Der Tod ist wichtig für mich.« Ich überlegte kurz, was ich sagen sollte. »Er ist mein Geschäft.«

Yiilüsh nahm ohne Wort die nächste Gabel.

»Darum versuche ich ihn zu verstehen«, erklärte ich. »Du bist ihm so nah, aber du fürchtest ihn nicht.«

»Wieso sollte ich?«

Was siehst du, wenn du nach vorne schaust?, wollte ich fragen, doch sie verschluckte sich, hustete und würgte. Etwas von dem Latosgras rutschte ihr aus dem Halsmund und fiel auf die Decke: grün auf weiß.

Aus dem Bett fuhr ein metallener Greifarm, legte sich auf ihren Brustkorb, drückte ihn nach unten. Der Kopf zitterte in der Fixierung, die Augen verdrehten sich.

Boulter trat neben mich.

»Hat sie Schmerzen?«, wisperte ich dem Ara zu.

»Warte kurz.«

Ich hörte das leise Zischen einer Injektion, dann entdeckte ich die kleine Nadel am Greifarm.

»Jetzt nicht mehr«, sagte Boulter. »Sie wird schlafen. Verabschiede dich rasch.«

Das tat ich, beugte mich zu ihr und strich über den Rand ihres Kopfes. Ich bedankte mich erneut. »Du tust sehr viel für mich. Möge die Schwarze Kreatur der Ewigkeit mit dir sein.«

Sie überraschte mich, indem sie die Kraft fand zu antworten, mit schwach zirpenden Lauten, die der Translator übertrug: »Das wird sie.« Der Mund blieb halb offen stehen.

»Ist sie ...?«

»Sie schläft nur«, antwortete Boulter rasch.

Ich sah das schlafende Gataserkind an, das dem Geheimnis des Todes näher stand als ich, trotz all der Mühe mit meinen Kunstwerken. Ich hoffte, dass der angebliche John C. Shelton mir die Gelegenheit schenkte, an einem neuen Auftrag zu arbeiten. Mit etwas Glück hatte Senator all die lästigen geschäftlichen Voraussetzungen inzwischen erledigt.

Zurück im Antigravschacht fragte ich Boulter nach dem Stand meiner Körperkopieprothese.

»Das Verfahren ist nach wie vor experimentell und weit davon entfernt, vom Rat der Aras eine medizinische Freigabe zu erhalten.«

»Aber sie lebt?«

»Sie?«

»Meine Körperkopieprothese.«

»Ich bezeichne die Klonware als es, solange es sich um einen Körper ohne Gehirn handelt. Aber ja, es lebt. Möchtest du ...«

»Nein«, unterbrach ich rasch. »Ich will sie nicht sehen.«

»Es.«

Ich lächelte.

Wir verließen den Schacht.

Der Chefmediker brachte mich zum Hauptausgang. »Ich hätte eine Bitte.«

»Ich werde mit weiteren finanziellen Mitteln zurückkommen«, kündigte ich an. »Extrem seltene Krankheiten wie die des Mädchens in Zukunft heilen zu können, scheint mir eine gute Investition. Gerade wenn die Welt dort draußen brennt.«

»Darum geht es mir nicht.«

»Sondern?«

»Wir arbeiten bereits eine lange Zeit zusammen. Ich würde dich gerne endlich mit Namen ansprechen.«

Ich zögerte und spürte einen winzigen, einzelnen Schweißtropfen im Nacken. »Asherman Kant«, sagte ich schließlich. »Ich bin Kunsthändler.«

Boulter sah mich an. »Danke.«

Ich verließ die Klinik und damit den durch den Schirm geschützten Bereich. Die Sonne stach. Meine Augen tränten. Es wummerte in den Ohren. Ein Insekt flog mir gegen den Arm, es fühlte sich an wie ein Faustschlag.

Obwohl Lepsos ach so glitzernde und pulsierende Hauptstadt Orbana leiser und dunkler geworden war, schrie sie mich an.