Mit jeder Seite besser

Problemlösungen für Drehbuchautoren

Axel Melzener

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Inhaltsverzeichnis

VORWORT

PROBLEME UND LÖSUNGEN

1. LAHMER ANFANG, LAHMES ENDE

Der erste Eindruck zählt

Der Vorhang öffnet sich

Wenn alle Stricke reißen

Den Absprung schaffen

Kreise und Klammern

2. PASSIVE HAUPTFIGUR

Die Funktion des Protagonisten

Kulturelle Prägung

Ausnahmen und Experimente

Dynamik durch Wandlung

Und wieder Ausnahmen

3. MANGELNDER ANTAGONISTISCHER DRUCK

Die dunkle Seite

„German Angst“

Im Reich des Bösen

Gebrauchsanweisung für Bösewichte

Hehre Ziele

4. VERZICHT AUF EIN THEMA

Filmisches Sendungsbewusstsein

Was ist der Inhalt?

Die Deutschen und ihre Themen

Frechheit siegt

Thema und Originalität

Was gibt’s Neues, Pussycat?

5. VERNACHLÄSSIGUNG VON STRUKTUR

Die Macht des Drehbuchautors

Nach den Regeln der Kunst

Rhythmus

Strukturelle Eckpfeiler

Die Bausteine einer Geschichte

Ursache und Wirkung

Unverhofft kommt oft

6. VERWEIGERUNG DER GENRETREUE

Das Volk spricht

Kunst gegen Kommerz

Eine lange Geschichte

Die Funktion des Genres

Genres unterscheiden

Genres, die keine sind

Nicht abschweifen

„Es ist nicht, wonach es aussieht!“

7. BRECHEN DER TONALITÄT

Wir machen uns die Welt … wie sie uns gefällt

Sehen heißt Glauben

Wie lustig darf ein Gangsterfilm sein?

Ironische Brechung

Sinn ohne Logik

Lügen erlaubt

Gut recherchiert ist halb gewonnen

8. SAGEN, NICHT ZEIGEN

Erzähl mir nichts

Sehsucht

Neue Technik – neue Stories

Lieber klug als schön

Malen mit Text

Das Bessere ist der Feind des Guten

Der sehende Autor

9. NULL PUNKTE FÜR STIL

Babylonische Formatverwirrung

Lang, länger, am längsten

Die eigene Stimme

Perspektive

Rhythmisierung

Kameraanweisungen

Unsichtbare Information

Detailierung

Sprechanweisungen

Selbstgespräche

Dopplungen

Wiederholungen

CHECKLISTE

VON DER THEORIE ZUR PRAXIS

ZUM GELEIT

ÜBER DEN AUTOR

VORWORT

Der Mensch lernt am besten aus Fehlern, und so zeichnet der Mut zur Selbstkritik einen Drehbuchautor, der seine Fähigkeiten zu vervollkommnen bestrebt ist, in besonderem Maße aus. Eine der größten Herausforderungen ist es für ihn, Ungereimtheiten in der eigenen Story zu erkennen, bevor andere es tun – denn in diesem Fall ist es meist zu spät.

Die Gründe, aus denen zahlreiche Drehbücher, deren Entwicklung ich in den vergangenen Jahren für Filmstudenten und Autorenkollegen im In- und Ausland betreut habe, ursprünglich nicht funktionierten, ähnelten sich frappierend. Auffällig war, dass sich die kleinen und großen Fehler, die begangen wurden, ständig wiederholten. Sie waren mir vertraut – ich kannte sie von meiner Arbeit als Autor. Ich rang und ringe jeden Tag mit ihnen. Mein Drang, sie zu entlarven, ist mit der Zeit gewachsen, und dieses Buch ist das Resultat. Ich wäre froh, wenn es dazu beiträgt, dass Drehbücher mit jeder Seite besser werden – und Autoren mit jedem Drehbuch, das sie schreiben.

Axel Melzener

PROBLEME UND LÖSUNGEN

1. LAHMER ANFANG, LAHMES ENDE

Der erste Eindruck zählt

Reicht man als Autor ein Drehbuch bei einer größer dimensionierten Produktionsfirma ein, landet es zuerst auf dem Tisch eines Lektors. Genauer gesagt, auf einem großen Stapel anderer Drehbücher anderer Autoren auf dem Tisch eines Lektors.

Lektoren haben kein einfaches Leben. Sie müssen jede Woche Dutzende von Drehbüchern lesen und Bewertungen verfassen, und werden dafür nicht besonders gut bezahlt. Nur die besten Scripts – vielleicht zehn Prozent des bei der Firma eingehenden Materials, wahrscheinlich weniger – werden an den Produzenten weitergeleitet, vorausgesetzt, ihm gefallen die kurzen Zusammenfassungen der Storys, die der Lektor als Teil seiner schriftlichen Beurteilungen angefertigt hat.

Den meisten Drehbuchautoren ist nicht bewusst, wie groß die Konkurrenz ist, und sie sind in höchstem Maße enttäuscht, wenn sie ein negatives – oder gar kein – Feedback vom Empfänger erhalten.

Man versetze sich in den beruflichen Alltag eines Lektors hinein. Nach dem Frühstück hat er ein viel zu langes, sehr dialoglastiges Sozialdrama von einer Autorin aus Hamburg über ein sehr unangenehmes Thema lesen müssen, das ihm gehörig aufs Gemüt geschlagen ist. Vor dem Mittagessen musste er sich dann durch die hundertste Interpretation der Nibelungensage arbeiten, verfasst von einem Deutschlehrer aus Fürth, der Drachen und aufwendige Schlachtszenen liebt, aber offensichtlich noch nie ein Drehbuch geschrieben hat, da er weder das Format richtig beherrscht noch versteht, dass keine deutschsprachigen Filme mit einem Budget von über 20 Millionen Euro gedreht werden können, weil der Markt dafür zu klein ist.

Das nächste Script, eine romantische Komödie, handschriftlich verfasst von einer Berliner Hausfrau, droht schon vom Stapel herab …

Der Lektor seufzt. Sein Arbeitstag ist erst halb vorbei, aber mental schon gelaufen. Obwohl er eigentlich keinen Appetit mehr hat, geht er in die Kantine, um zumindest eine Stunde seine Ruhe zu haben.

Nach dem Mittagessen kehrt er an seinen Schreibtisch zurück. Er zerrt ein Drehbuch aus dem Stapel, legt die Füße auf den Tisch, lehnt sich zurück – und hofft. Hofft, dass der Text überhaupt lesbar ist. Hofft auf einen Anschein von Professionalität bei diesem Autor. Hofft, dass die Geschichte gut ist. Vor allem hofft er, überrascht zu werden, denn er liest viele Drehbücher und ist abgestumpft. Der Lektor schlägt das Drehbuch auf. Obwohl es im falschen Schriftsatz verfasst ist und viele Rechtschreibfehler aufweist, ist seine erste Seite tatsächlich spannend. Der Lektor blättert weiter, seine Augen fliegen über das Papier. Aus einer Seite werden zwei, aus zwei drei. Er ist fasziniert. Die Eröffnungsszene des Drehbuchs hat ihn in die Geschichte gezogen, der Autor hat ihn am Haken. Die Chancen, dass er weiterliest – bis Seite zehn, vielleicht sogar bis Seite dreißig, zwei kritische Punkte – steigen.

Und wenn der Rest der Story hält, was der Anfang verspricht, dann, aber nur dann, liest er das Buch vielleicht sogar ganz.

Ein energischer Auftakt ist die halbe Miete, und ein Feuerwerk zum Finale besiegelt den Deal.

Der Vorhang öffnet sich

Warum Anfang und Ende eines Films nicht nur für den Leser des Drehbuchs, sondern später auch für den Kinozuschauer von Bedeutung sind und die entsprechende Aufmerksamkeit des Autors erhalten sollten, liegt auf der Hand. Die Eröffnungsszene ist das Erste, das der Zuschauer sieht; bereits hier kann sich entscheiden, ob ihn die nachfolgende Geschichte interessiert oder nicht. Und die Schlussszene ist das Letzte, das er vom Film wahrnimmt – das Finale brennt sich ein. Ein unangemessenes Ende kann ihm den ganzen Spaß, den er mit dem Rest der Geschichte hatte, madigmachen.

Die Eröffnungsszene ist ein Versprechen. Was hier an Emotionalität und Tempo etabliert wird, muss von den nachfolgenden Szenen bestätigt oder noch gesteigert werden. Hält der Rest allerdings nicht mit dem Anfang mit, wird sich der Film beim Publikum schwertun.

Es mag brutal klingen, aber die besten hundert Drehbuchseiten in der Mitte sind wertlos, wenn die zehn davor und dahinter nichts taugen. Ohne eine Idee für einen packenden Einstieg und ein befriedigendes Ende sollte sich der Autor gar nicht erst vor den Computer setzen.

Die Eröffnungsszene eines Films hat eine wesentliche Funktion: Sie etabliert die drei Ts. Time, tone and town – oder Zeit, Tonalität und Schauplatz. Wann und wo spielt die Geschichte, welche Haltung transportiert sie?

In Danny Boyles Satire „Trainspotting“ (1996) zeigt die Eröffnungsszene drei Junkies, die nach einem Diebstahl ihr Heil in der Flucht suchen. Während die ausgemergelten Figuren durch die Straßen Edinburghs hetzen, scheppert Iggy Pops „Lust for Life“ im Hintergrund, treibt die Charaktere an und bricht sie zugleich ironisch. „Sag ja zum Leben“, kommentiert Antiheld Renton das Geschehen sarkastisch per voice over. Der ganze Film, mit seiner Verzweiflung aber auch seiner vibrierenden Energie, spiegelt sich bereits in diesem Anfang wieder.

Die Eröffnungsszene von David Lynchs „Blue Velvet“ (1986) zeigt Impressionen der Kleinstadt Lumberton. Willkommen im Amerika der weiß gestrichenen Lattenzäune! Von außen betrachtet sieht es hier ganz normal und friedlich aus. Feuerwehrleute winken uns zu, Blumen wiegen sich in einer leichten Brise. Wie animierte Gemälde wirken die ersten Kameraeinstellungen. Aber hinter dieser Fassade lauert der Schrecken. Ein Mann, der gerade das korrekt gestutzte Gras seines Vorgartens wässert, erleidet einen Herzinfarkt. Die Kamera bewegt sich nach unten, taucht ein in die Halme, in den Dreck, zeigt Gewürm, schwarze, glitschige, miteinander ringende Käfer, Wildheit, Hässlichkeit. Die perfekte kinematische Metapher, und der bestmögliche Start für einen Thriller, der die Schattenseiten des amerikanischen Traums entlarvt.

Ein animiertes Gemälde ist auch die Eröffnungsszene von Werner Herzogs „Aguirre – Der Zorn Gottes“ (1972). Eine endlos scheinende Menschenschlange windet sich über einen schmalen Pfad inmitten schroffer, nebelverhangener Berge. Es sind die spanischen Konquistadoren mit ihren einheimischen Trägern, die, gleichgeschaltet und zielstrebig wie Ameisen dem mystischen Goldland El Dorado entgegenkrabbeln, an dessen Existenz sie fest glauben. Sie kommen nur langsam voran, wirken verloren und hilflos in diesem mächtigen Panorama. Es scheint so, als wollten die Felsen und das grüne Dickicht des Dschungels sie jeden Moment verschlingen – und genau das ist es, was im weiteren Verlauf der Geschichte passieren wird.

Eine gute Anfangsszene ist eine Miniaturversion des Films. Es reicht jedoch nicht aus, dass die drei Ts etabliert werden; es muss auf eine unterhaltsame Weise geschehen. Unterhaltung wird im Medium Film vor allem durch bewegte Bilder erzeugt – nicht durch endloses Gerede. Die sicherste Möglichkeit, einen Zuschauer gleich zu Beginn der Geschichte abzuschrecken, ist eine Szene, in der zwei Charaktere irgendwo sitzen und fünf Minuten lang über das Leben philosophieren. Es ist wie im richtigen Leben: Menschen möchten freundlich willkommen geheißen werden, wenn man ihnen zum ersten Mal begegnet, und nicht eine Ohrfeige zur Begrüßung bekommen.

Die Eröffnung von Herzogs „Fitzcarraldo“ (1982) kommt an die von „Aguirre“ nicht ganz heran. Immerhin benutzt sie keine endlosen Dialoge, sondern arbeitet mit Musik: Der Zuschauer sieht eine Opernaufführung in einem prunkvollen Theatersaal einer südamerikanischen Stadt, unterschnitten von Bildern des titelgebenden Helden, der herbeieilt, um rechtzeitig Zeuge der von ihm herbeigesehnten Aufführung zu werden. Das Problem ist, dass die Szene scheinbar nicht enden will: Es wird weiter und weiter gesungen. Zuschauer, die einen Abenteuerfilm erwarten, mögen enttäuscht sein, dass die ersten fünf Minuten eher einem Konzertfilm gleichen. Die Geduld des Publikums wird bereits zu Beginn auf eine harte Probe gestellt; die Aufmerksamkeitsspanne des Normalzuschauers wird nicht berücksichtigt. Dass wir uns in Peru befinden, wird zudem nur durch ein paar kurze Dschungelaufnahmen zu Beginn des Films angedeutet, die nachträglich eingefügt wirken und nur schwer in Bezug zur nachfolgenden Opernszene zu setzen sind. Der Zuschauer ist von diesem Anfang eher irritiert als inspiriert, der Auftakt wird dem Meisterwerk, das folgt, nicht gerecht. Der Rhythmus stimmt nicht.

Die Anfangsszene eines Films zeigt uns die Essenz dessen, was folgen wird. Wie deutlich sie das tut, bleibt dem Geschmack des Geschichtenerzählers überlassen: Es ist keineswegs nötig, die Hauptfiguren und ihre Ziele bereits in der ersten Szene einzuführen. Klarheit ist nicht zwingend notwendig. Oft kann ein mysteriöser Ansatz sogar wirkungsvoller sein.

Start with the action, explain it later“ – beginne mit Handlung, erkläre sie später, war einer der Leitsätze des Multitalents Michael Crichton, der sich nicht nur als Bestsellerautor einen Namen machte, sondern auch erfolgreicher Drehbuchautor, Regisseur und Filmproduzent war. David Koepp, der Crich-tons Roman „Jurassic Park“ 1992 in ein Drehbuch adaptierte, nahm sich die Lehre seines großen Vorbildes zu Herzen, als er sich folgende Eröffnungsszene ausdachte: Uniformierte, bewaffnete Männer – Sicherheitspersonal? – stehen inmitten eines tropischen Urwaldes. Anspannung steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Plötzlich bewegt sich das undurchdringliche Blätterdach vor ihnen, es knackt im Unterholz … der lange Hals eines Brontosaurus bewegt sich silhouettenhaft auf die zunehmend nervösen Sicherheitsleute zu. Als das Monstrum näher kommt, erkennen wir, dass es kein Dinosaurier ist, sondern ein Kranwagen, an dessen Stahlseilen eine metallene Kiste baumelt. Die Kiste wird vorsichtig vor einer Öffnung in einer Betonwand abgesetzt, die sich als Teil eines Geheges entpuppt. Die Kiste muss ein Käfig sein. Aber was befindet sich darin? Etwas Gefährliches, wie das aggressive Zischen, das aus ihm dringt, und die ängstlichen Gesichter des Sicherheitspersonals uns verraten. Die Vermutung wird blutige Gewissheit, als bei der Öffnung des Transportbehälters etwas schiefgeht und einer der Männer vom Inhalt des Käfigs in dessen Inneres gezerrt wird. Seine Kollegen brauchen lange, zu lange, um den Velociraptor, dessen Reptilienauge wir kurz durch einen schmalen Spalt sehen, mit Stromstößen außer Gefecht zu setzen.

Die perfekte Eröffnung für eine Abenteuer-Horror-Science-Fiction Genremischung: Geheimnisvoll, bedrohlich, voller Andeutungen, erzeugt sie eine Sogwirkung, die es fast unmöglich macht, dem weiteren Verlauf der Handlung nicht folgen zu wollen.

Man kann es allerdings mit der Geheimniskrämerei auch übertreiben. Verglichen mit dem Anfang von „Blue Velvet“ ist David Lynchs erste Szene in „Inland Empire“ (2006) eher verwirrend als erklärend: Eine Frau geht einen Korridor hinunter, betritt ein dunkles Zimmer und schaltet einen Fernseher an. Auf dem Bildschirm erscheint ein zweiter Raum, heller, bunter, einer Puppenstube ähnelnd, der von menschengroßen sprechenden Hasen bewohnt wird. Ein Hase liest Zeitung, einer kocht, später gesellt sich ein dritter dazu. Fast fünf Minuten dauert der groteske, aber nicht sonderlich spannende Alltag aus dem Hasen-Menschen-Leben. Wenn Lynch beabsichtigte, mit dieser Eröffnung die Spreu vom Weizen zu trennen (nur, wer wirklich bereit ist, mir zu folgen, bleibt im Kino sitzen – der Rest geht bitteschön), hat er voll ins Schwarze getroffen.

Ebenfalls abstrakt, aber deutlicher seinem Thema verhaftet ist die Eröffnungssequenz von Andrew Niccols „Lord of War“ (2005). Die satirisch angelegte Geschichte um einen Waffenhändler, der sich eine goldene Nase daran verdient, verfeindete Parteien auf der ganzen Welt mit Handgranaten und Maschinenpistolen zu versorgen, hat keinen menschlichen Protagonisten in ihrem Zentrum, sondern einen Gegenstand: Der Zuschauer erlebt den Lebenszyklus einer Gewehrpatrone. Wir folgen der Herstellung des Geschosses in der Fabrik, bewegen uns mit ihm über ein Laufband in eine Verpackung, nach vielen Umwegen kommt die Verpackung am Bestimmungsort an, sie wird am anderen Ende der Welt aufgerissen, die Patrone wird herausgenommen … in ein Gewehr gesteckt … und landet zuletzt im Kopf eines unbekannten afrikanischen Rebellen. Das Thema des Films – das Geschäft mit dem Tod – wird in dieser Eröffnung wahrhaftig mit einem lauten Knall etabliert.

Wenn alle Stricke reißen

Die Geschichte hat begonnen, sie läuft – aber wie hört sie auf und wo? Unaufhaltsam bewegt sie sich auf einen einzigen Punkt zu; auf die Szene, in die das Publikum alle Erwartungen projiziert: das Ende.

Hat der Drehbuchautor seine Geschichte nicht ausreichend geplant, bevor er sie in ein Drehbuch ausweitet, so kann es passieren, dass er sich „in die Ecke schreibt“, sobald die Auflösung der Story ansteht – und aus dieser Ecke kommt er in der Regel nur mithilfe eines schmutzigen kleinen Tricks heraus. Vor diesen gilt es ausdrücklich zu warnen, denn das Publikum reagiert allergisch auf die Benutzung von zweifelhaften Storytelling-Gimmicks – wobei meist nicht das Gimmick an sich, sondern die Tatsache, dass es tausendfach gesehen und völlig ausgelutscht ist, störend wirkt.

Die wohl berüchtigtste Methode, einen Film zu beenden, für den man ansonsten kein sinnvolles Finale finden würde, ist die Behauptung, dass alles, was an Handlung gezeigt wurde, nur ein Traum war.

Im Fantasyklassiker „Der Zauberer von Oz“ (1939) war diese Wendung noch ganz charmant. Zum einen, weil das Geschehen im quietschbunten Land über dem Regenbogen mit seinen mythischen Figuren tatsächlich im Kontext eines kindlichen Traumes glaubhaft ist; zum anderen war es ein netter Einfall, die im Traum der Hauptfigur Dorothy agierenden Charaktere nach Figuren aus ihrer „echten“ Umgebung zu gestalten. Der Film kommt mit dieser Wendung davon und wird sogar dafür geschätzt.

Anders sah die Reaktion von Fernsehzuschauern im Jahr 1985 aus, als sie erfahren mussten, dass eine komplette Staffel „Dallas“ eigentlich gar nicht stattgefunden hatte. Wie kam es dazu? Schauspieler Patrick Duffy, Darsteller des Sympathieträgers Bobby Ewing, wollte aus der Serie aussteigen und der Tod seiner Serienfigur wurde inszeniert. Die nächste Staffel wurde ohne Duffys Mitwirkung gedreht. Prompt fielen die Einschaltquoten in den Keller. Die Autoren standen nun vor der Herausforderung, eine Figur, die eigentlich tot war, zurückzubringen. Die Lösung? In der ersten Episode der darauf folgenden Staffel erwacht Pamela Ewing unter der Dusche und es stellt sich heraus, dass sie die letzten fünfundzwanzig Folgen inklusive Bobbys Tod nur geträumt hat.

Die Empörung war groß – legte sich aber schnell zugunsten der Freude, die beliebte Figur wiederzusehen. In kommerzieller Hinsicht hat das Gimmick also funktioniert: Die Quoten stiegen nach Bobbys Rückkehr. Bei einer Serie ist die Gewohnheit wichtiger als der Verstand. Zweifelsohne waren die Fans froh, ihren Helden wiederzuhaben, doch spätestens zu diesem Zeitpunkt war das Traumgimmick für alle nachfolgenden Autorengenerationen tabu.

Möchte man zumindest meinen. Leider ist es quicklebendig. Immer wieder reden sich Autoren auf Träume heraus, wenn sie feststellen, dass ihre Story keinen Sinn ergibt. Die Tatsache, dass die Gesetze von Raum, Zeit und Kausalität im Traum außer Kraft gesetzt sind, wird dann gerne als Totschlagargument angeführt. In Marc Forsters psychedelischem Drama „Stay“ (2004) ist nur der Anfang der Handlung, in der die Hauptfigur Henry einen Autounfall hat, real; den Rest des Films halluziniert er sich während des Sterbens zusammen. Denselben Ansatz verfolgte bereits Adrian Lynes VietnamkriegsMysterienspiel „Jacob’s Ladder“ vierzehn Jahre zuvor, in der die Handlung der Fantasie eines tödlich verwundeten Soldaten entspringt. In Deutschland werden bekanntlich gerne amerikanische Trends kopiert – inklusive allem, was falsch daran ist – und so bediente sich auch Christian Petzold für seinen Film „Yella“ (2007) großzügig bei diesen und anderen Vorlagen.

Nicht minder überstrapaziert ist das Gimmick der „gespaltenen Persönlichkeit“. Es wird vorzugsweise in Krimi- und Thrillerhandlungen benutzt, wenn der Autor die Übersicht über seine falschen Fährten und die Alibis der Charaktere verloren hat. In „Zwielicht“ (1996) war diese Wendung noch ganz spannend und wurde vor allem durch die grandiose Darstellung Edward Nortons aufgefangen. Oft hinterlässt das Ergebnis allerdings einen schalen Nachgeschmack. Im französischen Thriller „Haute Tension“ (2003) erfahren wir am Ende, dass der Bösewicht – ein übergewichtiger serienmordender Lastwagenfahrer – in Wahrheit nur ein verkleidetes Alter Ego von Marie, der äußerst zierlich gebauten lesbischen Heldin, ist. Verärgert waren die Zuschauer über diese Enthüllung vor allem deswegen, weil es für Marie physisch unmöglich ist, einige der dargestellten Morde zu begehen, wodurch das Publikum eindeutig für dumm verkauft wird. Dafür, dass die Figur an zwei verschiedenen Orten gleichzeitig auftaucht, kann die gespaltene Persönlichkeit erst recht nicht als Erklärung herhalten. Auch in den Filmen „Hide and Seek“ (2005), „Das geheime Fenster“ (2004) und „Die Zahl 23“ (2007) entpuppen sich die Helden am Ende als Missetäter mit dissoziativer Persönlichkeitsstörung, gerne kombiniert mit Amnesie, wodurch erklärt wäre, warum sie sich an ihre Taten nicht erinnern können. In allen Fällen ist das Ergebnis für den Zuschauer höchst unbefriedigend und die Einspielergebnisse gestalteten sich entsprechend.

Eine etwas traditionellere Variante der gespaltenen Persönlichkeit ist der „böse Zwilling“. Die einzige Möglichkeit, halbwegs schlüssig zu belegen, warum die Person, die wir (scheinbar) beim Morden gesehen haben, nicht der Täter sein kann, ist, einen blutrünstigen Bruder oder eine entsprechend veranlagte Schwester aus dem Hut zu ziehen. Das Gimmick ist so stupide, dass sich seit dreißig Jahren kein professioneller Drehbuchautor mehr darauf einlassen würde – von wenigen Ausnahmen abgesehen, die die Regel bestätigen. Im passablen französischen Krimi „Die Purpurnen Flüsse“ (2002) kommen zwei Ermittler, die eine Mordserie in einer abgelegenen Universitätsstadt in den Alpen aufklären, einer geheimen Bruderschaft auf die Spur, die eine intellektuelle Herrenrasse züchtet. Als Täterin entpuppt sich … die böse Zwillingsschwester der weiblichen Protagonistin (die Gene der Schwestern sind dabei so identisch, dass sie sogar dieselben Fingerabdrücke haben). Eine ähnliche Auflösung bot das Drama „Prestige – Meister der Magie“ (2005), eine Geschichte um zwei rivalisierende Illusionisten im Wettstreit um den besten Zaubertrick. Es stellt sich heraus, dass der von Christian Bale dargestellte Zauberer Alfred Borden einen geheimen Zwillingsbruder hat, der ihm hilft, das Geheimnis des Tricks des „teleportierten Mannes“ aufrechtzuerhalten. Diese Auflösung stieß nicht auf ungeteilte Gegenliebe.

Wir wollen auch nicht vergessen, dass für alle merkwürdigen Dinge, die im Alltag geschehen, stets Außerirdische verantwortlich gemacht werden können.

Den einfachsten Ausweg zu nehmen, ist nicht die beste Methode, gute Drehbücher zu schreiben.

Den Absprung schaffen

Das Verhältnis des Drehbuchautors zur letzten Seite seines Werkes ist zwiespältig. Einerseits ist der Abschluss eines neuen Scripts ein Grund zum Feiern, markiert er doch (möglichen) bevorstehenden Broterwerb und bestenfalls einen Schritt in der Evolution seiner künstlerischen Persönlichkeit.

Andererseits ist da die Stille nach dem Schluss – die Leere. Sie fühlt sich nach Wehmut und Abschied an. Das Kind ist erwachsen, jetzt muss es raus in die Welt und man will ihm das beste Rüstzeug mit auf den Weg geben, um sich zu behaupten. Kein Wunder, dass dem Autor das Verfassen eines packenden und passenden Endes in den meisten Fällen Kopfzerbrechen bereitet – vor allem wenn er aus beruflichem Stolz auf die Verwendung der soeben beschriebenen Gimmicks verzichtet.

Die erste Entscheidung, die ein Drehbuchschreiber – und zwar möglichst früh – treffen muss, ist, ob es ein abgeschlossenes oder offenes Ende geben soll, und ein glückliches oder tragisches. Es gibt dabei keine bessere oder schlechtere Entscheidung: Einige der erfolgreichsten und beliebtesten Filme haben offene und/oder tragische Enden, auch wenn Filmproduzenten noch so sehr darauf pochen, dass ein Happy End mehr Zuschauer in die Kinos lockt.

Die Entscheidung ist allein der Kreativität des Autors überlassen.

Andererseits trifft das vielleicht nur bedingt zu, denn das Ende einer Geschichte ist nichts, das „erfunden“ wird, sondern das Resultat eines dynamischen, narrativen Prozesses. Die meisten Autoren, die kein passendes Ende für ihr Drehbuch finden, haben ein Problem: Sie wissen nicht, worum es in ihrer Story geht – oder sie kennen ihre Charaktere nicht gut genug. Schlimmstenfalls beides.

Mit ersterem Fehler hat ein Autor zu kämpfen, der sich des Themas seiner Geschichte nicht bewusst ist; zweiterem muss sich der Autor stellen, der Plotmechanismen höhere Priorität einräumt als den Figuren. Ein unbefriedigendes Ende ist ein klares Zeichen dafür, dass der Autor sich unsicher bezüglich der Entwicklung seiner Hauptfigur ist.

Ein für den Zuschauer befriedigendes Ende ist immer eines, das sich organisch aus der Geschichte heraus entwickelt. Das muss keineswegs bedeuten, dass es vorhersehbar ist; im Gegenteil. Viel wichtiger ist die Schlüssigkeit. Das Ende muss plausibles Resultat des zuvor Gesehenen sein. „Die Story sagt uns, was sie braucht“, hat Erfolgsproduzent Don Simpson einmal den Drehbuchentwicklungsprozess kommentiert. Er hatte völlig recht. Der Autor muss lernen, seinen Figuren zuzuhören. Sie werden ihm einflüstern, was das Beste für sie ist und welches Ende sie sich wünschen. Die meisten Drehbuchautoren werden Bekanntschaft mit diesem Phänomen gemacht haben: Im Laufe des Schreibprozesses verselbstständigen sich die Charaktere. Es ist so, als ob sie den weiteren Verlauf der Story diktieren.

Offene Enden sind umstritten. Meist können sie nicht das Gefühl von Abgeschlossenheit und „Rundheit“ vermitteln, das der Zuschauer am Schluss eines Films erwartet. Gleichzeitig verfügt ein offenes Ende über die Kraft, die Fantasie des Publikums anzuregen und es aufzufordern, sich selbst auszudenken, wie die Geschichte weitergehen könnte. Dies funktioniert selbstverständlich nur, wenn der Zuschauer entsprechend emotional in die Charaktere und das Thema der Story investiert hat.

Ein offenes Ende hat den Vorteil, dass es über den Film hinauszeigt; das Gezeigte transzendiert. Darin kann eine mächtige Botschaft liegen. Noch heute rätseln Zuschauer darüber, was das verstörende Ende von „Blair Witch Project“ (1999) denn nun gemeint haben könnte.

Der Film „Die Truman Show“ (1998) dreht sich um einen Mann, der, ohne es zu wissen, Hauptfigur einer Reality-Fernsehshow ist. Er ist in einem Fernsehstudio geboren und aufgewachsen. Sein ganzes Leben hat Truman vor laufender Kamera verbracht, ohne sich dessen bewusst zu sein. Der Film folgt seinem Versuch, seine Umgebung und sich selbst als das zu erkennen, was sie ist. In der letzten Szene kommt er hinter das Geheimnis. Er findet heraus, dass der blaue Himmel, an den er mit dem Segelboot stößt, das er zu seiner Flucht aus der vertrauten Umgebung verwendet, aufgemalt ist. Truman verschwindet durch eine Tür in der Sperrholzwand in eine ungewisse Zukunft. Einerseits ein abgeschlossenes, für die Zuschauer befriedigendes Ende, denn Truman hat sein Bedürfnis, die Wahrheit über seine Existenz herauszufinden, realisiert. Andererseits ein offenes Ende. Was wird mit Truman in der Welt da draußen geschehen? Wird er sich in ihr zurechtfinden? Eine neue Liebe finden? Wird er das Trauma der Erkenntnis, dass die erste Hälfte seines Lebens eine Show war, jemals verarbeiten?

In „A History of Violence“ (2005) sind die Protagonisten, Tom und Edie Stall, glücklich verheiratet. Ihr friedliches Leben auf dem Land gerät aus den Fugen, als zwielichtige Gestalten aus der Stadt auftauchen und der Familie nachstellen. Tom erweist sich zum Erstaunen seiner Ehefrau als äußerst wehrhaft, und bald dämmert ihr, dass ihr Ehemann nicht ist, was er zu sein scheint. In der Tat hat Tom eine finstere Vergangenheit als Gangmitglied in Philadelphia. Zwanzig Jahre hielt man ihn nach einem Massaker für tot, nun holt ihn die Vergangenheit ein. Am Ende sitzt die Familie schweigend am Tisch und isst zu Abend. Tom hat die schreckliche Wahrheit über sich enthüllt, ein Mörder zu sein, und sie lässt seine Frau verzweifeln. Sie sehen sich in die Augen und wir wissen, dass es unmöglich, aber auf schmerzvolle Weise notwendig für die Figuren ist, so zu tun, als wäre nichts geschehen. Über das weitere Schicksal der Stalls können wir nur spekulieren. Wird Edie Tom die Treue halten? Oder ihn nach der Preisgabe der Lebenslüge verlassen? Was wird aus dieser Familie?

John Carpenters Remake von „Das Ding aus einer anderen Welt“ (1982) bietet eines der besten – und offensten – Enden in der Geschichte des Horrorfilmgenres. Nachdem ein außerirdischer Virus die Wissenschaftler in einer antarktischen Forschungsstation erst grausam entstellt und dann getötet hat, können sich nur zwei Überlebende aus dem verseuchten Gebäude in die eisige Einöde retten. Sie hoffen und warten auf Rettung und betrachten einander skeptisch: Jeder von beiden könnte den Virus in sich tragen; jeder könnte Schuld daran haben, wenn auch der Rest der Menschheit infiziert wird. Vielleicht ist es besser, wenn die zwei Helden im Schnee krepieren und niemals gefunden werden? Wir wissen nicht, was aus ihnen wird. Und genau das macht das Ende so bedrohlich – und effizient.

Solange das offene Ende gerechtfertigt ist, kann es ein starker Verbündeter des Drehbuchautors sein. Eine gute Methode, diese Rechtfertigung herbeizuführen, ist, in der letzten Szene des Films bereits den nächsten Teil anzulegen.

In „Zurück in die Zukunft“ (1985) hat der Teenager Marty McFly gerade seine charakterliche Reifeprüfung in der Vergangenheit bestanden, als sein Freund Doc Brown aus der Zukunft auftaucht und den Helden eben dorthin entführt – Auftakt für Teil zwei.

In „Batman Begins“ (2005) trifft der Held auf einem Dach in Gotham City seinen Verbündeten, Commissioner Gordon. Dieser berichtet ihm von einer Verbrechensserie, die die Stadt erschüttert, und reicht ihm eine Spielkarte. Batman dreht die Karte um – und erblickt das Gesicht seines zukünftigen Erzfeindes, des Jokers, darauf, womit die Erwartungshaltung für den Kassenrekorde brechenden Nachfolger, „The Dark Knight“ (2008), ausreichend geschürt war.

Am Ende von „Das Schweigen der Lämmer“ (1991) sieht man den Bösewicht Hannibal Lecter in einer Menschenmenge verschwinden. Die Geschichte ist abgeschlossen, bietet aber durch dieses Ende die Gelegenheit einer Fortsetzung, die findige Produzenten nach langer Wartezeit auf eine entsprechende Romanvorlage elf Jahre später mit „Hannibal“ auch beim Schopfe packten.

Ärgerlich ist bei diesem Ansatz natürlich, wenn man einen Nachfolgeteil anlegt, aber dieser mangels Erfolg des Originals nie realisiert wird – siehe Tim Burtons Remake von „Planet der Affen“ (2001), in dem der Held in der letzten Szene nach Washington zurückkehrt, nur um eine Statue von Abraham Lincoln mit einem Affenkopf vorzufinden. Genial oder hanebüchen? Es wäre interessant geworden, zu sehen, wie die Autoren die Umstände im zweiten Teil erklären – aber jener hat nie das Licht der Welt erblickt.

Eine Möglichkeit für Autoren, die sich um Kategorien wie glückliche und unglückliche, abgeschlossene und offene Enden herumdrücken wollen, ist, das ambivalente Ende anzustreben. Eine Geschichte auf zwiespältige Weise abzuschließen, ist nicht einfach und erfordert vom Autor ein klares Bekenntnis zum Thema seiner Geschichte und Einfühlungsvermögen in die Figuren.

Vor allem in den Genres des Gangsterfilms, des Thrillers und Krimis, die in der Regel Fragen nach individuellem moralischem Handeln stellen, ist das ambivalente Ende gut aufgehoben. In Abel Ferraras „King of New York – König zwischen Tag und Nacht“ (1990) sitzt der von Christopher Walken gespielte, schwer verwundete Gangsterboss nach dem Kampf gegen den vierten – und letzten – Polizisten, der ihm auf den Fersen war, in einem Taxi und spürt, wie die Kugel in seinem Bauch ihm langsam die Lebenskraft raubt. Er ist ein alter Bösewicht, der nichts mehr zu sagen hat und seinem letzten Ruheplatz entgegenfährt. Das Einzige, was ihm noch zu tun bleibt, ist still in die Stadt hineinzutreiben, die er liebt – und dem Tod entgegen. Hat er dieses Ende verdient? Ist es ein glückliches Ende? Offen? Abgeschlossen? Es wirkt jedenfalls angemessen und wahr.

In „Blue Velvet“ wird der arglose Collegestudent Jeffrey bei detektivischen Nachforschungen bezüglich des Besitzers eines abgeschnittenen Ohrs, das er zufällig findet, in einen Strudel aus Gewalt und Verführung hineingesogen. Nach einem Martyrium aus sexueller Obsession, Verstümmelung und Mord in dunklen Hinterzimmern und schmuddeligen Bars sitzt Jeffrey in der letzten Szene in einem Sonnenstuhl im Garten hinter dem Haus seiner Eltern. Es wirkt fast wie die Karikatur eines Happy Ends: Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, alles ist bunt und fröhlich, die Familie sitzt in trauter Eintracht zusammen – es ist schön. Etwas zu schön, um wahr zu sein. Jeffrey lächelt, aber er wirkt emotional unbeteiligt.

Wir wissen nicht, ob er sich in der sicheren, spießigen Umgebung des elterlichen Hauses noch wohl fühlt, nachdem er gesehen hat, was er sehen musste. Er hat auf der „falschen Seite der Stadt“ den Tod und das Böse geschmeckt – ist vielleicht etwas davon an ihm kleben geblieben? Ist er immer noch der nette Junge von nebenan? Hat ihn sein Abenteuer zu einem besseren, schlechteren oder einfach nur anderen Menschen gemacht? Hat es ihn überhaupt verändert? Verdrängt er die Ereignisse oder akzeptiert er einfach klaglos, dass es das Gute nicht ohne das Böse, das Schöne nicht ohne das Hässliche geben kann?

Auch der britische Überraschungshit „Trainspotting“ hat einen ambivalenten Schluss. Die drei Antihelden Renton, Spud und Begbie machen 16.000 Pfund bei einem Heroindeal und alle drei spielen offen mit dem Gedanken, die anderen übers Ohr zu hauen, das gesamte Geld zu nehmen und sich aus dem Staub zu machen. Renton ist schließlich derjenige, der es wagt, diese Fantasie auch in die Tat umzusetzen. In der letzten Einstellung des Films sehen wir ihn mit der mit Geld gefüllten, gestohlenen Tasche über eine Themsebrücke ins Gewühl des Londoner Stadtlebens hasten. Er erzählt uns – wie am Anfang – davon, zum „Leben ja zu sagen, zum Beruf ja zu sagen, zur Karriere“ und erklärt, dass er nun bereit für all das ist. Aber wird Renton wirklich die Kraft haben, sich zu ändern? Wird er nicht doch wieder auf der Straße landen, das Geld für Heroin verschwenden? Entkommt er wirklich in ein besseres Leben und lernt, „ja“ zu allem zu sagen, gegen das er sich früher stemmte, oder wird das Geld mehr Fluch als Segen sein?

Kreise und Klammern

Am Beispiel des Anfangs und Endes von „Trainspotting“ lässt sich eine weitere populäre Methode ablesen, ein Drehbuch zu beginnen und abzuschließen. In diesem Fall sind die voice overs von Renton das Element, das Alpha und Omega zusammenhält: Er sagt dieselben Sätze in der ersten und letzten Szene des Films und wie in der ersten Szene befindet er sich in der letzten auf der Flucht vor jemandem.

Andere Filme benutzen wiederkehrende identische Bilder oder Handlungsorte, um das Gefühl von Abgeschlossenheit zu verstärken. In einem solchen Fall spricht man von einer „zirkulären Geschichte“. Die Story wird dabei als kreisförmige Linie betrachtet, auf der sich die Charaktere bewegen: Am Ende werden sie dort landen, wo alles begann – und doch ist nichts mehr so, wie es vorher war.

Der Titelheld in „Fitzcarraldo“ erreicht zwar sein Ziel nicht, ein Opernhaus im peruanischen Dschungel zu bauen, aber dafür findet er eine Lösung, die fast noch besser ist: Anstatt Vincenzo Bellinis „Die Puritaner“ in einem dafür vorgesehenen Gebäude zu inszenieren, packt er Orchester und Sänger kurzerhand auf das marode Schiff, mit dem er sein halsbrecherisches Abenteuer im Mittelteil der Geschichte bestand, und fährt stolz den Amazonas hinunter. Der unbändige Fantast Fitzcarraldo, in den Augen der Welt gescheitert, verwirklicht zum Schluss seinen Traum auf ganz eigene, unerwartete Weise. Die Geschichte endet, wie sie begann – mit einer Opernaufführung.

In Ridley Scotts romantischem Märchen „Legende“ (1985) verliebt sich Jack, der naive Junge aus dem Wald, in die noble Prinzessin Lily. Sie spielt mit seiner offensichtlichen Zuneigung und wirft einen ihrer Ringe in einen tiefen See, mit dem Versprechen, denjenigen zu heiraten, der ihr den Ring zurückbringt. Ohne zu zögern, springt Jack ins Wasser. Doch in diesem Moment greifen die Mächte des Bösen das Land an und hüllen den Wald in Schnee und Eis. Lily wird entführt, und Jack kämpft verzweifelt darum, aus dem plötzlich zugefrorenen See zu entkommen. Am Ende des Abenteuers, nachdem Jack Lily aus den Fängen des gehörnten Finsterlings gerettet hat und der Frühling die Eisbarrieren hat schmelzen lassen, taucht Jack erneut in die Tiefe – dieses Mal findet er den Ring, und Lily löst ihr Versprechen ein. Der Kreis schließt sich. Die Helden gehen glücklich und in Zeitlupe dem Sonnenuntergang entgegen – und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Will man eine Geschichte zirkulär wirken lassen, ohne dass sie es wirklich ist, kann man sich als Drehbuchautor einer Klammer bedienen. Darunter versteht man eine Rahmenhandlung, in die das eigentliche Geschehen – meist in Form einer langen Rückblende – eingebettet ist. Ihre Benutzung ist Filmen mal mehr, mal weniger dienlich, in den meisten Fällen jedoch überflüssig. Klammern sind, aus welchen Gründen auch immer, seit ein paar Jahren groß in Mode, vor allem in eher auf künstlerische Meriten abzielende Hollywoodproduktionen. Es handelt sich um ein mittlerweile überstrapaziertes Stilmittel, das langsam, aber sicher, denselben Unwillen beim Publikum hervorruft wie voice overs. James Mangolds Johnny Cash-Biopic „Walk The Line“ (2005) benutzt den legendären Auftritt des Countrysängers im berüchtigten Gefängnis von Folsom: Während sich Cash mental auf das Konzert vorbereitet, erinnert er sich an den bisherigen Verlauf seines Lebens; an alle Höhen und Tiefen, die er erfahren musste; wie er seine Frau, June Carter, kennenlernte, nach langer Zeit eroberte und sie ihn schließlich zu einem besseren Menschen machte. Kurz vor Schluss des Films springen wir aus der Rückblende zurück in die Klammer, und der Film endet, wie der Anfang bereits vermuten ließ, mit dem Anfang des Konzertes in Folsom. Zweifellos hätte die Geschichte ohne die Klammer genauso gut funktioniert – vielleicht sogar noch besser. Die Vorstellung, dass sich der Held vor dem Auftritt an sein ganzes Leben; ja, jeden einzelnen Satz, den er zu June sagte, als er sie zum ersten Mal traf, erinnert – und überhaupt erinnern kann – ist wenig plausibel. Erst recht nicht, dass er den Auftritt zwei Stunden verzögert, um die Erinnerungen in ungehinderter Länge fließen lassen zu können. Die Klammer wirkt forciert.

Spielbergs „Der Soldat James Ryan“ (1997) bedient sich einer nicht minder umstrittenen Klammer. Der Film beginnt keineswegs, wie die Erinnerung vieler Kinogänger fälschlicherweise diktiert, mit der blutigen Landung der Alliierten in der Normandie, sondern mit dem alten Ryan, der seiner gefallenen Freunde und Kameraden in der Jetztzeit auf einem Soldatenfriedhof gedenkt. Dieser Besuch öffnet eine Klammer, die sich, nach der Darstellung der eigentlichen Filmhandlung in Form einer Rückblende, in der letzten Szene schließt, als Ryan den Friedhof mit seiner Familie wieder verlässt.

Die Klammer ist kurz – zu kurz, um tatsächlich zu wirken. Der Grund, warum Autor Robert Rodat sie installierte, war sicherlich, dass er eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart schlagen wollte, damit der Film für jüngere Zuschauer zugänglicher wird. Die Klammer ist auch eine Verneigung vor den amerikanischen Veteranen des Zweiten Weltkrieges, einhergehend mit der Aufforderung, die Leistung dieser Männer zu respektieren und niemals zu vergessen. Als symbolische Geste macht die Klammer Sinn; narrativ oder von einem ästhetischen Standpunkt aus hat sie allerdings nichts beizutragen und wirkt seltsam deplatziert.

Wie viele andere Repräsentanten des Krimi- und Thrillergenres, bedient sich der von Christopher McQuarrie geschriebene Film „Die Üblichen Verdächtigen“ (1995) einer Verhörsituation, um eine Klammer zu konstruieren. Ein Zeuge, in diesem Fall selbst Mitglied einer kriminellen Bande, wird von einem Polizisten in die Mangel genommen. Im Hafen von Los Angeles sind verbrannte Leichen auf einem Schiff gefunden worden, der einzige Überlebende ist der schüchterne, hinkende Taschendieb Verbal Kint. Ermittler Dave Kujan quetscht Kint aus: Was ist passiert? Die eigentliche Handlung entspinnt sich nun in Rückblenden. Immer wieder springen wir für kurze Momente zurück in die Verhörsituation, in der wir den fasziniert lauschenden Beamten Fragen stellen sehen, bevor Kints zunehmend unheimlicher werdende Story um die Unterweltgröße Keyser Söze fortgesetzt wird. Am Ende des Films dann der große Twist: Der unscheinbare Verhörte ist niemand geringerer als Söze selbst, er hat Kujan ein Drama vorgespielt und Lügen aufgetischt – aber als der Polizist es endlich kapiert, ist der trickreiche Gangsterboss längst über alle Berge. Diese Klammer hebt sich dadurch wohltuend von anderen Beispielen ab, indem sie die Geschichte tatsächlich bereichert und sogar die erzählerisch stärksten Momente bietet. Der Film verlässt sich nicht nur auf die verschachtelte Rückblendenstruktur, sondern ergänzt eine bereits häufig gesehene Konstellation und variiert sie.

 

Lahmer Anfang, lahmes Ende

Problem

Lösung

Der Einstieg ist wortlastig, die Exposition wird in erster Linie verbal vermittelt.

Einen visuellen Einstieg suchen. Den Leser durch eine aus Bildern geschaffene Umgebung in die Story leiten. Dabei auch die Tonebene nicht vergessen.

Der Anfang ist zwar nicht geschwätzig und enthält interessante visuelle Elemente, trotzdem fehlt ihm der Schwung.

Mit einem faszinierenden Vorgang beginnen, der später in den richtigen Kontext gesetzt wird. Start with the action, explain it later.

Der Einstieg ist zwar rasant und attraktiv, wirkt aber generisch und man versteht nicht, worum es in der Geschichte geht.

Das Thema zur Hilfe nehmen. Die Haltung, die die Geschichte vertritt, bereits in die Eröffnungsszene einfließen lassen. Erst die Verbindung mit dem Thema der Geschichte macht den Einstieg attraktiv.

Der Showdown ist packend, aber eine letzte Szene, ein Geleit, ein Epilog, will sich nicht finden lassen.

Etwas beschreiben, das über die eigentliche Story hinauszeigt. Einen theoretischen Nachfolgeteil anlegen. Wohin können die Figuren nun gehen, was ist ihre Zukunft?

Der Showdown ist rasant, fühlt sich aber austauschbar an – man hat ihn so ähnlich schon oft in anderen Filmen gesehen.

Auf die Charaktere hören. Für jede Figur gibt es einen passenden Showdown, der durch die individuelle Entwicklung, ihre Ziele und Bedürfnisse, definiert wird. Und wieder: Das Thema zur Hilfe nehmen. Die Aussage am Finale festmachen.

Das Ende ist ambivalent, wirkt aber hohl und unbefriedigend. Es wird nicht klar, was es einem sagen soll.

Die Aussage in der Ambivalenz finden: Jede Niederlage kann ein Sieg sein, jeder Sieg zugleich eine Niederlage. Die Doppelbödigkeit des Endes betonen.

Das Ende ist offen. Anstatt spannend oder anregend zu wirken, scheint es aber eher so, als breche die Story plötzlich ab.

Die „zentrale Frage“ der Geschichte beantworten. Alle Fäden zusammenlaufen lassen, die Geschichte abschließen.

Der Mörder ist ein böser Zwilling, hat eine gespaltene Persönlichkeit oder die Hauptfigur wacht aus einem Traum auf.

Weniger schlechte Filme schauen und sich selbst etwas ausdenken.

2. PASSIVE HAUPTFIGUR

Die Funktion des Protagonisten

Das Wort „Protagonist“ bedeutet im Griechischen „der Erst-Handelnde“ oder „der Beweger“. Die Herkunft des Wortes macht deutlich, was die Aufgabe der Hauptfigur einer Geschichte ist. Auch wenn viele Autoren es partout nicht glauben wollen: Sie soll die Story vorantreiben.

Eine der frühesten Entscheidungen des Drehbuchautors bei der Konzeption einer Geschichte ist die Bestimmung des handlungstragenden Charakters. Diese Wahl bestimmt die Erzählperspektive und damit auch spätere strukturelle Entscheidungen maßgeblich mit.

Der point of view legt fest, durch wessen Augen wir auf die Filmstory blicken und mit wem wir sie erleben.

Eine „strikte Einzelperspektive“ limitiert den Blickwinkel der Story kategorisch auf eine Figur. Wir sehen, was sie sieht, werden jedoch nicht Zeuge davon, was andere Figuren tun. Wir erleben jede Sekunde des Films mit dem Protagonisten. Das bedeutet auch, dass er in jeder Szene des Films auftauchen muss, denn ohne seinen Blickwinkel gibt es keinen Film. Diese Variante ist ökonomisch sinnvoll, denn sie limitiert Personal und Handlungsorte. Ein gutes Beispiel ist „Zurück in die Zukunft“. Der zeitreisende Teenager Marty McFly dominiert dort als Held jede Szene, es gibt keine ohne ihn. Die Identifikation mit der Figur ist in diesem Fall besonders groß; sie wird regelrecht erzwungen. Stülpt man diesem point of view dann noch das umstrittene Stilmittel des voice over über, um den Zuschauer an den Gedanken des Protagonisten teilzuhaben, kommt man dem, was in der Literatur „Ich-Erzähler“ genannt wird, sehr nahe.

Eine Erweiterung davon ist die „durchbrochene Einzelperspektive“. Sie konzentriert sich auf eine Figur, erlaubt allerdings auch Sprünge zu anderen Charakteren, solange diese nicht -überhandnehmen. Dies ist vor allem sinnvoll, um suspense durch Wissensvorsprünge aufzubauen, was bei der strikten Einzelperspektive schwer möglich ist. Dieser point of view ermöglicht mehr Abwechslung bei der Schilderung des Handlungsverlaufes und wird daher in den meisten Filmen genutzt. In „Stars Wars“ (1977) ist Luke Skywalker der Held der Story, wir erleben sie vorwiegend aus seiner Sicht. Trotzdem gibt es immer wieder Schnitte zu seinen Gegenspielern, um zu zeigen, was diese planen.

Eine „Polyperspektive“ verzichtet schließlich ganz auf eine strikte Festlegung des Blickwinkels. Hier stehen mehrere Figuren gleichberechtigt nebeneinander, zwischen denen man jederzeit hin- und herspringen kann. Dadurch ergibt sich zwangsläufig eine dramaturgische Gleichgewichtung der Figuren. Je besser die Balance, umso ansprechender das Ergebnis. Ein populäres Beispiel für einen solchen Ensemblefilm ist „L.A. Crash“ (2005). Er schildert einen Tag im Leben mehrerer Menschen in Los Angeles, die verschiedenen ethnischen Gruppen angehören. Das Thema des Films, Rassismus, kann nur transportiert werden, weil wir den Blickwinkel jeder Figur sehen und nachvollziehen können. In der Literatur würden wir vom „allwissenden Erzähler“ sprechen.