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STERNENTIGER

Band 2

 

PLANET IM
STRAHLEN-
STURM

 

von

HORST HOFFMANN

IMPRESSUM

STERNENTIGER

Herausgeber: ROMANTRUHE-Buchversand.

Cover: Romantruhe.

Satz und Konvertierung:

ROMANTRUHE-BUCHVERSAND.

© 2014 Romantruhe.

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Die Personen und Begebenheiten der

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Was bisher geschah:

 

Im Frühjahr 1945, kurz vor Kriegsende, entdeckt das Geheime Geheimwissenschaftskommando das Geheimnis der Zeitreise und bringt von einem Vorstoß in die Zukunft die Unterlagen zum Bau eines Raumschiffs sowie von Klonfabriken mit. Der Führer lässt in aller Eile den Fluchtkreuzer WELTRAUMSTURM bauen und begibt sich mit seinen letzten Getreuen auf den »vorläufigen taktischen Rückzug«, wobei sie Klone von sich zurücklassen, um die anrückenden Feinde zu täuschen.

Nach 65 Jahren Tiefschlaf landet der WELTRAUMSTURM auf dem erdähnlichen Planeten Neu-Germanien, wobei leider alle kosmischen Daten der Erdheimat verloren gehen. Erst fünf Jahre später, genau auf den 125. Geburtstag des Führers am 20. April 2014, wird eine TV-Sendung von der Erde empfangen, offenbar eine Übertragung aus einer Irrenanstalt mitten im australischen Dschungel. Der Führer erleidet einen heftigen Tobsuchtsanfall, von dem er sich nicht mehr erholt. Auf seinem Sterbelager beauftragt er seinen Vertrauten, Generaloberst Julius Eberhard Konradin Strammer, die Erdheimat wiederzufinden, vom Joch der Verräter und Feinde zu befreien und das Reich neu zu errichten.

Am 2.8.2014 bricht der Sternengeneraloberst, wie er sich nun nennt, mit dem mächtigen Raumschiff STERNENTIGER auf, die Erdheimat im Sternengewimmel der Galaxis zu finden und den Auftrag des Führers auszuführen – keine leichte Aufgabe, denn dessen verheerendem Tobsuchtsanfall fielen die gerade erst neu gewonnenen kosmischen Daten der Erdheimat erneut zum Opfer. Eher als geglaubt wird man fündig, doch das Sonnensystem, das dem eigenen gleicht wie ein kosmisches Ei dem anderen, erweist sich als Trugwerk einer sterbenden Rasse, deren Sonne von jenen roten Kugelraumern zur Nova gezündet wurde, die, neben den Wracks grüner Ringraumschiffe, fast auf jeder Station der Suche angetroffen werden.

Die Ignasuur, wie sich die Fremden nennen, sind in der Lage, aus den Gedanken anderer Wesen deren geheimste Wünsche zu lesen und ihnen genau das suggestiv vorzugaukeln, um sie zu sich zu locken und ihnen den Lebenssaft zu rauben. Strammer und seine Männer gehen in ihre gemeine Falle und können in letzter Sekunde durch den »Verrat« eines der Ignasuur dem sicheren Tod durch Auszehren entgehen, der sich selbst »das Orakel« nennt und in der Lage ist, mit mehr oder weniger Zielsicherheit in die Zukunft zu blicken.

Strammer lässt sich nicht beirren und setzt mit dem STERNENTIGER und dem übergelaufenen Orakel die Suche fort, wobei der Sternengeneraloberst bereits von einer »Mutantenwaffe« träumt, so wie er sie aus den ebenfalls aus der Zukunft mitgebrachten Heftchenromanen kennt, die der Führer mit solcher Begeisterung verschlang, dass er … Aber so weit sind wir noch lange nicht.

Der STERNENTIGER springt weiter durch das Weltall, immer darauf gefasst, in jedem neuen System die roten Kugelraumer anzutreffen, bei denen es sich mittlerweile zweifellos um die Schiffe der »elenden Bolschewisten« handelt, die offenbar den Krieg auf der Erdheimat gewonnen haben und nun dabei sind, den unterdrückten Völkern der Galaxis mit ihren Strahlenkanonen das Heil des Sozialismus zu bringen.

Sie haben jedoch ihre Rechnung ohne die Entschlossenheit eines echten Helden wie Julius Strammer gemacht, und so kommt es zum ersten direkten Aufeinandertreffen auf dem PLANET IM STRAHLENSTURM …

Das erste Kapitel:

ROTES ERWACHEN

 

»Ich … habe eine Vision.«

Sternengeneraloberst Julius Strammer verschluckte sich fast an seinem Mettschnittchen. Allein die Tatsache, dass ihm sein Persönlicher Adjutant, Sternenmajor Hermann Mühlenmeister, geistesgegenwärtig und heftig auf den Rücken klopfte, bewahrte ihn mit einiger Wahrscheinlichkeit vor einem peinlichen Lazarettaufenthalt. Das halb gekaute Schnittchen landete mitten im offenen Schlund des Wesens, das soeben seine Vision verkündet hatte.

Sie befanden sich noch in der Offiziersmesse beim Frühstück. Der Bordkalender zeigte den 18. September des Jahres 2014 und in genau 8:34 Minuten würde Strammer wieder in seiner Kommandokugel hocken und sich mit dem Bordrechner EVA über eine mögliche Verkürzung der Satzlängen zugunsten mehrerer Sätze pro Tag herumstreiten. Bisher brachte sie jeder Satz um genau einhundert Lichtjahre weiter auf ihrer nun bereits 47 Tage währenden Suche nach der Erdheimat und ihrem Vatersonnensystem. Die Länge der Sätze, so EVA, sei hinter dem jeweiligen Kursvektor einzustufen, denn bisher erfolgten die Überlichtstrecken einem willkürlichen Zickzackmuster, nachdem der kosmische Standort der Erdheimat infolge eines heftigen Tobsuchtsanfalls des Führers zum zweiten Mal verloren gegangen sei.

Strammer hatte dem nicht wirklich eigene Argumente entgegenzusetzen, was ihn mehr wurmte als die ganze Streiterei um den wöchentlich oder monatlich zu variierenden Speiseplan und die Frage, ob die Arbeiterklone der 3. Klasse die Bade- und Erholungsräume der Arbeiterklone der 1. Klasse in dem Fall benutzen durften, wenn die Bade- und Erholungsräume der Arbeiterklone der 2. Klasse von den Buchhalterklonen wieder einmal für eine der täglichen Inventuren gesperrt waren.

»Du hast …« Der Sternengeneraloberst spülte den Rest des Mettschnittchens mit einem Riesenschluck Holundersaft herunter. »Du hattest eine Vision.«

Das Orakel, der oder das letzte Überlebende des einst prallen und saftigen Volkes der Ignasuur vom gleichnamigen Planeten, verfärbte zum Zwecke der Zustimmung leicht seine Seh- oder auch Geruchszellen, kleine Flecken auf der hellvioletten Oberfläche des mittlerweile wieder prall und saftig gefüllten, manchmal zwei, manchmal drei Meter hohen Leibes, der starke Ähnlichkeit mit einem Kartoffel- oder auch Mehlsack besaß. Genau konnte das von Schneider III und seinen Wissenschaftlern an Bord des mächtigen STERNENTIGERS noch immer niemand sagen.

Sternenmajor Hermann Mühlenmeister zählte kurz an seinen Fingern nach und meinte: »Das wäre inzwischen deine 77. Vision am 47. Tag unserer Mission. Also seitdem wir mit knapper Not eurem Höllensystem entkommen sind und dich bei uns aufgenommen haben. Seitdem kommst du fast jeden Morgen zum Frühstück und jeden Nachmittag zur Haselnusstorte mit einer Vision, in der dir angeblich die Erdheimat erschienen ist.« Er tippte sich leicht gegen die Stirn. »Und jedes Mal wurde ein Reinfall daraus. Warum sollten wir dir ausgerechnet heu…«

Ein leichtes Knurren unterbrach ihn, dann ein Blick von Justus, dem auf dessen Schoß eingerollten Dackelpinschers des Kommandanten, der ihm bedeutete, jetzt lieber zu schweigen. Und wenn ihm Justus bedeutete, jetzt lieber zu schweigen, dann war es auf jeden Fall besser, dem augenblicklich Folge zu leisten.

Auch wenn Sternengeneraloberst Strammer noch immer und laut hätte schreien können, wenn er sah, was sein angeblich bester Vertrauter mit ihm gemacht hatte.

»Also du hattest wieder eine Vision«, sagte er mit Blick auf die große Adleruhr über dem Ausgang der Messe, deren Zeiger sich unbeirrbar der achten Stunde näherte, der achten Stunde des 47. Tages, seit sie in einem wahrhaftigen Gewaltstart vom Zufluchtsplaneten Neu-Germanien abgehoben hatten, was einen Planeten weniger und einen Asteroidengürtel mehr in jenem System der viel zu grellen Sonne zur Folge hatte. »Was ist es diesmal, wieder die Erdheimat? Wieder ein Planet mit glücklichen Kühen und lachenden Mägden und verwunschenen Prinzessinnen wie beim letzten Mal? Oder ist es diesmal …?«

»Schlimmer«, unterbrach ihn das Orakel und schwankte leicht vor- und rückwärts. »Keine glücklichen Kühe, keine verwunschenen Prinzessinnen und auch keine lachenden Mägde, sondern …«

»Ja?«, gähnte der Sternengeneraloberst und gab Mühlenmeister mit einem Wink zunächst seine ganze Verachtung und dann zu verstehen, dass es Zeit für sie war. Noch zwei Minuten, und der mächtige Reichsadler würde hinter seiner Klappe hervorstürmen und laut die Uhrzeit krächzen.

»Ich sah«, sagte das Orakel, »Panzer. Jede Menge von Panzern und Sturmgeschützen, Haubitzen und Strahlenkanonen. Ich sah Düsenflugzeuge, aus denen es Bombenteppiche auf Städte regnete, ich sah riesige Kriegsschiffe, die …«

»Moment!« Strammer hob eine Hand und reckte den Kopf vor, die muskulösen Kinnladen gespannt und die wuchtigen Brauen heftig zusammengezogen. »Du sagst … Panzer? Was für Panzer? Besaßen sie etwa ein Emblem, also zum Beispiel ein Kreuz oder ein …«

»Einen roten Stern?«, warf Mühlenmeister ein und machte sich damit wieder einmal damit wichtig, dass er in der Lage war, die Gedanken anderer Mitmenschen zu lesen wie ein offenes Buch. »Trugen sie vielleicht einen roten Stern?«

Strammer warf ihm einen am liebsten vernichtenden Blick zu.

»Genauso ist es«, bestätigte das Orakel. »Und die Flugzeuge und die Schiffe und die Sanitätswagen besaßen auch so einen roten Stern, und was ich fast noch vergessen hätte …«

»Was?«, schnappte Strammer. »Was denn noch, Orakel?«

Das Orakel schwieg.

»Jetzt raus mit der Sprache!«, donnerte Strammer. »Oder jetzt sag nicht, du willst schon wieder …«

Das Orakel plusterte sich nickend auf.

»Rote Raumschiffe«, sagte Mühlenmeister unheilschwanger. »Rote Kugeln am Himmel …«

Das Orakel nickte.

»Stalin!«, zischte der Sternengeneraloberst, ohne auf seinen Persönlichen Adjutanten einzugehen. »Stalins elende bolschewistische Brut! Das kann nur bedeuten, dass …«

»Dass … dass …«, stotterte Mühlenmeister, bis ihn ein Blick des von ihm von Kopf bis Schwanzende minzgrün gefärbten Justus zum Verstummen brachte.

Der Blick, der ihm von seinem Vorgesetzten geschickt wurde, ließ ihn nicht nur stumm bleiben, sondern sich wünschen, sich nie auf den Versuch mit der Geheimfarbe X eingelassen zu haben, die wirklich nur aus purem Zufall seine Lieblingsfarbe war.

 

*

 

Es gab, glaubte man den Worten der HOHEN WEISEN aus dem Spiralnebel YPS 5249 C, einer wirklich sehr, sehr alten Galaxie ziemlich genau am westlichen Ende des Universums, drei allen anderen von Natur her überlegene Formen des Lebens im unendlichen Weltall.

Bei der ersten handelte es sich um solche Wesen wie etwa die Menschen und andere Bewohner der Erde, die über genügend Gliedmaßen verfügten, um sich damit ihre Nahrung zu beschaffen, sich gegenseitig zu vernichten oder um ihre Werkzeuge zu bedienen, was natürlich einer gewissen natürlichen Abnutzung unterlag und daher die Funktions- und Lebenserwartung drastisch beschränkte.

In diese Kategorie fielen auch die aus reinem Blei bestehenden Besatzungen gewisser grüner Ringraumschiffe, die allerdings, bis auf wenige Ausnahmen, fast nur noch als zerschossene Wracks in vielen Sonnensystemen zu finden sind.

Bei der zweiten Form handelte es sich um Wesen wie etwa die Ignasuur vom Planeten Ignasuur und mindestens einer Million anderer. Wesen ohne jegliche Gliedmaßen, jedoch in der Lage, Wesen mit Gliedmaßen für sich arbeiten, Nahrung beschaffen, sich prügeln und Werkzeuge herstellen zu lassen. Sie suggerierten ihnen einfach ihre Wünsche und Bedürfnisse und ließen sie glauben, es seien ihre eigenen.

Bei der dritten Lebensform schließlich handelte es sich um Geschöpfe mit der Fähigkeit, beides in einem zu sein und darüber hinaus noch viel mehr. Was nämlich die äußere Form anging, konnten sie sich Gliedmaßen wachsen lassen und damit Nahrung beschaffen, einander umbringen oder Werkzeuge bedienen. Sie hatten allerdings auch kein Problem damit, sich die Form von großen Kartoffel- oder Mehlsäcken zu geben und anderen Wesen zu suggerieren, was sie unbedingt für sie tun wollten – also Nahrung suchen, sich umbringen oder Werkzeuge herstellen, die sie eigentlich gar nicht brauchten.

Denn diese dritte Vorzugsform des Lebens im unendlichen Weltraum konnte selbst das eigene Werkzeug sein. Es konnte einfach alles sein: ein Ball, ein Tennisschläger, eine Kanone, ein Vorschlaghammer, ein Segelschiff, eine mit Fichtennadelschaum gefüllte, schneeweiße Badewanne – oder eine riesige, lange, graue Raupe mit seltsamem Kreuzmuster und Stacheln zum Verschießen von Todes- Betäubungs- oder Wahnsinnsstrahlen.

Diese letztere Form, jene der Kriegsraupe, war die einzige von der Natur zwingend vorgeschriebene, für die es keine Alternative gab. Sobald jemand auf den Gedanken kam, die Lebensform anzugreifen, verwandelte sich diese ganz von selbst in die Kriegsraupe und kroch und feuerte bis zum letzten Atemstoß. Das Gleiche galt für den Fall, dass jemand so verrückt war, sich freiwillig zum Kampf an der Front zu melden.

Raumfahrer, die diesen Wesen noch nicht leiblich begegnet waren, tuschelten von ihnen hinter vorgehaltener Hand nur als »die Veränderlichen«. Raumfahrer, die ihnen schon einmal begegnet waren, kamen in den seltensten bekannten Fällen noch dazu, etwas über sie zu tuscheln – und Raumfahrer, die ihnen weder jemals begegnet waren noch etwas über sie tuscheln gehört hatten, ahnten noch nichts von ihrem Glück.

 

*

 

»Wie sehen die Verteidiger aus, Orakel?«, fragte Strammer. »Was für Panzer haben sie? Wie sehen ihre Flugzeuge aus, ihre …« Ein rascher Blick zur Uhr. Gleich würde der Reichsadler erscheinen und EVA nach ihm senden. »Sind … sind es Tiger-Panzer, Orakel? Oder vielleicht eher … Panther?«

»Ich würde sagen, eher Raupen«, antwortete Mühlenmeister. Justus fing leicht an zu knurren, doch der Sternenmajor war nicht mehr zu bremsen. »Ja, ich sehe es! Ich habe auch die Vision. Es sind … gewaltige lange Raupen mit Scheinwerfern auf langen, biegsamen Stielen und Stacheln, vielen Stacheln. Und mit jedem dieser Stachel verschießen sie Strahlen, Hitzestrahlen, Todesstrahlen, Betäubungsstrahlen …«

»Stimmt das, Orakel?«, fragte Strammer, mühsam beherrscht. »Die Panzer der Verteidiger sehen wie Raupen aus? Riesige Raupen mit Stacheln wie …«

»Ich hätte es nicht besser sagen können«, erwiderte das Orakel. Sonst nichts. Es pulsierte abwartend und Strammer flüsterte ihm etwas in eine der vielen Hörzellen.

»Wirklich?«, fragte das Orakel und wuchs um einen halben Meter in die Höhe. »Ganz wirklich?«

Der Sternengeneraloberst nickte und schickte Mühlenmeister einen vernichtenden Blick. Dass er die Gedanken anderer Menschen zu lesen vermochte, war schlimm genug. Dass er sich nun aber auch bereits die Gedanken artfremder Orakel zu lesen erdreistete, machte ihn fast unheimlich.

»Und … das Emblem auf den Raupenpanzern?«, drängte Strammer wieder. »Wie sah es aus? Wie ein …?«

»Wie ein Kreuz«, bestätigte das Orakel. »Ein Kreuz mit …«

»Haken?«, fragte der Kommandant des STERNENTIGERS schnell. »Also wie Haken…kreuze?«

»Genauso«, erwiderte das Orakel.

Strammer lachte hart und drosch mit der Faust auf den Tisch, genau in dem Moment, wo der Reichsadler aus seiner Klappe brach und achtmal die Stunde herausschrie. Strammer hörte es gar nicht. Vor seinen Augen entstand ein Bild, das treffender nicht sein konnte. Panzer – Panzer, die aussahen wie Raupen – das war genial! Das war so genial, dass man sich fragen musste, wieso der Führer oder Panzergeneral Guderian nicht längst auch auf diese Idee kommen konnten. Die allerersten Panzer waren die plumpen Tanks der Engländer gewesen, dann kamen die Tanks mit den drehbaren Türmen und immer größerer Feuerkraft. Doch blieben sie weiterhin starr im Gelände und brauchten viel Kraft, um sich gegen einen neuen Feind zu drehen. Panzer, die aussahen wie Raupen mit ihren unzähligen Gliedern, noch dazu mit Unmengen an Stachelkanonen versehen, waren hingegen beweglich und schnell und …

»Hallo Julius«, säuselte es aus dem Lautsprecher. Strammer zuckte heftig zusammen. Da war sie wieder, diese ganz und gar unmännlich klingende Stimme von EVA, der Bordrechenmaschine, die sich selbst als »Bordgehirn« verstand – eine weitere Folge der Heftchen, die das Zeitkommando von Schneider I aus der Zukunft mitgebracht hatte. »Ich möchte ja nicht die sicherlich wichtige Besprechung der Herren stören, aber haben die Herren den Schrei der Adleruhr vielleicht nicht gehört?«

»Ach halt die Klappe!«, fuhr Strammer auf, und um in diesen möglicherweise schicksalsschweren Minuten nicht weiterhin von EVA genervt zu werden, schnauzte er etwas weniger unfreundlich: »Wir reden später, EVA.«

»Wirklich, Julius? Ich meine …«

»Wir reden später!«, donnerte er, riss seine Strahlenpistole aus dem Gürtelholster und zerstrahlte kurzerhand den Lautsprecher. »So, meine Herren«, nickte er schwer. »Ich bin zu einem Ergebnis gekommen.«

»Wovon Ergebnis?«, fragte Mühlenmeister. Der Sternengeneraloberst überging die dumme Frage.

»Wir sind, wie es scheint, nicht nur am rechten Ort, sondern auch zur richtigen Zeit angekommen.« Eine unsichtbare Hand griff nach seinem Herzen. »Was nur bedeuten kann, dass uns keine andere Macht als das Schicksal selbst hierher geführt hat. Was wir hier zu sehen bekommen …«

»Ähmmm«, räusperte sich das Orakel und plusterte seine Gehörzellen auf.

»Was uns unser geschätztes Orakel soeben gezeigt hat«, knirschte Strammer, »kann nur das Eine bedeuten: Das Reich befindet sich noch immer im Krieg, und zwar mit den gleichen roten, elenden Bolschewisten, die sich bereits im Weltall ausbreiten und nicht davor zurückschrecken, ganze Sonnen zu flammenden Ungeheuern zu zünden und ihre Planeten zu verbrennen, auf denen vielleicht sogar so etwas wie Leben …«

»Ähmmmm«, räusperte sich das Orakel erneut.

Der Sternengeneraloberst riss sich zusammen. »Aber die wirkliche Erkenntnis, meine Herren, kann doch nur die sein, dass bis zum heutigen Tage das Reich sich nicht hat zerschlagen lassen!« Ja, das klang gut, das hätte sogar vom Führer sein können. »Die Bolschewisten mögen sich zwar im Weltraum ausgebreitet haben wie eine rote Pest oder meinetwegen Cholera, auf unserer heiligen Erdheimat aber leistet ihnen die Wehrmacht immer noch einen harten Kampf!«

»Aber es sieht nicht so gut aus«, bemerkte Mühlenmeister und sah sich kurz um, ob außer ihm noch andere Herren beim Frühstück saßen. »Unsere Raupenpanzer sind doch offenbar auf dem Rückzug, nicht wahr, Orakel? Und von Flugzeugen und Schiffen hast du auch gar nichts gesagt.«

»Äääähmmmm …«, machte das Orakel, allmählich verzweifelnd.

Wieder drosch Strammers Faust auf den Tisch. »Das bestätigt meine Theorie, meine Herren. Das Schicksal hat uns in der Stunde der größten Not hierher geführt, zurück zur Heimat, um unseren tapferen Kameraden, die bis heute nicht aufgegeben haben, beizustehen und sie zum Siege zu führen!« Er nickte und dachte in grimmiger Inbrunst: Nun denn! »Wir werden zuerst mit den Strahlen- und Superstrahlenkanonen des STERNENTIGERS die roten Mordkugeln der elenden Bolschewisten aus dem All fegen und dann mit unseren Jägerbeibooten landen und den Kampf ein für alle Mal für das Reich entscheiden!« Er tätschelte die straff gespannte Haut des Orakels. »Unser neuer Freund und Waffengefährte hier wird EVA die Position der Erdheimat mitteilen, und schon in wenigen Stunden werden wir …«

»Ähmmmmmmmmmmmmm …«, machte das Orakel, allerdings so laut, dass es jetzt an den Ohren wehtat. Und nochmals: »Äääähhmmmmmmm …!«

»Ich möchte mich ja nicht schon wieder einmischen«, flötete die Stimme von EVA, »aber ich werde das Gefühl nicht los, dass uns das Orakel etwas sagen will, Julius.«

Strammer nickte heftig. »Natürlich will es das. Es wird dir gleich die Koordinaten der Erdheimat geben und du wirst die Anzahl der Sätze berechnen, mit denen wir …«

»Ich glaube nicht, dass es das ist, was es uns sagen will, Julius«, raunte EVA. »Nicht wahr, Orakel?«

Das Orakel pustete eine fette Wolke übel nach Schwefel riechenden Gases aus seinem Schlund, was einem menschlichen Stöhnen gleichzukommen schien, und sagte: »Nein, das ist es nicht, was ich zu sagen habe. Ich hatte eine Vision, ich sah Kämpfe und vorrückende Panzer und rote Kugeln am Himmel und …«

»Was vertrödeln wir dann unsere Zeit?«, fragte Strammer. »Wir sollten längst auf dem Weg sein, unsere tapferen Kameraden und die Erdheimat brauchen uns und …«

»Es ist aber nicht die Erdheimat, Julius«, sagte das Orakel.

 

*

 

Sternengeneraloberst Julius Strammer brauchte zwei oder drei (eher drei) Sekunden, um zu verstehen, was der Kartoffel- oder Mehlsack soeben gesagt hatte. »Nicht die Erdheimat? Aber die bolschewistischen Panzer, die Kampfraupen des Reiches, die …«

»Meine Vision ist inzwischen klarer geworden«, sagte das Orakel. »Ich sehe jetzt …«

»Was?«, zischte Strammer. Dann verdrehte er die Augen, seufzte und flüsterte dem Orakel etwas ins Ohr. Es wechselte kurz die Farbe, um danach streng fortzufahren: »Ich sehe ein Sonnensystem mit elf Planeten, und derjenige Planet, auf dem gekämpft wird, besitzt nicht nur einen Mond, sondern derer gleich drei.«

»Oha!«, machte Hermann Mühlenmeister.

»Oha!«, flüsterte auch EVA.

»Oha?«, schnappte Strammer. »Ist das alles, was Ihnen dazu einfällt, meine Herren? Oha?« Er setzte sich wieder an den Frühstückstisch, von dem er gerade aufgestanden war, und goss sich einen weiteren Holundersaft ein, in den bereits die tägliche Morgendosis Enzianschnaps gemischt war. Hastig trank er, wischte sich die Lippen ab, machte: »Ah«, verdrosch ein weiteres Mal die Tischplatte und sagte mit eisigem Blick und eiserner Stimme: »Ich fürchte, meine Herren, wir haben es tatsächlich nicht mit dem Vatersystem und der Erdheimat zu tun, denn selbst die elenden Urenkel Stalins können noch keine ganzen Planeten und mindestens zwei zusätzliche Monde herstellen. Das wäre allein schon ein Rohstoffproblem.« Er lachte rau. »Und außerdem, beherrschten die elenden Bolschewisten so große Teile der Heimat, hätte es solch eine abartige Fernsehausstrahlung wie jene aus dem tiefsten Dschungel nicht gegeben, die den Führer das Leben gekostet hat.«

»Na dann ist es ja wieder mal gut, Julius«, seufzte die EVA-Stimme erleichtert. »Dann schlage ich vor, ihr kommt jetzt alle wieder an eure Arbeitsplätze und wir machen weiter so wie bisher. Täglich zehn Sätze und irgendwann kommen wir auch bei der Erdheimat an. Ich heize schon mal deine Kommandokugel vor, Julius.«

»Nein!«, sagte Sternengeneraloberst Strammer entschlossen.

»Nein?«, fragten EVA und mit einer gewissen Verzögerung auch Mühlenmeister.

»Nein!«, bekräftigte Strammer. »Meine Herren, ich sehe die Sache folgendermaßen: Das Schicksal hat uns zwar noch nicht zur Heimat geführt, jedoch an einen Ort, der ebenfalls kriegsentscheidend sein kann.«

»Aber wie das?«, fragte Mühlenmeister forsch. »Das Orakel hat sich geirrt und …«

»Das System«, sagte Strammer, »welches unser Freund in seiner Vision sah, ist ganz offensichtlich von bolschewistischen Invasionsarmeen angegriffen worden, ja fast schon besiegt. Stalins Panzer sind im Begriff, den letzten Widerstand zu ersticken, dann gehört auch dieser Sternensektor dem roten Gesindel.«