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Hubertus Habel

Coburg

Kleine Stadtgeschichte

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UMSCHLAGMOTIVE

Vorderseite: Josef Steingrübel: Stadtansicht Coburgs, um 1840.

(Foto: Stadtarchiv Coburg). Rückseite: Die Veste Coburg (Fotolia, Val Thoermer)

BIBLIOGRAFISCHE INFORMATION DER DEUTSCHEN NATIONALBIBLIOTHEK

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-7917-3020-2

© 2019 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Reihen-/Umschlaggestaltung und Layout: Martin Veicht, Regensburg

Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau

Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg

Printed in Germany 2019

eISBN 978-3-7917-6146-6 (epub)

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Inhalt

Stadt-Findung der Coburger Geschichte

Die Vorgeschichte der Stadt Coburg

Siedlungsentstehung an der Itz-Furt / Trufalistat / Der heilige Mauritius und Coburg

»Boom town« des 13. Jahrhunderts

Die »Neue Herrschaft« der Grafen von Henneberg / Großbaustelle Coburg / Coburg als himmlisches Jerusalem auf Erden / Handelsstadt mit ausgeprägter Sozialstruktur

Zentrum der sächsischen Ortlande in Franken seit 1353

Die Wettiner / Die »Große wettinische Landesteilung« 1485 / Bevölkerung und Stadtgesellschaft / Bürgerrechts- und Steuerverweigerer um 1487 / Wirtschaft / Schwarzer Tod und schwarzes Tuch / Arme in der Stadt / Ratsverfassung / Der »Mohrenkopf« als bürgerliches Stadtsymbol / Stadtverteidigung / Wo lebten die Coburger Spießbürger? / Modernisierung der wachsenden Stadt / Der Reichspatron Mauritius als »Eckstein« der neuen Kirche / Stadt »am Tropf« des Landes / Ernährung / Getränke / Hygiene / Der Abort und das »ewige Gedächtnis«

Zentrum der protestantischen Pflege Coburg im Zeitalter der Konfessionskriege

Martin Luther in Coburg / Ernestinische Katastrophen nach 1531 / Residenzstadt des Herzogs Johann Casimir von Sachsen-Coburg / Des Herzogs Rückkehr nach Coburg / Städtebauliche und kulturelle Blüte / Politische Architektur am Coburger Marktplatz / Das Casimirianum / Auch die Coburger Uhren gingen mit der Zeit / Coburgs Niedergang im Dreißigjährigen Krieg / »Wider alle Kriegsrecht…«: »Friedliche« Truppendurchzüge / Auf Seiten des Schwedenkönigs

Residenzstadt des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha

Zankapfel der ernestinischen Brüder / Die sachsen-coburg-saalfeldische Residenz / Aufklärung in Coburg / Das »Museum« der städtischen Rüstkammer / Der Ruhm des »Prinzen Koburg« / Das Bratwurschtmännle / »Das Gestüt Europas« / Queen Victoria und ihr »zweites Zuhause« / Jean Paul in Coburg / Massenarmut nach Krieg und Missernten / Polizei-Inspektor Eberhardt: Freund und Helfer der Armen / Herzog Ernst I. und die »unruhigen« Coburger / Die Vereinigung Coburgs mit Gotha / Der Geist der Freiheit / Schinkel, der Planer der neogotischen Ehrenburg / Schwarz-rot-goldene Pfeifenköpfe / Herrschaftslegitimierung / Neugestaltung des Festungsberges / Zentrum des Liberalismus unter Herzog Ernst II. / Gustav Freytag und das Nationaldenkmal Veste Coburg / Der »deutsche Styl« prägt Coburgs Neogotik-Ring / Industrialisierung / In Coburg gehen die Uhren anders… / Engländer auf dem Coburger Thron / Oberbürgermeister Rudolf Muther / Jugendstil / Anna B. Eckstein und der Traum vom Frieden / Von der Hauptstadt des »Freistaates Coburg« zur bayerischen Kreisstadt 1919/20

Coburg als »Reagenzglas« der nationalsozialistischen Machtergreifung

Hitlers Premiere auf der Coburger Bühne im Oktober 1922 / NS-Kommunalpolitik in Coburg von 1929 bis 1933 / 23. Juni 1929: Coburg wird erste NS-Stadt / Symbolpolitik / Konrad Soergel: ein Opfer der Nazis / Judenverfolgung / Morgenthau: Vordenker der US-Außenpolitik

Vom Kriegsende in die Gegenwart

Explodierende Einwohnerzahlen um die »Stunde Null« / Politischer Neubeginn / Der Coburger Mauritius / Wirtschaft mit dem Rücken zum Eisernen Vorhang / Die HUK-Coburg / Bayerischthüringische Schnittstelle seit 1989

Anhang

Zeittafel / Stadtplan / Die Herzöge von Sachsen-Coburg / 1. Bürgermeister/Oberbürgermeister seit Mitte 19. Jh. / Internetadressen / Literatur / Register / Ortsregister (allgemein) / Ortsregister (Coburg) / Personenregister / Bildnachweis

Stadt-Findung der Coburger Geschichte

Coburg feierte 2006 den 950. Geburtstag seines Namens. 1056 meinte man jedoch mit der ersten Erwähnung Coburgs die Burganlage hoch über dem sanft ansteigenden Vorland des Thüringer Waldes und dem Tal der nach Süden abfließenden Itz. Zwar gab es seinerzeit bereits auch den Ort am Fuß des Festungsberges. Man nannte ihn jedoch noch ganz anders: Trufalistat – »Stätte des Dörfleins«. Rund hundert Jahre später übertrug man den Namen der Höhenburg Coburg auf den Talort. Nur wenige Jahrzehnte weiterer Entwicklung bedurfte es, bis aus Coburg eine frühe Stadt geworden war.

Die Literatur zur Coburger Geschichte ist in ihrer Reichhaltigkeit und ihrer Vielfalt kaum zu überblicken. Auffällig ist jedoch, dass sich viele der Autoren vorwiegend mit der Geschichte des Herzogshauses Sachsen-Coburg, dessen Schlössern, den weltweiten dynastischen Verwandtschaftsbeziehungen und der herrschaftlichen Kultur befasst haben. Veröffentlichungen zur bürgerlich-urbanen Geschichte und Kultur der Stadt Coburg sind demgegenüber vergleichsweise rar.

Die Marktsiedlung Trufalistat zwischen der Itz-Furt an der hochmittelalterlichen Nord-Süd-Fernstraße und der Kirche St. Mauritius sowie der Einfluss der klösterlichen Propstei in der Burg bildeten die Keimzellen des spätmittelalterlichen burgus bzw. der civitas Coburg. Kann man die Erstnennung der Burg-Anlage überlieferungsbedingt nur auf den Sommer des Jahres 1056 eingrenzen, so ist von der Ersterwähnung der Stadt Coburg sogar der Tag bekannt: Am 24. Mai 1217 wurden die Pfarrrechte im burgus, also in der Stadt Coburg festgelegt. Mit diesem zeittypischen Stadtbegriff verbunden ist der zeitgleich verwendete des burgaere, in dem die althochdeutsche Bedeutung des Stadtbewohners steckt. So wie das bürgerliche Coburg seit dem 13. Jahrhundert weitgehend unabhängig von der Burg gedieh, die man erst im 19. Jahrhundert wieder mit der Stadt verknüpfte, so richtet sich der Blick dieser nun in erheblich erweiterter Zweitauflage vorliegenden »Kleinen Coburger Stadt-Geschichte« vorrangig auf die Bürger-Gemeinde.

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G. F. Rauscher (?): Das äußere Ketschentor, 1826. Noch heute ist dieses im frühen 14. Jahrhundert erbaute Stadttor die südliche „Pforte“ zur Coburger Altstadt.

Da im Spätmittelalter wesentliche Strukturen der Stadt in topografischer, sozialer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht entstanden, die Coburg zum Teil bis ins 20. Jahrhundert prägen sollten, wird diese Epoche intensiver als die nachfolgende dargestellt. Die Reformation brachte nicht nur Luther im Sommer 1530 hierher, die kulturellen, aber auch die politisch-militärischen Folgen der konfessionellen Spaltung Mitteleuropas bestimmten Schicksal, Bedeutung und Selbstverständnis der herzoglichen Residenzstadt, die Coburg mit Unterbrechungen von 1549 bis 1918 war, nachhaltig.

Nach dem Ersten Weltkrieg schrieb man in der 1920 bayerisch gewordenen Stadt als »Reagenzglas« der nationalsozialistischen Machtergreifung das dunkelbraune Geschichtskapitel dieser ersten NS-beherrschten Stadt Deutschlands. In den Jahren nach der Katastrophe des Dritten Reiches hatte das unversehens im DDR-nahen Grenzland gelegene Coburg die gravierenden Folgen des Zweiten Weltkrieges mit Flüchtlingsintegration und wirtschaftlichem Neubeginn zu bewältigen, was angesichts der heutigen Situation bestens gelungen ist.

Den Besuchern und Einheimischen einen kompakten Einblick in die städtische Geschichte von den Anfängen bis heute zu geben, unternimmt dieses Buch. Begleitet wird der Gang durch die Stadtgeschichte von der kulturwissenschaftlich orientierten Auslotung der erkennbaren Aspekte Coburger Selbstverständnisses im Wandel der Jahrhunderte, für die seit dem Spätmittelalter insbesondere die zeittypischen Ansichten des städtischen »Mohrenkopf«-Wappens aussagekräftig sind.

Coburg, im Januar 2019

Hubertus Habel

Die Vorgeschichte der Stadt Coburg

Siedlungsentstehung an der Itz-Furt

Für die Entstehungszeit des Ortes Trufalistat sind zwei wesentliche Faktoren erkennbar, die die Entwicklung Coburgs über Jahrhunderte prägten. Bereits in dieser Zeit existierte eine Nord-Süd-Verbindungsstraße, die von Norditalien aus entlang der heutigen B 4 Mitteleuropa und Skandinavien miteinander verband. Aus Süden, dem Itzgrund folgend, erreichte die Straße das heutige Stadtgebiet. Etwa an der Stelle der heutigen Heiligkreuzbrücke, also unmittelbar oberhalb der Einmündungen von Lauter und Sulzbach in die Itz, kreuzte die Straße durch eine Furt die Itz, um weiter nach Norden über Rottenbach und Eisfeld den Thüringer Wald in Richtung Erfurt und Magdeburg zu queren. Jährlich wiederkehrende Hochwasser und die im Frühjahr und Herbst aufgeweichten Karrenwege des Gebirges zwangen die reisenden Kaufleute, Pilger und andere Gruppen zu mitunter wochenlangen Rasten auf dieser hochwasserfreien Terrasse im ansonsten recht sumpfigen Itztal an der »Coburger Pforte«. Es wären schlechte Händler gewesen, hätten sie nicht die Wartezeit zum Verkauf ihrer Waren an diesem zunächst geografisch bedingten Handelsplatz genutzt, der sich im Lauf der Zeit aus dieser ersten provisorischen Keimzelle zur Marktsiedlung entwickelt haben dürfte.

Schriftliche Quellen aus dieser frühen Zeit sind bislang vergeblich gesucht worden. Die Archäologen haben immerhin zwei Grabungsfunde zutage gefördert: eine Gefäßscherbe mit Rosettenstempel des 6./7. Jahrhunderts am Schlossplatz und einen karolingischen Schläfenring des 8. Jahrhunderts bei St. Moriz. Gemeinsam ist ihnen, dass sie in Kombination mit der Namensstruktur von Trufalistat auf dessen frühmittelalterliche Entstehung hinweisen.

Die Grenzen der hochmittelalterlichen Siedlung können aufgrund archäologischer Befunde mosaikartig im Westen und im Südosten festgelegt werden. So war die heutige Marktplatzfläche bis ins 13. Jahrhundert weitgehend mit Häusern bebaut. Im Westen, entlang der Rosen- und Spitalgasse, befand sich eine Befestigungslinie aus Holzständerreihen, deren Zwischenräume mit Geröll und Erde zu einer wallartigen »Holz-Erde-Mauer« aufgeschüttet gewesen sein dürften. Ein großflächiger Brand ließ diese Bauwerke untergehen.

HINTERGRUND

TRUFALISTAT

Die Bedeutung des hochmittelalterlichen Namens von »Trufalistat« war bis vor wenigen Jahren ungeklärt. Die Quelle dieser vor 1182 verwendeten Bezeichnung ist die spätmittelalterliche Kopie der Urkunde vom 24. Mai 1217, in der erstmals Coburg als »Stadt« bezeichnet wird. Der Passus der lateinischen Urkunde lautet übersetzt: […] an der Kirche und der gesamten Stadt Choburg, die früher Trufalistat genannt wurde, also ihren Namen getauscht hat. Dank der sprachwissenschaftlichen Studie von Helga Oertel-Günther wissen wir nun, dass er »Stätte des Dörfleins« bedeutet. Die bislang von der lokalen Heimatforschung vertretene These von der »Stätte der Thüringer« ist ebenso wenig haltbar wie die Verortung im Bereich des Oberen Bürglaß, die sich daran orientiert, dass Coburg eine Kaufmannssiedlung vor den Toren Trufalistats gewesen sei. Die Struktur des Namens auf –stat lässt analog zu Gaustadt, Hallstadt etc. nach Dr. Wolfgang Janka als Entstehungszeit das frühe Mittelalter, die »Zeit vor dem slawisch-deutschen Sprachkontakt« im heutigen westoberfränkischen Raum, also das 6./7. Jahrhundert annehmen.

Coburg – wie der Ort seit ca. 1150 genannt wurde – gehört zu den frühen, im Mittelalter neu entstandenen Städten Mitteleuropas, deren massenweise Gründungen erst in der Mitte des 13. Jahrhunderts einsetzte. Der wirtschaftliche, rechtliche und religiöse Einfluss der klösterlichen Propstei auf dem nahe gelegenen Berg hatte sich bereits namenprägend niedergeschlagen. Die für burgi typische Lage an der den nahen Fluss querenden Straße war ebenfalls gegeben und stellte die Basis des Aufstiegs der Stadt dar.

Das Siedlungszentrum hat vermutlich weiter östlich, im Umfeld von Sankt Moriz gelegen. Ausgrabungen des Jahres 2001 im Bereich der Coburger Pfarrgasse deuten an, dass hier im 11. Jahrhundert ein klösterlicher Wirtschaftshof und eine erste Kirche bestanden haben. Die Funde lassen außerdem vermuten, dass es bis in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts um den »heiligen Ort« der Morizkirche eine Mauerumwehrung gab, die ihren Ersatz in der geräumigeren heutigen »inneren Stadtmauer« gefunden hat.

Die Annahme des Klosterhofes verweist auf die zweite Keimzelle der Stadt, die Burganlage hoch über dem Tal auf dem Festungsberg: Die Coburg gehörte ursprünglich zum Reichsgut der ottonischen Kaiser. Der Name wird vom altslawischen chov für Sicherung abgeleitet, demzufolge Coburg schlicht Sicherungsburg bedeutet. Sie mag als befestigter Sitz eines kaiserlichen Dienstmannes zum Schutz vor den Ungarn im 9. und 10. Jahrhundert entstanden und nach dem Ende der Ungarneinfälle 955 militärisch bedeutungslos geworden sein. Wirtschaftlich hatte die Coburg die Struktur eines Fronhofverbandes, dessen Zentrale auf dem Festungsberg von grundhörigen und lehensabhängigen bäuerlichen Gütern im Umland versorgt wurde.

Die letzte Eigentümerin aus der ottonischen Dynastie war Richeza von Lothringen (1000–1063), polnische Königinwitwe und Enkelin des Kaisers Otto II. Sie soll die Coburg mit Besitzungen um Saalfeld (an der Saale, Thüringen) im Sommer 1056 an das Erzstift Köln geschenkt haben. Richezas Schenkung ist nur indirekt als Abschrift des 16. Jahrhunderts in der Brauweiler Klosterchronik überliefert. Deshalb sind kaum Aussagen zu den Zielen zu machen. Es kann jedoch angenommen werden, dass Richeza ihr Eigentum einerseits dem Reichsverband erhalten wollte, stand doch der Kölner Erzbischof seinerzeit mit seinem Vorrecht der Königskrönung an herausragender Stelle im Reich. Andererseits dürfte sie mit der Schenkung an die Kirche als Gegengabe die ewige Fürbitte für ihr persönliches Seelenheil verbunden haben.

Köln gründete 1074 in Saalfeld ein Benediktinerkloster, dem die Coburger Güter zugeordnet wurden. Sie wurden ab dem 12. Jahrhundert von einem Propst, einem abgeordneten Praepositus des Saalfelder Klosters, verwaltet. Hierzu dürfte auch der Klosterhof des 11. Jahrhunderts im Osten der Morizkirche gehört haben. Es ist anzunehmen, dass sich Trufalistat/Coburg seit dieser Zeit unter der Herrschaft des Klosters Saalfeld befand, das auch die Pfarrrechte ausgeübt haben dürfte. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts scheint der Saalfelder Einfluss zugunsten Würzburgs geschwunden zu sein, wurde doch 1182 durch Papst Lucius III. dem dortigen Stift Haug der Zehnt »in Coburg«, wie die Siedlung nun hieß, bestätigt. Die Coburger Kirche selbst, die wohl schon im 11. Jahrhundert gestanden hat, wird erst 1189 schriftlich erwähnt. Am 24. Mai 1217 erhielt sie die Pfarrrechte in der Stadt.

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Mauritius-Skulptur, um 1240, Magdeburger Dom.

1260 mussten die Mönche die Burg auf dem Berg verlassen, um der Residenz der neuen Herren von Stadt und Land Coburg, den Grafen von Henneberg, Platz zu machen. Auf der Fläche des alten Klosterhofes errichteten sie ihre neue Propstei. Die Kirche ersetzten Stadt und Kloster um 1265 durch einen romanischen Neubau, der nunmehr Pfarr- und Propsteikirche war. Dass sie dem heiligen Mauritius geweiht war, wissen wir aus einer zwar erst 1323 verfassten Urkunde. Wir können aber davon ausgehen, dass bereits das erste Gotteshaus an diesem »heiligen Ort« dieses Patrozinium hatte.

BIOGRAFIE

DER HEILIGE MAURITIUS UND COBURG

Der Legende nach war der heilige Mauritius († Ende 3. Jh.) Befehlshaber einer christlichen, aus der oberägyptischen Gegend um Theben stammenden römischen Legion. Da sich deren Soldaten weigerten, heidnischen Göttern zu opfern, wurden sie dezimiert und schließlich liquidiert. Der Mauritius-Kult nahm von der um 360, ca. 65 Jahre nach dem Tod des Heiligen, in Agaunum gebauten Kirche seinen Ausgang. Dort gründete der Burgunderkönig Sigismund 515 das Kloster St. Maurice, das 824 zum Stift erhoben wurde. Pilger verbreiteten den Mauritius-Kult entlang der römischen Heerstraßen und Fernwege in Deutschland, Italien und Frankreich. 888 wurde der Heilige Patron des Königreiches Burgund, dann 967 Patron des unter Kaiser Otto I. neu errichteten Bistums Magdeburg.

Otto I. etablierte Mauritius als neuen Reichspatron neben den älteren, Dionysius und Martin. Mauritius’ Lanze, Schwert und Steigbügel gehörten fortan zu den Insignien der ottonischen Kaiser, wobei die Heilige Lanze eine zentrale Stellung innehatte.

Die Bedeutung Magdeburgs wurde durch weitere Reliquien-Übertragungen gesteigert: Als letzte wurde 1220 die Hirnschale Mauritius’ an Magdeburg übergeben. Die Herzöge von Andechs-Meran hatten sie aus dem vierten Kreuzzug aus Konstantinopel mitgebracht und in ihrem Hauskloster Langheim bei Lichtenfels »zwischengelagert«. Die feierliche Prozession ging – wie vermutlich die vorhergehenden Übertragungen auch – durch Coburg, wo man Rast machte und die Reliquie in der Kirche niederlegte. Durch die Berührung mit dem heiligen Leib wurde der Ort geheiligt. Auf diese Weise dürfte das Coburger Mauritius-Patrozinium bereits für die Vorgängerbauten der heutigen Morizkirche entstanden sein.

»Boom town« des 13. Jahrhunderts

Die »Neue Herrschaft« der Grafen von Henneberg

Obwohl die Einflüsse des Hochstifts Würzburg und der Saalfelder Propstei auf den Talort Coburg in wechselnden Intensitäten für das späte 12. und frühe 13. Jahrhundert nachweisbar sind, sind die Quellen jedoch nicht aussagekräftig genug, um eine klare Stadtherrschaft feststellen zu können. Vielmehr ist für diese frühe Zeit vor der Ausbreitung homogener territorialer Herrschaftsstrukturen davon auszugehen, dass es auch in Coburg konkurrierende Rechte unterschiedlicher geistlicher und weltlicher Herren gab. So hatte etwa Herzog Otto VIII. von Andechs-Meranien Zehntrechte in der Stadt, die er mit seinem Tod 1248 an das Kloster Banz vererbte, das in weltlicher Hinsicht von Graf Hermann I. von Henneberg als Vogt verwaltet wurde. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass die Andechs-Meranier kraft ihrer Zehntrechte auch Stadtherren von Coburg gewesen sind, geschweige denn dass die stadtherrlichen Rechte unmittelbar als Erbe an den Henneberger gegangen seien, wie in der älteren Literatur immer wieder zu lesen ist.

Zwischen 1260 und 1272 hat Graf Hermann I. von Henneberg auf ungeklärtem Wege unter anderem mit Burg, Stadt und Land Coburg einen bedeutenden Nachlass-Anteil von Otto VIII. an sich ziehen können. Dies zeigen etwa das Coburger Stadtsiegel von 1272 und das älteste Henneberger Urbar des 14. Jahrhunderts. Auf dieser Basis baute Hermann I. Coburg als Zentrum der »Neuen Herrschaft« des nunmehrigen Hauses Henneberg-Coburg aus. Unter ihm als formellem Herrn Coburgs dürfte die Stadt auch eine frühe städtische Verfassung erhalten haben.

Bis in diese Phase der Herrschaftsetablierung des Hennebergers bestanden »sloss« und »Kloster«, also weltlicher und geistlicher Sitz der Vogtei bzw. Propstei des 1074 gegründeten Benediktinerklosters Saalfeld, nebeneinander im Burgbereich. Danach, also nach 1260, war die Burg das Residenz-»Schloss« der Henneberger und ab 1353 das ihrer Erben, der Wettiner. Es ist davon auszugehen, dass vom 11. bis 15. Jahrhundert die machtsymbolische Bedeutung des hoch über der »Coburger Pforte« – der geomorphologisch so bezeichneten Itztal-Verengung – gelegenen huse[s] czu Koburg deutlich dessen pragmatisch-militärische Funktion überlagert hat und nur wenige Männer die Stamm-Besatzung gestellt haben.

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„SIGILLUM CIVITATIS IN KOBURCH“, Stadtsiegel 1272.

Großbaustelle Coburg

Die civitas in Koburch präsentierte sich seit 1272 selbstbewusst als rechtsfähige Bürgergemeinde mit eigenem Siegel. Das prestigeträchtige Statussymbol der turmbekrönten und zinnenbewehrten Mauer um den wehrhaften Friedensbezirk zeigt die aufstrebende hennebergische Handelsstadt in der im 12./13. Jahrhundert üblichen symbolischen Form der Burg.

Die alte Stadtanlage Trufalistats/Coburgs ist – vermutlich um die Mitte des 13. Jahrhunderts – einem Großbrand zum Opfer gefallen. Brand- und Planierungshorizonte im Untergrund deuten darauf hin, dass das Terrain abgeräumt und ein neues, deutlich vergrößertes Coburg gebaut wurde. Der noch heute gut nachvollziehbare Grundriss der spätmittelalterlichen Siedlung zeigt die planmäßige Anlage der sich dynamisch entwickelnden Stadt im inneren Mauerring während der Expansionsphase infolge des Herrschaftsantritts der Grafen von Henneberg in Coburg nach 1260.

Die alte Nord-Süd-Fernstraße erreichte auf ihrer hochwasserfreien Trasse über die heutige Hohe Straße am Steintor die Stadt von Osten. Dort traf sie auf eine Ost-West-Fernstraße, die innerhalb der Mauer mit der Steingasse auf den Markt mündete, am Ende des Platzes als Judengasse die Stadt verließ und nach dem Itzübergang der Judenbrücke den Hohlweg des Judenberges einkerbend sich nach Westen fortsetzte. Eine zweite – die Taltrasse der Nord-Süd-Straße – verlief entlang der heutigen Ketschendorfer Straße und gelangte von Süden auf der Ketschengasse zum Markt.

Da sie südlich der Stadt – so im Bereich der Nikolaus-Kapelle – ca. drei Meter unter dem heutigen Niveau lag, dürfte diese Trasse nur in trockenen Zeiten nutzbar gewesen sein. Die Fernstraße passierte durch die Spitalgasse »die stat« im inneren Mauerring am Spitaltor, um den Steinweg entlang durch die »nwe stat« an Heiligkreuz vorbei – hier wurde 1401/1407 mit dem Bau der gleichnamigen Kirche begonnen – die Stadt durch die Itz hindurch zu verlassen. Erst 1468 wurde hier eine erste Brücke gebaut, die den Verkehr beschleunigen half.

Für eine Anlage des 13. Jahrhunderts sprechen auch einige Bauwerke, die den Verlauf der ebenfalls in dieser Zeit errichteten und in Teilen noch heute erhaltenen inneren Stadtmauer mit den zwei der ursprünglich vier Tore markieren.

Das St.-Georgs-Spital – außerhalb des Spitaltores an der Georgengasse gelegen – markiert die Nordgrenze der Stadt des späten 13. Jahrhunderts. Diese älteste Coburger Sozialeinrichtung, die neben der quarantänemäßigen Krankenpflege auch die Fürsorge von Waisenkindern zu betreiben hatte, wurde 1317 erstmals erwähnt. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Grafen von Henneberg das Spital bereits vor 1291 gestiftet haben – vor dem erbweisen Herrschaftsübergang Coburgs von Henneberg an das Haus Brandenburg, das Stadt und Land an der Itz bis 1312 innehatte.

Der Name dieser Quarantänestation an der Stadtgrenze kann auch symbolisch-programmatisch interpretiert werden: