Paläovalation

Paläovalation

 

Atir Kerroum

Das Buch

 

So ziemlich alles läuft schief im Leben von Tad Asanovski. Nicht nur die Frauen machen sein Leben kompliziert, auch der Krieg verläuft nicht wirklich nach seinem Geschmack. Die genetischen Superrassen, gegen die er in den Kampf ziehen soll, sind nicht nur widerspenstig, sondern haben auch noch Verbündete in den eigenen Reihen - und als einer dieser Kollaborateure mit seinen Leuten Tads Schiff übernimmt und ihn und seine Crew wegsperrt, scheint es nicht mehr schlimmer kommen zu können. Doch dann stürzt das Schiff mit Freund und Feind auf einen verödeten Planeten und Tad stellt fest, dass trotz Charme und Galgenhumor im Leben wirklich noch viel mehr schiefgehen kann. Sehr viel mehr!

 

 

 

 

 

 

Der Autor

 

»Hamse gedient?« Auf die obligatorische Frage hat Autor Atir Kerroum das obligatorische »Jawoll!« parat. Heute übt er in Ludwigshafen am Rhein den sozialen Beruf des Rechtsanwalts aus. Seine schriftstellerische Nebentätigkeit macht ihn zum Herrscher über fremde Welten – und verschafft den Nachbarn, die er sonst mit Boogie Woogie aus einem Gründerzeit-Klavier beschallt, Ruhe. Die Helden seiner Geschichten haben weniger Glück, denn ein Land, das Helden nötig hat, ist aller Wahrscheinlichkeit nach dystopisch aufgestellt.

Impressum

 

Originalausgabe

 

 

© 2018 in Farbe und Bunt

 

in Farbe und Bunt Verlags-UG (haftungsbeschränkt)

Kruppstraße 82 - 100

45145 Essen

 

www.ifub-verlag.de

 

 

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdrucks und der Veröffentlichung des Buches, oder Teilen daraus, sind vorbehalten.

Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags und des Autors in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Alle Rechte liegen beim Verlag.

 

 

 

Herausgeber: Mike Hillenbrand

verantwortlicher Redakteur: Björn Sülter

Cover-Gestaltung: Eileen Steinbach

Lektorat: Lektorat Buchstabenpuzzle B. Karwatt

Korrektorat: Telma Vahey

E-Book-Erstellung: Grit Richter

 

 

 

Um sich zu bessern, braucht man entweder einen guten Freund oder einen harten Feind.

- Diogenes

1. Komparative Vorteile

 

 

»Invitro-Kreuzer auf elf Uhr. Distanz zwölf Lichtminuten«, säuselte die KI gelassen. »Möchten Sie Gefechtsbereitschaft herstellen?«

Scheiße!

Konteradmiral Tadeusz Asanovski taxierte den hässlichen roten Punkt auf den Scannern. Der Kreuzer lag im Orbit von Trinity. Kein Hinweis auf Begleitschiffe. Die KI berechnete eine Wahrscheinlichkeit von 82 bis 98 Prozent, dass die Maarten Scholz das Gefecht für sich entschied.

»Ihre Befehle, Herr Konteradmiral?«, dröhnte die tiefe Stimme Kapitänleutnant Gutlebens.

»Gefechtsbereitschaft herstellen!«, entschied Tad. »Fertig machen zum Annäherungssprung, auf Distanz vier Kilometer. Angriffsmuster Theta! Meldung machen, wenn bereit!«

»Jawohl, Herr Konteradmiral!«

Die Befehle wurden abgearbeitet. Tad trennte die Verbindung mit der KI und schnippte Fähnrich Okbeide zu sich.

»Herr Okbeide, bringen Sie mir bitte einen Kaffee! Schwarz, mit Zucker!«

»Das ist Rassismus, Herr Konteradmiral!«, witzelte der dunkelhäutige Fähnrich.

»Schreiben Sie ‘ne Beschwerde«, empfahl Tad.

Auf dem Weg zur Kaffeemaschine schob sich der Fähnrich an Julia Farnese vorbei. Die junge Kriegsberichtsvolontärin glotzte Tad an wie ein Fragezeichen auf einem Report.

»Was geschieht jetzt? Ich dachte, wir greifen an?«, wunderte sie sich.

Journalisten auf der Brücke waren wie Chorfrauen vom Heiligen Grab beim Pornodreh. Man musste ihnen alles erklären. Aber bei einer hübschen Südländerin hatte Tad kein Problem damit. Er schenkte Julia ein charmantes Lächeln. In ihrer Kameradrohne, die über der Brücke schwebte, sah es umwerfend aus.

»Es dauert nur ein paar Minuten, bis der Sprungantrieb aufgeladen ist. Dann geht’s los«, erläuterte er.

»Und wenn sie uns in der Zwischenzeit angreifen?«, fragte sie unsicher.

»Wie denn? Die haben keine Ahnung, dass wir da sind. Wir sind gerade ins System gesprungen, und der Invitro ist eins Komma fünf astronomische Einheiten entfernt. Im Raum bewegen sich alle Informationen mit Lichtgeschwindigkeit. Stichwort Einstein-Horizont. Sobald der Antrieb aufgeladen ist, springen wir auf Schussweite an den Invitro heran und pusten ihn weg. So lautet der Plan.«

Tad nippte mit spitzen Lippen an dem Kaffee, den ihm der Fähnrich inzwischen gebracht hatte, und lächelte in die Kameradrohne. »Das Wichtigste im Krieg ist der Kaffee: heiß wie die Hölle, schwarz wie der Teufel, rein wie ein Engel und süß wie die Liebe. Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord.«

»Sie befassen sich kurz vor der Schlacht mit heißem Kaffee?«, wunderte sich Julia.

Genau genommen befasste er sich nicht mit Kaffee, sondern mit Talleyrand. Die Mediendemokratie wollte intellektuelle Helden.

»Befassen Sie sich in Ihrem Job denn mit kaltem Kaffee?«, gab Tad scherzhaft zurück.

Anstatt seine Anspielung auf abgestandene Nachrichten witzig zu finden, blieb Julia nachdenklich. »Was passiert eigentlich, wenn wir die Schlacht verlieren?«, fragte sie.

Das war dann richtig schlecht, wie Kapitänleutnant Gutleben ausführte.

»Dann gelten wir als vermisst, bis man unsere Leichen findet«, prognostizierte der groß gewachsene Kapitänleutnant. »Aber machen Sie sich keine Sorgen, das dauert im Weltraum nx Jahre. Darum gibt es im All keine Gefallenen. Nur Vermisste.«

»Ich finde das nicht witzig«, tadelte Julia ihn. Natürlich nicht. Sie war an Bord, um sich mit der Kriegsdoku Jäger im Weltenraum für den Sieg zu engagieren. Dass sie diesen Ruhm einheimsen durfte, lag dabei weniger an ihrem Talent als daran, dass der Job richtigen Journalisten zu gefährlich war.

»Machen Sie sich keine Sorgen.« Tad versuchte sie zu beruhigen. »Wir verlieren nicht. Die K3-Klasse ist das modernste Großkampfschiff der Solaren Union. Die Prognosen des Computers können Sie sowieso in der Pfeife rauchen.«

»Was macht Sie da so sicher?«, fragte Julia.

»Die KI rechnet drei Millionen hypothetische Szenarien durch und erstellt auf deren Grundlage eine Gefechtsprognose. In Wirklichkeit sind unsere Chancen wesentlich besser, als der Computer meint, weil wir uns an Sun Tsu halten: Alle Kriegskunst beruht auf Täuschung. So was kann der Computer aber nicht. Wenn Sie dem Computer sagen, er solle sich eine Kriegslist ausdenken, erhalten Sie eine Fehlermeldung. Deswegen hat jedes Schiff auch einen Kommandanten an Bord.«

»Herr Konteradmiral, da läuft Funkverkehr!«, unterbrach Gutleben ihn.

Die KI empfing unverschlüsselte Signale vom Planeten. Da es kein anderes Schiff im System gab, konnten diese nur an den Invitro gerichtet sein.

»Auswertung!«, befahl Tad.

»Trinity bestätigt ein Treffen mit den Invitros.«

Wie schön wäre es gewesen, gemütlich abzuwarten und die Invitros dann bei ihrem Kaffeekränzchen auf Trinity abzuräumen. Leider lief ihnen die Zeit davon.

»Sprungbereitschaft hergestellt«, meldete die KI.

Tad konnte nicht warten. Noch zwei Minuten, und die Maarten Scholz würde auf den Scannern der Invitros zu sehen sein. Gutleben gab die Zielkoordinaten ein. Tad leerte den Kaffeebecher, klemmte ihn in den Cupholder und verband sich mit der KI.

»Angreifen!«, befahl er.

Die Maarten Scholz materialisierte punktgenau vier Komma fünf Kilometer vom Kreuzer entfernt. Concordia hieß das Invitro-Schiff, ließ ihn die KI wissen.

Kaleu Gutleben hatte da schon das Feuer eröffnet. Eine Raketenwolke jagte auf die Concordia zu und zerbarst in deren heftigem Abwehrfeuer. Dazu hämmerte die Railgun der Maarten Scholz im Stakkato auf die Panzerung des Kreuzers ein. Die Concordia grüßte nach Kräften zurück, aber nur vereinzelte Projektile konnten das Abwehrfeuer durchdringen und verpufften weitgehend wirkungslos am Schutzschild der Maarten Scholz.

Tja, Freunde, das ist die K3-Klasse.

Der Invitro konnte oder wollte nicht kapieren, dass er die Schlacht verlor. An seiner Stelle hätte Tad längst Fersengeld gegeben, doch dieser debile Fanatiker wollte mit Gewalt den Helden spielen. Explosionen erschütterten die schwere Panzerung des Kreuzers. Tad befahl Gutleben, das Feuer auf das hintere Drittel des Invitro-Schiffs zu konzentrieren. Dort vermutete man den Sprungantrieb und den Antimateriereaktor. Wenn sie den Antrieb ausschalteten, saß der Invitro fest wie ein gestrandeter Wal, und sie konnten ihn aufbringen.

»Herr Susato? Sturmshuttle bemannen!«, befahl Tad.

»Jawohl, Herr Konteradmiral!«, antwortete der Oberleutnant via Bordcom. Über die KI verfolgte Tad, wie die Raumsoldaten zum Hangar hechteten. Tad würde der Erste sein, dem es gelang, ein Invitro-Schiff zu kapern. Vor laufender Kamera! Er war der Jäger im Weltenraum.

Plötzlich verschwand der Kreuzer von den Schirmen.

Scheiße!

»Haben wir ihn erwischt?«

»Negativ«, antwortete die KI. »Das Schiff ist gesprungen.«

Tad betrachtete die Schrapnells und Splitter im leeren Weltraum. Wütend rammte er die Faust auf die Armlehne. Verdammt, fast hätten sie dem Invitro den Arsch aufgerissen!

»Feuer einstellen!«, befahl Tad sicherheitshalber, obwohl schon längst nicht mehr geschossen wurde. Das ganze Gefecht hatte nur wenige Sekunden gedauert.

»Wir haben ihn schwer getroffen«, sagte Gutleben.

»Aber nicht erledigt«, brummte Tad. Wütend betrachtete er die leeren Bildschirme. »Funkspruch an Trinity: Hier spricht SSU Maarten Scholz. Die Kavallerie ist da. Sie können herauskommen. Die Bedrohung durch die Invitros wurde ausgeschaltet.«

»Ausgeführt«, bestätigte die KI.

»Die Indianer haben sich zwar vom Acker gemacht, aber die Solare Kavallerie rettet die Lage. Perfektes Timing. Wir haben was gut bei denen.« Kaleu Gutleben konzentrierte sich auf das Positive und hob den Daumen.

»Ja«, sagte Tad, »wir sind die Guten.«

»Das ist übrigens nur eine Western-Legende.« Julia fing an zu klugscheißen. Obwohl Tad warnend mit den Augen rollte, plapperte sie unbekümmert weiter. »In Wirklichkeit war die US-Kavallerie eine korrupte Verbrecherbande.«

»Wenn Sie damit etwas andeuten wollen …« Drohend hob Tad die Stimme.

»Nein, nein, überhaupt nicht!«, versicherte Julia erschrocken. »Ich wollte nur …«

»Denken Sie nicht an Ihre Kavallerie. Denken Sie an die Kavallerie von John Wayne am Rio Grande. In Cinemascope. Dann passt das. Geschichte ist eine Lüge, auf die man sich geeinigt hat«, erinnerte Tad sie freundlich.

»Aber John Wayne war ein Schauspieler. Der hat auch Jesus gekreuzigt und den Zweiten Weltkrieg gewonnen.«

»Und er war sehr überzeugend.«

Sie wurden von der KI unterbrochen. »Ich habe eine Antwort von Trinity empfangen. Soll ich sie abspielen?«

»Ich bitte darum.«

»Verpisst euch! Ende der Nachricht.«

Zwei Sekunden summten die Lebenserhaltungssysteme vor sich hin.

»Die haben sie wohl nicht alle«, prustete Gutleben.

»Was ist los mit denen?«, empörte sich Julia. »Wir haben sie doch gerade vor den Invitros gerettet!«

In der Peripherie war die Solare Union so beliebt wie das Ordnungsamt in der offenen Drogenszene. Das war los mit denen.

»Lagebesprechung in zehn Minuten«, ordnete Tad an.

 

Lagebesprechung im Konferenzraum als geskriptete Realität. Julia brauchte Material für Jäger im Weltenraum. Das Gefecht hatte sich insoweit als enttäuschend unergiebig und viel zu kurz erwiesen. Auch wenn man aus den Daten im Studio eine actionreiche Simulation erstellen konnte, fehlte das Wichtigste: die Explosion am Schluss.

Tad, Kaleu Gutleben, Oberleutnant Susato, Julia und Leutnant Pine, die Schiffsingenieurin, verteilten sich am riesigen Konferenztisch. Susato, um keine martialische Erscheinung verlegen, war in Kampfuniform erschienen. Das Licht spiegelte sich in seinen gegelten schwarzen Haaren. Tad hatte das Panzerschott geöffnet und die Maarten Scholz auf eine neue Position gebracht, sodass im Panoramafenster gelbbraun der Planet Trinity zu sehen war. Die Beleuchtung war gedimmt und eine Wartungsdrohne außen so vor dem Fenster platziert, dass ihre Scheinwerfer in den Konferenzraum strahlten und die Szene in ein dramatisches Licht tauchten.

Der Tisch zeigte eine zweidimensionale Mercator-Projektion Trinitys. Die KI hatte die Karte erstellt. Simple 2D-Karten enthielten mehr Informationen als die schönsten Holografien.

»Läuft die Kamera?«, fragte Tad.

Julia nickte. Sie konnten loslegen.

»Schadensbericht!«, schnarrte Tad zackig.

»Minimal«, antwortete die Schiffsingenieurin verbindlich. Pine war die beste ihres Jahrgangs gewesen, tat nun jedoch so, als müsse sie die Daten ablesen. »Hülle hundert Prozent intakt. Keine Verluste.«

»Danke, Frau Pine. Was wissen wir über Trinity?«

Ihr Blick wanderte zum Bildschirm.

»Erdähnlicher Planet mit 0,8 Erdmassen. Magnetfeld vorhanden. Vor dreißig Jahren wurde eine Bergbau-Kolonie eingerichtet. Zu etwas anderem taugt der Planet auch nicht, die Atmosphäre enthält nämlich Chlor und ist nicht atembar. Dass man nichts mehr vergiften kann, ist das einzig Positive, was sich über diesen Müllhaufen sagen lässt. Hier, hier und hier: Das sind Tagebaue gigantischen Ausmaßes. Die gibt es überall auf dem Planeten.«

Pine deutete auf eine Siedlung mit einem Flugplatz und spielte ein Luftbild ein, das abgestellte Wracks und heruntergekommene Raumfahrzeuge zeigte.

»Das muss die legendäre Hauptstadt Trinity City sein«, spöttelte Kaleu Gutleben.

Die Siedlung lag auf dem Äquator, wie die meisten Hauptstädte von Bergbauplaneten, weil dort ein Weltraumaufzug gebaut werden konnte. Trotzdem besaß Trinity keinen. Nach den Kraterlandschaften zu urteilen, versuchten die dort unten, in wenigen Dekaden auszubeuten, wofür man anderswo Jahrhunderte brauchte. Millionen Tonnen Gestein wurden von riesigen Maschinen gebrochen, zerkleinert, gemahlen und raffiniert, um die Metalle zu gewinnen. Die Hast beruhte nicht allein auf Gier. Der Weltraum war öffentliches Eigentum der Sternennationen, und wer sich daran vergriff, dem drohten Vermögensverfall und zwischen fünf und zwanzig Jahren Gefängnis. Pech für die Trinitysten, dass sie gerade erwischt worden waren. Tad gedachte dies zu seinem Vorteil zu nutzen.

»Haben wir eine Antwort erhalten?«, fragte Tad.

»Negativ«, gab Gutleben zurück. »Auch auf die Anfrage wegen humanitärer Hilfe. Es bleibt dabei, dass wir uns verpissen sollen.«

»Diese Clowns meinen das wirklich ernst.« Tad schüttelte den Kopf. Eigentlich konnte es doch nicht so schwer sein, die Trinitysten davon zu überzeugen, dass der Feind ihres Feindes ihr Freund war. Immerhin hatten die Invitros versucht, den Planeten zu besetzen.

Tad massierte nachdenklich sein Kinn. »Wir schauen uns den Laden mal an. Herr Susato, stellen Sie ein Landungsteam zusammen!«

»Wird gemacht, Herr Konteradmiral!«

»Wir kündigen das vorher an und sagen, dass wir humanitäre Hilfe bringen.« Tad wandte sich an Julia. »Wollen Sie uns begleiten?«

»Oh, ja, natürlich, super!«, rief Julia. Dann runzelte sie zweifelnd die Stirn. »Sie gehen selbst runter?«

»Exakt«, stellte Tad fest. Er kommandierte schließlich kein Geschwader, und wenn er Gutleben nicht vertraut hätte, hätte er sich einen anderen Käpten gesucht.

»Was wollen Sie dort unten machen?«, fragte sie.

»Mich zu jemandem durchfragen, der was zu sagen hat. Unser Auftrag lautet, Verbündete für die Solare Union zu finden. Aber ich muss Sie warnen, der Ausflug ist nicht ungefährlich.«

»Kein Problem«, versicherte Julia.

»Es kann sein, dass wir von irgendwelchen Kretins beschossen werden.«

»Die Schabe besitzt eine Verbundpanzerung Klasse 3, Minenschutz Klasse 4 und ein aktives Schutzsystem gegen Projektile.« Julia hatte ihre Hausaufgaben gemacht.

»Kein Grund, nachlässig zu werden«, warnte Tad. »Wir wissen nicht, über welche Waffen die Trinitysten verfügen. Ziehen Sie sich was Praktisches an. Wir treffen uns in einer halben Stunde auf dem Hangardeck.«

Tad stand auf und ging in sein Quartier, um sich für den Landgang umzuziehen. Vor dem Schrank stehend überlegte er. Kleider machten Leute. Diese simple Weisheit war nach Jahrhunderten kurzer Hosen und T-Shirts weitgehend in Vergessenheit geraten. Wer bekam eher auf die Fresse? Der Bulle in Schnürstiefeln und Poloshirt oder der Herr Wachtmeister in der gestärkten Galauniform? Tad griff zum Bügel mit dem blauen Dienstanzug, der dem diplomatischen Protokoll entsprach. Darüber kam eine simple Panzerweste. Servorüstungen sahen mit Blick auf Julias Kameradrohne zu unheroisch aus. Er steckte zwei Pistolen ein und packte rasch den Rucksack: Wegzehrung, Wasser, Essbesteck, Fernglas und, ganz wichtig, eine Ersatzatemmaske. Schließlich öffnete er den Tresor und entnahm die Geldkarte. Er steckte sie in die Hosentasche.

 

Die SSU Maarten Scholz war 820 Meter lang, 1,3 Billionen Solare Credits teuer und unbemannt voll gefechtsbereit. Damit sie dies auch während der gesamten Einsatzdauer blieb, hatte sie eine siebzehnköpfige Besatzung für Wartung und Instandhaltung der Systeme sowie einundzwanzig Raumsoldaten für Sicherungsaufgaben an Bord.

Als Tad auf dem Hangardeck eintraf, war bereits eine Schabe in die Landefähre verladen worden. Die Maarten Scholz hatte zwei dieser schweren Radpanzer an Bord.

Zugführer Oberleutnant Rubén Susato ließ die Raumsoldaten des Landungstrupps in mechanisierten Gefechtsrüstungen antreten, den Helm unter dem Arm. Die besten Männer und Frauen – und der Gefreite Grossman, der Mann, der aus bekannten Gründen mehr Klos putzte als jeder andere an Bord.

Aber Grossman war zwei Meter groß und über hundert Kilo schwer.

»Sie haben sich doch nicht etwa freiwillig gemeldet, Herr Grossman?«, erkundigte sich Tad.

»Nein, Konteradmiral!«

»Hatte ich auch nicht erwartet. Weitermachen!«, sagte Tad.

Er schritt den schwer gepanzerten Trupp ab und blieb bei Julia stehen. Sie solle sich etwas Praktisches anziehen, hatte er gesagt. Julia verstand darunter eine khakifarbene Cargohose und ein bauchfreies Top, welches allerdings fast völlig unter der Panzerweste mit dem Aufdruck ›PRESSE‹ verschwand.

Nicht gut.

»Herr Susato, besorgen sie Frau Farnese eine andere Weste! Die hier zieht Kugeln an.«

»Jawohl, Herr Konteradmiral!«

Susato gab den Befehl weiter an Hanson. Der rothaarige Feldwebel nickte und eilte davon, um eine andere Weste zu organisieren.

»Stimmt was nicht?«, fragte Julia.

»Es ist besser, wenn man Sie nicht als Journalistin erkennt. Glauben Sie mir.«

Tad briefte den Landungstrupp. Auftrag: nach Trinity City vorrücken und Kontakt mit deren Anführern aufnehmen. Atmosphäre giftig. Atemfilter auf Funktion überprüfen.

Hanson brachte eine neue Schutzweste und half Julia beim Anlegen. Diese Weste besaß eine intelligente Tarnfunktion und passte sich an den Hintergrund an. Und es stand nicht »PRESSE« darauf.

Während der Trupp aufsaß, wandte sich Tad an Hauptbootsmann Blocker, die Pilotin. Blocker war nicht groß, und freundlich ausgedrückt, war sie kräftig gebaut. In jedem, wirklich jedem körperlichen Tauglichkeitstest hatten die Prüfer Neigung zu Adipositas notiert und Maßnahmen empfohlen, bereits seit der Kadettenschule. Aber solange sie die Tests bestand, war Tad das egal.

Auf der Satellitenkarte zeigte er ihr die »Hauptstadt«, in der sich die Minenverwaltung befinden sollte. Solche Informationen stammten von Schmugglern und Kriminellen. Sie waren manchmal veraltet, aber in der Regel zuverlässig. Gegen Tads Landeplatz erhob Blocker keine Einwände. Tad beabsichtigte, in sicherer Entfernung von der »Hauptstadt« zu landen und sich erst einmal ein Bild von der Lage zu machen, bevor er weitere Schritte unternahm.

»Ich bring Sie hin, Herr Konteradmiral«, sagte sie. Technisch gesehen konnte das Shuttle autonom landen, aber wenn man Ärger einplante, war ein Pilot immer besser. »Ist mit Gegenwehr zu rechnen?«, fragte sie.

»Verpisst euch, haben sie gesagt. Wie ernst sie das nehmen, wird man sehen. Aber Trinity ist nur eine Minenkolonie. Was können die schon viel machen?«

Blocker kletterte in den Pilotensitz. Tad stieg in den Radpanzer und setzte sich neben Julia. Er wies sie ein, wie die Sicherheitsgurte anzulegen waren, und überprüfte ihre Atemmaske. Nachdem die Vakuumpumpen die Luft abgesaugt hatten, öffnete sich das Hangartor, und die Fähre legte ab. Tad hatte nicht die Absicht, gleich in der Höhle des Löwen aufzuschlagen. Blocker sollte zwanzig Kilometer vom Flugplatz entfernt landen. Dann würden sie die Lage aufklären, dem Löwen auf den Zahn fühlen und ihm diesen gegebenenfalls ziehen. Auf der Suche nach einem sicheren, auch strategisch geeigneten Landeplatz überflog die Fähre schier endlos lange eine Mondlandschaft aus Kratern, Gruben und Seen. Endlich, fast vierzig Kilometer von Trinity City entfernt, gab es eine ausreichend große Ebene. Blocker landete.

»Masken anlegen!«

Die Gefechtspanzer der Soldaten hatten integrierte Sauerstoffversorgungssysteme. Sie setzten die Helme auf. Tad überprüfte den Sitz von Julias Atemmaske. Die Einstiegsluke des Radpanzers öffnete sich. Die Gruppe schwärmte aus der Landefähre und sicherte. Blocker ließ eine Kampfdrohne aufsteigen.

Schließlich trat Tad hinaus und sah sich um.

Trinity war hässlich, staubig und rotbraun, ohne einen Hauch von Grün. Selbst durch die Atemmaske wirkte die Luft stechend. Das Thermometer zeigte 28 Grad C.

Julias Kameradrohne umrundete Tad und schraubte sich in einer Spirale in die Luft. Gerade jetzt ging ihm das Drecksding auf die Nerven. Doch er behielt sein Missfallen für sich.

Keine Banditen in Sicht. Die Sensoren der Drohne speisten ihre Bilder in Tads Neurochip.

»Schabe 1 ausrücken«, befahl Tad.

Der Panzer erwachte zum Leben und rollte aus der Fähre. Die Schabe konnte autonom operieren und bekämpfte Ziele selbstständig – wenn sie den Befehl dazu erhielt.

Tad ließ aufsitzen. Julia holte die Kameradrohne herein. Er selbst stieg als Letzter in den Panzer und schloss die Einstiegsluke. Die Lebenserhaltung blies saubere Luft ein; er nahm die Atemmaske ab.

»Hals- und Beinbruch«, funkte Blocker.

Die Landefähre hob ab und verschwand im Himmel.

 

Während der Panzer über die Ebene rumpelte, machte Julia eine Anmoderation. »Ich sitze hier in einer Schabe, dem neuesten Hightech-Panzer von Wiseman, zusammen mit Konteradmiral Asanovski und den Raumsoldaten, der härtesten Truppe des Universums.« Demonstrativ klopfte sie gegen die Außenwand. »Kraftfeldverstärkte, laserreflektierende Kompositpanzerung mit Minenschutz Klasse 4. Das aktive Schutzsystem kann selbst Nukleargranaten bekämpfen. Dieses Fahrzeug ist praktisch unzerstörbar. Oberleutnant Susato, wie fühlen Sie sich?«

»Ziemlich gut.« Susato grinste. »Wir haben eine wesentlich bessere Ausrüstung als die Invitros.«

»Gut zu wissen: Wiseman Wehrtechnik baut die besten Panzer des Universums«, schloss Julia. Sie musste das sagen. Wiseman unterstützte die Produktion von Jäger im Weltenraum mit 20.000 Credits.

Tad befasste sich mit den Bildern der Kampfdrohne. Trinity war ein Tagebau im Planetenformat, eine endlose Mondlandschaft aus Löchern und Abraumhalden. Rechts und links der staubigen Schotterstraße erstreckten sich bis zum Horizont Seen mit giftigen Abwässern. Trinity war dermaßen kaputt, dass sich die Frage nach Terraforming längst nicht mehr stellte.

Tad gab Befehl zum Halt.

»Zeigen Sie das alles!«, forderte Tad Julia auf. »Trinity ist ein abschreckendes Beispiel dafür, weshalb Planetenaneignung eine Straftat ist.« Julia ließ die Kameradrohne über der apokalyptischen Kraterlandschaft fliegen. Natürlich gab es lizenzierte Kolonien, die schlimmer aussahen. Aber das war nicht der Punkt. Irgendwelche Clowns rissen sich einen Planeten unter den Nagel und gingen, von niemandem kontrolliert, ihren kriminellen Geschäften nach. Genau so waren die Invitros entstanden. Eine Geheimgesellschaft verrückter Wissenschaftler hatte die Erde verlassen, einen Planeten gestohlen, verbotene Gen-Experimente durchgeführt und sich eine faschistoide Ideologie zusammengebastelt.

Nein, danke.

Nachdem Julia ihre Aufnahmen im Kasten hatte, holperte die Schabe eine leere Piste entlang. Kein Funkverkehr. Nichts. Tad hatte nicht erwartet, von fähnchenschwenkendem Volk als Befreier gefeiert zu werden. Aber sie hatten ihr Kommen angekündigt, und diese Nicht-Reaktion auf die Landung war dann doch etwas dürftig.

»Was wollen Sie?«, meinte Gutleben zu dem Thema von der Maarten Scholz aus. »Diese Leute wissen ja nicht, dass wir sie nicht verhaften wollen.«

Der Punkt ging an den Kaleu.

Aus der Kraterlandschaft tauchten Gewächshäuser auf. Daneben, auf der Straße, stand ein angegrauter Farmer.

Tad ließ anhalten und Masken anlegen. Oberleutnant Susato ging an die manuelle Steuerung der Waffenstation.

»Wer zum Teufel seid ihr?«, fragte der Farmer dumpf unter seiner Atemmaske. Er sprach englisch.

»SSU Maarten Scholz«, stellte sich Susato vor. »Raumstreitkräfte der Solaren Union. Wir kommen, um humanitäre Hilfe zu leisten.«

»Huma-was?«

»Humanitäre Hilfe.«

»Verarschst du mich gerade?«

Susato hatte keine Lust, sich mit diesem Statisten auseinanderzusetzen. »Wer hat hier die Verantwortung?«

»Was?«

»Der Chef! Der, der auf diesem Planeten das Sagen hat!«

»Versucht’s mal in Trinity City.«

»Ist das alles?«

»Im Verwaltungsgebäude der Minengesellschaft. Fragt nach Mister Schmitt.«

Der Farmer deutete die Straße entlang.

Höflich, wie er nun einmal war, bedankte sich Susato und setzte sich wieder auf seinen Platz.

»Man hat es hier nur mit Vollidioten zu tun«, knurrte er.

»Wer hier Landwirtschaft betreibt, kann ja auch nicht ganz dicht sein«, meinte Julia.

»Sagen Sie das nicht«, erwiderte Tad. »Ich schätze, er lässt sich seine Erzeugnisse ziemlich gut bezahlen.«

Er lehnte sich gegen die Seitenwand des Fahrzeugs. Vierzig Kilometer auf dieser Straße waren verdammt lang, besonders für manche Kameraden. Der Gefreite Grossman war in seinem Sitz zusammengesunken und hielt die Augen geschlossen.

»Frau Dehmel? Wecken Sie mal den Gefreiten Grossman auf.«

Die walkürenhafte Hauptgefreite stieß Grossman an. Der Mann schreckte hoch.

»Guten Morgen, Herr Grossman«, begrüßte ihn Tad.

Dieser warf Tad einen finsteren Blick zu und schwieg.

Grossman war ein lausiger Soldat.

Die Ausläufer Trinity Citys manifestierten sich in Form einer vergammelten Erzraffinerie. Die notdürftig zusammengeflickte Anlage blies Schwaden giftiger Abgase in die Atmosphäre. Ein verlassener Monster-Kipplader stand rostbraun, mit zerstörten Scheiben und ohne Räder neben der Straße.

Die Stadt dahinter war nicht viel mehr als eine Ansammlung klimatisierter Container neben einem Flugplatz und einem Hangar. Die Container waren zwar groß und wahrscheinlich auch komfortabel, aber es blieben Container. In der Mitte der Siedlung ragte ein mehrstöckiges Gebäude aus echtem Beton auf. Ein bisschen Mühe mit der Verschönerung hatte man sich aber doch gegeben, denn es gab ein paar lebende Pflanzen, die resistent gegen die giftige Atmosphäre und eher rot als grün waren. Die Pflanzen bewiesen, was man mit einem bisschen Terraforming aus Trinity hätte machen können. Aber hier ging es nur um den schnellen Credit.

»Hässliches Städtchen«, knurrte die Hauptgefreite Dehmel. Sie verfolgte die Luftbilder, die die Kameradrohne lieferte, auf ihrem PDA. Sie schüttelte den Kopf. »Stadt ist ein Witz, aber hier gibt’s mehr Puffs als im Rotlichtbezirk. Wenigstens ist es übersichtlich.«

»Heckenschützen?«, fragte Tad.

»Die Container sind bewohnt, Herr Konteradmiral. Aber fragen Sie mich nicht, von wem.«

Tad gefiel das ganz und gar nicht. Das Szenario erinnerte ihn an eine Westernstadt kurz vor High Noon.

»Anhalten!«, befahl er. »Alles absitzen! Stellung beziehen und Augen offenhalten!«

In Schussweite von Trinity City ging die Gruppe in Stellung. Tad kniete sich hinter einen Felsen und spähte durch sein Fernglas. Nichts war zu sehen.

»Halten Sie das für eine gute Idee?«, fragte Julia unbehaglich. »Im Panzer sind wir sicher.«

»Oder in einer Todesfalle«, erwiderte Tad. »Schabe 1? Vorrücken!«

Der Panzer setzte sich in Bewegung und fuhr langsam in die Siedlung. Die Daten seiner Sensoren überlagerten sich mit denen der Kampfdrohne. Alles erschien ruhig, bis die Sensoren plötzlich eine Bedrohung ermittelten. Augenblicklich drehte sich die Waffenstation und nahm das Ziel mit der elektromagnetischen Maschinenkanone aufs Korn.

Der Junge, den die Sensoren als Bedrohung ausgemacht hatten, erstarrte, als er in die Mündung der Kanone blickte.

»Feuerbefehl bestätigen!«, verlangte die Schabe.

»Abbrechen!«, befahl Tad. »Nicht schießen! Das ist ein Zivilist.« Und außerdem ein Kind.

Der Junge verschwand zwischen den Containern.

»Weiter vorrücken!«

Die Schabe fuhr weiter und erreichte das Zentrum der Stadt mit dem Betongebäude. Dieses bestand zwar aus Fertigelementen, aber immerhin gab es auch eine Glasfassade, mit einer rotschimmernden Rasenfläche davor. Die Kameras zoomten auf zwei Firmenschilder: »Trinity Minen- und Kolonisationsgesellschaft mit beschränkter Haftung«. Daneben ein zweites Schild mit einem Schwert und der Bezeichnung »Camelot Invest«. Na, sieh mal einer an.

»Schabe 1: Halt!«, befahl Tad.

»Wenigstens ist es keine Briefkastenfirma«, meinte Julia.

»Post wird hier sowieso nicht zugestellt. Das traut sich keiner.« Tad deutete auf Camelot Invest. »Der Laden gehört al-Cameloti. Volltreffer!«

»Al-wer?«, fragte Julia.

»Isa Bin Bandar al-Cameloti«, erklärte Tad. »Der sogenannte ›Emir‹. Das ist ein ganz schwerer Junge. Superverbrecher.«

»Und der ist hier?«

»Nein, aber ihm gehört die Mine. Unter anderem. Al-Cameloti gehört der ganze Planet!«

»Wie kann einem einzelnen Mann ein ganzer Planet gehören?«

Tad zuckte mit den Schultern. »Indem er ihn sich nimmt.«

Eine gewaltige Explosion riss die Gruppe von den Füßen. Der Radpanzer verschwand in einer Staubwolke und wurde dann von der Druckwelle meterhoch in die Luft geschleudert. Wie in Zeitlupe stürzte das tonnenschwere Wrack zurück auf den Boden. Alle Verbindungen zur Schabe waren augenblicklich tot.

»Scheiße!«, brüllte der Gefreite Grossman. »Die haben den Panzer mit einer Scheiß-Sprengfalle in die Luft gejagt!«

Und den unzerstörbaren Panzer zerstört.

»Regen Sie sich ab!«, befahl Tad. »Dass es auf einem Minenplaneten Sprengstoff gibt, ist ja wohl keine Überraschung.«

Von der Stadt zuckte ein Laserstrahl in den Himmel und schaltete die Kampfdrohne aus. Rauchend stürzte das Gerät ab.

»Feindkontakt!«, brüllte jemand ins Funkgerät.

Von Trinity City aus wurde die Gruppe mit Handfeuerwaffen beschossen. Tad presste sich in Deckung. Die Raumsoldaten schossen zurück. Dehmel hatte Julia zu Boden geworfen, kniete über ihr und verballerte ein ganzes Magazin. Dass auf sie geschossen wurde, störte sie nicht. Querschläger prallten von ihrer Rüstung ab.

»Feuer einstellen!«, befahl Tad. »In Deckung bleiben!«

Dehmel legte sich neben Julia und lud nach. Die Trinitysten hatten nun keine Ziele mehr und schossen nur noch, um sich zu zeigen. Vorsichtig legte Tad das Fernglas auf den Felsen, der ihm Deckung gab. Ein Schuss verriet die Position eines Trinitysten durch das Mündungsfeuer.

»Herr Gutleben?«

»Zu Ihren Diensten«, meldete sich Gutleben von der Maarten Scholz im Orbit. »Brauchen Sie Hilfe von oben?«

Gutleben hatte die Maarten Scholz in eine extrem niedrige geostationäre Umlaufbahn gebracht. Sie befand sich genau über Trinity City. Mit einem Laserstrahl markierte Tad einen Container am Rand der Siedlung, in dem die Sensoren kein Leben anzeigten.

»Machen Sie den platt«, sagte Tad.

»Zu Befehl, Herr Konteradmiral.«

Die Laserkanone der Maarten Scholz feuerte mit maximaler Leistung auf den Container. Er verschwand in einer Wolke aus Staub und verdampfender Materie. Als die Sicht aufklarte, war vom Container nur ein geschmolzenes Stück Metall übriggeblieben.

Keiner dort drüben wagte mehr zu schießen.

»Herr Susato? Teilen Sie denen über Lautsprecher mit, dass sie genau vier Minuten haben, um mir ihre Kapitulation anzubieten. Andernfalls werden sie zusammen mit Trinity City eingedampft.«

Susato führte den Befehl aus. Die Trinitysten hatten drei beschissene Minuten und den Rest von dieser.

»Herr Konteradmiral …«, begann Julia.

»Ja?«

»In der Stadt sind Zivilisten.«

»Die ergeben sich.«

»Und wenn nicht?«

Tad drehte sich zu ihr herum. Julia hatte sich etwas aufgerichtet.

Tad lächelte siegesgewiss. »Ich sagte, die ergeben sich.«

Julia gab sich damit zufrieden. Tad sah, dass Julias Kameradrohne immer noch in der Luft kreiste. Die Trinitysten hatten sie tatsächlich verfehlt. Hatte die Drohne wirklich das gesamte Gefecht gefilmt?

»Zehn Sekunden«, meldete sich Gutleben von der Maarten Scholz. Langsam wurde Tad doch ein wenig nervös.

»Nicht schießen!«

Eine Gestalt kam zwischen den Containern auf sie zu. Mit erhobenen Händen. Ein weißes Stück Stoff flatterte in seiner Rechten. Langsam führte er die Hand zur Atemmaske, hob diese an und rief mit einem unangenehmen Akzent: »Wir ergeben uns!«

Tad schenkte Julia ein Lächeln. »Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert«, sagte er.

»Kommen Sie alle mit erhobenen Händen heraus, Waffen über dem Kopf!«, rief Susato.

Tad zählte dreiundzwanzig Kombattanten, die sich vor der Stadt sammelten. Das waren wohl kaum alle, aber er nahm es mal so hin.

Dehmel sammelte die Waffen ein. Tad registrierte, dass es Invitro-Sturmgewehre waren. Interessant. Susato überwachte die vorläufige Festnahme. Die Kämpfer wurden mit Kabelbindern gefesselt. Tad begutachtete den Schaden an der Schabe. Der Panzer lag vollständig zerstört in einem metertiefen Explosionstrichter. Über diese missglückte Produktplatzierung würde man sich bei Wiseman überhaupt nicht freuen. Aber das war nicht Tads Problem.

Eine Straße weiter parkte der Bagger, mit dem sie das Loch ausgehoben hatten. Dann hatten sie Sprengstoff hineingepackt, das Loch zugeschüttet und darauf gewartet, dass die Schabe darüberfuhr. Sicherheitshalber ließ Tad den geschmolzenen Rechenkern aus dem Wrack entfernen. Außerdem forderte er von der Maarten Scholz Unterstützung an. Er brauchte hier unten Feldwebel Hanson mit der zweiten Schabe und den restlichen Raumsoldaten.

Dann befasste er sich mit den Vigilanten. Der Mann, der sich als Erster ergeben hatte, stellte sich als ein Victor Schmitt vor. Kurzgeschorene weiße Haare bedeckten seine Drittelglatze. Er war von knochiger Erscheinung und behauptete, der Chef hier zu sein, der Niederlassungsleiter der Trinity Minengesellschaft, und bemühte sich sichtlich, Punkte zu machen. Schmitt konnte sich ausmalen, dass ihm keine schönen Tage von Aranjuez bevorstanden.

»Ich bin mir sicher, dass wir irgendeine Lösung finden können«, sagte Schmitt. Er sprach englisch mit russischem Akzent.

»Was haben Sie mir denn anzubieten?«, gab Tad zurück.

»Was immer Sie wollen.«

Das war eine ganze Menge. »Ich schlage vor, wir besprechen das in Ruhe. In Ihrem Büro.«

»Fühlen Sie sich wie zuhause«, sagte Schmitt und nickte in Richtung des Verwaltungsgebäudes.

Tad ließ Schmitt den Kabelbinder abnehmen und folgte ihm zusammen mit Unteroffizier Thiessen und Julia. Thiessens gepanzerte Stiefel knallten auf dem Steinboden. Die brünette, sorgfältig manikürte Empfangsdame hinter der Luftschleuse blickte nervös von ihrem Tisch auf. In der mechanisierten Gefechtsrüstung war Thiessen größer, als man sich Superhelden vorstellte.

»Keine Panik, alles unter Kontrolle, das sind Freunde«, beruhigte Schmitt sie. »Bring uns Kaffee hoch, Vasilisa.«

Während sie die Treppe hochgingen, versuchte sich Schmitt in einer Charme-Offensive.

»Sie sind also der berühmte Konteradmiral Asanovski?«, fragte er. »Ich versichere Ihnen, ich hatte keine Ahnung …«

Tad schnitt ihm das Wort ab. »Da bin ich mir sicher.«

Schmitt wandte sich an Julia. »Und wer sind Sie?«

»Julia Farnese, Kriegsberichtsvolontärin. Ich mache für Embedded24 eine Dokumentation über Konteradmiral Asanovski.« Julia deutete auf die Kameradrohne in ihren Händen.

»Meine Gratulation. Das wird bestimmt super.«

Eine Glasfront zur Mine beherrschte Schmitts Büro und gewährte einen sensationellen Blick auf ein atemberaubendes Umweltverbrechen. Vor der Fensterfront stand Schmitts riesiger Schreibtisch aus echtem, massivem Holz. Der Rest der Einrichtung war teuer und so geschmackvoll wie ein modernes Kunstwerk. Auf Schmitts Einladung setzten sich Tad und Julia in unbequeme Sessel. Thiessen postierte sich grimmig blickend mit dem Gesicht zur Tür, die Waffe in den Händen, den Helm auf einen Tisch gelegt.

Vasilisa kam herein und zögerte eine Sekunde. Erst als Thiessen kaum merklich nickte, servierte sie mit zittrigen Händen den bestellten Kaffee. Schwarz, mit Zucker. Dann zog sie sich wieder zurück.

»Nun mal Butter bei die Fische.« Schmitt steckte sich eine Zigarette an. »Was kann ich Ihnen Gutes tun?«

»Machen Sie zunächst einmal die Zigarette aus!«, verlangte Tad.

Schmitts Lächeln gefror.

Tad verzog den Mundwinkel. »Ist nicht persönlich gemeint.«

Nach einer Sekunde des Zögerns drückte Schmitt die Zigarette aus.

»Mister Schmitt …«, begann Tad.

»Bitte, nennen Sie mich Victor!«

»Okay, Victor. Lassen Sie mich Ihre Situation kurz zusammenfassen: Sie stecken bis Oberkante Unterlippe in der Scheiße.«

»Das ist ein Missverständnis. Wenn wir gewusst hätten, dass Sie von der Solaren Union sind … Ich bin ja so froh, dass niemand verletzt wurde.«

Tad setzte ein eisiges Lächeln auf.

»Victor, Sie wissen genauso gut wie ich, dass das gelogen ist. Mal ganz abgesehen davon, dass Sie sich zweifelsfrei der illegalen Aneignung und Kolonisierung eines Planeten schuldig gemacht haben. Was spielt da die vorsätzliche Zerstörung eines Transportpanzers im Wert von zwanzig Millionen Credits noch für eine Rolle? Hören Sie also bitte auf, mich für dumm zu verkaufen. Wenn Sie mich anlügen, ist dieses Gespräch beendet. Dann übernimmt die Staatsanwaltschaft.«

Victor schluckte. »Ich denke, wir können das so klären«, murmelte er.

»Gut. Was wollten die Invitros hier?«, fragte Tad.

»Geschäfte machen.«

Geschäfte? Tad bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Sie machen mit den Invitros Geschäfte

»Gelegentlich. Ist das verboten?«

Das brauchte man nicht zu verbieten.

»Die Invitros sind eine außerirdische Bedrohung. Sie kennen kein privates Eigentum und haben kein Geld. Darf ich fragen, welcher Art Ihre Geschäfte sind?«

»Wir verkaufen ihnen Rohstoffe. Tantal, Iridium, Palladium. So Sachen halt.«

»Haben Sie gerade gesagt, dass die Invitros bei Ihnen Rohstoffe kaufen

»Das ist korrekt.«

»Ich hatte Sie gewarnt! Wenn Sie mich anlügen …«

»Ich sage die Wahrheit!«, rief Victor. »Wir verkaufen an die Invitros. Sie bezahlen gutes Geld! Überprüfen Sie die Bücher!«

»Schwachsinn!«, rief Tad. »Da Invitros keinen Lohn bekommen und schuften wie die Ameisen, können sie die Rohstoffe viel billiger selbst abbauen. Also, warum sollten sie welche von Ihnen kaufen?«

»Komparative Kostenvorteile.«

»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.«

»Komparative Kostenvorteile bedeutet, dass ihre Opportunitätskosten über unseren liegen. Dann lohnt es sich für sie.«

»Können Sie sich auch so ausdrücken, dass man es versteht?«

Victor überlegte.

»Ist etwas komplizierter, aber ich erkläre es Ihnen. Stellen Sie sich vor, ein Mensch und ein Invitro sind schiffbrüchig und stranden auf einer einsamen Insel.«

»Das ist lächerlich.«

»Nur ein Gedankenspiel. Um die Sache abzukürzen, gehen wir der Einfachheit halber davon aus, dass keiner der beiden bewaffnet ist.«

»Okay«, sagte Tad widerwillig. Als Gedankenexperiment konnte er das akzeptieren. Gedankenexperimente waren immer absurd.

Victor fuhr fort. »Der Mensch heißt Robinson und die Invitro Roberta, einverstanden? Die Invitro ist eine perfekte Jägerin …«

Jägerin? Tad protestierte. »Augenblick! Eben sagten Sie doch, es gäbe keine Waffen!«

Victor stöhnte. »Sagen wir, Pfeil und Bogen sind erlaubt. Das ist wichtig für das Experiment, verstehen Sie?«

»Okay.«

»Also, Roberta ist die perfekte Jägerin und sammelt Beeren wie ein Vollernter. Stellen Sie sich daneben Robinson als die totale Flachzange vor. Schwach, kränkelnd, bekommt beim Jagen nichts auf die Reihe, und Beeren sammeln kann er auch nicht. Aber beim Sammeln ist er ein bisschen weniger schlecht als beim Jagen. Jetzt ist die Frage: Was tun die beiden, um zu überleben? Roberta kann sich aussuchen, ob sie jagen oder sammeln will. In beidem ist sie unschlagbar. Da sie einen Hasen aber schneller erlegt, als einen Eimer mit Beeren zu füllen, ist es für sie lohnender, zu jagen. Wenn sie jagt, muss sie aber auf Beeren verzichten. Das sind ihre Opportunitätskosten. Bei Robinson sieht die Sache anders aus: Wenn Robinson Beeren sammelt, kann er in derselben Zeit zwar auch nichts jagen, aber das spielt keine Rolle, weil er sowieso keinen Hasen kriegt. Wenn er Beeren sammelt, verzichtet er auf nichts. Seine Opportunitätskosten liegen bei null. Er hat im Vergleich zu Roberta einen komparativen Kostenvorteil. Roberta könnte zwar auch Beeren sammeln, es ist für sie aber viel sinnvoller, mal schnell einen Hasen zu erlegen und die Beute gegen einen Eimer von Robinsons Beeren einzutauschen.«

»Und dabei wird Robinson verhungern«, folgerte Tad. »Er kriegt kaum genug Beeren für sich selbst zusammen. Und jetzt soll er einen ganzen Eimer davon für einen lumpigen Hasen hergeben? Den die Invitro mal eben im Vorbeigehen erlegt? So etwas nennt man Ausbeutung!«

»Muss sich halt was anstrengen, der gute Robinson. Kapitalismus ist keine Hängematte. Ich dachte, die Solisten sehen das genauso.«

»Okay. Nur die Starken überleben. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie Robinson, sammeln hier fleißig Beeren und genießen dabei Ihren komparativen Vorteil. Was kriegen Sie denn von Roberta für Ihre Beeren?«

»Investitionsgüter. Echt ungenießbare Lebensmittel. Manchmal zahlen sie auch in Gold. Alles Verhandlungssache.«

»Waffen auch?«, fragte Tad, der sich an die sichergestellten Sturmgewehre erinnerte.

»Ja«, bestätigte Victor.

»Und was genau wollten die Invitros heute?«

»Keine Ahnung.« Victor zuckte mit den Achseln. »Sie haben sie vorher vertrieben.«

»Wenn Sie mich verarschen …«, warnte Tad.

»Ihre Leutnantin sagte, dass sie mit mir reden will. Und dann sind Sie mit Ihrem Schiff aufgetaucht. Das ist alles, was ich weiß.«

Tad nahm das vorläufig so hin.

»Eine Sache gibt es, die mich bei Ihrer Geschichte mit den komparativen Vorteilen irritiert«, fuhr Tad fort. »Wie kommen Sie darauf, dass Robinson und Roberta kooperieren?«

»Warum nicht? Kooperation ist eine sinnvolle Art der Interaktion.«

»Was ist, wenn Roberta Robinson als Nahrungskonkurrenten betrachtet? Wie bewerten Sie Robertas Opportunitätskosten, wenn sie Ressourcen mit diesem Loser teilen muss?«

»Sagen Sie es mir!«

»Die Invitro würde sich seiner sofort entledigen. Das ist überhaupt keine Frage. Denn er frisst ihr die Nahrung weg. Um zu einer anderen Bewertung zu kommen, müsste Robinson für Roberta die Opportunitätskosten seines Überlebens verdienen. Sie lässt ihn nur am Leben, solange er als ihr Sklave für sie schuftet. Bis sie ihn irgendwann nicht mehr braucht. Verstehen Sie, was ich damit sagen will? Ihre Geschäfte mit den Invitros sind keine gesunde Investition.«

»Sie klingen wie ein Sozialdarwinist.«

»Ich sage nur, was die Invitros tun.«

Victor wandte sich an Julia. »Was sagen Sie eigentlich dazu?«

»Die Invitros bedrohen die gesamte Menschheit. Wie können Sie mit denen Geschäfte machen? Das ist absolut widerwärtig.«

»Ich habe verstanden«, sagte Victor. »Die kriegen nichts mehr von uns.«

»Das ist eine gute Entscheidung. Eine sehr gute Entscheidung«, lobte Tad, dem natürlich klar war, dass er nicht die geringste Möglichkeit hatte, die Einhaltung dieses Versprechens zu erzwingen. Er konnte auf Trinity schließlich keine Garnison stationieren. Wenn die Maarten Scholz das System verlassen hatte, machten die hier wieder, was sie wollten. Tad konnte zwar alle Minen auf diesem Planeten zerstören, aber mit so etwas machte man sich nicht gerade beliebt.

»Ich möchte auf die Feststellung Wert legen, dass wir Ihre Freunde sind«, erklärte Tad. »Wir kämpfen nicht gegen Sie, wir kämpfen gegen die Invitros. Sind Sie auf unserer Seite?«

»Hundert Prozent«, versicherte Victor.

»Richtige Antwort. Gratulation. Ich benötige nämlich eine Kopie Ihrer Sternenkarten.«

Victor starrte Tad an. »Das kann ich nicht tun.«

»Das ist sehr bedauerlich. Ohne Ihre Karten kann ich über die Dinge, die auf diesem Planeten vor sich gehen, nicht hinwegsehen.«

Victors Gesicht blieb unbeweglich wie das eines Pokerspielers mit einem Royal Flush in der Hand. »Sternenkarten sind Geschäftsgeheimnisse.«

»Wir sind im Krieg. Ich versichere Ihnen, dass die Karten nicht in unbefugte Hände geraten.«

»Ich kann Ihnen die Karten nicht geben. Tut mir leid.«

Tad dachte laut nach. »Planetenaneignung, unerlaubte Kolonisation, Geldwäsche, Verstöße gegen Umweltgesetze, Sachbeschädigung, versuchter Mord …«

»Wenn ich Ihnen die Karten gebe, bin ich tot.«

Da kamen sie der Sache schon näher. Victor war ehrlich in Panik. Kein Wunder bei dem Mann, für den er arbeitete. Der Emir verstand keinen Spaß.

»Ich bin befugt, Ihnen im Namen der Solaren Union politisches Asyl anzubieten«, sagte Tad.

Victor schaute auf. »Ich brauche Garantien.«

Tad griff in eine Tasche der Panzerweste und legte seine Vollmacht auf den Tisch. Victor nahm das Gerät und las. Schließlich nickte er.

»Ich will eine Niederlassungserlaubnis«, verlangte Victor.

»Abgemacht.«

»Eine Generalamnestie.«

»Kein Problem.«

»Eine Million Credits mit Freifahrtschein.«

Jetzt wurde er unverschämt.

Ärgerlicherweise hatte Victor soeben in der Vollmacht lesen können, dass Tad ausdrücklich für Zahlungsanweisungen und die Ausstellung von Unbedenklichkeitsbescheinigungen berechtigt war. Er wog die Vor- und Nachteile ab.

»Fünfhunderttausend«, sagte Tad.

 

Tad legte die Offiziersbesprechung mit Kaleu Gutleben, Oberleutnant Susato und Leutnant Pine in sein Dienstzimmer. Auch Julia war wieder dabei, und ihre Kameradrohne filmte exklusiv eine geheime Besprechung. Bei Erscheinen wäre das natürlich alles kalter Kaffee. Über Tads Tisch flimmerte eine Projektion von Victors Sternenkarte. Sie enthielt über tausend neue Planetensysteme mit Sternen, Planetenbahnen, Siedlungsdaten, Infrastruktur. Obwohl die Solare Union den Datenspeicher jedes aufgebrachten Schmuggler-Frachters konfiszierte, war man an so etwas noch nie herangekommen. In der Peripherie waren Informationen ein kostbares Gut. Viele Siedlungen schützten sich vor ungebetenem Besuch, indem sie ihre Koordinaten geheim hielten. Die KI hatte die Karten mit allen vorhandenen Daten abgeglichen und die Plausibilität bestätigt. Erfolg auf der ganzen Linie – solange man nicht Julia fragte.

»Ich verstehe immer noch nicht, weshalb Sie diesen schmierigen Schmitt mit einer Niederlassungserlaubnis, einer Generalamnestie und einer halben Million Credits belohnt haben«, wandte sie ein.

Tad deutete auf die Karte. »Darum!«

»Er wollte uns töten.«

»Der Versuch ging schief. Er musste kooperieren, um seinen Hals zu retten. Hätte gar nicht besser laufen können.«

»Und wer bezahlt den kaputten Panzer?«

»Technisch gesehen die Zentralbank.«

»Und dann haben Sie ihm auch bescheinigt, dass er das Bestechungsgeld legal erworben hat.«

»Dazu sind Legalitätsbescheinigungen da. Um schmutziges Geld reinzuwaschen. Ohne den Freifahrtschein hätte er sich nie mit einer halben Million zufrieden gegeben. Meinen Sie nicht?«

»Aber das Geld ist nicht legal!«, erklärte Julia entschieden.

»Das kommt darauf an, wie Sie darüber berichten. Was halten Sie von dieser Version: Victor war so dankbar für unsere Hilfe, dass er sich der Solaren Union angeschlossen hat. Darum wird er von den Invitros verfolgt, und wir müssen ihn beschützen. Kein Wort über Geld.«

»Aber das stimmt nicht«, widersprach Julia. »Sie haben ihn bestochen.«

»Das könnte man so sehen«, sagte Tad. »Man könnte allerdings auch die Fakten betrachten: Wir kamen, wir sahen, Victor war auf unserer Seite. Mission erfolgreich. Alles paletti. Warum wollen Sie daraus einen Skandal machen? Sind Sie jetzt auf der Seite der Invitros?«

»Ich bin auf der Seite der Wahrheit«, verteidigte sie sich.

»Die Wahrheit ist, dass wir uns im Krieg befinden«, erinnerte Tad sie. »Die Wahrheit ist, dass Sie hier sind, um zu zeigen, was wir tun und wofür wir es tun. Und die Wahrheit ist außerdem, dass Ihre journalistische Karriere den Prager Fenstersturz macht, wenn Sie sich die Finger verbrennen. Tun Sie, was Sie wollen, wir haben Pressefreiheit. Aber behaupten Sie hinterher nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.«

»Vielleicht haben Sie recht«, räumte Julia nach kurzem Nachdenken ein. »Ich werde mir das noch einmal durch den Kopf gehen lassen.«

»Tun Sie das!«, riet Tad. »Und außerdem bitte ich Sie, dieses Gespräch über die Pressefreiheit zu löschen. Es ist geheim. Jetzt.«

Julia zögerte.

»Der Konteradmiral meinte mit jetzt – sofort«, erläuterte Gutleben. »Nur zu Ihrem Schutz. Wenn Sie eine Aufzeichnung eines als geheim eingestuften Gesprächs besitzen, machen Sie sich strafbar.«

»Nur zur Sicherheit«, sagte Tad. »Es wäre doch blöd, wenn die Aufzeichnung in die falschen Hände gelangte und man sie zu Ihnen zurückverfolgen könnte.«