G.F. Barner – 129 – Blutroter Mond über Oregon

G.F. Barner
– 129–

Blutroter Mond über Oregon

G.F. Barner

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-743-1

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Jesse Colby nähert sich Burt Waggoners Station, in der es alles zu kaufen gibt, was ein Wagentreck zu einer weiten Reise benötigt. Männer stehen dort neben Schafen, Ziegen und Milchkühen.

Ein paar Indianer hocken nahe dem Stationshaus an einer Schuppenwand, und ihr stoischer Gleichmut lässt sie nicht einmal die Köpfe heben, als Colby vorbeireitet.

Der Weg verliert sich in den Büschen zum Fluss herab, Spuren von Wagen, von Pferden und Ochsengespannen haben den Weg zermahlen.

Colby nähert sich der abseits liegenden Station, die von den nächsten Häusern etwa hundert Yards entfernt ist.

Dort steht ein Blockhaus hinter den Palisaden, dem offenen Tor und den beiden Türmen über den Palisaden, die unbesetzt sind. Hierher kommen keine Indianer mehr.

Es ist ein staubiger und zerfurchter Weg, den das Pferd trottet, drüben steigt Rauch aus dem Schornstein des Hauses.

Und keine Menschenseele ist zu sehen. Im Hof stehen zwei alte Planwagen, die Haustür ist offen, und am Balken vor dem Haus steht nicht einmal ein Pferd.

»Hallo«, sagt Colby laut vor der offenen Haustür und beugt sich aus dem Sattel. »Ist da jemand?«

Sein Schwarzer schnaubt, im Haus klappert etwas, dann schlurfen Schritte heran und nähern sich dem halbdunklen Eingang.

Ein Mann kommt heraus, der klein, alt und mürrisch wirkt. Ein Oldtimer in einer Lederhose, einem geflickten Hemd und grauen Haaren. Misstrauisch blinzelt er zu Colby hoch und fragt:

»Was ist denn! Zu wem willst du, Mister?«

»Dies ist doch Cliff Olsens Station?«, fragt Colby zurück und sieht den Mann nun etwas munterer werden.

»Ja, das war sie, hier werden nur noch die Wagen abgestellt. Hast du einen Auftrag für Cliff?«

»Vielleicht nicht gerade das, aber ich muss ihn sprechen, mein Freund!«

»Also keinen Auftrag«, murmelt der Oldtimer gedehnt. »Nun ja, wie sollte es auch anders sein. Du findest ihn in der Stadt, dort ist jetzt die Station. Sie musste in die Stadt verlegt werden, hier war keine gute Gegend. Und der Fluss war den Leuten zu nahe, wenn das Wasser stieg. Keinen Auftrag, nun ja …«

»Was heißt das, keinen Auftrag?«, fragt Colby träge. »Da stehen nur zwei alte Wagen.«

Der alte Mann lacht, aber es ist ein bissiges und heiseres Lachen.

»Dieses Land braucht viel mehr, als ein Mann mit seinen Wagen schaffen kann, aber … Nun, es ist nicht meine Sache, du findest Cliff in der Stadt. Reite nur hier zurück und vom Westende in die Stadt hinein. Es ist das sechste Haus auf der rechten Seite.«

Er dreht sich mürrisch um und schlurft auf seinen schiefgelaufenen Stiefeln in das Haus zurück. Ein seltsamer, alter Mann, der Colby einfach stehen lässt.

Colby dreht sein Pferd und blickt kurz auf die Schuppen, die ersten Zeichen des Verfalles und den trostlosen Eindruck, den dieser ganze Komplex macht.

Es hätte ihm gleich auffallen müssen, aber manchmal hat ein Mann seine Wagen alle unterwegs, dann ist es immer in der Station leer.

Er reitet aus dem Tor, schlägt den Weg zum Westende der Stadt ein und kommt die Straße hoch, an der die Häuser ziemlich dicht zusammenstehen.

Gleich vorn ist ein großes Schild an dem ersten Haus, auf dem ein Landverkäufer bestes Siedlungsland verspricht.

Dann kommt ein Mietstall, danach eine Schmiede und wieder das Schild eines Landmaklers. Der Mann neben der Tür dieses Hauses aber sitzt in der Sonne und hat nichts zu tun.

Das zweigeschossige Holzhaus rechts mit der aufgemalten Schrift gehört also Cliff Olsen. Ein paar Pferde stehen vor dem Haus an einem Balken, im Store gegenüber steht im Hintergrund ein Mann neben einer Frau und blickt reglos auf das Haus und das geschlossene Tor.

Und ein Stück weiter, dort, wo das Schild eines Barbiers hängt, stehen gleich zwei Männer und sehen zu Olsens Bau.

Colby sieht auf der linken Gehsteigseite einen Mann auf den Store zugeben, anhalten und nun auch auf das Haus und die beiden Männer neben der Tür blicken.

Colby hält vor dem Balken links an, blickt kurz zu den beiden Männern hin und erkennt ihre angespannte Haltung.

Der eine wirft dem anderen einen kurzen Blick zu, dann treten sie dichter an die Tür heran.

Warum hat er das Tor geschlossen?, denkt Colby erstaunt. Und warum stehen dort drüben Leute und blicken auf diese beiden Burschen an der Tür? Die beiden sehen ziemlich hart und rau aus, schätze ich.

Er steigt langsam ab, knöpft seine Jacke auf und geht dann um seinen Schwarzen herum auf den Vorbau des Hauses zu.

Und nun bewegen sich die beiden Männer langsam. Sie treten vor die Tür, sehen ihn starr an und blockieren seinen Weg.

»Hallo, mein Freund, hier ist kein Eingang«, sagt der rechte Mister langsam und kühl. »Olsen hat gerade Besuch und will nicht gestört werden.«

»So ist es«, bestätigt der links stehende Mister leicht grinsend. »Er will nicht gestört werden.«

Colby lächelt sanft und trügerisch, als er lässig die Hand hebt und stehenbleibt.

Er sieht dieses Grinsen, er hört ihre Worte, und er ahnt, dass Olsens Schwierigkeiten größer sind als er jemals annahm.

»Wer sagt, dass ich zu Olsen will?«, fragt er kühl. »Archer hat mir geschrieben.«

Er sieht die jäh aufzuckenden Augen der beiden Männer. Und was ein Bluff sein sollte, verfehlt hier die Wirkung nicht.

»Archer?«, fragt der eine überrascht. »Nun, warum sagst du das nicht gleich?«

»Ja«, brummt der andere. »Archer hat dir also geschrieben. Aber wer bist du?«

»Tatum wird es euch sagen, wenn er es für richtig hält, Freunde.«

Wieder zucken sie überrascht zusammen.

»Der Boss hat dich eingestellt?«, fragt der linke Mister verwundert. »Nun ja, wenn das so ist. Sollst du Archer helfen?«

»Ja«, erwidert Colby kalt. »Und nun lasst mich gefälligst langsam durch.«

Sein Ton bleibt kühl und unpersönlich, obwohl ihn die Tatsache, dass Archer Jessup hier ist, mit einer unerklärlichen Spannung erfüllt. Jessup ist also irgendwo im Haus. Und sicher rechnet er niemals mit Colbys Erscheinen.

»Sicher«, murmelt der rechts stehende Mann. »Dann hilf ihm nur. Ich bin gespannt …«

Er macht die Tür auf, und Colby geht hinein.

Die Stimmen kommen vom Hof.

»Ich werde nie verkaufen, du Schuft«, sagt eine tiefe und knurrende Stimme voller Zorn. »Du musst mich schon umbringen, aber verkaufen werde ich weder an dich noch an deinen prächtigen Boss, Jessup. Diesen Besuch hättet ihr euch sparen können.«

»Oh«, sagt jemand höhnisch, und seine etwas hohe und schrille Stimme lässt Colby die Hände zu Fäusten ballen. »Dieser Besuch ist gerade richtig, du alter Narr. Von deinen verhungerten Fahrern ist keiner da, deine Tochter ist verreist, und selbst dein Stallhelp kann dir nicht helfen. Du bist ein alter und sturer Narr, aber ehe wir hier weggehen, wirst du verkauft haben!«

»Wenn du dich nur nicht irrst«, gibt die tiefe und zornige Stimme zurück. »Archer, du kannst jeden meiner Männer verprügeln lassen, du kannst auch mich so schlimm verprügeln wie Randy, aber eins schaffst du nicht: dass ich meine Unterschrift unter ein Papier setze, das meinen Besitz an deinen Boss überschreibt. Eher sterbe ich, jetzt weißt du es!«

Colby geht auf seinen flachabsätzigen und sporenlosen Stiefeln langsam über die Dielen weiter auf die Hoftür zu. Die Stimmen kommen von links, die Worte haben einen hohlen Widerhall, als wenn sie alle in einem der Schuppen stehen.

Und nun hört er Jessups höhnisches und schrilles Lachen.

»Olsen, du hast nichts mehr, du bekommst kaum noch einen Auftrag, die Armee hat auch keine mehr für dich. Wir sind immer noch ein wenig billiger als du. In einigen Wochen wirst du am Boden liegen und für ein Butterbrot verkaufen müssen.

Keine Männer mehr, nur ein paar alte und schwachsinnige Mauleseltreiber, die aus verrückter Treue zu dir weiter über die Wege fahren. Olsen, du bist bald ein toter Mann in diesem Land!«

»In vier Wochen fege ich euch aus jedem Saloon und von jedem Weg herunter«, sagt der Alte wild und bärbeißig. »Du wirst noch sehen, was man mit einer guten Mannschaft alles anstellen kann!«

»In vier Wochen?«, fragt Archer Jessup gedehnt. »Ich hörte, dass du dich nach Männern umgesehen hast, wie? Ich hörte, deine Tochter will einen reichen Mister aus Denver heiraten. Nun, vielleicht hast du einen neuen Wagenboss bestellt, hä? Hast du?«

»Du wirst dich noch wundern«, faucht ihn der alte Olsen an. »Du wirst noch heulen und zähneknirschen, du blöder und großmäuliger Narr. Ich gebe nicht wegen ein paar rauer Burschen auf, die sich Tatum anwirbt, ich nicht. Was er kann, das kann ich schon lange. Und jetzt verschwindet hier, verschwindet, dies ist mein Besitz und er bleibt es auch!«

»Er will nicht vernünftig werden, Archer«, meldet sich eine andere Stimme grimmig. »Er kann dasselbe bekommen wie Randy Partch – gleich!«

»Langsam«, sagt Jessup höhnisch »Ich will ihm erst eine Kleinigkeit sagen, diesem alten und sturen Büffel. Cliff, dein neuer Vormann und Wagenboss wird nicht kommen, schätze ich.«

Einen Augenblick ist es totenstill. Aber dann sagt die alte und zornige Stimme Olsens wütend:

»Du Höllenhund, du hast ihn doch nicht etwa getötet?«

Es ertönt ein heiserer und wilder Schrei, dann kreischt Jessup einmal los. Und Jessups schrille Stimme brüllt durchdringend:

»Das hast du nicht umsonst getan, du Narr. Du gehst auf mich los? Ich kam in ganz friedlicher Absicht, aber wenn du mich schlägst – verdammt, meine Nase blutet. Habt ihr ihn?«

»Lasst mich los!«, brüllt der alte Olsen grimmig. »Ihr Ochsen, ich werde euch die Mannschaft auf den Hals hetzen. Lasst mich los, sage ich! Archer, du hast also das Spiel ganz rau gemacht, was? Und jetzt wollt ihr mich also so verprügeln wie Partch? Mann, du wirst eines Tages deinen Kopf verlieren!«

»Tritt nur aus, du machst es dadurch noch rauer«, knurrt nun ein anderer Mann dazwischen. »Wenn wir mit dir fertig sind, dann unterschreibst du. Jim, nimm den Revolver und wirf ihn aus dem Tor.«

»Und dann mach das Tor zu und pass draußen ein wenig auf, Jim«, sagt Jessup eiskalt. »Er wird jetzt seine Medizin bekommen. Und danach ... Aua, verflucht, dieser alte Hundesohn. Gebt es ihm richtig!«

Und das ist die Sekunde, in der Jesse Colby um die Tür sieht.

Vor Colby liegt der Hof ganz friedlich im Sonnenschein.

Rechts stehen sechs Wagen in einer Reihe, die Deichseln ausgerichtet wie an einer Schnur. Links ist ein Brunnen und ein Zweispänner. Und dort ist auch der Schuppen. Die Tür ist halb angelehnt und öffnet sich auf Colbys Standort zu.

Im Schuppen aber ertönt ein wilder und heiserer Schrei. Dann kracht etwas gegen die Wand, die Bretter zittern und das Torgefüge bewegt sich leicht.

Jesse Colby tritt in den Hof und sieht auf die Deichselschwengel neben der Schuppentür, die dort am Boden liegen. Colby nimmt einen der Schwengel und nicht etwa den Revolver, der am Boden liegt und den dieser Mr Jim aus der Tür geworfen hat.

Colby ist mit drei langen Schritten an der Tür und hört das übliche Geräusch einer Prügelei. Ein Mann stöhnt, jemand sagt ächzend:

»Nicht so leicht, ihr Affen. Ich kann auch noch was! Da hast du – uff!«

Jesse Colby kommt wie ein Blitz aus heiterem Himmel über jene Männer im Schuppen, der bis auf einige Fässer und Kisten leer ist.

Colbys Interesse aber gilt nur jenem Mister, der sich gerade auf den Alten stürzen will.

»Yeaaah«, sagt Colby fauchend und wild. »Archer, du Hundesohn!«

Archer bremst in der letzten Sekunde seinen Sprung auf den alten Olsen ab.

Und kaum jemals in seinem Leben sah Jesse Colby ein blöderes und bestürzteres Gesicht.

Es ist, als wenn Jessup einen Geist durch die Tür hereinkommen sieht.

Ehe Jessup etwas sagen kann, ist Colby heran. Und nun lässt Colby seinen Schwengel fallen. Archer Jessup sieht diese Faust kommen, will sich noch ducken, aber bekommt sie mitten unter sein Kinn. Er wird nach hinten geschleudert, kracht mit dem Rücken an den Stapel Kisten und der Stapel über ihm wackelt.

Davon, was dann mit dem Kistenstapel passiert, merkt Jessup gar nichts mehr.

Der andere Bursche aber hat den alten Olsen jählings losgelassen und wirft sich herum. Seine Hand aber ist nun in der Nähe des Revolvers. Die Hand greift zu, und Colby macht einen blitzschnellen und gewaltigen Satz auf den Mann zu.

Er springt ihn an, dann prallt er auch schon gegen die Brust des kauernden Mannes, trifft ihn hart und schleudert ihn nach hinten.

Colbys linke Hand jedoch schießt nach unten, erwischt den rechten Unterarm des Burschen und reißt ihn mit nach hinten.

Es ist eine schnelle und geschickte Bewegung. Und sie kommt mit der Erfahrung eines Mannes, der auf einem Wagen geboren wurde, dessen Welt eine schwankende Plane und der Himmel waren.

Jesse Colby steht, hält den Arm noch immer fest und dreht sich dann nach rechts. Er wirbelt einmal herum, der Mann fliegt vom Boden hoch, hängt wie ein Windmühlenflügel an ihm und wird dann mit jäher Plötzlichkeit von Jesse losgelassen.

Und nun saust der Mister quer durch die Scheune, stößt einen wilden und heiseren Schrei aus und kracht gegen die Tonnen in der Ecke. Er rutscht an ihnen herunter. Und er liegt still, als er am Boden ist.

»Well«, sagt Colby tief und heiser. »Wenn dies nicht eine Medizin für euch war, dann will ich meinen Hut fressen. Ihr Burschen, mal sehen, ob ihr weiter die großen und wilden Radaumacher spielt, was?«

Er dreht sich um und sieht auf den alten Olsen herab, der sich keuchend aufstemmt und wild mit dem Kopf wackelt.

»Wackel noch ein wenig mehr, dann ist er gleich ab«, knurrt ihn Colby grimmig an.

»Nur ein Narr lässt diese Burschen so weit gehen, dass sie ihn auf solche Art erwischen können.

Olsen, wackel noch ein wenig mehr, vielleicht brauchst du ihn nicht, he?«

Old Cliff Olsen ist ein Mann von schwerer Statur, er hat ein bärtiges Gesicht und fast schlohweiße Haare. Seine buschigen Augenbrauen zucken heftig und seine Arme mit den hochgekrempelten Hemdsärmeln fuchteln haltsuchend herum. Er torkelt bis an die Wand. Und Colby, der genau weiß, dass dieser alte Büffel niemals eine Hilfe haben will, steht abwartend dabei und sieht ihn sich an einem der Balken festhalten.

»Oh, Höllenfeuer«, ächzt der Alte. »Wenn das nicht …«

»Ich bin das«, erwidert Colby. »Für einen von diesem freundlichen Jessup totgesagten Mann noch ganz lebendig, was? Cliff, bist du kräftig genug, dann sammle die Revolver dieser Halunken ein. Aah, da hängt ja eine Ochsentreiberpeitsche, gib sie her.«

Er ist schon da, nimmt sie in die Hand und grinst hart. Es fällt kein Wort der Begrüßung. Olsen starrt ihn nur groß und staunend an.

Old Olsen aber ist noch zu mitgenommen, sodass er sich selber um die wilden Burschen kümmern muss. Aus Archer Jessups Rocktasche fischt Colby einen Derringer, bei einem der anderen beiden findet er eine Pepperbox und schließlich hat er alle Waffen auf einem Haufen zusammengetragen und dreht sich nach Olsen um.

»Bist du endlich weit genug?«, fragt er bitter. »Alter, dies ist eine Sache für einen jungen Mann und nicht für einen Großvater. Kannst du sie ganz still und friedlich halten?«