Kurfürstenklinik – 85 – Verführung in Weiß

Kurfürstenklinik
– 85–

Verführung in Weiß

Wird die Neue zum Problem für die Kurfürstenklinik?

Nina Kayser-Darius

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-848-3

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»Sie sitzt schon wieder mit dem Kollegen Hamacher zusammen«, bemerkte Dr. Bernd Schäfer mißmutig, während er sich voller Heißhunger über sein gewaltiges Wiener Schnitzel hermachte. Der junge Assistenzarzt der Chirurgie kämpfte ständig mit seinen Pfunden – ein Kampf jedoch, den er mit schöner Regelmäßigkeit verlor.

Dr. Adrian Winter, an den seine Bemerkung gerichtet war, sah erstaunt von seinem Salat auf. »Von wem sprichst du?« fragte er. Adrian war Unfallchirurg und leitete die Notaufnahme der Kurfürsten-Klinik in Berlin-Charlottenburg. Im Augenblick saßen Bernd und er zusammen im klinikeigenen Restaurant, wo sie ein verspätetes Essen einnahmen. Oft genug blieb dafür überhaupt keine Zeit, heute aber hatten sie sich für eine halbe Stunde frei machen können.

Bernd Schäfer gehörte zu denjenigen Kollegen, mit denen

Adrian besonders eng zusammenarbeitete. Zu Bernd hatte er volles Vertrauen, auf ihn konnte er sich hundertprozentig verlassen. Darüber hinaus verstanden die beiden Männer einander auch privat gut, obwohl sie nicht unterschiedlicher hätten sein können.

»Na, von Frau Dr. Marina Zimmermann natürlich«, antwortete Bernd in diesem Augenblick. Er machte eine knappe Kopfbewegung zur Seite. »Die schöne neue Chirurgin – wir haben doch schon öfter über sie gesprochen.«

»DU hast schon öfter über sie gesprochen«, stellte Adrian mit sanftem Spott fest. Er hatte seinen Salat gegessen und schob den Teller von sich. »Du bist anscheinend sehr beeindruckt von ihr.«

Bernd brummte etwas Unverständliches, dann endlich rang er sich ein Lächeln ab. »Stimmt«, gab er zu. »Ich finde, sie sieht großartig aus – eine der attraktivsten Frauen, die wir hier an der Klinik haben.«

Adrian warf einen kurzen Blick zu Dr. Zimmermann hinüber. Ja, Bernd hatte recht, sie war wirklich attraktiv mit ihren halblangen hellbraunen Haaren, den schönen großen Augen und dem fein geschnittenen Gesicht. Und eine hervorragende Figur hatte sie außerdem noch. Was Adrian aber, im Gegensatz zu seinem Freund und Kollegen Bernd, viel interessanter fand: Frau Dr. Zimmermann war eine ausgezeichnete Chirurgin. Die Kurfürsten-Klinik konnte sich glücklich schätzen, sie gewonnen zu haben. Niemand allerdings hatte damit gerechnet, daß die ›Neue‹ nicht nur als Ärztin höchst bemerkenswert, sondern außerdem noch eine ausgesprochen schöne Frau war. Und wie bei Klatsch und Tratsch üblich: Seit man sich jeden Tag davon überzeugen konnte, wie gut sie aussah, geriet ihre berufliche Qualifikation wirklich total in den Hintergrund, und jeder interessierte sich nur noch für ihr Privatleben. Adrian hatte das nie verstanden, aber so war es nun einmal.

»Ja, sie sieht gut aus«, sagte er nun ruhig. »Aber ich finde es wichtiger, daß sie eine großartige Ärztin ist. Alles andere interessiert mich ehrlich gesagt nicht besonders.«

Bernd warf ihm einen bißbilligenden Blick zu. »Das ist nicht normal, Adrian!« behauptete er. »Du kannst doch nicht immer nur an die Arbeit denken – das bringt niemand fertig, auch du nicht.«

»Wer sagt, daß ich das tue?« Adrian ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Ich weigere mich nur, mich an Vermutungen über Frau Zimmermanns Privatleben zu beteiligen, das ist alles. Warum soll sie nicht mit Herrn Hamacher zusammen essen?«

»Weil sie es ständig tut. Der Mann ist verheiratet und hat drei Kinder – wenn er sich scheiden läßt, ist das eine Katastrophe für die Familie.«

Adrian beugte sich vor. »Bernd«, sagte er ernst, »das geht uns erstens nichts an und zweitens sind das alles nur Gerüchte. Du wirst doch nicht glauben, was der Krankenhausklatsch erzählt!«

»Oft genug haben sich die Gerüchte als wahr erwiesen«, erwiderte Bernd. »Du hast natürlich recht. Es geht mich nichts an. Aber es beschäftigt mich trotzdem. Allerdings gebe ich zu, daß es mir weniger um die Ehe des Kollegen Hamacher geht, den ich kaum kenne. Ich bin wohl ganz einfach neidisch, daß so eine schöne Frau mehrmals in der Woche mit ihm essen geht.« Sein Lächeln geriet ihm ein wenig schief.

Bernds Offenheit schätzte

Adrian besonders. »Ja, das glaube ich dir gern«, sagte er. »Bist du jetzt endlich fertig mit deinem Schnitzel? Du weißt, was heute wieder los ist in der Notaufnahme. Wir sollten Julia nicht allzu lange allein lassen.«

Dr. Julia Martensen war die Dritte in ihrem Bunde: Eine gestandene Internistin von Ende Vierzig, die innerlich wie äußerlich jung geblieben war und den Dienst in der Notaufnahme schätzte, weil er eine besondere Herausforderung darstellte. Auch mit ihr verband Adrian ein freundschaftliches Verhältnis, das weit über das rein Berufliche hinausging.

Hastig schob Bernd sich die letzten Bissen in den Mund, was Adrian mit einem Kopfschütteln kommentierte. Aber er sagte nichts. Bernd und das Essen – das war ein so heikles Thema wie Bernd und die Frauen. Es war besser, nicht daran zu rühren, zumindest nicht im Augenblick. Vielleicht gab es irgendwann wieder einmal ein paar ruhige Minuten, in denen er dem Freund ins Gewissen reden konnte, denn Bernd hatte so viel Übergewicht, daß es sich über kurz oder lang zu einem Gesundheitsrisiko auswachsen würde.

*

»Komme ich bald wieder nach Hause?« fragte die kleine Lili Wenner, während sie den jungen Arzt an ihrem Bett vertrauensvoll anlächelte.

Dr. Jim Parker erwiderte das Lächeln des Kindes. »Ja, bald, Lili. Aber ein bißchen Geduld mußt du noch haben. Wir wollen doch herausfinden, warum du manchmal so schwer Luft bekommst, nicht wahr?«

Lili nickte. Sie liebte Dr. Parker, wie es alle Kinder auf der Kinderstation der Kurfürsten-Klinik taten. Dr. Parker kam aus England, deshalb klang es manchmal ein bißchen komisch, wenn er Deutsch sprach – aber niemand lachte darüber, allen gefiel es. Dr. Parker konnte gut zuhören und trösten, aber er konnte auch lustig sein und einen zum Lachen bringen, sogar wenn man ganz traurig war. Lili wünschte sich, so einen Papa zu haben wie Dr. Parker. Das hatte sie auch ihrer Mama schon gesagt.

»Ich will aber noch gar nicht nach Hause«, verkündete Lili. »Ich will hier bleiben – bei dir.«

»Aber du willst doch bestimmt deine Freundinnen und Freunde wiedersehen, Lili, oder nicht? Du gehst ja schon zur Schule – was meinst du, wie die sich freuen in deiner Klasse, wenn du wiederkommst!«

Lili nickte. Das stimmte natürlich. Andererseits sah sie dann eben Dr. Parker nicht mehr, wenn sie entlassen wurde. Es war eine richtige Zwickmühle – dieses Wort hatte Lili neulich gelernt, und es gefiel ihr außerordentlich gut. »Vielleicht«, gab sie zögernd zu.

»Ganz bestimmt sogar!« versicherte Jim und stand auf. »Ich muß gehen, Lili, deine Mama kommt sicher bald, sie kommt ja immer um diese Zeit. Aber wenn ich jetzt nicht sofort etwas esse, dann falle ich um – so einen Hunger habe ich. Mein Magen knurrt schon.«

»Ich hab’ aber nichts davon gehört«, sagte Lili, die den Arzt noch nicht gehen lassen wollte. Sie versuchte immer, seine Besuche bei ihr in die Länge zu ziehen – mit allen Tricks, die ihr einfielen, und das waren nicht wenige.

»Aber ich. Also, wir sehen uns später. Du willst doch bestimmt nicht, daß mir schlecht wird vor Hunger.«

»Nein«, antwortete Lili und beschloß, ihn tatsächlich gehen zu lassen. Er würde ja wiederkommen!

Jim schloß aufatmend die Tür hinter sich. Um Lili machte er sich echte Sorgen. Die Kleine vermißte ihren Vater sehr, ihr Asthma war seiner Meinung nach psychogen – man konnte ihr also nur helfen, wenn ihre Probleme gelöst wurden. Und das wiederum war nur möglich, wenn ihre Mutter bereit war, sich ernsthaft damit auseinander zu setzen. Doch eben daran hatte er seine Zweifel.

Während er mit dem Aufzug ins Erdgeschoß fuhr, dachte er über Karen Wenner, Lilis Mutter, nach. Sie war genauso blond und süß wie ihre kleine Tochter – und sie war unübersehbar auf der Suche nach einem Mann, der ihr die Last wieder abnahm, allein für sich und Lili zu sorgen. Sie war ein Püppchen, das sich verwöhnen lassen wollte. Er wunderte sich nicht, daß ihre Ehe in die Brüche gegangen war – er selbst hätte es mit einer solchen Frau keine zwei Tage aushalten können. Aber für Lili war es eine echte Katastrophe, daß der Vater gegangen war, zumal die Kleine wohl besonders an ihm gehangen hatte. Jetzt sah sie ihn alle zwei Wochen, aber das reichte natürlich nicht.

Nachdenklich betrat er das Restaurant und sah auf den ersten Blick, daß Frau Dr. Zimmermann wieder einmal mit Dr. Hamacher zusammen aß. Anscheinend war an den Gerüchten über die beiden doch etwas Wahres – man brauchte sich den älteren Kollegen ja nur anzusehen, wie er sie anhimmelte!

Jim suchte sich einen Tisch aus, der so weit wie möglich von den beiden entfernt war. Er war enttäuscht, wollte das aber nicht einmal vor sich selbst zugeben. Von Anfang an hatte er Marina Zimmermann überaus anziehend gefunden. Er hätte sich gern einmal ausführlich mit ihr unterhalten. Doch natürlich fanden alle anderen sie auch attraktiv, und sie hatte nun offenbar ihre Entscheidung getroffen – für einen wesentlich älteren, zudem noch verheirateten Kollegen. Na ja, wo die Liebe hinfiel...

Obwohl er es eigentlich nicht wollte, wanderte sein Blick immer wieder zu den beiden hinüber, als könne er auf diese Weise feststellen, ob seine Vermutung über ihre Beziehung stimmte. Seine Laune verschlechterte sich zusehends.

»Herr Dr. Parker – wie gut, daß ich Sie zufällig hier treffe, ich wollte schon längst mal mit Ihnen reden.«

Er sah auf und mußte an sich halten, um sich seine Empfindungen nicht anmerken zu lassen: Es war Lilis Mutter Karen Wenner – ausgerechnet! Diese naive, kokette Person jetzt zu ertragen, würde über seine Kräfte gehen, doch er sah nicht, wie er ihr hätte ausweichen sollen.

»Guten Tag, Frau Wenner«, sagte er beherrscht.

»Kann ich mich einen Augenblick zu Ihnen setzen? Es geht um Lili, wissen Sie – ich muß das einfach mal loswerden. Ich machte mir so schreckliche Sorgen um sie, ich weiß gar nicht, wie es weitergehen soll. Haben Sie denn nun schon etwas herausgefunden? Sie war früher immer kerngesund, und jetzt auf einmal...«

Sie hatte seine Antwort gar nicht abgewartet, sondern einfach ihm gegenüber Platz genommen. Nun kam die Bedienung und fragte nach ihren Wünschen. Jim bestellte sich einen Eintopf, Karen Wenner einen Kaffee. »Ich habe ja nicht viel Zeit«, sagte sie und richtete ihre runden blauen Augen fragend auf Jim.

»Sie hat Ihre Scheidung nicht verkraftet, Frau Wenner«, sagte er ruhig. »Ihr Asthma scheint damit zusammenzuhängen.«

Sie sah ihn vollkommen verständnislos an. »Was soll das denn heißen?« fragte sie. »Diese Anfälle von Atemnot – die kriegt man doch nicht, weil sich die Eltern scheiden lassen. Viele Eltern lassen sich heutzutage scheiden, und andere Kinder haben kein Asthma.«

»Lili ist ein besonders sensibles Kind, und sie vermißt ihren Vater. Sie hängt offenbar sehr an ihm«, erklärte Jim ruhig. »Außerdem reagieren natürlich nicht alle Kinder gleich.«

Das Gespräch verlief offenbar nicht so, wie Karen Wenner sich das vorgestellt hatte. Ihr Schmollmund wurde schmaler, die Augen verengten sich. »Lili hängt an mir mehr als an ihrem Vater«, erklärte sie mit großer Bestimmtheit. »Und das ist ja auch natürlich, ein Kind gehört zur Mutter. Und sie sieht ihren Vater alle zwei Wochen – das ist mehr als genug, nach allem, was mir der Kerl angetan hat!«

Jim unterdrückte eine ungeduldige Bemerkung. Es hatte keinen Sinn, sich Frau Wenners Unwillen zuzuziehen, denn darunter würde nur Lili zu leiden haben. Er aber wollte dem Mädchen helfen. Er mußte es anders anfangen, das begriff er nun.

»Frau Wenner, es ist sicher nicht leicht für Sie, allein für Lili zu sorgen«, sagte er.