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Die großen Western
– 264 –

Zehn Särge für Saquarro

Frank Callahan

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-931-2

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Das Geschoß zischte so haarscharf an Colorados Kopf vorbei, daß dieser den heißen Atem des Todes spürte. Dann hallte die Schußexplosion von den Felsbrocken, die den schmalen Reitweg säumten, wider.

Der US-Marshal warf sich wie ein Panther aus dem Sattel, während King weitertrabte. Das schrille Wiehern des Hengstes ging in dem erneuten Aufbrüllen einer Winchester unter.

Colorado landete wie eine Katze am Boden, rollte sich weiter und blieb hinter einem Felsen liegen, der wie ein abgebrochener Zahn aus dem Boden ragte.

Die Schüsse verstummten.

Der US-Marshal hielt seinen Revolver in der sehnigen Hand. Ein hartes Lächeln kerbte seine Mundwinkel. Er kroch einige Yards zur Seite und spähte hinter seiner Deckung hervor.

Sofort begann der hinterhältige Gegner wieder zu schießen. Heißes Blei klatschte schmatzend gegen den Felsen. Eine Kugel sirrte über die Deckung hinweg und bohrte sich ächzend in den Stamm eines Cottonwoods.

Colorado mußte sich wieder ducken. Er hatte aber erkannt, von wo auf ihn geschossen wurde. Pulverwölkchen zerfaserten auf einem Hügel, der sich ungefähr fünfzig Yards entfernt befand und an ein liegendes Kamel erinnerte.

Heiß brannte die Sonne hernieder. Am blauen Himmel war kein Wölkchen zu sehen.

Der US-Marshal spähte zu seinem Scheckhengst hinüber, der hinter einigen Felsen zum Stehen gekommen war nun mit gesenktem Kopf dastand und an den Blättern eines Busches zupfte.

Der Überfall war zu überraschend für Colorado gekommen. Seine Winchester steckte noch im Gewehrschuh. Und mit seinem Revolver war die Entfernung zu seinem Gegner für einen sicheren Schuß zu groß.

Colorado befand sich in Arizona und war auf dem Weg nach Saquarro im Pima County. Er war vom dortigen Sheriff angefordert worden, der die Hilfe des US-Marshals benötigte.

Die kleine Stadt mußte noch ungefähr zehn Meilen von ihm entfernt sein. Er selbst befand sich im Moment in den Ausläufern der Sierra Verde, die sich in nördlicher Richtung bis nach Mexiko hineinzogen.

Und der erfahrene Kämpfer ahnte in diesen Sekunden, daß dieser Überfall nur mit seinem Auftrag zusammenhängen konnte, über dessen Einzelheiten er noch nicht informiert war.

Um ihn herum reckten sich zerklüftete Felsen gegen den Himmel. Verkrüppelte Kiefern und Kakteen wuchsen aus den Felsspalten hervor. Insekten umschwärmten Colorado, der sich nun wie ein anschleichender Indianer in Bewegung setzte und dabei jede sich nur bietende Deckungsmöglichkeit ausnützte.

Natürlich blieb sein Gegner nicht untätig. Immer wieder brüllte das Gewehr auf, doch das heiße Blei zischte vorbei.

Colorados Ziel war King, um sich seine Winchester zu holen. Dann würde er seinem Gegner mit gleichen Waffen begegnen können. Und wer den US-Marshal kannte, der wußte auch, daß dieser nicht nur mit seinem Peacemaker ein As war, sondern auch mit seinem Gewehr meisterhaft umzugehen verstand.

Eine Kugel zupfte an Colorados Schulterspitze und nahm Stoff und Hautfetzen mit, als er mit einigen Sprüngen die letzten Yards zu seinem Pferd zurücklegte.

King begrüßte seinen Herrn mit einem leisen Schnauben und rieb seine Nüstern an Colorados Schulter, als dieser seine Winchester aus dem Scabbard zog.

Wie festgeschweißt lag die Waffe in den Händen des US-Marshals.

Colorado setzte sich in Bewegung. Das unwegsame Gelände half ihm sehr, sich seinem Gegner zu nähern. Schon bald kauerte er sich hinter dem Stamm eines Cottonwood nieder und visierte die Stelle an, wo er es in diesem Moment wieder aufblitzen sah.

*

Colorado schoß auf das aufblitzende Mündungsfeuer und veränderte dann sofort seine Position. Die berstenden Schußexplosionen verklangen. Auch die Winchester seines Gegners schwieg.

Der Halunke schien bereits nach diesem kurzen Feuerwechsel zu ahnen, daß seine Chancen gesunken waren, den US-Marshal über den Jordan zu schicken.

Colorado schlich weiter und wollte so schnell wie möglich eine Entscheidung erzwingen. Zu gerne hätte er seinen Gegner lebend in die Hände bekommen.

Bald trennten den Gesetzeshüter nur noch höchstens zwanzig Pferdelängen von dem Hügel. Colorados Atem ging kaum schneller, als er sich hinter einem moosbewachsenen Felsbrocken niederkauerte.

Sein Gegner hatte seit einiger Zeit nicht mehr geschossen. Fast sah es so aus, als habe er feige die Flucht ergriffen.

US-Marshal Bud Clayburn lauschte und glaubte nun, Hufschläge zu vernehmen, die sich rasch entfernten.

Er unterdrückte einen Fluch und schlich weiter, hielt sich aber noch immer in guter Deckung, denn er wollte kein Risiko eingehen, um vielleicht noch auf einen Trick des Halunken hereinzufallen.

Schon bald erreichte er den Hügel, kletterte diesen empor und sah dann in der Ferne einen Reiter, der Sekunden später zwischen zwei Hügeln verschwand.

Colorado senkte sein Gewehr.

Die Sonne ging hinter dem Baboquival Peak in einem flammenden Feuermeer unter. Die Schatten der Abenddämmerung legten sich wie ein schützender Mantel über das Land.

Colorado verließ den Hügel und pfiff King, der auch sofort willig herangetrabt kam. Er tätschelte den schlanken Hals des Hengstes und zog sich in den Sattel.

Dann nahm er die Verfolgung auf, saß konzentriert im Sattel und hielt sein Gewehr schußbereit. Es bestand die Möglichkeit, daß der flüchtende Gegner es vielleicht noch einmal aus dem Hinterhalt probierte.

Es wurde nun rasch dunkel. Die ersten Sterne funkelten am Horizont und erinnerten an Diamanten auf schwarzem Samt.

Colorado zügelte hin und wieder King, um in die Nacht zu lauschen.

Außer den Geräuschen der nächtlichen Natur konnte er nichts Verdächtiges vernehmen.

Er ritt weiter und gab nach einigen Meilen die Verfolgung auf. Der Boden war so hart und auch steinig geworden, daß sich die Hufabdrücke nicht mehr abzeichneten. Außerdem tat die Dunkelheit das übrige dazu, um kaum noch etwas erkennen zu können.

Colorado orientierte sich an einigen markanten Punkten und ritt dann in Richtung Saquarro weiter. Die Lichter der kleinen Stadt, die in einem Tal lag, schimmerten ihm schon bereits nach zwei Stunden entgegen.

Sie versprachen Wärme und Geborgenheit, doch Colorado war erfahren genug, um zu wissen, daß dies täuschte.

Und sein Instinkt sagte ihm, daß ein gefährliches Abenteuer in Saquarro auf ihn wartete.

Einige Minuten später ritt der US-Marshal durch den knöcheltiefen Staub der Main Street und zügelte vor dem Mietstall seinen Hengst, der freudig schnaubte und wohl schon längst Hafer, Heu und Wasser gewittert hatte.

»Das paßt dir wohl, King, nicht wahr?« schmunzelte Colorado, als er den Hengst durch die geöffneten Tore führte. Ein Oldtimer schlurfte aus seinem Verschlag hervor und gähnte, daß sein einziger ihm noch verbleibender Schneidezahn zu sehen war.

»Hallo, Mister«, krächzte der Alte. Übelriechender Whiskyatem schlug Colorado entgegen. »Ich soll mich also um dein Pferd kümmern?«

Nun schien der Alte vollkommen wach zu sein. Er umrundete King und staunte immer mehr, als er den prächtigen Hengst näher besah.

»Holla, Mister«, sagte er dann staunend. »Ich habe schon viele Pferde in meinem Leben gesehen, doch so ein Prachtstück ist mir noch nicht unter die Augen gekommen.«

Colorado nickte nur. Er fühlte sich müde, spürte über ein Dutzend knurrender Wölfe in seinem Magen und hätte auch gegen ein kühles Bier und einen Whisky nichts einzuwenden gehabt.

Außerdem wollte er trotz dieser späten Stunde noch den Sheriff von Saquarro aufsuchen, um endlich zu erfahren, warum er hergerufen wurde.

In dem Telegramm, daß er in Tucson erhalten hatte, stand nur, daß er sich bei einem Sheriff John Higgins in Saquarro melden sollte, um von diesem alles nähere zu erfahren.

Colorado drückte dem Alten einen Geldschein in die Finger und nickte ihm zu.

»Kümmere dich um King. Es soll nicht dein Schaden sein. Und laß ihn in Frieden, denn er kann es nicht leiden, wenn man an ihm herumfingert.«

Der Oldtimer versprach, den Hengst zu versorgen und alles zu tun, damit sich dieser hier im Livery Stable wohl fühlte. Colorado stiefelte ins Freie und schaute sich um.

Schon vor wenigen Minuten hatte er zwei Saloons gesehen, die noch geöffnet hatten. Auch das Sheriff’s Office war den forschenden Blicken des US-Marshals nicht entgangen.

Colorado trug sein Marshalabzeichen in der Innentasche seiner Lederjacke. Und doch ahnte er, daß sich seine Ankunft hier in Saquarro längst herumgesprochen hatte. Er nahm auch an, daß der Überfall von einem Strolch ausgeführt worden war, der gewußt hatte, daß er sich auf dem Weg in diese Stadt befand.

Trotz seines nagenden Hungers hielt Colorado zuerst auf das Office zu. Er leckte sich über die trockenen Lippen, als er an einem der Saloons vorbeistiefelte.

Das Office war unbeleuchtet, auch auf sein mehrmaliges Klopfen öffnete niemand. Colorado wollte sich schon abwenden, als er einen dunklen Schatten auf der gegenüberliegenden Straßenseite sah.

Instinktiv sprang er vom Sidewalk herunter. Der Schatten entpuppte sich jedoch als die kräftige Gestalt eines Mannes, der nun nähertrat.

Colorado blickte dem Mann entgegen, der geradewegs auf ihn zusteuerte.

Der Fremde tippte sich gegen die Krempe seines Stetsons und blickte Colorado forschend an, dessen Gesicht nun von Mondlicht beleuchtet wurde.

»Wollen Sie zum Sheriff, Mister?« fragte er dann.

»Das hatte ich vor, Mister«, antwortete Colorado. »Wie es aber aussieht, scheint Sheriff John Higgins ausgeflogen zu sein.«

Forschende Augen waren nach wie vor auf Colorado gerichtet. In dem breitflächigen Gesicht des Mannes arbeitete es. Nun fuhr er sich über den buschigen Oberlippenbart, während sich seine vollen Lippen hart zusammenpreßten.

Sein bulliger Körper straffte sich. Colorado hatte plötzlich das Gefühl, daß etwas geschehen war, was nicht in seine Pläne paßte.

So war es auch.

Der Fremde sagte: »Sie kommen zu spät, Mister. Sheriff John Hingins wurde gestern ermordet.«

*

Colorados Gesicht blieb unbewegt, nachdem er die Worte seines Gegenübers vernommen hatte.

»Mein Name ist Buck Coolway. Ich bin der Bürgermeister von Saquarro. Kann ich etwas für Sie tun, Mister…?«

Coolways Augen begannen plötzlich zu funkeln. Colorado erkannte dies nicht rechtzeitig. Als er Geräusche hinter sich vernahm, war es bereits zu spät. Er kreiselte zwar noch herum, blickte dann aber in die Mündungen von zwei auf ihn gerichteten Gewehren.

Die beiden Männer, die die Waffen hielten, waren schon älter und machten einen entschlossenen Eindruck.

»Nehmen Sie die Hände hoch!« fauchte einer der beiden.

Der Körper des US-Marshals entspannte sich. Colorado sah ein, daß er im Moment keine Chance hatte, sich gegen diese beiden so unvermutet aufgetauchten Gegner zu wehren.

Aus den Augenwinkeln heraus sah er, daß Buck Coolway seinen Revolver gezogen hatte.

»Was soll das alles, Gents?«

Coolway lachte heiser. Alle Freundlichkeit war aus seinem Gesicht Verschwunden.

»Sie sollten nichts riskieren, Mister«, knarrte seine Stimme. »Sie kommen mit uns, um einige Fragen zu beantworten. Dann erst werden wir weitersehen.«’

Wieder klang dieses heisere Lachen an Colorados Ohren. Der US-Marshal nickte.

»In Ordnung, ich bin sicher, daß Sie mich verwechseln. Der Irrtum wird sich rasch aufklären.«

»Das hoffen wir auch, schon in Ihrem Interesse«, sagte einer der anderen Männer.

Er nickte seinem Partner zu, der einen Schritt zurücktrat und in seiner Jackentasche zu kramen begann. Gleich darauf zog er einen Schlüssel hervor.

Der Mann sprang auf den Sidewalk hoch, trat zur Tür des Sheriff’s Office und schloß diese auf. Einladend winkte er Colorado zu, der sich in Bewegung setzen wollte.

Coolway schüttelte jedoch den Kopf, trat an den US-Marshal heran und zog ihm die Revolver aus den Holstern.

»Vorwärts«, befahl er dann.

Kurze Zeit darauf befand sich Colorado im Innern des Office. Einer der Männer zündete eine Kerosinlampe an, deren flackernder Lichtschein bizarre Schatten auf die Wände zauberte.

Colorado setzte sich unaufgefordert auf ein altes Sofa und streckte seine staubigen Stiefel weit von sich.

Die drei Männer bauten sich vor ihm auf. Nach wie vor waren ihre Waffen auf den US-Marshal gerichtet, der diese aber ignorierte.

»Wir sollten zur Sache kommen«, sagte Colorado dann mit ruhiger Stimme. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich es mit Outlaws zu tun habe. Ich bin fremd hier, doch das genügt nicht, um so mit mir umzuspringen.«

Buck Coolways Augen verengten sich. »Wer sind Sie und was wollen Sie in Saquarro?«

Colorado überlegte, ob er seine Identität als US-Marshal lüften sollte, beschloß dann aber, erst einmal den Dingen ihren Lauf zu lassen.

»Mein Name ist Colorado«, antwortete er. »Und was ich mit dem Sheriff zu besprechen hatte, geht keinen von Ihnen etwas an.«

Seine Antwort schien den dreien in keinster Weise zu schmecken. Buck Coolways Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Unterdrückter Zorn funkelte in seinen Augen.

»Vielleicht sind Sie es gewesen, der unseren Sheriff wie einen räudigen Straßenköter abgeknallt hat«, stieß er hervor.

Colorado schmunzelte nur.