FRANK HARPER

 

 

Die Morde

der Schwarzen Rose

 

 

 

Roman 

 

 

 

Apex Crime, Band 11

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE MORDE DER SCHWARZEN ROSE 

Erster Teil 

Zweiter Teil 

Dritter Teil 

 

 

Das Buch

 

Noch vor kurzer Zeit war ich ein Sportberichterstatter beim New York Globe. Meine Fähigkeiten weit überschätzend, beschloss Bob Gordon, mein Chef, mich mit der Berichterstattung über die sogenannten Schwarze-Rose-Morde zu betrauen, die so sehr an die längst vergangenen Morde von Jack the Ripper erinnerten.

Wie jedermann weiß, muss ein Reporter ausgesprochen abgebrüht sein, hardboiled, wie die Amerikaner sagen – hartgesotten. Ich verfügte nicht über diese Eigenschaft. Ich hatte Nerven, und ich will sogar eingestehen, dass mir die Sache nichts als Angst einflößte, nackte Angst, und das ist zweifellos eine lächerliche Einstellung für einen Reporter. Nun, das werden sie selbst bemerken, sobald Sie meine Aufzeichnungen lesen...

 

Mit seinem meisterhaften Psycho-Thriller Die Morde der Schwarzen Rose fügt Frank Harper dem Mythos um Jack the Ripper ein neues, atemberaubendes Kapitel hinzu.

Die Morde der Schwarzen Rose - ein düsteres, spannungsgeladenes Meisterwerk aus der Feder von Frank Harper!

  DIE MORDE DER SCHWARZEN ROSE

 

 

 

 

 

  Erster Teil

 

 

  Mein Stammlokal war immer noch Teddy. Dieses berühmte Restaurant in der 52. Straße ist der Treffpunkt vieler Größen von Sport und Bühne, und ohne Teddy konnte ich nicht auskommen. Was mich so an dieses Lokal fesselte, war der Umstand, dass es der einzige Platz in New York, vielleicht sogar in den Vereinigten Staaten war, wo sich niemand auch nur im Geringsten mit der Wirklichkeit der Welt abgab. Präsidenten wählen und selbst Kriege machten hier nur einen oberflächlichen Eindruck. Morde und Bankräubereien interessierten überhaupt nicht, und ich bezweifle, dass selbst die Kellner sich der Mühe unterzogen, meine Schwarze-Rose-Artikel im Globe zu lesen. Die Welt jenseits der großen Glastür existierte nicht.

Alles, was hier von Wichtigkeit war, waren die Rennresultate vom Belmont Park und die Ereignisse im Madison Square Garden und im Yankee Stadion. Was dann noch an Interesse übrigblieb, galt den Vorstellungen am nahen Broadway. Aparte Schauspielerinnen befanden sich immer unter Teddys Gästen. Für mich war das Lokal eine Stätte der Erholung, hier konnte ich ausruhen, und hier verstand ich den Sinn des Lebens, so hochtrabend das auch klingen mag. Zudem war die Küche vorzüglich, besonders das Roastbeef.

Hier war mein Zuhause. Sowohl die große ovale Bar mit den beleuchteten Reihen von Scotch und Bourbon Whisky, Cognac, Armagnac, Gordon's Gin, Benedictine, Aquavit und sogar Kirschwasser - wie auch mein Tisch, der Tisch 23, der stets für mich und meine Gäste reserviert war. Der Speisesaal war getäfelt, die Ledersessel waren ein wenig altmodisch, doch bequem, und im Hintergrund waren hinter einer Glaswand die blitzsaubere Küche und die Köche zu sehen. Das Lokal war besser als irgendein Zuhause, und ich nahm es in Kauf, dass mich Teddy nur noch als du Hornochse! anredete, zur Strafe dafür, dass ich meine Sportseite aufgegeben hatte.

Statt über Sportereignisse zu schreiben, hatte ich eine Beschäftigung, die vielen närrisch erscheinen mag. Im Auftrag meiner Zeitung war ich schon vor einiger Zeit darangegangen, mit Mädchen vom Theater, die ein wenig schielten, in Verbindung zu treten. Das war nicht so ganz einfach. Die Bühnengewerkschaft hatte mir die Bilder der Mädchen, die zu ihrer Organisation gehörten, zur Verfügung gestellt, annähernd siebentausend Fotos. Ich hatte Tage und Nächte damit verbracht, alle Aufnahmen derjenigen Mädchen auszusortieren, die zu schielen schienen.

Ich hatte bereits mit einer erstaunlichen Anzahl leicht schielender Mädchen gesprochen. Auf einem Hocker an Teddys Bar sitzend, studierte ich auch im Augenblick wieder einmal die Namensliste in meinem kleinen schwarzen Notizbuch. Es waren Bühnennamen, die ein wenig phantastisch klangen, Namen wie Candy, Penny, Velvet... Die nächste in meiner Liste war Cleo Moore, die im Samoa auftrat, einem der vielen Nachtclubs, die sich in der 52. Straße befanden.

Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr. Die Vorführungen im Samoa begannen erst um Mitternacht, und ich machte dem Mixer ein Zeichen, mär noch einmal einzuschenken. »Cognac...?«, fragte er.

Ich sah ihn erstaunt an. »Dumme Frage. Was sonst?«

»Entschuldigen Sie, Herr Farfor. Haben Sie aber nicht schon genug Cognac getrunken?«

Der Mixer sah wie ein vornehmer alter Herr aus. Er trag ein blütenweißes Jackett mit dem Namen James auf die Brusttasche gestickt.

»Geben Sie mir gefälligst einen doppelten Cognac«, rief ich.

»Nein, wirklich, Herr Farfor! Das ist zu viel. Was ist nur über Sie gekommen, dass Sie in letzter Zeit so viel trinken?«

James machte immer diesen Witz, wenn er mir einschenkte. Der Cognac, der aus dieser Flasche in mein Glas floss, war nämlich gar kein Cognac. Es war Tee. Wie ich zu meiner Schande eingestehen muss, trank ich immer nur Tee, doch davon hatte niemand eine Ahnung. Es war ein Geheimnis zwischen James und mir. Bei Teddy, wo so viel gezecht wurde, war es notwendig, den Eindruck eines gewaltigen Zechers zu erwecken.

»Da kommt Ed«, sagte James.

Die schwingende Glastür schien den Mann namens Ed in das Restaurant zu wirbeln. Er war hochgewachsen, und er war im Smoking. Er kam mir bekannt vor. Sicher hatte ich dieses seltsam leblose Gesicht schon irgendwo einmal gesehen.

»Wer ist Ed?«, fragte ich.

»Edgar Swede.«

»Ach ja - natürlich.«

»Er ist zur Premiere seines neuen Films nach New York gekommen. Drei Tropfen Gift hieß er.«

Ich nickte nachdenklich. Er war in der Tat der berühmte Darsteller von Bösewichten, und mit einer gewissen Erleichterung stellte ich fest, dass das bleiche Gesicht mit der dünnen Nase und dem ironischen Lächeln, das ich von der Leinwand her kannte, nur eine Maske war.

Drei Tropfen Gift hatte ich noch nicht gesehen. Dagegen hatte ich mir Der Henker, Die tödliche Sünde und Ein Mann mit Namen Jack angeschaut. Erstklassige Filme, wenn man Filme des Unheimlichen liebt. Edgar Swede war in jeder Rolle wunderbar unheimlich. Sein hysterisches Kichern, das er zuweilen hören ließ, war entschieden eine neue Note.

Sein Ruhm hatte aber nichts damit zu tun, dass ich ihn einer so genauen Betrachtung unterzog. Das hatte einen anderen Grund: Erst vor wenigen Monaten, im März, war Swede im Zusammenhang mit Jane Mahers Tod vernommen worden. Jane Maher, eine Filmstatistin in Hollywood, war unter dem Spitznamen Schwarze Rose bekannt gewesen. Zusammen mit vielen anderen Männernamen hatte man auch Swedes Namen in ihrem Tagebuch gefunden. Er hatte sie jedoch - wie sich dann ergab - nur flüchtig gekannt, und keinerlei Verdacht war auf ihn gefallen.

Ich sah Swede zur Garderobe gehen. Charlene, dem Garderobefräulein, warf er auch nicht einen Blick zu, als er ihr seinen schwarzen Hut und seine weißen Wildlederhandschuhe übergab. Es fiel mir auf, weil Charlene ein besonders reizvolles Mädchen war, das von jedem Mann gebührend bewundert wurde.

»Kennen Sie ihn?«, fragte ich den Mixer.

»Ja, gewiss. Er war oft hier.«

»Bitte, machen Sie mich mit ihm bekannt, James.«

In diesem Augenblick kam Teddy aus dem Speisesaal. Er war ein Koloss von einem Mann, der sich mit einer tollpatschigen Grazie bewegte. Sofort zog er Swede in seine Arme. Es war eine seiner vielen Eigentümlichkeiten, jeden seiner Gäste so herzhaft zu umarmen.

Sein Lächeln war wirklich ein Grinsen, so riesig, dass es kaum in sein Gesicht ging, ein ungemein fettes Gesicht mit einem Doppelkinn und gottesfürchtigen blauen Augen, die immer Rührung ausdrückten. Alles rührte ihn, sowohl gute wie schlechte Ereignisse, und oft stiegen ihm vor lauter Rührung die Tränen in die Augen. Er war aber auch für seine groben Schimpfworte bekannt, unter denen du Hornochse! noch am harmlosesten war, und seine Stimme hörte sich, wenn er nicht gerade flüsterte, wie Donner an.

»Edgar, du verfluchter Junge! Du ahnst gar nicht, wie glücklich du mich machst. Der Speisesaal ist im Augenblick überfüllt, so lass uns einen heben, bis ich einen Tisch für dich gefunden habe. Scotch, James, Scotch für all meine guten Freunde. Mach ein wenig Platz für Edgar, Al! Edgar, dies ist Allan Farfor vom Globe

»Zeitungsleute hasse ich«, sagte Swede lächelnd.

»Ach, nein, Edgar.« Teddy war ganz entsetzt. »Gehasst wird hier nicht. Ich bestehe darauf, dass ihr beiden Freundschaft schließt.«

Swede bot mir seine Hand an. Sie war gepflegt, fühlte sich aber wie Watte an. »Es war nicht so gemeint, Al.« Seine Stimme war sanft. »Ich kann Ihnen sogar sagen, dass ich ein eifriger Leser Ihrer Sportberichte bin.«

Ich unterdrückte die Bemerkung, dass ich mit Sport schon lange nichts mehr zu tun hatte. »Ich höre, dass Drei Tropfen Gift ein großer Erfolg ist. Meine Glückwünsche«, sagte ich.

»Danke, Al. Mit Ausnahme Ihres Blattes waren die Kritiken überschwänglich.«

»Sobald ich Zeit habe, muss ich mir den Film ansehen.«

»Rufen Sie mich im Waldorf-Astoria an«, sagte Swede verbindlich, »und ich werde Ihnen Karten besorgen.«

James hatte eine Runde Scotch eingeschenkt. »Auf gute Freundschaft! Freundschaft ist das Wichtigste im Leben«, rief Teddy. Damit begann das Gelage. Wann immer diese Männer tranken, war es ein Gelage. Mindestens ein Dutzend Gläser Scotch wurden in rascher Folge geleert. Ich konnte mich auf James verlassen und unbesorgt am Trinken teilnehmen. Von noch so vielem Tee wurde man jedenfalls nicht betrunken. Mir war es um meinen klaren Kopf zu tun. Abgesehen davon, stieß mich diese Trinkerei ab. Das Schlimme daran war, dass diese Männer das brauchten und ohne Trinken nicht auskommen konnten.

»Jetzt muss ich leider gehen«, sagte ich kurz vor Mitternacht.

»Wohin?«, fragte Teddy, und ich erklärte, dass ich eine Verabredung mit Cleo Moore im Samoa hatte.

»Du Hornochse!« Er schüttelte den Kopf. »Wie kannst du dich mit einer unmöglichen Person verabreden?«

»Es ist geschäftlich«, sagte ich.

»Du bist verrückt.«

Ich konnte ihm nicht erklären, warum ich Cleo Moore sprechen wollte, und gab mir alle Mühe, eine nichtssagende Miene aufzusetzen. »Es wird behauptet, dass sie einzigartig ist.«

»Einzigartig! Ich verbiete dir, sie in mein Lokal zu bringen, Al!«

»Cleo Moore ist wirklich einzigartig«, sagte Swede zu meiner Überraschung. »Vor einiger Zeit sah ich sie im Apollo in Los Angeles. Ich fand sie geradezu aufregend.«

Verwundert blickte ich auf Swede. Was konnte er, der mit den schönsten Filmstars bekannt war, an einer Schönheitstänzerin finden?

»Ist es eigentlich wahr, dass sie schielt?«, fragte ich ihn.

Er wandte mir sein Gesicht zu, das lange, schmale, blasse Gesicht. »Schielt sie wirklich?«

»Ich weiß es nicht. Ich werde es herausfinden. Wenn es Sie interessiert, werde ich Ihnen später Bescheid sagen, Edgar.«

Ich erhob mich. Einen Hut besaß ich nicht, und ich hatte eigentlich keinen Grund, zu Charlene hinüberzugehen, die mir oft angedroht hatte, mir einen Hut zu kaufen, damit ich etwas zum Abgeben in der Garderobe hätte.

»Wenn jemand nach mir fragt, ich bin in einer Stunde zurück«, sagte ich.

»Wer wird schon nach Ihnen fragen, Al? Höchstens eines Ihrer vielen Mädchen.«

»Müssen Sie sich unbedingt über mich lustig machen, Charlene?«

»Ich werde mich hüten, mich über einen Mann lustig zu machen, nach dem alle Mädchen wild zu sein scheinen. Wie fangen Sie das bloß an, Al?«

»Sie wissen eben nicht, dass ich unwiderstehlich bin«, grinste ich.

»Das ist mir allerdings noch nicht aufgefallen.«

»Schade.«

Ich fand es wirklich schade, dass ich auf Charlene nie Eindruck gemacht hatte. Ich konnte sie gut leiden. Da waren Zeiten gewesen, in denen ich nahe daran gewesen war, mich in sie zu verlieben - und das trotz meiner Vorliebe für Blondinen. Sie war nicht blond, und sie stand im Ruf, unnahbar zu sein. Gerüchten nach hatte sie es darauf abgesehen, sich einen Millionär einzufangen. Ich wusste kaum etwas über sie. Mir war es immer ein Rätsel gewesen, warum ein so auffallend schönes Mädchen als Garderobefräulein tätig war.

»Eines Tages werde ich Sie einladen, Charlene. Ich bin nämlich verdammt neugierig, was für Geheimnisse Sie haben.«

Das Haar flog ihr um die Schläfen, als sie ihren Kopf zurückwarf. »Ersparen Sie sich die Einladung, Al. Bleiben Sie lieber Ihren Mädchen vom Theater treu«, rief sie mit Ärger in ihrer weichen dunklen Stimme.

 

*

 

Von Teddys eleganter Fassade abgesehen, ist die 52. Straße, im Volksmund Swing-Allee genannt, nicht gerade sehr vornehm. Es ist eine Straße wie etwa die Große Freiheit in Hamburg, und in jedem der billigen Nachtclubs wird unverblümt Erotik angeboten. Mit Ausnahme des Samoa war ich schon überall gewesen. Auf der Jagd nach Frauen, die jenen leichten Sehfehler aufwiesen, hatte ich auch die Tanzhallen des Broadway und die Tingeltangel in Greenwich Village, New Yorks Künstlerviertel, besucht.

Meiner Meinung nach war es eine ziemlich geschmacklose Idee, mit der mich mein Chef, Bob Gordon - den wir im Redaktionsjargon nie anders als »Herr G.« nannten - beauftragt hatte. Bisher hatte ich nicht den geringsten Erfolg gehabt, und ich rechnete auch gar nicht mit Erfolgen.

Im Samoa war der Zuschauerraum verdunkelt. Nur die Bühne war beleuchtet, und ein bläulicher Glanz fiel auf die schwitzenden Gesichter der Jazzkapelle und auf die rothaarige Cleo Moore, die sich in langsamen Kreisen über die Bühne bewegte.

In der Dunkelheit konnte ich keinen Tisch finden, und ich stand wohl den Leuten hinter mir im Wege. »Setzen!«, rief man mir zu, ärgerlich, etwas zu versäumen. Niemand versäumte etwas. Cleo Moore war durchaus nicht einzigartig oder gar aufregend.

Sie war sehr groß und von dem kräftigen Wuchs einer Ringkämpferin. Um sie war etwas Vulgäres, das wohl einen so verfeinerten Mann wie Swede anziehen konnte. Langsam, beinahe phlegmatisch, drehte sie sich im Tanz. Es war eine Pantomime der Verführung. Unter ihrem flammend roten Haar waren ihre Augen halb geschlossen und der feuchte Mund leicht geöffnet.

Nachdem der Vorhang gefallen war, erklärte ich dem Geschäftsführer, dass mich der Globe zu einem Interview mit Cleo Moore geschickt habe. Er versprach, sie zu benachrichtigen, und wies mir einen Tisch abseits von der Bühne an, wo der Lärm der Kapelle nicht ganz so ohrenbetäubend war.

Cleo Moore ließ mich über eine halbe Stunde warten. Als sie schließlich kam, maß sie mich mit geringschätzigem Blick. »Was wollen Sie?«

»Ich möchte Sie um eine Gefälligkeit bitten.«

»Jeder bittet mich um Gefälligkeiten.«

»Sie missverstehen mich. Ich komme geschäftlich.«

»Geschäftlich oder nicht, stehen Sie gefälligst auf, wenn Sie zu einer Dame sprechen. Haben Sie keine Manieren?« fuhr sie mich an.

»Entschuldigen Sie. Es war nicht meine Absicht, unhöflich zu sein.«

Ich musste den Tisch erst ein wenig abrücken, um mich erheben zu können. Cleo Moore war mindestens einen Kopf größer als ich. Sie war größer als jede Frau, die ich je getroffen hatte, und von der Nähe sah sie noch imponierender aus als auf der Bühne.

»Fassen Sie sich kurz«, sagte sie.

Sie ließ sich dicht neben mir auf dem kleinen Sofa nieder. Sie hatte ein einfaches schwarzes Abendkleid an, und ihr Gesicht war nicht unschön. Ohne die Bühnenaufmachung war sie viel sympathischer, und es war klar, dass sie die Männer verachtete, die nur kamen, um eine Schönheitstänzerin anzustarren.

»Ein Glas Wein?«

»Nein, nein.« Sie zog eine Zigarette aus einem zerdrückten Päckchen hervor. »Wenn Sie rauchen wollen, bedienen Sie sich.«

»Danke, ich rauche nicht. Können Sie einen Schock vertragen?«

»Sie können mich nicht so leicht erschrecken«, sagte sie und ließ gelassen ihr Feuerzeug aufspringen.

»Ich nehme an, dass Sie von den Schwarze-Rose-Morden gehört haben?«

Ich sah ihr an, dass sie doch erschrak. Ohne ihr Feuerzeug zu benutzen, blickte sie mich starr an, und in diesem starren Blick war etwas, das auch mich erschreckte. Sie schielte tatsächlich leicht.

Schließlich zündete sie sich ihre Zigarette an. »Wer sind Sie?«, fragte sie, den Rauch in die Höhe blasend.

»Hat Ihnen der Geschäftsführer nicht gesagt, dass ich von der Presse bin?« Ich nannte meinen Namen.

Wenn er ihr bekannt war, ließ sie es sich jedenfalls nicht anmerken. Anscheinend hatte sie beschlossen, mich weiterhin von oben herab zu behandeln.

»So sind Sie der Bursche, der all diesen unverantwortlichen Unsinn schrieb«, sagte sie.

»Unsinn?«

»Ich gebe zu, dass ich einige Ihrer Berichte über die Schwarze-Rose-Morde versäumt haben mag. Diejenigen, die ich las, waren unter jeder Kritik.«

»Es waren Tatsachenberichte. Es ist nicht meine Art, Tatsachen zu erfinden. Ich kann Ihnen nur raten, sich meine Berichte im Globe noch einmal vorzunehmen.«

»Dazu habe ich keine Zeit. Warum klären Sie mich nicht jetzt gleich über das auf, was mir vielleicht entgangen ist? Ich lasse mich immer gern aufklären«, höhnte Cleo Moore.

»Wie Sie wollen.«

Die Musik war außerordentlich störend, und das Männergelachter und die dünne Stimme eines unterernährt aussehenden Mädchens, das frivole Lieder sang. Ich begann, Cleo Moore zu erzählen, was sich zugetragen hatte: die grausige Geschichte der Schwarze-Rose-Morde.

Ich fing an mit Jane Maher, die man am 7. März in den Waldungen oberhalb des Griffith-Observatoriums in Los Angeles gefunden hatte, an einem Baum hängend und so unbeschreiblich zugerichtet, dass es den Polizeibeamten, die an viel Schauriges gewöhnt waren, übel wurde. Die Untersuchung am Tatort brachte nichts zutage, was irgendeinen Hinweis auf den Täter hätte geben können. Keine Fingerabdrücke, keine brauchbaren Fußspuren, kein verlorener Knopf, kein abgerissener Stoff-Fetzen, nicht einmal ein Haar vom Mörder. Nichts, das man zur Untersuchung ins Laboratorium hätte schicken können. Vor allem keine Zeugenaussagen, aus denen ein Hinweis hätte entnommen werden können.

Am 19. März fand man auf einer Bank am East River in New York die Leiche eines Mädchens, das später als Ruby King identifiziert wurde. Sie war in der gleichen Weise verstümmelt wie Jane Maher. Auch in diesem Fall war nicht die geringste Spur des Mörders vorhanden. Er musste mit teuflischer Schlauheit jedes mögliche Risiko bedacht haben.

Die ermordete Maria Bonilla, die am 11. April in einem möblierten Zimmer am Times Square gefunden wurde, wies Verstümmelungen auf, die nicht einmal der Globe erwähnen konnte... Und am 25. Mai fand man die Leiche von Mae Alexander im Keller eines unbewohnten Hauses in Brooklyn. Auch diese beiden Fälle ergaben nicht die geringste Spur. Wie war es möglich, diese Morde zu begehen, ohne dass der Täter den geringsten Hinweis hinterließ, ohne dass die Umwelt irgendetwas bemerkte? Wer konnte so lautlos, so unsichtbar vorgehen?

Bisher waren vier Schwarze-Rose-Morde begangen worden - vielleicht von einem Wahnsinnigen, der gewisse Kenntnisse in Anatomie hatte...

»Wollen Sie immer noch behaupten, dass es sich um Unsinn handelt, Cleo Moore?«, fragte ich, als ich meinen Bericht beendet hatte.

Einigen der Mädchen, mit denen ich bisher gesprochen hatte, war bei meiner Erzählung übel geworden, eine war sogar in Ohnmacht gefallen. Cleo Moore saß unerschüttert. Sie war eine starke, phlegmatische Person.

»Was habe ich mit all dem zu tun?«, fragte sie zurück.

»Meine Zeitung bemüht sich, die Morde aufzuklären, und dazu brauchen wir Ihre Hilfe, Miss Moore«, sagte ich.

»Da muss ich aber lachen. Sie in Ihrem guten blauen Anzug und feinen Seidenhemd auf der Jagd nach einem Mörder! Wozu haben wir eigentlich die Polizei?«

»Die Polizei hat bisher versagt. Ist Ihnen bekannt, dass in diesem Land jede Viertelstunde ein Mord begangen wird, oder über zwanzigtausend Morde jährlich, von denen nie mehr als ein Bruchteil aufgeklärt wird?«

»Woher haben Sie das?«

»Aus dem Globe-Almanach.«

»Nur Idioten glauben, was im Globe-Almanach steht!« Ich konnte mir nicht helfen, sie imponierte mir. Für eine Tänzerin war sie geradezu eine geistige Leuchte. »Ohne Zweifel haben Sie sich einen genialen Plan ausgedacht, den Mörder zu fangen?« fügte sie spöttisch hinzu.

»Wir haben einen Plan, der sich als nützlich erweisen kann.«

»Wenn Sie mir darin eine Rolle zugedacht haben - ohne mich. Sonst noch etwas?«

Sie ging entschieden zu weit in ihrem Bestreben, mir ihre Geringschätzung zu zeigen. Ich hatte genug davon, und ich packte sie bei den Schultern. »Hören Sie mir gefälligst zu«, verlangte ich.

»Rühren Sie mich nicht an!«

Ich ließ sie nicht los und zwang sie, mir ins Gesicht zu sehen. Ihre Augen schlossen sich halb, und in ihren Augenspalten blitzte es vor Empörung. Übrigens bemerkte ich, dass ihre Wimpern auch rot waren, woraus ich schloss, dass ihre Haarfarbe echt war. Ihre Haarfülle hatte einen ausgesprochen rubinroten Ton.

»Lassen Sie mich los, oder ich versetze Ihnen eine Ohrfeige«, sagte sie wütend.

»Wollen Sie mir jetzt zuhören?«

»Ich höre Ihnen ja zu.«

»Gut«, sagte ich. »Erwägen Sie bitte die Tatsache, dass die Opfer Frauen vom Theater waren, die, mit Ausnahme von Ruby King, etwas gemeinsam hatten. Sie schielten. Und Sie schielen ja auch etwas.«

»Männer mögen es...«, antwortete sie.

»Unter den Männern, die es mögen, befindet sich ein Mörder.«

»Womit Sie taktvollerweise andeuten wollen, dass ich mich in Gefahr befinde, ermordet zu werden?«

»Jede Frau mit dieser kleinen Eigenheit befindet sich in Gefahr. Aus diesem Grund bin ich zur Zeit damit beschäftigt, mit jeder in Verbindung zu treten.«

»Eine reizende Beschäftigung. Werden Sie dafür auch noch bezahlt?«

»Es mag Sie überraschen, dass es dreiunddreißig solcher Frauen am Theater gibt. Die meisten haben mir bereits versprochen, mir zu helfen, und ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass Sie auch dazu bereit sind.«

»Sie bilden sich doch nicht ein, dass ich mich Ihretwegen umbringen lassen werde?«

»Sehr witzig!«, sagte ich. »Alles, was ich von Ihnen will, ist Auskunft über Ihre Männerbekanntschaften. Besonders möchte ich benachrichtigt werden, wenn ein Fremder sich Ihnen zu nähern versucht.«

»Führen Sie etwa Buch über die Männerbekanntschaften all Ihrer dreiunddreißig Frauen?«

»Ja«, sagte ich.

»Mann Gottes, Sie haben keine Ahnung, mit wie vielen Männern ich es zu tun habe. Meistens handelt es sich um ältere Herren, die sich einen guten Abend machen wollen. Sie müssten sich allein für die Buchführung meines Kontos einen Sekretär anschaffen.«

»Ich kann damit selbst fertig werden. Geben Sie mir eine Namensliste, und ich werde jeden Namen überprüfen. Es ist zumindest ein gewisser Schutz.«

»Ich brauche keinen Schutz. Fühlen Sie.« Sie hielt mir ihren rechten Arm hin, und ich fühlte ihre Muskeln. Sie spannten sich und schwollen mehr und mehr an. Es waren harte Muskeln. »Vor einigen Jahren reiste ich mit einer Ringkämpfertruppe. Ich habe alle möglichen schmerzhaften Griffe gelernt.«

Fast jede Frau hatte Hemmungen gehabt, mich in ihr Privatleben einzuweihen. Ich war daran gewöhnt, und ich hatte genug Erfahrungen gesammelt, wie man mit solchen Hemmungen fertig wurde. Ich zog meine Brieftasche hervor. Sie enthielt ein dickes Geldbündel. Leider war es nicht mein Geld. Meine Zeitung hatte es mir für notwendige Ausgaben zur Verfügung gestellt, und ich hatte bereits einen ansehnlichen Betrag zur Auszahlung gebracht.

»Wieviel?«, fragte ich.

»Stecken Sie sofort Ihr Geld ein.«

»Es liegt mir aber daran, Sie auf meiner Seite zu haben, und dafür will ich gern bezahlen.«

»Eine Frau wie mich kann man nur umsonst oder überhaupt nicht haben.«

»Hut ab.«

»Ach, Unsinn. Ich verdiene tausend Dollar wöchentlich damit, mich zur Schau zu stellen, so dass man mir mit Geld nicht imponieren kann. Übrigens tue ich das nur im Nebenberuf.«

»Was tun Sie sonst noch?«

Auf einmal brach sie in Gelächter aus, und ich hatte das Gefühl, dass ihr schon eine ganze Zeit lang zum Lachen gewesen sein musste. Eine Wolke rubinroten Haares fiel in ihre Stirn, als sie jetzt geradezu hingerissen lachte.

»Worüber lachen Sie so?«, fragte ich entgeistert.

»Ich amüsiere mich! Sie auch?«

»Offen gestanden, nein.«

Sie hörte zu lachen auf, und ihr Gesicht nahm einen ernsthaften Ausdruck an. »Ich bin einverstanden, mein Junge«, sagte sie und schlug mir auf die Schulter. »Halten Sie mich über die anderen zweiunddreißig Mädchen auf dem Laufenden, und ich werde Ihnen Auskunft über meine Männerbekanntschaften geben. Vielleicht ist es eine gute Idee, wenn wir in Zukunft zusammenarbeiten.«

»Ich verstehe nicht ganz«, entgegnete ich verwirrt.

Sie riss den Reißverschluss ihrer Tasche auf. Es war eine erstaunlich schäbige Handtasche für eine Frau, die wöchentlich tausend Dollar verdiente. In ihrem Schoß hielt sie die Tasche so, dass ich hineinblicken konnte. Ihr Lippenstift, ihre Puderdose, ihr Spitzentaschentuch, alles machte einen ziemlich unordentlichen Eindruck. Schließlich fand sie, wonach sie gesucht hatte, und sie zeigte mir ein kleines Silberschild, das die Nummer 127 aufwies.

Die erstaunliche Tatsache, dass eine FBI-Beamtin - eine Angehörige des Federal Bureau of Investigation, des amerikanischen Bundeskriminalamtes - ausgerechnet als Schönheitstänzerin im Samoa auftrat, wusste ich als Zeitungsmann gebührend zu würdigen.

 

*

 

In jener Nacht, auf dem Rückweg zu Teddy, hatte ich ein sehr unangenehmes Erlebnis. Schuld daran war vor allen Dingen, dass ich den Blick zum Himmel gerichtet hielt, als ich über die Straße ging - eine der Sachen, die man sich in New York nicht leisten kann. Der Himmel schwelte in einem dunstigen Rot, das von all den Neonröhren und Glühbirnen am Broadway herrührte.

Als ich Teddy fast erreicht hatte, sprang ein Mann, der eine dunkle Brille trug, aus einem der parkenden Wagen und schlug auf mich ein. Es kam so unerwartet, dass ich nur instinktiv zurückschlagen konnte. Ich traf ihn zwischen den Augen, und der Schlag riss ihm die Brille ab.

Ein Hieb, der meinen Kopf zu spalten schien, nahm mir fast die Besinnung. Das Blut, das mir von der Stirn in die Augen lief, hinderte mich am Sehen. Mit einem neuen Hieb gegen meine Augen, meine Nase und meinen Mund sank ich mehr und mehr dem Boden zu, außerstande, mich zur Wehr zu setzen. Mein Gesicht musste eine blutige Grimasse sein; es fühlte sich wie gehäutet an. Die mit einem Schlagring bewaffnete Faust traf mich am Kehlkopf, und meine Knie sackten ganz unter mir weg. Mit einem Ruck schienen die Straßenlaternen zu erlöschen.

 

*

 

Lange Zeit wusste ich, dass ich am Straßenrand lag, k. o. geschlagen. Vielleicht war es ganz lehrreich für einen ehemaligen Sportberichterstatter, einmal an sich selbst zu erfahren, was ein Boxer empfindet, der ausgezählt wird. Es waren unerfreuliche Empfindungen, und am unerfreulichsten daran war, dass man immer noch denken konnte, ohne dass man fähig war, ein Lebenszeichen von sich zu geben. Ich dachte mit einem gewissen Galgenhumor, wie schade es war, dass ich nicht Cleo Moores Muskeln hatte.

Ein Auflauf hatte sich um mich gebildet. Durch meine geschwollenen Augenlider konnte ich verschwommen die Glastür von Teddy und Carl, den Portier, sehen. Ich sah auch die Gesichter über mir. Da war zum Beispiel Edgar Swede. Er trug seinen schwarzen Hut und seine weißen Wildlederhandschuhe, und eine Dame hing an seinem Arm. Die Dame war blond, und ich glaubte, dass es Irene Alison war, die ich flüchtig kannte. Er sah absolut ergriffen aus, als er sich zu mir niederbeugte.

»Na - schielt sie?«, fragte er.

Ich versuchte, meine Lippen zu bewegen. Es war unmöglich.

Ich sah jedes einzelne Gesicht, und dann sah ich nichts mehr. Es wurde vollkommen dunkel um mich. Ich konnte auch nicht mehr denken.

Aus der Dunkelheit drang eine Stimme zu mir, sanft wie eine Liebkosung. »Es wird schon alles gut werden, Al..

Wer zum Teufel sprach so zärtlich zu mir? Cleo Moore? Ausgeschlossen.

Als ich die Augen aufschlug, hing der glühende Himmel nicht mehr über mir, und die Gesichter der Menschenmenge waren verschwunden. Ich blickte zu einer Decke empor, die bestimmt nicht die Decke meines Zimmers war. Langsam begann ich, mich in dem fremden Zimmer umzuschauen. Neben dem Bett, in dem ich lag, stand ein kleiner Tisch mit einer Lampe, die ein mattes Licht warf. Im Lichtschein auf dem Tisch lagen einige meiner Sachen. Mein Notizbuch, meine Brieftasche, meine 38-Spezialkaliber Smith & Wesson, die ich stets mit mir trug; nur hatte ich Idiot versäumt, davon Gebrauch zu machen. Meine Kleider lagen ordentlich auf dem Stuhl.

Die Seidenvorhänge vor dem Fenster und der Teppich waren blau. Es war ein hübsches Zimmer mit Dingen darin, die offenbar einem Mädchen gehörten. Und dann fiel mein Blick auf das Mädchen, das in einem Sessel am Bett saß.

Sie saß so nah, ich hätte sie berühren können, wenn ich fähig gewesen wäre, meinen Arm zu heben.

So nah, dass ich nicht umhin konnte, zu bemerken, dass ihre dunklen Augen ein wenig schielten, nur ein ganz klein wenig, in einer entzückenden Weise, die ihr gut stand und ihrem Gesicht, das wie Elfenbein getönt war, eine persönliche Note gab. Ich bemerkte es mit Erstaunen und bezweifelte sogleich, dass ich recht sah. Es mochte eine Täuschung sein, eine Geistesstörung, möglicherweise von den Schlägen, die ich eingesteckt hatte, hervorgerufen.

»Wo zum Teufel bin ich?«, fragte ich.

»Erkennen Sie mich nicht, Al? Ich bin es, Charlene. Sie sind bei mir.«

»Wie bin ich hierhergekommen?«

»Ich habe Sie entführt«, sagte das Mädchen. »Ich weiß, es ist unschicklich, Männer zu entführen, und ich hoffe, Sie vergeben mir. Mir blieb aber nichts anderes übrig. Ich sah die Polizei kommen, und da ich weiß, wie sehr Sie jedes Aufsehen hassen, trug ich Sie mit Carls Hilfe in ein Taxi und brachte Sie hierher.«

Der bloße Gedanke an Polizei ließ mich erschauern. Ich war Charlene zu Dank verpflichtet, dass sie mich davor bewahrt hafte, die peinliche Geschichte in meiner eigenen Zeitung lesen zu müssen.

»Sie sind eine süße Person«, sagte ich. Ich war auch überzeugt davon.

»Bitte, wiederholen Sie das, Al...«

»Sie sind süß.«

»Danke. Sie haben das noch nie gesagt. Also, ich brachte Sie hierher, zu meiner kleinen Wohnung in Flushing, legte Sie ins Bett und verband Sie.«

Charlene war von schmalem, geschmeidigem Wuchs und viel kleiner als ich. Es war mir rätselhaft, wie sie mit mir, der ich fast hundertachtzig Pfund wog, fertig geworden war. »Wie haben Sie das gemacht?«

»Es war einfach. Ich war im Krieg Krankenpflegerin. Ich bin mit schlimmeren Fällen fertig geworden.«

Charlene hatte funkelnd schwarzes Haar. Es war in der modernen Weise kurzgeschnitten, ein Irrgarten winziger Löckchen, und mich kam die Lust an, mit meiner Hand darüber zu streicheln.

»Bitte, nicht«, sagte sie beinahe streng und hielt meine Hand fest. »Wie fühlen Sie sich?«

»Lausig. Und wie sehe ich aus?«

»Lausig«, sagte sie lächelnd. »Sie haben ein blaues Auge, und eine ganze Menge Haut ist Ihnen abhandengekommen. Zum Glück hatte ich alle notwendigen Dinge, Sie zu verbinden. Machen Sie sich keine Sorgen, Al. Es sind keine schlimmen Wunden.«

»Hatte er ein Messer?«

»Es war kein Messer. Carl meint, dass es ein Schlagring war.«

»Hat Carl ihn gesehen?«

»Nein. Niemand sah ihn. Er entkam in seinem Wagen.«

»Zu dumm.«

»Ich fand aber eine zerbrochene Brille. Sie lag auf dem Bürgersteig, und ich nahm sie an mich.«

»Meine Hochachtung, Charlene. Heißen Sie wirklich Charlene?«

»Viele nennen mich Charly. Mein voller Name ist Charlene Ann Daphne Tachias. Sie haben also die Auswahl.«

»Ich bin für Charlene.«

»Haben Sie eine Ahnung, warum Sie so zugerichtet wurden?«, fragte sie.

»Nein. Ich wusste nicht einmal, dass ich Feinde hatte.«

»Das können Sie mir nicht erzählen, Al. Zum Spaß trägt man doch keinen Revolver mit sich herum.«

»Der Revolver besagt gar nichts. Mein Chef, Mister Gordon, gab mir das Ding, als ich begann, an den Schwarze-Rose-Morden zu arbeiten.«

»Sie haben mir nie gesagt, dass Sie mit diesem schrecklichen Fall irgendetwas zu tun haben.«

»Der Globe ist voll von meinen Artikeln darüber. Das Blatt kostet nur fünf Cent, so dass Sie es sich gelegentlich einmal hätten kaufen können.«

»Es gefällt mir nicht, Al, es gefällt mir ganz und gar nicht, dass Sie über Morde schreiben. Sie, der Sie so schön über Sugar Ray geschrieben haben.«

»Es machte mir auch Spaß. Morde machen mir keinen Spaß«, sagte ich. Und dann auf einmal war mir klar, warum man mich mit einem Schlagring bearbeitet hatte. Es konnte nur eine Warnung gewesen sein, mich nicht mit diesen Morden zu befassen. Ich sprach darüber mit Charlene.

»Al, ich wette mit Ihnen, dass Sie sich irren.«

»Wetten Sie nicht. Ich bin meiner Sache sicher.«

»Ich bin genauso sicher, dass Ihre Vermutungen nicht stimmen. Wenn es Sie interessiert, ich habe meine eigenen Vermutungen,«

»Was vermuten Sie?«

»Eifersucht! Vielleicht war jener Mann der Liebhaber eines Ihrer vielen Mädchen.«

»Unsinn.«

»Es ist durchaus kein Unsinn.« Sie sprach mit großer Heftigkeit, und sie blickte mich so strafend an, wie ihre großen dunklen Augen überhaupt blicken konnten. »Jeder spricht über Sie und Ihre Mädchen. Es ist wirklich nicht mehr schön, was Sie treiben.«

»Sie missverstehen das«, widersprach ich. »Ich übe nur meinen Beruf aus.«

»Was kann das für ein Beruf sein? Finden Sie nicht, dass ich ein Recht habe, zu wissen, was Sie tun?«

»Sie wissen es doch schon. Ich arbeite an den Schwarze-Rose-Morden. Einige der Opfer schielten, und mein Chef beauftragte mich, mit allen schielenden Mädchen vom Theater in Verbindung zu treten.«

»Ist das die Wahrheit?«

»Ja.«

»Und was wollen Sie von ihnen?«

»Auskunft über verdächtige Männerbekanntschaften. Meistens bezahle ich dafür.«

»Sehen Sie sich einmal meine Augen an«, sagte sie, sich zu mir niederneigend. »Schiele ich?«

Auf die Ellbogen gestützt, richtete ich mich ein wenig auf. Ihr schönes Gesicht war direkt über mir, und ihre Augen blickten gespannt auf mich nieder. »Es ist nicht der Rede wert.« Ich versuchte, zu lächeln. »Sie sind auch nicht am Theater, so dass ich keinerlei Interesse an Ihnen habe.«

»Es mag Sie aber doch interessieren, dass ich von einem Mann belästigt worden bin.«

»Wahrscheinlich werden Sie sogar von vielen Männern belästigt.«

»Bitte, nehmen Sie mich ernst. Ich scherze nicht. Es war an einem Montag vor vier Wochen. Ein Mann rief mich gegen sechs Uhr abends an und bat mich, ihn zu treffen. Ich hing ab.«

»Sagte er Ihnen seinen Namen?«

»Nein.«

»Kam Ihnen seine Stimme irgendwie bekannt vor?«

»Nein. Es war eine etwas heisere Stimme.«

»Ich glaube nicht, dass es irgendetwas auf sich hat«, sagte ich.

»Ich bin noch nicht fertig, Al.«

Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück. Ihr Gesicht, außerhalb des Lichtes, war von Schatten überschwemmt. Sie zündete sich eine Zigarette an, und es entging mir nicht, wie nervös sie mit dem Zündholz umging. Sie sog den Rauch tief ein.

»Am nächsten Montag rief er wieder an. Er rief jeden Montag an, und ich hing jedes Mal ab. Als er zuletzt anrief, wurde ich so ärgerlich, dass ich etwas sagte, das ich nicht hätte sagen sollen.«

»Was sagten Sie?«

»Ich sagte: Wenn Sie nicht aufhören, mich zu belästigen, werde ich meinen Freund Allan Farfor vom Globe um Hilfe bitten. Al, es tut mir leid, dass ich das sagte.«

Auf einmal befand ich mich in einem derartigen Zustand der Aufregung, dass ich die Zigarette aus ihrem Mundwinkel nahm und gierig daran sog.

Ich war sehr unruhig geworden. Ich konnte nicht mehr liegenbleiben. Ich schob die Bettdecke von mir und erhob mich. Trotz der Schwäche in meinen Beinen begann ich, im Zimmer umherzulaufen. An einer Wand hing ein Spiegel; jedes Mal, wenn ich daran vorüberkam, sah ich für einen Augenblick mein Spiegelbild. Es war kein sehr schöner Anblick. Das eine Auge war blutunterlaufen, und Gesicht und Hals waren verbunden und verklebt.

»Woran denken Sie, Al?«

»Ich nehme an, dass der Mann am nächsten Montag wieder anrufen wird. Sie müssen ihm dieses Mal versprechen, ihn zu treffen.«

»Nein, bitte. Verlangen Sie das nicht von mir.«

Ich hasste nichts so sehr, als Charlene in diese dreckige Sache zu verwickeln. Leider war es meine Pflicht. Bisher hatte ich ergebnislos nach einem Mädchen gesucht, das helfen konnte, die Morde aufzuklären, und es war Pech, dass gerade Charlene dieses Mädchen war. Es lag im Bereich der Möglichkeit, dass der Mann, der sich nicht davon abbringen ließ, Montag für Montag anzurufen, der Mörder war, der es auf schielende Mädchen abgesehen hatte.

»Ich habe einen guten Freund bei der Polizei. Inspektor McGee. Er wird Sie nicht aus den Augen lassen.«

»Nein, nein«, rief sie.

Geld konnte ich ihr nicht anbieten. Ich griff nach meinem Revolver. »Da, nehmen Sie ihn, es wird Ihnen ein Gefühl von Sicherheit geben.«

»Legen Sie das Ding weg!«

Sie schrie es fast. Sie schien eine hysterische Angst vor Schusswaffen zu haben, und dabei hatte mein Revolver sogar einen Griff aus Perlmutt. Plötzlich schlang sie ihre Arme um mich.

»Al, bitte, bestehen Sie nicht darauf«, schluchzte sie. Ich war schließlich nur ein Mann. Es kostete mich Überwindung, sie loszulassen.

Aber ich ließ sie los.

Wir kannten einander kaum, und von Liebe konnte zwischen uns nicht die Rede sein. Und doch...

 

*

 

Ein Täfelchen mit dem Wort DENK! hing an der weißgetünchten Wand über dem Schreibtisch meines Chefs Bob Gordon, den wir Herr G. nannten.

»Sie wurden verprügelt. Es gefällt mir ganz und gar nicht, wenn sich einer meiner Reporter verprügeln lässt«, brüllte Herr G. und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. »Mensch, begreifen Sie nicht, dass Sie die ganze Zeitung blamiert haben?«

»Es tut mir in der Seele weh. Übrigens nicht nur in der Seele. Sie müssen aber zugeben, dass ich mich nie als Boxer ausgegeben habe.«

»Wenn Sie nicht boxen können, dann lernen Sie es gefälligst!«, brüllte er.