Bleeding Kansas 2  

von L. Roy Aiken

  

aus dem Amerikanischen übersetzt von Torsten Scheib

  





This Translation is published by arrangement with SEVERED PRESS, www.severedpress.com
Title: GRACE AMONG THE DEAD. All rights reserved. First Published by Severed Press, 2014. Severed Press Logo are trademarks or registered trademarks of Severed Press. All rights reserved.

 

Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.

 

Impressum


Deutsche Erstausgabe
Originaltitel: GRACE AMONG THE DEAD
Copyright Gesamtausgabe © 2018 LUZIFER-Verlag
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

  

Cover: Michael Schubert
Übersetzung: Torsten Scheib
Lektorat: Astrid Pfister

  

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2018) lektoriert.

  

ISBN E-Book: 978-3-95835-359-6

  

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Mitleid inmitten der Toten

 

 

Kapitel 1

 

Als sich das Ding meinen Arm schnappt, befinde ich mich gerade im hiesigen Drugstore von Falcon, Ohio. Der von ihm ausgeübte Druck schmerzt wie verrückt, weil sich die Muskeln eines Stinkers nämlich nicht wieder entspannen, sobald sie etwas zu fassen gekriegt haben. Ich ramme der Dame deshalb mein Jagdmesser ins Auge und treibe die Klinge so tief in ihren Schädel hinein, bis ich auf jenen Teil ihres Denkapparats stoße, der sie aufrecht hält. Schließlich klappt sie zusammen.

Dank ihres Griffes reißt sie mich aber mit zu Boden, und zwar genau dann, als fünf ihrer einstigen Kollegen taumelnd den Laden betreten. Die ersten drei scheinen Diskrepanzen mit dem Türrahmen zu haben. Man ist sich offenbar uneins darüber, wer den Vortritt hat. Währenddessen schneide ich mit dem Messer in das Handgelenk meiner Verehrerin und kappe ihre Sehnen. Die Nerven in meinem Arm kribbeln, als ich ihre sterblichen Überreste schultere und ihren Ex-Kollegen entgegenwerfe, ehe diese mich unter sich begraben können.

Hastig wende ich mich der Tür neben der Medizinausgabe zu. Nur für Personal, und praktischerweise auch noch verschlossen. Wenigstens ist das Ausgabefenster geöffnet, also schwinge ich mich einfach hinauf zum Schalter und zwänge mich hindurch. Wie es scheint, ist das Vicodin im Vergleich zu heute früh jetzt noch notwendiger geworden.

Leider ist nur nichts mehr davon übrig.

Scheiße!

Die früheren Ja-Sager aus dem Einzelhandel stehen währenddessen wieder auf ihren eigenen, toten und empfindungslosen Füßen. Ihre Oxford-Hemden sind über und über mit braunen und schwarzen Flecken besudelt, die Ansteckkrawatten steif vom eingetrockneten Blut. Das Duo hinter ihnen schwankt und faucht schon ungeduldig wegen der Verzögerung. Schließlich strecken sie ihre Griffel durch die Ausgabe und überlegen, wie sie mich am besten schnappen können, ohne dabei wieder auf die Fressen zu fallen.

Das kollektive Verlangen, ein hübsches Stück warmes und lebendiges Fleisch aus meinem Körper zu reißen, wird schon sehr bald ihre untote Gleichmut übermannt haben. Zu meinem Glück preisen sich mir diese Untoten mit ihren ausgestreckten Händen und auf die Theke gepressten Häuptern aber förmlich an.

Ich löse das Panga-Messer von meinem Gürtel. Mein wunderhübsches Panga … die Lieblingswaffe während des ruandischen Genozids und das wohl wertvollste Andenken von meinem Ausflug nach Kansas. Da mein linker Arm noch immer unter den Nachwirkungen des mörderischen Griffs von gerade eben leidet, bildet pures Adrenalin die Kraft für den Schlag. Die breite Klinge hackt den ersten beiden Verkäufern die Arme ab, beim dritten reicht es aber leider nur für einen. Immerhin … seine verbliebene Hand habe ich zur Hälfte erwischt.

Da das Messer nun in seinem Handgelenk festklemmt, ziehe ich ihn näher zu mir und zücke gleichzeitig meinen Klauenhammer, den ich zielsicher zwischen seine Augen schmettere. Dank seines Sturzes löst sich die Hand nun endgültig vom Tisch und mein Panga-Messer ist wieder frei. Seine beiden Berufsgenossen schreien pikiert auf und trommeln dabei unablässig mit ihren nutzlosen Armstümpfen auf die Theke. Mit zwei weiteren Hammerschlägen setze ich dem Treiben endgültig ein Ende. Eins und zwei und – schon sind auch sie umgekippt.

Schließlich erreichen auch die letzten beiden den Schalter. Ich vollführe eine angedeutete Kniebeuge und genehmige mir ein paar Atemzüge stickiger, übelst miefiger Luft. Mein Arm schmerzt jetzt richtig heftig und mir ist kotzübel.

Der Nächste, bitte!

Das Panga-Messer und der Hammer tauschen nun die Plätze, dann darf mein Messer die Arme des ersten Einzelhändlers zerteilen, bevor es sich schließlich in den Nacken des zweiten gräbt. Den Hammer schmettere ich ihm gegen seine Schläfe. Seine Birne wird sofort weggeschleudert und landet mit einem feuchten Schmatzen auf dem Boden.

Genau in dem Moment, als der rote Bratensaft aus seinem Halsstumpf hinausgurgelt, verschaffe ich seinem Kumpel einen hübschen Krater zwischen die Glupschaugen. Seit ich ihm die Arme amputiert habe, hat er nur noch rumgemosert. Gott weiß, wie viele seiner Artgenossen dieses Gebell mitbekommen haben.

Nun zur Bestandsaufnahme. Bis auf ein halbes Päckchen Percocet-Schmerztabletten gehe ich leider leer aus. All die guten Sachen wurden selbstredend schon längst von jemand anderem eingesackt. Wobei nichts von all dem Zeug jemals an die Kombination aus Vicodin und einem kühlen Blonden rangekommen wäre.

Natürlich ist Bier längst keine Option mehr. Na ja, immerhin habe ich etwas für die Schmerzen im Arm, was bedeutet, dass ich heute Nacht immerhin einigermaßen befreit durchschlafen kann. Auf dem Weg nach draußen sacke ich zur Sicherheit auch noch ein paar Antibiotika ein, die ich aber hoffentlich nicht einwerfen muss. Sind wahrscheinlich eh schon längst abgelaufen. Sehr bald wird dies auf jedes Heilpräparat zutreffen. Ist schon Scheiße, ein menschlicher Überlebender zu sein.

Als ich meine Einkäufe in wiederverschließbare Beutel eintüte und diese in die Taschen meiner Jagdweste stopfe, fällt mir beim Durchfahrschalter der Apotheke eine Frau mitsamt zwei Begleitern auf. Das laute Klappern, das ihr Zerren am Notausgang untermalt, wird in Kürze gewiss noch weitere ehemalige Bürger des Städtchens Falcon anlocken.

Da ich hier im Grunde fertig bin, verlasse ich den Laden schnellen Schrittes durch den Vordereingang.

Auf dem Parkplatz und inmitten der prallen Sonne, staune ich erst einmal darüber, wie leicht es mir heutzutage fällt, die meisten Lokalitäten auf die gleiche Weise zu verlassen wie ich sie betreten habe. Immerhin etwas, schätze ich.

Der Hitze nach zu urteilen, muss es mittlerweile schon Juli sein. Sofern keine leichte, nahrhafte Beute vor ihren Nasen herumstolziert, ziehen es die Untoten vor, den heißesten Teil des Tages an schattigen Plätzen zu verbringen. Was für mich im Umkehrschluss eine sorgenfreie Rückkehr zu meinem gelben Truck bedeutet. Natürlich nur, wenn sich gerade keines von diesen Dingern mit einem geisteskranken Gesichtsausdruck, 'ner Armeejacke und einem Charles-Manson-Bart an den Griff der Beifahrertür klammert.

Jetzt bin ich so richtig sauer … und wäre es in der guten, alten Zeit gewiss auch gewesen, hätte mich dieser Kerl zu seinen Lebzeiten um Kippen oder Kleingeld angebettelt, anstatt ein Stück weiches Fleisch aus meiner Knöchelregion abgreifen zu wollen. Ich scherze nicht: Nimm deine verdammten Wichsgriffel von meinem gottverdammten Truck!

Als ich angestürmt komme, kann er meine Präsenz spüren. Zwei Messerhiebe später war es das mit ihm.

Ich springe auf das Trittbrett und zerre am verschlossenen Türgriff. Eigenartig. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich den Wagen nicht abgeschlossen habe. Hastig entriegle ich die Karre mit dem Autoschlüssel und reiße die Tür auf.

»Bitte tun Sie mir nichts!«, wimmert die Frau panisch, die im Fußraum vor dem Beifahrersitz kauert.

»Das gibt's doch nicht!« Hinter mir höre ich jetzt das Schlurfen und Schaben meiner Verfolger. Ich knalle die Wagentür zu, umrunde den Truck, steige auf der Fahrerseite ein und starte sofort den Motor. »Hinsetzen und Gurt anlegen … sofort!« Längst habe ich den Rückwärtsgang eingelegt. Auf diese Weise entledige ich mich der Stinker hinter uns im Nullkommanichts. Zur Sicherheit fahre ich noch einmal über sie drüber. Ein Reifen dreht dabei durch. Vor mir tauchen allerdings weitere auf … fünf … sieben … schließlich sind es zwölf.

Ich durchpflüge einfach ihre Mitte. Sie kippen um wie Bowlingpins. Danach nehme ich mich den drei weiteren an, die dem Heck des Trucks zu nahegekommen sind. Es scheppert und der Wagen wird kräftig durchgerüttelt. So ein Dummbeutel in einem verkrusteten, mit schwarzen Flecken überzogenem Overall ist gerade hinten auf die Pritsche geklettert. Die Frau neben mir hat daraufhin zu kreischen begonnen.

»Nur weiter so und Sie werden in Kürze an die verfüttert, Ehrenwort.«

Ihre Augen werden sofort groß. Sie bricht in Tränen aus. »Tut … tut mir leid«, sagt sie abgehackt.

»Sie müssen sich nicht entschuldigen, einfach nur leise sein.« Ich drehe mich um. Weitere zerfledderte, gut durchgekaute Ex-Menschen klettern jetzt auf die Pritsche des Wagens. Ich gehe von der Bremse runter und plätte die Pins von gerade eben noch einmal. Anschließend hämmere ich erneut den Rückwärtsgang rein, damit die Stinker von den Füßen gerissen werden und sich ihre Unterkiefer hübsch auf dem Pritschenboden brechen können. Kurze Pause, damit dem nächsten Schub der Aufstieg gelingt. Damit auch ja keiner den Essen auf Rädern-Bringdienst verpasst.

»Sind Ihre Augen noch geöffnet?«, frage ich meine blinde Passagierin.

Sie winselt.

»Gut, dann machen Sie sich mal nützlich und zählen Sie alle, die ich gleich platt machen werde.«

Ungefähr achtzehn bis zwanzig Stinker hängen nämlich gerade entweder an meinem Truck oder okkupieren die Pritsche, als ich vom Parkplatz rase. Ihr Gewicht ist eine ziemliche Belastung für das marode Fahrgestell. Bei einem gewöhnlichen Fahrzeug hätten sie uns schon längst aus dem eingeschlagenen Sicherheitsglas gezerrt und bis auf die Knochen abgenagt.

Ein junger Typ in Unterhemd und Shorts löst sich nun vom Kühlergrill. Die Reifen treffen allerdings auf keinen Widerstand, demnach muss er die Chance verpasst haben, von mir überfahren zu werden. Die Dame mit den großen Augen neben mir hämmert jetzt unablässig gegen ihr Fenster und schreit dabei fortwährend »Ah-OOOH! Ah-OOOH!« Der unvermittelte Kontakt des Trucks mit einem der ausgeprägteren Schlaglöcher dieser sich in Auflösung befindlichen Straße lässt sie allerdings verstummen.

Die restlichen Stinker halten sich echt wacker. Gut für sie. Ich biege jetzt rechts ab. Die Straße wirkt leer, aber garantiert wird dieser Zustand in maximal ein oder zwei Minuten ein Ende haben, wenn die Bewohner dieses Viertels von beiden Seiten aus den Gebäuden gestürmt kommen und dem Motorengeräusch folgen werden.

Ich beschleunige daher auf fünfzig Stundenmeilen. Nicht zu überhastet, versteht sich. Die Jungs und Mädels hinten auf der Pritsche soll es ja nicht schon wieder von den Socken reißen. Nein, ich will, dass sie einen guten Stand haben und so nah wie möglich an das verführerische, lebendige und atmende Fleisch in der Fahrerkabine rankommen. Bei fünfundsechzig Stundenmeilen steige ich schließlich mit voller Wucht in die Eisen. Nicht zu brutal, denn die Karre neigt dazu, relativ schnell umzukippen. Nur ausreichend genug, dass diese hässliche Meute in hohem Bogen vom Wagen geschleudert wird.

Sobald wir wieder langsam genug sind, reiße ich das Steuer herum, damit alle, die mit ihren Fratzen gegen das Rückfenster gekracht sind, sich zu ihren anderen Kameraden gesellen können. Sobald ihre Schädel auf dem Asphalt aufgeschlagen und wie Porzellan zerschellt sind, war es das mit denen. Mit den Arschlöchern in Anzügen, den Arschgeigen in T-Shirts und Jeans und mindestens einer Nutte in einem Kleid. Nein, zwei davon. Plus einem Hosenanzug.

»Wie viele?«, erkundige ich mich bei meiner neuen Begleiterin.

»Neun mit Sicherheit. Außerdem kann ich noch fünf weitere sehen. Sie … kriechen aber noch.«

»Gut.«

Auch über die fahre ich jetzt noch einmal ausgiebig drüber. Noch mehr geborstene Knochen. Alle, die das Pech hatten, beim Aufprall mit intakten Köpfen davon zu kommen, haben nun entweder nur noch ein verbliebenes Bein oder überhaupt keine unteren Extremitäten mehr. Die Majorität besitzt außerdem nicht mal mehr intakte Arme, mit denen sie sich über die Straße ziehen könnten. Unablässig zucken ihre Körper erzürnt auf, abgesehen von den nutzlos gewordenen, gebrochenen und zerschmetterten Gliedmaßen … nutzloser Ballast, der hin und her baumelt.

Ich wende. Vor mir befindet sich jetzt wieder Falcon. Die schweren Reifen richte ich auf die Schädel der zuckenden Stinker aus. Sie zerplatzen mit der Anmut von Luftpolsterbläschen. Zwei Wendemanöver später habe ich sie schließlich alle erwischt.

Meine neue Begleiterin will offenbar etwas sagen: »Ich …«, beginnt sie.

»Was?«

»Ich …«

»Raus damit, Herrgott noch mal!«

»Ich glaube … da ist noch einer auf der Pritsche. Da!«

Ich schaue in den Rückspiegel. »Verdammter Mist.«

Ich halte an und springe nach draußen. An der Pritsche lasse ich die Heckklappe runter. Ein Jugendlicher strampelt und tritt wild um sich, dass es eine wahre Pracht ist. Dank des getrockneten Blutes hat sein Designershirt viel von seiner Optik eingebüßt. Muss wohl großzügige Erzeuger gehabt haben. Hat ihnen zum Dank garantiert ihre Gesichter abgenagt. An den Mundwinkeln des Jungen klebt Schorf, ein eindeutiges Zeichen dafür, dass er unlängst jemanden zum Mittagessen hatte.

Wenigstens kann er seine Arme nicht nach mir ausstrecken. Muss sich irgendwann während der Fahrt wohl beide Schultern ausgerenkt haben. Wahrscheinlich, während er sich irgendwo hatte festklammern wollen. Tja, hin und wieder arbeitet der Todesgriff der Stinker auch gegen sie.

Ich trete zurück und sofort fängt er erneut mit der Treterei und dem Zuschnappen an. Schlängelnd überwindet er die Heckklappe und begräbt dann sein Gesicht im Asphalt. Es fällt ihm äußerst schwer, seine ramponierte Visage anzuheben. Seine gesplitterten Zähne knirschen, als er mich wütend anfaucht. Rasch schließe ich die Heckklappe, bevor ich mit meinem Stiefel den Kopf des Jungen sorgfältig vor den linken Hinterreifen platziere. Rasch kehre ich hinter das Lenkrad zurück und lege den Rückwärtsgang ein. Ich spüre das Hindernis kaum, als ich Mus aus ihm mache. Auch nicht beim zweiten Mal.

Während unserer Rückkehr in den Ort lösen sich weitere Stinker aus den umliegenden Feldern zu beiden Seiten der Straße.

»Und wo möchten Sie abgesetzt werden?«, wende ich mich nun an meine Begleiterin, während ich mehrere ineinander verkeilte Fahrzeuge an einer Kreuzung umrunde. Eine bleiche Dame in einem ramponierten Bademantel lugt keck hinter einem Minivan zu uns rüber, macht aber schnell den Abflug, als wir ihr zu nahekommen.

»Was? Das möchte ich doch gar nicht!«

»Also nicht hier.« Die Toten müssen das Kreischen meiner Reifen, als ich die Einheimischen von der Pritsche abgeschüttelt habe, meilenweit vernommen haben. Die ersten verlassen gerade schon den Bürgersteig und bilden auf der Straße eine immer größer werdende Traube.

Bislang hat ihnen wohl der Mut gefehlt, sich dem Truck direkt entgegenzustellen. Einer versucht es jetzt an der Seite. Ich verlangsame auf Schrittgeschwindigkeit und stoße dann mit Wucht die Tür auf. Seine Rolle rückwärts hat schon fast was Anmutiges. Wäre seine Arm- und Beinkontrolle besser gewesen, hätte er sich vielleicht noch halbwegs fangen können … hat er aber nicht.

»Sie werden mich hier doch nicht rausschmeißen, oder?« Die Stimme meiner Begleiterin klingt panisch.

»Was im Umkehrschluss so viel bedeutet, wie dass es hier niemanden gibt, der auf Sie wartet. Verstehe ich das richtig?«

»Meine … Sachen sind … irgendwo. Es ist …«

»Wo genau?«

»Nein! Sie dürfen mich nicht rauswerfen!«

Ich steige auf die Bremse und wir werden in unseren Gurten nach vorne gerissen. Die Karre rutscht schlingernd noch ein Stück weiter, da sich die Parade der Ex-Bürger hinter uns gerade ihre Kniescheiben an der Stoßstange bricht und mit ihren Schädeln die Heckklappe auf ihre Stabilität prüft. Laute, erbärmlich wirkende Klänge ertönen, als die Nachzügler dahinter die anderen Körper als Leitern zweckentfremden und auf die Ladepritsche klettern.

Meine Begleitung zwängt ihren Rücken daraufhin zwischen Sitz und Wagentür und ignoriert die Schläge einer einstmals gewiss sehr hübschen Dame, der nun allerdings das halbe Gesicht fehlt, gegen das Fenster. Muss wohl irgendwie auf das Trittbrett gelangt sein. »Das wäre unmenschlich«, verkündet meine Beifahrerin entrüstet. »Sie können doch keine wehrlose …«

Wieder verwendet sie ihre weit aufgerissenen, feuchten braunen Rehäuglein als Argument … solange zumindest, bis sie in den Lauf meiner Waffe starrt. Ich könnte ihr filmreif antworten und theatralisch den Schlitten der Glock durchziehen. Trotz des ganzen Karachos um uns herum, würde es ihr bestimmt nicht entgehen. Stattdessen sage ich aber Folgendes: »Man steigt nicht einfach ungefragt in meinen Wagen und sagt mir dann, wo's lang geht.«

»Ich …«

»Schnauze halten! Ich muss hier den Kampf meines Lebens gegen diese Stinker führen, und das nur, weil Sie weder stillsitzen noch das Maul halten können.«

»Ich … ich werde mich ab jetzt benehmen«, verspricht sie mir hastig.

»Sich zu entschuldigen ist die beste Grundlage für die nächste Beleidigung«, zitiere ich Ambrose Bierce. »Wie wäre es stattdessen mit einem Deal: Sie stellen keine Fragen mehr. Sie reden nicht. Sie kommen im Gegenzug mit zu mir und bekommen dort sogar etwas zu essen, und danach sehen wir weiter.«

Sie lässt sich in den Sitz zurückfallen und ich packe die Glock wieder ein.

Nachdem ich abermals in Richtung Colorado Springs gewendet habe, scheinen es die Affen draußen endlich geschnallt zu haben, dass ich mit ihnen Ähnliches wie mit ihren Vorgängern vorhabe. Prompt ertönt ein Chor dumpfer erzürnter Knurrgeräusche um uns herum.

Fräulein Holly Halbgesicht hat während meines Wendemanövers leider den Halt verloren. Der Truck kommt mir nun weniger schwerfällig vor. In den Außenspiegeln verfolge ich, wie zwei weitere Stinker davonsegeln und bei ihren Versuchen, möglichst sanft aufzukommen, kläglich scheitern. So gut sind dann ihre reanimierten Reflexe wohl auch nicht.

Erneut beschleunige ich. Der Truck schießt westwärts über die dreispurige Bundesstraße, ehe ich in die Eisen steige. Das anschließende Schlingern ist leider stärker als erwartet. Kurzzeitig zieht sich mein Magen zusammen, weil ich einen Moment lang überzeugt davon bin, dass die Karre jeden Augenblick auf die Seite kippen oder sich sogar überschlagen wird. Es bleibt allerdings zum Glück bei der Vorstellung. Unter allen vier Rädern ist noch Asphalt und das Leben ist schön.

Ein blauer Vorhang aus Reifenqualm weht um uns herum, als ich den Truck zurück auf die nach Osten führende Bundesstraße steuere. Ein Publikum mit verdorrten Gesichtern und ledernen, ausdruckslosen und mit Staub überzogenen Augen erwartet uns bereits. Die einstigen Einwohner der Stadt Falcon wirken jetzt wie versteinert; wie ein sehr sonderbares und ziemlich ekliges städtisches Kunstprojekt. Ihre untoten Sinne bemerken uns zwar, doch bis auf ihre Schädel regt sich nichts bei ihnen.

Ich erlaube mir einen kurzen Seitenblick zu meiner neuen Beifahrerin, als ich links auf den 24er Highway abbiege. »Dreizehn bis hierher«, murmelt sie leise.

»Waren Ihre Rehäuglein also doch nicht geschlossen, was?«, kontere ich, während wir uns immer weiter von Falcon entfernen. »Oder waren Sie einfach nur angefressen wegen der Pistole?«

»Es waren insgesamt zwanzig, einschließlich der einen auf meiner Seite und den beiden, die es kurz vor dem Wenden erwischt hat.«

»Na also!« Ich hatte eigentlich gar nicht vorgehabt, so viele von diesen Leichendingern platt zu walzen. Ich hatte mir ursprünglich nur ein paar Dinge im Ort besorgen wollen, mehr nicht.

Eine herrenlose Überlebende hatte allerdings ganz bestimmt nicht auf meiner Einkaufsliste gestanden. So was endet nämlich für gewöhnlich immer schlecht. Momentan zählt aber nur, dass wir ohne Umwege von hier wegkommen … und danach werde ich ausknobeln, wie es weiter gehen soll.

 

Kapitel 2

 

Man konnte die Erleichterung der Kleinen förmlich mit der Zunge schmecken. Nach so vielen ungezählten Tagen, die mit unerbittlichem Schrecken, nagendem Hunger und fehlenden Ausstrahlungen von Dancing with the Stars ausgefüllt waren, ist dieses arme, verwaiste Ding wohl überzeugt davon, das ultimative traute Heim gefunden zu haben.

Leider ist dem nicht so, denn mein trautes Heim ist genau das nicht. Gut möglich, dass diese ausgezehrte und verängstigte Frau neben mir exakt jenes Zeichen ist, auf das ich gewartet habe. Nicht, dass ich auf irgendwas gewartet hätte.

Als die »verfrühte Sommergrippe« (die wahrscheinlich in der südlichen Hemisphäre einfach nur »Grippe« genannt wurde) den Globus überrannt hat, hielt ich mich gerade wegen eines Bewerbungsgesprächs in Kansas City auf. Trotz ihres pandemischen Wesens war es den meisten gar nicht mal so dreckig gegangen. Eine laufende Nase, ein bisschen Husten, sonst nichts.

Bis auf wenige, heftige Ausnahmen zumindest. So wie bei Claire, meiner Frau. Als ich mit dem Taxi losfuhr, war sie bettlägerig und hatte es kaum bis ins Badezimmer geschafft.

Aber weil dieser verdammte Job für uns alle so wichtig gewesen war, überließ ich sie widerstrebend der Fürsorge unserer beiden Teenager-Kinder und flog davon. Sechshundert Meilen später musste ich dann kurz nach der Ankunft bei meinem potenziellen neuen Brötchengeber erfahren, dass sich mein möglicher neuer Boss genau an diesem Morgen krankgemeldet hatte.

Binnen achtundvierzig Stunden waren selbst aus all jenen, denen es nicht so dreckig gegangen war, besorgniserregende Fälle geworden. Die verfrühte Sommergrippe wurde schließlich zur Final Flu, also zur finalen Grippe umgetauft und langsam aber sicher stürzten die Infrastruktur und die öffentliche Versorgung in sich zusammen und das Massensterben begann.

Inmitten einer Stadt, die plötzlich unter Kriegsrecht stand, weil sich die einstigen Grippeopfer dazu entschieden hatten, ihren Massengräbern zu entsagen und stattdessen Jagd auf alles, was warm und lebendig war zu machen, hatte ich mich schließlich in einem Hotel verschanzt. Die Polizei und Nationalgarde versagten, sofern sie nicht schon verspeist oder geflohen waren. Also fuhr, flog und hackte ich mir meinen Weg quer durch den Sunflower State, um wieder zu meiner Familie zurückzugelangen.

Allerdings hatte es Komplikationen gegeben. Auf halber Strecke nach Kansas war dem Flugzeug leider der Sprit ausgegangen. Die Reifen waren bei der Landung explodiert. Auch wenn es die junge Frau, die mich daraufhin gesund gepflegt hatte, gut gemeint hatte, so wäre ich dennoch fast an den übermäßig verabreichten Schmerzmitteln krepiert. Kurz darauf war ich zwischen die Fronten geraten, weil die Überlebenden in Natalia unbedingt ihre Ränkespielchen hatten ausfechten müssen. Zu guter Letzt hatte mir dann auch noch ein schwarzer Helikopter den Weg aus dem Ort hinaus versperrt.

An einem Sonntagnachmittag hatte ich schließlich unser Häuschen im nördlichen Teil von Colorado Springs erreicht. Es war ein heißer und sonniger Tag gewesen, weshalb die Straßen verwaist gewesen waren. Im Umkehrschluss hatte dies allerdings bedeutet, dass die Toten nun die schattigen Hauseingänge und alle übrigen sonnenlosen Plätze blockiert hatten. Kurz davor war ich schon an einer Toten vorbeigefahren, die sich plötzlich aus ihrem Versteck hinter einer Hecke erhoben hatte. Ein anderer Stinker war hinter einem Baum aufgetaucht. Ich war mir fast wie der Eismann vorgekommen, allerdings ohne dem fröhlichen Lautsprechergedudel. Nur, dass ich anstelle der Nachbarskinder halb verweste Untote angelockt hatte.

Ich hatte irgendwann in der Einfahrt geparkt, direkt vor der Garage, den Wagenmotor ausgeschaltet und mir dann die Hausschlüssel gegriffen. »Ich bin's«, hatte ich so laut verkündet, wie ich es riskieren konnte, nachdem ich die Haustür geöffnet hatte.

Direkt, nachdem ich die Fliegengittertür beiseite gedrückt hatte, schloss ich sie wieder und wiederholte die Worte von gerade eben: »Ich bin's.« Dabei hatte ich deutlich die Leere des Hauses zu spüren bekommen. Nicht einmal unsere Stubentiger hatten mich empfangen. Schließlich hatte ich mich beklommen der Küche zugewandt.

Obwohl die Durchgangstür geschlossen gewesen war, war ein übler Gestank aus der Garage in die Küche gedrungen. Mit angehaltenem Atem hatte ich sie irgendwann aufgerissen. Ich hätte es wissen müssen … der einzige Platz, an dem meine Familie ihren Müll unbemerkt lagern konnte, war selbstredend die Garage gewesen. Zum Glück nicht allzu lange.

Die Speisekammer war leergeräumt gewesen, sogar die Plastikmüllbeutel waren nicht mehr da. Auf dem Herd war ich schließlich auf einen dünnen, mitgenommenen Spiralblock gestoßen. DAD hatten fette Filzstiftbuchstaben vorne auf dem Einband verkündet. Bis auf Sybils dreiseitige Nachricht und einige wenige leere Seiten waren die übrigen Blätter herausgerissen worden.

Links oben, auf der ersten Seite hatte ein Datum gestanden: Dienstag, der 15. Mai. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich bereits seit zwei Tagen mehr oder minder bei Bewusstsein in Natalia aufgehalten und mit den Schmerzmitteln gerungen, die man mir so freizügig und blindlings nach meinem Absturz verabreicht hatte. Während ich versucht hatte, meinen Scheiß wieder halbwegs geregelt zu kriegen, war es für Sybil und Jack bereits zu spät gewesen.

Ein allerletztes Mal hatte ich die Zimmer und Räume durchschritten, in denen sich in den vergangenen sieben Jahren ein Großteil unseres Lebens abgespielt hatte … sieben Jahre … vergangen … es hat nicht viel gefehlt, und ich wäre an Ort und Stelle zusammengebrochen.

Aus dem Zimmer meines Sohnes nahm ich ein illustriertes Sachbuch über Feuerwaffen mit, das wir ihm vergangene Weihnachten geschenkt hatten, ergänzt durch weitere aus meinem kleinen Kellerbüro. Im Eingangsflur fand ich noch ein paar Reisetaschen, die den Eindruck erweckten, als ob man sie bei all der Hast vergessen hätte. Gemeinsam mit den Jeans aus meinem Schlafzimmerschrank verstaute ich das Buch darin.

Kurz danach hatte ich vor dem Panoramafenster im Wohnzimmer gestanden und versucht, Sybils Nachricht zu lesen. Mittlerweile kenne ich die Worte in- und auswendig:

 

Wir warten gerade auf Warren, Jay und Nicole, während ich dies schreibe. Sie haben Matt erwischt, als er zum Van wollte. Selbst, wenn es sicher erscheint, tauchen diese Mistviecher praktisch aus dem Nichts auf. Es dauerte keine Minute, bis sie Matt unter sich begraben hatten.

Das alles ist so verrückt. Matt war mein Freund und ich hatte ihn inständig darum geben, nicht nach draußen zu gehen, aber er hat es natürlich trotzdem getan und jetzt gibt es ihn nicht mehr. Einfach so.

Unsere Kätzchen gibt es auch nicht mehr, Dad. Tut mir leid, dass wir Dexter, Midnight und Jelly Bean weder füttern noch beschützen konnten. Kurz vor Matts Tod sah einer der Nachbarn Jelly Bean und hätte daraufhin beinahe das Wohnzimmerfenster eingeschlagen. Nicht einmal der Gartenzaun hatte ihn zurückhalten können. Jedenfalls war uns irgendwann das Essen ausgegangen und sie hörten einfach nicht auf, zu miauen oder auf die Fensterbretter zu klettern. Also habe ich ihnen flüssiges Schlafmittel in ihre Trinknäpfe geträufelt und gewartet, bis sie eingeschlummert sind. Den Rest haben Jack und Matt dann erledigt. Darum sieht der Garten auch so aufgerissen auf, und auch, weil wir den Leichnam unseres Nachbarn mit ein paar anderen Toten zusammen dort verscharren mussten.

(Nächste Seite)

Der Saustall tut mir leid. War 'ne furchtbare Woche gewesen. Es fing Dienstagabend an, als wir Mom zum zweiten Mal ins Krankenhaus bringen mussten. Sie kriegte kaum noch Luft. Vor der Notaufnahme hatten sich bereits die Autos gestaut. Irgendwann sind irgendwelche Ärzte und Helfer zu uns gerannt und haben Mom auf die Straße gelegt. Wie so viele andere auch. Es war das reinste Menschenmeer! Es hatte praktisch keine freien Stellen mehr gegeben, manche von ihnen mussten sie sogar aufeinanderstapeln.

Jack hat das natürlich überhaupt nicht gefallen. Er wollte sie wieder ins Auto bringen und nach Hause fahren, als plötzlich drei Polizisten in Schutzmasken aufgetaucht sind und ihre Waffen auf ihn gerichtet hatten. Er konnte von Glück reden, denn auf der anderen Seite der Einfahrt ist auf einmal irgendetwas passiert. Irgendwer schrie und sofort haben die Cops sich umgedreht und mit ihren Pistolen in diese Richtung gezielt. Matt hatte Jack sofort in den Wagen gezerrt und dann sind wir losgefahren. Noch bevor wir aus der Zufahrt raus waren, sind die ersten Schüsse gefallen. Was genau dort vorgefallen ist, kann ich dir aber leider nicht sagen.

So ist jedenfalls Mom gestorben. Direkt vor der Notaufnahme und gemeinsam mit all diesen anderen Leuten und ohne zu wissen, wo ihre Kinder sind. Wir haben uns mit anderen unterhalten, aber keiner von denen wusste etwas Genaueres.

Keine Ahnung, warum ich Moms Tod erst so spät erwähne. Vielleicht, weil seitdem so viele andere schlimme Sachen vorgefallen sind und ich deshalb einfach den Überblick verloren habe. Hoffentlich dauert es nicht mehr so lange, bis Warren, Jay und Nicole hier sind.

(Nächste Seite)

Die Lebensmittelhandlung war geschlossen, ehe sie die Schaufenster eingeschlagen und den Laden geplündert haben. Auch von uns. Anders als die meisten haben wir um Junkfood allerdings einen weiten Bogen gemacht und uns stattdessen lieber an die Konserven gehalten. Leider konnten wir nur so viel mitnehmen, wie wir tragen konnten. Büchsenmais und -bohnen sind zwar echt eklig, aber wir haben keine Ahnung, was passieren wird, wenn sie uns irgendwann ausgehen.

Der Anruf von Nicole war ein echtes Wunder. Seit deinem Aufbruch nach Kansas City waren die Handynetze immer schlechter geworden und der Akku meines Handys praktisch leer gewesen. Seit Dienstag gibt es keinen Strom mehr. Wir müssen die Fenster die ganze Zeit geschlossen halten und wegen der stickigen Luft fällt uns das Atmen schwer. Laut Nicole haben Warren und Jay eine Taktik ausbaldowert, durch die man die Toten ablenken kann, damit die Überlebenden abhauen können. Es gefällt ihnen offensichtlich, dass Jack kein Problem damit hat, die Toten umzulegen. Möglicherweise müssen wir unterwegs aber auch andere Überlebende töten, und das macht mir echt Sorgen. Weit und breit gibt es keine Polizei mehr und andauernd wird irgendwo geschossen.

Du hast uns mal eingebläut, dass wir uns von anderen fernhalten sollen, falls so etwas je einträfe – und genau das versuchen wir gerade. Ich habe dir ja schon von Warrens Onkel erzählt und dass er diese Farm in der Nähe von Pueblo besitzt. Dort gibt es sogar einen kleinen Fluss und Warren und Jay wissen, wie man mit der Armbrust auf die Jagd geht. Aber zuallererst müssen wir dorthin kommen!

Ich hätte gerne noch länger auf dich gewartet. Hoffentlich geht's dir gut und hoffentlich findest du diese Nachricht.

 

Alles Gute, Sybil

 

P.S.: SIE SIND HIER! Ich hab dich lieb, pass' auf dich auf!

 

Der fett grinsende Smiley, den Sibyl neben dem ›SIE SIND HIER!‹ gezeichnet hatte, stellt sicher, dass damit nicht irgendwelche Stinker gemeint waren. Dennoch macht mich die Vorstellung ganz krank, dass sie und Jack hier so lange ausgeharrt haben. Nun ja. Wenigstens sind sie weggekommen. Das hoffe ich zumindest.

Was diesen von ihr erwähnten Ratschlag anbelangt, den gab es vor gut einem Jahr von mir, nachdem uns dieser Sommer-Blockbuster über eine Alien-Invasion so mitgenommen hatte. Auf der Heimfahrt vom Kino hatte ich meinen Ratschlag also verkündet und meinen beiden Sprösslingen bei jedem weiteren Katastrophenfilm, den wir danach gemeinsam angeschaut hatten, stets von Neuem eingebläut: Ganz egal, ob es sich um Außerirdische, die Pest oder um Godzilla handelt – haltet euch von den Bevölkerungszentren fern! Verhaltet euch bloß nicht so wie die Idioten in diesen Filmen. Wenn massenhaft Menschen getötet werden, dann geht ihr einfach dorthin, wo es keine Menschen gibt. Und unter keinen Umständen werdet ihr kostbare Energie und Vorräte für die fruchtlose Suche nach irgendjemandem vergeuden. Schafft euch so schnell ihr könnt in Sicherheit, und – in Gottes Namen – bleibt dann dort.

Hoffentlich haben sie es tatsächlich bis zu dieser Farm nahe Pueblo geschafft. Was mich anbelangt, so bin ich momentan gut zwanzig Meilen von jenem Ort entfernt, den ich einstmals mit dem Wort Zuhause umschrieben habe … von jenem Haus, über dem stets die Wolke der Zwangsvollstreckung geschwebt hatte … von jenem Ort, von dem ich stets gefürchtet hatte, dort für den Rest meines Daseins versacken zu müssen … vor jenem Heim, wo ich meiner Frau keinen Abschiedskuss hatte geben können, weil sie zu krank gewesen war und ich mir keine Krankheit leisten konnte, weil ja schließlich dieses verdammt wichtige Vorstellungsgespräch anstand, ehe meine Gattin schließlich unweit davon und ganz und gar einsam, weil die verdammten Bullen ihre Knarren auf unseren Jungen gerichtet hatten, vor einer Notaufnahme gestorben war … zusammen mit zahllosen anderen Betroffenen.

Darum wollte ich weg aus Colorado Springs und rauf ins menschenleere Farmgebiet auf den Hochebenen – überwiegend menschenleer, jedenfalls.

Ich nehme nun eine kleine Seitenstraße. Meine blinde Passagierin schweigt noch immer. Meine Aufmerksamkeit gilt ausschließlich den Bäumen und dem Unterholz neben dem Abwassergraben.

Denn genau dort gibt es einen kleinen Durchlass; unsichtbar für alle Unwissenden, und genau dort, beginnend mit einer kleinen Überbrückung, die über den Graben führt, fängt der Zufahrtsweg an. Dieser wäre mir bei meiner ersten Ankunft hier fast selbst entgangen. Darum habe ich diese Farm auch verborgene Farm getauft und darum funktioniert dieser Unterschlupf auch schon seit Gott weiß wie vielen Wochen so prächtig.

Ich steige aus und reiße die Scheunentore auf. Sobald der Wagen in der Scheune steht, schließe ich sie wieder. Zwischenzeitlich ist auch meine blinde Passagierin ausgestiegen. Neben dem Truck stehend wirkt sie geradezu winzig. Ich gehe hinüber zur Nebentür und warte, bis sie den Wink kapiert hat.

Wir waten jetzt gemeinsam durch das sonnengebleichte Gras im Hof und erreichen schließlich die Rückseite des Haupthauses. Ich sperre den Eingang zur Küche auf, winke sie hinein und riegele dann alles wieder sorgfältig ab, nachdem ich ihr gefolgt bin. »Also schön«, sage ich. »Bevor wir es uns hier so richtig bequem machen, noch eine Sache.« Ich gehe in Richtung Wohnzimmer und nehme die Stufen nach oben. Dort angekommen, drehe ich mich langsam um. Sie kauert vor dem Treppenaufgang.

»Ich habe bestimmt nicht vor, Sie zu vergewaltigen, verdammt noch mal, aber es gibt nun einmal Vorsichtsmaßnahmen, die bei jeder Rückkehr eingehalten werden müssen.«

Ihre Hand legt sich jetzt vorsichtig auf den Treppenlauf. Mühsam nimmt sie die Stufen. Erst jetzt fallen mir die Hautlappen an den Unterseiten ihrer Oberarme auf. Bevor die Final Flu die Nahrungskette umgekrempelt hat, muss sie eine gut genährte Person gewesen sein. Es dauert eine ganze Weile, bis sie oben angekommen ist. Sie mag vielleicht nicht mehr übergewichtig sein, dafür hat sie aufgrund der konstanten Unterernährung aber deutlich an Muskelkraft eingebüßt.

»Sehr gut, und jetzt nicken Sie, wenn Sie mich verstehen können. Ist Ihnen mein besonderer Tonfall schon aufgefallen?«

Sie nickt.

»Das liegt daran, dass man die Innengeräusche von einst nicht mehr mit denen von heute vergleichen kann. Nur, weil wir hier weit ab vom Schuss sind, heißt das nicht, dass irgendwelche Ex-Bürger, die gerade den Highway entlang latschen, unsere Stimmen nicht aufschnappen können. Schall breitet sich nun einmal aus. Vor allem jetzt, wo es keinen Verkehr und keine summenden Stromleitungen mehr gibt. Reden wir also lauter als jetzt, wird in Kürze unter Garantie ein Stinker hier aufkreuzen. Gefolgt von einem zweiten, der wissen will, was seinen Kollegen soweit vom Weg abgebracht hat und so weiter und so fort. Die Ersten werden wir problemlos töten können, aber über kurz oder lang würden wir von ihnen umzingelt sein. Verstanden?«

Sie nickt.

Auf Zehenspitzen schleiche ich mich in das Kinderzimmer. Sie folgt mir und verharrt sofort, nachdem ich die Hand erhoben habe. Der durchscheinende Vorhang vor dem offenen Fenster wird vom Wind erfasst.

Ich bleibe neben dem Fenster stehen. »Von hier aus kann man ziemlich gut die Felder überblicken«, flüstere ich. »Aber wenn Sie die Typen sehen können, dann dürfte es umgekehrt genauso sein.«

Sie starrt mich verwirrt an. »Ja, ich weiß auch, dass sie praktisch blind sind«, entgegne ich. »Aber so wie alle Raubtiere, orientieren auch sie sich an Bewegungen.« Ich ziehe den Vorhang ein wenig zur Seite, winke sie zu mir und strecke dann den freien Arm aus, damit sie sich neben mich stellt.

So unmittelbar an meiner Seite kann ich ihre kurzen Atemzüge vernehmen; die Nachwirkungen des Treppensteigens. »Alles klar, und jetzt aufgepasst. Erkennen Sie etwas?«

Sie schüttelt den Kopf.

Ich deute hinüber zu den Bäumen. Jenseits davon verläuft die Bundesstraße 24.

»Von Zeit zu Zeit kann man dort Gruppen sehen, die in beide Richtungen marschieren. Sofern es keinen triftigen Grund gibt, bleiben sie dort. Momentan schaut es also recht gut aus. Aber man muss sich trotzdem immer absolut sicher sein. Kapiert?«

Sie nickt.

Ich verlasse das Zimmer, gehe raus auf den Flur und dann weiter zum Hauptschlafzimmer, das sich am anderen Ende des Flurs befindet. Als sie dort angekommen ist, habe ich bereits neben dem dortigen Fenster Stellung bezogen. Von hier aus kann man auch zum Highway schauen, besser gesagt zu jenem Abschnitt, der leicht ansteigt und dann nach Falcon führt. Man kann ihn über die Baumkronen der Sumpfeichen, die entlang des Abwasserkanals gedeihen, gerade noch erkennen.

Schüchtern verharrt sie an der Tür, unsicher, ob sie mir folgen soll. Dies ist mein Zimmer und das ahnt sie. Dafür gebührt ihr meine Achtung. Ich wende mich wieder den verwilderten Weiden und Feldern zu und halte im mannshohen Gras Ausschau nach Angreifern. Aber es ist nichts zu sehen.

Mein Arm fängt wieder schmerzhaft an zu klopfen. Ich bedeute ihr, mir zu folgen, und kehre auf den Flur zurück. »Eine letzte Sache noch: Wenn Sie heute Nacht hier schlafen wollen, dann nur in einem einzigen Zimmer zusammen mit mir.«

Sie folgt mir zur Schlafzimmertür am anderen Ende des Flurs. Dieses Zimmer ist kleiner als alle anderen. Es muss wohl dem Sohn der einstigen Besitzer gehört haben. »Schon klar, Sie hatten bestimmt damit gerechnet, dass ich mich für das Mädchenzimmer dort drüben entscheide, aber das dortige Fenster ist in Anbetracht zur Straße einfach viel zu exponiert. Das hier ist es nicht.« Von hier aus kann man direkt auf das Geäst der dichten Eichen blicken.

»Hier mag der Wind zwar nicht reinkommen, aber genauso wenig gelangt Ihr Schnarchen ins Freie.«

Als ich mich abwenden will, verpasst sie mir einen schwachen Stupser. Ihr Blick haftet an der Badezimmertür.

»Das können Sie benutzen. Die früheren Bewohner haben die Brunnenpumpe mithilfe von Solarpaneelen betrieben. Funktioniert aber eben nur bei Tage, weshalb es ratsam ist, die kleinen und großen Geschäfte vor der Dunkelheit zu erledigen.«

Sie starrt mich fassungslos an. Fließendes Wasser! Wenn sie diesen Ort bislang schon für eine Goldgrube hielt, ist sie nun offenbar gestorben und im Himmel gelandet. Mal sehen, was sie sagen wird, wenn ich ihr verklickere, dass auch der Heißwassererhitzer solarbetrieben ist.

Wobei es wohl angebrachter wäre, es ihr auf der Stelle mitzuteilen, sie stinkt nämlich, Herrgott noch mal. Also deute ich zum Mädchenzimmer hinüber, sage ihr, wo sie frische Sachen finden kann, belehre sie über das Badezimmer und dass sie das Fenster geschlossen halten soll.

»Ich gehe jetzt wieder runter. Sie können mir später gerne folgen, wenn Sie fertig sind.«

Stattdessen haftet sie sich sofort an meine Fersen. Unten angekommen, schaut sie sich gründlich um.

»Da drüben«, sage ich und weise zum anderen Badezimmer. Hastig setzt sie sich in Bewegung und schließt ganz leise die Tür hinter sich.

Verdammt. Ich könnte es mir längst mit einem guten Buch bequem gemacht haben, wäre sie mir nicht in die Quere gekommen. Schmökern bis in die Nacht hinein, das wäre es jetzt gewesen. Wird aber nicht geschehen. Darüber hinaus muss ich jetzt auch noch zusätzliche Konservendosen erübrigen.

Nicht, dass Nahrung hier ein Problem darstellt. Jeder Gemischtwarenladen und jeder Supermarkt in der Umgebung wurde damals bereits von mir geplündert. Die Chromwerkzeugkisten hinter der Kabine des gelben Trucks sind randvoll mit Fischkonserven und Büchsenfleisch, das von chemisch aufgepimpten Schweinen stammt. In einer weiteren Kiste lagert Dörrfleisch gemeinsam mit jeder Menge Fruchtcocktails und gebackenen Bohnen. Irgendetwas finde ich bei meinen Exkursionen immer und gewiss lasse ich es nicht dort verkümmern. Wobei ich meine kleinen Ausflüge überschaubar zu halten versuche, genauso wie etwaige Verletzungen und sonstige Erschwernisse. Beispielsweise einen gequetschten Arm und eine blinde Passagierin.

»Brauchen Sie Hilfe dabei?«

Die Frau verfolgt gerade, wie ich mich mit dem Dosenöffner rumärgere. »Wenn Sie die Güte besäßen, liebend gerne.« Mein verletzter Arm lässt mich gequält zusammenfahren. Bestimmt geht jetzt gleich der verdammte Small Talk los. Ich hätte es wissen müssen.

»Haben Sie einen Namen?«

»Nein.«

»Und wenn ich mal nach Ihnen rufen muss? Ich meine, falls eines von diesen Dingern aus den Feldern stolpert oder so. Sie wissen schon.«

»In diesem Fall werden Sie ganz bestimmt nicht nach mir rufen, stattdessen werden Sie in Ihrer galantesten und moderatesten Kleinmädchenstimme leise verkünden, dass da offenbar gerade etwas aus dem Feld kommt.«

Aus dem Schrank über dem Herd hole ich nun die Flasche mit dem Single Malt Scotch. Vom Abtropfgestell schnappe ich mir ein Glas und säubere es kurz im Spülbecken. »Sie wissen schon, was ich meine«, sagt sie und verfolgt mit zusammengekniffenen Augen, wie ich mir ein Glas einschenke.

»Ja, das tue ich, und wenn Sie unbedingt einen Namen brauchen, dann können Sie mich gern Bierce nennen.«

So heißt nämlich der Knilch, dessen Werke ich den vergangenen Tagen konsumiert habe. Hat die menschliche Natur wesentlich besser verstanden als die meisten seiner Artgenossen.

»Pierce? Wie dieser James Bond-Darsteller?«

»Bierce. Mit einem ›B‹. Bündig, bitter, Bierce.«

»Oh. Ist das Ihr Vor- oder Nachname?«

»Weder noch. So hieß ein Buchautor. Sie wollten doch einen Namen, bitte sehr.«

»Wie bescheuert ist denn das?«

»Verzeihung?«

»Ich meine, was soll dieses dramatische Getue? Sie haben schließlich einen Namen, also raus damit!«

»Alle, die meinen Geburtsnamen kannten, sind jetzt tot. Ich werde keinesfalls ihre Andenken beschmutzen, indem ich ihn an eine geschwätzige Schwarzfahrerin, die ungefragt in meinen Truck geklettert ist, ausposaune.«

Ich leere das Glas mit einem Zug und schenke mir umgehend nach, bevor ich mit der Pulle und dem Glas zum Esstisch gehe. Der Schmerz in meinem Arm flammt erneut auf. Mir fallen plötzlich die Tiefkühlbeutel in meinen Taschen wieder ein. Aus der, in der sich die Percocets befinden, klaube ich drei Tabletten hinaus und spüle sie mit dem Scotch hinunter.

»Tja, meine Mutter liebte mich Looser, dass sie mir den Namen Kim gab. So viel also zu … oh! Wie viele von den Dingern haben Sie sich da gerade eingeworfen?«

»Keine Sorge, die knallen eh' kaum noch. In einem Jahr werden sie leider vollkommen nutzlos sein.«

»Aber Sie nehmen sie zusammen mit …« Panisch starrt sie die Scotchflasche an.

»Das verstärkt den Effekt und verschafft mir außerdem einen richtig anständigen Schwips. Danke übrigens, dass Sie das Thema gerade angeschnitten haben, denn sollten Sie damit oder mit anderen Dingen, die ich tue, ein Problem haben, gibt es zwei Möglichkeiten … diese Tür«, mein ausgestreckter Arm weist zur Küchentür, »… oder die Vordertür neben dem Wohnzimmer.«

»'tschuldigung, dass ich es gut mit Ihnen gemeint habe«, brummt sie.

Auf einem Tablett serviert sie mir nun meine eingemachten Bücklinge. Den Fruchtcocktail hat sie in eine kleine Schüssel geschüttet, die die Hälfte des Tabletts einnimmt. Normalerweise esse ich ihn immer direkt aus der Dose. Ich würde gern fragen, wer das alles spülen und wegräumen soll, erspare es mir aber. Die Luft ist sowieso schon dick genug.

»Möchten Sie sonst noch etwas haben?«

»Ja, Kim. Ein großes Glas mit Wasser für mich und eines für Sie. Ach, und übrigens, jede einzelne Dose wird komplett leer gegessen. Sie müssen also nicht knausrig sein. Essen Sie einfach nicht zu hastig, dann übergeben Sie sich auch nicht. Kotzen Sie doch, gibt es erst zum Frühstück wieder Nachschlag.«

Kim wendet sich ab, füllt zwei Gläser mit Wasser und kehrt damit an den Tisch zurück. Ich steche die Gabel in mein Abendessen und sie müht sich mit ihren Konservendosen ab.

Als ich den halben Fruchtcocktail verspeist habe, kann ich ihren Ärger spüren. »Kim. Stopp.«

Sie hat den Ziehverschluss einer langen, flachen Konservendose mit Bücklingen abgebrochen und scheint deshalb gerade kurz vor der Kernschmelze zu stehen. Ich stehe auf und lege meine Hände sanft auf ihre Schultern. Ein aufmunterndes Drücken und ihr Zittern versiegt langsam wieder.

Ich stehe unmittelbar hinter ihr. Mein Kinn ruht auf ihrem fettigen, verfilzten Haar. Ich lege ihre Hände auf den Tisch und nehme ihr die Dose ab.

Mit dem Tempo eines lauernden Untoten, der sich auf seine Beute stürzen will, wirbelt sie herum und vergräbt ihr Gesicht in meiner Brust. Wenigstens umarmt sie mich nicht. Ihre geballten Fäuste pressen sich gegen ihre Schläfen als wolle sie diese beschützen, während sie hemmungslos in mein Hemd schluchzt.

Ich rühre mich die ganze Zeit nicht vom Fleck, während ich ihren heißen, sauren Atem an meiner Brust spüre. Irgendwann ist es dann aber genug. Ich lege meine Hände auf ihre Arme. Ihre Hände pressen sich gegen ihr Kinn, als sie zu mir aufschaut. Ihre Augen sind gerötet. Bei Gott, wie konnte dieses arme, verlorene Persönchen nur so lange überleben?

Sie wendet sich ab und blickt auf meinen Arm. »Ihr Arm«, flüstert sie.

»So ein Stinker wollte mich nicht loslassen.«

»Oh.«

»Die Quetschung ist echt übel. Hätte der Stinker noch länger an mir gehangen, dann wären wohl dauerhafte Nervenschäden nicht ausgeblieben. So wird es aber wieder. Sieht schlimmer aus, als es ist.«

»Ja.« Sie klingt, als stünde sie wieder kurz vor der Kernschmelze.

»Sie müssen mir bei etwas helfen. Kriegen Sie das hin?«

»Ja!«

»Aber erst, nachdem ich aufgegessen habe. Ich bin nämlich komplett ausgehungert.«

»Ja«, sagt Kim. »Tut mir leid. Das bin ich auch. Tut mir leid.«

»Das muss es nicht. Aber Sie müssen erst mal ruhig werden. Haben Sie sich wieder beruhigt?«

»Ja!«

»Ganz sicher?«

»Ja, ja. Alles bestens.«

»So was Ähnliches haben Sie vorhin im Truck auch schon gesagt.«

»Ja, ich weiß, und es tut mir leid. Ich werde mich jetzt benehmen!«

»Dann ist ja alles klar.«

Ich drehe sie wieder zum Tisch um und greife nach dem Dosenöffner.

»Die Dose hat zwar 'ne komische Form, aber man kann sie damit trotzdem öffnen.«

»Okay. Ich kriege das schon hin.«

Ich nehme wieder Platz und schenke mir noch Scotch nach. Mein Arm schmerzt, als ich die Flasche halte. Vielleicht sollte ich mir noch ein Paar Percocets reinpfeifen. Über den Glasrand hinweg schaue ich zu Kim hinüber.

»Hören Sie«, sage ich. »Wenn Sie genau so viel essen können wie ich, ist das wunderbar. Aber auf keinen Fall soll Essen verschwendet werden.«

»Ich werde langsam essen. Versprochen.«