G.F. Barner – Jubiläumsbox 9 – E-Book 47-52

G.F. Barner
– Jubiläumsbox 9–

E-Book 47-52

G.F. Barner

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-423-1

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Fahr zur Hölle, John

Die Hufe tackten gleichmäßig durch den East Canyon der Dos Cabezas Mountains in Arizona. Wie immer ritt Lionel McGruder, größter Mann in diesem Land, eine halbe Länge vor seinem Vormann Bill Shivers.

Jetzt sieht er zu den hellen Porphyrfelsen, dachte Shivers. Mondschein wie damals, aber keine toten Mavericks, kein hoch oben kletternder Mann. Die Mavericks sind lange tot, und der Mann ist für ihn gestorben, sein ältester Sohn, der beste Junge auf der ganzen Welt: Matt McGruder.

Davongejagt, verstoßen, enterbt, weil Matt es gewagt hatte, seinen eigenen Kopf zu haben und sich gegen den alten Löwen vor Shivers zu stellen.

Er sieht hoch, dachte Shivers, bestimmt tut er es, denn Matt hat keiner von uns vergessen, er auch nicht, wenn auch kein Wort auf der Ranch oder anderswo über Matt gesprochen werden darf. Nicht mal Howie, sein jüngster Sohn, darf den Namen seines Bruders erwähnen. Lionel McGruder, du bist hart, unmenschlich hart, aber du wirst hinsehen, denn dort oben hing dein Sohn und drohte abzustürzen. Das hast du nicht vergessen, oder?

Der Alte vor Shivers nahm jäh den Kopf herum, hob den Blick und starrte zu den Felsen.

Also doch, dachte Shivers, er erinnert sich. Er denkt jetzt an seinen Sohn, den besten Jungen der Welt und…

Ein Knall zerriß die Stille im Canyon. Krachend fiel der Schuß, als der Alte wütend das Pferd zur Seite riß. Die Kugel sirrte hell und sauste bedrohlich dicht an dem Alten vorbei.

Im nächsten Moment zeigte sich, daß der alte Lionel McGruder immer noch prächtig zu reagieren verstand. Blitzschnell stemmte er sich nach links aus dem Sattel, kippte weg, kam nicht mehr dazu, sein Gewehr zu packen.

Rumms!

Der zweite Schuß krachte, die Stute des alten Löwen McGruder wieherte klagend. Dann steilte das Pferd.

Bill Shivers war herumgewirbelt und sah den dritten Blitz auf dem Grat der nördlichen Canyonwand. Das Geschoß mähte Lionel McGruders Fünfhundert-Dollar-Stute glatt um.

Mein Gott, dachte der langbeinige Vormann, der genauso alt wie sein Boß war, das ist der vierte Versuch, Lionel zu töten. Der Kerl schießt ihn ab, ich muß etwas tun.

Kurz entschlossen riß er das Gewehr aus dem Scabbard und lenkte das Pferd herum. Shivers trieb das Tier in direkter Linie auf den heimtückischen Schützen zu, obwohl diese Handlungsweise einem Selbstmordversuch gleichkam.

»Paß auf, Bill!«

Auch die dritte Kugel hatte den Alten verfehlt. In dieser Minute zeigte sich, daß beide Männer nichts verlernt hatten. Sie hätten einem Zwanzigjährigen noch etwas vorgemacht.

Bills Oberkörper lag flach auf dem Hals des Pferdes. Er jagte frontal auf den Heckenschützen zu und feuerte aus dem Sattel. Dann sah er den nächsten Blitz. Sein Pferd zuckte zusammen, doch der alte Vormann war bereits aus den Bügeln und hechtete in den Sand.

»Bill – Achtung – fertig!«

Bill Shivers wußte genau, daß der Alte längst in Deckung hinter seinem toten Pferd lag und den Colt in beiden Händen hielt. Shivers hatte das Gewehr unter sich begraben, er blieb wie tot auf der Waffe liegen und blinzelte nur.

Und dann krachte es erneut, hallte laut durch den Canyon. Bills Pferd brach zusammen.

Im selben Augenblick begann der Alte hinter Shivers zu schießen. Eiskalt hatte McGruder auf den Mündungsblitz oben gewartet. Jetzt feuerte er wie besessen. Bill Shivers nutzte die Chance, sprang auf und rannte auf die steile Canyonwand zu. In diesen Sekunden verließ sich Shivers auf das Deckungsfeuer McGruders, das den Heckenschützen zwang, die Nase in den Dreck zu stecken.

Während der hellere Knall des Achtunddreißigers von McGruder deutlich zu hören war, hetzte Shivers den ersten schutzbietenden Felsbrocken entgegen. Kaum war er hinter ihnen, bog er zur Canyonwand ab und rannte nach rechts weiter. Nach achtzig Yards führte eine Felsspalte zur Wand hoch.

Eine unheimliche Stille trat ein. McGruder hatte alle sechs Patronen abgefeuert. Shivers rannte über Geröll, hörte im nächsten Augenblick das Gepolter über sich und wußte genug. Steine kollerten in die Tiefe, jemand lief davon.

Dennoch stürmte Shivers weiter. Er war so wütend, daß er dem Kerl wenigstens noch eine Kugel nachjagen wollte. Doch ehe er die Felsspalte erreichte, wieherte ein Pferd. Dann setzte Hufschlag ein, der sich nach Norden entfernte. Der Vormann hielt auf den Grat der Wand zu, umrundete einen Felsblock und blieb keuchend stehen. Er hatte nur noch den Schatten des davonpreschenden Pferdes ausmachen können.

»Der Lump ist entkommen«, sagte er mürrisch, als er schließlich wieder unten bei seinem Boß war. McGruder saß auf dem Bauch seines toten Pferdes. »Lion, wenn du nicht zu den beiden Zacken hochgeblickt hättest…«

»Was habe ich?« knurrte McGruder wie ein hungriger Wolf. »Was redest du da für Unsinn zusammen, Bill? Mein Pferd wurde plötzlich unruhig, das war alles.«

»So?« zweifelte Shivers. »Wie du willst, Lion, streite es also ab.«

»Was soll das?«

»Ich hab’ seinen Namen nicht gesagt. Was kann ich dafür, daß du dich erinnert hast, he? Laß deine Wut nicht an mir aus«, erwiderte Shivers.

Kein Mensch außer Shivers durfte einen solchen Ton wagen. Wer immer Lion McGruder auf seinen ältesten Sohn ansprach, hätte jetzt die Hölle erlebt. Nicht so Bill Shivers. McGruder hatte nie vergessen, daß sein Vormann ihm einmal den Skalp gerettet hatte. Vor zwanzig Jahren hatte ein Apache auf McGruder gekniet und schon mit seinem Messer ausgeholt zum Stoß, als Shivers in letzter Sekunde gefeuert hatte.

»Du sollst den Mund halten, Bill!« fauchte der Alte. »Er ist für mich tot, und dabei bleibt es. Tut mir leid um deinen Schecken, Bill. Such dir ein neues Pferd aus. Nimm das, was dir gefällt.«

»Und nimm du nächstens Don Walsh mit«, grimmte Shivers. »Wozu hast du den schnellsten Mann weit und breit gekauft, wenn er mit seinen Revolvern auf der Ranch bleibt? Walsh hätte den Kerl erwischt.«

»Ach!« machte der Alte wegwerfend. »Muß ich auf jedem kleinen Ritt einen Revolvermann hinter mir haben? Hm, dieser verdammte Abe Harris, ich sage dir, der steckt dahinter.«

»Nein«, antwortete Bill Shivers. »Abe ist viel zu geizig, um sich jemanden zu kaufen, der dich auf die Nase legen soll.«

»Außer Harris gibt es aber keinen, der mich zum Teufel wünscht, oder?« polterte der Alte los. »Mensch, Bill, wer sollte sonst auf mich schießen? Dies war der vierte Versuch, mich umzubringen. Von den Viehdiebstählen und der verbotenen Benutzung meiner Wasserstelle ganz abgesehen. Warum schießt man auf mich?«

Silvers hatte seine Satteltasche geöffnet, Patronen herausgenommen und sein Gewehr durchgeladen. Wenn jemand auf der Ostweide war, mußte er die Schüsse gehört haben. Er würde dann auch die Signalschüsse hören und wissen, daß man hier Hilfe brauchte. Darum schoß Shivers in Abständen jeweils dreimal gegen den Himmel, lauschte und nickte.

Weit entfernt zwar, aber doch noch zu hören, kam Antwort.

»Du hast nicht nur Freunde gehabt, und Menschen sind rachsüchtig, auch noch nach Jahren«, gab Bill dem Alten zu verstehen.

»Ich habe nur ein halbes Dutzend Halunken auf dem richtigen Weg aus diesem Land gebracht«, brummelte McGruder. »Das ist lange her – zu lange, Bill. Diesmal soll der hinterlistige Halunke sich wundern. Ich habe Walsh, und ich setze ihn auf die Spur. Dann soll er mir den Kerl bringen, aber lebend.«

»Meinst du. Walsh sieht mehr als John Warren?«

Kaum hatte der Vormann den Namen des Sheriffs erwähnt, als der Alte in die Höhe fuhr und brüllte: »Komm mir bloß nicht mit diesem Schläger, der ist die längste Zeit Sheriff gewesen. Wer sich gegen mich stellt…«

»Lion, an John beißt du dir die letzten Zähne aus«, unterbrach Shivers seelenruhig und mit einem flachen Grinsen. »Niemand sollte das besser wissen als du. Du hast dich damals mit Abe Harris auf John Warren geeinigt, weil ihr einen neutralen Mann haben wolltet – er ist neutral!«

»Was?« schrie McGruder wild. »Neutral? Wenn John neutral ist, dann will ich ein haariger Affe sein! Er hat meine Männer daran gehindert, diesem Harris die Ohren abzureißen und die Nase zu verbiegen. Er hat mir gedroht, meine Männer einzusperren. Zur Hölle mit John Warren!«

Shivers gab einen Richtungsschuß ab. Seltsamerweise dachten beide Männer nicht im Traum daran, zu Fuß zu gehen. Ehe ein richtiger Reiter zu Fuß durch die Gegend zog, mußte es schon schlimmer kommen. Shivers hatte zwar keine Männer zur Ostweide geschickt, aber im Normalfall schlief der Wasserholer dort, wenn das Wasser auf der Weide knapp wurde. Viele Arbeiten auf der Circle Ranch wurden ohne Anweisung des Vormannes automatisch erledigt. Und da es schon seit sechs Wochen nicht mehr geregnet hatte, fuhr der Wasserwagen abends noch einmal hinaus, um den Tank zu füllen.

»Jesse wird sicher mit dem Wagen kommen«, sagte Bill Shivers. »Bis wir dann auf der Ranch sind, vergehen drei Stunden. Und ehe Walsh hier ist, dürfte es beinahe hell sein. Lion, du solltest jemanden zu John schicken, damit er sich auch umsieht. Ich bin nicht sicher, ob Walsh nicht zu schnell auf den Heckenschützen schießt, wenn er ihn wirklich findet. Ein Toter redet nicht mehr. Und der Kerl soll doch reden, oder?«

»John wird alt«, knurrte McGruder. »Am liebsten sitzt er in meiner Stadt und dreht die Daumen. Dann schicke ich schon lieber Howie mit Jim Lawson los. Mein Junge versteht auch was von Spurenlesen.«

Shivers schwieg, denn er redete nicht gern über Howard McGruder, den Sohn des Alten. Man nannte ihn nur Howie. Er glich in vielen Dingen seinem Vater, denn er konnte genauso wild werden, allerdings arbeitete er ungern, und das unterschied ihn von dem Alten.

»Warum sagst du nichts?« fragte McGruder mißmutig. »Traust du Howie nichts zu?«

»Außer Dummheiten und blöden Späßen nichts«, gab Shivers offen zurück. »Ich halte jede Wette, daß er gar nicht auf der Ranch, sondern noch immer in der Stadt ist. Wenn wir Glück haben, ist der Buckboard vielleicht morgen fertig. Howie sitzt todsicher noch in Charlie McClures Saloon.«

 »Du gönnst dem Jungen gar nichts.«

»Ebensoviel wie seinem Bruder Der konnte sich solche Dinge nicht...«

»Dafür hat der sich das ganz große Ding geleistet!« brüllte McGruder los. »Heiratet ein Mexikanergirl! Nein, soweit hat es Howie allerdings nicht getrieben. Howie würde mir das nie antun.«

Das vielleicht nicht, dachte Bill Shivers, dafür aber andere Verrücktheiten.

*

Charlie McClure hatte das Gefühl, einen Eiszapfen ins Genick gepreßt zu bekommen. Der Besitzer des größten Saloons in Sulphur Springs starrte die beiden Männer an, dann Howie McGruder und Jim Lawson, den Zureiter der McGruder Ranch, und Bateson Michaels, den Totengräber, Organisten und Kirchenglockenläuter von Sulphur Springs. Der vierte Mann am Tisch war Humphrey McTire, ein fahrender Händler.

Humphrey blickte auch zur Tür. Dann fiel ihm die Zigarre aus dem Mund, und er zerknitterte vor Schreck die fünf Pokerkarten.

Die beiden Männer kamen grinsend herein, sahen aber nicht zum Spieltisch. Cannonball Jackson war der größte Raufbold von Apachepass bis Yuma, zudem brach er manchmal Pferde ein, oder er schlug Männer ungespitzt in den Boden. Er hatte so lange Arme, daß er sich mühelos in den Kniekehlen kratzen konnte. Auf seinem völlig behaarten Oberkörper saß ein mächtiger Kopf, dessen Ähnlichkeit mit einem Affenschädel unverkennbar war.

Dem zweiten Mann fehlte ein Ohr. Darum hieß er auch Einohr-Joe Murphy. Dem Mexikaner, der ihm mit einem Messer das eine Ohr abgetrennt hatte, fehlte nichts mehr. Joe hatte ihn zwei Sekunden später erschossen. Einohr-Joe Murphy hatte einen Kugelkopf, ein Froschmaul und Riesenfüße.

Beide gehörten zur Mannschaft von Abraham Harris, des nächstgrößten Ranchers und erklärten McGruder-Feindes. Jackson und Murphy hatten schon mehrfach die Reiter McGruders verdroschen. Sie hielten sich sonst bei Rossuan, im zweiten Saloon von Sulphur Springs auf.

Cannonball Jackson pendelte im Gorillagang dem Tresen entgegen. Einohr-Joe blieb schon kurz vor der Theke stehen, weil seine Stiefelspitzen bereits an die Scheuerleisten stießen. Dann sahen sie McClure grinsend an, und dem zitterten die Knie.

»Durst!« sagte Cannonball so krächzend, als hätte er zum Abendbrot Stacheldraht verschlungen.

»Bier – vier Gläser!« sagte Einohr-Joe und wackelte mit demselben, das er noch besaß. »Charlie, aber randvoll, sonst pusten wir dich aus dem Hemd, verstanden? Hast du schon von unserem neuen Prachtexemplar für das Anual-Rennen in Tucson gehört? So einen Gaul findest du in ganz Amerika nicht noch mal.«

»Nnnein, ich habe nichts von – von ihm gehört«, erwiderte Charlie McClure stotternd. »Also – Bier.«

»Denkst du Wasser?« schnaubte Cannonball und schielte tückisch. »Pferde saufen Wasser, wir doch nicht. Wir haben nicht nur den einen prächtigen Gaul, sondern noch drei andere. Dieses Jahr gewinnen wir das Rennen der Buckboard-Wagen gegen die übrigen lahmen Ziegenböcke, besonders gegen die eines gewissen Herrn.«

»Meinst du meinen Vater?« fragte Howie McClure scharf und sah sich um. »Wenn jemand in diesem Land Ziegenböcke hat, dann doch wohl nicht wir, oder, Jim?«

»Howie, Howie, John Warren ist mit meiner Schwester Nora weggefahren«, sagte Charlie warnend. »Big John ist nicht da, hörst du?«

Howie McGruder zuckte leicht zusammen. Daß der Sheriff gerade nicht in Sulphur Springs weilte, hatte er nicht gewußt. Während Warrens Anwesenheit wagte es kein Harris-Reiter, mit Männern von der McGruder Ranch Streit anzufangen. Sie hatten das zweimal gewagt, um anschließend im Jail zu landen. John Warren duldete keine Prügelei, bei der Eigentum oder Leben von Bürgern in Gefahr kommen konnte.

Einen Moment schien Howie zu überlegen, dann zuckte er die Achseln.

»Na und?« entgegnete er. »Ob der alte schlitzohrige Bursche nun hier ist oder nicht, ich sage doch, was ich will, Charlie.«

Cannonball und Einohr-Joe hatten sich umgedreht und starrten Howie mit funkelnden Augen an.

»Joe, hat der Hundesohn uns gemeint?« fragte Cannonball zischelnd. »Ich glaube, das Greenhorn spielt auf unsere Pferde an. Hat er sie schlecht gemacht?«

»Hat er«, bestätigte Einohr-Joe giftig.

»Hast du Hundesohn gesagt,

du entsprungener Menschenaffe?« fauchte Howie und sprang auf. »Cannonball, hast du meinen Vater einen Hund genannt?«

Cannonball und Einohr-Joe wechselten einen kurzen Blick, dann spuckte Jackson aus – Howie direkt auf den rechten Stiefelspann.

»Jetzt ist er ganz und gar verrückt geworden«, stänkerte Cannonball Jackson. »Nun lügt er auch noch in aller Öffentlichkeit, der Schmierlappen. Charlie, habe ich seinen Vater einen ›Hund‹ genannt?«

»Nein, das – das hast du nicht«, stotterte Charlie McClure erbleichend. »Du hast ›Hundesohn‹ zu ihm gesagt.«

»Charlie, du feiger Halunke!« schrie Howie McGruder wild. »Ich bin der Sohn meines Vaters, und wenn ich ein Hundesohn bin, muß mein Vater ein Hund sein, oder? Cannonball, das wirst du zurücknehmen, oder ich nehme den Colt! Ein, zwei…«

Howards Rechte schwebte über dem Coltkolben, als sich Einohr-Joe jäh bewegte. Der Mann mit den Riesenfüßen sprang los. Sein Fuß schoß in die Höhe und trat mit voller Wucht gegen McGruders Hand.

Howie hatte den Revolver gerade aus dem Holster. Er spreizte vor Schmerz die Finger, und der Colt wirbelte in hohem Bogen über ihn hinweg.

In derselben Sekunde sprang Jim Lawson auf. Der Zureiter und Wagenfahrer packte einen Stuhl an der Lehne und holte aus, während Cannonball Jackson auf ihn zugeschossen kam.

Lawson kannte manchen Trick, war sehr beweglich. Reaktionsschnell machte er einen Sidestep, ließ Cannonball zunächst ins Leere laufen, bis er schließlich gegen die Stirnwand des Saloons prallte.

Der Gorilla stieß einen gepreßten Laut aus. Einen Moment war er benommen, doch dann knurrte er wütend und warf sich herum.

Im gleichen Moment war Lawson bei ihm, schlug ihm den Stuhl über den Schädel – und glaubte seinen Augen nicht trauen zu können. Der Gorilla Cannonball schluckte den mörderischen Schlag, als hätte ihn jemand gekitzelt. Er lachte laut auf, schüttelte sich einmal und warf dann mit einer lässigen Handbewegung den auf seinen Schultern liegenden Stuhl zur Seite.

»Gleich habe ich dich!« brüllte Cannonball. Der bullige Mann stürmte vorwärts.

Diesmal hüpfte Lawson hin und her, um den unheimlichen Fangarmen zu entgehen. Cannonball machte jeden Seitensprung mit bis Lawson sich hinfallen ließ. Es gelang dem Zureiter, unter den Fangarmen durchzutauchen. Geschickt duckte er sich, schnellte vorwärts und rammte mit seinem Kopf Cannonballs Magen.

Cannnonball brüllte schaurig, als Lawson die Finger in seine Schenkel verkrallte und ihn aushob. Zwar brach Lawson unter dem Gewicht dieses Urviehs beinahe zusammen, doch er konnte ihn vom Boden heben und wegstoßen. Der Gorilla prallte gegen Howie McGruders Rücken.

Howard hatte einen Tritt von Einohr-Joe in die Seite bekommen, war vor den Tresen geflogen und hatte Einohr-Joe schon wieder ein Bein mit dem Riesenfuß heben sehen. Diesmal war es Howie gelungen, den Stiefel Joes zu packen. Plötzlich stand Einohr-Joe nur noch auf einem Quadratlatschen. Howie riß das Bein ganz in die Höhe, und der stämmige Joe fiel schreiend auf den Rücken.

Im selben Augenblick drehte sich Cannonball, holte aus und schlug Howie McGruder die Faust an den Kopf.

Der hatte das Gefühl, von einem Pferdehuf getroffen worden zu sein. Er geriet ins Schwanken, torkelte am Tresen entlang.

»Hier!« sagte Einohr-Joe da neben ihm. »Hier bin ich, McGruder – hier!«

Howie versuchte noch die Arme vor den Kopf zu reißen, um sein Kinn zu schützen. Doch da trat Einohr-Joe auch schon zu. Howie brach lautlos zusammen, während Jim Lawson Einohr-Joe mit der Faust in den Nacken schlug.

Lawson sah den Mann taumeln, setzte ihm nach und erkannte dann rechts einen Schatten.

Cannonball war bereits neben ihm.

Jetzt hatte es der Zureiter mit beiden zu tun. Sie hämmerten gemeinsam auf ihn ein und schickten ihn auf die Bretter.

Einohr-Joe grinste und trat Lawson ins Gesäß. Daraufhin flog Lawson wie eine zerbrochene Puppe auf Howie McGruder.

Durch diesen Aufprall kam Howie zu sich.

»Ohohoh!« lachte Cannonball breit. »Der lebt ja noch, der groß­mäulige Bursche. Cannonball, er hat immer noch nicht genug, was?«

»Hat er nicht!« schlug Cannonball in die gleiche Kerbe. »Ich glaube, er will noch etwas mehr, der freche Lümmel.«

Einohr-Joe watschelte los. Cannonball folgte ihm, während Charlie McClure wie angeleimt hinter seinem Tresen stand und nichts zu sagen, geschweige denn etwas zu tun wagte. Bateson Michaels saß steif auf seinem Stuhl und dachte an Lion McGruder. Der Alte würde es nicht schlucken, daß man seinen Howie verprügelt hatte, soviel war sicher. Jeder in Sulphur Springs wußte, daß McGruder seinen Männern verboten hatte, eine Prügelei anzufangen. Packte den Alten die Wut, konnte es sein, daß er Rocky Duncan von der Leine ließ.

Rocky Duncan war der Ranchkoch, ein ungeheuer großer und breitschultriger Mann, der nur einmal in Bowie mit zwei Begleitern auf die gesamte Harris-Mannschaft gestoßen war. Die Harris-Burschen hatten geglaubt, daß der tölpelhaft wirkende Duncan gerade gut für einen wilden Spaß wäre, und seinen Vorratswagen wieder entladen. Neun wackere Harrisburschen hatten dabei eine Kette gebildet und sich die Vorräte zugeworfen.

Was dann passiert war, hatte volle vier Wochen lang die Gemüter in diesem Land erhitzt. Duncan war ohne seine Begleiter aus dem Saloon gekommen, hatte sich wortlos genähert und dann innerhalb von zwei Minuten alle neun Harrisreiter auf den Misthaufen des Mietstalles gefeuert.

Du großer Geist, dachte der klapperdürre Bateson Michaels beklommen. Die Kerle haben Howie verdroschen und werden ihm noch mehr geben.

Bateson tat allein das Zuschauen weh. Er mochte nicht mehr hinsehen und erleben, wie die zwei Ungeheuer den armen Howie in die Mangel nahmen. Bateson, der Harmoniumspieler und Leichenbestatter, blickte zur Tür. Da schienen dem Knochengestell die Augen aus den Höhlen zu quellen.

»Zieh ihn hoch, Einohr!« sagte Cannonball kichernd. »Und dann wirf ihn mir zu. Wir wollen etwas mit ihm spielen, okay?«

Bateson hielt nicht deswegen sekundenlang den Atem an, sondern weil plötzlich ein Mann vor der Schwingtür stand.

Keiner sonst hatte Rocky Duncan, den Ranchkoch des alten McGruder, kommen gehört. Mit einem Blick übersah er die Szene, ballte die riesigen Hände und stampfte wie ein gereizter Stier in den Raum, bis er ganz dicht hinter dem ahnungslosen Cannonball stand. Auch Einohr-Joe sah den Riesen noch nicht.

Charlie McClure schloß die Augen. Er war von Natur aus blaß, aber nun nahm sein Gesicht Leichenfarbe an, weil er sich das Schrecklichste ausmalte.

*

Cannonball Jackson sah sich grinsend um. Und plötzlich war sein Grinsen wie weggewischt. Seine Augen weiteten sich ungläubig. Aber nur für einen Sekundenbruchteil. Denn als er begriff, wer vor ihm stand, reagierte er blitzschnell und sprang zur Seite. Der Gorilla des alten Abe Harris versuchte Front gegen Duncan zu machen, aber dessen Faust stoppte ihn. Duncan traf Cannonballs massigen Schädel in Ohrhöhe. Hinter diesem Donnerschlag steckten zweihundertvierzig Pfund Gewicht.

Jackson flog am Tresen entlang, bis er auf Howie prallte, den Einohr-Joe gerade richtig hinstellen wollte, um ihn dann mit einem Fausthieb zu Cannonball zu schicken. Nun kam Cannonball dem einohrigen Riesenfußbesitzer entgegen – und dann stürzten sie alle um.

Einen schrecklichen Moment glaubte Charlie McClure, daß sein Saloon von einem Erdbeben heimgesucht würde. Drei Männer landeten am Boden, der vierte Mann – Duncan – sprang auf sie zu. Die Dielen dröhnten, die Gläser in McClures Regal klirrten.

»Habt ihr euch gedacht, was?« stieß Rocky Duncan grimmig hervor, indem er sich bückte und Cannonball am Kragen zu fassen bekam. »Ich bin auch noch da.«

Jackson brüllte wie ein Ochse am Spieß, denn Duncan packte ihn mit der Rechten am Hosenriemen und hob ihn mühelos auf. Einen Augenblick schwebte Cannonball Jackson einen Schritt über dem Boden, dann wurde er gedreht und mit dem Kopf voran gegen Charlie McClures feinen Eichenholztresenpfosten gerammt. Cannonball sah ein Feuerwerk.

Rocky Duncan wiederholte die Prozedur zweimal, bis Cannonball schlaff wurde und zu Boden fiel. In diesem Moment sprang Einohr-Joe von hinten auf Duncan los. Der sah ihn aus den Augenwinkeln kommen und wich zur Seite aus. Der Mann mit den Riesenfüßen schoß an Duncan vorbei und krachte gegen die Theke, die sich um mehrere Zoll nach hinten verschob und Charlie McClure so in den Bauch gestoßen wurde, daß der dicke Salooner plötzlich auf der Platte lag.

»Da bist du ja«, sagte Duncan vollkommen gelassen, als Joe augenkollernd schwankte. »Grinst du noch, du Affe?«

Duncans Fausthieb verschob Joe die Kinnspitze. Der Einohrige hatte plötzlich einen schiefen Mund und glasige Froschaugen. Nach dem zweiten Hieb knickte er ein, fiel auf Hände und Knie und stöhnte schwer.

Rocky Duncan war mit einem Satz neben ihm, riß ihn genau wie Cannonball in die Höhe und drehte sich einmal um die Achse. Dann ließ er Einohr-Joe los. Der zweitbeste Mann von Abe Harris flog auf die Saloontür zu, stieß sie auf und verschwand. Daß er draußen im Tränketrog landete, sah Rocky Duncan nicht mehr. Der Riese stiefelte los. Bei Cannonball angekommen, drehte er den Gorilla auf den Rücken. Er schleifte ihn hinaus, stellte ihn auf die Beine und feuerte noch einmal seine Faust ab. Als beide Burschen übereinander im Tränketrog lagen, machte Rocky kehrt.

»Jetzt ist Ruhe!« sagte er mit einem dumpfen Grollen, als er an den Tresen trat und ihn zurechtrückte. »In Ordnung, Howie?«

»In Ordnung«, erwiderte Howie McGruder, aber ihm war hundeelend zumute. Sie hatten zwar gewonnen, doch die Niederlage würden Cannonball und Einohr-Joe niemals vergessen.

*

Cannonball Jackson knirschte vor Wut mit den Zähnen, als er Luke­ Harris in Rossmans Saloon eine Kehrtwendung machen sah. Luke­ und Selwyn Harris, die beiden großen Söhne des alten Abe, sahen sich kurz an. Sie hatten noch einen Bruder, einen Nachkömmling, der nicht zählte, weil er zu klein für rauhe Späße war. Außerdem besaßen sie noch eine Schwester. Entscheidungen trafen jedoch nur Luke und Selwyn. Und es waren harte Entscheidungen – genauso hart wie jene vor weniger als einer Viertelstunde, die Cannonball und Einohr-Joe in Bewegung gesetzt hatte.

»Wie seht ihr aus?« tobte Luke Harris giftig. »Dreckig von oben bis unten, verbeult und zerkratzt. Hol’s der Teufel! Und ihr wollt die rauhesten Burschen von Arizona sein? Prügel habt ihr bezogen, nicht zu fassen!«

»Das ist kein Mensch!« schnaufte Einohr-Joe und hielt sich den Bauch. »No, Rocky ist kein Mensch, sondern ein Ungeheuer.«

»Hätten wir vielleicht schießen sollen?« maulte Cannonball. »Howie ist verdammt schnell mit dem Colt, das könntest du vielleicht schaffen, Selwyn. Ihr hättet ja mitkommen können.«

»Idiot!« entgegnete Selwyn giftig. »Damit uns der Alte die Haut abzieht, was? Er hat befohlen, nichts anzufangen. Da, drei Dollar für euch! Versauft sie und kommt dann nach. Wir reiten los.«

Die Harrisbrüder gingen davon. Cannonball starrte ihnen giftig nach und kochte vor Wut. Wenn etwas schiefging, verdrückten sich die Brüder immer sofort.

»Die haben Angst vor Big John Warren«, zischte er Einohr-Joe zu. »Nur keinen Ärger mit dem Sheriff, was! Wenn der mir jemals frech kommt, haue ich ihn aus dem Anzug, diesen alten Narren. Big John Warren! Sie sollten ihn lieber Old John nennen, denn er ist verdammt alt geworden. Eines Tages breche ich ihm alle Knochen und werfe ihn den Hunden zum Fraß vor.«

In diesem Moment lachte jemand. Cannonball und Einohr fuhren wie auf Kommando herum. Dann starrten sie den ganz hinten in der Ecke des Saloons sitzenden Mann wie hungrige Tiger an und setzten sich in Bewegung. Jemand hatte gewagt, sie auszulachen. Das war zuviel.

Cannonball Jackson und Einohr-Joe Murphy hatten einen Blitzableiter gefunden. An irgendwem mußten sie ihre Wut auslassen.

*

Der Mann lachte nicht mehr. Er lag mit dem Oberkörper auf der Tischplatte, hielt das Whiskyglas zwischen den Fingern und schien die beiden rauhen Harrisburschen nicht zu sehen.

»Slater!« rief Cannonball drohend. »He, Archie, mein Freund, lachst du über uns?«

Archie Slater, der Stadtsäufer, ein dunkelhaariger, noch junger Mann blinzelte träge. Vor einigen Jahren hätten sich Cannonball und Einohr nicht an ihn herangetraut, denn damals war Slater noch Deputy-Sheriff in Tuscon gewesen. Er hatte Cannonball sogar einmal eingelocht. Dann hatte er in Nogales eine Frau erschossen. Und von dem Tag an hatte Slater nur noch gesoffen, bis ihm nichts mehr geblieben war – nicht mal ein Freund.

Seitdem lebte Slater in Sulphur Springs, und wenn sich John Warren nicht um ihn gekümmert hätte, wäre er wahrscheinlich längst in der Gosse gelandet. Ab und zu arbeitete der einstmals gefürchtete Deputy-Sheriff, aber nur, um das Geld sofort in Fusel umzusetzen. Judy Weiser, die Witwe von Nat Weiser, dem Storekeeper, gab ihm immer wieder Arbeit, obwohl Archie jeden Cent vertrank.

»Cannonball«, lallte Archie mühsam, »he, Ca – Cannonball, mein Freund. Was – was ist?«

»Jack!« rief Rossman vom Tresen her. »Er ist betrunken. Glaube mir, der weiß nicht mal, daß er gelacht hat. Ich kenne ihn – er lacht immer, wenn er genug hat. Mann, handele dir keinen Ärger ein, du weißt doch, daß er sich nie prügelt und niemals wehrt. Denke an Big John, der mag es nicht, wenn man…«

»Halt’ das Maul, Rossman, sonst nehmen wir deinen Laden auseinander!« gab Einohr-Joe zurück. »Der Kerl hat uns ausgelacht.«

Er packte Archie am Kragen und riß ihn mit einem Ruck quer über den Tisch. Dann schleifte er ihn zur Theke. Cannonball folgte ihm, hob Archie Slaters Beine an, und sie warfen Archie auf die Messingplatte. Als sie seinen Kopf in das Spülbecken steckten, stiegen ein paar Blasen blubbernd hoch.

Rossman war kreidebleich geworden, wagte es jedoch nicht, die beiden zweibeinigen Tiger zu stoppen oder sich noch mal einzumischen.

Sekunden später flog Archie vom Tresen herunter. Cannonball stellte ihn auf die Füße, schüttelte ihn heftig und knurrte: »Na, lachst du noch mal über uns, Archie, du Saufgenie? Dir werde ich’s abgewöhnen, uns auszulachen, du Ratte!«

Archie Slaters Knie gaben nach, doch Cannonball zerrte ihn wieder hoch.

»Ich – ich habe gelacht?« fragte Archie verständnislos. »Cannonball, was habe ich dir getan? Ich krümme doch keiner Fliege ein Haar. Ich bin doch dein Freund, oder? Warum sollte ich dich auslachen?«

»Ich sagte doch, er weiß von nichts«, meldete sich Rossman. »Cannonball – mach keinen Blödsinn! Er ist stockbetrunken.«

»Bin – bin ich nicht«, lallte Archie bockig. »Ich werde nie be­trunken. So viel Whisky gibt es nicht.«

In Jacksons Augen blitzte es kurz auf. Im nächsten Moment griff er nach einer fast vollen Whiskyflasche auf dem Tresen, zog den Korken mit den Zähnen heraus und gab Archie einen Stoß. Der kippte Einohr-Joe in die Arme.

»Du hast also nicht über uns gelacht, du Lügenbeutel?« erkundigte sich Jackson höhnisch. »Na gut, Archie, wenn du die Flasche hier aussäufst, glaube ich dir. Los, nimm die Flasche und mach sie leer, aber in einem Zug!«

»Um Gottes willen!« protestierte Rossman. »Cannonball, wenn er sie leertrinkt, ist er tot. Der hat schon soviel getrunken, daß er sterben wird. Das kannst du nicht machen, Cannonball!«

»Er bekommt doch angeblich nie genug«, höhnte Einohr-Joe. »Jetzt darf er mal auf unsere Kosten saufen. Na, Archie, was ist denn jetzt? Du kannst wählen: Entweder hast du über uns gelacht, dann brauchst du die Flasche nicht zu saufen. Was wir dann mit dir machen, ist dir hoffentlich klar? Oder du säufst jetzt das Zeugs.«

»Nein«, sagte Archie Slater und drehte den Kopf zur Seite, als Cannonball ihm die Flasche an die Lippen setzen wollte. »Nein, das tue ich nicht, ich bringe mich doch nicht um. Laßt mich los! Ich habe nicht über euch gelacht und will euren Fusel nicht!«

»Er will nicht?« echote Cannonball. »Ah, der Säufer ist sich zu fein, einen Drink von uns anzunehmen. Verstehst du, Joe? Halte ihn fest!«

Einohr-Joe Murphy umschlang Archie mit beiden Armen. Cannonball packte Archie an den klatschnassen Haaren, riß ihm den Kopf in den Nacken und preßte ihm den Flaschenhals auf die Lippen.

Du großer Gott, dachte Rossman entsetzt, sie bringen ihn um. Entweder er säuft jetzt, oder Cannonball zerquetscht ihm die Lippen. Die Prozedur hält kein Mensch aus.

In derselben Sekunde ertönte der gellende Schrei.

*

Es war nicht Archie Slater, der gellend aufschrie. Cannonball Jackson flog brüllend zurück. Der Mann mit den überlangen Armen hatte nur auf die Flasche, jedoch nicht auf Slaters Beine geachtet.

Der ehemalige Deputy Archie Slater hing in Joe Murphys Armen, stieß sich jäh ab und riß dann die Beine an. Völlig überrascht hielt ihn Einohr-Joe fest, und so konnte Slater Cannonball die Fußspitze in den Leib treten. Der Stoß war so heftig, daß nicht nur Cannonball zurückflog, sondern auch Einohr-Joe zu Boden ging. Jackson bekam plötzlich keine Luft mehr, fand sich am Boden wieder und begriff dann, daß sie sich in dem Säufer geirrt hatten.

Das Kopfbad hatte Archie Slater munter gemacht. Der ehemalige Deputy verwandelte sich vor Cannonballs erstaunt aufgerissenen Augen in jenen Mann, der er einmal gewesen war. Kaum stürzte er mit Einohr-Joe zu Boden, als er sich blitzschnell aus dem Klammergriff befreite, herumrollte und ausholte. Slaters Fausthieb landete auf Joes rechtem Auge. Einen Moment sah Einohr-Joe nichts als Feuer, und danach war es schon zu spät. Slater schmetterte ihm die Faust an die Schläfe. Benommen und schwer getroffen von dem fürchterlichen Hieb, wälzte sich Joe Murphy herum. Slater war bereits auf den Beinen, sprang wie ein Tiger los und packte den nächsten Stuhl. Es wäre um Einohr-Joe geschehen gewesen, wenn Cannonball nicht eingegriffen hätte. Der hielt noch immer die Flasche in der Faust. Der stiernackige Bursche kam auf die Knie, sah, wie Slater den Stuhl ergriff, und schleuderte seine Flasche fluchend nach dem Stuhlschwinger. Sie traf dessen Hinterkopf.

Archie Slater, der einst gefürchtete Schnellschießer, knickte zusammen. Cannonball fing ihn auf, ehe er zu Boden stürzen konnte.

»Hoch mit dir, Joe!« fauchte er seinen Partner an. »Ich habe ihn.«

Einohr-Joe stemmte sich ächzend in die Höhe. In derselben Sekunde sah er Cannonballs verstörten, starren Blick. Der Gorilla stieß Slater von sich, und dann schrie er warnend: »Vorsicht, Joe, hinter dir!«

*

Joe Murphy wirbelte sofort herum, doch es war schon zu spät. Obwohl Einohr immer behauptet hatte, daß er vor Big John Warren keine Angst habe, duckte er sich voller Furcht. Der mehr als sechs Fuß große Sheriff hielt sein gefürchtetes Gewehr, eine siebenschüssige Savage mit achteckigem Lauf, bereits schlagbereit erhoben. Murphy sah nur ein Blinken. Das Gewehr sauste herum.

Der Hieb traf Einohr-Joe seitlich am Kopf. Joe erblickte ein Feuerwerk, ehe es dunkel um ihn wurde. Warren wirbelte wieder zurück. Keine Sekunde zu spät, denn Cannonball Jackson kam bereits.

Er hatte immer behauptet, daß er bei der ersten Gelegenheit mit Warren aufräumen würde. Nun war seine Stunde gekommen, und er zögerte nicht, gegen Warren anzugehen.

John Warren hatte von Jacksons Drohung gehört. Big John Warren schnellte zur Seite.

Rossman glaubte in diesem Moment, daß der Sheriff hinten Augen hätte. Warren sprang los, als Cannonball Jacksons Hände ihn packen wollten. Cannonball schoß schwungvoll an Warren vorbei.

Im selben Augenblick schmetterte ihm Big John Warren die Linke ohne erkennbaren Ansatz mitten ins Gesicht. Cannonball Jackson schoß bis zum Tresen und stieß ein stumpfes Stöhnen aus.

»Hast du nicht gesagt, du würdest mich in Stücke schlagen?«

Jackson machte eine Rechtswendung. Daß er sich zur falschen Seite gedreht hatte, bemerkte er zu spät. Big John war nach links gesprungen. Diesmal feuerte der Sheriff die Rechte ab. Die Faust traf Cannonballs linkes Auge. Er sah Feuer, riß seine Arme deckend hoch und krümmte sich dann mit weit aufgesperrtem Mund zusammen.

Big John Warren hatte ihm die Linke unter die Rippen gesetzt.

»Noch einer!« sagte Warren so eiskalt und ruhig, daß Rossmann und den übrigen Männern ein Schauder über den Rücken rieselte. »Nur noch einer, Mister!«

Der beste Mann von Abraham Harris ahnte, was auf ihn zukommen würde. Instinktiv kreuzte er die Arme schützend über dem Kopf. Warren sprang jedoch an ihm vorbei, drehte sich blitzartig und schmetterte ihm die Faust in den Nacken.

Alles starrte auf Cannonball Jackson. Der Mann mit den überlangen Armen war wie gelähmt stehengeblieben. Seine Arme sanken kraftlos herab.

Einige fürchterliche Sekunden stand Cannonball Jackson in dieser erbärmlichen Haltung vor dem Tresen. Niemand sah sein Gesicht, denn er hielt den Kopf gesenkt.

Und plötzlich kippte er jäh nach vorn und schlug der Länge nach auf die Dielen.

Es war totenstill. Rossmann war bleich wie der Tod. Archie Slater saß dumm glotzend am Boden.

»Was war hier los?« fragte John Warren eisig. Er rückte seinen breitrandigen Stetson zurecht, ergriff sein Gewehr und blickte Rossman scharf an. »Wird’s bald, Jeff?«

Der Salooner schluckte, berichtete mit gepreßter Stimme und sah zur Tür. Dort stand jetzt Nat Weisers Witwe Judy, eine große, schlanke blonde Frau. Hinter ihr war ein Moment Nora McClures flammendrotes Haar zu erkennen, aber Nora blieb draußen. Sie hätte Rossmans Saloon niemals betreten.

»John – John!« rief Judy Weiser erregt. Sie mußte sehr schnell gelaufen sein, denn Warren war von Noras Wagen vor dem Store gestiegen, als ihm jemand zugerufen hatte, daß Cannonball und Einohr-Joe sich mit Archie prügelten. »John, um Gottes willen, was ist passiert?«

Ihre Sorge um den Säufer Archie war unverkennbar. Wenn auch alle Leute glaubten, daß sie sich aus reiner Nächstenliebe nur um ihn kümmerte – Sheriff Big John Warren dachte anders darüber.

»Das wird sich im Jail schon herausstellen«, erwiderte er. »Ich sperre sie alle ein. Judy, kommen Sie später vorbei, jetzt halten Sie sich heraus. Verstanden?«

»John, Sie können ihn nicht zusammen mit diesen wilden Tieren einsperren!« protestierte Judy Weiser erregt. »Die bringen ihn auch im Jail um!«

»Judy!« fuhr er sie scharf an. »Alles verläßt den Saloon. Er ist geschlossen, Rossman! Ich werde diese beiden entlaufenen Affen in die geschlossene Einzelzelle sperren. Archie, du wanderst in die große Zelle, dort bist du vor den Kerlen sicher.«

Die Gäste verließen den Saloon. Judy Weiser wagte nichts mehr zu sagen.

*

Archie Slater blickte zur einzigen Zelle des Jails, die von einer festen Eisentür verschlossen und so klein war, daß von zwei Männern einer auf dem Boden liegen mußte. Cannonball und Einohr-Joe hatten es aufgegeben, in dem engen Loch zu toben. Der seltsame Sheriff Warren lag in seinem Lehnstuhl, hatte die Beine auf den Schreibtisch gelegt und rauchte. Obwohl Archie Big John seit vier Jahren kannte, wurde er immer noch nicht klug aus ihm.

Warren stammte aus Texas, war Marshal in New Mexico, Colorado, Sheriff in Nevadas Minenstädten und nun – dies sollte sein letzter Job sein – Sheriff von Sulphur Springs.

»He, John«, fragte Archie mürrisch, »was hast du mit Judy Weiser vor der Tür zu reden gehabt?«

»Ich habe ihr gesagt, daß sie sich nicht um dich verdammten Säufer kümmern soll«, antwortete er. »Erstens ist sie viel zu schade für dich, zweitens hat sie einen fünfjährigen Sohn, den kleinen Joey, und drittens bist du völlig am Ende, Mister. Seit der Sache in Nogales bist du fertig. Und du weißt, daß du keinen Colt mehr halten kannst, weil deine Hände zittern. Ich habe es mir nun lange genug mit dir angesehen, Archie, und ich sagte dir, daß du Judy nur unglücklich machen wirst – sie und Little Joey, der zufällig an dir hängt, als wärest du sein Vater.«

Archie knirschte vor Grimm mit den Zähnen, als Warren sich auf die Pritschenkante setzte und ihn eiskalt ansah.

»Laß mich allein, John!« zischte er dann. »Raus hier, ich will allein sein!«

»Feiglinge sind nie allein, ihre Angst begleitet sie auf Schritt und Tritt«, entgegnete Warren verächtlich und wandte sich ab. »Die Frau in Nogales war ein Banditengirl, aber für dich war sie eine Frau wie jede andere. Nun gut, sie hat dich mit ihren letzten Worten verflucht. Seitdem bist du ein Feigling, denkst aber an eine Frau wie Judy. Dazu hast du Dreckskerl kein Recht, denn du bist kein Mann mehr, du bist nie einer gewesen. Das alles habe ich Judy gesagt, damit sie dich zur Hölle schickt und…«

Und weiter kam er nicht. Archie Slaters Rechte hatte sich unauffällig zum Stiefelschaft bewegt. Sie zuckte blitzschnell hoch – mit einem großen Kappmesser und drückte es an Warrens Hals.

»Du Hund!« stieß Archie durch die Zähne. »Wie oft hast du mich getreten? Wie oft hast du mir gesagt, daß ich nur aus Feigheit saufe? Jetzt habe ich genug! Ich schneide dir den Hals durch! Paß auf, du verfluchter Schurke!«

*

Der Sheriff blieb stocksteif sitzen. Sein Blick wanderte langsam zum kalten Stahl hinunter. Obwohl Archie nun ganz durchdrehen und ihn töten konnte, wußte Warren endlich, daß es doch etwas gab, was diesen ehemals prächtigen Mann zur Weißglut bringen konnte. Slater hatte zum ersten Mal auf die dauernden Sticheleien Warrens reagiert.

»Also, worauf wartest du noch, Archie?« fragte Warren gelassen. »Na los, schneide mir den Hals durch, schnell! He, was ist denn mit deiner Hand? Weißt du, daß sie nicht zittert, obwohl sie eine tödliche Waffe hält?«

»Meine Hand?« echote Archie und starrte sie verwirrt an, zog sie dann zurück. »Sie zittert nicht, sie ist ganz ruhig. Wie ist das…«

Und das war sein letztes Wort.

Warrens Faust traf ihn mit solcher Gewalt am Kinnwinkel, daß er von der Pritsche quer durch die Zelle flog, an die Gitterstäbe knallte und benommen liegenblieb. Warren setzte sofort nach und warf sich auf ihn, preßte ihm die Arme auf den Rücken und fauchte: »Angriff auf den Sheriff! Das kostet dich zwei Monate, du Narr! Niemand weiß das besser als du.«

Big John schleuderte Archie auf die Pritsche zurück, wo er sich stöhnend krümmte. Der Trinker rang nach Atem, bis er endlich wieder genug Luft bekam und wütend zischte: »Du verfluchter Trixer, du wolltest es herausfinden, was? Du hast mich absichtlich soweit gebracht, um mir zu beweisen, daß mir gar nichts fehlt, daß meine Hand nicht zittert.«