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Kurzbeschreibung:

Dank einer List schlüpft Cassian in die Identität von Sureijas Bräutigam Kilian von Valjamar und kehrt so inkognito nach Shalimar zurück. Noch immer ist sein Herz von Rachedurst erfüllt, aber mehr und mehr verfällt er Sureijas Liebreiz und erfährt Dinge, die seine bisherigen Pläne infrage stellen. Bis sich der wahre Feind zu erkennen gibt.


Über die Autorin:

Tanya Carpenter wurde am 17. März 1975 in Mittelhessen geboren, wo sie auch heute noch in ländlichem Idyll lebt und arbeitet. Die Liebe zu Büchern und vor allem zum Schreiben entdeckte sie bereits als Kind und hat diese nie verloren. Hauptberuflich arbeitet Tanya Carpenter als Chef-Assistenz im Vertriebsinnendienst eines globalen Industrie-Unternehmen. Ihre Freizeit verbringt sie neben dem Schreiben gerne mit Hund und Pferd in freier Natur oder geht auf Foto-Tour. Außerdem interessiert sie sich für Mystik, Magie und alte Kulturen, liebt Musik und genießt in den Wintermonaten gerne gemütliche Leseabende vorm Kamin.


Weitere Bücher der Autorin bei Edel Elements

Assassinenherz 1- Flucht aus Shalimar
Assassinenherz 2 - Die Blume der Siray
Assassinenherz 4 - Der Schatz von Shalimar

Tanya Carpenter

Assasinenherz

Im Auge der Kobra

Edel Elements

Assassinenherz Teil 3 – Im Auge der Kobra

Cassian war außer sich.

Zorn wäre noch untertrieben gewesen, und Rashid war im Gegensatz zu seinem Bruder sehr besorgt. Sie durften es wohl allein Cassians Ergebenheit gegenüber Jalal zurechnen, dass er nicht augenblicklich den Palast stürmte und Hussam für alles bezahlen ließ, was er dem Prinzen und seiner Familie angetan hatte. Scheich Rumal stand erst als Zweites auf seiner persönlichen Todesliste, und es hätte wohl nichts gegeben, was Cassians Entschlossenheit, diese beiden Männer ins Jenseits zu befördern, ändern konnte.

Seit sie Shalimar verlassen hatten, tobte ein wahrer Sandsturm im Inneren des Jungen und malte seine Ausläufer in dessen Züge. Seine ernsten braunen Augen wirkten wie von dunklen Gewitterwolken verhangen. Zwischen seinen Brauen stand eine steile Falte und um seine Lippen lag ein unnachgiebiger Zug. Er hatte Zahir härter als nötig angetrieben, sodass das schwarze Fell des Hengstes nun von weißem Schaum bedeckt war. Rashid führte das Pferd zusammen mit seinem eigenen herum, damit die Tiere keinen Kreuzverschlag erlitten, Cassian schien dafür derzeit keinen Blick zu haben.

Nachdem sie in der kleinen, abseits gelegenen Oase von Numa angekommen waren, tat Cassian nichts anderes, als ruhelos umherzulaufen, um wenigstens irgendein Ventil für seine überschäumenden Emotionen zu finden. Vermutlich hätte er dies bedeutend lieber mit einem Schwert getan – im Zweikampf gegen Hussam, Jalal oder Rashid, denn verraten fühlte er sich zweifellos gerade von ihnen allen.

„Er beruhigt sich wieder“, knurrte Jalal. Die Laune des Assassinenfürsten war nicht wesentlich besser als die seines Schützlings, zumindest aber kümmerte er sich um sein Pferd, das nicht minder erhitzt war als Zahir.

Rashid blickte betrübt zu Cassian und wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Er bezweifelte, dass der junge Prinz von Shalimar sich so bald damit abfinden würde, von den beiden Menschen, die ihm derzeit am nächsten standen, verraten worden zu sein. Ihm war klar, sie hatten beide Schuld auf sich geladen, indem sie geschwiegen hatten. Er noch mehr als Jalal, weil der es nur auf seinen Willen hin getan hatte. Aber wie sonst hätte er Cassian schützen können? Vor sich selbst – und vor denen, die ihm nach dem Leben trachteten. Er hätte nie nach Shalimar zurückkehren dürfen.

„Du wusstest es!“ Cassian brüllte wie ein Löwe. Immerhin war er stehen geblieben, doch sein ganzer Körper stand unter Spannung, die Hände waren zu Fäusten geballt.

Der Vorwurf in seinen Augen traf Rashid tief, und schuldbewusst senkte er den Blick. „Ja, ich wusste es. Aber ich schwieg um deines Seelenfriedens willen.“

„Meines Seelenfriedens?“ Cassians Nasenflügel bebten wie die Nüstern eines wilden Pferdes. „Verdammt, Rashid, das hattest du nicht zu entscheiden. Er hat meinen Vater ermordet. Er und Rumal. Die Götter wissen, wer noch in dieses Komplott verwickelt war.“

„Niemand“, antwortete Rashid, und seine Stimme klang so leer, wie er sich fühlte. „Jalal und ich haben gründlich jeden Winkel des Palastes durchforsten lassen, doch es hat keiner überlebt.“

„Vielleicht nicht aus dem Palast!“, stieß Cassian hervor. „Aber was ist mit der Stadt?“

Rashid blickte zu seinem Bruder, der nur vage die Schultern zuckte. Er hatte keine Hinweise darauf finden können, doch was hieß das schon? Tatsache war, dass das Volk Rumal sehr schnell akzeptiert hatte. Gut möglich, dass Hussam Verbündete besaß, die ihm geholfen hatten, die Bewohner Shalimars zu überzeugen. Nur konnten sie das nicht mit Bestimmtheit sagen, weil es keinerlei Anhaltspunkte dafür gab.

Beruhigend strich Rashid Zahir über den Hals, der noch immer feucht vom Schweiß war. Doch die Flanken des Pferdes bebten nicht länger, darum nahm er ihm das Zaumzeug ab und ließ ihn laufen. Erst dann wandte er sich Cassian zu, doch Jalal kam ihm zuvor.

„Du lässt dich von deinen Gefühlen leiten. So habe ich dich nicht erzogen.“ Die Stimme des Assassinen klang hart.

Cassian ließ sich davon nicht einschüchtern, sondern schnaubte nur. „Du hast mich überhaupt nicht erzogen. Du bist nämlich nicht mein Vater.“

Jalal fixierte Cassian und verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. Rashid erwartete eine höhnische Bemerkung, dass sein Vater ja auch tot sei, aber offenbar wusste sein Bruder genau, welche Grenze er besser nicht überschritt. „Als du zu uns kamst, hatte ich den Eindruck, einen geborenen Kämpfer vor mir zu haben. Einen, der sein Schicksal mit Fassung trägt und es überwindet. Nur so kann man seine Schwächen besiegen – und den Feind. Habe ich mich so in dir getäuscht?“

„Du hast ja keine Ahnung“, presste Cassian hervor.

„Ach, hab ich nicht? Denkst du, du bist der Einzige, dem im Leben etwas genommen wurde? Der Einzige, der auf Rache sinnt für ein sinnlos verschwendetes Leben.“ Mit diesen Worten überraschte er Cassian und schaffte es, ihn zu verunsichern.

Rashid hielt den Atem an und warf Jalal einen warnenden Blick zu. Es gab Dinge, die man besser nicht aussprach. Sie würden dem jungen Prinzen auch nicht weiterhelfen.

Jalal presste seine Lippen aufeinander und holte tief Luft. Der Moment verstrich und er besann sich eines Besseren und schwieg. „Es ist mir gleich, ob du ihn tötest oder nicht“, sagte er an Cassian gewandt. „Aber nicht jetzt. Nicht hier.“

„Das hast du mir nicht zu befehlen“, gab Cassian trotzig zurück.

Blitzschnell schoss Jalal auf den Jungen zu und packte ihn am Kragen.

Rashid spannte sich an, griff aber noch nicht ein.

„Im Gegensatz zu meinem Bruder, dem Gelehrten hier, gönne ich dir deine Rache. Aber ich werde nicht zulassen, dass du unseren Auftrag gefährdest und unserem Ruf schadest.“ Jalals Stimme war ein bedrohliches Flüstern geworden, dem das Lied des Wüstenwindes eine gespenstische Note verlieh. Er ließ Cassian wieder los, wandte sich ab und ging mit langen Schritten zu den Pferden hinüber.

Unsicher blickte Cassian zu Rashid, aber auf seine Fragen hatte auch er keine Antwort. Er war nur dankbar, dass der Zorn nicht mehr ganz so heiß in seinen Augen loderte. Zögernd schritt er auf seinen Schützling zu und klopfte ihm auf die Schulter. „Ich verstehe dich, auch wenn du mir unterstellst, dass es nicht so ist. Ich bin nur einfach nicht bereit, zuzusehen, wie du in dein Verderben rennst.“ Als Cassian etwas darauf erwidern wollte, hob er die Hand, um ihm Einhalt zu gebieten. „Nein, sag nichts. Ich weiß, du glaubst, dass du ihn mit Leichtigkeit besiegen kannst, aber so einfach ist das nicht. Er ist gerissen. Und er rechnet damit, dass du noch lebst. Deshalb wird er Vorkehrungen getroffen haben. Wenn du ihn kopflos angreifst, verspielst du vielleicht die einzige Chance, die du hast.“

Schnaubend wandte Cassian sich ab. „Tu doch nicht so, als wärst du damit einverstanden, wenn ich ihn töte. Du hast ihn all die Jahre laufen lassen, obwohl du Bescheid wusstest.“

Den Vorwurf in seiner Stimme konnte Rashid ihm nicht verdenken. „Manchmal ist Geduld der Weg.“

„Blödsinn! Du bist einfach nur feige!“

Die Worte sollten Rashid wohl verletzen, und in gewissem Sinne taten sie es auch. Nicht, weil er sich davon angegriffen fühlte, sondern weil es ihn schmerzte, dass Cassian offenbar tatsächlich so dachte.

„Ich weiß Bescheid“, fuhr Cassian fort und ballte die Hände zu Fäusten. Entweder, weil er mit dem Gedanken spielte, seine Frustration doch noch an Rashid abzureagieren, oder um genau das zu verhindern. „Du warst einer von ihnen.“ Er deutete mit dem Kopf auf Jalal. „Er sagt, du warst der Beste. Niemand konnte es im Kampf mit dir aufnehmen. Und heute?“

„Ich kämpfe, wenn ich kämpfen muss. Gerade du solltest das wissen.“

„Im Palast habe ich dich nicht kämpfen sehen!“, presste Cassian zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Kein Schwerthieb hätte so verletzend sein können wie dieser Vorwurf.

Tränen verschleierten den Blick des Prinzen, und er griff an seinen Gürtel, um etwas hervorzuholen, das er Rashid in die Hand drückte. „Das habe ich im Unterwassertunnel gefunden. Zusammen mit den Überresten seines Trägers.“ Seine Stimme stockte und Rashid blickte fassungslos auf den Ring des Hauptmanns der Wache. „Er hatte auch das Amulett meiner Mutter bei sich“, fuhr Cassian fort. Er keuchte vor kaum bezwingbarem Kummer. „Ich will, dass sie leiden, Rashid. Du kannst mich dafür verachten, aber ich will, dass der Tod sie quält, so wie er meine Mutter vermutlich gequält hat. Und doch weiß ich, dass ich so nicht handeln kann. Sie werden viel zu leicht aus dem Leben scheiden und dieses Wissen reißt mich innerlich entzwei, weil es nur ein schaler Abklatsch der Genugtuung ist, die ich mir erhoffte.“

Ehe Rashid darauf antworten konnte, kehrte Cassian ihm den Rücken zu und folgte Jalal.

***

Allmählich sorgte sich Rumal zusehends um sein Land. Er stand am Fenster seines Gemachs und blickte auf die Stadt hinaus. Dabei lauschte er nur mit halbem Ohr den Worten seines Beraters Hussam. Die Dürre war schon wieder schlimmer geworden. Er wusste sich keinen Rat mehr, war sich jedoch sicher, dass auch in diesem Jahr die Opfergaben an die Götter nichts an der Not ändern würden. Es betrübte ihn, dass er derart machtlos war. Alles, was er tun konnte, war mit den Reichtümern aus seinen Schatzkammern andernorts die Dinge zu kaufen, die sein Volk so dringend benötigte. Doch irgendwann wären diese Reserven erschöpft. Was machte er falsch, dass er Ahmeds Erbe nicht gerecht wurde? Rumal seufzte tief.

Viele Menschen hatten Shalimar in den letzten Jahren verlassen. Es würden weitere folgen. Wenn das so weiterging, wäre dies bald nur noch eine Geisterstadt, die von der Wüste verschlungen wurde. Dafür war er nicht hierhergekommen, doch offenbar war es ihm nicht gegeben, das Ruder herumzureißen.

Rumal setzte all seine Hoffnungen auf den Brautwerber aus der Ferne, dessen Ruf zumindest bisher keine Wünsche offenließ. Vielleicht gelang es ja Prinz Kilian, nicht nur das Herz Sureijas, sondern auch des Volkes von Shalimar zu erobern. Seine Wunden zu heilen, wie er selbst es nicht vermocht hatte. Und das Glück hierher zurückzubringen.

Seufzend gab Rumal Hussam mit einem Nicken die Einwilligung, dem bedauernswerten Kaufmann, der gerade kurz davorstand, all sein Hab und Gut zu verlieren, ein Darlehen aus der Schatzkammer zur Verfügung zu stellen. Damit seine Familie nicht zu Bettlern wurde. Es ging nicht darum, sich dessen Wohlwollen zu erkaufen. Es war schlicht unvorstellbar, jemanden im Stich zu lassen, dem man helfen konnte.

Hussam verbeugte sich tief. „Ich werde die Summe in Eurem Namen …“

„Nein“, wiedersprach Rumal.

„Nein?“ Erstaunt hob Hussam die Brauen.

„Zahle seine Schulden und kaufe die Waren, die er noch besitzt. Lass es von einem Mittelsmann erledigen. Er muss nicht wissen, wohin die Sachen gebracht werden. Was zählt, ist nur, dass er einen neuen Anfang schaffen kann. Und seinen Stolz behält.“

Diesmal deutete Hussam die Verbeugung nur an. Missbilligung stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Wenn Ihr es befehlt.“ Etwas an der Entscheidung schien ihm ganz und gar nicht recht zu sein. Er wartete länger als nötig, als hoffe er, Rumal werde sie noch einmal überdenken.

„Du kannst gehen.“ Ihm stand nicht der Sinn danach, zu diskutieren.

Nachdem sich sein Berater zurückgezogen hatte, rieb sich Rumal die schmerzende Stirn. Vor zwanzig Jahren war er voller Hoffnung in dieses Land gekommen. Er hatte sich der Verantwortung gestellt, die das Schicksal ihm auferlegt hatte. Doch es blieb das Gefühl, alles falsch gemacht zu haben.

„Papa?“

Nun ja, vielleicht nur fast alles. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, als seine Tochter das Zimmer betrat. Wie immer war ihr Haar zerzaust und ihr Haremsgewand wies Spuren von Sand und Pflanzenresten auf, die sie ganz sicher nicht im Garten erworben hatte. Er schüttelte den Kopf, doch der Tadel war bereits aus seinem Sinn, als Sureija die Arme um ihn schlang und ihn auf die Wange küsste.

„Hattest du einen schönen Morgen?“, wollte er wissen.

Sie neigte den Kopf zur Seite und betrachtete ihn nachdenklich. „Vermutlich erfreulicher als der deine.“

Er tätschelte ihre Wange. „Sei froh, dass du als Frau zur Welt gekommen bist. Ein Land zu regieren, bereitet viel Kummer und Sorgen.“

Betroffenheit verdunkelte Sureijas Züge. „Vielleicht …“, begann sie zögernd, „wenn du mit den Menschen reden würdest. Scheich Ahmed hat das oft getan und …“ Sie brach ab und biss sich auf die Lippen.

Überrascht sah Rumal seine Tochter an. Dabei wusste er nicht, was ihn mehr verwirrte. Dass sie sich Gedanken über derlei Dinge machte oder dass sie wusste, wie Scheich Ahmed sein Volk geführt hatte. Über Ersteres sollte er sich wohl nicht wundern, denn Sureija hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie sich um die Menschen sorgte. Sie wäre eine gute Sheikha. „Woher weißt du von all dem?“, fragte er und hoffte, dass seine Stimme nicht so kraftlos klang, wie er sich gerade fühlte.

Ihre Wangen röteten sich, aber er hätte es ohnehin nicht über sich gebracht, böse auf sie zu sein, weil sie sich so gar nicht wie eine Prinzessin benahm. Er war daran nicht unschuldig, wie Hussam nicht müde würde, ihm vorzuhalten.

„Du wirst nicht mit mir schimpfen, wenn ich es dir sage, oder?“, fragte Sureija ängstlich.

Rumal schüttelte den Kopf und drückte sanft ihre Hand. Es war vielleicht nicht üblich, dass ein Herrscher auf den Rat seiner Tochter hörte, doch sie war ein kluges Mädchen, und er kannte sie viel zu gut, um zu denken, dass sie nur etwas nachplapperte, das sie irgendwo gehört hatte. Er selbst wusste keinen Rat, Hussam ebenso wenig. Was also sollte falsch daran sein, sich zumindest einmal anzuhören, was Sureija zu sagen hatte? Es konnte nicht schlechter sein als alles, was er bisher versucht hatte.

„Ich war in der Stadt“, gestand sie leise, blickte sich dabei um, als fürchtete sie, belauscht zu werden. Es war ihr demnach bewusst, dass ihr Verhalten sich nicht geziemte.

Dennoch ermutigte Rumal sie, weiterzureden. „Ich schätze, du warst nicht als Prinzessin und mit Begleitung dort.“ Er lächelte milde, um ihr zu zeigen, dass sie keine Strafe zu erwarten hatte.

Mit einem Mal wurde seine Tochter ganz ruhig und nachdenklich und ein Ausdruck tiefer Traurigkeit schlich sich in ihre Züge. „Ich denke nicht, dass die Menschen frei aus dem Herzen sprechen, wenn sie jemanden aus dem Palast in ihrer Nähe wissen. Sie vertrauen dir nicht, Vater. Ich verstehe nicht, warum, aber sie halten dich für einen schlechten und ungerechten Menschen. Alle trauern Scheich Ahmed und seiner Familie nach.“

Er nickte. Dass Scheich Ahmed bei seinem Volk ein hohes Ansehen genossen hatte, war ihm immer bewusst gewesen. Dass sein Volk aber von ihm selbst nun derart schlecht dachte, erschütterte ihn doch. Tat er nicht alles, damit es seinen Untertanen gut ging? Wann immer Hussam ihn im Namen der Stadt um etwas bat, gab er von Herzen gern. Er hatte neue Handelsabkommen getroffen und hielt die Steuern so gering wie möglich. Dass die Jahre zunehmend schwieriger wurden, lag nicht in seiner Verantwortung. Doch das einfache Volk mochte dies nicht verstehen. Was wussten sie schon von Politik und davon, wie viel es kostete, einem Reich wie Shalimar den Wohlstand zu bewahren?

„Vater?“ Sureija war von seinem Schweigen offenbar verunsichert.

„Es ist gut mein Kind. Ich danke dir, dass du es mir gesagt hast. Ich werde mit Hussam reden. Vielleicht kann ich etwas tun, das ihr Vertrauen in mich stärkt. Aber du darfst bitte nicht mehr allein in die Stadt gehen. Ich habe Angst um dich. Was, wenn man dich erkennt? Und selbst wenn nicht … du bist ein hübsches Mädchen. Das verleitet manchen Mann zu unlauteren Taten. Und bedenke, dass du vermutlich bald einen Prinzen heiraten wirst.“

Sie schluckte und straffte sich. Zwar neigte sie gehorsam den Kopf, doch Rumal entging nicht, wie sie ihre Lippen aufeinanderpresste. „Ganz, wie du wünschst, Vater. Doch wenn ich schon nicht dein Ohr sein darf, so überleg dir wenigstens, ob du nicht selbst einmal in Verkleidung in eine der Tavernen gehst und den Gesprächen der Männer lauschst. Oder dich an ihren Tempel setzt, wo die Frauen miteinander reden. Ich kann nichts Falsches darin erkennen, zu erfahren, was in ihren Herzen vorgeht. Ein Herrscher sollte das wissen, und Scheich Ahmed …“

Diesmal gebot er ihr Einhalt, indem er seine Hand auf ihr Haupt legte. „Hussam ist mein Ohr und mein Mund gegenüber Shalimar. Ich muss ihm Recht geben, dass es so sicherer ist, denn bedenke, was damals geschah, als du das erste Mal an deinem Geburtstag mit zum Tempel geritten bist. Wir sind noch immer Fremde hier, obwohl deine Mutter eine von ihnen war. Hussam kennen sie und vertrauen ihm.“

Zweifelnd blickte seine Tochter ihn an und schüttelte den Kopf. „Sie vertrauen Hussam nicht, Vater. Denke das nicht. Das Volk fürchtet ihn. Und ich … ich fürchte ihn auch.“

Erschüttert fasste Rumal sein Kind bei den Schultern. „Sureija, was redest du da? Hussam war es, der mich hierhergebracht hat. Seine Männer haben den Feind Shalimars besiegt. Sein einziger Fehler war, dass er zu spät kam. Wirft man ihm das vor?“

Sie hob zaghaft die Schultern. „Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass man in der Stadt nicht gut von ihm spricht. Frag Hauptmann Bogar, wenn du mir nicht glaubst. Ihm kannst du vertrauen.“

Ein leiser Stich meldete sich in Rumals Herzen. Wenn Sureija wüsste … Doch in einem gab er ihr Recht. Er hatte Bogar immer vertrauen können, wenn es darauf ankam, schließlich hatte der ihm in Kushtar das Leben gerettet, als der eigene Bruder versucht hatte, ihn zu ermorden.

Liebevoll legte er seine Hand auf Sureijas Kopf und wandte sich wieder dem Fenster zu. Beide verharrten in Schweigen.

***

Es war eine einsame Nacht gewesen, in der Cassian von allerhand Gedanken gequält und von noch schlimmeren Erinnerungen heimgesucht worden war. Jedes Mal, wenn ihn der Schlaf für kurze Zeit übermannte, kamen die Träume. Sah er die Palastmauern brennen, seinen Vater blutüberströmt im Innenhof liegen und seine Mutter im Rettungstunnel ertrinken. Er konnte nicht vergessen – jetzt weniger denn je.