cover
Eleonora Park

Und aus der Mitte entspringst Du





Elaria
80331 München

COPYRIGHTS UND IMPRESSUM

 

1. Auflage - November 2016 (unter anderem Titel/So ein frecher, ...)

2. Auflage/Neuauflage – Oktober 2017

3. Auflage/korrigiert-teilweise erweitert – September 2018

 

(Wien/Österreich)

 

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved.

Weitere Details/Kontaktdaten siehe letzte Seite

Covergestaltung: Eleonora Park

Autor: Eleonora Park

Überarbeitung/Korrekturen: Ylva Schauster (siehe Danksagung)

 

http://www.eleonorapark-books.weebly.com/

 

 

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors bzw. des Herausgebers "Eleonora Park" (siehe Kontaktdetails) unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung, außer den eigens gesetzten Maßnahmen! Ebenso ist der Druck, oder eine auszugsweise Veröffentlichung ohne vorherige Abstimmung mit dem Herausgeber strikt untersagt!

 

Ich wünsche Ihnen ein herrliches Lesevergnügen und würde mich über Ihr Feedback freuen. Schreiben Sie mir (siehe Kontaktdetails im Anhang) oder hinterlassen Sie auf einer Plattform Ihrer Wahl eine Rezension.

 

Herzlichen Dank, dass Sie sich für dieses Buch entschieden haben!

 

Herzlichst

Ihre Eleonora Park

 

KURZER HINWEIS ZU DIESEM ROMAN

 

Ich bitte Sie folgendes zur Kenntnis zu nehmen: Einige Namen sind abgeändert. Die Geschichte ist rein fiktiv. Sie spielt zwar (zumeist) an realen Orten, doch sind die Charaktere erfunden. Die Namen von Restaurants, Hotels und ähnlichem, sind teilweise auch abgeändert worden, obgleich es diese tatsächlich gibt.

Viel Freude am Lesen!

1 - Eigenartiger Montag, eigenartiger Nachbar

So viel Freude wie das Leben einem geben will, kann man oft gar nicht ersinnen. (E.Park)

 

„Nicht schon wieder,..“, grummelte Lora. Wie konnte er nur, dieser Fiesling. Ihr neuer Nachbar Michael Kansbrough hatte doch glatt ihr Auto zugeparkt. Fein säuberlich stand der protzige Lexus vor ihrem kleinen, aber feinen Fiat 500 und ließ ihr keinerlei Platz zum Ausparken. Er hätte ja ebenso gut in seinen eigenen Carport fahren können, aber dazu hatte er wohl keine Lust gehabt.

 

Dieser Mann war ihr von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen. Hochnäsig, arrogant, ein typischer Macho eben und das hier, mitten in Greenwich, wo es ordentlich und aufgeräumt war. Wo man sich noch freundlich grüßte und wusste, was sich gehörte. Einer der schönsten Stadtteile Londons in Loras Augen. Er, dieser Unausstehliche, war hier eindeutig fehl am Platze. Greenwich hatte sich seine Romantik erhalten, wurde gehegt und gepflegt und die Leute behandelten sich mit gegenseitigem Respekt und Freundlichkeit. Lora schloss die Türe zu ihrem neu renovierten Stadt-Reihenhaus, goss ihre zwei kleinen Rosenstöcke, die am äußeren Fenstersims standen und schritt entschlossen die Stiegen hinab, um stampfenden Schrittes das Haus links neben ihrem aufzusuchen und diesen Rüpel zu fragen, ob er noch ganz dicht war.

Ohne passenden Lippenstift ging das aber nicht und so hielt sie noch kurz inne und überprüfte ihr Spiegelbild in ihrem kleinen, mit Perlmuttsplittern besetzten Handklappspiegel. Ihre Wangen waren schon jetzt vor Wut gerötet und ihre Augen blitzten ihr zornig entgegen. Aus der rechten Trenchcoat-Tasche zog sie den Stift, der laut der Dame im Kosmetikladen von Notting Hill perfekt zu ihrem neuen Frühlingsoutfit passte. Sie trug dasselbe wie an jenem Tag. Einen hellgrauen Trenchcoat mit Metallic-Druckknöpfen, ein dunkelgraues Etuikleid mit feinen Samtärmeln und einen Schal, der sowohl Grautöne, als auch Rosétöne enthielt. Lora schminkte sich gerne, aber nie zu üppig, vor allem nicht für den Arbeitsalltag. Der neue Lippenstift gefiel ihr, weil er eine Mischung aus hellem Braun und sanftem Rosé war, mit einem leichten Metallic-Schimmer. In zwei Zügen zog sie ihre üppigen Lippen nach und nickte sich selbst aufmunternd zu. Dem würde sie es zeigen. Nicht, dass Lora diese Selbstaufmunterung benötigen würde. Sie war von je her eine starke Frau, außer einem kleinen Knacks, der aus einem kurzfristigen Burnout-Down herrührte. Was Männer anging, meinte sie aber, genau zu wissen, was sie wollte und wie sie es bekam.

 

Sie durchschritt ihren rechteckigen Garten, sah sich nochmals die Parksituation der zwei Autos an und schüttelte den Kopf. Noch bevor Lora den Nachbargarten betreten konnte, hörte sie lautstarke Geräusche aus einer mit Bodendeckern und Büschen bewachsenen Ecke. Ein Rumpeln, dann ein Fauchen und zuletzt eine Stimme, die etwas Unverständliches, aber hörbar Ungezogenes, fluchte. Kurz darauf sprang ihr Nachbar aus dem kleinen Geräteschuppen, stand plötzlich in voller Größe vor ihr und schüttelte sich mit grimmiger Miene.

 

„So ein Biest, diese Katze. Jetzt hat sie mich doch glatt besprungen, wahnsinniges Fellknäuel!“, grummelte er grantig vor sich hin und rieb sich das Genick, als hätte ihn ein Tiger angegriffen.

Lora beobachtete ihn und spürte sofort wieder Wut in sich aufsteigen. Sie war zielgerichtet zu ihm gekommen, um ihn in den Boden zu stampfen und nicht, um sich seine Haustierprobleme anzuhören. Sie straffte unvermittelt die Schultern und räusperte sich. Um Michael in die Augen zu sehen, brauchte es aber nicht nur eine gerade Körperhaltung. Der Mann war einen guten Kopf größer als sie und ein ziemlicher Apparat. Heute trug er einen Trenchcoat in Ocker, einen schwarzen Nadelstreifanzug und einen Burberry-Schal, den er sich locker um den Mantelkragen gelegt hatte. Auf eine Krawatte hatte er verzichtet. Er sah unheimlich männlich und gepflegt aus.

Lora schluckte und setzte an. Tausend Gedanken hatte sie im Kopf. „Mr. Kansbrough, guten Morgen. Ihr Wagen steht schon wieder so hervorragend perfekt vor meinem, sodass ich ihn nicht ausparken kann. Wären Sie so gütig, Ihren zu entfernen?“ Leicht amüsiert blickte er auf sie herab. Zumindest bildete sie sich das ein. „Ich muss wohl erst den Schlüssel wiederfinden. Der ist mir irgendwie abhandengekommen in der Hitze des Gefechts hier in der Hütte“, fand er schon wieder eine Ausrede, um nicht sofort das zu tun, was sie von ihm verlangte. Sie versuchte, ruhig und gelassen zu wirken, obwohl sie innerlich brodelte und tobte. Es war ja nicht das erste Mal, dass dieser zwar sehr gut aussehende, aber völlig ungehobelte Mensch ihr Ärger bereitete.

Er hatte ihre Mülltonnen befüllt, sodass sie keinen Platz mehr hatte, ihre Pflanze am Eingang ihres Gartens umgefahren und einen Teil ihres Rosenbogens zersägt. Das hatte er zwar dementiert, sie war jedoch nicht bereit, ihm zu glauben, da er seine Hecke zurückgeschnitten hatte, was der noch immer in einer Ecke liegende Haufen an zusammengestückeltem Gestrüpp verriet. Es gab sonst niemanden, der ihren Rosen so nahe hätte kommen können, er war ihr einziger Nachbar auf dieser Gartenseite. Dieser Mann konnte sich schlichtweg nicht ordentlich benehmen und seine Entschuldigungen waren schwabbelig, unverständlich. Scheinbar fiel es ihm schwer, sich zu entschuldigen oder zuzugeben, dass er etwas falsch gemacht hat. In Loras Augen war er nicht der Typ, der sich um seine Nachbarn kümmerte oder deren Probleme ernst zu nehmen schien. Besonders an diesem Montagmorgen interessierte es Lora gerade deshalb nicht, sich lang und breit mit ihm hinzustellen und zu diskutieren. Sie hatte einen Frühtermin und gleich darauf noch einen, mit Klienten in einem Londoner Bürocenter. Sie wollte und musste pünktlich erscheinen, wenn es ging ein wenig früher vor Ort sein, um im reservierten Raum alles vorzubereiten.

 

Sie hatte es sich zur Übung gemacht, ihren Tag zu steuern, und sich nicht in den Londoner Stress-Sog ziehen zu lassen. Zu Beginn ihrer selbstständigen Tätigkeit als Public Relationsmanagerin und Pressetexterin hatte sie sich noch mitreißen lassen, hatte sich nach den Wünschen ihrer Kunden gerichtet, kaum darauf geachtet, wie sie mit ihren akquirierten Aufträgen überhaupt fertig werden sollte und auch Arbeiten außerhalb ihres tatsächlichen Aufgabengebietes übernommen. „Ms. Brighton, können Sie auch ein Logo dazu kreieren? Sie machen das alles immer so schön. Ich weiß, Sie haben Ihre Prospekte selbst gestaltet. So ähnlich hätte ich es auch gern. Vielleicht könnten Sie die Aussendung doch zwei Tage früher durchführen? … blablabla“ „Aber natürlich, das kann ich für Sie erledigen“, blubberte es dann aus ihrem Mund und das nicht nur einmal. Zu viele „Jas, zu wenige „Neins“. Ihre Kräfte schwanden, kaum mehr Freizeit, die Arbeit stand an erster Stelle, da wo sie selbst ihren Platz hätte sehen sollen. Kurz vorm Burnout wurde sie wachgerüttelt. Ihre beste Freundin Carol lud sie zu einem Wellnesswochenende ein und hielt ihr einen sehr emotionalen Vortrag über die Gefahr sich aufzuopfern und die Grenzen verschwimmen zu lassen. Carol war resolut, aber herzlich und vor allem sehr bodenständig, durch ihren familiären Background. Diese Selbstsicherheit war rettend und holte Lora zu sich selbst zurück. Nach drei Coachingsitzungen bei einem Unternehmensberater und Burnout-Präventionsprofi konnte sie sich wieder fokussieren und ließ sich auch vom zuckersüßesten Klienten nicht aus ihrer Bahn werfen. Sie hatte nämlich eine Schwäche und die lautete: Hilflose Männer retten ist ehrenhaft. Und daher traf sie immer wieder Opfer, denen sie auf den Weg helfen konnte.

„Lora Brighton, dieses Mal bleibst du hart“, sagte sie innerlich zu sich und schnitt Michael Kansbrough nun das Wort ab: „Tut mir leid, was da mit Ihrer Katze ist, ich hab keine Zeit, mir das jetzt anzuhören, ich habe Kundentermine. Sie werden doch wohl einen Ersatzschlüssel auftreiben können!“, fuhr sie ihn an und strampfte leicht mit ihren frisch geputzten Lackstiefeletten auf. Ihre großen Augen funkelnden dabei und ihr schoss auch noch das restliche Blut in den Kopf.

Michael Kansbrough sah zwar nicht eingeschüchtert aus, aber er erkannte, dass seine Nachbarin an diesem Tag eher unentspannt als humorvoll unterwegs war. „Schon gut, rasten Sie nicht gleich aus, Ms. Brighton, ich werde den Schlüssel schon finden, ich muss nur im Kopf durchgehen, was ich in den letzten 10 Minuten alles gemacht habe.“ Er stand noch immer dicht vor ihr und sah sie spitzbübisch an. Es schien, als genoss er ihren Auftritt und wollte sich nicht aus der Ruhe bringen und schon gar nicht antreiben lassen.

In Lora keimte Stress auf, den sie nicht gewohnt war, den sie sich seit Monaten abgewöhnt hatte. Sie glühte förmlich aus allen Poren und hätte ihn am liebsten in die Hütte zu seiner wilden Katze gesperrt, auf dass sie ihn in seine hochnäsigen Einzelstücke zerlegen würde. Tief durchatmen, Konzentration auf die Körpermitte und auf die Fußsohlen. Erden, Mistkerl ..., nein, vertraue, er wird das machen. Er findet den Schlüssel und dann nichts wie weg hier.... Warum steht der noch immer so dicht vor mir? Ich geb jetzt auf keinen Fall einen Zentimeter nach. Ich kann ihn nicht ausstehen. Gutaussehende Machos glauben auch immer, sie können sich über kleinere, zierliche Frauen stellen und ihnen ihre breite Mannesbrust vor die Nase knallen und ihren Willen durchsetzen. Na gut, ganz so zierlich bin ich ja nicht, aber immerhin kleiner als er und schmäler.

 

Ihr innerer Dialog war wild und ungestüm. In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie hier etwas aus dem Weg zu räumen hatte. Sie musste ihrem Nachbarn entweder den Garaus machen und ihn verjagen, indem sie ihre „Frau“ stand oder ihn möglichst ignorieren und aus dem Wege gehen. Was Besseres fiel ihr dazu nicht ein. Denn mit ihm kam man ganz offensichtlich nicht schnell zu einer Einigung. Kansbrough kratzte sich am Kopf und tat so, als würde er nachdenken. Er fuhr sich durch sein gestyltes dunkelbraunes Haar, das er ein wenig länger trug. Es war leicht gewellt und trotzdem wirkte es nicht störrisch. Das männliche Gesicht war glattrasiert und mit Sicherheit eingecremt, es sah frisch und gepflegt aus. Die grünen Augen mit braunen Pünktchen, die in der Morgensonne funkelnden, machten einen verträumten, aber in Loras Augen auch durchtriebenen Eindruck. Wenn er lächelte, bildeten sich Grübchen auf den Wangen, die ihn noch jünger wirken ließen, als er vermutlich war.

Er musste wie sie um die 35 sein, es war schwer einzuschätzen. Kein Bauchansatz war zu sehen, dafür Anzeichen für ein Sixpack, schöne schlanke Beine und wann immer sie ihn in den letzten so herbstlichen Wochen,im Garten arbeiten sah, trug er enganliegende Langarmshirts, die die Rundungen seines Bizeps zur Geltung brachten. Lora hatte sich beim letzten Zusammentreffen einige Gedanken über ihn gemacht und nicht verstehen können, dass Gott den schönsten Männern die übelsten Charaktere verleihen musste. Für sie stand fest, dass Kansbrough einer von der übleren Sorte war, die oberflächlich und einfältig waren.

 

Sie war seit über 2 Jahren Single und fand es ganz gut, wie es war. Doch hier und da träumte sie von einem wunderbaren Idealmann, der irgendwann einmal in ihr Leben treten würde. So wie Kansbrough war er allerdings nicht, das hatte sie bereits festgestellt. Außen „hui“, innen „pfui“, das konnte sie nicht mehr in ihrem Leben brauchen. Seit gut 6 Monaten war er der neue Mieter des entzückenden Hauses und besonders in den letzten 4 Wochen begegnete sie ihm immer öfter. Davor war sie wohl noch mehr mit sich selbst beschäftigt gewesen. Lora hatte das Haus einige Jahre zuvor als Leihgabe von ihren Eltern erhalten, die nach Bournemouth in der Grafschaft Dorset gezogen waren. Der Küstenort zählte bis heute zu einem der schönsten Flecken Großbritanniens und war bekannt für schöne Landschaften und sein hinreißendes Flair. Vor knapp 6 Monaten hatten sie ihr dann eröffnet, dass sie sich so sehr an dieses beschauliche Leben gewöhnt hatten, dass sie entschieden hatten, für immer dort zu bleiben. Ihre Eltern vererbten ihr vom einen auf den anderen Tag das Haus in Greenwich und eine hübsche Summe „Renovierungsgeld“, wie sie es nannten. Lora konnte die Betriebskosten locker bezahlen, das Haus zu kaufen wäre aber mit ihrem monatlichen Budget nie möglich gewesen. Nach ihrem Publizistik-Studium und den Assistenzjobs bei einigen Tageszeitungen hatte sie sich zwar einen Puffer erarbeitet, der ihr in ihrer selbständigen Arbeit immer wieder eine Hilfe war, aber für ein Eigenheim hätte es nicht gereicht. Ihre Eltern sahen das lockerer als sie selbst. Sie hatten sich im Laufe ihres Lebens viel erarbeitet und wollten es einfach mit ihrer einzigen Tochter teilen. Loras Vater Ethan war Architekt im Ruhestand, ihre Mutter Daisy eine ehemalige Balletttänzerin, die weltweite Erfolge gefeiert hatte. Mit 40 wurde sie durch einen Bandscheibenvorfall aus dem hektischen und harten Prima-Ballerina-Leben geworfen und unterrichtete nach einigen Ausbildungsmodulen junge Mädchen als Tanztherapeutin. Weitaus entspanntere Jahre kamen danach, die auch der Beziehung zur eigenen Tochter guttaten.

Die ganze Familie war ausgeglichener und man respektierte einander. Über Geld wurde selten gesprochen, doch Lora wusste, dass ihr Vater, nach Abschluss vieler moderner Großprojekte und Übergabe seines Büros an einen erfahrenen Nachfolger, mehr als genug auf der hohen Kante haben musste. Und doch überraschte sie dieses Geschenk und beschämte sie etwas. Das Haus hatte für Londoner Verhältnisse einen durchaus beachtlichen Wert, alleine schon der Grund, auf dem es erbaut worden war, kostete mehr, als sie in 20 Jahren mit ihrem derzeitigen Einkommen verdienen hätte können.

Nach wochenlangem Hin und Her nahm sie es an und auch eine angebotene Bargeldsumme, die es ihr ermöglichte, es adaptieren zu lassen. Natürlich griff ihr Mr. Brighton unter die Arme und vernetzte sie mit einigen Top-Innenausstattern, die dem Haus zu neuem Glanz verhalfen.

Alles in Allem konnte sie sich schon immer zur wohlhabenden Klasse zählen und doch nahm sie sich selbst nicht so wahr. Sie wollte sich alles selbst erarbeiten und mit ihrem Beruf Erfolg haben und sich freilich selbst in den Spiegel sehen können. Das war zeitweise gar nicht so einfach. Sie kämpfte täglich um Aufträge, wollte in ihrem Umfeld bekannter werden und vor allem besser und wünschte sich schon längere Zeit eine Assistentin, der sie im Falle von Großaufträgen, einige Tätigkeiten überlassen konnte. Doch dazu würde sie vorab noch einige tausend Pfund mehr an Einnahmen erwirtschaften müssen, um eventuell in dem neuen stylischen Bürocenter ein festes Büro anmieten zu können, einige Schritte weiter zu kommen und um an die ganz großen Fische zu gelangen.

 

„Ha, jetzt hab ich‘s. Der muss im Zündschloss stecken“, rief Kansbrough plötzlich und tat so, als hätte er es nicht schon eher gewusst. „Das ist ja sehr erfreulich, dann kann ich jetzt wohl endlich los“, presste Lora zwischen den Zähnen hervor. Betont langsam glitt er an ihr vorbei und ging zum Auto, um kurz darauf einzusteigen und den Wagen ein stückweit zu bewegen, um ihn dann wieder auszuschalten.

Lora sah sich das Spektakel an und fragte sich, wozu das alles gut war und wozu sie sich eigentlich über so einen Typen den Kopf zerbrach. Er ließ das Beifahrerfenster herunter und lächelte sie ziemlich frech an, als er sagte: „Haben Sie jetzt genug Platz, oder soll ich noch ein paar Meter weiter fahren?“ Keine Frage, jetzt hätte ein Laster zwischen die zwei Autos gepasst. Schon wieder ein Minuspunkt. Sie war einfach nicht zu Scherzen aufgelegt und der Typ konnte sie weder erheitern, noch wollte sie sich noch länger mit ihm unterhalten. „Nein danke, es wird sich schon ausgehen“, antwortete sie keck, kramte ihren Autoschlüssel aus dem Trenchcoat und marschierte in Richtung ihres Fahrzeuges. Bloß weg hier, dachte sie und würdigte den Mann im Auto keines Blickes mehr. Andere Frauen mochten ja seinem Charme erlegen sein, aber sie zählte eindeutig nicht dazu. Als sie ihre Wohnstraße verlassen hatte und sich den sanften Klängen von Enya hingab, wurde sie wieder ein wenig ruhiger. Im Nachhinein betrachtet war alles harmlos. Er hatte wohl nur kurz vor ihrem Auto geparkt, den Schlüssel hatte er sicher nicht die ganze Nacht stecken lassen. Warum sie nicht gleich darauf gekommen war? Natürlich, sie war außer sich vor Wut und hätte ihm am Liebsten das Grinsen aus dem Gesicht geboxt. Was dieser Mann in ihr auslöste, war einfach nur furchtbar und im Grunde auch beschämend. Sie geriet jedes Mal aus ihrer Balance und so gar nicht sie selbst. Sie konnte ihm kaum in die Augen sehen. Dabei hatte sie doch seit ihrer letzten Beziehung immer alles unter Kontrolle. Die Gedanken an Michael Kansbrough wegwischend und sich auf den kommenden Tag fokussierend fuhr sie im dichten Frühverkehr nach Notting Hill in ein Bürozentrum, in welchem sie sich einen Meetingraum angemietet hatte. Die meisten ihrer Kunden luden sie zu sich in ihre elitären Büros ein. Für die wenigen, die zu ihr kommen wollten, hatte sie sich diese Zwischenlösung ausgesucht, die ihr einen professionellen Rahmen mit schönem Ambiente bot.

Der Tag verlief fast wie geplant. Der erste Kunde war ein aufstrebender Pianist des klassischen Genres, der für zwei Auftritte einen Text benötigte. Sie verfassten gemeinsam einige Zeilen und besprachen die Vorgehensweise und die Termine der Veröffentlichungen. Ein wirklich netter junger Mann, mit dem sie 10 Jahre früher sicher gerne mal ins Kino gegangen wäre. Der zweite Termin war ebenfalls männlich und weitaus reifer. Mr. Bridgewood von Bridgewood und Partners buchte sie gleich für 8 Texte zu unterschiedlichen Themen und Zeiten und einige Zusatzpakete, wie Blogeinträge und Facebook-Werbung. Als Unternehmensberater und Consulter half er vielen mittelständischen Unternehmen, die sowohl in Großbritannien, als auch in Irland ihren Sitz hatten. Er hatte sich ein stabiles Netzwerk aufgebaut und nun ging es um Themen wie vegane Foodstores, Immobilienmarketing, Sportartikel und einen neuen Radiosender, der kultige Musik und Modernes mischte und jede Woche prominente Interviews mit einem humoristischen Aufhänger ausstrahlte. Es stellte sich heraus, dass er ihren Vater kannte und so entstand eine angeregte Unterhaltung, die an die 3 Stunden dauerte. Sie ließen sich mehrere Kaffees vom Personal bringen und verabschiedeten sich gegen eins.

Ein erfolgreicher Tag, stellte sie fest, denn die Honorare würden locker ihren gesamten Monat abdecken. Es kam selten vor, dass sie gleich zu mehreren Themen von nur einem Auftraggeber gebucht wurde. Möglicherweise hatte ihr Vater ja tatsächlich die Finger im Spiel? Sie würde ihm beim nächsten Telefonat auf den Zahn fühlen. Die nachfolgenden Arbeiten würden mehrere Tage in Anspruch nehmen, da sie Schaltungen in Tageszeitungen buchen musste, mehrere Online-Portale zu kontaktieren hatte und die Marketingtrommel bei den Wirtschaftsblättern rühren wollte. Dazu hatte sie auch wieder Termine mit Redakteuren zu vereinbaren und einige Skype-Konferenzen würden wohl auch dazu kommen, da es um eine landesweite Kampagne gehen sollte und sie einige Kleinigkeiten outsourcen musste. Zuletzt wollte sie noch zwei Radiosender mit ins Boot holen, die bei den Morgensendungen gelegentlich über Themen wie Sport und Sonnenstudios berichteten, um somit eine gute Bandbreite an Aktivitäten zu erlangen. Facebook und Google+, sowie Twitter, mussten auch noch eingeschaltet werden, dazu hatte sie Kontakte aus dem Social-Media-Umfeld, die ihr zur Hand gingen. Mit ihren Notizen, ihrem Laptop, mit dem sie auch ihre Präsentationen und Referenzen zeigen konnte, machte sie sich auf den Weg, um sich mit ihrer Freundin Betty zu treffen, die ebenfalls in Notting Hill unterwegs war. Ihr Kopf war voll von Ideen und Planungen, wie üblich nach solchen Terminen.

 

Betty Marshall hatte ein kleines Atelier gemietet, in dem sie regelmäßig Vernissagen für Künstler veranstaltete und auch ihre eigenen Collagen ausstellte und in guten Zeiten auch erfolgreich verkaufte. Sie wollte auch einen Pressetext veröffentlichen lassen. Ihr würde sie aber einen Freundschaftspreis machen, so wie schon bei den vorangegangenen Aussendungen. Sie trafen sich zumeist bei Starbucks. Heute wollten sie miteinander zu Mittag essen. Kennengelernt hatten sie sich bei einem Yoga-Workshop, den Lora von einer ihrer Klientinnen als Dankeschön erhalten hatte. Sie fanden sich auf Anhieb sympathisch und kicherten und spaßten fast das ganze Wochenende lang. Danach tauschten sie Nummern aus und trafen sich regelmäßig zum Plaudern oder auf einen Kinoabend. Da Betty ebenfalls seit einiger Zeit Single war, konnte Lora fast immer damit rechnen, eine Sonntagsbegleitung zu haben, wenn ihr alles Grau in Grau erschien.

 

Der Tag war bisher gut gelaufen, einige Aufträge im Sack waren für sie nicht alltäglich. Sie stand geschäftlich noch nicht auf den stärksten Beinen, aber langsam kam alles in Fahrt. Irgendwie wünschte sie sich noch mehr Balance. Trotz ihrer anfänglichen Wut im Bauch über „Mister Rücksichtlos“ hatte sie noch rechtzeitig die Kurve gekratzt und klopfte sich innerlich selbst auf die Schulter, den gesamten Vormittag keinen Gedanken an ihn verschwendet zu haben. Es gab für sie im Moment weitaus wichtigere Dinge, als sich über den garstigen Nachbarn den Kopf zu zerbrechen. Ganz unbewusst sah sie sich in der ruhigen Gasse um, die zu dem guten indischen Lokal führte, wo es so leckeres Chicken Tikka Masala, gab und traute ihren Augen nicht. Besagter Nachbar persönlich stand da, in sein edles Gewand gehüllt und hatte einen anderen Mann im Arm und jetzt küsste er ihn auch noch innig auf die Wange, nein, er schmuste ihn ab und fuhr ihm verliebt durchs Haar. Der andere Typ war um einen Kopf kleiner, sah sehr niedlich aus und war eher sportlich gekleidet.

Na so was, der Mann war also schwul. Kein Wunder, dass er so eine Zicke ist, dachte Lora und schüttelte irritiert den Kopf. Schnell huschte sie um die nächste Ecke, damit sie die Szene besser beobachten konnte. Leider war nichts mehr zu sehen, da der junge Typ jetzt in ein Taxi einstieg. Michael, ihr Nachbar beugte sich nochmals hinein und küsste ihn vermutlich hingebungsvoll. Sie hielt sich noch immer versteckt, da sie nicht wollte, dass er mitbekam, wie sie ihm nachspionierte. Das Taxi fuhr ab und Kansbrough stand alleine da. Er fuhr sich durchs Haar, wie schon am Morgen und schien unentschlossen, bis er zu seinem Handy griff und zu telefonieren begann. Noch immer stand Lora an die Hausfassade gepresst und beobachtete ihn angespannt, obwohl es keinen Grund dafür gab. Plötzlich kitzelte sie etwas an den Waden und sie kippte erschrocken mit dem Absatz um. Ihr Knöchel verdrehte sich und sie kreischte unvermittelt auf und hielt sich an der Fassade fest. Eine flauschige Angorakatze zischte an ihr vorbei und sprang gelenkig auf das nächstgelegene Fensterbrett, um in einem runden Ausschnitt in der Scheibe zu verschwinden. Kansbrough telefonierte noch immer, hatte den Schrei aber gehört und wandte sich in ihre Richtung. Schnell zog sie ihren Kopf wieder zurück und schlug ihn sich an der Kante des Fenstersimses an. „Mist, autsch..., wie viele Katzen gibt es denn noch in London und Umgebung?“ Ihre Notebooktasche fiel ihr von der Schulter und landete grob auf dem Boden. „Was tue ich hier eigentlich?“, murmelte sie und versuchte ihre Einzelteile zusammenzusammeln. Und was tat der Mann in Notting Hill? Noch bevor sie anfangen konnte, diese Gedankengänge zu verfolgen, kam das nächste Taxi vorm Haus zum Stehen und ihr Nachbar stieg ein und fuhr davon. Als das typische, englische Black Cab außer Reichweite war, entspannte sich Lora wieder und merkte, dass ihr gesamter Körper in Alarmbereitschaft gewesen sein musste. Ihr taten neben dem lädierten Knöchel auch die Schultern weh und sie begann erst langsam wieder ihren eigenen Atem wahrzunehmen. Kopfschüttelnd trat sie aus ihrem Versteck und ging nachdenklich zu ihrer Verabredung.