Kolonie 85 eBook

Pia Fauerbach und Peter R. Krüger

Kolonie 85

Der Aufbruch

 

 

Impressum

 

Originalausgabe | © 2018

in Farbe und Bunt Verlags-UG (haftungsbeschränkt)

Kruppstraße 82 - 100 | 45145 Essen

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Alle Rechte liegen beim Verlag.

 

Herausgeber: Mike Hillenbrand

verantwortlicher Redakteur: Björn Sülter

Lektorat & Korrektorat: Telma Vahey

Cover-Gestaltung: Eileen Steinbach

E-Book-Erstellung: Grit Richter

 

Kapitel 1

 

›Die Geschichte lehrt uns, dass Irrtümer immer wieder geschehen und manchmal sogar ganz beabsichtigt verbreitet werden. Heute kann man sich kaum noch vorstellen, dass die Menschen einst tatsächlich glaubten, die Welt sei eine Scheibe und würde man über ihren Rand segeln, wäre der Sturz in einen ewigen Abgrund die Strafe dafür.

Auch gab es einst Theorien, dass die Erde der Mittelpunkt des Universums wäre und die Sterne und Planeten wie an einer Käseglocke herabhingen.

Die Wissenschaft konnte vieles von dem, was uns als Wahrheit dargeboten wurde, aufklären und widerlegen. Nicht jedoch ohne ein gewisses Maß an Risiko. Lange Zeit wurde sie als Ketzerei verurteilt. Die Inquisition verfolgte die sogenannten Ketzer und Häretiker, ließ sie verurteilen und verbrennen.

Natürlich steckte hinter all dem auch die Angst, an Macht zu verlieren. Wer würde noch darauf hören, dass die Welt eine Scheibe ist, wenn das Gegenteil schon lange bewiesen wurde?

Und doch steckte noch mehr dahinter, als selbst die weisesten Menschen seinerzeit vermuteten. Ein Geheimnis sollte verborgen werden, dessen Offenbarung möglicherweise die gesamte Welt-ordnung ins Wanken hätte bringen können.

Doch die Fragen existierten bereits, nur traute sich niemand, sie laut zu stellen.

War es möglich, die Erde zu verlassen, um andere Planeten zu besuchen? Gab es vielleicht sogar Leben da draußen?

Unsere Generation tat, was vorher nicht möglich war. Wir flogen zu den Sternen, um Antworten zu erhalten. Unser Sonnensystem war mittlerweile erkundet, der Mars besiedelt. Aus den Nationalstaaten wurden Unionen, aus den Unionen erwuchsen Kontinentalregierungen und die Feinde der Wissenschaft verloren im Laufe der letzten Jahrhunderte an Macht.

Der erste interstellare bemannte Raumflug sollte der Menschheit endlich Antworten auf die Fragen bringen, die so lange unbeantwortet blieben.

Der Wissensdurst berücksichtigt jedoch selten die Tatsache, dass diese Art von Aufklärung oftmals neue Fragen aufwerfen und das Leben meist noch komplizierter machen. Wenn dann die Ergebnisse nicht so ausfallen, wie man es sich erhofft hatte, kann Unwissenheit durchaus ein Segen sein.‹

 

Die Wiege der Menschheit

Michael Barnetti

 

 

Fünf Jahre war das erste interstellare Raumschiff der Erde unterwegs, um das nächstgelegene Sternensystem, Alpha Centauri, zu erforschen. Es trug den Namen ›Voyager‹, in Anlehnung an die ersten Raumkapseln aus dem zwanzigsten Jahrhundert der Erde, die den Weltraum erforschen sollten. Diese ›Voyager‹ startete im Jahre 2233 von der Orbitalstation ›Babel‹, welche in einer nahen Umlaufbahn zum Planeten Mars positioniert war.

Die vierköpfige Besatzung wurde aus Gründen der Versorgung und Lebenserhaltung in Kältestasis versetzt, während ein Hochleistungscomputer die Reise überwachte. Die Stasiskammern bewirkten, dass die Besatzung während der langen Reise kaum Vorräte verbrauchte. Die wenigen Nährstoffe, welche die Körper in diesem Zustand benötigten, um ihre Lebensfunktionen aufrecht zu erhalten, wurden ihnen durch ein ausgeklügeltes System in der Recyclematrix der Kammern zugeführt. Der Alterungsprozess war über die Jahre durch die spezielle Technologie dieser Kälteschlafkammern kaum messbar.

Der Computer musste während der Reise lediglich eine Kurskorrektur aufgrund gravimetrischer Störungen, die durch Sonnenwinde verursacht wurden, vornehmen.

Das gesamte Schiff glich einem Geisterschiff. Kein Leben an Bord, nur vereinzelt blinkten Dioden in der Dunkelheit, die durch ihr grünes Leuchten anzeigten, dass sämtliche Prozesse des Bordcomputers einwandfrei funktionierten, einschließlich der Kontrolle der Kälteschlafkammern.

Nur kurze Zeit bevor die ›Voyager‹ das Sternensystem Alpha Centauri erreichte, schaltete der Bordcomputer die Kälteschlafkammern um, damit die Mannschaft aufwachte. Der Prozess dauerte mehrere Tage, denn die Vitalfunktionen der Körper mussten auf die Umgebung eines natürlichen Ablaufs umgestellt werden.

Der Computer öffnete die Kammer von Captain Alexandra Scott. Sie war die Erste, deren Vitalfunktionen den Normwerten entsprachen.

Captain Scott leitete als einziges militärisches Crewmitglied zusammen mit Michael Barnetti, die Mission der ›Voyager‹. Während Barnetti das zivile Kommando besaß, war es Captain Scotts Aufgabe, im Falle militärischer Entscheidungen das Kommando zu übernehmen. Des Weiteren wurden ihre Kenntnisse in den Bereichen der Informatik und der Linguistik als äußerst nützlich für diese Mission eingestuft.

Noch bevor sie ihre Augen öffnete, wurde vom Bordcomputer ein gedämpftes Licht eingeschaltet, das den runden Kammerraum erleuchtete.

Captain Scott blinzelte. Es dauerte eine Weile, bis sich ihre Augen an das gedämpfte Licht gewöhnten. Ein leises Zischen verriet ihr, dass die benachbarte Kapsel, in der Michael Barnetti ruhte, sich ebenfalls öffnete. Die Kammern von Leandra Thuis und Arthur Jones waren noch nicht soweit.

Alexandra versuchte, sich langsam zu bewegen, jedoch scheiterte dieser Versuch kläglich. Noch nie war ihr so übel gewesen. Schlimmer war aber, dass sie kein Gefühl in den Beinen besaß. Sie zwang sich einige Male ruhig durchzuatmen, ihrem Körper mehr Zeit zugeben und vor allem nicht in Panik zu geraten. Die Ärzte hatten die Crew darauf eingeschworen, dass auch eine noch so hochentwickelte Kälteschlafkammer den Muskelabbau nicht gänzlich verhindern konnte. Ebenfalls brauchte ihr Kreislauf Zeit, sich an die neuen Begebenheiten zu gewöhnen.

Langsam kehrten ihre Lebensgeister zurück. Sie konnte ihre Gliedmaßen bewegen und auch den Kopf soweit drehen, um zu Barnettis Kammer zu schauen, der mit ähnlichen Problemen kämpfte. Eine widerspenstige Haarsträhne fiel ihr dabei ins Gesicht, doch sie hatte noch nicht die Kraft, sich darum zu kümmern. Als Scott versuchte, eine Faust zu ballen, bemerkte sie, dass ihre Fingernägel sich in die Handinnenfläche bohrten. Das würde sie schnell ändern müssen. Ein weiterer Punkt, in welchem die Kammern eine mangelnde Funktion aufwiesen, sie hielten das Wachstum von Haaren und Nägeln nur in begrenztem Maße zurück.

Sie atmete nochmals tief durch und wagte einen erneuten Versuch. Und diesmal gelang es. Mehr schlecht als recht wankte sie zur Computerkonsole, um die Funktionen der anderen Kammern zu überprüfen.

Nach den Anzeigen zu urteilen, würden Jones und Thuis noch einige Zeit benötigen. Solange würde sie warten, ehe sie den Gravitationsstabilisator betätigte. Ein Grund, warum es ihr nun so schnell gelang, aus der Kammer aufzustehen, war die niedrige Schwerkraft. Momentan betrug sie nur ein Drittel der Erdgravitation, das würde auch ihren Mitreisenden das Erwachen vereinfachen. Nachdem sie wegen ihrer viel zu langen Fingernägel einige Tasten verfehlte, brauchte sie länger, um weitere Anzeigen zu überprüfen. Barnetti hatte diese Zeit genutzt und wankte nun mit unsicheren Schritten auf sie und die Computerkonsole zu.

 

/////

 

»Und Captain, sind wir da, wo wir hinwollten?«, fragte er ohne Umschweife, in einem gemäßigten Tonfall, wobei er versuchte, seine braunen Haare mit den Fingern nach hinten zu streichen. Waschen, kämmen und eine Rasur, das waren die Dinge, die Michael Barnetti erledigt haben wollte, ehe die Mission richtig startete.

»Ja, laut Anzeige werden wir das Sternensystem in zweiundvierzig Stunden erreichen«, antwortete sie dem zivilen Missionscommader pflichtschuldig und fixierte ihn mit ihren tiefgrünen Augen. »Innerhalb der nächsten drei Stunden werden auch Thuis und Jones aus der Stasis erwacht sein.« Insgeheim wurmte es sie noch immer, dass die Mission von Zivilisten geleitet wurde und sie alleine das Militär repräsentierte.

»In Ordnung, dann haben wir ja noch Zeit«, sagte Mike, während er sich genüsslich streckte, um die Steifheit aus den Knochen zu vertreiben. Obwohl er stets nur das Mindestmaß an Sport trieb, zu dem ihn die World Space Administration auf der Erde angehalten hatte, bemerkte er mit einer gewissen Zufriedenheit, dass sich sein Körper während des Kälteschlafs ganz gut gehalten hat. »Wie lange haben wir eigentlich geschlafen?«

»Genau vier Jahre, elf Monate, neunzehn Tage, elf Stunden und fünfundvierzig Minuten«, gab sie nüchtern zur Antwort.

»Wie, Captain, keine Sekundenangabe?« Er versuchte, sie, mit einem Lächeln im Gesicht, zu necken und etwas aus der Reserve zu locken.

»Und dreiunddreißig Sekunden.«

Damit war für beide klar, absolut nichts hatte sich an ihrem beiderseitigen Verhältnis geändert.

»In Ihnen steckt einfach zu viel Militär und zu wenig Humor«, meinte er schließlich mit einem eher ernüchterten Unterton und versuchte abermals, seine Haare nach hinten zu kämmen. Er musste sich eingestehen, dass er sie durchaus attraktiv fand. Vor allem, wenn sie, wie jetzt, ihr langes rotbraunes Haar nicht streng zurückgeflochten hatte, sondern offen trug. Aber ihre egozentrische Art und ihr oft arrogantes Verhalten halfen ihm nicht dabei, sie mehr zu mögen als einen Fahrkartenkontrolleur. Im Laufe ihres Trainings auf der Erde und dem Mars einigten sie sich zwar darauf, sich gegenseitig mit ihren Spitznamen anzureden, aber das funktionierte nur mäßig. Besonders Alexandra ›Alia‹ Scott hatte offensichtlich Schwierigkeiten damit, ihre militärische Haltung fallen zu lassen und lockerer zu werden. Wie er später erfuhr, hatte sie dieses Zugeständnis im Trainingslager nur deshalb gemacht, weil die Verantwortlichen des Programms Schwierigkeiten in der Sozialkompetenz der Gruppe sahen und man es ihr befohlen hatte. Insgeheim bedauerte er es ein wenig, doch er versuchte, sich damit abzufinden.

»Wenn Sie meinen«, war ihre einzige Antwort auf seine Bemerkung. Er sah sie an. Am liebsten hätte er versucht, sie irgendwie zum Lachen zu bringen, aber mittlerweile hielt er es für aussichtslos. Stattdessen bewegte er sich auf die Tür zu.

»Ich werde mal sehen, ob sich irgendwo ein Kaffee auftreiben lässt. Es gab doch irgendwo eine Bordküche.« Er grinste sie noch einmal an. »In fünf Jahren vergisst man den Grundriss des Schiffes. Ich mache mich mal auf die Suche.«

 

/////

 

»Sie dürften von den fünf Jahren bestenfalls ein paar Minuten miterlebt haben!«, rief sie ihm hinterher, ehe ihr bewusst wurde, dass er sie eben auf den Arm genommen hatte.

›Vollidiotischer Pausenclown‹, dachte Alia gereizt und blickte ihm wütend nach. Michael ›Mike‹ Barnetti hatte schon während des Vorbereitungstrainings versucht, sie aus der Reserve zu locken. Jedoch war er immer gescheitert und dabei wollte sie es belassen.

Langsamer als gewohnt flocht sie ihre Haare zurück, da ihr ständig die langen lockigen Strähnen ins Gesicht fielen. Sie hätte sich vor dem Flug eine Kurzhaarfrisur gönnen sollen, wie Lee es getan hatte. Das wäre effizienter gewesen. Jetzt merkte sie, dass ihre Feinmotorik noch etwas träge war. Sie entschloss sich, mit kleinen Übungen gegen die Nachwirkungen des Kälteschlafs anzukämpfen. Strecken, Muskeln anspannen, die Finger bewegen. Ein kurzes Aufwärmen, um den Körper wieder in Schwung zu bringen.

Danach kontrollierte sie nochmals die Daten an der Computerkonsole und berechnete den vorläufigen Kurs der ›Voyager‹, solange die Navigatorin, Leandra Thuis, noch schlief. Dabei fiel ihr eine Kurskorrektur auf, welche das Schiff vorgenommen hatte. Ein Aspekt, den sie sich in den nächsten Tagen noch einmal genauer ansehen wollte. Vertieft in die Analysen, bemerkte Alexandra die Rückkehr von Michael erst, als er ihr eine Tasse heißen Kaffee unter die Nase hielt. Glücklicherweise hatten die Theoretiker mal mitgedacht und ihnen Spezialgeschirr für verschiedene Schwerkraftverhältnissen mit auf die Reise gegeben.

»Danke«, sagte sie und nahm die Tasse von ihm entgegen, ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden. Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete sie, wie er unmerklich mit den Schultern zuckte und sich ein Stück von ihr entfernt auf einer der Transportkisten niederließ.

 

/////

 

Mike ließ seinen Blick durch den kleinen Raum schweifen, während er auch auf die Navigationskontrolle schaute, an der noch immer der Captain stand. Die Sensoren an Thuis’ und Jones’ Kammern gaben in regelmäßigen Abständen blinkende Signale ab, ein Zeichen dafür, dass ihre Stasis auch bald ein Ende haben würde. Er wandte sein Augenmerk wieder auf Alia, die auf die Anzeigen starrte. Mike nahm sich für einen Moment die Zeit, sie etwas genauer zu mustern und weiter seinen Kaffee zu trinken. Als er den Captain damals kennengelernt hatte, war es ihm zuerst schwergefallen, zu glauben, dass Alia Neu-Ägypterin war. Im Gegensatz zum Großteil der ägyptischen Bevölkerung war sie ziemlich groß und mit einem Meter und 77 Zentimetern nur einen halben Kopf kleiner als er selbst. Wobei er mit seinen sieben Zentimetern mehr auch kein Riese war. Auffallend an Captain Scott waren aber besonders ihre helle Haut und die tiefgrünen Augen. Sie besaß eigentlich keine landestypischen Eigenheiten bis auf die markanten Gesichtszüge und die Augenpartie, die ihn sehr an antike Wandmalereien aus ihrer Heimat erinnerten. Er erinnerte sich wieder daran, dass Scotts Vater ein hohes Tier in der Armee der Nordamerikanischen Union war und aus Bosten stammte.

»Wollen Sie mir etwas sagen, Barnetti oder gaffen Sie mich nur an, weil Ihnen langweilig ist?«, riss ihn Alias säuerliche Stimme aus den Gedanken. Dass sie Mike mit seinem Nachnamen ansprach, war ein deutliches Zeichen ihrer Verärgerung.

Er musste lächeln, was Alia jedoch weniger amüsant fand. »Wissen Sie, Captain-« Er verstand sich ebenfalls darauf, förmlich zu werden. »-in den letzten fünf Jahren haben Sie sich überhaupt nicht verändert. Fast dachte ich, Sie könnten doch etwas umgänglicher geworden sein. Doch ich muss feststellen, dass Sie noch immer genauso hart und korrekt sind, wie es jede Militärakademie verlangt.« Er belegte ›hart‹ und ›korrekt‹ extra mit einem sarkastischen Unterton, um sie noch etwas zu reizen. Vielleicht würde sie ja doch einmal darüber nachdenken, dass diese Mission kein Kriegseinsatz war, sondern dazu diente, der Menschheit neue Wege in die Galaxie zu bahnen. Sollte sich herausstellen, dass Alpha Centauri bewohnbar war, dann könnte diese Erkenntnis der erste Schritt zu weiteren Planetensystemen sein.

»Wie ich schon mitgeteilt habe, dürften Sie nur wenige Minuten der letzten fünf Jahre bewusst wahrgenommen haben. Daher vergeude ich meine Zeit nicht damit, unqualifizierte Bemerkungen von mir zu geben«, antwortete Alia dann. Das saß!

Mike setzte sich in Bewegung, um den Raum zu verlassen.

»Ich werde das Flugprotokoll durchgehen. In den letzten Jahren sind sicher einige Aufzeichnungen von den Bordsensoren vorgenommen worden, die meiner qualifizierten Kenntnisse bedürfen. Dann störe ich Sie auch nicht mehr bei Ihrer Studie über die Vitalkontrolle unserer Besatzung.« Er ließ sie hörbar wissen, dass er beleidigt war, wusste aber genau, dass es den Captain nur wenig stören würde.

 

/////

 

Nachdem sie davon überzeugt war, sich Barnetti vom Hals geschafft zu haben, wandte sich Alia von der Konsole ab und nahm genüsslich einen Schluck Kaffee. Sie und die Anderen hatten ein mehr als 4,35 Lichtjahre entferntes Ziel erreicht. Bis vor wenigen Jahren hielt man es noch für unmöglich, dass Menschen eine solche Entfernung überwinden konnten und nun waren sie da. Unglaublich!

›Was hättest du wohl dazu gesagt, David?‹ Sie gönnte sich etwas Auszeit und hing ihren Gedanken nach, ohne zu bemerken, wie schnell die Zeit verging. Durch ein leises Audiosignal wurde sie aus ihrem Gedankengang gerissen. Es war die Kammer von Leandra ›Lee‹ Thuis. Sie würde sich in wenigen Minuten öffnen.

»Barnetti, kommen Sie wieder in die Schlafkammer. Thuis wacht gerade auf.« Sie nutzte das interne Kommunikationssystem an Bord des Schiffes.

Heimlich bewunderte sie Lee Thuis für ihre lebensfrohe Art etwas, auch wenn sie es nie freiwillig zugegeben hätte. Lee war eine geniale Raumfahrttechnikerin, die sogar alteingesessene Professoren gelegentlich vor den Kopf stieß. Ihren Master für Aircraft und Flight Engineering hatte sie mit den besten Noten bestanden.

Nur eine Minute nach ihrer Durchsage war Barnetti wieder da, mit einer weiteren Tasse Kaffee, diesmal für Thuis. Ohne, dass sie es bewusst gewollt hätte, schoss Scott plötzlich ein Bild durch den Kopf, welches ihn als Bedienung in einem antiken Café zeigte. Nur mit Mühe konnte sie ein Lächeln unterdrücken und schaute auf die Anzeigen von Thuis’ Stasiskammer, um wieder auf andere Gedanken zu kommen.

Die Kammer öffnete sich langsam. Scott sah Thuis einige Male blinzeln, damit sich ihre Augen an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnten.

»Versuche, dich langsam zu bewegen, Lee«, riet Mike und reichte ihr seine Hand, als sie Anstalten machte, aus der Kammer zu steigen.

»Ihnen wird zunächst schwindelig sein und Lähmungen der Gliedmaßen werden auftreten, doch das ist nur von kurzer Dauer«, erklärte Captain Scott sachlich, ehe sie fortfuhr. »Da Sie noch nicht aufgewacht waren, habe ich bereits den vorläufigen Kurs auf Proxima Centauri berechnet.«

Lee wuschelte sich durch ihren kupferfarbenen Haarschopf. Aus ihrer glatt anliegenden Kurzhaarfrisur war nun ein Bob geworden, der in alle Richtungen abstand.

»Cool, danke! Dann haben wir unser Ziel erreicht?« Ohne eine Antwort abzuwarten, redete sie weiter. »Was macht Junior, oh, ich meine Arthur?«

»Laut Computer dürfte es bei ihm maximal noch zweiunddreißig Minuten dauern, ehe er aufwachen wird.« Scott bemerkte, dass Lee ihre militärisch-korrekte Aussage zwar zur Kenntnis nahm, aber sie selbst ignorierte. Ihre Aufmerksamkeit galt vielmehr Mike.

»Oh Kaffee! Mike, du bist mein Held!«, rief sie freudig und nahm die Tasse entgegen.

»Gerne«, antwortete Mike knapp, setzte ein leichtes Lächeln auf, was dank seiner schiefen Nase merkwürdig aussah. Scott konnte ein Verdrehen der Augen nur mit Mühe unterdrücken. Das war schlimmer als jede Seifenoper.

Lee nippte an ihrem Kaffee und sah sich im Raum um.

»Man kann nicht gerade sagen, dass es hier besonders wohnlich ist, oder?«

Sowohl Captain Scott, als auch Mike stimmten ihr zu. Die Räumlichkeiten waren funktionell gehalten, die Wände glatt und in einem angenehmen warmen Weiß getönt. Seit der ersten Besichtigung des Schiffes in der Werft wirkten alle Innenräume des Schiffes eher wie ein Teil eines Krankenhauses.

»Na ja, wenigstens schmeckt der Kaffee schon mal. Sobald Arthur wach ist, sollten wir uns auf der Brücke an die Arbeit machen«, meinte Lee zwischen zwei Schluck Kaffee und versuchte dabei, sich langsam an die Schwerkraft zu gewöhnen.

Der Captain wollte dies kommentieren, doch Barnetti kam ihr zuvor und nickte »Ja, Arjay braucht noch ein wenig. Er sollte gleich die Technik prüfen. Ich denke zwar nicht, dass wir Überraschungen erleben werden, doch ist mir wohler bei dem Gedanken, zu wissen, dass alles in Ordnung ist.«

»Nenn ihn doch nicht immer Arjay«, protestierte Lee daraufhin. »Du weißt genau, dass er das nicht mag.«

»Er geht allen auf den Geist, das liegt in seiner Natur«, mischte sich Scott mit einem Nicken in Mikes Richtung ein.

Dieser wirbelte herum und nahm eine gespielt empörte Haltung an. Dabei fielen ihm wieder die langgewachsenen Haare ins Gesicht.

»He, das ist unfair. Nur weil das Neu-Ägyptische Militär keinen Spaß versteht, heißt das noch lange nicht, dass wir uns hier alle wie gefühllose Maschinen aufführen müssen.«

Lee ging dazwischen »Es reicht jetzt. Ihr beide solltet nicht dauernd eure kleinen Streitereien so aufbauschen.«

Stille. Keiner der Drei sagte für einen langen Moment auch nur ein Wort. Bis Mike durchbrach: »Es stimmt, was Lee sagt. Also, ich versuche, etwas zurückhaltender zu sein, wenn du etwas lockerer wirst. Was hältst du davon?«

Der Captain war drauf und dran einfach ›nein‹ zu sagen, überlegte es sich dann doch anders. »Ich weiß, dass Sie …« Sie zögerte einen Moment. »… du Zivilist bist. Ich werde versuchen, das in Zukunft zu berücksichtigen.« Es kostete sie viel Überwindung, Barnetti dieses Zugeständnis zu machen. Alia wusste um ihre Defizite des sozialen Umgangs und Verhaltens, doch sie war nicht hier, um Freundschaften zu schließen, sondern um eine Mission zu erfüllen. Ein Punkt, den die anderen Beiden scheinbar nicht hoch priorisiert hatten.

»Dann wäre das ja geklärt«, sagte Mike lächelnd, als er Alia die Hand zum Einschlagen anbot. Mit etwas Zurückhaltung nahm sie schließlich den Handschlag an.

»Jetzt werde ich aber schnell nachsehen, ob Arjays Kaffee fertig ist. Nicht, dass der Gute ohne ihn wach werden muss.«

Gerade als er den Raum verließ, öffnete sich auch schon die letzte Kammer, und Arthur Jones erwachte aus seinem Kälteschlaf.

»Ruhig, Arthur.« Diesmal war es Lee, die half. »Sei vorsichtig, du musst dich wieder daran gewöhnen, deine Muskeln zu beanspruchen. Setz dich mal hin. Mike wird dir gleich einen Kaffee bringen.«

Alia war dankbar dafür, dass sich Lee Jones annahm. Sie hatte eine Ersthelfer-Ausbildung und war im Umgang mit anderen Menschen weitaus geübter als Alia selbst. Aber sie sah auch, dass Arthur Jones die Reise von allen Besatzungsmitgliedern am schlechtesten überstanden hatte, obwohl er biologisch das jüngste Bordmitglied war. Auch seine Haare waren länger geworden und der für ihn sonst so typische Stoppelhaarschnitt war ziemlich verwachsen. Mit seinen braunen Augen wirkte er fast wie ein Teddybär. Arthur versuchte, mit sehr weichen Knien auf die Füße zu kommen.

»Himmel, diese Kammern sind wirklich scheußlich. Ich komme mir vor, als wäre ich in einem üblen Albtraum gefangen.«

Alia blickte auf und musterte ihn. Er war noch keine Dreißig, hatte braune Haare, ein scharfes Kinn und war sehr hager. Doch trotz seiner eher schmächtigen Figur, gab es laut Diagnosecomputer keine wirklichen Schwierigkeiten. Das Ergebnis wurde für alle sichtbar an einer Holoprojektion dargestellt.

»Na, da bin ich ja schon mal beruhigt«, antwortete er aufrichtig, während Lee ihn etwas genauer untersuchte.

»Ich hätte nicht gedacht, dass ich meine Kenntnisse aus der Saniausbildung schon so früh benötigen würde«, sagte sie im Scherz, »aber sie hat sich schon ausgezahlt.« Arthur musste lächeln.

»Wenn das so ist, dann hätte ich meine ja gar nicht machen brauchen.«

»Oh, doch!«, protestierte Mike, der gerade mit einem frisch gebrühten Kaffee für Arthur in der Hand wieder in den Raum kam und ihm diesen übergab. Alia fragte sich, ob er das wohl die ganze Reise über machen wollte. Es wirkte einfach lächerlich, dass der kommandierende Offizier wie ein Praktikant jedem eine Tasse Kaffee brachte. Allerdings hatte das Getränk, dass stets gerne als Kaffee bezeichnet wurde, einen weitaus nützlicheren Wert. Tatsächlich lieferte es dem Körper viele Vitamine, Salz, Kalzium und andere Aufbaustoffe, um den Körper nach den fünf Jahren Kälteschlaf wiederaufzubauen. Sie alle wussten das und Alia beließ es dann auch einfach dabei, dass es vermutlich zu Mikes Pflichten gehörte, alle Besatzungsmitglieder mit den notwendigen Aufbaupräparaten zu versorgen.

»Wenn du es nicht gemacht hättest, dann wäre wohl Alia diejenige gewesen, die den zweiten Kurs belegt hätte. Und während ich dann im Notfall von Lee geheilt werde, würde dich dann unsere reizende Amazone in den Schwitzkasten nehmen.«

Alia schaute Mike mit einem vernichteten Blick an, sagte aber nichts.

Lee allerdings schon. »Mike!«

Er zuckte leicht zusammen. Er hatte nicht darüber nachgedacht, was er eher für Arthur als Erheiterung ausgesprochen hatte. Erst, als Mike den Mund wieder geschlossen hatte, wurde ihm bewusst, wie er in Alias Ohren klingen würde. »Entschuldigung, das war vielleicht-«

»Total daneben«, beendete Lee seinen Satz brüskiert und für einen unangenehm langen Moment herrschte bedrücktes Schweigen.

Mike Barnetti nickte und stimmte Lee zu. Grundsätzlich hatte er kein Problem mit Alia oder ihrer zurückhaltenden Art, vielmehr hatte er eine Abneigung gegen das Militär an sich. Das ganze Kompetenzgerangel und Dienstgradgehabe war ihm stets zuwider. Er hatte es damals geschafft, sich von seiner Wehrpflicht bei den eurasischen Verbänden entbinden zu lassen, indem er sein Studium und später seine Doktorarbeit vorschob, bis er schließlich das Höchstalter für den Wehrdienst überschritt.

Wäre Alexandra Scott nicht ausgerechnet beim Militär gewesen, hätte sich Mike niemals so danebenbenommen. Er wusste das und bis zu einem gewissen Maß tat es ihm sogar leid, denn er mochte sie auf eine Art, nicht aber, wofür sie stand.

Trotz Lees Eingreifen, und dem Versuch, die Situation zu entschärfen, schaute Alia noch immer wütend zu ihm hinüber. Sie sagte etwas auf Italienisch zu ihm, was weder Lee noch Arthur verstanden. Mike war zunächst überrascht, doch dann wurde er zornig. Sie hatte ihn beleidigt und gönnte sich dann noch nicht einmal den Triumph eines Grinsens.

»Ich bin auf der Brücke.«, erklärte Alia in ihrem typischen arroganten Tonfall und verließ daraufhin ohne ein weiteres Wort den Raum.

 

/////

 

Wie gebannt starrte Mike noch einen Moment auf die Tür.

»Mike, was hat sie zu dir gesagt?«, fragte Lee neugierig und besorgt zugleich.

»Und seit wann kann sie italienisch sprechen?«, setzte Arthur nach.

Alle wussten, dass Alia eine ausgebildete Linguistin war, aber in der gesamten Zeit des Trainings hatte sie nie ein Anzeichen darauf gegeben, dass sie Italienisch beherrschte.

»Dieses arrogante …«, begann Michael seinem Ärger Luft zu machen. Am liebsten wäre er ihr nachgegangen und hätte sie zur Rede gestellt. Was fiel ihr überhaupt ein, so mit ihm zu reden?

Lee unterbrach ihn ziemlich rüde: »Du bist selbst schuld! Warum provozierst du immer wieder?«

»Was heißt denn hier provozieren? Ja, dass mit der Amazone vorhin war vielleicht etwas über das Ziel hinausgeschossen, aber sie fasst doch alles als Provokation auf«, versuchte er sich zu verteidigen, aber im Prinzip hatte Lee Recht. Mike wusste, dass er seine Abneigung gegen das Militär manchmal auf Alia direkt projizierte und ihr damit vielleicht auch manchmal Unrecht tat.

»Ja und das wissen wir alle, sie ist ja nicht erst seit heute so.« Lee machte eine kurze Pause, um sich einige kupferfarbenen Haarsträhnen aus dem Gesicht zu streichen. »Und um unser alle Seelenheil darf ich dich bitten, zumindest zu versuchen, dich mit ihr zu arrangieren. Wir sitzen hier für eine ziemlich lange Zeit auf engstem Raum zusammen.«

»Außerdem würde sich ein Mord ziemlich schlecht im Missionsbericht machen«, mischte sich nun auch Arthur ein. Es herrschte kurz Stille, bis alle in lautes Lachen ausbrachen.

»Das gilt auch für dich, Arthur«, sagte Lee, nachdem sie sich wieder gefangen hatte. »Du weißt, wie schnell sie dich auf die Palme bringen kann. Also, ab sofort sind alle im universellen Gleichgewicht der Gelassenheit unterwegs«

»In Ordnung«, gab Mike mit fester Stimme von sich. »Wie gesagt, ich versuche mich zusammen zu reißen. Aber ich kann für nichts garantieren, wenn Captain Scott wieder jedem vorhalten muss, wie großartig sie ist.«

»Das ist doch ein Wort.« sagte Lee gelassen. »Mit Alia werde ich auch noch mal reden, wenn sie nicht mehr ganz so übellaunig ist.«

Mike fragte sich im Stillen, wann und ob dieser Zeitpunkt wohl kommen würde. Alia war nahezu immer übellaunig und wenig einsichtig, wenn es um solche Angelegenheiten ging. Als sie damals als Militärangehörige dem Voyager-Projekt zugewiesen wurde, gab es bereits nach kurzer Zeit recht bald Spannungen untereinander. Die Verantwortlichen der World Space Administration nahmen die Einwände der drei Zivilangestellten zwar zur Kenntnis, drangen aber darauf, dass sich alle Beteiligten professionell verhalten sollten.

Mike war Lee sehr dankbar, die Situation so schnell entschärft zu haben. Dank ihres Eingreifens hatte er sich wieder beruhigt.

»Also gut, dann lasst uns auf die Brücke gehen und unsere Arbeit machen«, meinte Mike schließlich und machte sich auf den Weg. Lee und Arthur folgten ihm. Noch immer war die Schwerkraft reduziert, wodurch sie es recht leicht hatten, das Schiff zu durchqueren.

»Der Computer hat mir verraten, dass die Schwerkraft im Laufe der nächste Tage auf Erdniveau angepasst wird«, erzählte Mike unterwegs, »Damit wir uns langsam wieder an unsere bekannten Verhältnisse gewöhnen.«

Die ›Voyager‹ war kein sonderlich großes Schiff. Achtzig Meter lang und fünfzehn Meter hoch, bei einer Breite von dreiundzwanzig Metern. Rechnete man noch die Flügelspannweite hinzu, lag die Gesamtbreite des Schiffes bei knapp vierzig Metern. Bei der Konstruktion des Schiffes wurden Überlegungen angestellt, es sogar noch kleiner zu konstruieren, doch Triebwerke, technische und wissenschaftliche Ausrüstung und Labore, Sauerstoffaufbereitung und andere lebenswichtigen Bereiche konnten auf einer so langen Reise nicht verkleinert oder sogar weggelassen werden.

 

/////

 

Alexandra verließ, so schnell sie konnte, den Raum, ohne den Eindruck zu erwecken, sie würde fliehen. Jedes Mal schaffte es Mike Barnetti innerhalb kürzester Zeit, sie in Rage zu versetzen, ohne eine Erklärung für diesen Umstand zu finden. Alia ließ sich sonst nicht schnell reizen und bis jetzt waren ihr solche Menschen, die es darauf anlegten reichlich egal ‒ nur bei Barnetti funktionierte ihre Taktik nicht.

Alia durchquerte auf dem Weg zur Brücke zuerst Deck II und fand damit auch ihr kleines Quartier, ihr sehr kleines Quartier, um genau zu sein. Allerdings war sie sehr froh darüber, dass jeder von ihnen überhaupt einen eigenen Raum als Rückzugsmöglichkeit zur Verfügung hatte.

Alia öffnete eine der drei Transportboxen und begann alles auszuräumen. Viele persönliche Dinge hatte sie nicht mitgenommen, obwohl jeder von ihnen dreihundert Kilogramm an ›Eigenbedarf‹ zur Verfügung gehabt hatte. Außer einigen altmodischen Büchern und wenige private Kleidungsstücken hatte sie noch einige Fotos von ihr und David mitgenommen. Jetzt war es aber wichtiger, das Maniküre-Set auszuprobieren, dass man ihnen mit auf die Reise gegeben hatte. Sie schnappte sich eine Schere und kürzte ihre Nägel soweit es ging. Die Bilder waren schnell aufgestellt und ihr restliches Hab und Gut verstaute sie auch in ihrer Kabine. Bevor sie ihre Kabine verließ, konfigurierte Alia den Bordcomputer gegen unbefugtes Betreten oder Eindringen.

Es dauerte nicht lange. »Bitte nennen Sie einen Satz mit mindestens vier Wörtern zur Stimmenanalyse«, meldete eine Computerstimme.

»Es ist meine Schuld.«

»Stimmenanalyse abgeschlossen.« Danach verließ Alexandra ihr Quartier mit dem Ziel, auf die Brücke zu gehen.

 

Kapitel 2

 

›Wenn der Glaube Berge versetzen kann, dann können wir auch Fesseln lösen, die uns vor Jahrhunderten angelegt wurden. Die Grundsätze jedes Glaubens beinhalten eine wichtige Regel, die viel zu oft missachtet wurde. Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst.

Unter Beachtung dieses Gebots kann die Toleranz anderen Menschen gegenüber jede Hürde überwinden, ja sogar das Unmögliche erreichen. Toleranz ist das Schlüsselwort, um auch unsere geistigen Fesseln zu lösen und uns selbst zu etwas Besserem zu machen.‹

 

Aus den Glaubenslehren der Hinduchristlichen Vereinigung

 

 

»Ich bin immer wieder erstaunt, was dieses Schiff alles kann«, erklärte Arthur, als er seine Analyse der Bordtechnik begann. »Wer hätte sich noch vor ein paar Jahrzehnten träumen lassen, dass wir es schaffen würden, mit ein und derselben Mannschaft von unserem Sonnensystem zu einem anderen zu fliegen? Wusstet ihr eigentlich, dass die ersten Planungen für eine solche Reise das Konzept des Generationsschiffes Omega 3 beinhalteten?«

»Omega 3?«, fragte Lee und sah ihn dabei stirnrunzelnd an. »Du meinst, eine Crew fliegt los und deren Kinder kommen an?«

»Deren Enkel oder vielleicht sogar Urenkel, um genauer zu sein«, klärte er Arthur auf. »Die ersten Prognosen seinerzeit besagten, dass ein Raumschiff für die Strecke, die wir jetzt zurückgelegt haben, siebzig bis achtzig Jahre brauchen würde.«

»Wirklich so lange?«, mischte sich nun auch Mike ein, der die Computerdaten der bisherigen Reise weiter aufbereitete. »Ich weiß, wovon du redest, aber das ist ja schon zig Jahre her. Lass mich mal überlegen.«

»Es war ziemlich genau vor dreiundfünfzig Jahren, als die ersten ernsthaften Versuche gestartet wurden«, half Arthur Mike auf die Sprünge.

Nun fiel es ihm auch wieder ein. »Stimmt. Als ich Kind war, erzählte mir mein Vater davon, dass so etwas bald schon möglich sein würde. Über das Sonnensystem hinaus zu anderen Sternen reisen und das in einer Geschwindigkeit, so langsam, dass die erste Generation das Ziel der Reise nicht mehr erleben konnte, während die nächste Generation die Erde nie gesehen hatte. Er hielt das alles irgendwie immer für Science-Fiction, aber er war fasziniert davon.«

»Zurecht«, meinte Arthur daraufhin, während er den nächsten Systemcheck startete. »Stellt euch doch mal vor, wenn sie damals mit dem Projekt gestartet wären. Dann hätten wir dieses Generationenschiff heute bereits überholt.«

»Die dritte Generation wäre jetzt erst geboren worden«, sinnierte Lee. »Sie würden erst in etwa zwanzig Jahren ankommen und wer weiß, was sie dann vorgefunden hätten. Vielleicht wäre Alpha Centauri dann schon eine Kolonie der Erde.«

»Versteht ihr, was ich meine? Es ist doch total irre, was dieses Schiff nur fünfzig Jahre später kann. Wir brauchten fünf Jahre und können damit sogar wieder zurückreisen. Die ›Voyager‹ ist das modernste Forschungsschiff, das es gibt.«

»Mich macht der Gedanke eher traurig. Stell dir vor, das Schiff wäre wirklich gestartet und würde erst in zwanzig Jahren ankommen. Drei Generationen hätten ihr Leben quasi umsonst dort verbracht.« Kaum hatte Lee diesen Gedanken laut ausgesprochen, wurde es still. Lediglich ein gelegentliches Piepen des Computers war zu vernehmen.

»Du hast recht«, sagte Arthur nach einem Moment. »Wenn man es sich so überlegt, wären sie irgendwie zu bedauern.«

Für eine Weile war nur wieder das Signal des Computers zu hören. Erst als Captain Scott auftauchte, wurde die Stille durchbrochen und alle setzten ihre Arbeiten schweigend fort. Jeder gab sich die größte Mühe, kein Wort auf den Vorfall im ›Schlafzimmer‹ zu verwenden.

»Alle Schiffssysteme arbeiten auf sechzig Prozent.« Alexandra durchbrach mit ihrer Meldung die Ruhe. »Der Computer baut die Kommunikation zur Erde auf. Es kann in etwa zwölf Stunden mit einer Antwort gerechnet werden.«

»Der Navigationscomputer hat den optimalen Kurs errechnet und gesetzt.« warf Lee fröhlich ein, »Wenn nichts schiefläuft, werden wir in etwa achtunddreißig Stunden an unseren geplanten Zielkoordinaten eintreffen.«

Es gab eigentlich wenig, was ihr die gute Laune verderben konnte. Nicht einmal Alia und ihre herablassende Art. Lee hoffte, dass es so bleiben würde. Sie war begeistert darüber, an dieser Reise teilnehmen zu dürfen. Als sie erfahren hatte, dass ausgerechnet Professor Castle sie vorgeschlagen hatte, konnte sie es kaum fassen. Immerhin hatte sie ihren ehemaligen Mentor während eines Vortrages über das gemeinsame Spezialgebiet dem Spott der versammelten Fachwelt ausgesetzt. Damals war es für Lee einfach unmöglich gewesen, ihm nicht zu widersprechen und so den Spott aller Fachleute auf sie beide zu ziehen. Doch nur ein halbes Jahr später erhielten sie und Professor Castle, die verdiente Anerkennung, als die Richtigkeit ihrer Arbeiten bekanntgegeben wurde.

Castle hatte ihr später gesagt, dass sie ihren Erfolg nicht nur ihrem schlauen Köpfchen, sondern auch ihrem großen Mundwerk zu verdanken hatte. Nur sollte sie in Zukunft etwas mehr darauf achten, wann sie wem etwas an den Kopf warf.

Lee hatte ihn damals nicht sehr ernst genommen, da sie glaubte, er würde es ihr noch immer nachtragen. Sie musste lernen, dass der Professor sie nur hatte unterstützen wollen und sie ab und zu wirklich auf ihre Worte achten sollte. Nach ein paar Jahren war ihr nun klar, wie recht Castle damals hatte.

Sie war nur noch wenige Stunden vom nächsten Sonnensystem entfernt und so neugierig, was sie dort erwarten würde. Ob man Alpha Centauri wirklich kolonisieren konnte? Lee fürchtete, all ihre Fragen konnten in einem Menschenleben nicht beantwortet werden.

»Erde an Lee! Hallo, bist du noch bei uns?« Arthurs Stimme drang langsam zu ihr vor. Lee hatte überhaupt nicht bemerkt, dass sie ihren Gedanken nachgehangen war.

»Was? Ja klar«, antwortete sie schnell mit einem Lächeln.

»Du schienst eben schon die Wohneinheiten auf dem Planeten zu verteilen«, sagte Arthur daraufhin.

Lee musste lachen. »Nur nicht frech werden, Junior.«

Er quittierte ihre Antwort mit einem schiefen Grinsen. Zu Beginn des Trainings hatte er ihren Namen einfach mit Lea abgekürzt, verwarf es aber bald darauf wieder, nachdem er schnell festgestellte, wie wenig der Name zur Person passte. Lea klang viel zu nüchtern. Und so wurde daraus schnell ein kurzes und freches ›Lee‹.

Sie brachte das Team mehr als einmal aus der Fassung, wenn sie einfach Kommentare abgab, die überhaupt nicht zum Thema passten oder plötzlich neben Sicherheitswarnungen kleine Smileys gemalt waren.

»Dann wird es höchste Zeit, dass jemand die Ausrüstung im Frachtraum überprüft«, warf Mike mit einem breiten Grinsen ein.

Niemand machte die Inventur an Bord gerne, doch alle wussten, dass es notwendig war, die Ausrüstung für einen Außeneinsatz zu kontrollieren. Eine Fehlfunktion oder der kleinste Defekt könnte tödliche Folgen haben.

Arthur meldete sich: »Ich denke, das werde ich gleich machen. Der Computer braucht noch ein wenig, bis er mit der Systemanalyse fertig ist. In der Zwischenzeit kann ich mir die Sachen mal ansehen.«

Mit einem leicht zerknirschten Gesichtsausdruck verließ er die Brücke Richtung Ebene 3, wo sich der Frachtraum befand.

Nachdem sich die Tür hinter Arthur geschlossen hatte, widmeten die Verbliebenen sich ihren Computerstationen. Lee beobachtete Alia dabei, wie sie konzentriert und schnell die Neukalibrierung der Energiesysteme initiierte. Nachdem die gesamte Besatzung erwacht war, mussten diese wieder in den Normalmodus geschaltet werden. Die Systeme des Schiffes waren so konstruiert, dass dieser Vorgang auch vollautomatisch ablaufen konnte. Doch Alia hatte einmal die Bemerkung gemacht, dass sie automatisierten Systemen nicht traute. Vor allem weil es bei den automatisierten Probeläufen zu mehr Fehlfunktionen gekommen war, als durch die manuelle Kontrolle. Ob jedoch alle Systeme wirklich nach der Neueinstellung auf einhundert Prozent arbeiteten, würde erst Arthurs vollständige Analyse zeigen.

Auch Lee arbeitete an ihrer Station und scannte den vor ihnen liegenden Raum nach Kommunikationsanzeichen. Doch alles, was der Computer anzeigte, waren Nulleffekte.

»Der Computer findet nur die üblichen durch das All fliegenden Signale. Scheint, als wären wir allein hier.« Den letzten Satz fügte sie lachend hinzu.

Während der Vorbereitungen auf dem Mars hatte sie sich immer spaßeshalber mit Arthur gekabbelt, ob sie im Nachbarsonnensystem etwas entdecken würden, das auf extraterrestrisches Leben schließen ließ.

»Was hast du denn erwartet, Lee? Kleine graue Männchen oder sogar grüne?«, foppte Mike sie ein wenig, um so die Stimmung aufzulockern. Dabei warf er einen Seitenblick zu Alia, die weiterhin schnell Befehle eingab.

»Bitte, wir wissen doch schon seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, dass die grünen Männer vom Mars kamen.« Lee imitierte unbewusst den Ton, den sonst Alia anschlug, wenn sie wieder einmal jemanden belehren wollte. »Und wenn man den sehr kreativen Drehbuchautoren glauben kann, waren die grauen Männchen nur auf der Erde, um Menschen für merkwürdige Experimente zu entführen«, fügte sie lachend hinzu, als sie den Fauxpas bemerkte.

»Du hast-«, weiter kam Mike nicht, als er von einem Alarmsignal des Schiffscomputers unterbrochen wurde.

Alia stoppte ihre Arbeit und eilte an Arthurs unbesetzte Arbeitsstation. »Es ist ein defekter Innensensor.« Sie betätigte einige Tasten und der Alarm endete.

»Bist du sicher, dass es nur ein defekter Sensor war und keine wichtige Alarmmeldung?« Mike war sichtlich unwohl bei dem Gedanken, dass der Fehlalarm schon so früh losginge. Eine umfangreiche Funktionsstörung wäre zu Beginn der Mission wirklich übel.

»In Anbetracht der Tatsache, dass es auf der Brücke nicht über achtzig Grad Celsius warm ist, handelt es sich um eine Fehlfunktion der Innensensoren«, antwortete Alia schnippisch, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.

Mike drehte sich von ihr weg und verzog genervt das Gesicht in Lees Richtung. Wenn das die ganze Zeit so weiterging, würde er für nichts garantieren können, das wusste sie.

»Tja, das kommt davon, wenn die WSA ein Schiff aus vierzehn Millionen Billig-Einzelteilen baut.« Lee versuchte, mit ihrem Einwurf die angespannte Atmosphäre wieder zu entschärfen. »Ich fang dann mal mit einer Strichliste an. War bestimmt nicht der letzte Fehlalarm.«

»Falsche Sparsamkeit ist ein Problem seit Beginn der modernen Raumfahrt«, schaltete sich Alia ein. »Sie führte zu einige der schwersten Unglücke im einundzwanzigsten Jahrhundert.«

»Danke!« kam es sarkastisch von Lee. »Du findest auch bei jeder noch so schlechten Nachricht etwas Positives. Nach diesen beruhigenden Worten geht es mir wesentlich besser.«

Die Wissenschaftlerin hatte sich nicht beherrschen können, aber anscheinend hatte sie mehr Erfolg, den Captain auszubremsen als Mike. Denn sie erwiderte nichts darauf und widmete sich wieder ihren Aufgaben.

Im Stillen fragte sich Lee, was Alia dazu bewogen hatte, sich für diese Mission freiwillig zu melden. Sie schien im Gegensatz zu Arthur, Mike und ihr selbst überhaupt keine Freude an der Forschung zu haben. Doch ein Interesse an der Wissenschaft musste vorhanden sein, denn Alia hatte in einem der sehr seltenen privaten Gespräche erzählt, dass sie neben der Informatik auch einen Abschluss in Altertumsforschung hatte. Von Mike wusste sie, dass Alia ihren Informatik-Abschluss auf der Militärakademie gemacht hatte. Doch von einer Doktorarbeit war nie die Rede gewesen. Niemand studierte ein solches Fach und schloss mit Auszeichnung ab, wenn nicht ein Hauch von Interesse vorhanden war. Zumindest war dies Lees Vermutung.

 

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In der Zwischenzeit war Arthur im Frachtraum angekommen. Er sah sich um, konnte aber keine sichtbaren Schäden erkennen. Der Frachtraum wirkte aufgeräumt, obwohl dort etliche Ausrüstungsgegenstände untergebracht waren. Raumanzüge, mobile Kommunikatoren, die wissenschaftliche Ausrüstung und der Alpha Centauri Erkundungstransporter, kurz ACET, schienen auf den ersten Blick unbeschädigt zu sein.

Der ACET war ein kleines Schwebefahrzeug, das Boden-unebenheiten bis zu zwanzig Metern ausgleichen konnte. Damit sollte sichergestellt werden, dass die Besatzung der ›Voyager‹ bei der Erkundung der Planetenoberfläche auch schwer zugängliche Gebiete erreichen konnte.

»Na gut …«, sagte Arthur schließlich, nachdem die erste Sichtprüfung der Gerätschaften durchgeführt war. »… dann wollen wir mal ans Eingemachte.« Er holte seine Prüfgeräte aus einem Lagerspind und begann mit der technischen Prüfung.

Arthur kam schneller als erwartet mit der Inventur voran, jedenfalls bis er zum ACET kam. Schon ohne gründliche Prüfung erkannte er, dass die Maschine nicht in Ordnung war. So wie es aussah, war eine Lagerkiste ungünstig verrutscht und auf den Transporter gefallen. Einige Teile waren abgebrochen und hier und da zeigten sich offene Kabelbäume, vor allem am Steuerungsmodul.

»Na herrlich! Das Ding ist gerade mal zwanzig Meter gefahren und schon totaler Schrott.« Arthur hatte mit sich selbst gesprochen, während er in die Knie ging, um sich die Schäden genau anzusehen. »Aber es scheint alles reparabel zu sein. Mit Unterstützung.«. Er betätigte eine Taste der Comstation an der Wand, um die Kommunikation mit der Brücke herstellen zu können.

»Hier Arthur. Ich könnte Hilfe gebrauchen«, meldete er knapp.

»Was ist los?« Mikes Stimme drang durch den Lautsprecher.

»Eine Kiste ist auf den ACET gestürzt, ich kann den Schaden reparieren, aber ein wenig Hilfe wäre nicht schlecht.« Arthur hoffte inständig, dass nicht Alia die Hilfe sein würde. In ihrer Gegenwart fühlte er sich unwohl. Sie gab ihm das Gefühl, weit unter ihrer Würde zu stehen. Vermutlich tat sie das bei vielen Leuten.

»Bin schon unterwegs, Arj- äh Arthur.« Schallte ihm Lees gut gelaunte Stimme entgegen. ›Gott sei Dank‹, dachte Arthur.

»In Ordnung«, hörte man auf der Brücke die gelassene Antwort. »Ich warte.«

Er umkreiste den ACET erneut, um zu prüfen von welcher Seite aus man die Kiste anhob, um den Schaden gering zu halten. Dabei kam ihm in den Sinn, dass durch den Sturz nicht nur oberhalb des ACET Schäden aufgetreten sein könnten.

 

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Als Lee wenige Minuten später den Frachtraum betrat, fand sie Arthur unter dem Fahrzeug liegend. Offenbar prüfte er gerade den Unterboden.

»Hey, Arthur, was gibt‘s?« Sie sprach normal, doch Arthur erschrak sich so sehr, dass er mit dem Kopf gegen den Unterboden des Fahrzeugs stieß.

»Au, verdammt!«, fluchte er und Lee verzog das Gesicht. Dem Geräusch nach zu urteilen, war das ›Au‹ berechtigt.

»Kopf und Unterboden noch heil?« Sie beugte sich zu ihm runter, als Arthur unter dem Fahrzeug hervorrobbte.

»Ich glaube schon.« Er rieb sich die schmerzende Stelle. Lee nickte andeutungsweise und streckte ihm die Hand entgegen, damit sie ihm beim Aufstehen helfen konnte. Arthur nahm die Hilfe gerne an.

»Was ist denn genau beschädigt?«

»Es hat die Steuereinheit erwischt und einige Teile müssen ausgetauscht werden«, setzte Arthur mit seiner Erklärung an. »Das wird eine Menge Arbeit.«

»Bevor wir anfangen, eine Frage: Wo sind die Ersatzteile?« Lee schaute sich fragend um, ehe sie weitersprach. »Lass mich raten, in den untersten Kisten?«

Arthur nickte. »Das ist Murphys Gesetz.«

»Wahnsinn, endlich einer, der das Gesetz kennt.« Lee lachte und knuffte ihn an der Schulter. »Dann mal los. Die Kisten tragen sich nicht von allein.«

Arthur versuchte, das Gespräch am Laufen zu halten. »Wie lief es auf der Brücke?« Er nahm Lee eine Kiste ab.

»Gut, bis auf einen defekten Innensensor. Und natürlich den beiden Streithähnen. Ich bin gespannt, ob sie sich vertragen, solange kein Anstands-Wauwau dabei ist.«

»Spätestens, wenn ein Alarm losgeht, wissen wir, dass sie wieder gestritten haben.« Es sollte ein Scherz sein, doch beide konnten nicht darüber lachen. Sowohl Mike als auch Alia waren gut ausgebildete Profis und hatten die psychologischen Tests bestanden. Lee war es ein Rätsel, warum es zwischen ihnen ständig zu Streit kam.

»Jetzt ist mir klar, warum wir die Saniausbildung bekommen haben«, seufzte sie ein wenig genervt und räumt eine weitere Kiste beiseite. »Einer muss die beiden ja wieder zusammenflicken, wenn sie sich zerfleischen!«

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»Interessant, während unseres Fluges sind wir in einen Sonnensturm geraten«, las Mike in Gedanken versunken von seinem Display ab.

»Wurden Daten vom Computer aufgezeichnet?«, fragte ihn Alia, die aufgehorcht hatte.

Mike erschrak. Hatte er das laut ausgesprochen oder konnte sie Gedanken lesen? Langsam drehte er sich zu ihr um.

»Was ist nun?«, fragte sie mit genervten Gesichtsausdruck.

Er deutete auf das Display vor sich »Hier steht es. Passierte vor knapp zwei Jahren.«

Sie ging zu seinem Terminal, um sich die Sache genauer anzusehen. »Das ist ja interessant«, murmelte sie.

»Sage ich doch.«

Alia überhörte die Bemerkung. »Sehen Sie …«, sagte sie stattdessen und deutete auf den Monitor. »… den Computer-protokollen zufolge ist das nicht nur ein einfacher Sonnensturm gewesen.«

»Nicht?« Mike richtete sich auf und versuchte nachzuvollziehen, was sie meinte.

»Die Partikeldichte und molekulare Zusammensetzung stimmt mit keinem Forschungsergebnis über die allgemeine Struktur von Sonnenwinden überein.«

»Und das wissen Sie genau?« Mike konnte sich nicht vorstellen, dass der Captain ausgerechnet diese Details aus dem Kopf heraus wusste. Schließlich gehörte das zu seinem Fachgebiet. »Erklären Sie mir mal, was sie genau meinen!«, verlangte er.

Alia deutete auf die entsprechenden Datenfragmente. Demzu-folge traf das Schiff tatsächlich nicht auf einen Sonnenwind, sondern vielmehr auf eine Art Wolkenband, in dem sowohl Sonnenstaubpartikel als auch unzählige andere Molekularteilchen enthalten waren.