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Band 197

 

Der Dimensionsblock

 

Ruben Wickenhäuser

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Prolog: Thora Rhodan da Zoltral

1.

2.

3. Tagrep Kerrek: Introspektion

4.

5. Tagrep Kerrek: Eindringlinge

6. Brent Dargas: Treffpunkt

7. Tagrep Kerrek: Begegnung

8. Alexander Kapescu: Wildwuchs

9. Alexander Kapescu: Sie haben Hunger!

10. Tagrep Kerrek: Freund oder Feind

11.

12. Brent Dargas: Das Monster der Finsternis

13.

14. Brent Dargas: Die Schwarze Ode des Abschieds

15.

16. Tagrep Kerrek: Willst du denn ewig leben?

17. Brent Dargas: Nachhall

Epilog: Thoras Stundenbuch: 3. Oktober 2058

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. Damit öffnet er den Weg zu den Sternen – der Menschheit werden kosmische Wunder offenbart, sie gerät aber auch in höchste Gefahr.

2058 sind die Menschen nach schwerer Zeit mit dem Wiederaufbau ihrer Heimat beschäftigt, wobei sie immer mehr zu einer Gemeinschaft zusammenfinden. Nur vereint können sie den Bedrohungen aus den Tiefen des Alls trotzen.

Mehrfach haben die Menschen die Versuche des Geisteswesens ANDROS abgewehrt, mit einer Kriegsflotte der sogenannten Bestien einen Durchgang in eine fremde Dimension zu öffnen, der zwei Galaxien verwüsten würde.

Perry Rhodan kann eine Kette von Sonnentransmittern aktivieren, um diesem Plan Einhalt zu gebieten – was ihn einen hohen Preis kostet. Rhodans Gefährten brechen erneut nach Andromeda auf, um seine Mission zu vollenden. Indessen reist die AMUNDSEN in die Eastside der Milchstraße. Dort soll ein weiteres Bollwerk gegen ANDROS entstehen – DER DIMENSIONSBLOCK ...

Prolog

Thora Rhodan da Zoltral

 

»Situativ auf Leitstrahl. Anflug durch Eigenantrieb.«

»Traktorstrahl auf minimaler Leistung zuschalten. Bereithalten für Maximalleistung oder Abschaltung.«

»Schott drei ist geöffnet. HAFEN bereit zur Einschleusung.«

»Notfallteam der Medostation in Position.«

Thora verfolgte gemeinsam mit Nathalie und Reginald Bull die unpersönlichen Meldungen, die von der Hangarleitstelle der MAGELLAN kamen. Sie blinzelte die Tränen fort, die ihre fieberhafte Erwartung verrieten. Dass es sich um dasselbe Situativ handelte, mit dem Perry Rhodan zu seiner Reise aufgebrochen war, hatte die Ortung mittlerweile bestätigt. Ob aber ihr Ehemann, der Vater ihrer gemeinsamen Kinder, an Bord war ... das blieb im Verborgenen. Noch.

Vom Zentralturm des HAFENS aus hatte Thora einen guten Blick über den Hangarbereich, in dem das Situativ landen sollte. Durch das weit geöffnete Außenschott schien das Licht des Sechsecktransmitters herein. Das Situativ selbst war noch zu weit entfernt, um mit bloßem Auge erkennbar zu sein. Die Visualisierung übernahmen stattdessen Holofelder, sie flankierten die Tasterbilder mit allerlei technischen Angaben und Hilfslinien. Ihre Tochter Nathalie hatte sich von Bull hochheben lassen und presste das Gesicht an die Scheibe: Sie fand wohl den echten Ausblick viel spannender als die künstlichen Darstellungen.

»Situativ fliegt ein«, vernahm Thora kurz darauf eine Stimme. Da erst sah sie das Raumboot, das in dem einen halben Kilometer breiten Schleusenrahmen winzig und verloren wirkte.

Thora wartete das Aufsetzen des Situativs nicht ab, sondern machte sich gleich auf den Weg zur Landestelle. Bull folgte ihr.

»Du bleibst hier!«, befahl sie ihrer Tochter auf jene Weise, die keinen Widerspruch duldete. Nathalie war sichtlich enttäuscht, protestierte aber zu Thoras Überraschung nicht.

Thoras Augen tränten stärker, als die Landefläche freigegeben wurde. Dunkel und schwer ruhte das Situativ darauf wie ein Menhir aus vergangener Zeit. Tom hatte sich damals, als er noch klein gewesen war, für diesen seltsamen Brauch früher Menschenkulturen interessiert, Steine aufzurichten. Sie hoffte inständig, dass dieser Stein Toms Vater enthielt.

Das Situativ entschied selbst, wann es jemanden freigab. Thora trieb es fast in den Wahnsinn, dass der Zugang ins Innere des Raumfahrzeugs nicht sofort aufsprang.

»Der Heilungsprozess muss erst abgeschlossen sein«, hörte sie Julian Tifflors Stimme hinter sich. »Wir haben nicht viel Erfahrung mit dieser Technologie ... so gut wie gar keine. Nur, dass man unter Umständen Geduld braucht, da sind wir uns leider sicher.«

 

Tifflor sollte recht behalten. Thora starrte die Kapsel an, die mit keinem Zeichen verriet, dass sie überhaupt einen Insassen in sich trug. Das Situativ stand einfach nur da und summte leise.

Nach einer Stunde wurde auch Tifflor sichtlich besorgt. »Ich möchte euch nicht beunruhigen«, sagte er zu Thora und Bull, »aber dass die Maschine so lange braucht, erscheint mir seltsam.« Er gab den Ärzten und Medorobotern einige Anweisungen.

»Gibt es keine Möglichkeit, das Ding von außen zu öffnen?«, mischte sich ein Techniker ein.

Thora wollte ihm gerade mit scharfen Worten ihre Meinung zu seiner Frage sagen, da surrte und zischte es. Ein Verschluss zeigte sich in der zuvor lückenlos glatten Oberfläche, Hälften glitten auseinander ... und da war Perry Rhodan.

Umgeben von den Versorgungselementen der Amme, erinnerte er erschreckend an eine Mumie, die in einem aufrechten Sarkophag stand. Thora verdrängte dieses weitere Bild aus Toms lesewütiger Kindheit.

»Zur Seite!«, befahl sie einigen Technikern und war mit wenigen Schritten bei ihrem Mann. Rhodans Gesicht war eingefallen und grau. Aber er war wach und sah sie mit einem leicht entrückt wirkenden Blick an.

»Willkommen!«, rief Thora und musste sich beherrschen, ihm nicht gleich um den Hals zu fallen.

Rhodan runzelte die Stirn. »Kenne ich Sie?«

 

Der Schock saß tief. Auch auf dem Weg zur Krankenstation hatte sich Rhodans geistiger Zustand nicht gebessert.

»Wer sind Sie? Wo bin ich? Was ist das für eine Welt aus ... was auch immer?«

Er erkannte niemanden von der Besatzung, nicht das Raumschiff, schien die Gänge und Kabinen zum ersten Mal zu sehen. Wie sich herausstellte, wusste er weder, wie er aufgebrochen war, noch, was er unterwegs erlebt hatte. Sogar seinen Namen hatte ihm erst das Situativ verraten müssen.

Gucky war per Teleportation bei ihnen aufgetaucht und krauste traurig die Nase. »Nichts zu machen«, sagte er leise. »Da ist ... nichts, bis auf etwas Seltsames, aber auch davon bekomme ich keinen klaren Eindruck ...«

»Wann kehrt sein Gedächtnis wieder zurück?«, wollte Thora von Tifflor erfahren, nachdem Rhodan auf einer Medoliege eingeschlafen war. Medizinische Analysegeräte nahmen ihre Arbeit auf.

Tifflor hob bekümmert die Schultern. »Das kann ich nicht sagen, bis wir einige Untersuchungen gemacht haben. Vielleicht steht er nur unter Schock. Sein Gesamtzustand ist jedenfalls kritisch. Trotz Zellaktivator und Betreuung durch die Amme des Situativs.«

 

Also musste sich Thora in Geduld üben. Sie blieb die ganze Zeit über an der Seite ihres Manns. Nathalie war natürlich dabei. Das Mädchen starrte stumm und verängstigt seinen Vater an. Thora nahm Nathalies Hand. Wen sie damit mehr beruhigen wollte, sich oder ihre Tochter, wusste sie selbst nicht so genau. Guckys Nähe immerhin tat ihnen beiden gut.

»Die AMUNDSEN ist jetzt in der Eastside«, bemerkte Nathalie wie aus dem Nichts heraus.

Thora sah sie erstaunt an und nickte. »Wie kommst du darauf?«

»Dad hat doch erzählt, in der Eastside leben so komische Außerirdische mit Tellerköpfen, die tragen alle ganz hübsche Broschen, er hat mir ja Bilder gezeigt, und das da sieht fast aus wie so eine Brosche.« Sie deutete auf ein Messgerät aus transparentem, blauem Kunststoff, das auf Rhodans linke Brust geheftet war. »Er hat doch ganz viele kranke Außerirdische gerettet, nicht?«

»Oh ja.« Im ersten Moment irritierte Thora der Gedankensprung ihrer Tochter, aber dann war sie froh über die Ablenkung. »Das waren Azaraq, die die Menschen ... oder besser gesagt, Reg ... Blues getauft haben.«

Die Miene von Bull, der neben ihr stand, heiterte sich für einen Augenblick auf.

»Und sie haben tolle Naschereien«, machte Gucky den kümmerlichen Versuch, die Stimmung aufzuheitern. Er brachte es nur mit Grabesstimme heraus.

Thora ging nicht auf seine Bemerkung ein. »Sie wurden von einer tödlichen Krankheit geplagt. Perrys Mannschaft und er haben sie davon befreit. Die Azaraq waren sehr verwundert, dass er ihnen geholfen hat, ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Zumal er keiner von ihnen ist.« Thora beugte sich zu Nathalie hinab und legte dem Mädchen die Hände auf die schmalen Schultern. »Er hat es nicht verdient, all das zu vergessen. Hilfst du mir dabei, ihm seine Erinnerungen zurückzugeben? Wie auch immer wir das anstellen.«

»Aber klar, Mama!«, rief Nathalie. Hoffnung leuchtete in ihrem Blick auf. »Wir finden einen Weg, mach dir mal keine Sorgen!«

 

Endlich kam Julian Tifflor wieder zu ihnen.

»Also, die Ergebnisse der ersten Untersuchungen«, begann er. »Als Erstes: Er ist über den Berg. Wie es um sein Erinnerungsvermögen bestellt ist, kann ich leider noch nicht sagen. Was den Löwenanteil seiner Erschöpfung betrifft: Nach meiner Einschätzung geht die auf Situationstransmittersprünge zurück. Ich kann nicht mal schätzen, wie viele er davon hat durchstehen müssen.«

»Wir bereiten uns gerade selbst auf die Passage durch einen Sechsecktransmitter vor!«, stellte Thora erschrocken fest. »Kann ihm der Transport nach Andromeda gefährlich werden?«

Tifflor wiegte den Kopf. Er kannte Nathalie gut genug, um zu wissen, dass er auch in Anwesenheit des Mädchens kein Blatt vor den Mund nehmen musste. »Diese Sonnentransmitter sind kein Vergleich zu den Situationstransmittern, mit denen Rhodan gereist ist. Ich weiß allerdings nicht im Detail, worin sie sich technisch unterscheiden ... Deshalb kann ich leider nicht garantieren, dass eine Gefährdung völlig ausgeschlossen ist. So ein Sprung ist selbst für gesunde Menschen sehr strapaziös. Perry hat zwar seinen Zellaktivator, aber wenn die Amme des Situativs ihn nicht wieder aufnimmt, muss das Gerät sowohl seinen gegenwärtigen Zustand stabilisieren als auch den zusätzlichen Stress kompensieren.« Er breitete hilflos die Arme aus. »Wie gesagt. Keine Ahnung.«

»Dann müssen wir den Sprung verschieben«, drängte Thora. »Wir dürfen Perrys Leben nicht gefährden!«

»Ich fürchte, dazu ist es zu spät«, ließ sich Reginald Bull vernehmen.

»Jeder Anflug lässt sich verzögern«, gab Thora unwirsch zurück. »Es geht hier um Perrys Leben.«

Bull sah unglücklich drein. »Viel Glück«, erwiderte er nur.

Thora hasste es, sich auf ihr Glück verlassen zu müssen. Das Problem war nur, dass ihr diesmal nichts anderes übrig blieb.

1.

 

 

Tagrep Kerrek: Der Hammer

 

Tharvis Tagrep Kerreks Schicksal war hundertfünfzig Meter lang, hatte an seinem vorderen Ende einen Durchmesser von fünfzehn Metern und sprang in den Hyperraum. Die Ingenieure der Apasos hatten ihm einen klingenden Namen verliehen: Repetierhammer.

 

Die Vierte Flotte von Gatas stand am Rand des Avkoomsystems. Für einen unbeteiligten Beobachter hätte es ausgesehen, als habe ein Gott Löcher aus dem Sternenmeer gestanzt. Der Molkexpanzer der Diskusraumer, die nahe dem äußersten Planeten standen, saugte jedes Quäntchen Helligkeit auf.

Auch das einen Kilometer durchmessende Flaggschiff OVARIONS LICHT wirkte wie ein blinder Fleck, ein Nichts im Glitzern der Sterne. Die zwei 400-Meter-Einheiten, die es unablässig umkreisten, hätten den Beobachter zweifellos endgültig an seinem Verstand zweifeln lassen, wenn sein Gehirn die absolute Schwärze mit Sinn zu füllen versucht hätte.

Verschlossene Azaraqkampfschiffe waren unverwundbar, zumindest für alle bekannten Energiewaffen. Impulsgeschütze, Thermostrahler, Desintegratoren, Nukleartorpedos, sie alle mussten ihre zerstörerischen Energien restlos an das Molkex abgeben. Nicht zuletzt waren sie für jede herkömmliche Ortung so gut wie unauffindbar: Die Kämpfer auf der gewaltigen Anzahl an Schiffen der Vierten Flotte von Gatas konnten davon ausgehen, dass sie so unauffällig waren wie ein Schatten in der Finsternis.

 

Tagrep Kerrek begutachtete die Aufstellung der Schiffe vom Kommandostand der OVARIONS LICHT aus. Als Oberbefehlshaber der gatasischen Flotte hatte er mehr als genug Kampferfahrung, um zu spüren, wenn eine Schlacht bevorstand. Dass die Apasos jederzeit im Avkoomsystem auftauchen konnten, war nicht weiter erstaunlich, handelte es sich doch um ein attraktives Erntesystem für das hochbegehrte Molkex, das in unmittelbarer Nachbarschaft des apasischen Einflussgebiets lag. Prognosen sagten seit zwei Jahren einen Rückgang der Molkexvorkommen voraus. Schürftender und schwere Frachter, alle ohne die wertvolle schwarze Panzerung, verrieten ihr geschäftiges Treiben durch zahllose Orterreflexe in den Asteroidenringen.

Unverwundbar ... Kerrek wiegte seinen großen, tellerförmigen Kopf. Zwei Jahre war es auch her, dass dieser Perry Rhodan mit der MAGELLAN bei ihnen aufgetaucht war. Jener Mensch hatte eine Transformkanone eingesetzt. Abgesehen von Systemen, die mit brachialer kinetischer Aufprallenergie wirkten, war dies die erste Kerrek bekannte Waffe, die einen Azaraqraumer schwer beschädigen konnte. Mehr noch, die Leute dieses kleinköpfigen Fremden waren es gewesen, die ein Heilmittel für die furchtbare Seuche Choroba nemoc gefunden hatten.

Vernichtung und Rettung aus einer Hand, das hat mythische Qualitäten, dachte Kerrek.

Und Perry Rhodan, dieser Fremde mit seiner so ungewöhnlich ... vernünftigen Ausstrahlung, war es auch gewesen, der in dem altgedienten gatasischen Flottenkommandanten erste Zweifel am Sinn der Azaraqkonflikte gesät hatte. Rhodans Appell an Frieden und Zusammenarbeit zwischen den Gelegen, da große Veränderungen bevorstünden, musste Kerrek angesichts der gegenwärtigen Entwicklung mehr und mehr zustimmen. Der Mensch war selbst mit leuchtendem Beispiel vorangegangen, indem er unter persönlichen Risiken Tagrep Kerreks Sohn Jolkar von Choroba nemoc geheilt hatte.

Dabei ist er nicht nur kein Gataser, sondern noch nicht mal ein Azaraq! Aber was grüble ich herum? Ich habe eine Kriegsflotte zu führen! Sonst tauchen die Apasos hier auf und verleiben sich das System ein, Rhodan hin oder her.

Schon um sich wieder besser auf seine Aufgabe konzentrieren zu können, aktivierte er die Holoverbindung zu Jolkar, der sich als Kommandant des Subverbands Ovarion-3 auf der BLAUGLANZ befand.

»Grüße, Tharvis Jolkar Kerrek, mein Sohn. Sind deine Schiffe in Position?«

Der Tharvis blinzelte bejahend mit den beiden rückwärtigen Augen, die über dem Saum seines tellerförmigen Kopfs angeordnet waren. Auf dem blauen Pelz schimmerten die Andrixen in Hellblau und Blau und signalisierten Verantwortungsbewusstsein und Kampfbereitschaft. Niemand hätte vermuten können, dass dieser Azaraq vor zwei Jahren dem sicheren Tod durch eine widerwärtige Krankheit entgegengesehen hatte.

»Wir sind im stationären Orbit um die Sonne und beziehen jetzt den Bereitstellungsraum auf der Seite, die der Vierten Flotte abgewandt ist«, bestätigte er. »Bei der geringen Entfernung macht der große A-Klasse-Stern unsere Einheiten für die optische Erfassung gut sichtbar.«

»Und er strahlt so hell, dass er zusammen mit etwas Sonnenwind die Sensoren ein wenig blenden wird«, ergänzte Tagrep Kerrek. »Du bist schneller in Position, als ich zu hoffen wagte, mein Sohn. Gute Arbeit!«

Jolkar Kerrek neigte ehrerbietig den Kopf.

»Sendet die üblichen belanglosen Statusdaten an Gatas«, ordnete Tagrep Kerrek an. »Oh, und natürlich die ganzen Glückwünsche wegen Schlüpflingen. Scheucht außerdem die Kreellfrachter ein wenig herum. Ich möchte, dass ihr für jeden feindlichen Verband laut und deutlich hörbar seid.«

Wie aufs Stichwort durchdrang ein ohrenbetäubendes Kreischen die Zentrale der OVARIONS LICHT, als habe ein Orchester aus Kreissägen und Trennschleifern damit losgelegt, das Flaggschiff durchzuschneiden. Kerrek sträubte sich der Pelz. Die Ursache für den Lärm wirbelte wie eine Horde Kugelblitze durch die Zentrale: ein Haufen Schlüpflinge, die ihre Hände überall gleichzeitig zu haben schienen. Sie fingerten an Holokontrollen, bestaunten taktische Anzeigen und kletterten über Nhervizen, die dicht an dicht an ihren Konsolen saßen. Sogar nur mit Stammbesatzung herrschte jenes Gedränge, das Azaraq eigentlich als angenehm empfanden. Aber nach den Schlüpflingen hasteten noch mehrere Sicherheitsleute herein, die ebenso panisch wie überfordert dreinschauten. Auch ihnen fiel es sichtlich schwer, den lieben Kleinen etwas zu verbieten, und das machte das Chaos vollständig.

»Apropos Glückwünsche ...«, kommentierte Tagrep Kerrek.

Die Kleinen überschlugen sich förmlich vor Begeisterung über die ganzen bunten Kontrollen und nutzten die breiten Köpfe der Anwesenden als Trittsteine. Da half es wenig, dass die Erwachsenen ihnen nicht böse sein konnten. Zwei Besatzungsmitgliedern gelang es schließlich, sich ein Herz zu nehmen und gemeinsam mit den Wachen die schnatternden Energiebündel aus der Zentrale zu vertreiben.

Kerrek atmete auf, nachdem die Schlüpflinge endlich wieder aus der Zentrale herauskomplimentiert worden waren und die Schleuse ihr vielstimmiges, begeistertes Kreischen abschnitt.

»Wieso kommen Schlüpflinge zu uns herein?«, fragte er mehr verzweifelt als zornig.

Im Holo sah er das Azaraq-Äquivalent eines breiten Grinsens in Jolkars Gesicht. »Ich sehe, wir haben ähnliche Herausforderungen«, stellte sein Sohn belustigt fest.

»Das ist ein Kriegsschiff! Ach was, es ist das Flaggschiff der Flotte! Schlüpflinge haben hier rein gar nichts verloren!«

»Sag das den Gelegehütern«, erwiderte Jolkar düster.

»Ach. Es ist ja schön, dass die Seuche besiegt ist und so weiter, aber dass wir deshalb sogar auf unseren Kampfschiffen Ovariate haben ... das ist nicht fair. Die Apasos haben diese Probleme nicht!«

»Sie waren auch nie so stark von Choroba nemoc betroffen wie wir«, konstatierte Jolkar. »Na, und du wirst einfach alt.«

Behutsam stellte Tagrep Kerrek die Brujul-Stoffpuppe beiseite, die einer der Kleinen auf seiner Konsole liegen gelassen hatte. »Aussichten auf geringere Molkexausbeute, dafür explodierende Nachwuchszahlen, und all das nur in zwei Jahren ... Da soll man nicht alt werden«, schlug er einen ernsthaften Tonfall an. »Wie dem auch sei. Wir müssen mit Überraschungen seitens der Apasos rechnen, also lass dich von Schlüpflingen und dergleichen bitte nicht ablenken. Es ist gut möglich, dass sie unseren Ortungsschirm unerkannt durchdringen. Und selbst wenn wir sie bemerken, seid ihr auf euch allein gestellt, bis wir zu euch aufgeschlossen haben.«

»Wie geplant. Jawohl, Tharvis! Vater.«

»Ich ordne Funkstille für die Hauptflotte an. Ihr hingegen haltet regen Kontakt mit Gatas. Aber übertreibt es nicht. Tharvis Tagrep Kerrek Ende.«

»Verstanden. Tharvis Jolkar Kerrek Ende.« Damit verschwand das Hologramm.

Tagrep Kerrek legte zufrieden den Kopf in die Halterung der Rückenlehne. Er konnte sich glücklich schätzen. Nicht nur war Jolkar dank des Heilserums dieser merkwürdigen Menschen dem sicheren Tod entkommen, er hätte auch niemals Anlass für die Vermutung gegeben, jemals krank gewesen zu sein. Darüber hinaus hatte er ein intuitives taktisches Verständnis an den Tag gelegt, während er mit einer Gruppe aus Rammzerstörern Molkexpiraten entlang der Transportrouten gejagt hatte.

Kerrek hatte seinen Einfluss nicht geltend machen müssen, damit sein Sohn das Kommando über einen Subverband der Vierten Flotte erhielt.

In Zeiten, in denen Azaraq sich auf Piraterie zu verlegen begannen und ihre eigenen Ovariate angriffen, in denen Splittergruppen sich radikalisierten und zum offenen Krieg gegen andere Gelege aufriefen, um künftigen Engpässen in der Molkexausbeute zuvorzukommen, wobei sie auch vor Putschversuchen und Aufständen nicht zurückschreckten – alles unglaubliche, vor zwei Jahren noch völlig undenkbare Vorgänge –; in Zeiten, in denen der Segen der besiegten Seuche zu einer rasant wachsenden Bevölkerung und sogar auf Kriegsschiffen zur Einrichtung von Medobereichen mit Ovariaten führte ... Da war die Nähe seines Sohns manchmal das Einzige, was Kerrek vor dem Verzweifeln bewahrte.

 

Ein Ruf riss ihn aus seinen Gedanken. »Kontakt!«

Tagrep Kerrek ließ sich die Ortungsdaten in ein taktisches Holo legen. Die Positronik musste komplizierte Berechnungen aus einem Dutzend verschiedener Sensordaten anstellen, um die fremden Raumschiffe sichtbar zu machen. Es handelte sich um molkexgepanzerte Diskusse wie jene der Gataser.

Die Kampfschiffe flogen in Schleichfahrt. Hätte Kerrek nicht genau gewusst, wonach die Ortung zu suchen hatte, wären sie ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit entgangen. So aber verrieten sie sich durch jene Turbulenzen, die kein bekanntes Raumfahrzeug im Flug völlig vermeiden konnte: winzige Strukturerschütterungen beim Eintritt in den Normalraum, Emissionsspuren der Antriebe, minimale Schwankungen in den Gravitationswerten.

Sein Ortungsoffizier kommentierte die Anzeigen: »Anzahl unbekannt. Es ist ein größerer Verband. Er hält Kurs auf das Zentralgestirn.«

Der Gataser an der Nachbarkonsole fügte hinzu: »Wenn unsere Informationen korrekt sind, handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um die Zweite Flotte von Apas.«

»Gut. Dann hat sich der Aufwand wenigstens gelohnt«, sagte Kerrek.

Die Eindringlinge näherten sich genau von der entgegengesetzten Seite des Systems, also geradezu perfekt für Kerreks Strategie. Allerdings würde Jolkar eine Weile durchhalten müssen, bis Tagrep seinem Sohn zu Hilfe kommen konnte.

»Laterale Rotation!«, befahl Kerrek. Dank der Trägheitsabsorber unmerklich für die Besatzung, begann sich das Flaggschiff langsam um seine Längsachse zu drehen. Die Kommandanten der anderen Schiffe der Flotte erkannten das Manöver mit ihren passiven optischen Sensoren und versetzten ihre Diskusraumer ebenfalls in Drehung. Es war eine umständliche, aber für einen Feind praktisch nicht zu entdeckende Art der Kommunikation, die auf verräterische Funksignale oder Laserimpulse völlig verzichtete: Es war das Signal dafür, dass das Flaggschiff Feinde geortet hatte und der Flottenkommandant Kampfbereitschaft befahl.

»Verschlusszustand. Gyrokammer aushängen.«

In der OVARIONS LICHT flammten Warnlampen auf und erloschen wieder, während sich sämtliche Schotten schlossen. Die Haltebolzen lösten sich von der Kugel der Kommandozentrale und ermöglichten ihr, im Falle von heftigen Erschütterungen und Stößen einen guten Teil der Wucht durch Eigenrotation abzupuffern.

»Laterale Rotation wieder auf null. Ausrichtung für Alarmstart.«

Die OVARIONS LICHT und alle anderen Einheiten der Flotte kamen zur Ruhe und schwenkten langsam auf die weiße Sonne ein. Noch schwiegen die Haupttriebwerke, noch konnten die Apasos nicht ahnen, dass ihnen eine gewaltige Streitmacht im Nacken saß. Sie sahen nur Jolkar Kerreks Subverband vor sich. Zudem befand sich Jolkar von Tagrep Kerrek aus gesehen hinter der Riesensonne. Die Apasos verschwanden rasch hinter der Korona, und damit würde es ihnen schwerer fallen, die Hauptstreitmacht beizeiten zu entdecken, selbst wenn diese sich näherte.

»Passivortung, Funkverkehr lokalisieren, positronische Taktikanalyse aktivieren!«, befahl Kerrek routiniert.

Noch glommen nur die beständig kommunizierenden Schiffe von Jolkar im Holo. Sobald die Apasos sich zu erkennen gaben, würde sich das schlagartig ändern: Durch ihre eigene Kampfkommunikation würden sie die exakte Position ihrer Einheiten verraten.

Die Apasos fackelten tatsächlich nicht lange. Sobald sie in Reichweite kamen, gaben sie Vollschub und griffen Jolkars Diskusse an. Der plötzlich einsetzende Funkverkehr verriet: Es waren mehr Feindschiffe, als Kerrek erwartet hatte. Aber nicht genug, um ihn aus der Ruhe zu bringen.

»Alle Apasoschiffe befinden sich im Sonnenschatten«, meldete die Passivortung.

Tagrep Kerrek tippte auf ein Holosymbol vor seinem vorderen Augenpaar. »Alarmstart, ansonsten Funk- und Emissionsstille. Los!«

Mit einem Schlag kam Leben in die schwarzen Formen zwischen den Sternen. Aus dem Stand heraus beschleunigte die Vierte Flotte von Gatas mit Vollschub in Richtung Zentralgestirn.

 

 

Jolkar Kerrek: Hinterhalt

 

Jolkar Kerrek beschlich ein Gefühl, als sitze er auf dem Präsentierteller. Aber es machte ihm nichts aus. Er hoffte, dass die Apasos kommen würden, um sich das attraktive System vor ihrer Haustür einzuverleiben.

Obwohl er sämtliche Sensoren in die Einflugsektoren vor sich gerichtet hielt, ahnte er, dass er den Feind erst entdecken würde, wenn es zu spät für raumgreifende Manöver war. Mit der Sonne im Rücken boten seine Diskusschiffe hingegen vorzügliche Zielscheiben. Mochte die gegnerische Zielerfassung dank der von eben jenem Stern ausgesandten Strahlung auch Probleme bekommen, Jolkar wusste, dass dies im Gefecht zwischen Azaraqschiffen eine eher untergeordnete Rolle spielte. Denn dabei ging es wesentlich handfester zu.

Um sich die Wartezeit zu vertreiben, lauschte er der Kommunikation seiner Kreuzerkommandanten, die die Nerven der Molkextransporter- und -schürferbesatzungen mit allerlei bürokratischen Standardaufforderungen mächtig strapazierten. Damit war Jolkars Anwesenheit auf unauffällige Weise äußerst sichtbar gemacht. Der Köder war ausgelegt.

Als der Alarm durch die Zentrale schrillte, war Jolkar Kerrek erleichtert: Endlich ging es los. Wichtiger noch, sie hatten nicht umsonst ausgeharrt.

Die Apasos waren nah. Viel näher, als Jolkar vermutet hatte. Sie hatten die Leichten Kreuzer ignoriert, die entlang der Frachtrouten patrouillierten, und waren direkt auf den Hauptverband zugesteuert. Sie waren um ein Mehrfaches in der Überzahl.

Der Verschlusszustand war bereits hergestellt, alle Andruckabsorber verharrten in Hochbereitschaft, die Triebwerksleistung war zu hundert Prozent abrufbar, und so konnte Jolkar ohne Verzögerung reagieren. »Ausweichmanöver! An alle: Defensivtaktik. Wir müssen Zeit gewinnen! Manöver Groomblüte.«

Die Diskusse stoben in dicht gepackten Gruppen auseinander. Jolkars 800-Meter-Schlachtschiff wurde von drei Schweren Kreuzern eskortiert, die synchron jeder Bewegung folgten. Kleinere Einheiten umschwirrten sie wie wütende Hornissen.

Wenn die Befehlshaber der Apasoflotte von der schnellen Reaktion überrascht waren, zeigten sie es nicht. Sie behielten eine dichte Kernformation bei und ließen daraus Staffeln Leichter Kreuzer auf die Gataser herausschießen.

»Leichte Kreuzer auf Rammkurs gegen die Untergruppen«, verkündete die taktische Kontrolle. »Das Gros hält auf uns zu.«

Jolkar spreizte drei Finger seiner rechten Hand ab. »Hammertorpedos bereit und los, sobald die Vorauseinheiten auf Kernschussreichweite heran sind. Schwere Rammen in Bereitschaft, aber für Hauptziele zurückhalten. Funktionsanalyse der gegnerischen Flotte.«

Die ersten Leichten Kreuzer der Apasos hatten ihre Ziele erreicht. Es begann ein wilder Tanz, bei dem jeder Diskus versuchte, in eine günstige Position für einen Rammstoß zu kommen. Wolken aus Raumtorpedos sollten den Gegner zu Kursänderungen verleiten und ihm den eigenen Willen aufzwingen. Gelegentlich nahm ein Kommandant Treffer in Kauf, um seinen Kurs halten zu können. Die Geschosse zündeten unmittelbar vor dem Einschlag ihre Ladungen und knallten, mit dadurch um ein Vielfaches verstärkter Wucht, auf die Molkexpanzer. So brachial diese Taktik war, das Rammen war als einziges Mittel wirklich Erfolg versprechend, weil andere konventionelle Waffenenergie wirkungslos verpuffte.

Jolkar sah, wie ein attackierender Kreuzerkommandant sich verschätzt hatte: Von mehreren Torpedos getroffen, wurde der Apasoraumer wie von der Faust eines Riesen herumgeschleudert und trudelte unkontrolliert aus der Bahn. Ein Gataserschiff gab sofort Rammschub und prallte im optimalen Winkel mit dem angeschlagenen Gegner zusammen: Während der Gataser die Wucht des Zusammenstoßes abzuschütteln vermochte, riss es sein Opfer in Gegenrichtung herum. Der Diskus wirbelte, sich über zwei Achsen überschlagend, davon. An Bord hatte vermutlich keiner die extremen Fliehkräfte überlebt.

Ein Kollisionsalarm forderte Jolkars Aufmerksamkeit. Nach dem Vorgeplänkel der Leichten Kreuzer waren die Großkampfschiffe heran: Die Apasos kamen schneller als erwartet zur Sache.

»Ausweichschub!«, befahl Jolkar. Ein Sirren erklang, als die Gyrokammer den gewaltsamen Ruck ausglich, mit dem das Schlachtschiff beschleunigte. Schützende Prallfelder umgaben Jolkar wie weiche, unnachgiebige Kissen. Dann dröhnte das ganze Schiff wie eine riesenhafte Glocke unter dem Zusammenstoß mit einer kleineren Einheit. Darauf folgte ein Knallen wie von Riesenhämmern. Torpedos schlugen in rascher Folge auf den Rändern der BLAUGLANZ ein. Der Trefferlärm wurde vom Dröhnen der Triebwerke abgelöst, die mit Maximalleistung die Wucht der Einschläge zu kompensieren versuchten.

Jolkar bemühte sich, ruhig zu bleiben, so wie sein Vater es auch im Angesicht höchster Gefahr stets war. Er konnte das mehrstimmige Summen der Aufregung aber nicht unterdrücken, mit dem sein Körper sich Luft verschaffte, und das ärgerte ihn zutiefst.

»Schwere Rammen los!«, schrie er zornig.

Die Luken der Werfer sprangen auf und spien säulenartige Geschosse aus, die auf Feuerschweifen ritten. Sofort wollten sich die Werferluken wieder schließen, da gellten Alarmpfeifen.

»Treffer in Werfersektion drei!«, rief ein Nhervis. »Thermostrahlen. Sektionen drei, vier und sieben melden schwere Schäden.«

Jolkar fluchte. Sein Vater hatte ihn gewarnt: Jedes Abfeuern einer Waffe bedeutete, dass die Molkexpanzerung für die Waffenschächte geöffnet werden musste, und sei es nur für einen Augenblick. Tagrep Kerrek hatte ausführlich beschrieben, wie selbst die Menschen vor zwei Jahren genau diese Schwachstelle ausgenutzt hatten, um Azaraqeinheiten zu beschädigen. Dieser Trick war den Azaraq natürlich alles andere als unbekannt ... und Jolkar hatte sich wie ein Schlüpfling damit hereinlegen lassen.

Immerhin fand ein Großteil seiner schweren Rammen ihr Ziel und verschaffte ihm etwas Abstand zu seinen Gegnern. Ein Blick auf die Holokontrollen ließ aber keinerlei Platz für Illusionen: Wenn Tagrep Kerrek nicht eingriff, würden die Apasos Jolkars Verband in Kürze in die weiße Sonne treiben.

Ein heftiger Schlag schickte Erschütterungen selbst bis in die Gyrokammer.

»Ausfall der Steuertriebwerke. Wir trudeln! Zudem Impaktschäden auf allen B-Decks«, meldete der zuständige Zentraleoffizier. »Klasse drei bis sechs. Unser Begleitschutz legt bereits einen Schutzwall um uns, um weitere Rammversuche bis zur Reaktivierung der Triebwerke abzuwehren.«

»Alle Decks auf weitere Einschläge vorbereiten!«, befahl Jolkar Kerrek überflüssigerweise. Alarmpfeifen und Warnlampen machten der Besatzung bereits mehr als deutlich, dass sie für den Augenblick faktisch hilflos waren.