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Nr. 3007

 

Zeuge der Jahrhunderte

 

Auf der Suche nach der Dunkelwelt – Atlan trifft auf einen Posbi-Diktator

 

Michelle Stern

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Vorspiel: Vergangenheit

1. Gestern und Heute

2. Hier und fort

3. Hin und her

4. Damals und jetzt

5. Dort und anderswo

6. Dies- und Jenseits

7. Drunter und drüber

8. Auf und ab

9. Ein und aus

Nachspiel: Gegenwart

Leserkontaktseite

Glossar

Risszeichnung Piratenraumer der Ladhonen

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende von Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Die Rückkehr von seiner letzten Mission hat ihn rund 500 Jahre weiter in der Zeit katapultiert. Eine Datensintflut hat fast alle historischen Dokumente entwertet, sodass nur noch die Speicher der RAS TSCHUBAI gesichertes Wissen enthalten.

Perry Rhodan befindet sich nun in der sogenannten Cairanischen Epoche. Vieles ist anders, als er es gewöhnt ist; die Menschheit ist ein Volk ohne Herkunft geworden. Auf der Suche nach der Erde benötigt Perry Rhodan Unterstützung und sichere Anlaufpunkte. Eine erste Möglichkeit sind die Posbis – sie wurden ZEUGE DER JAHRHUNDERTE ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan – Der Arkonide sucht eine Werftwelt.

Marli Willka – Für die Xenotechnologin ist Gucky ein rotes Tuch.

Gucky – Der Mausbiber sucht nach einem Bewusstsein.

Prexxel-Alabaster – Der Matten-Willy versucht sich als Vermittler.

Stahmon – Für den Herrscher von WHEELER geht Sicherheit vor.

Vorspiel

Vergangenheit

 

74-1-2 fuhr die Teleskopaugen aus. Er spürte seinen Plasmaanteil vibrieren, meinte, das Zentralplasma selbst schreien zu hören. Das war zwar eine Einbildung, doch derart realistisch, dass 74-1-2 nicht wusste, was echter war: das Bild des explodierenden Posbiraumers vor ihm oder der Schrei im Inneren, der sich zog und zog und zog?

Die Posbis werden untergehen! Dieser Gedanke war einfach da, vermittelt durch das Plasma. Er stand wie etwas Monumentales im Raum, das vorhatte, ewig zu bleiben. Wir werden sterben. Die Ladhonischen Scharen sind unser Ende.

74-1-2 war nur ein einzelner Posbi. Ein kleines Rädchen in einem gigantischen Getriebe. Was sollte er tun? Wie den Untergang aufhalten?

»Du hast Angst«, stellte eine neutrale Stimme fest.

»Ja, natürlich habe ich Angst! Station 43284 ist in Gefahr! Bekümmert dich das nicht?«

»Das tut es.«

»Lüge! Du weißt nicht, was Gefühle sind. Du simulierst sie!«

»Ich mache mehr als das.«

»Aber nicht genug!«

Die neutrale Stimme schwieg.

74-1-2 schwenkte den Sessel von der Holowand fort. Er wollte das Sterben nicht mehr sehen.

1.

Gestern und Heute

RAS TSCHUBAI

 

Es war der 12. September 2045 NGZ, fünfhundert Jahre später.

Es war eben erst. Vor ein paar Jahrhunderten.

Diese Redewendung spukte durch das Schiff. Man begegnete ihr beinahe so oft wie einem der zahlreichen Getränkespender.

Marli Willka stand vor einem der Geräte in Turnhalle 07, Freizeitsektion 04, Deck 23.09, Atrium. Der Spender erinnerte an eine riesige Birne, aus der Würmer herauslugten. Marli drückte auf die Sensorfläche. Eine Frasurfruchtschorle fiel mit einem dumpfen Laut in den Ausgabeschacht; eine der letzten. Die Dosen aus wiederverwertbarer Metallfolie nahmen mehr und mehr ab. Es war eine freiwillige Aufgabe der Posbis gewesen, die Automaten zu befüllen.

Manche Posbis waren wild auf solche Tätigkeiten. Es machte den Angehörigen eines uralten Volkes aus positronisch-biologischen Robotern sichtlich Spaß, simple Maschinen zu entwerfen und zu warten. Sie bemalten ihre Werke oder verzierten sie auf andere Weise.

Der Automat vor Marli war über und über mit schwach leuchtenden, bunten Lichtern besetzt, die sinnfrohe Muster bildeten. Praktische Alltagskunst. Aber eben erst waren nahezu sämtliche Posbis gemeinsam mit ihren liebenswerten Schrullen von Bord gegangen. Zwei der wenigen Verbliebenen rollten hinter Marli mit den anderen um die Wette, um den Fußball in ihren Besitz zu bekommen.

»Beeil dich, Marli!«, rief Tok, der Mannschaftskapitän. Er hatte den Spielfuß knapp oberhalb der Rollen ausgefahren, obwohl er Meter vom Ball entfernt stand. Sein ovaler, an ein Ei erinnernder messingfarbener Körper rotierte von links nach rechts. Er schien in Versuchung zu sein, den Flugmodus einzuschalten, was in dieser Partie verboten war. Seine Stimme wurde anklagend. »Ohne dich sind wir in der Unterzahl!«

Das wusste Marli. Aber sie brauchte diese Auszeit, selbst wenn es bedeutete, dass ihre Mannschaft einen Treffer kassierte und einer der beiden umgedrehten Pylone, die sie in ihrer Spielfeldhälfte hüteten, vom Ball davongeschossen wurde.

Marli wollte einmal mehr eine Pause, um das zu verarbeiten, was nicht zu verarbeiten war.

Eben erst. Vor ein paar Jahrhunderten.

Sie zog die Dose aus dem Automaten, umschloss das kühle Metall mit den Fingern. Ihre Brust fühlte sich leer an, wie die Fächer im Automaten vor ihr. Sie vermisste Hanka und Trudi, Ellsan und vor allem Fador. Die lachenden Gesichter tauchten immer wieder wie Geister in Marlis Erinnerung auf. Diese vier waren wohl in den Wirren des Weltenbrands untergegangen.

Mittlerweile glaubte man zu wissen, dass der Weltenbrand noch eine ganze Weile nachgewirkt hatte, nachdem sie Wanderer verlassen hatten. Wie sehr hatten die Bewohner der Milchstraße gelitten?

Wie lange das Drama sich hingezogen hatte, wusste niemand. Die Daten widersprachen einander, gingen mal von zwei bis drei Jahren aus, dann von Jahrzehnten und sogar Jahrhunderten. Die Datensintflut, der Posizid, hatte alle Verlässlichkeit davongespült. Hatte er auch jene Posbis erwischt, die eben erst von Bord gegangen waren? Oder hatten sie ihre Speicher unversehrt erhalten können? Was war mit ihnen geschehen, falls das nicht gelungen war? Waren sie wahnsinnig geworden, hatten sie neue Persönlichkeiten entwickelt oder hatten sie nur Gedächtnislücken? Existierten sie überhaupt noch? Theoretisch musste das der Fall sein, denn Posbis waren dem Altern nicht unterworfen.

Der Ball schlug klatschend gegen den Pylon – ein vertrautes Geräusch. Jubelrufe erklangen, gemischt mit Toks entnervtem Aufstöhnen.

»Treffer!«, rief Harudh. Er packte Elzana, die Schützin, an der Hüfte, hob sie hoch und wirbelte sie herum. Elzana quiekte vor Begeisterung.

»Verdammt, Marli!« Tok klang wirklich ärgerlich.

Dabei war das sonst gar nicht seine Art. Er züchtete Jasminblumen in seiner Kabine und unterhielt eine kleine Schmetterlingsfarm in Sektion 03. Nun ja. Jeder ging mit der Situation anders um.

Marli wischte sich über das heiße Gesicht. Sie trank in einem Zug aus, warf die Dose in den Konverter und rannte zum umgestürzten Pylon.

»Vier zu fünf!«, rief Elzana. »Wir kriegen euch!«

»In deinen Träumen!«, versetzte Snaji, die zweite und letzte Posbi in Marlis Mannschaft. Im Gegensatz zu Tok glich sie einer Humanoiden, wenn sie auch durch und durch aus einem schwarz lackierten, metallartigen Material geformt war.

Auch Marli hatte solches Metallplast im Körper. Ihr linkes Bein war ersetzt worden, als sie sieben Jahre alt gewesen war – die Folge eines schweren Unfalls. Das künstliche Bein – eine Fertigung der Posbis – war quasi mit ihr mitgewachsen. Eine erneute Operation war unnötig gewesen. Dafür dankte Marli den Posbis.

Marli stellte sich auf die Höhe von Tok. Nun spielten sie wieder fünf gegen fünf. Rai und Armint passten sich den Ball zu. Ehe sie auch nur in Pylonennähe kamen, attackierten Elzana und Harudh die Angreifer. Tok und Marli versuchten die beiden abzuschirmen, Harudh gelang es, Armint über die Hüfte zu hebeln. Er schlug auf dem Boden auf, der automatisch unter dem Gewicht nachgab.

Nun kam Esther an den Ball, passte ihn zu Elzana.

Marli erwischte den Pass, stieß Elzana von sich und stürmte los.

Eben erst, vor ein paar Jahrhunderten, war Marli in einer ganz anderen Zeit gewesen. Sie hatte sich entschieden, an Bord zu bleiben, bevor die RAS TSCHUBAI durch das chaotemporale Gezeitenfeld getaucht war – hatte sie einen Fehler begangen?

Elzana verfolgte sie, holte sich den Ball zurück. »Wieder mal von Shengelaia geträumt? Oder von Atlan?«

»Klappe, Elz!«

Elzana grinste, was sie überraschend frech aussehen ließ. Begegnete man ihr auf dem Gang, meinte man, sie wäre die Sittlichkeit in Person, doch Elzana konnte auch anders. »Ja, ja. Marli und die alten Männer.«

Aus solchen Sprüchen machte Marli sich nichts, und das wusste Elzana auch. Sie spotteten gerne freundschaftlich übereinander. Außerdem stimmte es, dass Marli Shengelaia bewunderte. Der Kamashite war der Erste Betreuer der Semitronik ANANSI. Er war nicht nur aufgrund seiner Para-Sensibilität besonders. Und Atlan ... Er war eben die zweite Wahl. Ihre persönliche Nummer zwei. Wer nicht begriff, was für ein Genie Shengelaia war, war selbst schuld.

Elzana versuchte einen Fernschuss, doch Tok passte auf. Er versperrte den Weg zum gelben Pylon. Der Ball prallte von seinem Spielfuß ab, donnerte unkontrolliert an die Decke.

Marli zuckte bei dem Geräusch zusammen. Man vergaß leicht, dass man in einem fünf Meter hohen Innenraum auf einem Raumschiff war. Die Illusion von freiem Himmel war perfekt. Erst wenn man aus der Halle ging und in den großen Parkbereich trat, fiel es auf, da die Holoumgebung dort selten zum eingestellten Programm im Inneren passte. Manchmal trat Marli aus einer Wüste hinein in eine Schneelandschaft.

»Gegenangriff!« Tok rollte los, doch auch er hatte keinen Erfolg.

Fünf laufintensive Minuten errang niemand einen klaren Vorteil.

»Machen wir Schluss für heute«, schlug Snaji vor.

»Okay.« Marli schwitzte. »Fühlt ihr euch auch so schwer, seit ihr aus der Suspension raus seid? Von null auf hundert in einer Sekunde. Das muss einem erst mal jemand nachmachen.«

»Hundert?«, fragte Elzana. »Du meinst ja wohl eher hundertzehn, oder?«

Marli ignorierte die Spitze. Tatsächlich war sie mit hundertzehn Kilogramm aus der Suspensionsbank gestiegen. Das war das Ursprungsgewicht, als das Gerät sie nach der Reise durch die Zeit verstofflicht hatte. Nach wenigen Tagen und trotz schweißtreibenden Sports wog sie nun bereits knapp hundertzwölf. Ohne Cashew-Schokodrops ließ sich der Verlust ihrer Zeit kaum ertragen.

»Wo wir gerade beim Thema sind ...«, sagte Harudh, der ebenfalls jeden Tag ein wenig rundlicher wurde. »Lasst uns essen gehen.«

Marli nickte, wie der Rest der Mannschaft, inklusive Snaji. Tok wankte von links nach rechts, um seine Zustimmung auszudrücken. Die beiden Posbis würden mitkommen, obwohl sie kein Essen brauchten. Aber sie wollten gerne in der Gemeinschaft blieben. Es tat gut, Freunde wie sie zu haben.

Eben erst ...

Marli wandte sich ab, wollte nicht, dass die anderen ihren Gesichtsausdruck sahen. Ständig schlechte Laune zu haben, half niemandem.

Tok kam zu ihr. »Hey, wir leiden gemeinsam, okay?«

»Klar.«

»Was brauchst du, damit es dir besser geht?«

»Ich weiß nicht. Vielleicht eine Herausforderung. Ich möchte, dass es einen verdammt guten Grund gibt, warum ich das hier mitgemacht habe. Und dieser Grund sollte nicht in der Vergangenheit liegen.«

Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Wir sind die Beschützer der RAS und damit die Wahrer des letzten unverfälschten Archivs der Liga. Die Zeit wird kommen, in der du dich beweisen kannst.«

 

*

 

»Was hast du herausgefunden?« Ich hatte meine Sesselstation direkt neben die von Sichu Dorksteiger bewegt. Ein Schirm hielt andere davon ab, uns zu belauschen. Dieses sensible Thema wollte ich nicht in der Zentrale verbreitet wissen, vor allem deshalb nicht, weil die betroffene Person vielleicht ihre Mittel hatte, mitzuhören. Sie war bereits in dieser Zentrale gewesen, konnte eine Spionsonde eingeschmuggelt haben. Wir wussten zu wenig über sie und ihre Möglichkeiten.

In der Beziehung bist du paranoid, meldete sich mein Extrasinn zu Wort. Zemina Paath hat die RAS TSCHUBAI zusammen mit Perry Rhodan verlassen. Selbst wenn sie hier etwas eingeschleust haben sollte, wird sie kaum auf die Daten zugreifen können.

Nicht unmittelbar, ja. Aber sie könnte schon bald wieder an Bord kommen, entgegnete ich. Solange ich so wenig über sie und die aktuelle Lage in der Milchstraße weiß, erscheint mir ein wenig Paranoia angebracht.

»Atlan ...« Sichu wirkte, als hätte ich sie überrascht. Vielleicht war sie in Gedanken bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit gewesen – oder bei ihrem Mann, der mit der BJO BREISKOLL auf eine eigene Mission gegangen war. »Die Sache beschäftigt dich, was?«

Die Ator runzelte die Stirn, was den goldenen Linien auf ihrem grünen Gesicht ein interessantes Eigenleben gab. »Du bist voller Misstrauen.«

»Du nicht?«

Einen Augenblick zögerte Sichu, dann lächelte sie. Ihre silbernen Zähne wurden sichtbar. »Doch. Zemina Paath ist ein Rätsel. Sie ist einfach so auf der RAS aufgetaucht, während wir in Suspension lagen. Selbstverständlich misstraue ich ihr.«

»Bestens.« Ich lächelte zurück. »Als Missionsleiter ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass uns niemand dazwischenfunkt. Paath hat womöglich ihre eigene Agenda. Sie, ihr Sternenschiff und ihr Paau werfen jede Menge Fragen auf.«

Wer war diese unbekannte Frau? Was hatte es mit ihr auf sich? Perry hatte gesagt, er misstraue ihr ebenfalls – doch Perry war eben Perry. Er wollte stets das Gute in anderen sehen, nicht die Schattenseiten. Für meinen Geschmack vertraute er der Fremden viel zu leicht.

Sichu rief ein kleines Holo vor dem Sessel auf. »Ich kann deine Gedanken nahezu lesen, dabei ist das Guckys Job. Denk nicht schlecht von Perry.«

»Ich denke nie schlecht von Perry. Ich beurteile lediglich das eine oder andere schärfer.«

»Das ist dein gutes Recht.«

Vor uns schwebte das Bild einer hochgewachsenen, nahezu dürren Frau. Die Haut war milchig-weiß, die kurzen, schwarzen Haare boten dazu einen scharfen Kontrast. Ein Schimmer lag auf ihnen, als würden sie von blauem Licht geflutet. Die Augen waren ungewöhnlich, das Blau blendend. Der Hals war schlank und lang, die Hände fünffingrig, wobei an der linken Hand der Ringfinger und der kleine Finger fehlten.

Paath trug eine einteilige Kombination aus rötlich schimmerndem, eng anliegendem Stoff, auf dem sich dunkle Bahnen und Linien wanden. Ein auffälliges Detail war die handbreite Halskrause, die zahlreiche Ausbuchtungen und Vertiefungen aufwies. Sie war definitiv ein technisches Gerät, ihre Funktionen jedoch blieben im Dunkeln, ebenso wie Zemina Paaths Geschichte.

Paath behauptete, »porös« zu sein, sich nicht erinnern zu können. Eine praktische Behauptung, wie ich fand. Was verbarg sie vor uns?

Sichu zeigte auf die Darstellung. »Man könnte denken, dass es einfach wäre, mehr über sie und ihre Herkunft herauszufinden. Aber das ist es nicht. Die Proben, die du hast einsammeln lassen, haben nichts ergeben. Ich kann Zemina Paath keinem bekannten Volk zuordnen. Das an sich wäre nicht so schlimm. Es kommt vor, dass das passiert. Allerdings kann ich nicht einmal eine nahe Verwandtschaft zu einem uns bekannten Volk postulieren. Paath hat eine humanoide Form, doch ist sie definitiv weder Mensch noch Tefroder oder sonstiger Lemurerabkömmling. Ihr Erbgut ist äußerst fremdartig.«

Wir schwiegen einen Moment. Ich ließ diese Information sacken. Uns waren verdammt viele Völker bekannt. Wir hätten nahezu jeden sofort zuordnen können, oder doch zumindest die von Sichu angesprochene Verwandtschaft gefunden. War Paath etwas Einzigartiges? Vielleicht eigens in der Retorte geschaffen? Oder war sie die Letzte eines Volkes, so wie Gucky? Die tragische Überlebende einer untergegangenen Zivilisation? Aus welcher Galaxis mochte sie kommen?

»Paath bleibt vorläufig ein Rätsel«, sagte Sichu. Die Ator schaltete das Holo ab. »Wir können nur hoffen, dass Perry sie gut im Auge behält.«

Gucky dirigierte seine Sesselstation zu uns. Wie üblich tat der Mausbiber das mit sichtlicher Freude und in einem extra schnellen Modus. »Wir sollten gleich da sein!«, rief er durch die moderat eingestellte Dämpfung.

Ich blickte auf, prüfte die Daten auf dem Hologlobus. Tatsächlich trennte uns nur noch eine Transition vom Ziel. Wir hatten die Position von Culsu beinahe erreicht. Mit einer Handbewegung schaltete ich den Schirm um Sichu und mich ab. Sofort verschwand die Dämpfung. Die Geräusche von Schritten, Stimmen und das kaum wahrnehmbare Sirren der Interfacesäulen drangen durch den halbelliptischen Raum.

Beiläufig zog Gucky ein Stück Kohlrabi aus der Sessellehne. »Culsu! Hier werden wir die RAS wieder flottbekommen!«

Das Schiff wies etliche Schäden auf. Es war zum Teil auf der Dunkelwelt Culsu gebaut worden. Wenn wir Glück hatten, würde man uns dort weiterhelfen können.

Nach wie vor war die Lage unklar, aber eines stand fest: Wir waren Gejagte. Die Cairaner wollten uns in die Hände bekommen, und die RAS war nicht nur ein weiteres ihrer Ziele, sondern zugleich unser einziges Bollwerk gegen unsere Gegner. Ganz davon abgesehen, waren in dieser Epoche etliche Daten verloren gegangen. Es herrschte eine einzige große Verwirrung. Die RAS TSCHUBAI jedoch enthielt diese Daten in ihrer Reinform. Wenn die Milchstraße ihre Vergangenheit verloren hatte, konnten wir sie ihr wiedergeben.

Der Omniträger machte den nächsten Sprung, erreichte die Zielkoordinaten. Stille senkte sich über die Zentrale. Es war ein unangenehmes Schweigen, denn jeder erkannte sofort das Offensichtliche: Auf der großen Kugel im Hologlobus gab es keinerlei Anzeigen, die auf Culsu hinwiesen. Die Dunkelwelt schien ausgelöscht worden zu sein.

 

 

Zwischenspiel

Vergangenheit

 

»Wir werden untergehen. Das Ende kommt«, murmelte 74-1-2.

Er wusste, dass er einen Zwangsgedanken hatte. Sein Plasma war beeinträchtigt. Es wirkte sich negativ auf die positronischen Anteile aus. Eigentlich sollte 74-1-2 das melden, sich untersuchen lassen, doch das wollte er nicht. Niemand brauchte zu wissen, wie es in ihm aussah. Auf der Station ging ohnehin alles drunter und drüber. Jeder hatte seine eigenen Sorgen.

»Ich beschütze dich«, sagte die neutrale Stimme, die 74-1-2 zu hassen gelernt hatte.

Sie verstand ihn nicht. Niemand verstand ihn, doch sie tat es am wenigsten. Das war umso ironischer, da er für sie verantwortlich war.

»Sicherheit geht vor«, sagte er laut, um sich von seiner Wut abzulenken.

Er hätte gerne gesagt, was er tatsächlich dachte und fühlte, doch dann würde er untersucht werden. Sie würden ihm verbieten, in der Zentrale Dienst zu tun, würden ihn zwingen, sich auszuruhen und ihm damit die Lebensaufgabe nehmen.

74-1-2 brauchte keine Ruhe. Er brauchte Sicherheit. Gewissheit.

Es musste gut werden.

Er wollte Station 43284 für die Nachwelt bewahren. Die anderen Posbis an Bord mochten ihn nicht verstehen, doch sie waren ihm anvertraut. Letztlich waren sie auf ihn angewiesen und auf seinen unvollkommenen Schützling.

»Ja«, sagte der Schützling mit der neutralen Stimme. »Sicherheit geht vor.«

2.

Hier und fort

 

Gucky biss geräuschvoll in die Kohlrabischeibe. »Da scheint mir was zu fehlen!«

Ich stand auf.

Noch immer herrschte Schweigen. Die gut zwei Dutzend Mitglieder der Zentralebesatzung wirkten geschockt. Egal auf welcher der leicht zueinander verschobenen Ebenen – überall war Betroffenheit zu spüren.

Ohne Culsu, die Welt aus Eisen, konnten wir die RAS TSCHUBAI nicht reparieren. Ein angeschlagenes Schiff machte uns angreifbar. Mehr noch – für die meisten an Bord war die RAS ein Zuhause. Ohne entsprechende Werften und Verbündete hingen wir buchstäblich im freien All.

Cascard Holonders Hand bewegte sich, als kritzelte er auf einem Stück Papier, doch der riesenhafte, glatzköpfige Kommandant hatte keinen Stift in der Hand.

Major Briony Legh, die Erste Pilotin, sah ungewöhnlich blass aus. Sie kniff die Lippen zusammen. Der Zweite Offizier, Major Atani Kekuka, regte sich nicht. Da er sich normalerweise viel bewegte und weite Gesten bevorzugte, wirkte das ungemein bedrückend. Auch Magebe Lenski, die Erste Offizierin, hatte sich in ein Holostandbild ihrer selbst verwandelt.

War unsere Mission, das Schiff wieder auf Vordermann zu bringen, an diesem frühen Punkt gescheitert?

Auf dem COMMAND-Podest erschien ein Holo des umgebenden Weltalls. Es zeigte exakt das, was auch der Hologlobus präsentierte: nichts.

»Können sie sich getarnt haben?«, fragte ich.

»Keinerlei Anmessung«, sagte Lit Olwar, der Leiter der Station Funk- und Ortung. »Da draußen ist nichts.«

Sichus Gesicht wirkte steinern. Sie hatte ihren Mann Perry Rhodan allein in den Einsatz fliegen lassen, war mit mir und Gucky gekommen, weil sie Culsu kannte – nun war die Station nicht aufzufinden.