cover.jpg

img1.jpg

 

Nr. 3008

 

Stadt der Letztgedanken

 

Landung auf der Dunkelwelt – sie treffen das versteinerte Volk

 

Susan Schwartz

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. RAS TSCHUBAI

2. HANTA YO – Der Anflug

3. Der erste Vorstoß

4. Die Vanth

5. Athanasious Bericht

6. Nach Tvath

7. Der Stillmeister

8. Ein paar Antworten und noch mehr Fragen

9. Gucky

10. Der Weg zum Hemizentrum

11. Der Ort der Erleuchtung

12. Der Ruf

13. RAS TSCHUBAI, 18. September 2045 NGZ

Report

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

img2.jpg

 

Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende von Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Die Rückkehr von seiner letzten Mission hat ihn rund 500 Jahre weiter in der Zeit katapultiert. Eine Datensintflut hat fast alle historischen Dokumente entwertet, sodass nur noch die Speicher der RAS TSCHUBAI gesichertes Wissen enthalten.

Während Perry Rhodan sich auf die Suche nach Informationen und Verbündeten macht, übernimmt der Arkonide Atlan das Kommando über die RAS TSCHUBAI und sucht Hilfe und Beistand bei alten Verbündeten. Dabei kommt er auch in die STADT DER LETZTGEDANKEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan – Der Arkonide durchsucht ein Schiff der Cairaner.

Gucky – Der Mausbiber kann sich auf seine Psifähigkeiten nicht uneingeschränkt verlassen.

Sichu Dorksteiger – Die Ator begibt sich auf eine Expedition.

Binice Athanasiou und Milo Gerenga – Die beiden Terraner begleiten Atlan als Xenobiologin und Kybernetiker.

1.

RAS TSCHUBAI

 

Persönliches Logbuch Atlan, Stellvertretender Kommandant der RAS TSCHUBAI.

15. September 2045 NGZ: Die Lage auf WHEELER hat sich beruhigt. Die Posbis sind wieder mit ihrem Plasma verzahnt und haben die volle Kontrolle über ihre Station. Ich hielt es für gerechtfertigt, um eine Gegenleistung für die Befreiung vom Joch des Shelter-Programms zu bitten – um die aktuellen Koordinaten für die Dunkelwelt Culsu. Oder, weil ich die Preisgabe für unwahrscheinlich hielt, um die Bereitstellung eines Lotsen.

Wir erhielten nicht irgendeinen Lotsen, sondern den Posbi Kirt zusammen mit seinem Betreuer, dem Matten-Willy Prexxel-Alabaster. Kirt ist ein »guter alter Bekannter« aus der Zeit vor fünfhundert Jahren, als wir auf Wanderer um die Zukunft der Milchstraße gekämpft haben.

Wir brauchen solche Kontakte zur früheren Zeit, um uns zurechtzufinden, denn uns fehlen besagte fünfhundert Jahre.

Und der RAS TSCHUBAI fehlt auch so einiges, weswegen wir unbedingt nach Culsu wollen.

 

*

 

Drei Stunden nach dem Aufbruch

Mehrmals während dieser drei Stunden war ich mir sicher, dass Kirt uns falsch führen würde. Der deutlich verwirrte Posbi war kaum in der Lage, einen vernünftigen Satz herauszubringen. Oft musste er von seinem Betreuer Prexxel beruhigt und wieder auf »Normalkurs« gebracht werden.

Kirt nahm nicht viel Raum auf unseren COMMAND-Podest in der Zentrale ein, denn er war nur etwa einen halben Meter hoch und bestand offenbar lediglich aus zwei schwarz-weiß gemusterten Metallrädern, die mit einer fünfzig Zentimeter langen Achse verbunden waren.

Prexxel, der sich wegen seiner weiß schimmernden Haut nachvollziehbar den Zweitnamen »Alabaster« gegeben hatte, hatte momentan die Form eines langen dünnen Stabes angenommen, aus dem immer dann Pseudopodien hervorgeschossen kamen, wenn Kirt die Fassung zu verlieren drohte. Dann tätschelte der gestaltwandelnde Matten-Willy den verstörten Posbi beruhigend und schien sich mit ihm auf eine Weise zu verständigen, die uns – und auch Gucky – unbekannt blieb.

Cascard Holonder kümmerte sich als Kommandant um den sicheren Flug, und ich achtete auf unseren »Lotsen«.

Nach dem Vorfall auf WHEELER war ich angespannt und vorsichtig. Die Posbis waren uns dankbar für ihre Befreiung. Das bedeutete aber noch lange nicht, dass nicht irgendwelche weiteren »Überraschungen« vorhanden waren, die beispielsweise in ihnen ohne ihr Wissen verankert worden waren.

Ewig misstrauisch, konstatierte mein Extrasinn.

Und mit Recht, gab ich zurück.

Man wurde nicht ein paar Zehntausend Jahre alt, wenn man rückhaltlos allem und jedem vertraute. Die Erfahrung hatte mich oft genug gelehrt, dass die Dinge zumeist nicht so waren, wie sie aussahen.

Kirt tat mir leid, und ich hoffte, dass es für ihn bald Heilung geben würde. Prexxel hatte keine Zuversicht in dieser Richtung geäußert. Aber wer wusste das schon bei der langen Existenz dieser Roboter mit Plasmakomponente, die sich selbst reproduzieren konnten und ein individuelles Bewusstsein hatten?

Das Vertrauen der Posbis uns gegenüber ging nicht so weit, dass sie uns die Koordinaten unseres Ziels einfach so verrieten. Diese waren und blieben geheim, und die Daten unseres Fluges dorthin wurden nirgends gespeichert. In keiner Speicherbank, in keinem Protokoll. Dafür sorgte ANANSI.

Was angesichts der Situation nicht verkehrt war. Ich hatte früher auch schon mal ein paar Jahrhunderte verloren, doch diesmal war es anders.

Wir waren in eine Milchstraße zurückgekehrt, die nicht mehr »die unsere« war. Sämtliche Strukturen, die wir in den vergangenen Jahrtausenden aufgebaut hatten, waren umgebaut, zerbrochen oder zerstört. Terra war ein Mythos, und die meisten galaktischen Völker standen unter einem fremden Protektorat, dem der Cairaner, über die wir bisher wenig mehr als Propaganda und Gerüchte erfahren hatten – und von denen wir wussten, dass sie der Zellaktivatorträger habhaft werden wollten.

Perry war mit der BJO BREISKOLL unterwegs, um im neuen Zentrum der Liga mit Reginald Bull zu sprechen – und ich musste dafür sorgen, dass wir die angeschlagene RAS TSCHUBAI wieder voll einsatzfähig bekamen.

Das Raumschiff mit seiner kleinen Beibootflotte war aktuell unser einziger Rückzugsort, Versteck und Festung zugleich, nichts sonst war uns verblieben. Wir waren ein Fremdkörper, nicht mehr als ein unerwünschter Pickel auf einer hunderttausend Lichtjahre durchmessenden Haut. Den auszudrücken ich nicht zulassen würde.

Fünfhundert Jahre und ein neues Universum.

Wie theatralisch. Gleich das ganze Universum!, spottete mein Extrasinn.

Bleib du weiter schön logisch und überlass mir die Emotionen, erwiderte ich.

Was sollte man denn auch sonst denken, wenn die bekannte Welt in Trümmern lag? Man empfand sie ja als Universum. Und ich wusste dabei noch nicht einmal etwas über meine ursprüngliche Heimat, mit der ich nach wie vor verbunden war. Durch die Atopen entvölkert von Arkoniden ... und dann?

Eins nach dem anderen, du Held. Zuerst reparieren wir die RAS TSCHUBAI, damit wir wieder ordentlich Bums unterm Hintern haben, um, wie du es so schön bildlich formuliert hast, nicht als Pickel ausgedrückt zu werden, und dann gehen wir an den Rest.

Der bestand wahrscheinlich darin, als Erstes Perry aus der Bredouille zu holen, in die er sich unter Garantie längst hineingeritten hatte, weil er der Fremden, die uns an Bord unseres eigenen Raumschiffes begrüßt hatte, zu sehr vertraute.

Eine Amnesie vorzuschützen war immer sehr einfach: »Wer bist du?« – »Ach, das hab ich vergessen.« Natürlich! Was auch sonst? So etwas erklärte alles, oder? »He, ich bin jetzt nett, demnach war ich es schon immer, auch wenn ich mich nicht mehr daran erinnere!« So in etwa präsentierte sich Zemina Paath. Und Perry vertraute ihr.

Das war ein Fehler. Ich wusste das. Perry nicht. Er neigte seit jeher dazu, sich seine eigene Wahrheit zu schaffen. Dass er damit in der Vergangenheit oft richtiglag, bewies nicht, dass er damit die bestmögliche Strategie verfolgte. Er brauchte Freunde wie mich, die ihn davor bewahrten, nicht wiedergutzumachende Fehler zu begehen.

Also waren wir im ersten Schritt unterwegs nach Culsu, jener Dunkelwelt und Werft der Posbis, auf der einige Teile der RAS TSCHUBAI gefertigt worden waren. Unter anderem die Außenhülle aus Ynkalkrit, die uns derzeit am meisten Sorgen bereitete, und ANANSI.

Da ANANSI die Koordinaten Culsus gespeichert hatte – sie uns aber nicht preisgeben durfte –, hatte sie die komplette Steuerung übernommen und uns eigenständig nach Culsu gebracht.

Zumindest dorthin, wo Culsu einst gewesen war. Doch am Zielpunkt stellte unsere Semitronik fest, dass sich der Dunkelplanet gar nicht mehr dort befand.

Falls der Planet noch existierte – und für seine Zerstörung hatten wir keine Anhaltspunkte gefunden –, mussten die Posbis wissen, wo er abgeblieben war. Der nächstgelegene Außenposten der Roboterzivilisation befand sich auf der Raumstation WHEELER in unmittelbarer Nähe des Sonnenriesen Bright Eye.

Aber kaum hatten wir WHEELER aufgespürt, waren wir in Schwierigkeiten geraten: Auch auf der Raumstation hatten die fünfhundert verstrichenen Jahre tiefe Spuren hinterlassen, was uns eine Menge Schwierigkeiten beschert hatte, bevor wir die Fahrt zu unserem ursprünglichen Ziel wieder aufnehmen konnten. Eine dieser »Spuren« hatten wir nun in Form von Kirt mit an Bord.

Es fiel ihm schwer, sich ruhig zu verhalten. Die lebhafte Umgebung der Zentrale machte ihn nervös, obwohl sich niemand für ihn interessierte und er in Ruhe gelassen wurde. Das Verschieben der Sesselstationen, die Unterhaltungen, das Ankommen und Gehen wurden ihm zu viel. Ich hielt Kirt zwar unter Beobachtung, aber nicht zu offensichtlich. Prexxel fiel es zusehends schwerer, ihn zu bespaßen.

Über die neuen, nicht minder streng geheimen Koordinaten wusste ich immerhin, dass sich Culsu zwei Lichtjahre vom ursprünglichen Standort entfernt hatte. Wie es dazu gekommen war, wollte ich die einheimischen Posbis in jedem Fall genauer befragen, sobald wir eingetroffen waren und den Austausch der Höflichkeiten beendet hatten.

Kirt konnte darüber keine Auskunft erteilen. Er stotterte etwas im Stakkato, das Prexxel folgendermaßen übersetzte: »Wir sind noch nie an dieser Position gewesen. Eine Hyperfunkverbindung zwischen Station 43284 und Culsu besteht seit Jahrhunderten nicht mehr. Wir können nicht sagen, ob es an unserer Isolation lag, oder ob Culsu sich zuerst zurückgezogen hat.«

Dazu brannte mir umgehend eine weitere Frage auf der Zunge, obwohl mir bewusst war, dass es von Kirt darauf keine logische Antwort geben würde – weil er wie die meisten Posbis auf WHEELER so gut wie nichts über die verlorenen Jahrhunderte wusste. Der sogenannte Posizid und die anschließende Datensintflut – nette Begriffe für die milchstraßenweite Korrumpierung und wahllose Überschreibung sämtlicher moderner Speichermedien – hatten seine intellektuellen Strukturen massiv beeinträchtigt.

Dennoch konnte ich nicht anders, so war meine Natur: Fragen stellen. Aufklärung. Ich mag Geheimnisse erst, nachdem ich sie gelöst habe, und zwar vor allen anderen.

»Kirt, was ich nicht verstehe: Culsu befindet sich nicht mehr dort, wo sie noch vor fünfhundert Jahren gewesen war«, formulierte ich möglichst behutsam herantastend. »So zumindest eure Aussage. Es gab aber in der ganzen Zeit zwischen euch keinen Funkkontakt mehr. Woher kennt ihr dann die neuen Koordinaten?«

Wellen durchflossen Prexxels flexiblen Körper, und in seinem Alabasterweiß zeigten sich dunklere Flecken. Er bildete so etwas wie einen Saugnapf und legte ihn mit einem schmatzenden Geräusch auf Kirts Achse. Wieder ein geräuschloser Austausch, der Kirt dazu brachte, in heftiges Zittern zu verfallen.

»Keine Ahnung«, übermittelte der Matten-Willy. »Wir wissen sie eben. Der Hintergrund hierzu ging wegen des Posizids verloren, das ist die einzige Erklärung, die wir haben. Nur diese Koordinaten blieben bestehen. Sie sind wichtig, denn Culsu ist wie Heimat. Also werden sie richtig sein.«

»Es ist dunkel da draußen«, sagte Kirt plötzlich, und seine Räder rotierten. »Kalt. Groß. Zu groß. Es ist nicht gut! Ich möchte nicht dorthin.«

Er hat Angst, konstatierte der Extrasinn.

Ein Bravo für dein Einfühlungsvermögen, lobte ich.

»Die Sensoren empfangen etwas«, warf der Kommandant dazwischen. »Es sieht aus, als hätten wir unser Ziel jeden Moment erreicht. Zumindest ist dort etwas, das auf den ersten Blick ein Planet sein könnte.«

»Antrieb stoppen!«, befahl ich. »Wir sehen uns das erst in Ruhe aus ausreichender Distanz an und entscheiden dann, was wir unternehmen werden. So eine Krise wie bei dem Anflug auf WHEELER möchte ich nicht wiederholen. Diesmal gehen wir zurückhaltend und vorsichtig vor.«

Seit wann hast du das Draufgängertum aufgegeben?, spöttelte der Extrasinn.

Seit ich nicht mehr nur die Verantwortung für dieses Riesenschiff und dessen verbliebene Mannschaft trage, sondern auch für die ganze Milchstraße. Unsere Datenspeicher sind die einzigen, die nicht vom Posizid und der Datensintflut beeinträchtigt werden konnten.

Ich wandte mich Kirt zu. »Vielen Dank für deine Unterstützung«, sagte ich sanft. »Möchtest du dich zurückziehen? Es gibt in der Nähe einen Ort, wo du Ruhe hast und Prexxel sich gut um dich kümmern kann.«

»Ja«, drang es aus dem Akustikfeld seiner Achse. Seine sonst warme Stimme klang zittrig, wie bei einem Greis. »Wenn ich dann die Horizontlinie fixiere, kann die Flut mich nicht erreichen.«

Keine Frage, er war am Ende seiner Kräfte und benötigte Regeneration.

Prexxel-Alabaster verformte sich zu einem zweieinhalb Meter hohen Quader mit mehreren Pseudopodien und bildete ein Stielauge aus, das sich auf mich richtete. Er zwinkerte mehrmals; falls das eine Bedeutung haben sollte, verstand ich sie nicht. Vielleicht war das auch nur ein weiterer Ausdruck der stillen Kommunikation zwischen den beiden, obwohl das Auge mich anzublicken schien.

»Das ist eine ausgezeichnete Idee«, stellte er fest.

»Servo!«, rief ich einen Dienstleistungsroboter zu uns, der schon wenige Sekunden später heranschwebte. »Bitte bring die beiden auf GALERIE-Level in Deck 16-02, zum Ruhe- und Bereitschaftsbereich der Zentralecrew. Sie sollen sich dort einen Bereich aussuchen, der entsprechend abgeschlossen und nach ihren Wünschen eingerichtet wird. Du hältst dich ihnen weiterhin zu ihrer Verfügung.«

Damit zogen sich der Posbi und sein Betreuer zurück. Kirt hatte deutliche Angst gezeigt und entsprechend war nicht davon auszugehen, dass er mit nach Culsu kommen wollte, um sein Volk zu besuchen. Ich wollte ihn schon gar nicht darum bitten.

Als Unterstützung war er zu instabil und ich hatte Sorge um ihn, dass er noch mehr aus dem Gleichgewicht geraten könnte. Wir kamen sicherlich ohne ihn zurecht. Kirt sollte nicht über Gebühr belastet werden, nachdem er zuverlässig seinen Auftrag als Lotse erfüllt hatte.

 

*

 

Während Holonder und seine Leute nach wie vor so viele Daten wie möglich sammelten, bat ich Sichu Dorksteiger in den Konferenzraum neben der Zentrale.

Sie traf kurz nach mir ein, und ich sah ihr an, dass sie gerade in ihrer Wissenschaftsabteilung tief versunken an etwas gearbeitet hatte. Ich nahm an, dass sie die Untersuchungen über Zemina Paath weiter vorangetrieben hatte – sie wollte partout etwas finden, das uns einen Hinweis auf ihre Herkunft liefern würde.

Sie strich das silberfarbene lange Haar in einer anmutigen Geste zurück und setzte sich mir gegenüber. Ihre goldenen Augen richteten sich auf mich, sie war nun völlig auf mich konzentriert.

»Du bist schon einmal auf Culsu gewesen«, begann ich, und sie hob die Hand.

»Ich weiß, was du sagen willst, Atlan. Natürlich hätte ich im Lauf der Zeit und unter großem Aufwand die Dunkelwelt finden können, wenn ich mich angestrengt hätte, denn ein paar Anhaltspunkte wie Bright Eye haben wir ja. Dennoch habe ich den Wunsch der Posbis respektiert und es ANANSI überlassen. Es hätte sowieso nichts geändert, da Culsu nicht mehr dort ist, wo ich damals hingeflogen bin.«

»Was muss ich mir unter diesem Planeten vorstellen?«

»Es ist eine Posbiwelt, ein Dunkelplanet im interstellaren Leerraum, denn bekanntlich benötigen Posbis keine Sonne, keine Photosynthese oder sonstige Annehmlichkeiten wie wir Organischen. Die Produktionsstätten und Werften liegen im Inneren des Planeten, es sind gewaltige Anlagen. Ich brannte damals darauf, vor Ort die Entstehung von Einzelkomponenten der RAS TSCHUBAI zu sehen, bevor sie zum Zusammenbau nach Neo-Ganymed verfrachtet wurden. Und es war großartig, das erste Mal ein Stück der Außenhülle in Terranisch Blau, wie die Posbis es nannten, zu sehen.«

Sichu geriet ins Schwärmen, die grünen Sprenkel in ihren Augen tanzten geradezu. »Damals sah ich ANANSI zum ersten Mal. Die Sphäre war fertiggestellt, und der Avatar zeigte ein kleines Mädchen, das mit großen Augen neugierig in die Welt schaute. Zanabazar und Culsander, ihre ›Eltern‹, konnten zu Recht stolz auf ihre Schöpfung sein. Ich habe ANANSI mitgenommen und in die Obhut der Betreuer übergeben.«

»Dein Aufenthalt währte wohl nicht lange genug, um eine Orientierung für unseren geplanten Aufenthalt möglich zu machen«, vermutete ich.

»So ist es«, bestätigte Perrys Frau. »Ich war nur kurz da und habe sehr wenig gesehen. Es ist ein riesiger Komplex, dessen innerer Zusammenhang nicht immer offensichtlich ist. Ich gehe davon aus, dass die Hohlräume des gesamten Inneren erschlossen sind.«

»Und wie können wir dort die RAS TSCHUBAI reparieren lassen?«

»Das ist kein Problem, schließlich handelt es sich um eine Werftwelt. Es gibt Zugänge, Mechanismen, Möglichkeiten für nahezu alles. Notfalls werden die Posbis einfach in einer passenden Schlucht eine Wartungsinstallation um die RAS errichten, und das in kürzester Zeit.

Aber ich nehme an, dass das nicht erforderlich ist. Ich kann mich erinnern, ab zehn Kilometern Tiefe hat sich die Struktur der Wand einer der Megaschluchten verändert, dort unten arbeiteten gigantische Maschinen in ewiger Finsternis. In diesen Schluchten werden die Fragmentraumer der Posbis konstruiert – in Teilen oder im Ganzen. Dort findet die RAS TSCHUBAI bestimmt Platz.«

Ich dachte einen Moment nach. »ANANSI, gesellst du dich bitte zu uns?«, bat ich dann.

Kurz darauf erschien ein Holo über dem Tisch, das einer jungen Frau nachempfunden war. Sie schwebte über der Tischplatte, mit gekreuzten Beinen innerhalb eines von glitzernden Tautropfen übersäten »Spinnennetzes« kauernd.

»Hallo, wie geht es euch?« Ihre Stimme klang sanft und angenehm wie immer. Das Holo zeigte die allmählich heranwachsende ANANSI, die diesen Prozess auch mit ihrem Avatar zum Ausdruck brachte. Wobei ich mir nicht sicher war, inwiefern dieses Wachstum von uns überhaupt zu erfassen war.

Die Begrüßungsformel war die gleiche, die sie schon bei ihrer ersten Aktivierung verwendet und nie geändert hatte. Sie erwartete mittlerweile keine Antwort mehr darauf, kultivierte sie aber als Marotte, die sie uns emotional näherbrachte. Zumindest vermutete ich das.

»Bitte, berichte uns über Culsu, was du preisgeben darfst!«, forderte ich sie auf.

»Der Ort meiner Geburt«, begann ANANSI. »Ja. Er ist uralt. Ein Eisenplanet. Culsu hat einen Durchmesser von 13.304 Kilometern, der Eisenkern nimmt 82 Prozent des Radius ein. Die Schwerkraft beträgt 1,3 Gravos. Der Großteil der Oberfläche ist spiegelglatt, doch es gibt auch Schluchten und Spalten, die sich teilweise kreuzen. Manche Schluchten ziehen sich über Tausende Kilometer hin, sind viele Kilometer breit und fallen in eine Tiefe bis zu dreißig Kilometer ab. Sonnenlos im Leerraum gelegen, ist Culsu eine ideale Welt für Posbis.«

»Hast du eine Erinnerung an die Strukturen dort?«, wollte Sichu wissen. »Wo und wie leben die Posbis, wie viele sind es?«

»Nichts dergleichen«, musste die Semitronik passen. »Ich erinnere mich nur an meinen Raum, in dem ich wurde.« Dann wandte sie sich an Sichu. »Und ich erinnere mich an dich aus jener Zeit.«

Sichu nickte lächelnd. »Damals hast du ebenfalls deinen Ersten Betreuer Shalva Galaktion Shengelaia kennengelernt. Wie dem auch sei. Hast du eine Erklärung, weshalb sich die Position um zwei Lichtjahre verschoben hat?«

»Nein. Aber ich habe mich nicht geirrt.«

»Das behauptet niemand«, sagte ich sanft. »Müssen wir auf besondere geologische oder sonstige Aktivitäten achten?«

»Nein, Culsu ist bis in seinen Kern ein kalter stiller Ort ohne seismische Tätigkeiten, er treibt einfach nur wie eine Kugel aus Eisen durchs All.«

»Das bringt mich auf etwas anderes«, schwenkte ich um. »Danke, ANANSI.«

 

*

 

Ich faltete die Hände und erwiderte Sichus Blick. »Wir werden nicht aufs Geratewohl dorthin fliegen«, sagte ich. »Zuerst schicken wir eine Expedition, um die Lage zu sondieren und die Posbis darauf vorzubereiten, was wir von ihnen wollen. WHEELER hat mich das gelehrt.«

»Vernünftig.« Sie lächelte und zeigte einmal mehr ihre goldenen Zähne. Diese Frau war von berückender Schönheit und Ausstrahlung und faszinierte mich stets aufs Neue. Ich konnte verstehen, wieso Perry sich in sie verliebt hatte – und über seine Gefühle gab es keinerlei Zweifel –, und andersherum konnte ich auch sie verstehen, weshalb sie ihr Herz dem Terraner geschenkt hatte.

Ich wünschte nur für sie beide, sie hätten mehr Zeit füreinander.

Das ist uns nicht gegeben, Narr, brachte mich mein Extrasinn auf den Boden der Tatsachen zurück.

Nein, obwohl uns mehr Lebenszeit zur Verfügung stand als anderen, blieb uns weniger Zeit für Persönliches, wenn wir der Verantwortung, die wir übernommen hatten, gerecht werden wollten. Wir würden niemals ein harmloses, friedliches Leben abseits allen Trubels führen. Sicherlich träumten wir manchmal davon, wie man immer von etwas träumt, das man nicht hat. Doch es war unsere Entscheidung, wir wollten es nicht anders.

Das galt für unsere gesamte Riege. Egal, ob ...

Na, lassen wir das.

»Ich werde mich anschließen«, fuhr Sichu fort. Ich freute mich darüber, dass sie mir zuvorgekommen war. Sie war schon einmal auf Culsu gewesen und ...

»Vielleicht sind meine Kenntnisse von damals in irgendeiner Weise nützlich«, ergänzte sie meinen Gedanken. »Abgesehen davon bin ich sehr neugierig, was sich dort verändert haben mag.«

»Wen möchtest du dabeihaben?« Mich interessierte ihre Meinung. Hier waren Wissenschaftler und Posbi-Kenner gefragt.