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Nr. 3022

 

Bulls großes Spiel

 

Mit einem Cairaner im Duell – die RAS TSCHUBAI ist der Preis

 

Michael Marcus Thurner

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Gad Zunurudse

2. Reginald Bull

3. Spinoza Godaby

4. Reginald Bull

5. Spinoza Godaby

6. Reginald Bull

7. Spinoza Godaby

8. Reginald Bull

9. Spinoza Godaby

10. Reginald Bull

11. Spinoza Godaby

12. Reginald Bull

13. Gad Zunurudse

14. Reginald Bull

PR Sonderteil – 50 Jahre Mondlandung – Realität und Fiktion

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende von Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Die Rückkehr von seiner letzten Mission hat ihn rund 500 Jahre weiter in der Zeit katapultiert. Eine Datensintflut hat fast alle historischen Dokumente entwertet, sodass nur noch die Speicher der RAS TSCHUBAI gesichertes Wissen enthalten.

Was sich seitdem ereignet hat, ist Perry Rhodan bisher nahezu unbekannt, da es zu fast allem mehrere unterschiedliche Aussagen und Quellen gibt. Nun ist er im Solsystem angekommen, in dem die Erde durch einen sehr ähnlichen Planeten ausgetauscht wurde mit einer eigenen Bevölkerung, den fünfäugigen Ayees. Um von ihm abzulenken, beginnt gleichzeitig BULLS GROSSES SPIEL ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Reginald Bull – Der Resident spielt um einen Mann, ein Schiff und eine Erde.

Gad Zunurudse – Der Cairaner gilt als gewiefter Spieler.

Spinoza Godaby – Der Paldener spielt um sein Leben.

TARA-Psi – Ein Roboter spielt nach eigenen Regeln.

1.

Gad Zunurudse

 

Der Fingerpfleger wuselte aufgeregt umher. Es kroch auf seinen spinnenartigen Beinen über Zunurudses Hände, sammelte Hautreste ein und analysierte tiefergehende Schädigungen der Epidermis. Feinste Nadeln stachen in die Subcutis hinab, in die Unterhaut, um Blutgefäße und Nerven routinemäßig zu kontrollieren.

Zunurudse achtete peinlich genau auf die Gesundheit seiner Sensorhände. Auf ihre Ausdrucksstärke und darauf, dass sie seine Virilität betonten. Nichts beeindruckte Geschäftspartner, Konkurrenten und Frauen mehr als das Spiel der Finger.

Der Fingerpfleger gab einen Summton von sich. Er hatte Anzeichen für ein entstehendes Epithel-Geschwulst entdeckt und machte sich augenblicklich daran, es auszukratzen und gewebeschonend zu beseitigen. Zunurudse neigte zur Entwicklung von Warzen. Sie schmerzten mitunter und beeinträchtigten die Geschicklichkeit seiner Sensorhände.

»Sicht auf den Raumhafen!«, befahl er der Gebäudepositronik. Sie gehorchte kommentarlos.

Auf der gesamten Breite der Vorderfront seines Büros öffnete sich ein metergroßer Spalt. Das künstliche Licht erlosch, stattdessen flutete das Licht einer gelben Sonne den Raum. Es wurde von der glatten Marmorfläche des Bodens reflektiert und brachte den Raum zum Strahlen.

Ein einziges Schiff stand auf dem Hafen. Es war ganz anders als die cairanischen Raumer. Seine Kugelform irritierte. Sie wurde in dieser Galaxis von vielen Völkern verwendet. Die simple symmetrische Form mochte gewisse Vorteile haben – aber die mangelnde Ästhetik des Dings bereitete Zunurudse Fingerschmerzen.

»Mach später weiter!«, befahl er dem Fingerpfleger, der mit einem beleidigt klingenden Surren von seinen Händen kroch und in einer absenkbaren Lade des Schreibtischs verschwand.

Zunurudse betrachtete seine Hände. Ein winziger, heller Punkt auf seiner Haut markierte jene Stelle, an der der Roboter mit dem Epithel-Geschwulst beschäftigt gewesen war.

Er war unruhig. Das Schiff der Kreatur stand bereits seit einigen Tagen auf dem Raumhafen. Es wurde von Kampfeinheiten bewacht. Geschütze, die über das Raumhafengelände verteilt waren, hatten es ebenfalls ins Visier genommen. Dennoch bereitete ihm seine Nähe Sorgen. Zumal er derzeit allein verantwortlich war für die Verhandlungen mit der Kreatur.

»Du hast Besuch«, meldete die Positronik.

»Wer ist es?« Vermutlich einer seiner Adjutanten. Irgendein unfähiger Bürokrat, der die Verantwortung für sein Tun nicht selbst übernehmen wollte und sich bei ihm absicherte.

»Stambag Lehumun bittet darum, dich zu sehen.«

Zunurudse verknotete vor Überraschung alle vier Daumen der Sensorhände ineinander. »Die Gefährtin des Protokonsuls? – Ich lasse bitten. Bring ein Fingerbad für sie, dazu einige Süßigkeiten und eine Auswahl an Getränken.« Er zog seine Handschuhe über die Gespürhände. Er kannte die Besucherin kaum und wollte sie nicht mit einer derartigen Entblößung irritieren.

Das Eingangsschott fuhr leise zischend beiseite. Ein kleiner Roboter schwebte voraus, dahinter kam Stambag Lehumun. Eine von zwei Partnerinnen des Protokonsuls. Die andere, Goll Shopaidso, befand sich derzeit auf der Raumstation APPCAID.

Lehumuns Schritte waren weich und federnd, sie bewegte sich auf eine Weise, die etwas lange Verschüttetes in Zunurudse erweckte. Diese Frau war unverschämt attraktiv mit ihrer grazilen Gestalt, der bemerkenswerten Fingersprache, dem fein geschnittenen Gesicht und der aufregenden Goldfleckenmusterung ihres Kopfes.

Darüber hinaus, so sagte man, wäre sie hochintelligent. Sie wusste ganz genau, wie sie mit dem Protokonsul umzugehen hatte.

»Gad Zunurudse«, sagte sie knapp und ließ sich ungefragt vor ihm nieder. »Danke, dass du mich so schnell und formlos bei dir empfängst. Ich vermute, du hast viel zu tun?«

»Es sind die Sicherheitsvorkehrungen, die mich die meiste Zeit beschäftigen.«

»Wegen des Schiffs da draußen?« Lehumun schlug die endlos langen Beine übereinander und streifte die eng anliegende Diensthose glatt.

»Ja. Das Schiff der Kreatur. Es gilt als eines der gefährlichsten Raumschiffe dieser Galaxis. Trotz seiner geringen Größe.«

»Größe allein sagt nicht viel aus.«

War das eine Anspielung auf ihn? War sie positiv oder negativ zu deuten?

Zunurudse war gut einen halben Kopf kleiner als die Frau. Seine bescheidene Statur hatte ihn jahrelang beschäftigt, mittlerweile hatte er sich mit seinem Makel arrangiert. Aber eine direkte Anspielung weckte stets sein Misstrauen, seine Vorsicht.

Er überging die Bemerkung. »Wir wissen nicht viel über die offensiven und defensiven Waffensysteme der THORA«, sagte er. »Sie bereiten uns aber weniger Sorgen als die Besatzung. Die Terraner gelten als streitbar, hart und kompromisslos.«

»Wenn ich Paiahudse richtig verstanden habe, ist es vor allem der Kommandant des Schiffs, vor dem alle so viel Respekt haben.«

»Richtig.« Zunurudse versuchte, seine Emotionen im Griff zu behalten. »Der Kommandant ist eine mächtige, uralte Kreatur, die seit Ewigkeit in dieser Sterneninsel haust und ihr Unwesen treibt. Eine Kreatur, die zu bannen es mehr als vier Hände bräuchte.«

Ein Roboter schwebte herein. Er lud geknuspelte Dörren und eine Karaffe mit dünnem Alkoholsaft ab. Lehumun schenkte sich ein und trank einen Schluck. Die Süßigkeiten ignorierte sie, ebenso wie das Fingerbad, das ein zweiter Roboter vor ihr abstellte.

»Hast du Angst vor dem Terraner?«, fragte sie, nachdem sie das Glas wieder abgestellt hatte.

Wieder erwachte das Misstrauen in ihm. Die Frau wollte ihn aufstacheln, zu einer Gefühlsregung bringen. Tat sie es im Auftrag ihres Gefährten? Oder verfolgte sie eigene Pläne?

»Ich habe Respekt, wie man sie vor einem wilden Tier hat. Reginald Bull ist in vielerlei Hinsicht ein bemerkenswerter Gegner. Aber mit ein wenig Geschick werden wir ihm beikommen.«

»Du bist schon einmal mit ihm zusammengetroffen?«

»Mehrmals. Nachdem Protokonsul Spepher anderweitig beschäftigt ist, führe ich die Verhandlungen mit dem Terraner.«

Lehumun ging mit keinem Wort auf die Erwähnung ihres Gefährten ein. »Erzähl mir von der Kreatur.«

»Ist Reginald Bull der Grund, aus dem du hier bist?«

»Ja. Ich will mehr über diese Unterhaltungen wissen. Mir bereitet das Schiff ebenfalls Sorge. Ich möchte wissen, womit wir es wirklich zu tun haben. Wie heißt es noch mal?«

»THORA. Man sagt, dass Reginald Bull seinen Raumer nach einem mythischen Wesen benannt hat. Nach einem hyperenergetisch geladenen Dämonengeschöpf, das in einem Arm dieser Sterneninsel sein Unwesen getrieben hat und bekannt dafür war, bei schlechter Laune gewaltige Lohen auszuschicken, die die Raum-Zeit-Konstante beeinflussten. Das ist selbstverständlich ein Märchen. Ein Märchen, das die aggressive Grundhaltung der Terraner veranschaulicht.«

Die Goldflecken in Lehumuns Gesicht verschoben sich zueinander. »Ich gebe nichts auf Erzählungen, Mythen und Sagen.«

»Das tun wir alle nicht«, beeilte sich Zunurudse zu sagen. »Aber wir wissen nun mal, dass die Terraner gefährlich sind und uns immer wieder Probleme bereiten. Also bemühen wir uns, so viel wie möglich über ihre Herkunft und ihre Geschichte zu erfahren. Was treibt sie an, wo sind ihre Schwachstellen, wie können wir sie neutralisieren?«

»Paiahudse hat mir ähnliche Dinge erzählt.«

Lehumun drückte zwei Daumen gegeneinander, als Zeichen ihrer Zustimmung. Sie stand auf und trat ans Panoramafenster. Sie kehrte ihm dabei den Rücken zu. »Ich gestehe, dass ich neugierig auf sie bin«, sagte sie leise.

Zunurudse erhob sich ebenfalls und trat neben sie, hielt dabei aber Respektabstand.

Die Sonne würde bald hinter dem Kugelriesen untergehen. Noch warf sie ihr Licht über den Raumhafen und die dahinter beginnende Savannenlandschaft. Sie wurde von wilden Raubtieren durchstreift, deren Gestalt Zunurudse Unbehagen bereitete.

»Du möchtest die Kreatur kennenlernen?«, fragte er. Er atmete möglichst flach. Er wollte nicht in Gefahr geraten, allzu viel von dem Geruch einzuatmen, den Lehumuns Aromamünder ausstießen. Er war zu gut, zu prägnant.

»Könntest du das denn arrangieren?«, fragte sie nach einer Weile.

»Morgen steht eine weitere Verhandlungsrunde an. Es spricht nichts dagegen, dass du mitkommst.«

»Das ist ein großzügiges Angebot.« Sie schenkte ihm einen Blick von der Seite. »Danke.«

Zunurudse meinte, Rauchwölkchen an den Schläfen zu sehen, wo die Aromamünder saßen. Er wusste, dass Lehumun ihn beeinflussen wollte – und sie wusste, dass er es wusste.

»Wir haben die Sicherheitsvorrichtungen während der letzten Tage immer weiter verbessert«, sagte er gepresst. »Wir haben Reginald Bull nach Herz und Händen durchleuchtet, sein Verhalten sowie das seiner Begleiter analysiert und die Positroniken eine Vielzahl von Bedrohungsszenarien durchspielen lassen.«

»Sorgst du dich um meine Sicherheit?«

»Ich sorge mich um die Sicherheit von uns allen. Ich mag es nicht, dass der terranische Resident diese Welt bedroht.«

»Ich könnte das als Kritik an den Ansichten von Paiahudse verstehen«, sagte Lehumun.

Zunurudse erschrak. Hatte er sich zu weit aus der Deckung gewagt? Sein Vorgesetzter galt als selbstkritischer Mensch. Aber wer wusste schon, was für eine Rolle Stambag Lehumun im Spiel der Macht übernahm.

War sie intrigant? Würde sie ihn aufgrund einer einzigen Bemerkung bei ihrem Liebhaber anschwärzen – oder ihn, Zunurudse, damit erpressen?

Er dachte an das Yoris-Prinzip der zwei Seiten. Wagemut und Vorsicht. Sie sind die beiden Dogmen, die in jeder Phase unseres Lebens das Tun und das Denken beeinflussen.

»Ich trage viel Verantwortung und habe deshalb Fingerschmerzen mit den Anweisungen von Protokonsul Spepher«, sagte er schließlich in aller Offenheit. Er gehorchte damit der Car-Yoris, der Lehre vom Wagemut. Um gleich darauf einige Worte anzufügen, die dem Prinzip des Dor-Yoris entsprachen, der Lehre der Vorsicht. »Die Anwesenheit der THORA auf der Welt Iya erschwert uns die Arbeit. Es gäbe meiner Meinung nach bessere Möglichkeiten, um Verhandlungen zu führen.«

»Ah. Du bist ein Anhänger des Yoris«, sagte Lehumun. »Wie interessant. Ich wusste nicht, dass diese Lehre weitverbreitet ist auf Iya.«

»Ich beschäftige mich grundsätzlich mit den Philosophien unseres Volkes.«

»Ich möchte offen zu dir sein, Gad. Man erzählte mir, dass du ein ausgezeichneter Stratege wärst, aber dich zu sehr auf bestimmte Dogmen verließest.«

»Sagt man das? – Yoris ist Inhalt und Ausdruck einer bedeutenden philosophischen Schule. Nichts davon widerspricht unserer Einstellung und unseren Zielen.«

»Ich weiß.« Lehumun wandte sich vom Fenster ab. »Ich verstehe deine Bedenken wegen dieses Kugelraumers. Auch ich halte die Anwesenheit der Terraner für ein Risiko. Aber aus einem anderen Grund als du.«

»Und dieser Grund wäre ...?«

»Ich mag Iya. Diese Welt ist ein faszinierender Ort mit einer berauschenden biologischen Vielfalt. Ich will nicht, dass Iya und seinen Bewohnern etwas geschieht.«

»Du machst dir Sorgen um die Ayees?« Beinahe wäre ihm das Wort Primitiven über die Lippen gekommen, doch er hielt sich zurück.

»Richtig. Sie haben die Chance auf eine eigenständige Entwicklung verdient. Wir sollten uns nicht allzu sehr in ihre Belange einmischen.«

»Ich verstehe«, sagte Zunurudse einsilbig. Lehumun verlor mit einem Mal an Attraktivität. Die Geruchswirkung ihrer Aromamünder ließ nach.

»Ich danke dir für die Unterhaltung«, sagte sie. »Wir leben nun schon lange Zeit gemeinsam auf diesem Stützpunkt und haben niemals zuvor mehr als ein paar unverbindliche Worte gewechselt. Sonderbar, nicht wahr? – Es hat mich gefreut, dich näher kennenzulernen.«

Lehumun sagte diese Sätze ohne Punkt und Komma. So, als hätte sie sie vorab einstudiert und wäre froh, ihn nun verlassen zu dürfen.

Spürte sie seine plötzliche Abneigung?

Gewiss. Auch er verfügte über stark ausgeprägte Aromamünder. Er hatte sich längst nicht so gut unter Kontrolle, um Sympathien oder Antipathien vor einer Frau wie Stambag Lehumun verbergen zu können.

»Wir sehen uns morgen«, versprach er. »Ich informiere dich über den Beginn der Verhandlungen. Du bekommst eine Akkreditierung zugeschickt.«

»Danke«, sagte sie und schwebte davon.

Ihr Schritt und ihre Eleganz, die ihm noch vor wenigen Minuten attraktiv erschienen war, ließ ihn nun an Blasiertheit denken.

Er mochte Stambag Lehumun nicht, und das galt umgekehrt genauso.

2.

Reginald Bull

am nächsten Tag

 

»Los geht's!« Reginald Bull zog die Hose ein Stück hoch, winkte seiner Begleiterin und betrat den Antigrav. Sie schwebten nach unten, hinab zur Hauptschleuse. Das intelligente Material der Kleidung reagierte auf seine Bewegung und ließ ihm ein wenig mehr Platz um die Hüfte.

»Was siehst du mich so an?«, fragte er Shiam Schubert. »Ich bin ein alter Mann, der Speck angesetzt hat. Diese verdammten Verhandlungen sind nun mal schwer zu verdauen. Schließlich dauern sie schon acht Tage an.«

»Natürlich.« Die Kosmopsychologin schaute an ihm vorbei.

»Ich wollte, ich hätte mehr Zeit für Fitness.«

»Ich weiß.«

»Tagtäglich wollte ich trainieren und meinen Körper in Form bringen.«

»Selbstverständlich.«

»Zum Himmeldonnerwetter! Warum widersprichst du mir nicht, obwohl du ganz genau weißt, dass ich dich anlüge? Ich hasse Gymnastik und Fitness.«

»Wozu sollte ich dir ins Wort fallen? Du kennst die Wahrheit besser als ich.«

»Ihr Psychologen, ihr nervt. Nicht einmal richtig streiten kann man mit euch.«

»Ich bin eine Kosmopsychologin. Und wenn du möchtest, können wir nach dem Ende der Verhandlungen über deine Probleme reden.«

»Probleme«, wiederholte Bull leise. »Ich habe keine Probleme. Mir geht es ausgezeichnet.«

»Du bist unruhig. Die Unterhaltungen mit den Cairanern nerven dich. Am liebsten würdest du die Mission abbrechen und von hier verschwinden.«

»Du weißt genau, dass wir das nicht können. Wir warten auf Perrys Rückkehr. Bis dahin müssen wir die Verhandlungen hinauszögern.«

»Ich weiß. Ich sorge mich allerdings um deine Gemütslage.«

»Dann ist es gut.« Bull grinste seine Begleiterin an.

Shiam lieferte ihm gute Analysen zu seinen Gesprächspartnern, aber sie wusste so gut wie gar nichts über ihn. Sie glaubte ihm, wenn er polterte und irrational erschien. Dass er seinen jahrtausendealten Ruf öfter mal dafür nutzte, um Schwächen in den Verhandlungen vorzugeben, wussten nur seine besten und ältesten Freunde.

Sie erreichten die Bodenschleuse. Neben einigen bewaffneten Soldaten der Liga Freier Galaktiker schwebte ein TARA. Ein ganz besonderer Roboter, den Bull für die Dauer der Verhandlungen als seinen Leibwächter nutzte: der TARA-Psi.

»Bist du ausgeruht?«, fragte Bull den Roboter. »Es könnte sein, dass es heute ein wenig heißer hergeht als während der letzten Tage. Die Cairaner spüren, dass wir sie hinhalten.«

»Ja«, sagte der TARA-Psi, ohne auf Bulls flapsige Bemerkungen einzugehen. »Ich bin bereit.«

Er ließ seinen Kegelkörper mehrfach rotieren, bevor er sich zu Shiam Schubert und ihm gesellte. Die vier Waffenarme waren desaktiviert.

Die Soldaten machten ihnen Platz, eine Strukturlücke im Schutzschirm der THORA entstand. Heiße Luft umfächelte sie. Sie brachte den Geruch nach ausgedorrtem Savannengras mit sich.

Bull ging los. Es waren etwa fünfhundert Meter bis zum Zelt, in dem die Verhandlungen seit Tagen stattfanden. Dahinter ragten typisch cairanische Gebäude in die Luft: Kugeln, die auf einem Stelzenbein ruhten und in der Mitte horizontal entzweigeschnitten waren.

Vage erkannte er die sechs Turmgebäude, die den Kern der cairanischen Mission bildeten. Bald nach ihrer Landung auf Iya waren Bull und andere Schiffsmitglieder zu einem ersten Beschnuppern in das Zentrum cairanischen Treibens auf dieser Welt eingeladen worden.

Bull genoss die wenigen Schritte bis zum Zelt. Solange er nicht nach links oder rechts blickte, konnte er sich die Illusion bewahren, auf der Erde zu sein. Die Schwerkraft war so, wie sie sein sollte. Auch die Hitze der Sonne fühlte sich gut an. Selbst die schwache Brise, die ab und zu kühlere Luft mit sich brachte, erinnerte ihn an die Heimat.

Und doch heißt diese Welt Iya. Sie ähnelt der Erde auf eine verblüffende Art und Weise – aber sie ist nicht mit ihr identisch.

Sie näherten sich dem Zelt. Bull verzichtete auf weitere Unterhaltungen mit Shiam Schubert. Die Kosmopsychologin hatte ihn bereits mehrmals begleitet und musste nicht instruiert werden. Der TARA-Psi hingegen ... Nun, er war der TARA-Psi und damit galt er formal als »parabegabter positronischer Roboter«.

Die drei Abgesandten der Liga verschwanden unter dem Giebeldach des Zelts. Schatten umfing sie. Bull kniff die Augen zusammen und wartete ein wenig, bis er sich an die geänderten Lichtbedingungen gewöhnt hatte.

Der Wind brachte die Planen zum Knattern. Das Zelt war eine scheinbar primitive Konstruktion, aber sie bot viele Annehmlichkeiten.

»Darf ich dich bitten?«, fragte er den TARA-Psi.

Der Roboter schwebte davon. Gemeinsam mit einem Gegenstück cairanischer Bauweise suchte er Teile des Zeltes ab. Bull misstraute seinen Gesprächspartnern, sie misstrauten ihm. Also gehörte es zum täglichen Ritual, nach Spionkameras, Nanorobotern, energetischen Lauschfeldern und Sonstigem zu suchen. Keiner von ihnen wollte sich von der anderen Seite aufs Kreuz legen lassen.

Im Zentrum des etwa dreißig Meter langen Zelts, das an den Kopfseiten offen war, stand ein Tisch. Er war für Bulls Geschmack zu groß und zu hoch. Kein Wunder: Die Cairaner überragten ihn um achtzig Zentimeter und hatten andere Anforderungen an Bequemlichkeit.

»Du bist spät dran«, sagte sein Verhandlungspartner auf Interkosmo. Der hagere, verbissen wirkende Gad Zunurudse hielt seinen Kopf stets schief. So, als müsste er über jedes Wort, das er von sich gab, intensiv nachdenken.

»Ich genieße die freie Natur«, gab Bull zur Antwort.

»Trotzdem wäre es schön, einmal pünktlich mit den Verhandlungen zu beginnen.«

Ich weiß, dass du ein Pedant bist. Deswegen erlaube ich mir jeden Tag, dich für einige Minuten hinzuhalten. Weil es dich ärgert und aus dem Konzept bringt.

Die beiden Roboter kehrten von ihren Überprüfungsflügen zurück. Der TARA-Psi gesellte sich zu Bull und schwebte zu seiner Linken; Schubert blieb an seiner Rechten.

Bull prüfte die Gesichter der Cairaner. Er stand mehr als einem Dutzend der Goldköpfe gegenüber. Viele von ihnen waren bloß Staffage. Wichtig war für ihn Zunurudse selbst, der in Abwesenheit von Spepher die Verhandlungen führte, und ein Mann rechts von ihm, den er als Sicherheitsoffizier identifiziert hatte.

Bull kletterte über zwei Sprossen hoch zur Sitzfläche und setzte sich zurecht. Mithilfe einer Hydraulik veränderte er die Höhe, sodass er seine Unterarme bequem auf der Tischplatte abstützen konnte.

Shiam Schubert nahm stumm neben ihm Platz. Sie sagte wenig und würde sich ab und zu einige Notizen machen. Solche, die kaum etwas mit den Verhandlungen zu tun hatten. Ihre Schriftfolien wurden zweifelsohne von Kameras der Cairaner abfotografiert und Analysen unterzogen. Also beließ sie es bei Belanglosigkeiten.

Bull entdeckte ein unbekanntes Gesicht bei den Cairanern. »Wir haben einen neuen Teilnehmer in unserer Runde?«, fragte er Gad Zunurudse und deutete auf einen Cairaner, der links neben ihm stand. Er fiel auf Anhieb auf: Die Gesichtszüge waren weicher, die Körperformen geschwungener als bei allen anderen Cairanern.

»Verzeih, dass ich dich nicht gleich darauf hingewiesen habe.« Zunurudse machte mehrere komplizierte Fingerbewegungen, die eine entschuldigende Geste darstellen mochten. »Stambag Lehumun hat darum gebeten, heute mit dabei sein zu dürfen. Sie ist eine Beraterin unseres Protokonsuls.«

Aha. Also die erste Cairanerin, die auf mich weiblich wirkt, dachte Bull und sagte laut: »Ich bin entzückt. Ich bedauere dennoch, dass Spepher selbst nicht anwesend ist.«

»Er wird zu gegebener Zeit auftauchen«, sagte die Frau.

»Darf ich fragen, womit er derzeit zu tun hat?«

»Der Protokonsul ist ein viel beschäftigter Mann«, sagte Zunurudse. »Er kann sich nicht um jede Kleinigkeit kümmern.«

»Sind wir Terraner denn Kleinigkeiten?«

»Die Gespräche mit dir im Speziellen sind uns höchst wichtig. Aber als Protokonsul muss sich Spepher mitunter um andere Belange kümmern. Solche, die diese Welt betreffen, die Flotte, die Raumstation APPCAID ...«

»Diese Station wäre ein interessantes Gesprächsthema.«

»Eines, das heute nicht zur Diskussion steht, Terraner. Reden wir über die Dinge, wegen derer ihr hergekommen seid. Protokonsul Spepher und ich haben das Gefühl, dass ihr uns mit diplomatischen Finten hinhalten wollt.«

»Du weißt ganz genau, dass ich einen Status Quo ausverhandeln möchte. Ich möchte als Resident der LFG von den Cairanern akzeptiert und unterstützt werden.« Bull betrachtete die Frau namens Stambag Lehumun. Sie faszinierte ihn. Sie war anders als Zunurudse. Sie vermittelte statt disziplinierter Streitkultur und rationaler Kühle eine Mischung aus emotionaler Wärme und Harmoniebedürfnis.

Willkommen bei überkommenen Geschlechterklischees,