Inhaltsverzeichnis

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Norbert Landwehr

Begleitete Selbstevaluation

Ein neuer Weg zur wirksamen Qualitätsdiagnose an Schulen

Herausgegeben von Peter Steiner, Zentrum BOSQ

der Fachhochschule Nordwestschweiz

ISBN Print: 978-3-0355-1209-0

ISBN E-Book: 978-3-0355-1248-9

1. Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.com

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Zusatzmaterialien und -angebote zu diesem Buch:

http://mehr.hep-verlag.com/begleitete-selbstevaluation

Inhaltsverzeichnis

Vorwort des Herausgebers

1   Weshalb schulinterne Evaluationen oft scheitern

2   Die begleitete Selbstevaluation – ein neues Evaluationsformat

     2.1   Sechs Merkmale, die das neue Evaluationsformat kennzeichnen

     2.2   Normative Ansprüche an die Gestaltung von Evaluationen

     2.3   Handlungsmodell mit acht Schritten

3   Die acht Schritte der begleiteten Selbstevaluation

     3.1   Vorbereitende Klärungen und Entscheidungen

     3.2   Brennpunktsuche und Grobplanung

     3.3   Instrumentenentwicklung und Feinplanung

     3.4   Datenerhebung (E-Day)

     3.5   Datenaufbereitung

     3.6   Datenfeedback und gemeinsame Dateninterpretation im Kollegium

     3.7   Von den Maßnahmenvorschlägen zur Entwicklungsplanung

     3.8   Abschließende Reflexion des Evaluationsprojekts

4   Methoden der begleiteten Selbstevaluation

     4.1   Allgemeine Hinweise zum Methodeneinsatz

     4.2   Überblick über die Methoden der Datengewinnung

5   Anforderungen an die Begleitung

     5.1   Die Evaluationsbegleitung als Prozessmoderation

     5.2   Die Evaluationsbegleitung als Evaluationsexpertise

     5.3   Aufgaben der Evaluationsbegleitung entlang der acht Schritte

     5.4   Anforderungen an die Rollengestaltung

6   Drei Varianten der begleiteten Selbstevaluation

     6.1   Partnerschul-Peer-Review

     6.2   Fragebogenbasierte Selbstevaluation

     6.3   Extern geleitete Selbstevaluation

7   Zur theoretischen Einbettung

     7.1   Evaluation als Grundlage für die Autonomieentwicklung von Schulen

     7.2   Das Evaluationsthema im Spannungsfeld von unterschiedlichen Evaluationsfunktionen

     7.3   Die Evaluation im Spannungsfeld von Selbst- und Fremdevaluation

     7.4   Die Evaluation in der erkenntnistheoretischen Betrachtung – der Wahrheitsgehalt von Evaluationen

8   Beispiele aus der Praxis

     8.1   Erfahrungsbericht zum Partnerschul-Peer-Review (Peter Steiner)

     8.2   Erfahrungsbericht zur fragebogenbasierten Selbstevaluation (Adrian Bucher)

     8.3   Erfahrungsbericht zur geleiteten Selbstevaluation (Margreth Cueni)

9   Anhang

     9.1   Orientierungsraster und Evaltool: Zwei Hilfsinstrumente für die Schulevaluation (Matthias Gut)

     9.2   Die Rating-Konferenz – eine effiziente Methode zur Erhebung von aussagekräftigen Daten

Literaturverzeichnis

Vorwort des Herausgebers

Im vorliegenden Buch wird ein Handlungsmodell für die Gestaltung von schulinternen Evaluationen beschrieben. Es handelt sich dabei um ein neuartiges Evaluationsformat, das die Evaluation im Spannungsfeld von Selbst- und Fremdevaluation neu zu positionieren sucht. Herausragende Merkmale sind einerseits die aktive Mitbeteiligung der Schule am Evaluationsprozess und andererseits die Begleitung durch eine externe Fachperson.

Das Buch steht in einer Reihe und im Kontext von bisherigen Q2E-Publikationen im hep verlag. Norbert Landwehr, Mitentwickler des Q2E-Modells, schließt mit dieser Publikation eine Arbeit ab, die er noch während seiner Funktion als Co-Leiter des Zentrums «Bildungsorganisation und Schulqualität» an der Pädagogischen Hochschule FHNW bis Ende 2015 gestartet und verantwortet hat. Als «Leading House» des Q2E-Modells tritt die Pädagogische Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) als Herausgeberin auf.

Das Label «Q2E» steht für «Qualität durch Evaluation und Entwicklung» und ist ein Qualitätsmodell, das seit rund 20 Jahren im Bildungsbereich bekannt ist. Das Q2E-Modell entstand im Rahmen eines interkantonalen Schulentwicklungsprojekts mit Berufsfachschulen und Gymnasien aus acht Deutschschweizer Kantonen. Q2E wurde ins Leben gerufen, um die Schulen als entwicklungsfähige, selbst gesteuerte «pädagogische Einheiten» zu stärken und um sie bei der bewussten Qualitätsgestaltung zu unterstützen. Den Projektverantwortlichen war es ein Anliegen, konkrete Ansatzpunkte und Hilfsmittel zu finden, um diese beiden Kernanliegen – Stärkung der pädagogischen Einheit und bewusste Gestaltung der Qualität vor Ort – in ihrer wechselseitigen Verbindung in die Schule hineinzutragen.

Nach Projektabschluss, im Jahr 2003, wurden im hep verlag die Projekterkenntnisse in Form von sechs Broschüren publiziert (vgl. Landwehr und Steiner 2003). Die praxisnahen Inhalte der thematisch strukturierten Broschüren fanden im deutschsprachigen In- und Ausland große Verbreitung. Die Q2E-Konzepte, Verfahren und Instrumente zum Aufbau eines schulinternen Qualitätsmanagements und der externen Evaluation wurden seither von zahlreichen Schulleiterinnen und -leitern, Beraterinnen und -beratern und Behördenmitgliedern genutzt. Zudem bildete das Q2E-Modell in verschiedenen Kantonen und Bundesländern das Gerüst für die Konzipierung und Institutionalisierung von externen Schulevaluationen (in Deutschland vielerorts auch als «Inspektionen» bezeichnet) und für die Einrichtung von entsprechenden Evaluationsfachstellen.

Auch unter dem Dach der Pädagogischen Hochschule Aargau, später Fachhochschule Nordwestschweiz, wurde 2004/05 eine Evaluationsfachstelle eingerichtet. Evaluationsfachpersonen haben im Auftrag der Kantone Aargau und Solothurn in den letzten Jahren alle Volksschulen in regelmäßigen Abständen extern evaluiert. Im Verlauf dieser Evaluationen wurden die Verfahren und Instrumente des Q2E-Modells einerseits an die speziellen Voraussetzungen und Anliegen der Volksschule angepasst. Andererseits wurden die Q2E-Elemente weiterentwickelt, und so entstanden über die Jahre hinweg ergänzende und ausdifferenzierte Konzepte sowie zahlreiche Evaluationsinstrumente (www.Q2E.ch).

In der Anfangsphase der externen Schulevaluation lautete das Ziel dahin, die beiden Grundfunktionen einer Evaluation – die Rechenschaftslegung und die Entwicklungsorientierung – in einem einzigen Verfahren zu vereinen. Bei der Umsetzung zeigte sich aber schon bald, dass die enge Verknüpfung der beiden Grundfunktionen mit ihren unterschiedlichen Ausrichtungen und Zielsetzungen nicht ganz unproblematisch war und vermutlich auch die Wirksamkeit des Verfahrens beeinträchtigte. Der funktionale Zusammenschluss wurde daher zunehmend infrage gestellt – er überzeugte die Schulen wie auch die Bildungsverwaltungen immer weniger. Schließlich führte dies zur Erkenntnis, dass die beiden unterschiedlichen Funktionsschwerpunkte deutlicher separiert und klarer den beiden Formen der internen und externen Evaluation zugeordnet werden müssen:

   Die externe Schulevaluation sollte prägnanter auf die Rechenschaftsfunktion ausgerichtet werden, da es hier vor allem darum geht, das öffentliche Vertrauen in die Institution Schule, in die angestellten Personen und in die erbrachten Leistungen zu stärken. Da die Glaubwürdigkeit des Qualitätsurteils in dieser Zielsetzung besonders wichtig ist, kommt hier der externen Sichtweise eine besondere Bedeutung zu: Sie kann dazu beitragen, dass die Evaluationen eher als objektiv und unabhängig wahrgenommen werden und nach außen hin glaubwürdig erscheinen – alles wichtige Voraussetzungen für die Erfüllung der Rechenschaftsfunktion.

   Im Unterschied dazu sollte die interne Schulevaluation vermehrt die Entwicklungsfunktion abdecken – verbunden mit dem Ziel, bestehende Ist-Soll-Diskrepanzen aufzuzeigen und damit Impulse zu setzen, um die Schulqualität schrittweise zu verbessern. Für interne Evaluationen ist es wichtig, dass die ermittelten Evaluationsdaten und die darauf basierenden Erkenntnisse den Betroffenen plausibel erscheinen und für sie «anschlussfähig» sind; nur so können sie entwicklungswirksam werden und innerhalb der Schule zu konkreten Verbesserungsmaßnahmen führen.

Das Verfahren der externen Schulevaluation, das von der Pädagogischen Hochschule FHNW für die beiden Kantone Aargau und Solothurn entwickelt wurde, hat diese veränderte Sichtweise aufgegriffen und konsequent umzusetzen versucht. Seit 2008 orientiert sich das Verfahren an einem Konzept, das unter dem Stichwort «Ampelevaluation»1 bekannt ist; es räumt der Rechenschaftslegung eine klare Priorität ein.

Parallel zur Umsetzung der Ampelevaluation in den Kantonen Aargau und Solothurn wurde für den Kanton Basel-Stadt ein Konzept erarbeitet, das die schulinterne Evaluation ins Zentrum rückt und primär eine entwicklungsorientierte Funktion verfolgt. Der entsprechende Evaluationsauftrag stand in einem engen Zusammenhang mit dem Basler Projekt «Schulharmonisierung». Im Rahmen dieses kantonalen Projektes waren die Schulen dazu angehalten, verschiedene anspruchsvolle Strukturveränderungen umzusetzen wie zum Beispiel die Einführung von geleiteten Schulen mit professionellen Schulleitungen, den Aufbau eines schulinternen Qualitätsmanagements und die Einführung von Tagesstrukturen. Eine rechenschaftsorientierte Evaluation wurde hier bewusst nicht angepeilt, da von den Projektverantwortlichen befürchtet wurde, dass eine externe Evaluation (im klassischen Sinn) von den Schulen als eine wenig unterstützende Zusatzbelastung empfunden und daher abgelehnt würde.

Auf diesem Hintergrund hat Norbert Landwehr das Verfahren der begleiteten Selbstevaluation entwickelt: ein Handlungsmodell mit insgesamt acht Schritten, die zeigen, wie eine schulinterne Evaluation in kompakter Form realisiert werden kann. Aufbauend auf diesem Basismodell wurden in den letzten Jahren verschiedene Evaluationsvarianten erarbeitet und in der praktischen Umsetzung erprobt:

   Das Partnerschul-Peer-Review, bei dem sich zwei Schulen gegenseitig evaluieren (mit der Sondervariante des Inhouse-Peer-Reviews für große Schulen, beispielsweise mit mehreren Standorten).

   Die fragebogenbasierte Selbstevaluation, bei der die quantitative Datengrundlage ins Zentrum gerückt wird.

   Die extern geleitete Selbstevaluation, bei der die Begleitung eine stärkere operative Leitungsfunktion übernimmt.

Bei all diesen Formen steht das Anliegen im Zentrum, die Schulen bei der Durchführung von datengestützten Standortbestimmungen wirkungsvoll zu unterstützen – und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die durchgeführten Evaluationen für die gewählten Entwicklungsschwerpunkte einen hohen Erkenntnisgehalt haben. Mittlerweile wird das Konzept der begleiteten Selbstevaluation auch in den drei anderen Kantonen des Bildungsraumes Nordwestschweiz, Aargau, Solothurn und Basel-Landschaft erfolgreich umgesetzt. Es liegen unterdessen reichhaltige Erfahrungen vor, die zeigen, dass das neue Konzept einerseits praxistauglich ist und bei den Schulen eine hohe Akzeptanz genießt, andererseits aber auch die Ansprüche an eine gehaltvolle Evaluation gut zu erfüllen vermag.

Das vorliegende Buch greift dieses neue Evaluationsformat und die damit gemachten Erfahrungen auf und versucht, neben dem eigentlichen Verfahren auch die Voraussetzungen und Gelingensbedingungen zu umreißen. Kernstück des Buchs ist die praxisnahe Beschreibung des Grundmodells in acht Schritten sowie der drei Varianten, die sich als unterschiedliche Umsetzungswege herauskristallisiert haben. Drei Praxisbeispiele, die Einblick geben in die konkrete Umsetzungsarbeit an einzelnen Schulen, runden die Ausführungen ab.

Das Buch hat einen modularen Aufbau. Man kann einzelne Kapitel herausgreifen, ohne sich von der ersten bis zur letzten Seite durchzuarbeiten. Das umfangreiche Theoriekapitel wurde bewusst den praxisnahen Kapiteln nachgestellt. Dahinter steht die Überzeugung, dass eine gute Praxis eine intuitive Logik und einen funktionalen Aufbau hat, der selbsterklärend ist. Theorie hat gegenüber der Praxis eine klärende Funktion: Sie hilft das, was man tut, besser zu verstehen, das eigene Handeln in einen größeren Zusammenhang einzubetten und unter fachlich-systematischen Gesichtspunkten zu beleuchten.

Ein herzliches Dankeschön gilt den Personen, die zum Gelingen dieses Buchs beigetragen haben. Neben dem Hauptautor Norbert Landwehr gilt der Dank insbesondere verschiedenen Schulevaluatorinnen und -evaluatoren der Pädagogischen Hochschule FHNW, die den Entstehungsprozess mit kritischen Augen begleitet und durch die Praxisbeispiele angereichert haben: Adrian Bucher, Margreth Cueni, Matthias Gut und Barbara Moris. Mit ihren Beiträgen zeigen sie anhand von konkreten Beispielen auf, wie gehaltvolle Evaluationsprojekte entstehen können – Evaluationen, die einerseits zu aussagekräftigem und glaubwürdigem Datenmaterial, andererseits aber auch zu wirkungsvollen Entwicklungsmaßnahmen führen können.

Der Dank gilt auch Carsten Quesel für die kritische Sichtung der Texte und seine wertvollen Hinweise auf Argumentationslücken, fehlende Schlüssigkeiten und sprachliche Unklarheiten.

Mit diesem Buch möchten Herausgeber und Autor den Dialog über die Weiterentwicklung des schulischen Qualitätsmanagements mit Schulleiterinnen, Q-Beauftragten, Schulevaluatoren, Beraterinnen und interessierten Leserinnen und Lesern weiterführen – Sie sind herzlich eingeladen, sich an diesem Dialog zu beteiligen.

Peter Steiner, Leiter Schwerpunkt Schulqualität

Pädagogische Hochschule FHNW


1    Die Ampelevaluation stellt die Rechenschaftslegung ins Zentrum des Evaluationsverfahrens. Dabei wird die Schule auf ihre grundlegende Funktionsfähigkeit hin überprüft, indem mehrere vorab festgelegte «Funktionsbereiche» unter die Lupe genommen werden. Liegen in einem der fokussierten Funktionsbereiche gravierende Defizite vor, sodass die Funktionsfähigkeit der Schule infrage gestellt ist, wird dies mit einer roten oder gelben Ampel angezeigt. Gelb signalisiert eine Funktionsstörung, die vermutlich von vorübergehender Natur ist. Eine rote Ampel weist auf nicht tolerierbare Defizite und Probleme hin; die Schule ist verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um die diagnostizierte Störung möglichst rasch und wirksam zu beseitigen. Dieser Prozess wird von der Schulaufsicht begleitet. Eine grüne Ampel bedeutet, dass keine Funktionsstörung diagnostiziert wurde (Landwehr 2013).

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1 Weshalb schulinterne Evaluationen oft scheitern

Die Erfahrung zeigt, dass sich viele Schulen schwer damit tun, schulinterne Evaluationen2 durchzuführen. Zwar gibt es unterdessen an den meisten Schulen gute Ansätze für ein schulinternes Qualitätsmanagement – sehr oft konzipiert unter Berücksichtigung der kantonalen Vorgabe, dass in einem bestimmten Rhythmus ein schulweites Evaluationsprojekt durchzuführen ist. Wenn es aber darum geht, diese Anforderung zu erfüllen, zeigen sich immer wieder große «Motivationslücken»: Die Evaluation erscheint in den Augen von Schulleitungen und Lehrpersonen als eine der vielen lästigen und zeitabsorbierenden Aufgaben, die vom sogenannten Kerngeschäft ablenken und nur wenig zur Bewältigung der eigenen Arbeit beitragen.

Ein wichtiger Grund für die eher kritische Einstellung gegenüber Evaluationen liegt vermutlich darin, dass bei vielen Schulleitungs- und Lehrpersonen wenig Einsicht in den persönlichen und institutionellen Nutzen von Evaluationen vorhanden ist. Evaluationen werden dort oft als «Pflichtübungen» wahrgenommen, die von einer beauftragen schulinternen Gruppe zu «erledigen» sind und das Kollegium möglichst wenig tangieren sollten. Es überrascht daher kaum, dass an zahlreichen Schulen gegenüber dem Evaluationsanliegen eine «Pflichterfüllungsmentalität» vorherrscht: Man erledigt den Evaluationsauftrag, weil dies so verlangt wird – und nicht etwa, weil eine brennende Fragestellung vorliegt, zu der mithilfe einer Evaluation wichtige datengestützte Erkenntnisse gewonnen werden können.

Neben diesem eher grundsätzlichen Vorbehalt gegenüber Sinn und Zweck von Evaluationen gibt es noch einen weiteren Grund für die verbreitete kritische Haltung gegenüber Evaluationen: Viele Schulen haben in bereits realisierten Evaluationsprojekten erlebt, dass Aufwand und Ertrag nicht in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander standen. Man war mit Evaluationen beschäftigt, die viele zeitliche und personelle Ressourcen beanspruchen, gleichzeitig aber wenig positive Wirkungen hinterlassen haben – weder bezüglich des Erkenntnisgewinns noch bezüglich der ausgelösten Entwicklungsschritte.

Der Grund für dieses Missverhältnis von Aufwand und Ertrag dürfte in einer oder mehreren der folgenden Schwierigkeiten liegen:

(1) Der Evaluation fehlt ein echtes Erkenntnisinteresse. Oft steht bei schulinternen Evaluationen das «Instrument» (zum Beispiel ein bestimmter Fragebogen) im Vordergrund und nicht eine brennende Fragestellung, die mithilfe des Instruments beantwortet werden soll. Eine solche instrumentenzentrierte Motivationslage zeigt sich beispielsweise in der Aussage: «Ich kenne einen guten Fragebogen, den könnten wir doch einmal einsetzen.» Demgegenüber fehlt ein echtes erkenntnisleitendes Interesse, das auf die praktische Nutzung der Evaluationsergebnisse ausgerichtet ist. Es gibt weder eine Problemstellung, zu der man sich einen Erkenntnisgewinn erhofft, noch einen konkreten Bedarf nach einem datengestützten Einblick in den Ist-Zustand, um daraus einen Lern- und Entwicklungsanstoß zu gewinnen. Damit aber fehlt die entscheidende Grundlage, um die Evaluation als wirklich bedeutsam zu erfahren – selbst wenn sie mit perfekten und oft sehr aufwendigen Instrumenten und technischen Mitteln realisiert wird.

(2) Der Evaluation fehlen geeignete Hilfs- und Unterstützungsinstrumente. Es gibt Schulen, die eine schulinterne Evaluation möglichst gut auf eine eigene Fragestellung oder auf das bestehende Qualitätsleitbild ausrichten möchten. Die interne Evaluationsgruppe sieht sich dann mit der Aufgabe konfrontiert, die benötigten Instrumente (zum Beispiel den Fragebogen) von Grund auf selbst zu entwickeln. Für diese Entwicklungsarbeit fehlen meistens die geeigneten Hilfsinstrumente (zum Beispiel eine Sammlung mit Fragebogen-Items zum gewünschten Thema), um mit Blick auf die eigene Fragestellung in nützlicher Zeit ein «maßgeschneidertes», das heißt auf die Anliegen und Leitwerte der Schule ausgerichtetes Evaluationsinstrument zu entwickeln. Die Erarbeitung des benötigten Evaluationsinstruments erweist sich dann als sehr anspruchsvoll und als außerordentlich zeitaufwendig. Dies führt schließlich dazu, dass den beteiligten Personen ein ungünstiges Verhältnis von Aufwand und Ertrag in Erinnerung bleibt – verbunden mit dem Vorsatz, künftig von solch aufwendigen Evaluationen abzusehen.

(3) Die «technische Komponente» steht bei der Prozessgestaltung einseitig im Vordergrund. Nutzbringende Evaluationen verlangen sorgfältig gestaltete Prozesse, und zwar auf zwei unterschiedlichen Ebenen:

   auf der instrumentell-technischen Ebene, das heißt Instrumente und Verfahren zur Erfassung und Aufbereitung der Daten;

   auf der kommunikativen Ebene, das heißt kommunikative Verfahren zur Gewinnung des Evaluationsbrennpunkts sowie zur Verarbeitung der Evaluationsergebnisse im Kollegium.

Bei der Planung und Durchführung von schulinternen Evaluationsprojekten konzentriert sich die Aufmerksamkeit der Evaluationsverantwortlichen sehr oft auf die Ansprüche und Schwierigkeiten, die sich auf der instrumentell-technischen Ebene stellen. Demgegenüber wird der kommunikative Aspekt kaum beachtet: Zum einen fehlt das Know-how, wie vorgegangen werden kann, damit bei den beteiligten Lehrpersonen ein echtes Erkenntnisinteresse am Evaluationsthema entsteht, sodass sich eine vom Kollegium getragene Fragestellung herausbilden kann. Zum andern fehlt aber auch das Wissen, wie nach vollzogener Datenerhebung die Evaluationsergebnisse ins Kollegium eingebracht werden können, damit sich daraus eine lern- beziehungsweise entwicklungsorientierte Auseinandersetzung ergibt. Insgesamt wird zu wenig beachtet, dass eine technisch noch so sorgfältig konzipierte Datenerhebung bedeutungslos wird, wenn die vor- und nachgelagerten kommunikativen Prozesse nicht sorgfältig geplant und gestaltet sind.

(4) Evaluationen sind mit überbordenden Perfektionsansprüchen belastet. Schulinterne Evaluationen werden meist von beauftragten Einzelpersonen oder von Evaluationsteams ausgeführt, denen von der Schulleitung ein konkreter Evaluationsauftrag zugesprochen wird. Diese Personen setzen sich dann oft mit einem hohen Engagement für ein gelingendes Evaluationsprojekt ein. Man ist darum bemüht, das Kollegium vom Sinn und Nutzen der bevorstehenden Evaluation zu überzeugen. Dieser hohe Anspruch kann als Perfektionierungsmotiv wirksam werden: Die Evaluation wird nicht nur mit hohem Engagement, sondern auch mit großem Aufwand geplant und umgesetzt – was dann unter Umständen die Erwartung des Kollegiums an den Nutzen der Evaluation zusätzlich erhöht. Die überbordenden Ansprüche, die sich wechselseitig herausbilden, führen dazu, dass sich die Projekte zeitlich in die Länge ziehen: Bis die Evaluationsergebnisse im Kollegium vorgestellt und verarbeitet werden, wissen die Lehrpersonen kaum mehr, dass sie irgendwann mal an einer Befragung teilgenommen haben.

(5) Evaluationen führen zu Ergebnissen ohne spürbare Konsequenzen. Oftmals werden Evaluationen durchgeführt, ohne dass danach an der Schule irgendetwas Erkennbares geschieht. Die Evaluationsresultate werden dem Kollegium in der Regel vorgestellt, aber weder in den Köpfen noch im Praxisfeld wird durch die Evaluation konkret etwas bewegt. Unter Umständen werden bestimmte Handlungserwartungen an die Schulleitung gerichtet, während die Lehrpersonen die eigenen Anteile ausblenden. Das trivial klingende Motto «Von den Daten zu den Taten» leuchtet der zuständigen Evaluationsgruppe oder der Schulleitung vermutlich ein – aber man weiß nicht recht, wie das konkret zu bewerkstelligen ist. Oft werden mit Bezug auf die Evaluationsergebnisse umfangreiche Maßnahmenkataloge erarbeitet, die dann im Unverbindlichen stecken bleiben – nur schon deshalb, weil die Menge der Optimierungsvorschläge gar nicht erst an eine ernsthafte Umsetzung denken lässt. Die bereits im Vorfeld der Evaluation gefasste Meinung «Evaluationen bringen nichts» hat sich dann für die vielen Skeptikerinnen und Skeptiker wie eine selbsterfüllende Prophezeiung bewahrheitet.

(6) Evaluationen werden einseitig auf quantitative Instrumente und Verfahren ausgerichtet. «Evaluieren» wird in der Praxis meist verstanden als «Beschaffen von quantitativen Daten», wobei ein stereotypes Vorgehen der folgenden Art angenommen wird: Einer ausgewählten Adressatengruppe wird zu einem bestimmten Thema eine Anzahl von Aussagen (Items) vorgelegt, die mithilfe einer vorgegebenen Skala einzuschätzen sind (zum Beispiel Beurteilung der Richtigkeit/Stimmigkeit der Aussagen). Die Einschätzungen werden dann mithilfe von statistischen Methoden weiterbearbeitet, um daraus Erkenntnisse zur Schul- und Unterrichtsqualität abzuleiten. Diese einfache Vorstellung über das Wesen von Evaluationen ist unter dem Label «quantitative Fragebogenerhebung» in den Köpfen präsent. Sie ist uns vertraut durch die unzähligen Kundenbefragungen, denen wir im Alltagsleben auf Schritt und Tritt begegnen. Wenn nun Lehrpersonen mit dem Begriff «schulinterne Evaluation» konfrontiert werden, wird diese einfache Vorstellung von Evaluation oft reflexartig aktiviert. Man denkt sofort an eine quantitative Fragebogenerhebung und sucht für die Zusammensetzung des Evaluationsteams nach mathematisch begabten Personen, die das zu erwartende Zahlenmaterial verarbeiten können. Meistens wird wenig überlegt, ob eine quantitative Befragung dem Thema und dem Ziel der Befragung überhaupt angepasst ist. Tatsächlich werden die Zahlen, wie sie in quantitativen Fragebogenerhebungen generiert werden, von den Betroffenen oft als wenig aussagekräftig empfunden. Was die errechneten Zahlenwerte mit der eigenen Erfahrungswelt zu tun haben, muss erst rückübersetzt werden, damit so etwas wie eine «subjektive Evidenz» entstehen kann – verbunden mit der Bereitschaft, die gewonnenen Erkenntnisse in das eigene Handeln einfließen zu lassen.

Fazit: Aus diesem kurzen Problemabriss ergibt sich, dass die gängige Evaluationspraxis an Schulen durchaus Verbesserungspotenzial hat. Allerdings geht es nicht einfach darum, die praktizierte Vorgehensweise mit Konzepten und Verfahren aus der wissenschaftlichen Evaluationspraxis anzureichern und damit weiter zu perfektionieren. Die skizzierten Schwierigkeiten signalisieren vielmehr, dass ein eigenständiger, pragmatischer Weg gefunden werden muss, um Evaluationen «alltagstauglich» zu machen. An diesem Punkt setzt die vorliegende Publikation an. Das darin beschriebene Konzept der begleiteten Selbstevaluation zeigt einen in vieler Hinsicht neuartigen Weg auf, um den beschriebenen Schwierigkeiten zu begegnen und um dem Anliegen der schulinternen Evaluation neues Leben einzuhauchen.


2    Die Begriffe «Schulinterne Evaluation» und «Selbstevaluation von Schulen» werden hier bedeutungsgleich verwendet, ebenso die Begriffe «externe Evaluation» und «Fremdevaluation», die von der internen Evaluation/Selbstevaluation unterschieden werden. Ausführliche Gedanken zur verwendeten Begriffslogik finden sich in Abschnitt 7.3.