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Michaela Ehinger

PRÄSENZ

Handlungsspielräume erkennen
und gestalten

Mit Illustrationen
von Amelie Lihl

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Meinen Freunden danke ich für ihre vielfältige Unterstützung, der Lektorin Regine Strotbek für ihre inspirierende Art der Sprachbehandlung.

© 2018 Edition Faust, Frankfurt am Main

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Kopien, Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Umschlagfoto: Alexander Paul Englert

Weitere Titel des Verlags unter www.editionfaust.de

eISBN 978-3-945400-61-6

INHALT

Einführung

1 PRÄSENZ

1. Sein oder Nichtsein – das ist hier die Frage

2. Die drei Säulen der Überzeugungskraft

3. Wer sich selbst wahrnimmt, wird wahrgenommen

4. Ein kleines Experiment zum Einstieg

5. Präsent sein

6. Das offenbare Geheimnis: der Atem

7. Die spezifische Qualität von Präsenz

8. Das Gegenteil von Präsenz

9. Präsenz – ein Gegenentwurf

2 ATMEN

1. Körper

1.1. Steuerung der Atmung

1.2. Gasaustausch – Energiegewinnung

1.3. Die Atemmuskeln – das Zwerchfell

1.4. Der Kehlkopf

1.5. Die Lunge

1.6. Die Nase

1.7. Der Atemrhythmus

– Inspiration – Einatmung

– Exspiration – Ausatmung

– Atempause

Übung: Atemwahrnehmung (mit geschlossenen Augen)

– Atemräume

Übung: Aktivierung der Atemräume
Aktivierung der Flanken
Aktivierung des unteren Rückens

1.8. Die drei Hauptursachen für verkehrtes Atmen

– „Tiefe“ Einatmung

Übung: Bewusster Umgang mit verkehrten Vorstellungen von tiefer Einatmung

– Innere Haltung und äußere Haltung

Übung: Handauflegen auf das Brustbein

– Autonome Stressreaktion

1.9. Bewusster Umgang mit der autonomen Stressreaktion

Übung: Stressprävention

Übung: Stressintervention

1.10. Drei Arbeitsschritte –Wahrnehmen, Loslassen, Zulassen

Übung: Innehalten

2. Seele

2.1. Arbeitsansatz

Übung: Gedanken und Gefühle beeinflussen das Atemgeschehen

2.2. Inneres Lächeln

Übung: Inneres Lächeln

2.3. Mit sich selbst befreundet sein

3. Geist

Übung: Verbunden sein

3 KÖRPERLICHE PRÄSENZ

1. Unsere Haltung

1.1. Durchlässigkeit

2. Präsenz im Gehen

Übung: „Füße, Füße, Füße“

3. Das Aufrichten

Übung: Einfaches Auf- und Abrollen der Wirbelsäule

4. Präsenz im Stehen

Übung: Standbein-Spielbein-Stand

5. Präsenz im Sitzen

Übung: Herstellen von Präsenz im Sitzen – Die Rückenlehne ist dein Freund

5.1. Körperhaltung im Sitzen

– Die optimale Ausgangsposition im Sitzen: Königliche Aufrichtung

– Umgang mit den Beinen im Sitzen

– Kopfhaltung im Sitzen

5.2. Hilfsmittel mit großer Wirkung

Schlangenübung

6. Rückenbewusstsein

Übung: Gehen mit Rückenbewusstsein – Schleppe, Chiffonschleier, Propeller

7. Präsenz in Gesten

Präsenzübungen für Gesten

8. Wohlspannung

Übung: Differenzierte Wahrnehmung der Muskelspannung

Übung: Überspannung oder Unterspannung im eigenen Körper wahrnehmen

Übung: Überspannung der Muskulatur lösen

9. Präsenz im Blickkontakt

Präsenzübungen für den Blickkontakt

10. Präsent auftreten

10.1. Lampenfieber

Übung: Fünf Schritte für einen souveränen Aufritt

Übung: Gehend das Publikum führen

11. Wie Körperhaltungen die Einstellung und das Verhalten beeinflussen

4 MENTALE PRÄSENZ

1. Mentale Präsenz im historischen Kontext

2. Erkenne dich selbst an

3. Loslassen – Freiraum durch Distanz

4. Das Mentaltraining

4.1. Einstieg

– Sich selbst begegnen

– Vorbereitung

Übung: Atemzentrierung

– Abschluss

4.2. Arbeitsweise

– Die grundlegende Übungshaltung

– Die Ansprache

– Antworten tauchen auf

4.3. Wahrnehmen, was uns bewegt

– Beobachten

– Selbstvertrauen

Übung: Autosuggestion – Innere Sonne

4.4. Der Dialog mit sich selbst

– Leidgedanken entlarven

– Hilfreiche Gedanken

– Sieben Regeln

– Überlieferte hilfreiche Gedanken

– Sich Fragen stellen

– Freie Assoziation

– Perspektivwechsel

Übung: Stellen Sie sich vor, Sie führen Regie

– Erwartungen

– Einbindung in den Alltag

Übung: Einen hilfreichen Gedanken gehend verankern

5 PRÄSENZ IN DER STIMME

1. Der Körper – unser Instrument

2. Drei wesentliche Faktoren, die den Klang der Stimme beeinflussen

2.1. Inspiration und Klangqualität

2.2. Der Einfluss der Körperhaltung auf die Klangqualität

2.3. Der Kontakt

3. Häufig auftauchende Fragen

3.1. Spreche ich in meiner Stimmlage?

Übung: Individueller Grundton

3.2. Was mache ich, wenn meine Stimme zu leise ist?

Übung: Der Blickkontakt bestimmt die Lautstärke

4. Übungen zum Stimmen des eigenen Instruments für jeden Tag

Übung: Gähnen

Übung: Lippenflattern

Übung: Summen

Übung: Abklopfen des Körpers

Übung: Zentrierung durch Atemwahrnehmung

5. Übungen für die Resonanzräume und die Atemführung

BasisstimmübungDreiteiliger Atemrhythmus

Übung: Brustraum

Übung: Lendenbereich

Übung: Lendenbereich – Partnerübung

Übung: Beckenraum

Übung: Füße

Übung: Kopf

6. Entfaltung der Persönlichkeit

6 PRÄSENZ IN DER SPRACHE

1. Präsenz in der Aussprache

1.1. Innere Haltung

1.2. Körperhaltung

1.3. Sprachbehandlung

Übung: Korkensprechen

Übung: Aktivierung der Zunge und des Zwerchfells

Übung: Verspannungen im Kieferbereich lösen

Übung: Sprechlebendigkeit durch Gesten

1.4. Tipps

2. Sprechend präsent sein

3. Informationen auf den Punkt bringen

4. Angemessenheit

5. Das Kultivieren der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit

7 RHETORISCHE PRÄSENZ

1. Ethos

1.1. Wie lässt sich Glaubwürdigkeit herstellen?

Übung: Atmend sich vertrauen

1.2. Die Pause – Das wichtigste Mittel, um rhetorisch präsent zu sein

1.3. Freies Sprechen

2. Logos – das Argument

2.1. Vorüberlegungen

Übung: Klärungsprozess

2.2. Der rote Faden

2.3. Die Gedächtniskunst

– Mindmaps

– Auswendig lernen und Sprache be-greifen

– Gehen und memorieren

– Gehen und konzipieren

3. Pathos – Wie können wir den emotionalen Zustand der Zuhörenden im Auge behalten?

3.1. Zu klärende Fragen in der Vorbereitungsphase

3.2. Einleitung, Hauptteil und Schluss

3.3. Die Magie der Drei

3.4. Figuren der Wiederholung

3.5. Der Kontakt mit dem Publikum in der Redesituation

8 PRÄSENZ IN DER KOMMUNIKATION

1. Das Eisbergmodell

1.1. Beziehungsaspekt

2. Die Grundhaltung

2.1. Aktives Zuhören – Passives Zuhören

3. Körpersprache

3.1. Unterschiede zwischen männlicher und weiblicher Körpersprache und zwischen dem Kommunikationsstil von Männern und Frauen

3.2. Die männlich tradierte Haltung

3.3. Die weiblich tradierte Haltung

Übung für Frauen

3.4. Körpersprache lesen

Übung: Nachahmung

4. Der Körper – Resonanzraum der Situation

4.1. Mit allen Sinnen kommunizieren

4.2. Spiegelung

4.3. Nonverbal kommunizieren

5. Wichtige Fertigkeiten im Kommunikationsprozess

5.1. Selbstklärung

5.2. Organische Pausen im Prozess der Kommunikation

5.3. Eine Distanzierungstechnik für jede Situation

5.4. Timing

6. Konkrete berufliche Situationen unter der Lupe

6.1. Der erste Eindruck

– Der Handschlag

– Plädoyer für die Begrüßung mit Handschlag

– Das persönliche Vorstellen

– Platzwahl

– Smalltalk

6.2. Vorstellungsrunde

6.3. Gesprächsführung

6.4. Jour fixe

– Vorbildfunktion der Führungskraft

– Fragen stellen

– Eine Idee erfolgreich einbringen

– Umgang mit einem Nein

6.5. Diskussion

– Zuhören und wahrnehmen

– Metaebene

– Durchsetzen – Unterbrechen – Raum schaffen

6.6. Umgang mit Hierarchie

– Was können wir als Individuen tun?

– Bewusstsein für unterschwellig ablaufende Prozesse

– Umgang mit Menschen, die ihre Machtposition ausspielen

– Präsentationen vor dem Vorstand

6.7. Umgang mit verbalen Angriffen

6.8. Umgang mit „schwierigen“ Menschen

– Die Sprache des anderen zu verstehen versuchen

– Feedbackgespräch

– Akzeptanz durch Distanz

Übung: Fabulieren

Übung: Distanz durch Humor

– Die Schönheit erkennen

6.9. Verhandlungssituationen

– Die Vorbereitungsphase

– Die Verhandlungssituation

6.10. Konflikte

6.11. Mitarbeitergespräch

– Vorbereitung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

– Vorbereitung für Führungskräfte

6.12. Telefonieren

– Telefonkonferenz

– Umgang mit Technik

– Bewerbungsgespräch

6.13. Moderation

6.14. Auftreten vor der Kamera

6.15. Netzwerken

6.16. Feste feiern

6.17. Verabschiedung

9 PRÄSENZ IN DER FÜHRUNG

1. Tägliche Orientierung

1.1. Die morgendliche Orientierung

Übung: Morgendliche Orientierung

1.2. Die Tagesrückschau

Übung: Tagesrückschau

2. Jährliche Orientierung

2.1. Der Jahresrückblick

Übung: Jahresrückblick

2.2. Der Ausblick auf das kommende Jahr

Übung: Ausblick auf das kommende Jahr

3. „Werde, die du bist“ – „Werde, der du bist“

Übung: Sich loslassen – sich zulassen

4. Improvisation als Lebensprinzip

5. Die Herausforderung: der Alltag

5.1. Ideensammlung zur Implementierung im Alltag

10 UNBEGRENZTE AUSSICHT

Anmerkungen

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EINFÜHRUNG

„Mensch, du hast die Kraft zu deiner Selbstbestimmung.“

Joseph Beuys

Die Präsenz-Methode richtet sich an alle, die ihren beruflichen oder privaten „Auftritt“ verbessern möchten und bereit sind, Veränderungen im Umgang mit sich selbst und anderen zuzulassen.

Die Wirkung eines Menschen auf andere wird beeinflusst von seinem Bewusstsein für die Innere Haltung und die Körperhaltung sowie von seiner Aufmerksamkeit für den konkreten Moment. Das Lenken unserer Aufmerksamkeit auf den Atemvorgang lässt uns den gegenwärtigen Moment jederzeit bewußt erleben. Die drei genannten Faktoren beeinflussen sich gegenseitig. Die Präsenz-Methode setzt daher gezielt an diesen drei Themenfeldern an. Egal, mit welchem Sie sich befassen, Sie werden die beiden anderen Aspekte Ihres persönlichen Ausdrucks stets mitbearbeiten und -verändern.

Ich stelle meine eigene Erfahrung und mein methodisches Wissen zur Verfügung, damit alle, die dies wünschen, lernen können, in jedem einzelnen Moment und in jeder Situation präsent zu sein. Das setzt voraus, dass wir uns ins Bewusstsein heben, was wir wie tun. Zudem benötigen wir Techniken und Übungen auf körperlicher und mentaler Ebene, die den bewussten Umgang mit uns selbst fördern. Gleichzeitig gilt aber auch, dass der bewusste Umgang mit uns selbst eine Vorbedingung ist, um die Übungen richtig und mit Gewinn ausführen zu können. Präsenz ist also Ursache und Wirkung zugleich.

Die Aufmerksamkeit, die wir uns dabei schenken, ist eine Form der Wertschätzung. Durch die Arbeit an uns selbst freunden wir uns mit uns selbst an. Wenn wir uns selbst wertschätzender behandeln, werden uns auch andere wertschätzender begegnen.

Die Techniken und Übungen zur Herstellung von Präsenz fördern letztlich unsere Selbstbestimmung, was dazu führt, dass wir unser Leben selbst in die Hand nehmen, anstatt von äußeren Umständen oder unreflektierten eigenen Ansprüchen „ferngesteuert“ zu werden.

Präsenzschulung ist Problemlösung – doch wie erkennen wir das Problem? Durch genaue Beobachtung. Um Gewohnheiten zu ändern, ist also unsere Beobachtungsgabe gefordert, gepaart mit Offenheit und spielerischer Lust, Beharrlichkeit und Phantasie. Das sind Eigenschaften, die im Tun wachsen, wie mich mein eigener Weg gelehrt hat.

Bei den Übungen handelt es sich um mehr als nur eine Sammlung unterschiedlicher Bausteine. Zum einen tauchen einige Übungen und Gedanken in variierter Form unter erweitertem Blickwinkel mehrfach auf, zum anderen liegt mir sehr daran, dass Sie zunehmend ein Grundverständnis für Ihr Instrumentarium entwickeln. Aus diesem Grund beschreibe ich sowohl die Übungen als auch deren Wirkungen sehr detailliert. So lernen Sie die entscheidenden Stellschrauben Ihres Körpers kennen.

Wichtige Erkenntnisse im Umgang mit sich selbst haben schon andere vor mir gewonnen und überprüft. Erfahrungen, die in mein Schaffen einfließen, stammen aus der Stimmbildung nach Clara Schlaffhorst und Hedwig Andersen, der Alexander-Technik und der Feldenkrais-Methode sowie aus Meditationsanleitungen. Viele Gedanken dieses Buches bauen auf bereits in der Antike formulierten Einsichten auf und sind insofern nicht allein mein Verdienst. Das vorliegende Lehrbuch ist auf dem fruchtbaren Humus wertvollen Wissens vieler Menschen herangereift. Mein Beitrag dazu besteht darin, die Anwendbarkeit im Alltag in den Fokus zu rücken.

Wie können Sie mit diesem Buch arbeiten?

Wenn Sie die Präsenz-Methode in ihren vielfältigen Zusammenhängen grundlegend verstehen und erlernen wollen, sollten Sie chronologisch, Kapitel für Kapitel, vorgehen. Wenn Sie sich für ein spezifisches Thema interessieren oder konkrete Situationen reflektieren oder vorbereiten wollen, gehen Sie gezielt zu diesen Aufgabenstellungen. Dabei helfen Ihnen die Querverweise in den Kapiteln und das ausführliche Inhaltsverzeichnis am Anfang des Bandes. Egal, mit welchem Ziel Sie das Buch aufschlagen, ich empfehle Ihnen, zunächst die ersten beiden Kapitel „Präsenz“ und „Atmen“ zu lesen, denn sie vermitteln Basiswissen.

Die folgenden Kapitel greifen die Reihenfolge, in der wir unser Gegenüber wahrnehmen, auf. Im Kapitel „Körperliche Präsenz“ geht es um die Körperhaltung und das Herstellen von Präsenz in dem, was wir weitestgehend den Tag über tun: gehen, stehen und sitzen. Dabei wird die Wirkung dieser Vorgänge sowohl nach innen als auch nach außen betrachtet. Für das öffentliche Auftreten kommen noch weitere Aspekte wie Präsenz in Gesten und im Blickkontakt hinzu.

Da Körperhaltung und Innere Haltung sich gegenseitig beeinflussen, folgt auf das Kapitel „Körperliche Präsenz“ das Kapitel „Mentale Präsenz“. Selbstgesteuerte Veränderung ist ohne Bewusstsein nicht vorstellbar. Mentales Training, hilfreiche Gedanken und Übungen zum Verankern konstruktiver Vorstellungen können Sie darin unterstützen, mehr Gestaltungsspielraum zu erobern.

Nachdem wir einen Menschen erblickt haben, nehmen wir den Klang seiner Stimme wahr, der uns seine Stimmung verrät und zugleich die Stimmung im Raum erzeugt. Im Kapitel „Präsenz in der Stimme“ geht es daher um die wichtigsten Einflussfaktoren auf die Qualität der Stimme. Stimmübungen ermöglichen es Ihnen, Ihr Instrument kennenzulernen und feine Schwingungen und Schwingungsräume in sich zu entdecken und zu erleben. Außerdem trainieren Sie Ihr Zwerchfell und steigern über die erhöhte Sauerstoffzufuhr Ihre Energie.

Das Kapitel „Präsenz in der Sprache“ dient dazu, die sprachlichen Ausdrucksmittel zu verfeinern: Es werden drei wesentliche Einflussfaktoren auf die sprachliche Präsenz, hilfreiche Artikulationsübungen und die Fähigkeit, Informationen auf den Punkt zu bringen, erörtert.

Im Kapitel „Rhetorische Präsenz“ untersuche ich, wie Glaubwürdigkeit entsteht und welche Rolle dabei die Atmung und die Atempausen spielen. Der Aufbau von Redebeiträgen findet hier ebenso Raum wie die Frage, wie wir den Kontakt zu unserem Gegenüber aufrechterhalten.

Diese fünf Kapitel schärfen die Bewusstheit für körperliche, geistige, stimmliche, sprachliche und rhetorische Prozesse. Ich gehe darin auf feinste Details ein, denn erst das erfahrbare Detail ermöglicht es uns, Gewohnheiten zu verändern. Haben Sie diese Schritte vollzogen, steht Ihnen Ihr Körper als Resonanzraum bewusster zur Verfügung, und Sie können, was Sie sich erarbeitet haben, in unterschiedlichen Kommunikationssituationen praktizieren.

Im Kapitel „Präsenz in der Kommunikation“ befasse ich mich mit den verschiedenen Grundhaltungen der Menschen, dem Bewusstsein für die Körpersprache und wichtigen Fertigkeiten für den Kommunikationsprozess. Außerdem können Sie sich mit siebzehn konkreten Situationen vertraut machen, die in meinen Seminaren und Coachings am häufigsten nachgefragt und untersucht werden. Die Ergebnisse stehen nun auch Ihnen zur Verfügung.

Alles, was die Präsenz-Methode vermittelt, hat mit der bewussten Sorge um sich selbst, oder anders ausgedrückt, mit Selbstführung zu tun. Im Kapitel „Präsenz in der Führung“ wird es genau darum gehen. Die Erfahrung, sich selbst führen zu können, befähigt dazu, auch andere besser zu führen, nicht zuletzt, weil man aus eigenem Erleben weiß, wie herausfordernd es ist, eigene Verhaltensweisen von Grund auf zu ändern.

Alle erwähnten Aspekte der Präsenz kommen der subjektiven Wahrnehmungsfähigkeit, dem persönlichen Gestaltungsspielraum und dem verantwortlichen Umgang mit sich selbst und anderen zugute. Meine Erfahrungen und Beobachtungen zeigen mir, dass wir uns jederzeit weiterentwickeln können, auch und gerade dann, wenn wir vermeinen, „fertig“ zu sein. Der amerikanische Komponist und Fluxuskünstler John Cage drückte es provokant so aus: „Ich bin, was ich werde.“ Und Heinrich von Kleist formulierte den Umgang mit sich selbst wie folgt: „Menschen, … die in der Vollkommenheit unaufhörlich wachsen – o wie selig sind sie!“

Leben bedeutet Veränderung, und wir können gestaltend daran Anteil haben. Gestaltung ist Voraussetzung für Präsenz. In der Gestaltung entfaltet sich der spannende, selbstbestimmte, selbstbewusste Anteil unseres Erwachsenenlebens, den wir in der Regel nicht genügend ausschöpfen. Die Grundlagen hierfür sind uns Menschen gegeben, und wir dürfen sie auch nutzen.

Warum ist es gerade heute wichtig, sich der bewussten Selbstwahrnehmung zuzuwenden?

Wir leben in einer Zeit, in der sich immer mehr zunehmend schneller verändert. Das verunsichert, weil alle Lebensbereiche davon betroffen sind. Wenn Halt immer weniger im Außen, in verbindlichen Strukturen, zu finden ist, wird es umso notwendiger, ihn in sich selbst zu finden – indem man sich im eigenen Selbst spürbar verankert und sich somit in der Gegenwart verortet. Präsent sein bedeutet eben dies.

Gesellschaftliche Phänomene wie Zeitdruck, Beschleunigung und Verflüssigung von Strukturen, um nur einige Punkte zu nennen, sind systembedingt und müssen vor diesem Hintergrund betrachtet und verändert werden – wobei wir nicht aus den Augen verlieren sollten, dass auch Systeme von Menschen gemacht sind. Auf der individuellen Ebene gilt es, mit der gegenwärtigen Situation umzugehen. Dazu ist es hilfreich, individuelle Lösungen zu finden, eine Haltung zu entwickeln.

Präsenz ist ein Gegenentwurf zum allgegenwärtigen Leistungs- und Zeitdruck. Es mag den einen oder die andere paradox anmuten, dass im Zustand der Präsenz sich die Leistungsfähigkeit erhöht, der Leidensdruck ab- und die Leichtigkeit zunimmt.

Im letzten Kapitel mit dem Titel „Unbegrenzte Aussicht“ gebe ich der Idee einer Gesellschaft präsenter Menschen Raum – Menschen, die mit sich selbst bewusster umgehen, folglich mehr Verantwortung für sich übernehmen und dies ganz natürlich auch auf ihr engeres und weiteres Umfeld übertragen. Ist dadurch gesellschaftlicher Wandel denkbar?

Die meisten meiner Klienten möchten souveräner auftreten können. Sie sind an ihrer Außenwirkung interessiert und entdecken im Verlauf des Coachings, dass Außen und Innen zusammengehören, dass auch ihre innere Einstellung, ihre Gedanken und Vorstellungen sowie ihr Körpergefühl ihre Ausstrahlung prägen.

Was ich den Menschen, mit denen ich arbeite, mit auf den Weg gebe – und was ich auch Ihnen in diesem Buch vermitteln möchte –, ist meine wesentlich durch Selbsterfahrung gewonnene Erkenntnis, die mein eigenes Leben grundlegend verändert hat: dass Körper und Geist eine Einheit bilden, in der das eine ohne das andere nicht gut funktionieren kann. In diesem Zusammenspiel kommt der Atmung eine zentrale Rolle zu.

Präsenz entsteht durch Achtsamkeit, deshalb schulen alle in diesem Buch beschriebenen Übungen diese Fähigkeit. Den Effekt von Achtsamkeitspraktiken haben verschiedene Wissenschaften untersucht. Zahlreiche Studien belegen, „dass Achtsamkeitspraktiken das Wachstum von integrativen Vernetzungen im Gehirn fördern“.1 Das heißt, wenn unterschiedliche Bereiche „gleichzeitig differenziert und miteinander verbunden sind, sich also miteinander abstimmen und aufeinander einstellen können – dann entsteht das, was wir als Harmonie empfinden … Liegt sie vor, so bündeln sich die Kräfte eines Systems, es ergibt sich das Erleben von Schwung und Energie und von Flexibilität.“2

Selbstbewusstsein entsteht, sobald wir uns mit unserem Körper verbinden und ihn bewusst bewohnen. Dann wächst unsere Ausstrahlung, und wir blühen auf. Präsenz ist für jede und jeden herstellbar; nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Alltag, der so an Strahlkraft gewinnt. Präsenz wird auch auf Ihrem Weg zu erhöhter Lebensqualität in allen Lebensbereichen führen. Sie ist der Schlüssel zu einem erfüllten Leben.

Zu meinem Hintergrund

Wie jedes Kind liebte ich es, wahrgenommen zu werden: singend und rezitierend in einer Kindergruppe, später in einer Kindertheatergruppe, noch später als Klassen- und Schulsprecherin. Das Zutrauen in meine Fähigkeit, mich auszudrücken, wuchs wie von selbst mit jeder neuen Erfahrung.

Als Jugendliche saß ich dank meinem Deutschlehrer zudem oft gebannt im Theater. Mich faszinierte die Präsenz mancher Schauspieler, ohne es damals so benennen zu können. Das Bühnengeschehen empfand ich als wunderbar verdichtete Wirklichkeit, weit attraktiver als die belanglose Wirklichkeit des normalen Lebens jenseits der Bühne.

Als Konsequenz meiner Begeisterung wurde ich selbst Schauspielerin. Mittlerweile stehe ich seit mehr als einem Vierteljahrhundert auf der Bühne und stelle mich selbst, ausgerüstet mit einem Bündel Handwerkszeug, immer wieder aufs Neue der Herausforderung, präsent zu sein. Während meiner Ausbildung und der ersten Berufsjahre erfuhr ich, wie viel körperliche, geistige und seelische Arbeit sich hinter der so phantastisch leicht wirkenden Bühnenpräsenz verbirgt.

Auch dass Präsenz im keineswegs belanglosen „normalen Leben“ eine bedeutende Rolle spielt, wurde mir allmählich im Laufe meiner persönlichen Reifung klar. Präsenz wurde für mich zu einem Schlüsselwort.

Als sich der Theaterbetrieb mit meiner Vorstellung von Zusammenarbeit in künstlerischen Prozessen und mit meiner werdenden Familie nicht mehr gut vereinbaren ließ, entschied ich mich, frei zu arbeiten. Da ich nun auch als Managerin und Produzentin für mich sorgen musste, kam ich unweigerlich häufiger mit Menschen in Kontakt, für die sicheres Auftreten im Berufsalltag, zum Beispiel in der Wirtschaft oder Wissenschaft, essenziell ist. Immer wieder wurde ich aufgefordert, meine Kenntnisse und Techniken, vor allem aus dem Bereich öffentliches Sprechen und Körperhaltung, weiterzugeben, was ich gerne und überzeugend tat. Über die Jahre erwarb ich mir so durch praktische Erfahrung und Fortbildung die Qualifikation, neben meiner künstlerischen Tätigkeit als Coach, Beraterin und Seminarleiterin zu arbeiten. Beiden Tätigkeiten liegt Kreativität zugrunde. Nach und nach entwickelte sich so ein zweites berufliches Standbein.

In meinen „Learning-by-doing“-Lehrjahren habe ich beobachtet und ausprobiert und vieles für mich entdeckt. Beispielsweise Parallelen zwischen der Erarbeitung einer Theaterfigur und der Entfaltung der eigenen Persönlichkeit. Oder solch grundsätzliche Zusammenhänge wie die zwischen Körperhaltung und Innerer Haltung. Auch die Qualität des Spielens lässt sich im Schiller’schen Sinn auf den persönlichen Umgang mit jedem Augenblick des Daseins übertragen: „Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“3

Als Lehrende war es notwendig, das vielfältige Handwerkszeug der Schauspielerin zu reflektieren und mir Zusammenhänge bewusst zu machen, die ich zuvor lediglich intuitiv hergestellt hatte. Prozesse, mit denen ich mich als Schauspielerin über Jahre hinweg beschäftigt habe, sollen nach Möglichkeit in wenigen Stunden, Tagen oder Wochen in Gang gesetzt und wirksam werden. Vereinfachung und Reduktion auf zentrale Wirkmechanismen und auf für die Anwendung einprägsame Analogien sind gefragt. Ich nehme beispielsweise das Wort „Auftritt“ wörtlich und vermittle eine einfache Übung zum Spüren der Füße beim Auftreten. Folgendes habe ich in meiner Praxis erlebt:

Eine Klientin, die eine verantwortliche Position innehat, stieß an eine ihr unangenehme Grenze: In ihrem von Männern dominierten beruflichen Umfeld wurde sie zwar als Spezialistin geschätzt, hatte aber trotz gleicher Hierarchieebene das Gefühl, nicht genügend wahrgenommen zu werden. In der ersten Stunde gab ich ihr eine meiner Grundlagenübungen, jene zum Spüren der Füße, mit auf den Weg. Die nächste Stunde leitete sie, fast amüsiert, mit den Worten ein: „Frau Ehinger, Sie verändern ja mein Leben!“ Während einer Konferenz in München hatte sie die Übung sowohl in den Pausen als auch beim Stadtbummel ausprobiert, mit dem für sie selbst deutlich spürbaren Ergebnis, mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.

Eines vor allem wurde mir in meiner Praxis als Coach deutlich: Die meisten Menschen nehmen ihren Körper im alltäglichen Tun viel zu wenig wahr, was zu einer Art Unwohl- und Unbefriedigtsein führt. Eine Kollegin brachte es nach einem gemeinsamen Seminar einmal auf den Punkt: „Die Menschen hungern nach Körperlichkeit.“4

Wenn wir unseren Körper nicht wahrnehmen, kann er uns nicht unterstützen. Dies ahnen viele, deshalb hegen und pflegen sie ihn mit Wellness, Fitnessstudio und Yoga. Der Körper findet dort Beachtung und seinen Raum. Doch nur selten wird die Körperwahrnehmung in den beruflichen und privaten Alltag übertragen. Das liegt unter anderem daran, dass zwar Techniken vermittelt werden, dabei aber leider grundsätzliches Wissen über den Körper und die Zusammenhänge von Körperhaltung, Atmung und Innerer Haltung zu kurz kommen. So nimmt es nicht wunder, dass es den meisten unmöglich ist, die Körpererfahrung in ihr tägliches Leben einzubetten. Es fehlt schlicht an praktikablem Wissen und an der Aufmerksamkeit für sich selbst im Alltag. Das ist der Punkt, an dem ich ansetze.

Arbeitsweise

Ich erkläre Zusammenhänge genau, damit Sie eigenständig agieren können. Während der vergangenen achtzehn Jahre konnte ich zusammen mit aufgeschlossenen Klienten die unterschiedlichsten Übungen entwickeln. Fast allen ist gemein, dass sie sich praktisch in den Berufsalltag integrieren lassen. Es sind Übungen, die leicht und weitestgehend unsichtbar und unhörbar durchgeführt werden können. Zum Teil sind es einfache Maßnahmen, die jedoch eine große Wirkung, zumindest für den Moment, erzielen. Und besteht unser Leben nicht schlicht aus einzelnen Momenten?

Wäre ich im Vorstand eines Unternehmens, würde ich alles daransetzen, dass die tägliche Arbeitsplatzsituation mehr Spielraum für Bewegung und Sammlung zulässt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden meiner Erfahrung nach in die Lage versetzt, selbstverantwortlicher, engagierter und inspirierter zu handeln.

Als Coach und hier als Buchautorin ist es also meine Aufgabe, Ihnen neben dem Verständnis für Ihren Körper vor allem praktikable Übungen an die Hand zu geben. Inwieweit Gedanken oder Übungen dazu beitragen, Ihren persönlichen Spielraum zu erweitern, hängt maßgeblich von ihrer konsequenten Umsetzung in der Praxis ab. Es gibt so viele wunderbare Erkenntnisse – doch leben wir auch danach?

Was ich mir als Schauspielerin erarbeitet habe, ist die Fähigkeit, mir fremde Gedanken und Bewegungen anzueignen. Bühnenkünstler sind zunächst Aneignungsspezialisten. Sie lernen fremde Texte, Partituren, Bewegungsabläufe auswendig. Dies erfordert Präzision, Einfühlungsvermögen und Beharrlichkeit, aber natürlich auch Kreativität, um das Erlernte so weiterzuentwickeln und lebendig werden zu lassen, dass es zu Eigenem wird.

Es ist dieser Aneignungsprozess, der es ermöglicht, fremde Gedankengänge und neue Bewegungsmöglichkeiten mit sich selbst, dem eigenen Körper und Geist, in Verbindung zu bringen und auf diese Weise in das eigene Repertoire einfließen zu lassen. Das ist Handwerk. Die Präsenz-Methode gibt Anleitungen zu verschiedenen Aneignungsverfahren.

Als Praktikerin – Schauspielen und Performen verstehe ich wesentlich als Praxis – eigne ich mir mein Wissen überwiegend durch konkrete Erfahrungen an. Dieses Wissen überprüfe ich immer wieder in meinem Alltag und in meiner Arbeit, indem ich es anwende und weitergebe. Jedes Seminar, jedes Coaching, jedes Gegenüber erweitert oder modifiziert dieses Wissen. Es ist ein steter Prozess. Deshalb bin ich all jenen dankbar, die sich mir auf ihrem Weg zu mehr Präsenz anvertraut haben. Ich habe durch das gemeinsame Untersuchen von beruflichen Situationen viel von ihnen gelernt. Letztendlich kam die Anregung, meine Erfahrung und mein Wissen schriftlich niederzulegen, von Teilnehmerinnen und Teilnehmern meiner Seminare. Ihr ausgesprochen positives Feedback bestärkte mich in meiner Einschätzung, wie ungemein wichtig die Wahrnehmung und Wertschätzung des Körpers im Alltag ist und dass ich dazu Wesentliches beitragen kann.

Sie sollten dieses Buch als durchaus vorläufiges Ergebnis meiner Erfahrungen und praktischen Studien lesen, welches Ihnen als Anregung und Leitfaden dienen soll, die Inhalte und Übungen in Ihr Leben zu integrieren, sie nach Ihren Erfahrungen zu verfeinern oder auf Ihr Erleben abzustimmen – sie als Hilfe zur Selbsthilfe zu nutzen. Ich bitte Sie, Ihre Erfahrungen mit dem, was Sie lesen und ausprobieren, zu verknüpfen und Ihren Werkzeugkasten zu erweitern. Anhand des hier versammelten Materials wird es Ihnen möglich sein, selbstständig an sich zu arbeiten, Ihre Erfahrungen immer weiter zu vertiefen oder sich einfach auf eine bestimmte Aufgabenstellung vorzubereiten.

Wissen bleibt letztlich ohne Nutzen, fließt es nicht ins Tun zurück. Johann Wolfgang Goethe hat dies treffend formuliert: „Es ist nicht genug, zu wissen, man muss es auch anwenden; es ist nicht genug, zu wollen, man muss es auch tun.“ In diesem Sinne möchte ich Sie einladen, die Qualität von Präsenz für sich zu entdecken und Ihrem Körper den Genuss zu gönnen, der aus der Anwendung des Verstandenen resultiert.

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KAPITEL 1

Theater

Ins Licht treten

Die Treffbaren, die Erfreubaren

Die Änderbaren.

Bertolt Brecht

Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen;

Mein sind die Jahre nicht, die etwa möchten kommen;

Der Augenblick ist mein, und nehm ich den in acht,

So ist der mein, der Jahr und Ewigkeit gemacht.

Andreas Gryphius

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PRÄSENZ

„Du tanzt nicht, um auf die andere Seite der Tanzfläche zu kommen.“

Alan Watts

In der Tanzbewegung lassen Sie sich auf das Zusammenspiel mit Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner und der Musik ein. Gelingt das Zusammenspiel, gehen Sie darin auf. Die Wendung „In-einer-Sache-Aufgehen“ birgt einen tieferen Sinn in sich: Besagt sie nicht, dass man gerade dadurch aufzublühen hoffen darf, dass man sich einem Vorgang ganz hingibt? Sollten Sie indes mit Ihren Gedanken woanders sein, beim Gespräch mit einem Geschäftspartner oder bei anderen wichtigen oder weniger wichtigen Belangen Ihres Lebens, sei es in der Zukunft oder der Vergangenheit, wird der Tanz für Sie zu einer leeren Bewegung, in der Sie bloß die Tanzfläche überqueren. Sie tanzen „mechanisch“, das heißt unbeseelt, oder kommen aus dem Rhythmus. Sowohl für Sie wie für Ihren Partner gerät der Tanz zur holprigen Pflichtübung statt zum freudvollen Miteinander. Genießen können Sie den Tanz nur, wenn Sie präsent sind, wenn Sie sich ihm wach hingeben.

Präsent sein – wer möchte das nicht? Ist es nicht der tiefe Wunsch eines jeden, gesehen zu werden, Anerkennung zu finden, zu wirken und dem Leben dadurch einen Sinn zu verleihen? Klingen in dem Wort „Präsenz“ nicht auch die Vorstellung und die Sehnsucht an, das eigene, einzigartige Leben präsent, also möglichst gegenwärtig, zu erleben?

Weitere Fragen, denen ich begegne, lauten: Ist Präsenz etwas, das man hat oder nicht hat? Ist Präsenz eine Frage des Persönlichkeitstyps, etwas Angeborenes oder gar Ererbtes? Dahinter steckt die eigentliche Frage: Kann man für seine Präsenz oder seine „Ausstrahlung“ etwas tun, oder ist alle Mühe vergeblich?

Präsenz erweist sich als ein Phänomen mit zwei Gesichtern. Sie beeinflusst sowohl Ihre Selbstwahrnehmung als auch die Wahrnehmung Ihrer Person durch Dritte, Ihr inneres Erleben ebenso wie Ihr äußeres Wirken, was schlicht bedeutet, dass beides, das Wahrnehmen wie das Wahrgenommenwerden, unmittelbar miteinander zusammenhängt. Und dieser Zusammenhang erschließt und verheißt uns das Wesentliche der Präsenz: ihre Herstellbarkeit.

1. Sein oder Nichtsein – das ist hier die Frage

Der Begriff „Präsenz“ leitet sich aus dem lateinischen praesentia ab, was Gegenwart, Anwesenheit und auch Wirkung bedeutet. Das ins Deutsche entlehnte Wort Präsenz lässt sich als Anwesenheit, Gegenwärtigsein oder umfassender als räumliches, zeitliches, körperliches und geistiges Zugegensein definieren. Präsenz und Präsentsein werden im Buch synonym verwendet.

„Hat“ eine Person Präsenz, eignet ihrem Auftreten ein gewisses Etwas, das andere gleichsam als „verstärktes Anwesendsein“ empfinden. Präsent zu sein heißt, hundertprozentig anwesend, in der Gegenwart, im Hier und Jetzt zu sein, kurzum: zu sein!

Präsenz ist keine Eigenschaft, sie ist ein Zustand, jedoch nicht dauerhaft, sondern temporär.

Wie kann es uns ganz bewusst gelingen, in der Gegenwart zu sein, zumal wir doch glauben, automatisch in ihr zu verweilen? Vertrauen wir überhaupt unserem Sein? Im Englischen bedeutet present sowohl Gegenwart als auch Geschenk. Können wir uns selbst als „Geschenk“, als eine Bereicherung begreifen? Ich erlebe immer wieder, dass Rednerinnen und Redner sich auf die Vermittlung von Inhalten stürzen, weil sie sich selbst zu wenig vertrauen. Sie gönnen es sich nicht mehr, frei zu atmen, und sind weit davon entfernt, sich als „Geschenk“ wahrnehmen zu können.

Versetzen Sie sich bitte in die Beobachterrolle: Was nehmen Sie als Erstes bei Ihrem Gegenüber wahr? Sind es nicht die körperliche Gestalt (Körperhaltung, Gesichtsausdruck, gegebenenfalls Geruch) und der Klang der Stimme, bevor das, was gesagt wird, ins Bewusstsein dringt?

Sie können das ganz einfach überprüfen, indem Sie sich beispielsweise an Ihr letztes Meeting oder Ihre letzte Konferenz erinnern. Welche Teilnehmerin, welcher Teilnehmer kommt Ihnen in den Sinn? Wer war „präsent“ und vor allem wodurch? Es kann durchaus sein, dass diese Person inhaltlich nicht viel zu sagen hatte, aber trotzdem durch ihre Art, nonverbal und verbal zu kommunizieren, überzeugend auf Sie wirkte. Das ist möglich, weil körperliche Präsenz von Inhalten unabhängig ist.

Den König spielen die anderen, heißt es im Theater. Das bedeutet, dass die Wirkung eines Menschen nicht nur von ihm allein abhängt, sondern auch von den Reaktionen anderer. Wir empfinden seine Präsenz unterschiedlich, je nach unserem Erfahrungshintergrund. Das Geheimnis um die spezifische Präsenz eines Menschen wird sich letztlich nie ganz lüften lassen. Offensichtlich gibt es aber Menschen, die bei vielen eine ähnliche Resonanz auslösen. Warum?

2. Die drei Säulen der Überzeugungskraft

Interessanterweise bereiten sich die meisten auf Präsentationen oder andere Redebeiträge in der Regel inhaltlich, methodisch und strategisch vor. Denn aufgrund unserer Erziehung und Bildung sind wir stark auf Inhalte und Wissensvermittlung fixiert. Dabei ruht die Überzeugungsfähigkeit auf drei Säulen: auf der körperlichen und stimmlichen Präsenz und auf den Inhalten. Genau in dieser Reihenfolge werden wir wahrgenommen.

Zuerst gerät die körperliche Erscheinung, die körperliche Präsenz, in den Blick: die Haltung, ob jemand frei oder unfrei atmet und sich bewegt, außerdem, wie er oder sie den Anwesenden begegnet und nonverbal mit ihnen kommuniziert. Die Kleidung gehört ebenfalls dazu und kann unterstützend wirken. Auch die Weise, wie die Person den Raum betritt, ist beredt und erzählt etwas über ihren Umgang mit Zeit und Raum. Wird der Augenblick wertgeschätzt, indem Sie ihn bewusst erleben, sind Sie zeitlich präsent; schließt dieses Gewahrsein den Raum mit ein, entsteht zugleich Präsenz im Raum. Sie treten in Beziehung mit dem Raum und den Anwesenden. Natürlich erleben Sie all dies im Augenblick Ihres Auftritts nicht getrennt voneinander. Es handelt sich bei Zeit, Körper und Raum um Aspekte von Präsenz, die wir alle immerzu unbewusst wahrnehmen, und um Anknüpfungspunkte, durch welche wir Präsenz bewusst herstellen können.

Körperliche Präsenz erzeugt eine Atmosphäre. Sobald die Stimme erklingt, entsteht eine spezifische Stimmung. Zuletzt folgt die Aufmerksamkeit der Zuhörenden dem Inhalt. Erst wenn eine Person uns stimmig erscheint, vertrauen wir auch ihren Worten. Andernfalls neigen wir leicht dazu, die mitgeteilten Inhalte unreflektiert abzulehnen oder in Frage zu stellen.

3. Wer sich selbst wahrnimmt, wird wahrgenommen

So lautet meine zentrale Arbeitsthese, die auf den Erkenntnissen beruht, die ich im Laufe meiner Tätigkeit sowohl als Schauspielerin wie auch als Coach gewonnen habe. Präsenz basiert auf Selbstwahrnehmung. Selbstwahrnehmung ist aber auch das Ergebnis von Präsenz.

Wenn wir uns selbst Aufmerksamkeit schenken, das heißt mit unseren Sinnen – Spüren, Sehen, Hören, Riechen und Schmecken – wahrnehmen, was wir tun, kommen wir geradewegs in der Gegenwart an. Das bleibt nach außen hin nicht verborgen. Innere Präsenz ist Voraussetzung für äußere – öffentliche – Präsenz.

Zur Herstellung von körperlicher und stimmlicher Präsenz eignet sich aus meiner Erfahrung insbesondere das Spüren. Vielleicht kennen Sie folgende Situation: Von einem Termin zum nächsten eilend, sind wir häufig in Gedanken mit allerlei Dingen beschäftigt, die in der Vergangenheit oder in der Zukunft liegen. So kann es geschehen, dass wir anderen, die uns dabei beobachten, wie „abwesend“ vorkommen. Würden wir in solchen Momenten uns selbst wahrnehmen, nämlich spüren, wie wir gehen, so würden sich unsere Körperhaltung, Muskelspannung und unser Wohlgefühl verändern. Es entginge uns nicht, wie der Boden unseren Füßen Halt gibt und wie sich, wenn wir dessen gewahr werden, die Wirbelsäule von selbst entspannt aufrichtet. Wir würden uns wohler fühlen, und im Auge des Betrachters wären wir selbstbewusst und präsent. Bewusst zu gehen schließt im Übrigen das Denken nicht aus, wovon im Kapitel „Körperliche Präsenz“ eingehend die Rede sein wird.

Präsenz ist herstellbar im Zusammenspiel von Selbstbewusstsein und bewusstem Umgang mit uns selbst im Alltag. Praktisch bedeutet dies: Wir suchen in jeder Situation konkrete Kontaktpunkte, die wir spüren können und die uns Halt geben, um in diesem Gehaltenwerden das Gegenwärtigsein entspannter zu erleben.

4. Ein kleines Experiment zum Einstieg

Wenn Sie Lust haben, probieren Sie es gleich aus: Während Sie lesen, nehmen Sie bitte den Kontakt mit der Sitzfläche, Rückenlehne oder der Auflagefläche im Liegen wahr. An welchen Stellen spüren Sie ihn? Spüren Sie auch Ihr Gewicht? Was geschieht, wenn Sie Ihr Gewicht bewusst an die Unterlage abgeben? Wie macht sich das bemerkbar? Entspannen Sie sich? Atmen Sie auf? Bemerken Sie möglicherweise eine Anspannung in den Schultern oder im Kiefergelenk, die sich nun lösen kann? Verändert sich Ihre Innere Haltung, während Sie weiterlesen und sich gleichzeitig weiterhin im Kontakt mit der Sitz- oder Liegefläche körperlich wahrnehmen? Kann es sein, dass Sie sich selbst lesend wahrnehmen und zugleich den Inhalt des Buches, statt – wie zuvor – diesen allein?

Mit jedem der fünf Sinne lässt sich ein solches Experiment durchführen, und immer erbringt es das nämliche Resultat: Sobald Sie ganz in der Gegenwart angelangt sind, innere und äußere Vorgänge gleichermaßen wahrnehmen, stellen sich identische körperliche Folgen ein:

Der Muskeltonus verändert sich. Dies gilt auch für das Zwerchfell – den wichtigsten Muskel für die Atembewegung –, wodurch die Atmung sich vertieft. Das freiere Atmen führt dazu, dass Sie sich besser mit Sauerstoff versorgen und dadurch mehr Energie zur Verfügung haben. Sie werden sich wohler fühlen. Auch Ihre Konzentration, Ihre Aufnahme- und Verarbeitungskapazität nehmen zu. Das gestiegene allgemeine Wohlbefinden wirkt sich zudem positiv auf Ihr Immunsystem aus.

Das Herstellen von Präsenz bedarf der Aufmerksamkeit, gerade bei alltäglichen Vorgängen, und je öfter Sie sich darin üben, desto mehr wird sich Ihre Achtsamkeit verfeinern.

5. Präsent sein

Präsentsein beschreibe ich gerne als eine spezifische, außerordentlich erstrebenswerte Lebensqualität. Ich habe die Qualität von Präsenz als Schauspielerin auf der Bühne kennen und schätzen gelernt. Bühnenkünstler sind Spezialisten im Herstellen von Präsenz. Das ist unser Handwerk. Auf der Bühne geht es darum, Vorgänge, egal zum wievielten Mal, immer wieder neu zu erleben und zum Erlebnis werden zu lassen, sich ganz wach dem Augenblick hinzugeben.

Erleben heißt hier, das Spiel, das aus Verabredungen besteht, zu beleben, es sich jedes Mal von Neuem entwickeln zu lassen, anstatt an einer bestimmten einstudierten Weise mechanisch festzuhalten. Es bedeutet, im Fluss zu bleiben, offen, berührbar zu sein – bewegt zu werden und zu bewegen, im und durch den eigenen Rhythmus.

Präsenz ist kein Effekt. Präsenz ist Ursache und Wirkung zugleich.