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Wiener Vorlesungen

Band 192
Herausgegeben für die Kulturabteilung der Stadt Wien von Daniel Löcker

Vortrag im Wiener Rathaus am 26. November 2018

Bernhard Hachleitner
Matthias Marschik
Rudolf Müllner
Johann Skocek

Der Wiener Fußball im Nationalsozialismus
Sein Beitrag zur Erinnerungskultur Wiens und Österreichs

Picus Verlag Wien

Copyright © 2019 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien

Alle Rechte vorbehalten

Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien

ISBN 978-3-7117-3012-1

eISBN 978-3-7117-5400-4

Informationen zu den Wiener Vorlesungen unter
www.wienervorlesungen.at

Informationen über das aktuelle Programm des Picus Verlags und Veranstaltungen unter
www.picus.at

Inhalt

Die Wiener Vorlesungen

Der Wiener Fußball im Nationalsozialismus. Sein Beitrag zur Erinnerungskultur Wiens und Österreichs

Bildnachweise

Die Autoren

Die Wiener Vorlesungen

Vor mehr als dreißig Jahren wurde ein ebenso unverwechselbares wie hochkarätiges Wissenschaftsformat ins Leben gerufen: die Wiener Vorlesungen. Fächerübergreifend setzen sie sich mit den großen wissenschaftlichen und intellektuellen Fragen unserer Zeit auseinander und bereichern so den Kulturkalender der Stadt Wien um einen wichtigen Erkenntnisraum.

Als Forschungsstandort und Universitätsstadt hat Wien eine Spitzenposition im mitteleuropäischen Raum inne und sieht es auch in ihrer Verantwortung, Impulsgeberin für aktuelle und zukunftsrelevante Fragestellungen zu sein. Die gesellschaftspolitische Relevanz von Wissenschaft steht dabei außer Frage: Bildung und Wissen sind wesentliche Grundlagen für ein selbstbestimmtes Leben und für eine funktionierende demokratische Zivilgesellschaft. Als ein sich ständig weiterentwickelndes Projekt der Aufklärung waren und sind die Wiener Vorlesungen »geistiger Initialzünder« für einen offenen und öffentlichen Diskurs, der nicht nur innerhalb wissenschaftlicher Zirkel geführt wird, sondern ein breites Publikum als Beitrag für eine offene Gesellschaft erreicht.

Auch nach drei Jahrzehnten geben die Wiener Vorlesungen Anstöße für Kontroversen und behandeln jene Themen, die für die Stadt und ihre Bewohnerinnen und Bewohner besonders relevant sind. Ein an Fakten und Informationen übersättigter Raum, die oft rasche Folge wissenschaftlicher Erkenntnisse und die mitunter damit einhergehenden Problematiken verlangen einen stärkeren öffentlichen Diskurs über die Voraussetzungen und Folgen von Forschung. Hier bietet das lebendige und innovative Veranstaltungsformat der Wiener Vorlesungen ein Navigationssystem und fungiert als »Informationskatalysator« für neue Erkenntnisse aus zeitgenössischen Forschungswerkstätten und Labors. Es kann dazu beitragen, Dimensionen abzuschätzen, Fragen zu bewerten und Entscheidungen zu treffen. Und vielleicht auch zum richtigen Handeln in unübersichtlichen Zeiten zu kommen.

Die Wiener Vorlesungen werden künftig insbesondere Wissenschaftlerinnen noch stärker einbeziehen. Der weiblichen Stimme der Forschung Gehör zu verschaffen, ist bedauerlicherweise nach wie vor keine Selbstverständlichkeit. Wir arbeiten daran, auch in diesem Bereich Vorurteile abzubauen.

Die Schauplätze der Wiener Vorlesungen sind vielfältig wie das Programm selbst: Sie verwandeln das Rathaus in eine temporäre offene Stadtuniversität ebenso wie sie eine Vielzahl anderer Orte in vielen Bezirken der Stadt zu Stätten der Bildung und des aktiven Austauschs transformieren.

Im Fokus der Wiener Vorlesungen steht mehr denn je die Kommunikation mit einem offenen und neugierigen Publikum. Es werden daher prominente Denkerinnen und Denker im Sinne einer zeitgemäßen Wissenschaftsvermittlung eingeladen, ihre Erkenntnisse und Einsichten mit der Bevölkerung zu teilen und einen offenen Dialog zu führen. Dazu ist kein Studium nötig, das ideale Publikum hat kein Alter, keine Titel, aber eine große Wachheit und eine unbändige Neugier auf das Neue, das Unbekannte und brennende gesellschaftliche Fragen.

So bieten die Wiener Vorlesungen einen faszinierenden Einblick in die Werkstatt der Wissenschaft, der die Vielfalt des Gesellschafts- und Geisteslebens unserer Zeit widerspiegelt und den Blick für die Differenziertheit und Diversität der Gegenwart schärft.

Veronica Kaup-Hasler
Stadträtin für Kultur und Wissenschaft

Der Wiener Fußball im Nationalsozialismus. Sein Beitrag zur Erinnerungskultur Wiens und Österreichs

Am 8. Mai 1938 war in der Kronen-Zeitung zu lesen: »In feierlicher Form erfolgte gestern auf dem Heldenplatz die Amtseinführung des neu ernannten Kommandeurs der Schutzpolizei Wien, Oberst Herbert Becker, durch den Staatssekretär für Sicherheitswesen SS.-Brigadeführer Dr. Kaltenbrunner im Beisein des Polizeipräsidenten SS.-Standartenführer Steinhäusl […] sowie der Vertreter der Partei, des Staates und der Wehrmacht.«1 Ein Foto von dieser Veranstaltung zeigt, wie Kaltenbrunner und Steinhäusl gemeinsam die Parade der Schutzpolizei abschreiten.2

Auf den ersten Blick hat diese Szene nichts mit dem Wiener Fußball zu tun. Wenig später tauchen aber die beiden hochrangigen SS-Funktionäre genau in diesem Zusammenhang auf: Der Sportklub Rapid ernennt in seiner außerordentlichen Generalversammlung vom 26. August 1938 Otto Steinhäusl per Akklamation zum Ehrenmitglied.3 Ernst Kaltenbrunner wiederum wird von der Generalversammlung des Fußball-Klub Austria am 16. Oktober 1938 zum Ehrenpräsidenten gewählt.4

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Abbildung 1: Anfang Mai 1938 nehmen der Staatssekretär für Sicherheitswesen Ernst Kaltenbrunner (Mitte) und der Polizeipräsident Otto Steinhäusl (rechts von ihm) eine Parade der Schutzpolizei ab.

Das Sportengagement zweier SS-Granden legt nahe, sich mit den Verbindungen von Sport und Politik im Nationalsozialismus zu beschäftigen. Welche Rolle spielte Sport im NS-System, welche Funktionen hatte er, mit welchen Bedeutungen wurde er aufgeladen – wann, wodurch und von wem? Zugleich stellt sich die Frage nach der Rolle der nationalsozialistischen Politik im Sportgeschehen, im Besonderen in der Massenkultur des Wiener Fußballs. Zu fragen ist also zugleich nach den jeweiligen Handlungsspielräumen sowie nach deren Zusammenspiel auf institutioneller wie auf individueller Ebene.

Das erscheint umso wichtiger, als sich die Beschäftigung mit dem Sportgeschehen während der Herrschaft des Nationalsozialismus bis heute oft auf zwei (gegensätzliche) Aspekte reduziert: zum einen auf die Frage einer politischen Indoktrinierung von Bewegungskulturen, zum anderen auf die Nennung von Resultaten und Ergebnissen. Dem Thema zugrunde liegt jedoch eine fundamentalere Frage, die aufgrund der laufenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungen sehr aktuell scheint und keineswegs mehr weitgehend konsensual beantwortet wird: Was können wir aus der Beschäftigung mit dem Wiener Fußball während des Nationalsozialismus über die Vergangenheit erfahren, in die Gegenwart transferieren und für die Zukunft nutzen? Liefert die Analyse sportlicher Praxen einen Erkenntnisgewinn, der aus Untersuchungen des politischen Feldes alleine nicht, oder weniger stringent, abzuleiten ist? Grundlage der Beantwortung dieser Frage ist die Einsicht in die eminenten politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Bedeutungen des Sports und der Sportkulturen, die das Feld des Sports bei Weitem übersteigen.

Gerade der Wiener Fußball eignet sich aus mehreren Gründen für eine gewinnbringende Analyse. Vor allem war er ein besonders massenwirksamer und durchaus konfliktträchtiger Teil der Populärkultur. An ihm wurden – in zeitgenössischen wie in retrospektiven, in populären wie in wissenschaftlichen Diskursen – zentrale Fragen des Verhältnisses von Sport und Unterhaltungskultur, von Politik und Ökonomie verhandelt. Betrachtet man den Fußball in dieser Weise, werden Schwächen traditioneller Sportgeschichtsschreibung offenbar, die sich an vier Punkten festmachen lassen: