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Golden Stairs

 

Ein Roman von Sandra Busch

 

 

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2019

http://www.deadsoft.de

© the author

 

Cover: Irene Rep

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© sad – stock.adobe.com

© Joe Benning – shutterstock.com

 

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-279-3

ISBN 978-3-96089-280-9 (epub)

 

Inhalt:

Golden Stairs ... so wird ein schwieriger Teilabschnitt auf dem Weg zu den Goldfeldern am Yukon genannt. Viele Abenteuerlustige sind an diesem Pass gescheitert.

Zu Beginn meiner Reise hätte ich mir nicht träumen lassen, dass die Golden Stairs für mich eine völlig andere Bedeutung erhalten. Denn als ich Green kennenlerne, werden sie für mich die Stufen zum persönlichen Glück – und gleichzeitig zum schwersten Weg meines Lebens.

 

Prolog

Seattle, Washington im Jahr 1897

 

„Ha? Ist gut, ja?“

Und ob es gut ist! Mit heruntergelassenen Hosen stehe ich im Stall und kann bloß atemlos nicken. Schwer muss ich mich an der Wand abstützen, da die Gefahr besteht, dass meine weichen Knie einfach nachgeben. Der mexikanische Hilfsarbeiter, der vor mir kauert und sich mit den Händen zwischen meinen Beinen beschäftigt, grunzt zufrieden und intensiviert seine Bemühungen, mich nachhaltig zu beeindrucken.

Über einen vollen Monat hinweg sind wir wie zwei lauernde Kater umeinander herumgeschlichen, haben uns gegenseitig taxiert und darüber nachgegrübelt, wie wohl der jeweils andere über ein heimliches Stelldichein denkt. Ein besonders attraktiver Kerl ist der Mexikaner nicht. Er ist etwa doppelt so alt wie ich, also rund dreißig Jahre. Ein Zahn im Oberkiefer fehlt und er hat eine breite Nase, die sicherlich von einer Faust umgeformt wurde. Aber Attraktivität ist nicht alles und in einem dermaßen kleinen Nest wie Willowdale ist die Chance, auf einen Gleichgesinnten zu stoßen, ungefähr so groß, als würde ich beim Umgraben des Gemüsefeldes einen verborgenen Schatz finden. Zumindest ist der Mexikaner mutiger als ich, denn am heutigen Tag wagt er den ersten Schritt. Und genau deswegen kann ich jetzt meine Lust laut herauskeuchen. Für mich ist es das erste Mal und es ist fantastisch. Zumindest solange bis die Stalltür auffliegt und mein Pa auf der Suche nach mir in den Stall stapft. Wie ein Blitz fährt der Mexikaner in die Höhe und ich versuche noch verzweifelt meine Hose über die Hüften zu ziehen. Doch es ist schon zu spät. Wie vom Schlag getroffen steht mein Vater da, starrt uns fassungslos an und schließlich ziehen bedrohliche Gewitterwolken in seinem Gesicht auf. Obendrein läuft es dunkelrot an. Mir vergeht sämtliche Lust und statt des erregenden Kribbelns breitet sich ein flaues Gefühl in meinem Magen aus.

„Ins Haus! Sofort!“ Unverhohlene Wut liegt in der strengen Stimme.

Meine Beine setzen sich ganz von allein in Bewegung und ich renne ohne zu zögern aus dem Stall. Die Sorte finstere Miene meines Vaters kenne und fürchte ich. Wenn mein Pa in eine solch dunkle Stimmung gerät, spurt üblicherweise jedermann auf der Shacklefort-Ranch.

Meine Familie ist in der Küche mit den Vorbereitungen zum Abendessen beschäftigt. Sie heben die Köpfe, als ich ins Haus stürme.

„Jesse, du bist ja völlig außer Atem“, begrüßt mich meine Mum. Ich bekomme keine Gelegenheit zum Antworten, da in dieser Sekunde Pa die Tür aufstößt und unter Mums verwunderten und dem eher neugierigen Blick meines drei Jahre älteren Bruders Ambrose das Gewehr von der Wand rupft. Grandma, die zwei Jahre nach Großvaters Tod erblindet ist, horcht erstaunt auf, als das Gewehr entsichert wird. Voller Furcht presse ich mich in eine Ecke der Küche und versuche möglichst unsichtbar zu werden.

„Amos, was ist passiert?“, fragt Mum erschrocken.

„Unzucht hat auf unserer Ranch Einzug gehalten“, knurrt Pa.

„Du hast was getan?“, fragte Ambrose mit begeistertem Entsetzen. Am liebsten wäre ich vor Scham im Boden versunken. Ich ignoriere Ambrose und dessen Schadenfreude, stattdessen schaue ich ängstlich meinem Vater hinterher, der mit dem Gewehr das Haus verlässt.

Mum stürzt ebenfalls ins Freie. „Amos, mach dich nicht unglücklich!“, schreit sie. Gleich darauf ertönt wütendes Gebrüll, Schüsse und das Getrappel von galoppierenden Pferdehufen. Offenbar hat der Mexikaner spontan beschlossen, seine Stellung bei den Shackleforts zu kündigen. Daher ist Pa viel zu schnell zurück und ich muss erneut die Hosen fallen lassen, während mein Pa den eigenen Gürtel löst.

„Und jetzt zu dir, du verdammtes Stück Vieh!“, grollt er.

Der folgenden Tracht Prügel habe ich es zu verdanken, dass ich die nächsten drei Tage meine Mahlzeiten im Stehen zu mir nehmen muss.

An diese unwürdige Szene denke ich gerade, weil der Händler, dem ich vor wenigen Minuten mein Pferd verkauft habe, dem Mexikaner ähnelt, der vor sieben Jahren auf der Shacklefort-Ranch gearbeitet hat. Es sind keine Erinnerungen, auf die ich sonderlich stolz bin, dazu sitzt die erfahrene Demütigung einfach zu tief. Selbstverständlich zog mein ungebührliches und gotteslästerliches Handeln weitere unangenehme Folgen nach sich. Von jenem verhängnisvollen Tag an musste ich dermaßen hart arbeiten, dass ich abends todmüde war und wie ein gefällter Baum ins Bett plumpste. Wenn Mum Mitleid mit mir bekam und Einwände erhob, erklärte ihr Pa, dass ich auf diese Weise wenigstens nicht mehr vom rechten Weg abkommen konnte, weil ich dazu viel zu beschäftigt sei. Dank Pas unnachgiebiger Strenge, endlosen Bibelsprüchen und Ambroses ständigen hämischen Sticheleien kam ich mir mit jedem Tag aufs Neue bestraft vor. Und obwohl die Lektion mit dem Gürtel ziemlich schmerzhaft gewesen war und ich guten Willen zeigte, konnte ich es nicht vermeiden, weiterhin bei den sonntäglichen Kirchgängen verstohlen die jungen Burschen statt den Mädchen in ihren Sonntagskleidern zu mustern. Einmal ein Sünder, immer ein Sünder.

Ich seufze tief und rücke den breitkrempigen Hut zurecht, während ich mich mit den Taschen voller Dollar auf den Weg in Richtung Hafen begebe. Mit der Shacklefort-Ranch geht es von Jahr zu Jahr weiter bergab. Hilfsarbeiter werden schon lange keine mehr eingestellt, meine Familie kann es sich nicht länger leisten. Nachdem Grandpa John die Ranch mit eigenen Händen erbaut hatte und mit der Rinderzucht begann, gab es zwei üble Seuchen, die den Viehbestand drastisch dezimierten. Ein weiteres Problem stellen die Indianer dar. Die Ranch ist auf Modoc-Land erbaut worden und seit die weißen Jäger die Büffel zu Tausenden abschießen und die restlichen Herden daraufhin ihre Wanderwege ändern, tauchen die Indianer vor den Corrals unserer Ranch auf. Pa sieht sich genötigt, ihnen Rinder zu überlassen, um zu verhindern, dass die Gebäude niedergebrannt und die Familie abgeschlachtet wird. Sein Plan geht auf, doch die Modocs kehren regelmäßig alle paar Monate wieder, um ihren Tribut einzufordern. Ich kann es ihnen nicht verübeln, sie sind genau wie wir aufs Überleben aus. Allerdings reduziert sich unser Viehbestand mit solchen Abgaben dramatisch.

Richtig schlimm wurde es, als Ambrose die Tochter der Nachbarn heiratete, die das Indianerproblem mit ihren Gewehren zu lösen versucht hatten. Sarah ist die Einzige, die dem Massaker entkommen ist. Ihr dauerndes Weinen und die sauertöpfische Leidensmiene trugen wunderbar zu meinem freudlosen Dasein bei.

„Wenigstens bin ich das jammernde Weib los“, murmle ich wenig freundlich vor mich hin, als ich die belebte Straße entlang gehe. Meine Stiefel wirbeln Staub auf.

Der Grund, warum ich mich heute in Seattle befinde, glänzt golden. Dieses Jahr, und wir schreiben das Jahr 1897, brachte mir endlich die große Wende in meinem Dasein aus Plackerei und Beten. Die ersten Nachrichten über riesenhafte Goldfunde im Yukon-Territorium erreichten das kleine Nest Willowdale, in dessen unmittelbarer Nähe unsere Farm liegt. Nachdem Ambrose Sarah wegen einer Fehlgeburt zum Arzt in die Stadt fahren musste, brachte er ein Exemplar des Willowdale Dailys mit nach Hause.

Gold! Gold! Gold! Gold! lautete die Schlagzeile der Sonderausgabe. Achtundsechzig reiche Männer auf den Dampfern Excelsior und Portland. Ein Foto zeigte jubelnde Männer, die dem Fotografen voller Stolz ihre Goldfunde entgegen streckten. Fasziniert zupfte ich Ambrose die Zeitung aus der Hand, um den Bericht dazu zu lesen. Der weitere Artikel versprach, dass im Yukon-Territorium Gold für jedermann vorhanden sei und man lediglich zuzugreifen bräuchte. Der liebe Gott ist mein Zeuge, dass ich bloß eine Woche überlegte, bevor ich ein Bündel packte, meine eisernen Ersparnisse aus ihrem Versteck kramte und mich trotz der skeptischen Mienen meiner Familie auf den Weg in den Norden machte. Zu meiner größten Überraschung steckte mir Pa noch die beiseitegelegten Dollar für einen Notfall zu.

„Die wirst du wahrscheinlich gebrauchen können.“

„Waren die nicht für einen neuen Bullen gedacht?“, fragte ich verwundert, weil ich mich mit dem Geld in der Hand nicht sonderlich wohl fühlte. „Oder für den Winter?“

„Wenn du deine Zukunft in der Ferne suchst, werde ich die Ranch Ambrose überlassen. Damit kannst du dich als ausbezahlt betrachten.“

Es war eindeutig, aus welcher Richtung der Wind wehte. Pa brauchte nicht deutlicher zu werden. Wenn ich ging, dann für immer. Für meinen Vater ließ ich die Familie im Stich.

„Wir werden für dich beten“, sagte Pa. „Mach uns keine Schande.“ Worauf er mit seinen Worten anspielte, musste er ebenfalls nicht erklären.

Obwohl ich meiner Familie den Rücken gekehrt habe und in eine ungewisse Zukunft aufgebrochen bin, habe ich bis zum heutigen Tag das Gefühl, das Richtige zu tun. Einen Platz auf der Farm gibt es für mich ohnehin nicht und obendrein hat mich Mum nach Ambroses Hochzeit bereits mehrmals gefragt, wann sie mit einer weiteren Schwiegertochter rechnen könnte. Wie soll ich ihr erklären, dass Pas Schläge nichts an meinen Gefühlen geändert haben?

Ich schüttle die Vergangenheit wie ein Hund ab, der sich nach einem Regenschauer das Wasser aus dem Fell schleudert.

Ich habe die Taschen voller Geld.

Ich habe ein Ziel.

Ich habe einen starken Willen.

Ich bin ein Shacklefort.  

… 

Nicht dass man darauf stolz sein kann, aber ich bin ein Shacklefort.

 

 

Eins

Von Seattle nach Skagway, August bis September 1897

 

Die Menschenmassen in Seattle erschlagen mich regelrecht. Was für ein Gedränge und Geschiebe! Ich presse mein Gepäck fester an die Brust, als könnte es mich vor dem Gewimmel schützen, rücke das Gewehr über der Schulter zurecht und bahne mir einen Weg zum Dampfer. Ich bin froh und dankbar, eines der letzten Tickets ergattert zu haben. Mein Plan ist es, Alaskas Fjorde per Dampfschiff bis nach Skagway entlangzufahren und von dort aus möglichst schnell den Zulauf des Klondike und Yukon River zu erreichen. Als ich mich nun dem Trubel am Hafen stelle, komme ich allerdings zu der schwerwiegenden Erkenntnis, dass ich nicht der Einzige mit einem solchen Vorhaben bin.

Plötzlich ertönt irgendwo vor mir ein lauter Schrei, gleich darauf fällt ein Schuss. Bei dem Knall zucke ich erschrocken zusammen, doch niemand außer mir scheint davon Notiz zu nehmen. Mit Dieben wird hier kurzerhand abgerechnet, ohne dass man erst den Sheriff bemüht. Ich bin mir nicht sicher, was ich von dieser schnellen Form der Justiz halten soll. Im nächsten Moment werde ich grob angerempelt, gerate ins Stolpern und wäre beinahe zu Boden gegangen. Ungehalten öffne ich den Mund, um gegen diese Behandlung zu protestieren, da ergreift jemand meinen Arm und hält mich fest, bis ich das Gleichgewicht zurückgefunden habe.

„Tut mir leid.“

„Pass ein bisschen besser auf“, murre ich und blicke in der nächsten Sekunde in ein fröhliches Gesicht, das sich unter einem breitkrempigen Hut befindet, der dem meinen gleicht und zur Zierde mit einer Habichtfeder versehen wurde. Helle Haut, wiesengrüne Augen, rote Bartstoppeln.

„Ich bin selbst gestoßen worden. Bist du in Ordnung, Kleiner?“

Ich nicke, völlig gefangen von dem grünen Funkeln unterhalb der Hutkrempe. Der Fremde zwinkert mir zu und verschwindet wie ein Spuk in der Menge. Ich dagegen muss erst tief durchatmen, weil sich unterhalb meiner Magengegend ein merkwürdiges Prickeln ausbreitet. Das anziehende Gesicht des Fremden lässt mich nicht kalt. Selbstvergessend starre ich ihm hinterher und erhalte prompt einen weiteren Stoß in den Rücken.

„Steh nicht so dumm herum“, werde ich angeraunzt. Mit Mühe verkneife ich mir eine ärgerliche Bemerkung und setze mich lieber in Bewegung, damit niemand auf die Idee kommt, mich zu erschießen, um mich Hindernis aus dem Weg zu räumen. Nicht lange und ich bin wieder von dem ungewohnten Trubel rings um mich her gefangen. Willig und wegen der vielen Menschen ein wenig verstört lasse ich mich von der Menge mittreiben. Vor mir steigen gewaltige Rauchwolken in den blauen Himmel, die aus den beiden Schornsteinen der Dolly-Mae stammen. Genau dieses Dampfschiff ist mein anvisiertes Ziel, denn es wird für die nächsten Tage mein Zuhause sein. Aufgeregt taste ich in der Jackentasche nach der wertvollen Fahrkarte. Der Verkauf meines Pferdes samt Sattel hat sich als gutes Geschäft erwiesen und mir genügend Geld eingebracht, dass ich mir das Ticket leisten kann. Sogar ein paar Dollar sind übrig geblieben. Von Pa habe ich einiges an Verhandlungsgeschick gelernt, das sich heute zu meiner Freude ausgezahlt hat. Und zugegeben, der Gaul ist nicht der Schlechteste gewesen.

Der Dampfer hat bereits zweimal sein Signalhorn ertönen lassen, um die Fahrgäste an Bord zu rufen, daher reihe ich mich vor der Brücke zur Dolly-Mae in die Schlange der Mitreisenden ein.

Das sind alles Goldsucher, denke ich mir, wobei mir leicht mulmig zumute wird. Selbstverständlich habe ich mit einigen Abenteuerlustigen gerechnet. Die wahre Anzahl der Glücksjäger mit leichtem Gepäck, wetterfester Kleidung und Hoffnung im Herzen sorgt mittlerweile für erste Bedenken. Ist am Yukon wirklich Platz für jeden von ihnen? Fragend greife ich nach dem Kreuz aus grünlichem Speckstein, das mir um den Hals hängt und einst meinem Grandpa gehört hat. Es bietet mir selbstverständlich keine Antwort, trotzdem fühle ich mich etwas ermutigt. Langsam rückt die Schlange vor, dafür bricht ein paar Yards hinter mir ein heftiges Handgemenge aus. Die vielen Menschen versuchen den Schlägern auszuweichen und ich werde erneut herumgestoßen. Beinahe wäre mir das Gepäck aus den Händen gerutscht und ins Hafenbecken gefallen. Ein Ruck am Jackenkragen reißt mich glücklicherweise von der drohenden Kante zurück.

„Du scheinst jemanden zu benötigen, der auf dich aufpasst, hm?“

Der Kerl mit den roten Bartstoppeln grinst mich an und als ich augenrollend nicke, werde ich kurzerhand an die Seite des Mannes gezogen, der großzügig die Proteste derjenigen ignoriert, die vor mir angestanden haben.

Verflucht!

Nervös sehe ich mich um. Ich bin auf einer kleinen Ranch im Nirgendwo aufgewachsen. Solche Riesenstädte wie Seattle jagen mir Ehrfurcht ein. Und zwischen den tausenden Menschen komme ich mir wie ein hilfloses Stück Treibholz vor.

„Green O’Brian.“

Eine Hand streckt sich mir entgegen, leider kann ich sie nicht ergreifen, weil ich ja mein Gepäck umklammern muss.

Green lacht, als er meine Nöte bemerkt, und tätschelt mir beruhigend die Schulter.

„Jesse Shacklefort“, sage ich, um mich wenigstens höflich vorzustellen. Gemeinsam mit Green rücke ich ein Stück weiter die Gangway hinauf.

„Klingt vornehm.“

„Klingt aber bloß so.“

„Und du willst natürlich nach Dawson.“

Den Namen kenne ich nicht. „Dawson?“, frage ich deshalb nach.

„Ich dachte, du willst zu den Goldfeldern in den Yukon?“

„Das stimmt.“ Völlig verwirrt reiche ich meine Fahrkarte einem uniformierten Mann, der zur Dolly-Mae gehört. Sie wird entwertet, bevor ich sie zurück erhalte, und dann darf ich in Greens Windschatten den Dampfer betreten. Sämtliche Kabinen sind ausgebucht, die Fahrgäste dort regelrecht wie Vieh eingepfercht. Beinahe bin ich froh, dass wir uns einen Platz an Deck suchen müssen, selbst wenn die Nächte kühl zu werden drohen. Dabei weiß ich nur zu gut, dass es noch viel kälter werden wird, bevor ich meinen zukünftigen Claim erreiche. Mit einigen Zweifeln mustere ich die vielen Passagiere, die zu den Kabinen strömen oder sich auf dem Deck einrichten. Sofern ich überhaupt einen Claim erhalte. Gibt es wirklich eine solche Menge Goldgräberland?

Green unterbricht meine Überlegungen, indem er mich nachdrücklich übers Deck schubst, bis wir in der Nähe des Bugs einen freien Platz an der Reling ergattern können. Mit einem Seufzen hocke ich mich auf den Boden. Green nimmt neben mir Platz und lehnt sich bequem zurück.

„Dawson ist eine frisch gegründete Siedlung an der Mündung des Klondike Rivers.“ Damit greift er die Frage von vorhin auf, zieht seinen Hut ab, fährt sich durch das rote Haar, betrachtet kurz die Habichtfeder, seufzt und lächelt mich erleichtert an. Auch ich bin heilfroh, endlich ein weiteres Etappenziel meines Abenteuers erreicht zu haben.

„Warst du schon einmal da?“, erkundige ich mich.

„Nein, die Siedlung gibt es erst seit diesem Jahr und sie dient den Prospektoren als Ausgangspunkt zu den Claims. Dort kannst du dein Stückchen Land erwerben und dich registrieren lassen. Hast du deine Passage bis Haines, Skagway oder bis Dyea gebucht?“

Im Gegensatz zu Dawson sagen mir wenigstens diese Namen etwas. Es handelt sich um die Ausgangspunkte, von wo aus die Goldgräber ins gelobte Land ziehen.

„Bis nach Skagway“, antwortete ich.

„Ah, du willst den Trail über den Chilkoot-Pass nehmen.“

„Stimmt.“ Ich habe keine Ahnung, welchen Weg ich sonst hätte einschlagen sollen.

„Das ist ebenfalls meine geplante Route.“ Green betrachtet mich auf eine Weise, die mich irritiert. „Wenn du magst, können wir gemeinsam bis nach Dawson reisen. Unterwegs mag eine hilfreiche Hand bestimmt von Vorteil sein.“

Ich gehe nicht gleich auf den Vorschlag ein, sondern wäge das Für und Wider ab. Green wirkt weltgewandt und er scheint sich von dem schrecklichen Trubel nicht besonders beeindrucken zu lassen. Und sicherlich lässt er sich nicht so leicht von irgendwelchen Gaunern übers Ohr hauen, wie es mir als unerfahrenem Abenteurer passieren könnte. Außerdem finde ich ihn recht … anziehend, und wenn mir Greens Gesellschaft stinken sollte, kann ich mich ja jederzeit absetzen. Daher stimme ich mit einem schlichten „Gern“ zu.

„Also abgemacht.“ Green stülpt sich den Hut wieder auf den Kopf und beginnt entspannt vor sich hinzuträllern, während wir auf das Ablegen des Dampfschiffs warten. Endlose Minuten später ist es soweit. Ein schriller Pfeifton ertönt, die Rauchwolken aus den Schornsteinen werden schwärzer und schwärzer und ein Ruck geht durch das Schiff. Die Passagiere strömen wie die Lemminge an die Reling zur Hafenseite, winken und rufen Abschiedsgrüße. Ein weiteres Mal ertönt das Schiffshorn, der Ton vibriert bis in meine Knochen.

Green stößt mich mit der Schulter an. „Es geht los.“

„Endlich!“, platzt es aufgeregt aus mir heraus, woraufhin Green lacht.

„Früher oder später wirst du garantiert auf diese Reise fluchen, Jesse Shacklefort“, prophezeit er.

„Solange ich mein Gold bekomme“, entgegne ich schulterzuckend. Ich werde mir meine gute Laune gewiss nicht verderben lassen, jetzt, wo die Reise erst richtig beginnt. Green wird ernst, sieht mich an und nickt feierlich.

„Wir packen das. Ganz bestimmt.“

Seine Zuversicht ist wie Wasser auf meinen Mühlen. Einen Fehlschlag kann ich mir nicht erlauben. Immerhin steckt mein komplettes Geld in diesem Abenteuer. Wenn es mir gestohlen wird oder ich kein Gold finde, bin ich am Ende. In diesem Fall würde mir nichts anderes übrigbleiben, als mich irgendwo als Hilfskraft zu verdingen. Ohne ein paar Goldnuggets kann ich unmöglich nach Hause zurückkehren, nachdem sich meine Familie recht abfällig und zweifelnd über mein Vorhaben ausgelassen hat und Pas Lebewohl ziemlich endgültig ausgefallen ist. Ich will nicht als Verlierer angekrochen kommen und das harte Leben eines erfolglosen Rinderzüchters fortführen.

Nein, bei Gott!

Ich werde bis zu den Knien in Goldklumpen stehen.

Mindestens!

 

*** *** ***

 

Der Wind ist frisch und pfeift uns kalt um die Ohren. Green hat mich stundenlang über die Ranch und meine Familie ausgefragt und ob ich ein Mädchen hätte, das ich nachkommen lassen würde, sobald ich in Dawson sesshaft geworden bin. Erst als ich ihm versichere, dass ich nichts Weibliches außer meiner Mum und Grandma vermisse, schaut Green eigentümlich zufrieden aus der Wäsche. Nachdem es über mich nichts weiter zu berichten gibt, frage ich Green nach seinem Woher.

„Ich bin ein Rumtreiber mit irischen Wurzeln.“

„Und das bedeutet? Was hast du bislang gemacht?“ Natürlich bin ich neugierig auf den Mann, mit dem ich meine Reise fortsetzen werde. Seltsamerweise druckst Green ein bisschen herum.

„Mein bisheriges Leben war nicht ganz so ehrbar wie deins.“

„Ehrbar?“ Ich lache. Die ewigen nervenzermürbenden Auseinandersetzungen mit den Indianern, das endlose Schuften mit Rindern und dem kleinen Acker habe ich eher als mühselig empfunden. Mit Ehre hat das wenig zu tun.

„Ich war im Gefängnis“, beichtet Green leise und beobachtet mich dabei genau. Selbstverständlich bin ich zunächst geschockt.

„W-Warum?“ Ich bin dermaßen verblüfft, dass ich stottere.

„Ich kann verstehen, wenn du jetzt lieber allein nach Dawson willst. Also …“

„Nein! Sag mir einfach warum!“, unterbreche ich ihn.

„Ich hatte die falschen Freunde und habe mit ihnen zwei Postkutschen überfallen.“

„Oh!“ Das ist kein Kavaliersdelikt, auf das ich insgeheim gehofft habe.

„Es war abgemacht, dass dabei niemand zu Schaden kommt“, erzählt Green weiter. „Wir waren lediglich auf Dollar aus und wollten bestimmt niemanden verletzen. Beim zweiten Raub ging aber alles schief. Einer der Reisenden hielt sich für Wyatt Earp und ballerte auf uns los.“

Von dem Marshal Wyatt Berry Stapp Earp habe selbst ich in meinem Nest Willowdale Geschichten gehört. Er soll Büffeljäger, Glücksspieler, Farmer, Saloonbesitzer und mehr gewesen sein, unter anderem ein berüchtigter Revolverheld.

„Was ist passiert?“, frage ich.

Green stöhnt. „Einer meiner Freunde feuerte zurück und traf den Reisenden tödlich. Danach geriet die ganze Aktion außer Rand und Band. Es endete damit, dass ich mich auf die Seite der Leute von der Postkutsche schlug und auf meine Kameraden schoss, drei von ihnen tötete, den Vierten verletzte und mich danach stellte. Der Kutscher und sein Beimann brachten mich in die nächste Stadt, wo ich und mein verwundeter Kamerad angeklagt wurden. William wird noch die nächsten fünf Jahre sitzen. Ich bekam ein Jahr Gefängnisstrafe und bin seit etwa sechs Monaten auf freiem Fuß. Witzigerweise waren auf zwei meiner Freunde Kopfgelder ausgesetzt, ohne dass ich das geahnt habe. Die bekam ich nach meiner Entlassung ausgezahlt. Tja, da hörte ich von den ersten Goldfunden und beschloss, lieber dort mit ehrlicher Arbeit meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Beim Pony-Express habe ich mir über ein paar Monate hinweg einige weitere notwendige Dollar für den Yukon verdient. Und hallo! Hier bin ich.“

Beeindruckt sitze ich da und starre Green an. Er hat getötet, und werden nicht nur die verwegensten Männer für den Pony-Express genommen? Die ganz harten, abgebrühten und zähen Kerle?

„Jesse?“

„Ja?“

„Du sagst gar nichts.“

„Vermutlich, weil ich total fasziniert bin.“

„Fasziniert?“

Ich zucke mit den Schultern, Green dagegen schüttelt den Kopf.

„Du bist mir vielleicht einer“, brummt er. Ein Matrose kommt vorbei, der Brot und Schinken zum Verkauf anbietet.

„Hunger?“, fragt Green und tatsächlich knurrt mir der Magen. Da uns die Waren der Dolly-Mae zu teuer sind, greifen wir auf unseren mitgebrachten Proviant zurück. Ich falte die Hände und danke Gott leise für diese Mahlzeit, bevor ich schweigend zu essen beginne. Derweilen wirbeln meine Gedanken wie wild umher.

„Bist du gut?“, will ich schließlich wissen. „Ich meine, mit dem Revolver?“

Green sieht mir geradewegs in die Augen. „Ja“, sagt er schlicht, was mir mehr imponiert, als wenn er mit seinen Schießkünsten geprahlt hätte. „Was ist mit dir?“

„Durchschnitt“, antworte ich ehrlich. Auf die Rinder habe ich nie schießen müssen und die Modoc haben wir lieber nicht provoziert. Dafür habe ich bei diversen Wettbewerben in Willowdale ganz gut abgeschnitten.

„Ich habe Wild gejagt. Mit Waffengewalt gegen jemanden vorgehen musste ich zum Glück nie.“

„Sei stolz darauf, Cowboy.“ Ein weiterer seltsamer Blick trifft mich. „Trotzdem Freunde?“

Geduldig wartet Green, bis ich gründlich darüber nachgedacht habe.

Verflucht!

Wenn meine Familie wüsste, mit was für einem Individuum ich mich abgebe … Meiner Mum würden mit einem Schlag sämtliche Haare weiß werden und Pa würde erneut den Gürtel benutzen.

„Okay, Freunde.“ Ich habe mich entschieden. Es liegt nichts Hinterlistiges in Greens wiesengrünen Augen, sein Gesicht ist offen und ehrlich. Sicherlich kann ich unbedarfter Ranchersohn mich in ihm täuschen, doch ich will meiner Intuition vertrauen, weil ich Green gut leiden kann, so seltsam das sein mag. Dabei kenne ich ihn gerade erst ein paar Stunden.

 

*** *** ***

 

Es dauert nicht lange und die ersten Streitigkeiten kommen auf. Zu viele Männer hocken auf zu engem Raum beisammen, ohne dass sich Möglichkeiten zum Ausweichen finden. Zunächst prügeln sich lediglich zwei Passagiere. Wenig später sind es fünf. Green packt mich am Ärmel und lotst mich von den Raufenden fort, damit wir nicht ungewollt in die Schlägerei hineingezogen werden. Die Mannschaft der Dolly-Mae trennt die Kontrahenten endlich mit mehreren Eimern Wasser. Obwohl wüste Drohungen ausgestoßen werden, dass jeder Querulant gnadenlos über Bord geworfen wird, kehrt kein dauerhafter Frieden ein. Ständig brechen weitere Kämpfe aus. Zwei Männer werden dabei getötet, einige schwer verletzt und ein Kerl verliert dabei sein Auge. Green und ich rücken enger zusammen, einer von uns hält ständig das Gepäck fest. Diebe gibt es nicht bloß auf dem Festland, sondern ebenfalls an Bord. Aus diesem Grund tragen wir stets unsere Waffen am Mann.

Nachdem Vancouver hinter uns zurückbleibt und wir den Frederick Sound, eine Meerenge Alaskas, entlangfahren, schlägt das Wetter um. Der Wind wird heftiger und es beginnt zu regnen. Viele suchen ihre Kabinen auf und die Mannschaft spannt für die Armseligen an Deck Segeltuchplanen, unter denen sich jedermann Schulter an Schulter drängt. Green und ich sind stillschweigend dazu übergegangen, uns nachts aneinander zu kuscheln, weil es kalt wird. Völlig Fremde finden sich aus genau diesem Grund und kriechen dicht zusammen, Wärme suchend und in dem vergeblichen Versuch, dem scharfen Wind zu entgehen. Unter den Decken, Rücken an Rücken mit Green, wird es mir dagegen recht warm. Revolverheld und Postkutschenräuber hin oder her, ich bin der festen Überzeugung, in Green einen guten Freund gefunden zu haben. Seine stets heitere Laune ist ansteckend, daran kann der allmählich wachsende rote Bart nichts ändern, der sein attraktives Gesicht in das eines Banditen verwandelt. Mein eigener dunkelbrauner Stoppelbart beginnt zu jucken.

Tagsüber lehnen wir mit hochgeschlagenen Jackenkragen an der Reling, studieren das vorbeiziehende Land und erzählen einander von unseren Träumen über die Zukunft. Wir sind von schneebedeckten Bergen umgeben, von dichter Vegetation und hohen Bäumen. Am Ufer entdecken wir einige Indianer, die das Dampfschiff beobachten, ein anderes Mal ist es ein Rudel Wölfe, das irgendeine Beute erlegt hat. Oder wir können uns an einer Herde Buckelwale erfreuen.

Andere Dampfschiffe kommen der Dolly-Mae entgegen, die Decks wie leergefegt. Auch sie haben Goldsucher in Haines, Dyea und Skagway abgesetzt. Mir kommt es vor, als wäre der Rest von Amerika entvölkert, weil sich alles und jeder auf den Yukon konzentriert. Ab und an hege ich Zweifel an meiner Entscheidung, zukünftig Gold schürfen zu wollen. Wenn ich dann in Greens zuversichtliches, lachendes Gesicht schaue und dessen Zähne zwischen dem dichter werdenden, roten Bart hervorblitzen und seine Augen übermütig funkeln, fasse ich wieder Mut. Ich will mehr Zeit mit Green verbringen, ihn besser kennenlernen und herausfinden, wieso ich die Nächte an dem Rücken meines neuen Freundes unter den gemeinsamen Decken herbeisehne.

 

*** *** ***

 

Es folgt ein weiterer regnerischer Tag. Missmutig treibe ich mich an der Reling herum und verfolge das Geschehen an Deck, während das Wasser von meiner Hutkrempe läuft. Der Proviant in meinem Gepäck ist schimmelig geworden, ich habe ihn zum größten Teil über Bord werfen und die Rationen drastisch kürzen müssen. Green weiß nichts davon, weil es mir zum einen peinlich ist, zugeben zu müssen, dass ich zu nachlässig mit dem vernünftigen Verpacken meiner Lebensmittel war. Zum anderen will ich ihn nicht dazu nötigen, sein Trockenfleisch mit mir zu teilen und damit die eigenen Portionen zu schmälern. Stattdessen behaupte ich, dass ich mit dem Essen nicht auf ihn gewartet habe, was Green schulterzuckend hinnimmt. Natürlich könnte ich etwas von dem kaufen, was die Schiffsmannschaft anbietet, allerdings schrecken mich die völlig überzogenen Preise ab. Ich habe schnell begriffen, dass ich mein Geld zusammenhalten muss. Es wird auf meinem Weg genügend Leute geben, die sich an meiner Not, Ausrüstung und Ähnliches erwerben zu müssen, händereibend bereichern werden. Mining the miners ist ein Ausspruch, der längst auf der Dolly-Mae Einzug gehalten hat. Und niemand kann etwas dagegen tun, dass sich die Händler an den Prospektoren eine goldene Nase verdienen wollen. Sich andernorts eine Ausrüstung zu kaufen, ist sinnlos, weil niemand eine vollständige Goldgräberausstattung bis zum Chilkoot-Pass schleppen mag. Wie ich auf dieser Schiffsfahrt erfahre, sind tatsächlich nicht wenige Abenteuerlustige in den Bergen gescheitert, obwohl sie nur leichtes Gepäck auf ihren Rücken mit sich trugen. Das bereitet mir unglaubliche Angst. Ja, ich fürchte zu scheitern, zu versagen, noch bevor ich das sagenumwobene Dawson erreiche.

Neben mir bemüht sich ein alter Mann in Trapperkleidung eine Maiskolbenpfeife anzuzünden. Nach einer Weile gibt er es schulterzuckend auf. Es ist einfach zu nass, zu feucht. Er grinst mich an und dabei zeigt es sich, dass ihm mindestens drei Zähne fehlen. Seine Haut ist rau, verwittert und voller Furchen. Graues, strähniges Haar ragt zottelig unter einer Biberfellmütze hervor, aber die Augen sind strahlend Himmelblau und freundlich auf mich gerichtet.

„Ist das deine erste Abenteuerfahrt?“, fragt er.

„Ja.“ Insgeheim ärgert es mich, dass jeder in mir gleich das Greenhorn erkennt, das ich nun einmal bin. Der Trapper reicht mir die schwielige Hand und stellt sich als Theodor Moody vor. Sein Griff ist erstaunlich fest und kräftig. Nachdem ich ihm meinen Namen genannt habe, will Moody wissen, bis wohin meine Passage geht.

„Bis nach Skagway“, erwidere ich.

„Ach! Und danach über den Dead Horse Trail oder über den Chilkoot-Pass nach Dawson?“

„Es gibt einen weiteren Trail zu den Goldgründen?“ Bislang habe ich lediglich vom Chilkoot-Pass gehört.

„Die Steigung ist geringer, der Weg dafür länger. Seitdem die ganzen Goldsucher in den Yukon wollen, versuchen die Leute dort einen Weg für Pferdekutschen zu schaffen. Es ist der böse Winter mit seinen Stürmen, der die Gäule dort reihenweise verrecken lässt. Daher der Name Dead Horse Trail. Tatsächlich nennt er sich White Pass.“

„Kennen Sie sich da aus? Welchen Weg würden Sie mir raten?“, frage ich.

„Einer ist genauso schlecht wie der andere.“ Moody lacht krächzend. „Viele junge Männer, wie du einer bist, sind auf beiden Wegen gescheitert. Der Chilkoot ist deutlich beschwerlicher, dafür kürzer. Wer genügend Geld hat, bezahlt Träger.“

Den Chilkoot-Pass zu nehmen würde bedeuten, dass ich mir vor anderen Prospektoren einen Claim aussuchen kann, was eindeutig einen Vorteil darstellt. Ein Träger für meine Ausrüstung kommt dagegen nicht in Frage. Moody zieht eine lederne Flasche aus der Jacke und entkorkt sie. Mit einer einladenden Geste streckt er sie mir entgegen.

„Danke, ich trinke nicht.“ Höflich lehne ich das Angebot ab. Moody kichert und gönnt sich einen ordentlichen Schluck.

„Und ich wette, dass du obendrein jeden Sonntag in die Kirche gehst, um den Rosenkranz zu beten.“

„Was ist daran falsch?“

„Du wirst dir das eine ab- und das andere angewöhnen. In den Goldgräbersiedlungen ist Whisky leichter zu haben als Absolution.“

„Ich schaffe das“, behaupte ich, obwohl mich ja ständig Zweifel plagen.

Moody mustert mich. „Ja, vielleicht. Wenn du hart wirst“, sagt er ernst. „Hart zu dir und hart zu anderen. Es ist nicht leicht, sich auf den Claims seine Menschlichkeit zu bewahren.“ Er klopft mir väterlich auf die Schulter. Nimm mir die Worte nicht übel, soll das heißen. Da besteht keine Gefahr. Ich bin für Moodys ehrliche Bemerkung dankbar. Mir ist bewusst, dass die Zukunft mich verändern wird. Ob zum Guten oder Schlechten, habe ich selbst in der Hand.

„Reist du allein?“, will Moody wissen. Ich deute auf Green, der unter einer Segeltuchplane sitzt und mit einigen anderen Reisenden pokert.

„Ich habe mich mit Green O’Brian zusammengetan.“

Moody taxiert Green wie zuvor mich. „Gemeinsam habt ihr womöglich eine Chance. Sofern du ihm vertrauen kannst und er dem Glücksspiel nicht allzu zugetan ist.“

„Ich halte ihn zurück.“

Moody lacht und scheint von meiner Kompetenz nicht ganz so überzeugt zu sein wie ich.

„Kennen Sie Skagway, Sir?“, erkundige ich mich, um von meiner Unzulänglichkeit abzulenken.

„Ab und an komme ich da vorbei.“ Moody trinkt einen weiteren Schluck aus der Flasche, bevor er sie verschließt und in der Jacke verschwinden lässt. Ich höre Green fluchen und blicke kurz zu ihm rüber. Offenbar hat er ein schlechtes Blatt erwischt. Sollte er nicht lieber ein Pokerface bewahren?

„In Skagway haben sich die Betrüger und die leichten Mädchen angesiedelt. Beide werden dir das Geld aus der Tasche ziehen, wenn du nicht aufpasst. Glücksspiel aller Art und Saufen ohne Limit sind an der Tagesordnung. Dir werden viele Existenzen begegnen, die bereits gescheitert sind, bevor sie richtig angefangen haben. Traue niemandem und verkneife dir zu herzliche Hilfsbereitschaft. Das ist ein Rat, den ich dir gerne mit auf den Weg gehen will.“

Aufmerksam höre ich dem alten Trapper zu. Ich bin stets ein guter Zuhörer und Beobachter gewesen. Bloß auf diese Weise kann man meiner Meinung nach etwas lernen. Und Moody hat Erfahrung, das ist ihm anzumerken. Dazu ist der Alte bereit, diese großzügig mit mir zu teilen. Deshalb traue ich mich nach einer Weile zu fragen: „Stimmt es, was erzählt wird? Das am Klondike und Yukon River das Gold regelrecht herumliegt?“

„Ich hoffe bloß, dass du nicht auch noch an die Zahnfee glaubst.“

Ich ziehe eine beleidigte Miene, was den Alten erneut zum Lachen bringt.

„Was verschafft einem redlichen Mann Wohlstand?“, fragt er zurück.

„Harte Arbeit.“

„Na, bitte. Da hast du deine Antwort. Keinem Goldsucher fällt der Reichtum in den Schoß. Das werden einige von denen hier garantiert zu ihrem Missfallen merken.“ Er deutet mit einer Handbewegung auf die Leute, die das Deck bevölkern. „Es wird dich Schweiß, Blut und manchen Fluch kosten, junger Shacklefort.“

„Sie würden mir von der Goldsuche also abraten?“

„Warum sollte ich? Selbst ein blindes Huhn findet irgendwann ein Korn.“ Er dreht sich um, sodass er jetzt mit der Brust zur Reling steht und niemand außer mir verfolgen kann, was er aus seiner Tasche hervorholt. Mir stockt der Atem, als ich das erste Nugget in meinem Leben sehe. Daumennagelgroß.

„Hab ich entdeckt, als ich Biberfallen eingesetzt habe“, verrät mir Moody und das Nugget verschwindet schnell in einer Tasche der abgewetzten Jacke. Erwartungsvoll schaut mich der Alte an.

„Was?“, frage ich.

„Keine Frage, woher ich das Steinchen habe?“

„Lediglich ein Dummkopf gibt preis, wo sich sein Schatzkästchen befindet“, entgegne ich. „Und so schätze ich Sie nicht ein.“

In Moodys Miene zeichnet sich langsam eine Spur Respekt ab.

„Hey, guck dir das an“, murmelt er und wischt sich Regenwasser aus dem Gesicht. „Du bist weniger Trottel als gedacht.“

„Wie nett“, knurre ich eingeschnappt, aber Moody amüsiert sich nur. Da schlägt mir jemand überraschend auf den Rücken und erschrocken wirble ich herum. Green nickt Moody grüßend zu und hält mir zwanzig Dollar in Scheinen entgegen.

„Die bessern unsere Kasse auf“, sage er und strahlt mich an.

„Ich glaubte, du hättest ein schlechtes Blatt“, entfährt es mir.

Green zwinkert mir zu. „Dachten die anderen auch.“

Moody grölt erheitert los. Den Regen ignorierend reißt er sich die Biberfellmütze vom Kopf und verbeugt sich. „In Gesellschaft dieses Gauners wirst du bestimmt dein Glück machen, Junge.“

Erst mitten in der Nacht dämmert es mir, dass Green von unserer Kasse gesprochen hat. Ich lächle selig in den sternenlosen Himmel, bevor ich das erste Mal, seitdem ich das Dampfschiff betreten habe, tief und fest einschlafe.

 

*** *** ***

 

Wir schippern die Stephens Passage entlang, eine über hundertfünf Meilen lange Meerenge zwischen Admiralty Island, einer der sogenannten ABC-Inseln – Admiraltiy Island, Baranof Island und Chichagof Island – und dem Festland Alaskas. Danach passieren wir Douglas und Lincoln Island und folgen dem knapp sechzehn Meilen langen Kanal namens Favorite Channel bis zum Chilkoot Inlet, einer Bucht an der Mündung des Chilkoot Rivers im Südosten von Alaska. Damit befindet sich Haines, gelegen am nördlichen Ende der Chilkoot-Halbinsel, direkt vor uns. Neben Skagway ist Haines der einzige auf dem Landweg erreichbare Hafen des Alaska-Landzipfels. Panhandle, wie die Leute die Landzipfel nennen. In Haines wird ein Teil der Reisenden die Dolly-Mae verlassen, um die Goldfelder von dieser Siedlung aus aufzusuchen. Es ist Tlingit-Land, das uns umgibt, und ich befürchte, dass die Indianer nicht sonderlich begeistert sind, wenn ganze Scharen von Goldsuchern durch ihre Jagdgründe trampeln. Moody erzählt, dass sich der Stamm der Tlingit in zwei Hälften teilt. Die eine ist Rabe, die andere Wolf. Innerhalb dieser Hälften darf nicht geheiratet werden. Die Kinder, die aus den Verbindungen zwischen Rabe und Wolf hervorgehen, werden der Hälfte zugeordnet, der ihre Mütter angehören. Innerhalb dieser Raben und Wölfe bestehen weitere einzelne Clans. Das System hört sich für mich einerseits sehr mystisch, andererseits sehr kompliziert an. Der alte Trapper ist jedenfalls ein Quell an Informationen und der Unterhaltung.

Während die Dolly-Mae weiter die Alaska-Fjorde hinaufdampft, verbringen Green und ich viel Zeit mit Theodor Moody, lauschen seinen ausführlichen Geschichten über das Leben in den Wäldern und löchern ihn mit Fragen über das Land und seine Bewohner. Gold ist ein Tabuthema, stattdessen berichtet Moody von Bären, Elchen und Karibus. Er versucht uns allen Ernstes Biberschwanz schmackhaft zu machen und das Fell als Wundermittel gegen Tripper zu verkaufen.

„Es gibt nichts Hilfreicheres, als das tropfende Gemächt in ein frisches Biberfell zu wickeln“, behauptet er. Ich hoffe inständig, dass Moody das nie selbst ausprobieren musste, denn der Alte plaudert obendrein von willigen Squaws, die für eine Wolldecke oder eine Flasche Schnaps fantastische Dinge mit einem Mann anstellen. Nach diesen Geschichten glühen mir regelmäßig die Ohren, dagegen saugt Green jedes Wort des Trappers wie ein Schwamm auf. Das versetzt mir einen Stich unsinniger Eifersucht. Ein unmöglicher Teil von mir verlangt tatsächlich die Aufmerksamkeit, die Green offenbar gerne diesen willigen Squaws widmen würde. Ich schäme mich in Grund und Boden, vor allem, da ich insgeheim flehe, Green möge, genau wie ich, den Männern zugetan sein. Bei mir würde Green bestimmt nicht in die Verlegenheit kommen, sich mit einem Tripper beschäftigen zu müssen, schließlich bin ich kerngesund. Verlangend starre ich auf die Lippen meines Freundes, die zu einem Lächeln verzogen sind und sich rasch bewegen, wenn er Moody ausfragt. Ich komme mir wie damals vor, als ich mit dem mexikanischen Hilfsarbeiter das heimliche Stelldichein im Stall pflegte und wir uns gegenseitig berührt haben: sündig und ungemein aufgeregt.

Ich seufze resigniert und taste nach dem Specksteinkreuz. Meine Gedanken haben unzüchtige Wege eingeschlagen. Es ist wohl angebracht, wenn ich zumindest ein paar Vaterunser bete, um nicht für alle Ewigkeiten in der Hölle schmoren zu müssen. Meine Empfindungen sind falsch, unmännlich und wider die Natur. Ich hasse mich dafür, dass ich nicht normal wie andere bin. Und ich ärgere mich zum einen dafür, dass ich nie den Mut besessen habe, diesen schrecklichen Teil meines Selbst dem Priester in Willowdale zu beichten. Vielleicht hätte mir Vater Brewer helfen können. Doch einerseits hatte ich Angst, Vater Brewer mein Geheimnis mitzuteilen, und vermute andererseits, dass man seine Gefühle wahrscheinlich nicht einfach wegbeten kann. Und obwohl ich um meine Verderbtheit weiß, bin ich nach einem Lächeln von Green regelrecht süchtig. Gleichzeitig steigt meine Wut, weil ich so schwach bin und diesem Zauber ständig neu erliege. Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Wie oft in solchen Momenten ziehe ich mich zurück, überlasse mich dem Alleinsein und gestatte meinen Gedanken zu wandern, damit ich mich von meinem sündigen Dasein ablenken kann.

Kleine Eisschollen treiben auf dem Wasser, es knirscht leise, wenn sie am Rumpf der Dolly-Mae entlangschrammen. Jemand hat eine Fidel hervorgeholt und spielt eine muntere Weise. Andere verbringen den Tag mit Pokern oder Briefe schreiben. Letzteres sollte ich auch tun, damit meine Familie Bescheid weiß, dass ich gesund und am Leben bin. In Skagway gibt es sicherlich eine Poststation, wo ich den Brief aufgeben kann. Erstaunlicherweise vermisse ich meine Familie nicht, eher den gewohnten Tagesablauf. Meine Hände zucken unruhig, weil ich an Bord des Dampfschiffes nichts zu tun habe. Diesen Müßiggang über Tage hinweg bin ich nicht gewohnt. Allerdings wird der bald ein Ende haben, weil die Reise weitergeht. Und darauf freue ich mich.

Moody wandert übers Deck, hält mit dem einen und anderen einen kleinen Schwatz und pafft stinkende Wolken aus seiner Maiskolbenpfeife. Green hat sich auf unserem gemeinsamen Platz ausgestreckt, sein Gepäckstück nutzt er als Kissen, meines hat er im Arm. Der Kapitän hat dem Sheriff in Haines zwei Männer übergeben, die als Diebe überführt wurden und der Lynchjustiz der Betroffenen entgangen waren. Das bedeutet natürlich nicht, dass sich nun keine Langfinger mehr an Deck befinden. Gelangweilt schaue ich zu Moody hinüber, der bei den Pokerspielern stehen geblieben ist und mit ihnen spricht. Es scheint kein nettes Gespräch zu sein, da er mit dem Pfeifenstiel auf einen etwas feiner gekleideten Mann deutet, als wollte er ihn erstechen. Empörte Ausrufe folgen, die Unterhaltung wird deutlich hitziger. Ich werfe einen Blick zu Green hinüber, der zu meinem Leidwesen eingeschlafen ist. Also löse ich mich von der Reling und schlendere möglichst unauffällig zur Pokerrunde hinüber, wobei mir das Gewehr wie von selbst von der Schulter und in die Hände rutscht. Ich habe ein ungutes Gefühl. Andere Reisende, die den Tumult verfolgen, rühren sich nicht.

„… falsch spielen“, höre ich den alten Mann sagen und kann den Zorn förmlich riechen, der bei diesen Worten aufflackert. Der Beschuldigte springt auf und zieht blitzschnell einen Revolver, mit dem er auf Moody zielt. Dessen Augen verengen sich und trotzig hebt er das Kinn ein Stückweit an.

„Mach keine Dummheiten“, sagt Moody warnend.

„Nimm deine Behauptung zurück, Alter.“ Der Finger um den Abzug zuckt bedrohlich und mit einem Satz stehe ich hinter dem Kerl, der den alten Moody bedroht. Der feine Herr hat mein Herannahen überhaupt nicht bemerkt, weil er mit dem Rücken zu mir steht. Ohne groß zu überlegen, drücke ich ihm die Mündung des Gewehrs in den Nacken, direkt oberhalb des Jackenkragens.

„Fallenlassen“, sage ich drohend. In Moodys Miene taucht Erleichterung auf.

„Haben Sie was an den Ohren? Fallenlassen!“, knurre ich und es klickt finster, als ich das Gewehr entsichere. Gleich darauf poltert der Revolver zu Boden, den ich mit dem Fuß in Richtung des alten Trappers schiebe.

„Und hübsch die Hände hoch.“

Langsam befolgt der Mann meinen Befehl, was mich enorm erleichtert. Ich hätte nicht gewusst, ob ich wirklich den Mut zum Abdrücken gehabt hätte. Von meinen inneren Zwängen ahnt der Kerl zum Glück nichts.

„Untersucht seine Jackenärmel“, fordert Moody die Spieler auf. Die zögern nicht lange und gleich darauf fördern sie mehrere Karten aus dem schicken Anzug des Kerls hervor. Eine kleine Sekunde der Schockstarre, dann wird der Falschspieler unter Schreien und Gefluche von mir weggezerrt. Moody packt mich am Arm und schubst mich zu Green hinüber. Ein Schuss kracht, ich zucke zusammen. Green fährt aus dem Schlaf, die Hand an der eigenen Waffe. Er entspannt sich, als er Moody und mich bemerkt.

Beruhigend tätschelt der Trapper meinen Arm. „Guter Junge“, sagt er lobend zu mir.

Ich starre entsetzt in die Richtung des Mobs. „Sie haben ihn erschossen!“

Der Alte zerrt mich energisch herum. „Macht nichts. Er hätte ehrlich spielen sollen, anstatt sie um ihre ganze Habe bringen zu wollen.“

„Moody …“

Ernst sieht er mich an. „Du hast mir dummem Esel vermutlich das Leben gerettet. Ist dir das klar?“

„Ich … ich …“ Ich bin dermaßen durcheinander, dass ich zu stottern anfange. Als ich mich erneut den Pokerspielern zuwenden will, umfasst Moody mein Kinn und zwingt mich, stattdessen ihn anzuschauen.

„Ist dir das klar?“, fragt er beharrlich nach.

„Ich hatte so ein komisches Bauchgefühl, als würde es gleich Ärger geben“, murmle ich.

„Was ist los?“ Green schleppt besorgt das Gepäck heran.

„Der Junge hier hat mir gerade aus einer üblen Klemme geholfen, weil ich meine Klappe nicht halten konnte. Jetzt solltest du dein Gewehr übrigens lieber sichern, Jesse, damit du dir nicht versehentlich in den Hintern schießt.“

Verlegen komme ich der Aufforderung nach und hänge mir die Waffe über die Schulter, wobei ich das Zittern meiner Hände zu verbergen suche.

„Und von heute an kannst du Moody zu mir sagen.“ Gönnerhaft lacht der alte Trapper mich an.
„Das mache ich doch schon die ganze Zeit“, antworte ich mit einem Stirnrunzeln.

„Inzwischen hast du es dir allerdings verdient.“ Moody holt seine Lederflasche hervor, entkorkt sie und nimmt zwei kräftige Schlucke. „Guck dir das an“, brummt er. „Dass ich alter Esel mir von einem Jüngelchen aus der Patsche helfen lassen muss.“

 

*** *** ***

 

Am Abend nimmt mich Green beiseite. „Essen wir gemeinsam?“, fragt er.

„Oh, habe ich längst. Tut mir leid, es wäre höflicher gewesen, wenn ich mit dir zusammen …“ Ich breche ab, denn in Greens Augen steht Enttäuschung geschrieben.

„Warum lügst du mich an, Jesse?“ Er deutet auf das Gepäck. „Ich habe vorhin nachgesehen, weil es mir allmählich komisch vorkam, dass du länger nicht in deiner Büßerhaltung dagesessen hast.“

„Das nennt man beten“, zische ich erbost zurück. „Meine Familie pflegt dies vor den Mahlzeiten zu tun, ob es dir passt oder nicht. Und was fällt dir überhaupt ein, mein Gepäck zu durchsuchen?“

„Weil ich nicht schlafen kann, wenn dir nachts der Bauch wie ein hungriger Wolf knurrt.“ Er zieht seinen Hut ab, um sich am Kopf zu kratzen, und setzt ihn umständlich wieder auf. „Was ist mit deinem Proviant passiert? Hast du dich verkalkuliert?“, fragt er ruhiger.

„Schimmel“, antworte ich kurz und knapp, da jedes weitere Leugnen zwecklos wäre.

„Damn! Warum sagst du nichts?“

„Himmel! Es ist kein Beinbruch. Wir sind morgen in Skagway, da besorge ich mir neue Vorräte. Die brauchen wir ohnehin, wenn wir den Chilkoot-Pass hinauf wollen.“

„Jesse, wann war deine letzte Mahlzeit? Und denk daran, Gott will bestimmt nicht, dass du mich anflunkerst.“

Verflixt!

Ich überwinde mich zu einem Geständnis. „Gestern Mittag.“

Green starrt mich an. „Setz dich!“

Ich sitze, bevor er ausgesprochen hat. Sein Tonfall war genau wie der meines Pas, wenn ich Unfug angestellt habe. Daher hat mein Körper reagiert, bevor ich die Aufforderung richtig registriert habe.

„Hey, Cowboy. Ich reiße dir nicht den Kopf ab. Man möchte meinen, ich wollte dich verdreschen.“

Darauf antworte ich nichts. Green hockt sich zu mir und beginnt in seinem Gepäck zu wühlen.

„Zucht und Ordnung, ja?“, fragt er leise. „Gebete und Schläge, habe ich Recht?“

„Du verstehst das nicht“, murmle ich. „Meine Familie ist nicht reich, ganz und gar nicht. Häufig gibt es im Winter nicht genug zu essen. Da darf man nicht faul sein oder Fehler begehen. Unsere Existenz hängt davon ab, dass jeder fleißig arbeitet.“

„Das kann man seinen Söhnen beibringen, ohne sie zu schlagen.“