Erik Haberzeth, Irena Sgier (Hrsg.)

Digitalisierung und Lernen

Gestaltungsperspektiven für das professionelle Handeln in der Erwachsenenbildung und Weiterbildung

ISBN Print: 978-3-0355-1334-9

ISBN E-Book: 978-3-0355-1335-6

1. Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.com

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur Reihe Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung

Erik Haberzeth und Irena Sgier

Betrachtungsebenen der Digitalisierung in der Erwachsenenbildung – zur Einführung in den Band

Fritz Böhle, Norbert Huchler und Judith Neumer

Wozu noch menschliche Arbeit – Grenzen der Digitalisierung als neue Herausforderung für die Weiterbildung

Felix Stalder

«Den Schritt zurück gibt es nicht»
Wie die Kultur der Digitalität das Wissen verändert und was das für die Bildung bedeutet

Ronald Schenkel

Auswirkungen der Digitalisierung auf die Weiterbildung – Vergleich mit der Entwicklung in der Medienbranche

Claudia Bremer

Szenarien des Einsatzes digitaler Medien in Bildungsprozessen – Chancen und Herausforderungen für Weiterbildungseinrichtungen

Irena Sgier, Erik Haberzeth und Philipp Schüepp

Wie gehen Weiterbildungsinstitutionen mit der Digitalisierung um? Resultate einer empirischen Studie

Matthias Rohs

Medienpädagogische Professionalisierung des Weiterbildungspersonals

Karin Julia Rott und Bernhard Schmidt-Hertha

Medienpädagogische Kompetenz von erwachsenenpädagogischen Fachkräften – Eine Frage des Alters?

Sandra Schön, Martin Ebner und Gabriela Lüthi-Esposito

Offene Bildungsressourcen in der Weiterbildung – Ansätze und Entwicklungen im deutschsprachigen Raum

Kerstin Mayrberger

Lernendenorientierung im Kontext von Open Educational Practices – Umsetzungserfahrungen am Beispiel der Hamburg Open Online University

Philippe Wampfler, Tobias Zimmermann und Gregory Turkawka

Personal Learning Environments als Ressource in Lehr-Lern-Settings

Autorinnen und Autoren

Vorwort zur Reihe Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung

Lehren, prüfen, beraten, forschen, organisieren: Diese Themen sind Bestandteil des Aufgabenfelds von Dozierenden oder Lehrenden in der Erwachsenenbildung. Sie sind die Akteurinnen und Akteure im Wissens- und Technologietransfer durch Weiterbildung und Dienstleistungen, betreiben Projektmanagement und engagieren sich in der Qualitätsentwicklung der eigenen Bildungsorganisation.

Lehre und Unterricht an Hochschulen sowie Hochschulentwicklung sind seit der Umsetzung der Bologna-Deklaration herausgefordert: So gestalten Dozierende etwa gemeinsam Curricula oder einzelne Module, planen Leistungsnachweise, integrieren Phasen von selbstorganisiertem Lernen oder implementieren Konzepte wie Problem-Based Learning in ihre Lehrveranstaltungen.

Die Abteilung für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung an der Pädagogischen Hochschule Zürich (PH Zürich) unterstützt seit 2009 Hochschulen, Berufsfachschulen und Organisationen der Erwachsenenbildung und ihr Lehrpersonal durch Weiterbildung und Beratung.

Themenschwerpunkte sind dabei Studierendenorientierung, Rollenvielfalt bei Dozierenden, kompetenzorientierte Lehre, erwachsenenbildnerisches Handeln, Mentoring, Tutoring, Beratung, Schreib-, Denk- und Lernförderung in Lehre an Hochschulen und Bildungsorganisationen der Erwachsenenbildung, Hochschulentwicklung, Evaluation und höhere Berufsbildung.

Ein auch für den Weiterbildungsbereich aktuelles Thema ist die Digitalisierung. Der vorliegende Sammelband leistet einen Beitrag zur Diskussion ihrer Chancen und Herausforderungen. Er ist in Kooperation der Professur für Höhere Berufsbildung und Weiterbildung der PH Zürich mit dem Schweizerischen Verband für Weiterbildung SVEB entstanden. Die Autorinnen und Autoren belassen es nicht bei der zu kurz greifenden Diskussion über den Einsatz digitaler Tools in der Lehre. Sie lenken den Blick auf kulturelle und arbeitsweltliche Entwicklungen, mögliche Veränderungen des Weiterbildungssystems sowie auf die Bedeutung für die Weiterbildungsanbieter und das professionelle Handeln in Planung und Lehre.

Die Reihe Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung regt Diskussionen über und Auseinandersetzungen mit aktuellen und praxisrelevanten hochschuldidaktischen und erwachsenenpädagogischen Fragen an. Sie stellt Dozierenden an Fachhochschulen sowie Aus-/Weiterbildungsverantwortlichen in weiteren Institutionen der Erwachsenenbildung nützliche Reflexions- und Handlungsinstrumente zur Verfügung. Üblicherweise erscheint jährlich ein Band.

Folgende Bände sind in Planung:

Band 9: Mehrsprachigkeiten – Jonglieren mit Vielfalt und Professionalisierung in Sek. II und Hochschule (2020)

(Hrsg. Monique Honegger, Dagmar Bach und Tamara De Vito)

Band 10: Improvisieren und Lernen (2020)

(Hrsg. Monique Honegger und Geri Thomann)

Eine Liste der bereits publizierten Bände finden sich hier:

https://phzh.ch/de/Weiterbildung/Hochschuldidaktik-und-entwicklung/publikationen-projekte/#

Bitte kontaktieren Sie uns für Rückmeldungen oder Ideen. Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.

Geri Thomann

Monique Honegger

Dagmar Bach

Erik Haberzeth

Tobias Zimmermann

(Editorial Board)

Abteilung Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung PH Zürich

geri.thomann@phzh.ch

https://phzh.ch/de/ueber-uns/Organisation/Prorektorat-Weiterbildung-und-Dienstleistungen/abteilung-hochschuldidaktik-und-erwachsenenbildung/

Erik Haberzeth und Irena Sgier

Betrachtungsebenen der Digitalisierung in der Erwachsenenbildung – zur Einführung in den Band

Es ist immer noch relativ wenig bekannt darüber, wie die Anbieter der Erwachsenen- und Weiterbildung[1] mit der Digitalisierung aktuell umgehen, wie sie sie nutzen und umsetzen. Zumindest liegen dazu noch kaum Erkenntnisse aus empirischen Studien vor. Die wenigen bisher durchgeführten Untersuchungen beziehen sich lediglich auf die Lage in Deutschland (z. B. Schmid u. a. 2018; Scharnberg u. a. 2017). Deshalb führten wir eine eigene quantitative Befragung bei Weiterbildungsanbietern in der Schweiz durch (siehe Beitrag von Sgier, Haberzeth und Schüepp in diesem Band; ausführlicher: Sgier/Haberzeth/Schüepp 2018), die darauf zielte, explorativ Daten zu Strukturen zu erheben und entsprechend ein erstes Überblickswissen zumindest zu Teilaspekten dieser Thematik zu generieren. Der Schwerpunkt dieser Erhebung lag auf der Ebene des Lehrens und der entsprechenden technischen Ausstattung. Befragt wurden Weiterbildungsanbieter dazu, wie sich ihr Digitalisierungsgrad bezogen auf die Vermittlungsarbeit darstellt, welche digitalen Technologien sie nutzen und wie sie deren Einsatz bewerten.

Rund 80 Prozent der Anbieter äußerten die Erwartung, die Digitalisierung werde das Feld der Weiterbildung in den nächsten Jahren «maßgeblich beeinflussen» oder gar «grundlegend transformieren und revolutionieren» (ebd., S. 9). Gleichzeitig gibt es Hinweise auf eine durchaus bemerkenswerte Zurückhaltung beim Einsatz von digitalen Technologien in der Lehre als einem Kernbereich von Erwachsenenbildung. Der traditionelle, eher «technologiefreie» Präsenzunterricht scheint weiterhin stark verbreitet, und jüngere Ansätze wie Webinare, Game Based Learning oder MOOCs werden kaum genutzt. Die Frage des pädagogischen Nutzens digitaler Technologien in der Art einer erhöhten Lernmotivation oder verbesserter Lernergebnisse kann oft nicht beurteilt werden oder wird zum Teil gar skeptisch betrachtet.

Eine zentrale Einsicht, die wir auf der Grundlage dieser Daten formulierten, lautete:

«Die Daten liefern Hinweise darauf, dass das Thema als hochrelevant angesehen wird, die reale Entwicklung aber keinesfalls disruptiv erfolgt. Die derzeitige Weiterbildungspraxis scheint insgesamt eher durch eine Behutsamkeit, durch Unsicherheiten und Suchbewegungen gekennzeichnet, wenn es um digitalisierungsbezogene Veränderungen geht. Es bestehen Erwartungen einer Transformation, zugleich ist deren Richtung aber noch unbestimmt. Klare Perspektiven dafür, wie mit der Digitalisierung umzugehen ist und vor allem wie sie gestaltet werden kann, müssen sich im Weiterbildungsfeld noch entwickeln» (Sgier/Haberzeth/Schüepp 2018, S. 5).

Diese vorläufige Diagnose stellt den Ausgangspunkt dieses Buchs dar. Die Absicht ist es, Weiterbildungsanbieter und in der Weiterbildung Tätige dabei zu unterstützen, Ansatzpunkte und Perspektiven für einen reflektierten didaktischen Umgang mit der Digitalisierung zu entwickeln. Dabei stehen Fragen zur Planung von Weiterbildung und zur Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen im Zentrum. Zugleich werden diese Fragen in den weiteren Kontext arbeitsweltlicher und kultureller Veränderungen im Zuge der Digitalisierung eingebettet. Wir diskutieren also auch übergreifende gesellschaftliche Entwicklungen als Einflussgrößen auf die erwachsenenpädagogische Praxis der Planung von Bildungsarbeit.

Digitale Technologien und Erwachsenenbildung: verschiedene Betrachtungsebenen

Digitalisierung in der Weiterbildung ist alles andere als ein neues Phänomen (vgl. Meister 2008). Schon seit mehreren Jahrzehnten sind digitale Technologien in diesem Feld ein Thema und ein wichtiger erwachsenenpädagogischer Handlungsbereich. In den 1990er-Jahren ging es mit der Verbreitung von Computern vor allem um individuell zu nutzende Lernmedien wie Lern-CD-ROMs und Computer Based Trainings. Das sich entwickelnde Internet machte ab den 2000er-Jahren zum Beispiel Web Based Trainings, ab ca. 2005 Web-2.0-Anwendungen möglich, die sich durch Mitgestaltung auszeichneten. Heute werden Mobile Learning oder Massive Open Online Courses (MOOCs) diskutiert und erprobt (vgl. Röthler/Schön 2017, S. 2 ff.). Es gibt demnach schon eine längere Tradition der Beschäftigung mit digitalen Technologien in der Erwachsenenbildung.

Allerdings würde es zu kurz greifen, das Verhältnis von digitalen Technologien und Erwachsenenbildung nur auf der Ebene des Lehr-Lern-Geschehens samt den dazugehörigen Unterrichtsmedien zu diskutieren, wie es derzeit recht häufig geschieht. Die Relevanz der Digitalisierung für Weiterbildungsanbieter zeigt sich vielmehr auf mehreren, weiter gefassten Ebenen (vgl. Schmidt-Hertha/Rohs 2018, S. 2 f.; von Hippel/Freide 2018, S. 974 ff.; erwachsenenbildung.at 2017):

1.Inhaltsebene

2.Lehr-Lern-Ebene

3.Organisationsebene

4.Systemebene

5.Ebene der Professionalität

Über die Gesamtheit der Beiträge in diesem Buch werden alle diese Ebenen aufgegriffen. Dadurch wird ein Horizont der Beschäftigung mit dieser Thematik eröffnet, der die Relevanz der Digitalisierung für die Weiterbildung relativ breit abbildet. Dennoch bleiben selbstverständlich viele Aspekte der Digitalisierungsdiskussion unbehandelt, was an der Komplexität dieser Thematik liegt. Alle Beiträge greifen den aktuellen wissenschaftlichen Diskurs auf und positionieren sich darin.

Digitalisierung als Thema und Inhalt von Bildungsangeboten

Erwachsene lernen nicht nur mittels digitaler Technologien, sondern auch über digitale Technologien, über ihre Anwendungen und Wirkungen. Digitalisierung wird also auch zum Lerngegenstand selbst. An die Erwachsenenbildung als Teil des Bildungssystems wurden schon immer die unterschiedlichsten, gesellschaftlich dringlichen Bedarfe herangetragen: Fachkräfte sichern, Gesundheit erhalten und fördern, Menschen integrieren und zur sozialen Teilhabe befähigen, neue technologische Veränderungen bewältigen. Auf diese Bedarfe soll die Erwachsenenbildung schnell reagieren und möglichst adäquate Bildungsangebote entwickeln und bereitstellen. Gleichzeitig muss sie ihren professionellen Kern wahren: Es geht um die Unterstützung von Bildungsprozessen, verstanden als lebenslange Aneignung von Wissen, um sich immer wieder kritisch positionieren und begründete Urteile fällen zu können. Bildung setzt entsprechend Autonomie zur Klärung kontroverser Positionen und Interessen voraus und ermöglicht sie zugleich. Die Erwachsenenbildung steht demnach in einem Spannungsfeld andragogischer Ansprüche und der Bedarfe von Ökonomie, Politik und Kultur (vgl. Faulstich/Zeuner 2006).

Der pädagogische Handlungsbereich, in dem diese gesellschaftlichen Bedarfe aufgespürt, ausgelegt und in Bildungsangebote übersetzt werden, ist die Programmplanung bei den Bildungsanbietern (vgl. Gieseke 2003). Die Programmplanung als professionelle Aufgabe steht dabei zwischen einerseits dem Bildungsmanagement und andererseits der Lehre. Es gibt zwar vielfältige Überschneidungsbereiche zwischen diesen Aufgabengebieten, dennoch lässt sich die Programmplanung als ein spezifisch pädagogisches Aufgabenfeld gerade gegenüber dem Management bestimmen. Diese Aufgabe ist höchst wissensintensiv und anspruchsvoll: Da es nur in Teilbereichen Curricula gibt, sind weite Teile der Erwachsenenbildung bezogen auf Inhalte und Didaktik offen und entsprechend fluide – so auch bezogen auf die Digitalisierung. Inhalte und Kompetenzen müssen von daher erst zeitgemäß definiert und in Angebote gegossen werden. Zudem besteht meist keine Teilnahmeverpflichtung; Teilnehmende müssen also erst gewonnen werden, sonst findet Erwachsenenbildung nicht statt.

Seit einiger Zeit steht die Digitalisierung sicherlich auf einem der vordersten Plätze der gesellschaftlichen Bedarfsliste. Der Stellenwert der Erwachsenenbildung hat sich dadurch noch einmal erhöht – zumindest programmatisch; das gesamte Bildungssystem soll auf lebenslanges Lernen ausgerichtet werden, formuliert etwa im Leitbild der Strategie «Berufsbildung 2030» (SBFI 2018). Die Erwachsenenbildung ist nun gefordert, die technologischen Umbrüche als Thema aufzunehmen und in Angebote umzusetzen. Schmidt-Hertha und Rohs (2018) unterscheiden dabei zwei zentrale Fragen: jene nach einer berufsbezogenen Medienkompetenz, die insbesondere in Hinblick auf die Digitalisierung der Arbeitswelt an Bedeutung gewinnt, und jene nach den Folgen der Digitalisierung für die Gesellschaft und für das eigene Medienhandeln.

Bezogen auf den beruflichen Kontext wird aktuell vor allem von «digitaler Kompetenz» oder «Digitalisierungskompetenz» gesprochen, gemeint als die Fähigkeit, mit den auf Digitalisierung beruhenden Technologien umgehen zu können. Darin spiegelt sich eine weit verbreitete, zunächst durchaus naheliegende Sicht auf die Thematik, die als anforderungsorientiert bezeichnet werden kann: Die Beschäftigten müssen lernen, sich an neue technologische Entwicklungen anzupassen, damit sie arbeits- und beschäftigungsfähig bleiben.

Dieser anforderungsorientierte Zugang ist ohne Zweifel notwendig, er sollte aber ergänzt werden um eine subjektorientierte Sicht. Haberzeth und Umbach (2018) drehen die Blickrichtung entsprechend um, weg von der Frage «Was müssen die Arbeitenden können?» hin zu «Was können sie, und wie können sie ihre Kompetenzen auch unter den Bedingungen der Digitalisierung einbringen?» Dieser personalorientierte Ansatz nimmt die menschlichen Potenziale in den Blick und versucht, sie zu erhalten und auszubauen. Es könnte gut sein, dass ein solcher Ansatz nicht nur weniger reaktiv ist, sondern langfristig auch tragfähiger.

Im Sinne eines solchen Ansatzes kann der Beitrag von Fritz Böhle, Norbert Huchler und Judith Neumer in diesem Band gelesen werden. Auf Grundlage langer empirischer Forschung zum Wandel von Arbeit (vgl. z. B. Böhle 2017) zeigen sie zunächst die Grenzen der Digitalisierung auf und verweisen auf menschliche Fähigkeiten, die oft nicht beachtet werden: Eine «verborgene Seite menschlicher Arbeit», die sie mit dem Begriff des «subjektivierenden Arbeitshandelns» bezeichnen. Ein solches Handeln, das sich durch Gespür, Intuition und Experimentalität auszeichnet, gewinnt gerade in hochdigitalisierter Arbeit eine besondere Relevanz, um zum Beispiel die technischen Systeme am Laufen zu halten und gute Arbeit zu ermöglichen. Auf dieser Grundlage werden Themen und Ansatzpunkte für die Weiterbildung wie das Lernen im Arbeitsprozess abgeleitet.

Felix Stalder ist mit seinem 2016 erschienenen Buch «Kultur der Digitalität» bekannt geworden. Das in diesem Band vorliegende Interview fasst Aspekte seiner Gesellschaftsdiagnose zusammen. Mit seiner kulturwissenschaftlichen Perspektive verschiebt er den Fokus von der Technik zum größeren, gesellschaftlichen Kontext und zeigt, dass die wesentlichen Fragen und Herausforderungen der Digitalisierung gar nicht so viel mit Technik zu tun haben. Vielmehr stellt er die folgende Beobachtung zur Diskussion:

«Immer mehr Menschen beteiligen sich an kulturellen Prozessen, immer weitere Dimensionen der Existenz werden zu Feldern kultureller Auseinandersetzung, und soziales Handeln wird in zunehmend komplexere Technologien eingebettet, ohne die diese Prozesse kaum zu denken wären» (Stalder 2016, S. 11).

Dies bringt alte kulturelle Ordnungen zum Einsturz und führt zu neuen, welche durch immer komplexere Technologien geprägt werden. Wir müssen lernen, diesen Komplex zu durchschauen, um die Demokratie aufrechtzuerhalten. Die Erwachsenenbildung ist gefordert, diese Themen in Bildungsangebote umzusetzen.

Digitalisierung als Vermittlungsmedium in der Lehre

Diese Ebene, also das Lehren unter Nutzung digitaler Technologie, steht zumeist im Mittelpunkt der aktuellen Diskussion und wird im Rahmen mediendidaktischer Überlegungen thematisiert (vgl. Schmidt-Hertha/Rohs 2018). Gegenwärtig geht es oft um «Bring your own device», die Nutzung von Tablets im Unterricht oder die Rolle von Erklärvideos, auch für das selbstbestimmte Lernen, das zum Teil wieder einmal zu einem Königsweg in der Weiterbildung stilisiert wird. Lehrende sollen lernen, «digitale Werkzeuge» im Unterricht zu nutzen. Einige Verbreitung hat beispielsweise der «EBmooc»[2] gefunden, ein offener Online-Kurs aus Österreich für Erwachsenenbildnerinnen und -bildner, in dem solche digitale Werkzeuge wie die Arbeit mit Facebook, Padlet oder Doodle vermittelt werden.

Auch das in der Schweiz etablierte AdA-System des Schweizerischen Verbands für Weiterbildung, ein modulares System zur Aus- und Weiterbildung von in der Erwachenenbildung Tätigen (Jacober 2018), hat das Thema Digitalisierung inzwischen verstärkt in das Curriculum aufgenommen und mit «Lernprozesse digital unterstützen» ein neues Zusatzmodul eingeführt. Inhaltliche Schwerpunkte sind mediengestützte Didaktik, Methoden und Medieneinsatz, die Rolle als Ausbildnerin und Ausbildner in digital unterstützten Lernprozessen sowie rechtliche Rahmenbedingungen.

Diese Angebote kommen vor allem einem eher instrumentellen Bedürfnis nach sicherer Handhabung von Tools und digital gestützten Methoden entgegen. Gleichzeitig sind sie mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert: Der Einsatz solcher Tools und Methoden muss immer wieder didaktisch eingeordnet werden, damit er nicht zu einem Selbstzweck wird; er muss die Aneignung von Wissen und Handlungsfähigkeit tatsächlich unterstützen und so einen Mehrwert haben. Manche Tools sind nützlich in einem Kontext, nicht aber in anderen wie etwa im eigenen Unternehmen, wo nur bestimmte technische Möglichkeiten vorhanden sind und genutzt werden dürfen. Der Einsatz digitaler Tools und Methoden sollte ferner immer wieder in den größeren Kontext einer andragogisch begründeten Bildungsarbeit gestellt werden.

Entsprechend fordert Claudia Bremer in ihrem Beitrag, dass der Einsatz digitaler Medien bei Bildungsanbietern nicht aus einem «reflexhaften Impuls des Nachholbedarfs» erfolgen soll. Vielmehr gehe es darum, konkrete Mehrwerte zu identifizieren und geeignete Strategien des Einsatzes zwischen einem Anreicherungskonzept, einem Integrationskonzept und einem Virtualisierungskonzept zu entwickeln. In diesem Zusammenhang stellt Bremer eine Planungstabelle vor, die Vergewisserung und Orientierung bieten kann.

Philippe Wampfler, Tobias Zimmermann und Gregory Turkawka gehen mit ihrem Beitrag der Frage nach, wie sich individuelle, in eher informellen Kontexten entwickelte Lernstrategien und -ressourcen – bezeichnet als «Personal Learning Environments» – mit den von Anbietern bereitgestellten Lernplattformen verbinden und untereinander vernetzen lassen. Diese Frage dürfte in der Bildungsarbeit künftig relevanter werden, weil die Lernenden ihre Wissensarbeit noch stärker mit digitalen Technologien organisieren werden und diese Ressourcen auch für die institutionelle Bildungsarbeit nutzbar gemacht werden können. Die Vernetzung von Lernressourcen und -strategien wird zu einer neuen Qualität, die die Bildungsarbeit ergänzt und die «klassische» Weiterbildung bereichern kann. Maßgebend für diese Entwicklung ist weniger der Medieneinsatz als die Lernkultur. Über diese gilt es nachzudenken.

Schließlich thematisieren Sandra Schön, Martin Ebner und Gabriela Lüthi-Esposito Ansätze und Entwicklungen von offenen Bildungsressourcen in der Erwachsenenbildung. Ihr Beitrag führt in die Thematik ein, verweist auf die Gefahr von Verstößen gegen das Urheberrecht und mündet in einen Überblick über Beispiele offener Bildungsressourcen im deutschsprachigen Raum, die gerade für Kursleitende in der Erwachsenenbildung interessant sein dürften.

Digitalisierung in Bildungsmanagement und Programmplanung von Weiterbildungsorganisationen

Weniger im Blickfeld steht die Organisationsebene der Weiterbildungsanbieter selbst, also die Bedeutung der Digitalisierung für die internen Prozesse des Bildungsmanagements sowie der Programm- und Angebotsplanung beziehungsweise -entwicklung (Meister 2008, S. 523). Erstaunlicherweise gibt es dazu bis dato wenig Erkenntnisse und damit ebenso wenige zur Weiterbildung als Teil einer sich durch digitale Systeme wandelnden Arbeitswelt selbst.

Dabei ist offensichtlich, dass der Computer, das Internet, Datenbanken und sonstige digitale Anwendungen die Verwaltung (Online-Anmeldung, Kursmanagementsysteme, Intranet etc.), das Marketing (Internetauftritt, Social Media etc.) und die Angebotsplanung (Online-Einheiten, Digitalisierung als Thema von Kursangeboten, Selbstlernbereiche etc.) massiv verändern. In einer schon länger zurückliegenden Studie ist Stang (2003) am Beispiel der Volkshochschulen der Frage nachgegangen, wie Informations- und Kommunikationstechniken die Arbeitsorganisation der Weiterbildungsanbieter beeinflussen. Untersucht wurde die technische Infrastruktur (Internetzugang, Homepage, Computerarbeitsplätze), die technische Betreuung durch qualifiziertes Personal sowie allgemein die Bedeutung von Technologien zum Beispiel bei der strategischen Ausrichtung. Uns ist keine aktuelle empirische Studie dazu bekannt, obwohl sich Anbieter durchaus damit beschäftigen (z. B. Schöll 2017).

Irena Sgier, Erik Haberzeth und Philipp Schüepp präsentieren in ihrem Beitrag Daten zweier Befragungen in der Schweiz. Im Rahmen dieser Studien wurden 338 Organisationen und 1325 Erwachsenenbildnerinnen und Erwachsenenbildner zu ihrem Umgang mit der Digitalisierung befragt. Zwar lag der Fokus auf dem Lehr-Lern-Geschehen und der entsprechenden technischen Ausstattung sowie auf dem Einsatz digitaler Anwendungen und ihrem pädagogischen Nutzen. Einige Daten geben zudem Hinweise auf die Bedeutung der Digitalisierung für die Bildungsplanung.

Kerstin Mayrberger stellt am Beispiel der Hamburg Open Online University, einem seit 2015 laufenden Verbundprojekt der sechs staatlichen Hochschulen Hamburgs, eine umfassende institutionelle Online-Strategie in der Hochschulbildung vor. Bei der Entwicklung von Angeboten und Materialen sind vier Ideen leitend: Lernendenorientierung, Wissenschaftlichkeit, Öffnung für neue Zielgruppen und zivilgesellschaftliche Relevanz sowie Open Education. Im Beitrag wird insbesondere eine Lernendenorientierung unter den Bedingungen und mit den Möglichkeiten von Digitalisierung diskutiert.

Digitalisierung und das Weiterbildungssystem

Grundsätzlich lässt sich beobachten, dass die Weiterbildung als Bildungsbereich im Zuge der Diskussion um die Digitalisierung weiter in ihrer Bedeutung aufgewertet wird. Wissen und Kompetenz und deren Aneignung über die gesamte berufliche Laufbahn und Lebensspanne sind gefragt. Genauer beobachtet werden müsste allerdings, wie sich der digitale Wandel auf die Strukturen der Weiterbildung auswirkt, etwa in Bezug auf neue Akteure in der Weiterbildung sowie auf neue oder veränderte Kooperationen (vgl. z. B. Meister 2005).

Grotlüschen (2018) legt eine erste vertiefte Analyse zu möglichen Disruptionen im Weiterbildungsmarkt durch den Eintritt von Unternehmen der Digitalwirtschaft vor. Analysiert werden die Geschäftsmodelle von drei Unternehmen (XING, Google und LinkedIn), die sich zunehmend als Akteure auf dem Weiterbildungsmarkt positionieren. Gezeigt wird, wie es diesen Unternehmen gelingt, durch die Nutzung verschiedener Datenbestände wie Lebenslaufdaten, Daten zu Interessensgebieten und beruflichen Positionen sowie Daten aus Stellenausschreibungen sehr gezielt Weiterbildungswerbung zu schalten und Angebote zu platzieren. Grotlüschen vermutet, dass diese Entwicklung vor allem für die kommerziellen Weiterbildungsanbieter relevant wird und eventuell sogar eine wirtschaftliche Bedrohung darstellt. Ein disruptives Potenzial dieser neuen Geschäftsmodelle und Marketingstrategien scheint jedenfalls gegeben.

Ronald Schenkel setzt mit seinem Beitrag in diesem Band an der Analyse von Grotlüschen (2018) an. Er sieht Parallelen zwischen der Medienbranche und der Weiterbildung und malt der Weiterbildung am Beispiel der durch die Digitalisierung bedingten Entwicklung in der Medienbranche aus, was ihr bevorstehen könnte. Die Medienbranche ist durch Suchmaschinen, neue News-Portale und Social Media in ihren Grundfesten erschüttert worden. Folgen sind zum Beispiel eine Entmonopolisierung der Gatekeeper-Funktion, eine zunehmende Abhängigkeit von Plattformen (Suchmaschinen, Social-Media-Kanäle), internationale Konkurrenz oder Kompetenzverschiebungen in den Organisationen selbst. Geliefert werden damit Aspekte, die zur Analyse für aktuelle und mögliche zukünftige Entwicklungen in der Weiterbildung genutzt werden können. Schenkel liefert Beispiel dafür.

Professionelles Handeln unter den Bedingungen der Digitalisierung

Schließlich lässt sich eine Ebene differenzieren, auf der das professionelle Handeln des erwachsenenpädagogischen Personals unter den Bedingungen der Digitalisierung thematisiert wird. Es geht um medienpädagogische Kompetenzen von in der Erwachsenenbildung Tätigen, um die Analyse entsprechender Anforderungen sowie um Angebote und Wege zur Professionalisierung (vgl. Schmidt-Hertha/Rohs 2008, S. 3). Dies betrifft alle erwachsenenpädagogischen Aufgabenbereiche: Management, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit, Programm- und Angebotsplanung, Lehre/Unterricht, Beratung sowie Verwaltung (vgl. Kraft 2018, S. 1114).

Interessant ist zunächst die Frage, inwiefern sich medienpädagogische Inhalte überhaupt in den Kompetenzmodellen für Erwachsenenbilderinnen und -bildner sowie in den Aus- und Weiterbildungsangeboten finden. Eine erste Analyse von Modellen und Angeboten im deutschsprachigen Raum nimmt Matthias Rohs in seinem Beitrag vor. Es zeigt sich, dass medienbezogene Inhalte in den Kompetenzstandards zunehmend beachtet werden und inzwischen ein breites und diverses Angebot vorliegt mit Fokus auf mediendidaktische Inhalte. Es deutet sich an, dass weiterführende Thematisierungen der Digitalisierung, die sich von unterrichtsbezogenen Fragen der Methodik und Didaktik absetzen, eher zu kurz kommen. Zu denken wäre hier etwa an eine Thematisierung von möglichen Gefahren einer sozialen Selektivität von Online-Angeboten oder von Fragen des Datenschutzes und der Selbstbestimmung der Lernenden. Sinnvoll wäre es zudem, breitere kulturelle und arbeitsbezogene Fragen, wie sie von Stalder und Böhle u. a. in diesem Band aufgeworfen werden, zu behandeln.

In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach möglichen Veränderungen des Berufsbildes des Erwachsenenbildners beziehungsweise der Erwachsenenbildnerin. Matthias Rohs stellt hierzu erste Überlegungen an. Vermutet wird eine «Neukonfiguration und Spezialisierung der klassischen Tätigkeitsfelder in der Weiterbildung». Umfassende empirische Analysen fehlen hierzu allerdings noch.

Ein medienpädagogisches Kompetenzmodell für Erwachsenenbildnerinnen und -bildner stellen Karin Julia Rott und Bernhard Schmidt-Hertha in ihrem Beitrag vor. Sie gehen dabei von Modellen aus, die in der Lehrerbildung entwickelt wurden, passen diese Modelle aber an, um den besonderen Bedingungen im Feld der Erwachsenenbildung gerecht zu werden. Das vorgeschlagene Modell besteht aus den Facetten Feldkompetenz, Fachkompetenz, didaktische Kompetenz sowie Einstellungen und Selbststeuerung. Eine erste empirische Testung des Modells wurde mit 622 Lehrenden vorgenommen. Auf Grundlage dieser Daten gehen Rott und Schmidt-Hertha in ihrem Beitrag der Frage nach, ob die medienpädagogische Kompetenz von Lehrenden in der Erwachsenenbildung vom Alter abhängig ist, wie es auch für die Mediennutzung und Medienkompetenz der Bevölkerung im Allgemeinen gilt.

Die Beiträge dieses Bandes stecken ein Feld von Digitalisierung, Weiterbildung und Lernen ab und zeigen eine Vielfalt der Themen, die in diesem Zusammenhang zu diskutieren sind. Die Weiterbildung muss sich in vielerlei Hinsicht mit der Digitalisierung auseinandersetzen. Dies macht die vorgestellte Differenzierung unterschiedlicher Ebenen im Verhältnis von digitalen Technologien und Erwachsenenbildung deutlich. Eine primär tool- und methodenbezogene Diskussion, wie sie häufig anzutreffen ist, würde die Thematik stark verkürzen und wäre den möglichen Wandlungsprozessen nicht angemessen. Ebenso verkürzt ist die Rede vom «digitalen Lernen», womit meist nicht mehr gemeint ist als die Nutzung von digitalen Anwendungen im Lernprozess wie Videos oder Apps. Lernen an sich ist nicht mehr oder weniger digital, sondern es handelt sich um einen psychischen Prozess, der darauf gerichtet ist, seine Handlungsmöglichkeiten zu erweitern, indem gemachte Erfahrungen angeeignet werden (Faulstich-Wieland/Faulstich 2006, S. 31). Es geht darum, dieser Komplexität menschlichen Lernens auch in der aktuell stark technikbezogenen Diskussion gerecht zu werden und das professionelle Handeln daran auszurichten.

Literatur

Böhle, Fritz (Hg.) (2017). Arbeit als Subjektivierendes Handeln. Handlungsfähigkeit bei Unwägbarkeiten und Ungewissheit. Wiesbaden: Springer VS.

erwachsenenbildung.at (2017). Wie digitale Technologien die Erwachsenenbildung verändern. Zwischen Herausforderung und Realisierung. Ausgabe 30.

Faulstich, Peter; Zeuner, Christine (2006). Erwachsenenbildung. Eine handlungsorientierte Einführung in Theorie, Didaktik und Adressaten. Weinheim und München: Juventa.

Faulstich-Wieland, Hannelore; Faulstich, Peter (2006). BA-Studium Erziehungswissenschaft. Ein Lehrbuch. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Gieseke, Wiltrud (2003). Programmplanungshandeln als Angleichungshandeln. Die realisierte Vernetzung in der Abstimmung von Angebot und Nachfrage. In: Gieseke, Wiltrud (Hg.). Institutionelle Innensichten der Weiterbildung. Bielefeld: W. Bertelsmann, S. 189–211.

Grotlüschen, Anke (2018). Erwachsenenbildung und Medienpädagogik: LinkedIn & Lynda, XING und Google als Bildungsanbieter. In: MedienPädagogik, H. 30, S. 94–115.

Haberzeth, Erik; Umbach, Susanne (2018). Digitalisierung und Kompetenz – subjektbezogen erforscht. In: Education Permanente EP, H. 4, S. 48–49.

von Hippel, Aiga; Freide, Stephanie (2018). Erwachsenenbildung und Medien. In: Tippelt, Rudolf; von Hippel, Aiga (Hg.). Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung. Wiesbaden: Springer VS, S. 973–999.

Jacober, Christina (2018). Qualifizierungs- und Karrieremöglichkeiten für Berufsbildner/-innen. Das AdA-System des Schweizerischen Verbands für Weiterbildung. In: BWP, H. 3, S. 19–23.

Kraft, Susanne (2018). Berufsfeld Weiterbildung. In: Tippelt, Rudolf; von Hippel, Aiga (Hg.). Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung. Wiesbaden: Springer VS, S. 1109–1128.

Meister, Dorothee M. (2005). Einflüsse Neuer Medien auf die Weiterbildung. Rahmenbedingungen, System- und Feldadaption sowie Anforderungen und Potenziale. Paderborn: Universität Bielefeld.

Meister, Dorothee M. (2008). Medien in der Erwachsenen- und Weiterbildung. In: Sander, Uwe; von Gross, Friederike; Hugger, Kai-Uwe (Hg.). Wiesbaden: VS, S. 519–526.

Röthler, David; Schön, Sandra (2017). Editorial. Wie digitale Technologien die Erwachsenenbildung verändern. Zwischen Herausforderung und Realisierung. In: erwachsenenbildung.at, Ausgabe 30. Wien.

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Scharnberg, Gianna; Vonarx, Anne-Cathrin; Kerres, Michael; Wolff, Karola (2018). Digitalisierung der Erwachsenenbildung in Nordrhein-Westfalen – Herausforderungen und Chancen wahrnehmen. In: erwachsenenbildung.at, Ausgabe 30. Wien, S. 1–12.

Schmid, Ulrich; Goertz, Lutz; Behrens, Julia (2018). Monitor Digitale Bildung. Die Weiterbildung im digitalen Zeitalter. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.

Schmidt-Hertha, Bernhard; Rohs, Matthias (2018). Editorial: Medienpädagogik und Erwachsenenbildung. In: MedienPädagogik, H. 30, S. 1–8.

Schöll, Ingrid (2017). (Keine) Zeit für Experimente. Beobachtungen zur Digitalisierung der Volkshochschule. In: DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung, H. 3, S. 32–34.

Sgier, Irena; Haberzeth, Erik; Schüepp, Philipp (2018). Digitalisierung in der Weiterbildung. Ergebnisse der jährlichen Umfrage bei Weiterbildungsanbietern (Weiterbildungsstudie 2017/2018). Zürich: SVEB & PHZH. Online unter: https://edudoc.ch/record/130478/files/SVEB_Weiterbildungsstudie2017_2018.pdf [03.03.2019].

Stalder, Felix (2016). Kultur der Digitalität. Berlin: Suhrkamp.

Stang, Richard (2003). Neue Medien in Organisationen der Weiterbildung: Empirische Befunde am Beispiel der Volkshochschulen. REPORT Literatur- und Forschungsreport Weiterbildung, H. 2, S. 78–96.

Fritz Böhle, Norbert Huchler und Judith Neumer

Wozu noch menschliche Arbeit – Grenzen der Digitalisierung als neue Herausforderung für die Weiterbildung

Abstract

In der bildungspolitischen Diskussion wird die Entwicklung von Kompetenzen für den Umgang mit den auf Digitalisierung beruhenden Techniken gefordert («Digitalisierungskompetenz»). Demgegenüber wird in diesem Beitrag die Auseinandersetzung mit den Grenzen der Digitalisierung als wichtige Anforderung an die Weiterbildung ausgewiesen. In der allgemeinen Diskussion und in den Medien entsteht der Eindruck, dass es mit der Digitalisierung möglich ist, menschliches Denken und Handeln nahezu umfassend zu simulieren und zu ersetzen – bis hin zu Emotionen und Intuition. Doch dies ist ein Irrtum. Die Grenzen der Technisierung treten nun jedoch nicht mehr entlang der Unterscheidung von standardisierten und nicht standardisierten beziehungsweise körperlich-einfachen und geistig-höherwertigen Tätigkeiten auf. Das Kriterium ist vielmehr die Möglichkeit der Formalisierung. Damit erweisen sich zum einen bisher als höherwertig geltende Tätigkeiten als technisierbar, zum anderen geraten menschliche Fähigkeiten in den Blick, die bisher in der Arbeitswelt wenig beachtet und wertgeschätzt wurden. Vor diesem Hintergrund wird die Befähigung zu einem subjektivierenden Handeln zur neuen Herausforderung für die berufliche Weiterbildung.

Bei der Diskussion von Anforderungen an die berufliche Bildung kann man zwischen produkt- und technikbezogenen Anforderungen unterscheiden. Ersteres bezieht sich auf die Beschaffenheit und das Material des jeweiligen Produkts eines Produktions-, Verwaltungs- oder Dienstleistungsprozesses, Letzteres auf die zur Herstellung und Erzeugung des jeweiligen Produkts eingesetzten Verfahren und Technologien. Dabei wurde bereits in den 1970er-Jahren diagnostiziert, dass mit zunehmender Technisierung eine Verlagerung von produkt- zu technikbezogenen Anforderungen bis hin zu prozessunabhängigen Anforderungen, wie technische Intelligenz und abstraktes Denken, erfolgt (vgl. Kern, Schuhmann 1985; Mickler et al. 1976). Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, bei der Diskussion neuer Anforderungen an die berufliche Bildung und Weiterbildung durch die Digitalisierung den Fokus auf neue technikbezogene Herausforderungen zu legen – von den Fertigkeiten im Umgang mit technischen Apparaten und Systemen bis hin zu allgemeinen Kenntnissen über die Beschaffenheit und Wirkungen der auf Digitalisierung beruhenden Technologien. Hierauf bezieht sich auch der in der bildungspolitischen Diskussion eingebrachte Begriff der Digitalisierungskompetenz (vgl. BMBF 2017).

Wir greifen dies im Folgenden auf, lenken den Blick aber auf einen Aspekt, der bisher bei der Diskussion technikbezogener Anforderungen an die berufliche Bildung kaum aufscheint: Grenzen der Technik und Dysfunktionalitäten. Etwas vereinfacht und plakativ ausgedrückt: Es geht nicht um das technisch Machbare und Mögliche, sondern um das, was technisch nicht machbar und – zumindest auf absehbare Zeit – auch nicht möglich ist. Denn gerade hier zeigen sich die speziell menschlichen Kompetenzen, die im Zusammenspiel mit neuen Technologien an Relevanz gewinnen. Wir diskutieren in dieser Perspektive zunächst Grenzen und Probleme digitalisierter technischer Systeme, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf der technischen Erfassung und Verarbeitung von Informationen über reale Gegebenheiten liegt (1). Hieran anschließend erfolgt eine Diskussion menschlicher Fähigkeiten, die bisher wenig beachtet und wertgeschätzt werden, sich aber im Unterschied zu der «Logik» der Digitalisierung als sehr bedeutsam erweisen (2). Vor diesem Hintergrund werden der Wandel von Arbeit diskutiert (3) und Konsequenzen für die Weiterbildung dargelegt (4). Dabei wird sich zeigen, dass für einen souveränen Umgang mit der Digitalisierung nicht nur technikbezogene Kenntnisse, sondern auch ein auf das jeweilige «Produkt» bezogenes Wissen erforderlich ist. Neben systematischem Wissen spielt hier vor allem ein besonderes Erfahrungswissen und dessen Erwerb im Arbeitsprozess eine wichtige Rolle.

1Grenzen der Digitalisierung

In den Diskussionen in öffentlichen Medien und Veranstaltungen zur Digitalisierung und entsprechenden Berichten erscheinen die Möglichkeiten der Digitalisierung nahezu unbegrenzt. Sie reichen von der Automatisierung industrieller Produktion und dem Dienstleistungsroboter über dem Menschen weit überlegene Expertensysteme bis hin zum autonomen Fahren und versierten Go-Spielen. Big Data verspricht einen Zugang zu Informationen und Wissen, angesichts derer sich menschliche Intelligenz zunehmend als beschränkt erweist. Zudem erscheinen nun auch Kreativität, Gefühle, Emotionen oder Intuitionen als technisch simulierbar. Soweit sich angesichts solcher technischer Prognosen und Visionen Kritik äußert, bezieht sie sich primär auf die Folgen der fortschreitenden Digitalisierung, wie bspw. die Gefährdung persönlicher Daten oder ethische Fragen bei Entscheidungen autonomer technischer Systeme. Die kritische Frage lautet dementsprechend: Wollen wir diese Entwicklungen? (vgl. Lesch 2018) Die Frage allerdings, ob solche technischen Prognosen, Visionen und Versprechungen überhaupt realistisch sind, taucht hier kaum auf; und damit auch nicht die Frage, wie die Welt umgestaltet wird oder werden müsste, damit die Technik das einlösen kann, was sie verspricht und welche Folgen auftreten, wenn die technischen Systeme nicht einlösen, was sie versprechen.

Dabei geht es nicht um ein Für oder Wider die technische Entwicklung, sondern um die Diskussion unterschiedlicher Schwerpunkte und Richtungen der technischen Entwicklung. Im Zusammenhang mit der Digitalisierung stellt sich hier die grundsätzliche Frage, ob sich die technische Entwicklung an dem «Ideal» autonom agierender technischer Systeme orientiert oder aber eher die wechselseitige Ergänzung und Kooperation von Mensch und Technik angestrebt und als realistisch erachtet wird. Die Diskussion um Grenzen der Digitalisierung ist für die Diskussion zu solchen unterschiedlichen Entwicklungspfaden der Technisierung von zentraler Bedeutung.

1.1Die Logik der Digitalisierung

Bei der Diskussion von Grenzen der Digitalisierung ist zu unterscheiden zwischen dem, was durch diese Technik «noch nicht», aber potenziell und in absehbarer Zeit bewältigt werden kann, und dem, was durch diese Technik und die ihr zugrunde liegende «Logik» nicht erfasst werden kann (vgl. Huchler 2018).

Die Digitalisierung beruht auf einer formalen «Zeichenlogik» (Rammert 2009), bei der Eigenschaften und Verhaltensweisen konkreter Gegebenheiten sowie Wissen in einer «Zeichensprache» erfasst werden bzw. werden müssen. In der Praxis sind jedoch die für die Erreichung von Zielen und Lösungen von Problemen relevanten Informationen keineswegs immer umstandslos in dieser Weise verfügbar. Allgemein lässt sich dies als Problem der informationstechnischen Beschreibung und datentechnischen Erfassung realer Gegebenheiten formulieren. Dabei zeigt sich, dass die Digitalisierung vor allem dort erfolgreich ist, wo (bereits) explizite Informationen über reale Gegebenheiten vorliegen und es im Wesentlichen darum geht, diese aufzugreifen und zu verarbeiten. Ein Beispiel hierfür sind das Internet oder Expertensysteme, die im Wesentlichen auf dokumentiertes Wissen und in Datenbanken abgelegte Informationen zugreifen. Eine grundlegend andere Konstellation besteht jedoch, wenn die mit virtuellen Objekten agierende «Welt der Software» mit der «Welt realer physischer Objekte» verbunden wird (vgl. Lee 2008, Huchler 2016), so wie dies bei den cyber-physical systems (CPS)[1] der Fall ist und angestrebt wird (Song et al. 2016). In der virtuellen Welt der Software hängen die Erfolge der Technisierung im Wesentlichen vom Umfang und der Geschwindigkeit der Rechenleistungen sowie der Identifizierung von Algorithmen ab. Die Frage, wie die Informationen, die dabei erfasst und verarbeitet werden, zustande kommen, erscheint sekundär. Bei der Verbindung der virtuellen Welt der Informationen mit realen Gegebenheiten, so wie dies beispielsweise bei der Steuerung, Regulierung und Überwachung komplexer technischer Systeme der Fall ist, erweisen sich demgegenüber jedoch die Bereitstellung und Erfassung von Informationen über die realen Gegebenheiten als ein wesentlicher Erfolgsfaktor und zugleich als sehr voraussetzungsvoll. Vergleichsweise einfach ist die Bereitstellung von Informationen, wenn die jeweils in Frage stehenden Sachverhalte durch exakt und eindeutig bestimmbare Merkmale beschreibbar sind. Exemplarisch hierfür sind physikalische Messgrößen. Weit schwieriger wird dies jedoch, wenn die realen Gegebenheiten Eigenschaften und Verhaltensweisen aufweisen, die sich nicht exakt beschreiben und erfassen lassen. In der Praxis stellt sich hier das Problem der Komplexität, der Unvollständigkeit und Mehrdeutigkeit von Informationen (vgl. Huchler, Rhein 2017). Lenkt man den Blick hierauf, so zeigt sich, dass die viel zitierten Beispiele für die Erfolge künstlicher Intelligenz, wie der Schachcomputer und neuerdings das Go-Spiel, in – informationstechnisch gesehen – vergleichsweise einfachen Umwelten agieren. Schachfiguren oder Go-Steine sowie deren jeweilige Stellung und Bewegung sind durch vergleichsweise wenig und eindeutige Informationen erfassbar. Die Komplexität ergibt sich erst durch die möglichen Spielzüge und Strategien. Beim Schachspiel bestehen zudem eindeutig beschreibbare Regeln, nach denen sich das Spiel zu richten hat.[2] Das selbstfahrende Auto ist im Unterschied zum Schachspiel oder Go-Spiel mit einer grundlegend anderen Umwelt konfrontiert und Gleiches ist auch im Bereich der industriellen Produktion, der Verwaltung sowie bei Dienstleistungen der Fall. Komplexität, Unvollständigkeit und Uneindeutigkeit von Informationen über reale Gegebenheiten sind hier kein Sonderfall und die Ausnahme, sondern vielfach die Normalität – und zwar gerade auch bei physikalisch-technischen Gegebenheiten. Im Folgenden sei dies exemplarisch an der Uneindeutigkeit von Informationen näher erläutert.

1.2Uneindeutigkeit von Informationen

Bei Informationen, die explizit als solche definiert und ausgewiesen sind, wie bspw. technische Anzeigen oder Verkehrsschilder, ist es grundsätzlich möglich, auch deren Bedeutung explizit zu definieren und zu kommunizieren. Bei impliziten, in konkrete Gegebenheiten eingebundenen Informationen wie bspw. Geräusche und Vibrationen bei technischen Systemen oder der Tonfall und die Körperhaltung bei der verbalen Kommunikation stellt sich jedoch nicht nur das Problem, sie (überhaupt) als relevante Information zu erfassen, sondern es ist auch weit schwieriger, deren Bedeutung zu entschlüsseln (vgl. Böhle, Huchler 2016). Sie sind vielfach auf den ersten Blick «nichts sagend» und ihre Bedeutung ergibt sich erst durch den Kontext und eine bestimmte Perspektive der Betrachtung. So erscheinen Geräusche an technischen Anlagen allgemein lediglich als belastender Lärm. Für Fachkräfte, die mit der technischen Anlage arbeiten, sind sie aber eine wichtige Informationsquelle über den technischen Verlauf. Veränderungen des Geräusches «informieren» über «kritische Situationen» (Schulze 2001, S. 67 ff.), in denen sich einzelne Veränderungen in einem «schleichenden Prozess» wechselseitig aufschaukeln und zu weitgehenden Störungen bis hin zum Stillstand der Anlage führen können.[3] Ein anderes Beispiel sind kleinere, punktuelle zeitliche Verzögerungen, sachliche Unstimmigkeiten oder auch Personalausfälle in administrativen Prozessen und bei Dienstleistungen. Auf den ersten Blick und isoliert betrachtet erscheinen sie als unbedeutend; de facto können sie jedoch Indizien und Symptome für grundlegende Fehlplanungen sowie organisatorische und personelle Schwachstellen sein. Es ist in der Praxis notwendig, solche Unregelmäßigkeiten im Prozessverlauf rechtzeitig zu erkennen und ihnen entgegenzusteuern. Welche Einflussfaktoren, Parameter und Wirkungszusammenhänge hier jeweils ausschlaggebend sind, lässt sich nicht präzise bestimmen und ebenso wenig, welche Eigenschaften von Geräuschen hier relevant sind, die Lautstärke, Frequenz oder «Klangfarbe».

Bei der Diskussion von cyber-physical systems findet sich dementsprechend die Feststellung, dass aufgrund der physikalischen «Unschärfen» die Umwelt- und Prozessbedingungen technischer Anlagen nicht vollständig erfasst, geplant und beeinflusst werden können. Die physische Welt ist demnach im Vergleich zur Cyberwelt der Software nicht vollständig durch explizite Informationen beschreibbar und erfassbar. Je mehr sich die Digitalisierung zudem nicht nur auf die physikalische Welt, sondern auch auf die soziale Welt richtet und sich zu soziotechnischen Systemen entwickelt, so wie dies beispielsweise bei Verkehrssystemen und Dienstleistungen der Fall ist, desto komplexer und uneindeutiger wird deren informationstechnische Erfassung.