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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74094-141-3
Noch einen Schritt, Travis!, denkt der große Bursche im Hinterhalt.
Und Travis macht diesen Schritt.
Der Große sieht, wie der Busch sich teilt und der kleine, wieselflinke Freund und Partner aus den Zweigen schnellt. Der kleine Mann hat den Knüppel in den Fäusten und ist blitzartig da.
Travis wendet sich um. In derselben Sekunde schlägt der kleine Mann auch schon zu. Der Hieb trifft Travis mitten auf den Kopf.
Der kräftige, untersetzte Digger neigt sich nach vorn. Es sieht aus, als wolle er eine Verbeugung machen. Dann stürzt er auf den Weg.
Der kleine Mann sagt zufrieden: »Den hätten wir, was?«
Er ist wie ein Wiesel, sie nennen ihn auch so wegen seiner unheimlichen Beweglichkeit. Schon kniet er neben Travis.
Travis trägt wie manche Digger sein Geld in einem Lederbeutel auf dem Leib. Geschickt löst der kleine Halunke die Schnur und zieht den Beutel heraus.
»Na, da haben wir es ja«, sagt er grinsend. »Was der wohl gedacht hat?«
Seine Lider zucken jäh, als er das Stöhnen hört.
Travis, denkt der kleine Mann erschrocken. Er hat den Geldbeutel geöffnet und wühlt in ihm. Scheine rascheln, Papiergeld und Münzen gleiten durch seine Finger.
Der kleine Mann reißt erschrocken die Augen auf. Vielleicht hat er doch nicht hart genug zugeschlagen?
Keine Zeit mehr zum Überlegen für den kleinen Mann, dessen Finger gierig im Geldbeutel wühlen. Und auch keine Zeit mehr für den großen Burschen. Travis macht die Augen auf und blickt in das Gesicht des Großen. Dabei stöhnt er, keucht hart und bewegt die Lippen, um etwas zu sagen.
Travis erkennt ihn.
Das ist alles, was der Große noch denkt. Der Schreck hält den großen Burschen gepackt. Travis sieht ihn und kann ihn beschreiben. Travis wird reden, und endlich wird man wissen, wer in und um Oreville die Digger beraubt.
Der Große handelt im Bruchteil eines Augenblicks, als sein Messer hochzuckt und herunterfährt. Travis stöhnt nicht mehr, nur ein seltsam dünner Laut dringt noch aus seiner Kehle und verweht zwischen den Büschen.
Danach ist es sekundenlang still.
Der Große kniet nun neben seinem Opfer. Der kleine Kerl mit den Knopfaugen stiert auf die beiden Männer.
»Wie hast du denn zugeschlagen, du Narr?«, knurrt der Große finster. »Der wachte verdammt zu schnell auf.«
»Dafür erwacht er nun nie mehr«, antwortet der Kleine achselzuckend. »Los, weg mit ihm, in die Büsche.«
Er hilft dem großen Burschen, Travis einige Schritte vom Weg entfernt zwischen die Büsche zu packen. Der Große schlägt Zweige ab und wirft sie über den Körper des Diggers. Dann reißt er mit aller Kraft an Travis’ Uhrkette. Der Stoff von Travis’ Hose gibt knirschend nach und reißt aus. Der Große hat die Kette in der Hand, will hoch, wirft sich aber in der nächsten Sekunde blitzschnell zu Boden.
»Ssst, weg!«
Auch der kleine Bursche mit den wieselflinken Augen duckt sich tief. Schritte auf dem Weg, die lauten Worte von zwei Männern dringen zu ihnen.
»Ssst, Barton und Roamer.«
Er flüstert, nach einem Blick durch die Zweige und sofortigem Untertauchen. Beinahe hätten sie die Männer nicht gehört. Grade noch rechtzeitig sind sie weggetaucht und kauern still neben dem Opfer ihres Überfalles.
Wortfetzen dringen zu ihnen, die beiden Männer aus dem Diggercamp unten am Springcreek gehen an ihnen vorbei. Erst als die Männer fort sind, richten sich der kleine Bursche und der Große wieder auf.
»Mensch, das war knapp, was?«
»Na und, sie sind weg«, sagt der Kleine mürrisch. »Hör mal, wirf die Kette weg, du kommst nicht mehr in die Hütte von Travis.«
»Meinst du nicht?«
»Ja, das meine ich. Barton ist Travis’ Nachbar. Ob die wissen, dass er vor ihnen nach Hause gegangen ist? Wenn das so ist, werden sie Licht in seiner Hütte vermuten. Haben wir Pech, sehen sie nach, ob er zu Hause ist. Und finden sie ihn nicht, gehen sie ihn suchen, verstehst du?«
»Er hat bestimmt was in der Hütte, was zu gebrauchen wäre«, murrt der Große. »Es ist doch kein Problem …«
»Ich sage, du wirfst die Kette weg, verstanden?«
Die Stimme des kleinen Mannes klingt jetzt scharf und bissig. Murrend gehorcht ihm der Große. Die Kette fällt in das Gras unter den Büschen.
»Na, also, was soll’s noch?«, brummt der kleine Mann. »Sehen wir zu, dass wir verschwinden.«
Es raschelt zwischen den Büschen, als sie fortgehen und noch einige Sekunden an Barton und Roamer denken.
Barton hat ziemlich viel Einfluss auf die Digger. Er ist ein harter, schneller Mann. Wenn Barton herausbekommt, was hier passiert ist, wird er die Hölle loslassen.
Dies ist der dritte Mord in einer Woche in der Gegend von Oreville.
»Barton ist gefährlich.«
»Vielleicht«, erwidert der kleine Mann achselzuckend. »Was will er denn schon ohne Beweise?«
»Er wird erfahren, dass Travis im Nugget Saloon war.«
»Soll er doch, was hilft ihm das?«
»Du nimmst das zu leicht, die Digger könnten sich zusammenrotten und die Hölle loslassen.«
Zusammenrotten, die Hölle loslassen, denkt der kleine Mister abfällig. Wie denn, was wollen sie schon tun, wenn sie keine Beweise haben? Gar nichts werden sie tun.
*
Es ist Mittag, als sie ihn finden, weil Roamer einen Hund besitzt und das Tier mit gesträubten Haaren auf dem Weg stehenbleibt und zu heulen beginnt. Immerhin hat der Hund Roamers manchmal von Travis Futter bekommen. Roamer sagt, der Hund habe Travis gewittert.
Jetzt stehen sie mit zehn Mann um den Toten. Sie haben Travis zu Dillmans Digger-Saloon geschafft.
Vom Bach her kommen jetzt immer mehr Männer zu Dillmans Hütte. Auch einige Frauen sind dabei. Menschen drängen sich an der Tür von Dillmans Haus, um einen Blick auf den wie friedlich schlafenden Travis zu werfen. Männer stoßen finstere Drohungen aus, und irgendjemand sagt grimmig:
»Einmal ist es genug. Man sollte das verdammte Gesindel in die Hölle jagen. He, Barton, was tun wir?«
»Er war also in Priestleys Nugget Saloon, bist du sicher, Bunch?«
Bunch, ein älterer, bärtiger Mann, drängt sich nach vorn und nickt.
»Yes, Barton, er hat dort gespielt. Er gewann auch, ich weiß es genau. Es müssen über hundert Dollar gewesen sein. Als er ging, war Mitternacht vorbei.«
»Mit wem hat er gespielt, Bunch?«
»Mit Clay, dem Kartenhai Priestleys«, erwidert Bunch heiser. »Es saßen noch Charley Wilson und Dunham an seinem Tisch. Charley stand auf und ging vor ihm hinaus, das habe ich gesehen.«
»Charley?«, knurrt irgendwer grimmig. »Er arbeitet doch für Priestley als Rauswerfer, oder? He, sollte Charley verloren haben?«
»Und dann hat er es sich zurückgeholt«, sagt ein anderer Digger wild. »Der verdammte rothaarige Hundesohn hat den armen Travis umgebracht. Barton, einmal muss es genug sein, und ich denke, es ist jetzt so weit. Wir gehen hin und schnappen uns Charley Wilson. Jagen wir Priestley und alles, was an rauen Burschen in seinem Saloon haust, zum Teufel.«
Beifälliges Gemurmel kommt von den anderen Männern, und eine der Frauen vor der Tür her sagt schrill:
»Hängt sie alle auf. Denkt an meinen Mann, hängt sie alle auf, dann haben wir Ruhe hier. Ich sage euch, Link Warren steckt hinter dem gemeinen Gesindel, das unsere Männer erschlägt oder mit einem Messer umbringt. Hört ihr, es ist Link Warren, dieser Revolverbursche.«
Auf einigen Gesichtern zeigt sich nun doch etwas wie Besorgnis. Man kennt Link Warren, einen eiskalten, kaltblütigen Revolvermann. Warren ist die rechte Hand Priestleys und der Boss aller Rauswerfer und Kartenhaie des Nugget Saloons.
Der Saloon liegt am Beginn der sogenannten Downtown, der Unterstadt von Oreville. Dieses Gewimmel von Hütten und Bretterbuden erstreckt sich rechts des Digger Camps und steigt den Hügel empor, auf dem Oreville, die eigentliche Stadt, liegt.
»Link wird diese Ratte Charley decken«, sagt irgendwer finster. »Es wird nicht ganz so leicht werden, fürchte ich. Wenn Link Warren sich vor Charley Wilson stellt, Leute …«
»Charley hat Travis umgebracht«, ruft jemand scharf dazwischen. »Ist doch klar, was? Er ist vorher herausgegangen und hat Travis aufgelauert. Was ist Priestleys Saloon denn, he? Nichts als eine verdammte Spielhölle mit ein paar verkommenen Girls und gepanschtem Brandy. Ich sage euch, es ist eine Mörderhöhle.«
An der Tür entsteht eine Bewegung. Durch die dort wartenden Männer und Frauen drängt sich der kleine Andy Bishop.
Der Junge ist dreizehn Jahre alt und hilft Dillman bei den Maultieren und Eseln, während seine Mutter in der Küche Dillmans für die Männer kocht. Sie hat ihren Mann beim Baumfällen verloren.
»Mr Barton«, meldet sich der kleine Andy heiser. »Mr Barton, Marshal Salesbury ist nicht da. Er ist vor drei Stunden ins Holzfällercamp geritten, dort sind zwei Männer mit Äxten aufeinander losgegangen, sagte der Barbier nebenan.«
»Da hast du es«, sagt Roamer finster. »Braucht man Salesbury, ist er nicht da. Der Bursche ist ein Blender, er würde auch nichts gegen Priestley und seine verdammte Horde unternehmen. Wir müssen es selbst tun, Steve. Holt eure Waffen, nehmt ein paar Seile und Äxte mit. Wir besuchen Priestley, er soll uns Charley herausschicken. Und macht er es nicht, reißen wir ihm den Bau ein. Rache für Travis, sage ich. Wir wollen Charley haben.«
*
Der Mann im dunklen Anzug und dem Revolver an der linken Seite steht langsam von seinem Stuhl auf.
Link Warren blickt der Menge entgegen, einer auf hundert oder mehr angewachsenen Diggerhorde, die sich dem Nugget Saloon nähert. Da Warren direkt neben der Tür auf einem Stuhl gesessen hat, braucht er nur einen halben Schritt zu machen, um in den Saloon zu verschwinden. Aber Link Warren denkt nicht daran. Aus kühlen dunklen Augen blickt der Revolvermann über die Straße.
Wie überall, so hat Elmer Priestley, der Besitzer des Saloons, auch im Diggercamp seine Spitzel sitzen. Irgendeiner der Trunkenbolde unter den Diggern ist vor knapp drei Minuten mit wehendem Rock von hinten in den Saloon gestürzt und hat berichtet, dass sich die Digger zusammengerottet haben.
»Link, das geht nicht gut«, keucht Priestley beim Anblick der Menge nervös und drückt sich hinter der Tür an die Saloonwand. »Link, die kommen herein, stürmen den Saloon und schlagen alles entzwei.«
Link Warrens hageres Gesicht verzieht sich zur Andeutung eines geringschätzigen Lächelns. Er blickt sich kurz um und kann weiter hinten im Saloon Charley Wilsons dreieckiges Fuchsgesicht erkennen. Charley sieht aus, als hätte ihn eine schwere Krankheit gezeichnet.
»Sei ruhig«, sagt Warren träge. Der Mann ist eiskalt, obgleich ihm die Gefahr bewusst ist. »Hier passiert nichts. Im Notfall hast du vier Schrotflinten, Priestley.«
Vor dem Rudel Digger geht Barton, jener Mann, dem man eine gewisse Schnelligkeit mit dem Revolver nachsagt.
Barton bleibt stehen. Und es scheint wie ein Signal für die anderen zu sein, denn sie halten auch an.
Barton räuspert sich heftig. Warren sieht ihn kühl und gelassen an.
»Wir wollen Charley haben«, sagt Barton finster und wartet auf das zustimmende Gemurmel seiner Digger. »Warren, Charley Wilson soll kommen, aber schnell, verstanden?«
Warren steht still, die rechte Hand in den Gurt gehakt, die linke hängt schlaff neben dem Coltkolben. Er sagt nichts.
Als Barton die Hand hebt, werden sie ruhig. Aus den Augenwinkeln sieht Warren, wie sich einige Neugierige am Ende der Main Street zeigen. Dort tauchen nun immer mehr Leute auf und sehen zum verrufenen Nugget Saloon hinüber.
»Wir wollen Charley sehen«, knurrt Barton scharf. »Er soll uns sagen, wo er gestern gegen Mitternacht war. Er verließ den Saloon kurz vor Travis. Er kam erst nach einer guten Stunde wieder und war nass, dafür gibt es Zeugen. Zwei Kerle haben Travis erschlagen, sie gingen ein Stück durch den Bach, Warren. Charley war nass, das sagt genug.«
»Genug?«, fragt Warren träge. »Deine Zeugen wissen gar nichts, Barton. Charley war im Stall, dabei fiel ihm der Wassereimer aus der Hand und goss ihm die Hosen nass. Das ist alles, was ihr wissen müsst. Auch wir haben dafür einen Zeugen, den Stallhelp, Barton. Charley hat Travis nicht mehr gesehen, geschweige denn ihn umgebracht. Ihr tätet gut daran, jetzt nach Hause zu gehen, Leute.«
Roamers zottiger Köter kläfft wild, zerrt an der Leine und reißt sich jäh los. Ob der Hund durch das einsetzende Geschrei der Menge verrückt wird oder in Warren wirklich den Mann sieht, der der Menge im Weg steht, wird nie geklärt. Der Hund läuft mit einem wilden Knurren auf Warren zu, und einer der Männer brüllt heiser:
»Da seht ihr es, der Hund wittert den Mörder.«
Ein rauer Schrei aus zwei Dutzend Diggerkehlen antwortet ihm. Für die Männer ist es plötzlich erwiesen, dass der Hund den im Saloon steckenden Mörder Charley Wilson gewittert hat. Im jähen Vorwärtsdrängen schiebt die Menge innerhalb von Sekunden Roamer und Barton und dann die beiden Männer vor sich her.
Währenddessen erreicht der Hund beinahe den Vorbau. Vielleicht reagiert das Tier auf Link Warrens Bewegung zum Revolver, denn es knurrt Warren scharf an und duckt sich zum Sprung.
In derselben Sekunde zuckt Warrens Hand einmal. Der Revolver liegt wie hingezaubert in der Hand des hageren Mannes und brüllt auch schon auf. Die Kugel erwischt den Hund mitten im Sprung und schleudert ihn zurück. Ein Brüllen des Schusses klingt das klagende Heulen des Hundes laut über die Straße.
Ein Wutschrei aus über hundert Kehlen antwortet Link Warrens blitzartigem Schuss. Plötzlich reißt Roamer, der seinen Hund unter dem Vorbau verenden sieht, seinen Revolver heraus.
Es geschieht so schnell, dass Warrens scharfer Warnschrei zu spät kommt.
»Roamer, den Colt weg, den Colt …«
Roamer, blind vor Wut über den Verlust seines Hundes, reißt den Arm hoch. Seine Waffe will sich auf Warren richten, als der Revolvermann zum zweiten Mal abdrückt.
Roamer wird von einem wilden Hieb in der rechten Schulter getroffen. Die Kugel lässt seinen Körper herumwirbeln. Seine Gestalt schwankt wie betrunken. Danach kippt Roamer nach vorn und fällt in eine Wasserlache.
Auf dem Vorbau steht Link Warren völlig ruhig. Die Mündung seines Revolvers ist nun auf Barton gerichtet. Barton prallt förmlich zurück, als Roamer zu Boden sinkt.
Auch die nächsten Männer halten jäh an. Weiter hinten hat man die beiden Schüsse gehört, aber kaum gesehen, was passiert ist. Erst der schrille, heisere Schrei eines der Männer tut seine Wirkung.
Noch nie zuvor hat Warren das Gefühl gehabt, so dicht vor einer endgültigen Entscheidung zu stehen. Er fühlt sich nicht unsicher, aber er weiß, dass nur ein Schuss, abgefeuert von irgendwem aus der Menge, die Sache tödlich werden lassen kann.