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Die Herausgeberinnen und der Herausgeber

Die Psychologin Dr. habil. Cora Titz ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) tätig. 2005 promovierte sie in Göttingen und habilitierte 2011 an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Ihr derzeitiger Arbeitsschwerpunkt ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Konzepten des Sprach- und Schriftspracherwerbs.

Dr. Sabrina Geyer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Goethe-Universität Frankfurt sowie am Deutschen Institut für Internationale pädagogische Forschung (DIPF). Die Schwerpunkte ihrer wissenschaftlichen Arbeit sind der kindliche Erst- und Zweitspracherwerb, die Sprachdiagnostik und Sprachförderung für ein- und mehrsprachige Kinder in Kita und Grundschule sowie die Professionalisierung pädagogischer Fachkräfte.

Dr. Anna Ropeter ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung tätig. Von 2007 bis 2011 promovierte sie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg im Bereich der Säuglings- und Kleinkindforschung. Sie ist außerdem als Psychologin im Sozialpädiatrischen Zentrum Frankfurt Mitte tätig.

Hanna Wagner studierte Psychologie, Politikwissenschaften und Pädagogik in Göttingen. Seit 2008 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) in Frankfurt am Main. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Diagnostik und Förderung des kindlichen Sprach- und Schriftspracherwerbs sowie die Beratung von Bildungseinrichtungen. Zusätzlich ist sie in der systemischen Familienberatung und -therapie tätig.

Susanne Weber studierte Psychologie in Göttingen. Seit 2009 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF). Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Diagnostik und Förderung des kindlichen Sprach- und Schriftspracherwerbs.

Der Psychologe Prof. Dr. Marcus Hasselhorn ist als Bildungsforscher und geschäftsführender Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) in Frankfurt am Main tätig. Dort leitet er die Abteilung für Bildung und Entwicklung. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Ontogenese individueller Voraussetzungen erfolgreichen Lernens, Lern- und Leistungsstörungen, Pädagogisch-psychologische Diagnostik sowie die Veränderbarkeit und Beeinflussbarkeit kognitiver Lernvoraussetzungen.

Titz, Geyer, Ropeter, Wagner, Weber, Hasselhorn (Hrsg.)

Konzepte zur Sprach- und Schriftsprachförderung: Praxiserfahrungen

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-034480-8

E-Book-Formate:

pdf:    ISBN 978-3-17-034481-5

epub: ISBN 978-3-17-034482-2

mobi: ISBN 978-3-17-034483-9

Vorwort der Herausgeberinnen und Herausgeber

 

 

Bildung durch Sprache und Schrift (BiSS) ist eine gemeinsame Initiative von Bund und Ländern. Ihr liegt eine Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), der Kultusministerkonferenz (KMK) und der Jugend- und Familienministerkonferenz der Länder (JFMK) zugrunde. 2013 startete BiSS als eine bildungsetappenübergreifende Initiative zur Verbesserung der Sprachförderung, Sprachdiagnostik und Leseförderung. Seitdem entwickelten bundesweit über hundert Verbünde aus je drei bis zehn Kindertageseinrichtungen und/oder Schulen entlang thematischer Module ihre Konzepte der Sprachbildung, Sprach- und Leseförderung weiter. Ein für die wissenschaftliche Ausgestaltung und Gesamtkoordination von BiSS verantwortliches Trägerkonsortium unterstützt die Durchführung der Initiative. Verantwortlich für dieses wissenschaftliche Trägerkonsortium sind Michael Becker-Mrotzek und Hans-Joachim Roth (Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache der Universität zu Köln), Marcus Hasselhorn (Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung, DIPF) und Petra Stanat (Humboldt-Universität zu Berlin in Kooperation mit dem Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, IQB).

Der vorliegende Band ist der dritte einer sechsbändigen Herausgeberreihe »Bildung durch Sprache und Schrift«. In diesem Band werden Praxiserfahrungen dargestellt, die in der Arbeit mit Konzepten zur Sprach- und Schriftsprachförderung im Rahmen der Bund-Länder-Initiative BiSS gesammelt wurden. Sie illustrieren, wie in der Praxis Konzepte entwickelt, umgesetzt, angepasst und überprüft werden. Autorinnen und Autoren aus BiSS-Verbünden des Elementar- und des Schulbereichs erläutern, welche Ziele die Verbünde mit ihren (schrift-)sprachbildenden und -fördernden Ansätzen verfolgen und wie sie diese Ziele erreichen wollen. Wichtige Hilfsmittel auf dem Weg zur Zielerreichung sind die verwendeten Werkzeuge (Tools), die die Verbünde beispielsweise in den Bereichen Diagnostik, Förderung und Professionalisierung einsetzen. Eine zentrale Frage ist, was die Agierenden in der Praxis als Erfolgsanzeichen ihrer Arbeit einschätzen; auch darauf gehen die Autorinnen und Autoren der Kapitel ein. Die Verbünde bestehen aus einem Netzwerk zusammenarbeitender Einrichtungen, deren Kooperationsstruktur ebenfalls thematisiert wird: Wie arbeiten verschiedene, voneinander unabhängige Einrichtungen, die lokal getrennt sind, gemeinsam an einem Konzept und seiner Implementierung? Umsetzungsbeispiele aus der Verbundarbeit illustrieren anschaulich, wie die Verbundkonzepte umgesetzt werden. Im ersten Teil des Bandes wird in drei Kapiteln die Arbeit von BiSS-Verbünden aus dem Elementarbereich dargestellt, der zweite Teil des Buches beschreibt Praxiserfahrungen mit Konzepten der Sprach- und Schriftsprachförderung im Primar- und Sekundarbereich.

Inhalt

 

 

 

  1. Vorwort der Herausgeberinnen und Herausgeber
  2. Teil I: Praxiserfahrungen im Elementarbereich
  3. Kapitel 1: »Mit Kindern im Gespräch« – Qualifizierungskonzept zur Sprachbildung und Sprachförderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen. Verbund »Gezielte alltagsintegrierte Sprachbildung in Schlüsselsituationen in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg«
  4. Gisela Kammermeyer, Sarah King, Patricia Goebel, Angie Lämmerhirt, Anja Leber, Astrid Metz, Angelika Papillion-Piller & Susanna Roux
  5. Einleitung
  6. 1 Worum geht es im Qualifizierungskonzept »Mit Kindern im Gespräch?«
  7. 2 Wie wird das Qualifizierungskonzept umgesetzt?
  8. 3 Ausblick
  9. Literatur
  10. Kapitel 2: »Was passiert denn hier?« – Alltagsintegrierte sprachliche Bildung – Professionalisierung und Lerntransfer gestalten
  11. Sarah Girlich & Christine Steinmetzer
  12. Einleitung
  13. 1 Die Konzeption eines Curriculums zur sprachlichen Bildung
  14. 2 Umsetzung des Fortbildungskonzepts
  15. 3 Überprüfung der Umsetzung
  16. 4 Fallbeispiel
  17. Ausblick
  18. Literatur
  19. Kapitel 3: Verbünde »Qualitätsentwicklung alltagsintegrierter Sprachbildung und -diagnostik in Kitas in Bayern«
  20. Christa Kieferle & Eva Reichert-Garschhammer
  21. Einleitung
  22. 1 Die Verbundkonzeption
  23. 2 Das Begleitkonzept
  24. 3 Fazit
  25. Literatur
  26. Teil II: Praxiserfahrungen im Schulbereich
  27. Kapitel 4: WEGE durch den Sprachförderdschungel – Strukturierung des Fachwortschatz-Lernprozesses und Ansätze für den Theorie-Praxis-Transfer
  28. Lilo Verboom & Alexandra Koch
  29. Einleitung
  30. 1 Der Fachwortschatz – Lernziel und Lernhürde
  31. 2 WEGE – ein Konzept zur gezielten Einführung und Festigung des benötigten Fachwortschatzes
  32. 3 WEGE mit Plan – Nutzung eines Planungsrahmens
  33. 4 Ansätze für den Theorie-Praxis-Transfer
  34. 5 Was wurde schon erreicht? Ein Blick auf die bisherigen Projekterfolge
  35. Literatur
  36. Kapitel 5: Leseförderung mit BiSS Das Hamburger Primarstufen-Projekt für Schülerinnen und Schüler mit hoher sozialer Belastung aus theoretischer, methodischer und empirischer Perspektive
  37. Steffen Gailberger
  38. Einleitung
  39. 1 Ziel und Konzept der Verbundarbeit
  40. 2 Wege der Förderung
  41. 3 Empirie
  42. 4 Differenzialbetrachtungen
  43. 5 Zusammenfassung der wichtigsten Befunde, Gesamtdiskussion und Ausblick
  44. Literatur
  45. Kapitel 6: Verstärkte Leseförderung an hessischen Schulen – ein Programm zur Leseförderung in allen Schulformen
  46. Ulrike Krug & Daniel Nix
  47. Einleitung
  48. 1 Grundlagen und Zielsetzungen des Programms
  49. 2 Vorstellung des Programms und Bilanzierung der schulischen Leseförderung
  50. 3 Fortbildungsmodule des Leseprogramms
  51. 4 Umsetzung des Programms und Implementation
  52. 5 Fazit und Ausblick
  53. Literatur
  54. Kapitel 7: Leseschule NRW – Erste Ergebnisse zur Implementation eines umfassenden Leseförderprogramms
  55. Marion Bönnighausen, Katharina Lammers & Dirk Reimann
  56. Einleitung
  57. 1 Ziel der Verbundarbeit und Wege der Umsetzung
  58. 2 Evaluation der Implementation
  59. 3 Fallbeispiel: die Sekundarschule Beckum
  60. 4 Fazit
  61. Literatur
  62. Die Autorinnen und Autoren

 

 

 

 

 

Teil I:   Praxiserfahrungen im Elementarbereich

 

Teil eins dieses Bandes stellt in drei Kapiteln Praxiserfahrungen mit Konzepten der Sprach- und Schriftsprachförderung vor, die in der Initiative »Bildung durch Sprache und Schrift« (BiSS) in verschiedenen Bundesländern im Elementarbereich gesammelt wurden. In den drei Kapiteln wird die konkrete Umsetzung von Professionalisierungskonzepten zur gezielten alltagsintegrierten sprachlichen Bildung beschrieben. Wie werden gemeinsam mit verschiedenen Akteuren in und mit den Kitas diese Professionalisierungskonzepte entwickelt, umgesetzt, angepasst und überprüft? Wer sind die Agierenden und wie arbeiten die Einrichtungen zusammen?

Kapitel eins von Gisela Kammermeyer, Sarah King, Patricia Goebel, Angie Lämmerhirt, Anja Leber, Astrid Metz, Angelika Papillion-Piller und Susanna Roux beschreibt das Konzept »Mit Kindern im Gespräch«, das in drei Bundesländern (Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg) in je einem BiSS-Verbund mit drei bis zehn Kitas bzw. Schulen unter dem Namen »gezielte alltagsintegrierte Sprachbildung in Schlüsselsituationen« umgesetzt wurde. In diesen Verbünden ging es darum, den Fachkräften Kompetenzen zu vermitteln, mit denen sie im Kita-Alltag die Sprachentwicklung der Kinder durch qualitativ hochwertige sprachliche Äußerungen anregen können. Inhaltlich vermittelt das Konzept Kompetenzen zu Sprachförderstrategien und zum Erkennen und Nutzen von Schlüsselsituationen, in denen eine solche Sprachförderung stattfinden kann. Methodisch setzt der Ansatz auf das Konzept des situierten Lernens, also ein Lernen direkt in Umgebungen und Situationen, in denen das zu lernende Verhalten benötigt wird. Dieses situierte Lernen verspricht einen Transfer von theoretisch vermitteltem Wissen in Kompetenzen, die von den Fachkräften im Alltag eingesetzt werden können.

Kapitel zwei von Christine Steinmetzer und Sarah Girlich informiert darüber, wie in Zusammenarbeit zwischen dem Landeskompetenzzentrum zur Sprachförderung an Kindertageseinrichtungen in Sachsen (LakoS) und sechs Leipziger Kitas ein Curriculum entwickelt und erprobt wurde, das pädagogische Fachkräfte in der Anwendung von Strategien alltagsintegrierter sprachlicher Bildung (für Kinder unter und über drei Jahren) unterstützt. Die im Curriculum vermittelten Kompetenzen wurden in den Kitas erprobt und im Nachhinein gemeinsam reflektiert. Ein wichtiger Aspekt des Konzepts ist der Transfer: Es geht darum, wie es gelingen kann, theoretisch vermitteltes Wissen in Kompetenzen umzuwandeln, die im Kita-Alltag von den pädagogischen Fachkräften eingesetzt werden können. Dies wird durch Praxisaufgaben und eine Bereitstellung zeitlicher Ressourcen durch die Einrichtungen sowie einen Praxisaustausch zu erreichen versucht.

Im dritten Kapitel stellen Christa Kieferle und Eva Reichert-Garschhammer ein Professionalisierungskonzept vor, das in Bayern innerhalb dreier BiSS-Verbünde in Zusammenarbeit zwischen zwölf Kitas und dem IFP (Staatsinstitut für Frühpädagogik) durchgeführt wurde. Das Konzept dient dazu, die Kompetenzen pädagogischer Fachkräfte im Erkennen des Sprachstandes von Kindern und eines daran anknüpfenden sprachlichen Inputs zu erweitern. Die Fachkräfte sollen befähigt werden, eine optimale sprach- und literacy-anregende Umgebung bereitzustellen. Diese Professionalisierung hat als dreiphasiges Begleitkonzept eine Inputphase, in der theoretisches Wissen, Workshops und Praxisaufgaben zur alltagsintegrierten sprachlichen Bildung im Fokus stehen, eine Phase des Voneinander-Lernens, in der Einrichtungen sich gegenseitig Beispiele guter Praxis demonstrieren, sowie eine auf die Zukunft ausgerichtete Phase professioneller Lerngemeinschaften, in der die Akteure auch nach Abschluss der BiSS-Initiative im Austausch bleiben und z. B. thematisch passende Blended-Learning-Angebote bearbeiten.

Kapitel 1:
»Mit Kindern im Gespräch« – Qualifizierungskonzept zur Sprachbildung und Sprachförderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen.1 Verbund »Gezielte alltagsintegrierte Sprachbildung in Schlüsselsituationen in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg«

Gisela Kammermeyer, Sarah King, Patricia Goebel, Angie Lämmerhirt, Anja Leber, Astrid Metz, Angelika Papillion-Piller & Susanna Roux

Das Qualifizierungskonzept »Mit Kindern im Gespräch« fokussiert auf die Verbesserung der Interaktionsqualität. Ziel ist es, die pädagogischen Fachkräfte beim Erwerb von Sprachförderstrategien, bestehend aus Frage- und Modellierungsstrategien, Strategien zur Konzeptentwicklung und Rückmeldestrategien zu unterstützen. Diese Strategien werden in Schlüsselsituationen im pädagogischen Alltag (Lesesituationen, Routinesituationen, gezielte Aktivitäten, Symbol- und Rollenspiele und spontane Sprechanlässe) angewandt. Im Mittelpunkt steht dabei, die Kinder zum Denken und Sprechen und so zu langanhaltenden Gesprächen anzuregen. Methodisch baut das Qualifizierungskonzept auf dem Konzept des »Situierten Lernens« auf, mit dessen Hilfe der Transfer von der Qualifizierung in den Kita-Alltag erleichtert wird. Dieser Ansatz ist gekennzeichnet durch das Herstellen authentischer Situationen, das Betrachten verschiedener Perspektiven, die Berücksichtigung des Kontextes, kognitive Aktivierung und kooperatives Lernen. Der Kern des Qualifizierungskonzepts stellt die Identifizierung gelingender Situationen im Rahmen von Videoanalysen dar. Beschrieben wird auch die konkrete Umsetzung des Konzepts (struktureller Rahmen, Ablauf der Qualifizierung, Aufbau der Module, Struktur der Bausteine, ausgewählte Materialien).

Einleitung

Mittlerweile gibt es eine breite Übereinstimmung in Forschung und Praxis, dass für die Sprachentwicklung der sprachliche Input eine entscheidende Rolle spielt. Mehrfach belegt ist jedoch auch, dass dessen Qualität in deutschen Kindertagesstätten eher gering ausgeprägt ist (vgl. Kammermeyer, Roux & Stuck, 2017; von Suchodoletz, Fäsche, Gunzenhauser & Hamre, 2014; Wildgruber, Wertfein, Wirts, Kammermeier & Danay, 2016). Um diese Qualität zu verbessern, werden Qualifizierungskonzepte benötigt. Erfolgversprechend erscheinen solche, die sich direkt auf den sprachlichen Input beziehen. Im Rahmen der Bund-Länder-Initiative »Bildung durch Sprache und Schrift (BiSS)« wurde ein solches Qualifizierungskonzept mit dem Namen »Mit Kindern im Gespräch« für die gezielte alltagsintegrierte Sprachbildung entwickelt. Durch die Unterstützung der Ministerien in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg war es möglich, dieses Konzept in verschiedenen Umsetzungsvarianten mit den Teilnehmenden zu erproben. Mit Hilfe der Rückmeldungen der Teilnehmenden wurde das Qualifizierungskonzept in vier Verbünden (einem Zusammenschluss von drei bis zehn Kitas und/oder Schulen) in den genannten Bundesländern weiterentwickelt, es wird derzeit im Rahmen von BiSS summativ evaluiert. In Rheinland-Pfalz wird »Mit Kindern im Gespräch« gemeinsam mit Grundschullehrkräften durchgeführt und im Primarbereich auch formativ evaluiert.

1          Worum geht es im Qualifizierungskonzept »Mit Kindern im Gespräch?«

Im Folgenden werden das Ziel und die theoretischen Grundlagen des Qualifizierungskonzepts präsentiert. Der inhaltliche Fokus auf Sprachförderstrategien und Schlüsselsituationen wird daran anschließend ausführlich dargestellt. Der methodische Fokus Situiertes Lernen wird zum einen im Überblick beschrieben, zum anderen wird differenziert auf die Videoanalyse eingegangen.

1.1         Ziel

»Mit Kindern im Gespräch« ist ein Qualifizierungskonzept mit Fokus auf die Verbesserung der Interaktionsqualität für die durchgängige Sprachbildung und Sprachförderung von Kindern unter drei Jahren (Kammermeyer et al., 2017c), von Kindern in der Kita (Kammermeyer et al., 2017b) und von Kindern in der Grundschule (Kammermeyer et al., 2017a). Ziel ist es, pädagogische Fachkräfte beim Erwerb von Sprachförderstrategien und deren Anwendung in Schlüsselsituationen im Alltag von Kindertageseinrichtungen und Grundschulen zu unterstützen. Im Mittelpunkt steht dabei, die Kinder mit den erworbenen Sprachförderstrategien zum Sprechen und Denken anzuregen und so langanhaltende und intensive Gespräche zu fördern. Dies wird durch eine dreifache Fokussierung erreicht: inhaltlich auf Sprachförderstrategien sowie Schlüsselsituationen und methodisch auf den Ansatz des Situierten Lernens. Zentrales Kennzeichen des Qualifizierungskonzepts ist, dass es vorrangig um den Erwerb von konkreten Handlungskompetenzen geht und weniger um die Veränderung von Orientierungen (z. B. Bild vom Kind) sowie den Aufbau von Fachwissen (z. B. zu Sprachentwicklungsstörungen). Das Konzept »Mit Kindern im Gespräch« zielt sowohl auf sprachliche Bildung als auch auf zusätzliche Sprachförderung ab (Kammermeyer & Roux, 2013). Der Begriff »Sprachförderstrategien« wurde gewählt, weil er im Elementarbereich gebräuchlicher ist als »Sprachlehrstrategien«.

1.2         Theoretische Grundlagen

Das Qualifizierungskonzept legt seinen Schwerpunkt auf die Verbesserung der Interaktionsqualität. Es baut damit theoretisch zum einen auf dem Process-Person-Context-Time-Model (»PPCT-Modell«) von Bronfenbrenner und Morris (2006) und zum anderen auf der Entwicklungstheorie von Vygotsky (1987; vgl. Bodrova & Leong, 1996) auf.

Im theoretischen Modell von Bronfenbrenner und Morris (2006) wird davon ausgegangen, dass Einflussfaktoren, die direkt in der Interaktion mit Kindern sichtbar sind (wie z. B. der Einsatz von Sprachförderstrategien durch eine pädagogische Fachkraft), sich stärker auf die (sprachliche) Entwicklung auswirken als solche, die eher im weiteren Umfeld der Sprachbildungsaktivitäten zu finden sind (wie z. B. Gruppengröße, Fachkraft-Kind-Schlüssel, Qualifikation bzw. bisherige Erfahrungen der pädagogischen Fachkraft). Dies bedeutet beispielsweise, dass die Qualifikation einer pädagogischen Fachkraft (z. B. ein Bachelor-Abschluss) nur indirekt einen Einfluss auf die Sprachentwicklung von Kindern hat. Die sprachliche Entwicklung wird direkter durch qualitativ hochwertige Erzieherin- bzw. Erzieher-Kind-Interaktionen bewirkt. Auch eine Verbesserung des Fachkraft-Kind-Schlüssels wirkt sich erst dann positiv auf die Entwicklung von Kindern aus, wenn es dadurch zu langanhaltenden Interaktionen mit Kindern kommt. Damit die Interaktionen ihre Wirkung entfalten können, müssen sie regelmäßig und über einen längeren Zeitraum hinweg stattfinden.

Auch in der Entwicklungstheorie von Vygotsky (1987) spielen die soziale Interaktion, die Verbindung von Sprechen und Denken und Anregungen in der Zone der nächsten Entwicklung eine zentrale Rolle. Im Alter zwischen zwei und drei Jahren verbinden sich Sprechen und Denken. Denken benötigt auf der einen Seite Sprache als Ausdrucksform und auf der anderen Seite wird Sprache anspruchsvoller, weil sie dazu verwendet wird, über das eigene Denken Auskunft zu geben. Interaktion wird somit als »bildender Dialog« gedacht, als »angeleitete Entdeckungsreise« und nicht als frei dahin plätschernde Diskussion (Bodrova & Leong, 1996, S. 114; vgl. auch Textor, 1999).

1.3         Fokus Sprachförderstrategien

Im Qualifizierungskonzept »Mit Kindern im Gespräch« werden Strategien fokussiert, die sich zur Anregung sprachlicher Bildungsprozesse eignen. Sie werden folgenden drei Strategiebereichen, die sich am Classroom Assessment Scoring System (CLASS) von Pianta, La Paro und Hamre (2008) orientieren, zugeordnet:

•  den Frage- und Modellierungsstrategien,

•  den Strategien zur Konzeptentwicklung und

•  den Rückmeldestrategien,

die sich in »Mit Kindern im Gespräch« wiederum jeweils in einfache und komplexe Sprachförderstrategien unterteilen lassen.

Unter einfache Sprachförderstrategien fallen solche Strategien, die von vielen pädagogischen Fachkräften bereits angewendet werden und auch zur intuitiven Elterndidaktik (Papoušek, 1998) gehören, wie z. B. die Erweiterung einer kindlichen Äußerung oder die indirekte Korrektur. Diese Strategien regen Kinder eher in geringerem Maße kognitiv an und führen weniger wahrscheinlich zu komplexen kindlichen Äußerungen und langanhaltenden Gesprächen. Sie sind im pädagogischen Alltag häufig zu beobachten und beziehen sich meist auf das konkret Wahrnehmbare im Hier und Jetzt (Kontextualisierung). Unter komplexen Sprachförderstrategien werden hingegen solche Strategien verstanden, die die Kinder in höherem Maße kognitiv anregen und sie mit größerer Wahrscheinlichkeit zu komplexen Äußerungen und langanhaltenden Gesprächen anregen. Wenn Kinder herausgefordert werden, ihr Vorwissen zu aktivieren, kommt es zu einem vertieften Nachdenken und zu einer differenzierteren Auseinandersetzung mit einem Thema (u. a. Helmke, 2015). Sie äußern sich sprachlich differenzierter, indem sie zum Beispiel ihre Ideen, Konzepte, Lösungen etc. verbalisieren. Diese komplexen Sprachförderstrategien sind im pädagogischen Alltag seltener zu beobachten und zielen meist auf Abstraktes, nicht konkret Wahrnehmbares (Dekontextualisierung).

Frage- und Modellierungsstrategien

Frage- und Modellierungsstrategien zielen darauf ab, Reaktionen bei den Kindern hervorzurufen bzw. ihnen ein sprachliches Modell zu bieten. Frage- und Modellierungsstrategien werden unterschieden in einfache Frage- und Modellierungsstrategien: (a) Ja-/Nein-Fragen stellen, (b) Alternativfragen stellen, (c) Quizfragen stellen (d) handlungsbegleitend sprechen, und in komplexe Frage- und Modellierungsstrategien: (a) offene Fragen stellen und (b) denkbegleitend sprechen.

Vor allem offene Fragen regen Kinder zum Nachdenken an, aber auch Ja-/Nein-Fragen, Alternativ- und Quizfragen können ihr Denken herausfordern. Hierbei spielt der Inhalt eine bedeutende Rolle. Eine einfach zu beantwortende Ja-/Nein-Frage wie z. B. »Magst du Bananen?« ist weniger anregend als »Mögen Tiere das gleiche Essen wie Menschen?« Das Gleiche gilt für Alternativ- und Quizfragen. Eine Alternativfrage wie z. B. »Trägt die Tierpflegerin blaue oder rote Schuhe?« ist weniger denk- und gesprächsanregend als die Frage »Ist Tierpflegerin ein Beruf oder ein Hobby?« Entsprechendes gilt für die wenig anregende Quizfrage »Wo steht das Pferd?« im Vergleich zu der herausfordernderen Quizfrage »Wo leben Pferde?«

Beim denkbegleitenden Sprechen, in der Literatur häufig auch als »lautes Denken« bezeichnet (u. a. Leuchter, 2014), kommentiert die erwachsene Person ihre eigenen Gedankengänge und bietet dem Kind so ein komplexes sprachliches Modell. Sie beschreibt, was sie gerade denkt, wie sie ein Problem löst oder strategisch dabei vorgeht und wie sie zu einer Entscheidung kommt. Das Denken kann sich dabei sowohl auf Probleme im kognitiven Bereich (z. B. Wie löse ich eine Aufgabe?) als auch im sozial-emotionalen Bereich (z. B. Was denkt/fühlt eine andere Person?) (Perspektivenwechsel) beziehen. Das denkbegleitende Sprechen unterscheidet sich vom handlungsbegleitenden Sprechen insofern, als dass beim handlungsbegleitenden Sprechen das offensichtlich wahrnehmbare Handeln verbalisiert wird, während beim denkbegleitenden Sprechen mentale Überlegungen versprachlicht und häufig auch durch die Sprecherin oder den Sprecher bewertet werden.

Strategien zur Konzeptentwicklung

Ziel des Einsatzes der Strategien zur Konzeptentwicklung (häufig synonym zu Begriffsbildung gebraucht) ist es, bei den Kindern an bereits vorhandenen Vorstellungen zu einem Phänomen anzuknüpfen, diese zu erweitern und die Kinder zu unterstützen, neue Konzepte aufzubauen. Konzepte beziehen sich auf das komplette Wissen, das mit einem Wort assoziiert wird, es handelt sich um individuelle Vorstellungen, die sich durch den ständigen Abgleich des Wissens mit Erfahrungen und Wahrnehmungen weiterentwickeln (Bartnitzky et al., 2009). Konzeptentwicklung kann gelingen, indem die pädagogische Fachkraft Gespräche auf einem komplexeren Anregungsniveau initiiert, die dem Kind ein vertieftes Auseinandersetzen mit einem Thema ermöglichen. In diesen Gesprächen kann sie u. a. auf Erfahrungen des Kindes eingehen und es anregen, Zusammenhänge herzustellen.

Im Rahmen des Qualifizierungskonzepts geht es zum einen um die einfache Strategie zur Konzeptentwicklung zum Benennen und Beschreiben anregen von Lebewesen (oder fiktiven Figuren), Gegenständen, Orten (Bezeichnung, Name, Größe, Form, Farbe, Anzahl) und eigenen oder fremden Handlungen und zum anderen um die komplexen Strategien zur Konzeptentwicklung: (a) nach Erfahrungen und Vorwissen fragen, (b) nach persönlichen Vorstellungen fragen, (c) Meinungen erfragen, (d) zum Herstellen von Zusammenhängen anregen, (e) zum Vergleichen anregen und (f) zum Nachdenken über Sprache und Schrift anregen.

Bei der einfachen Strategie zum Benennen und Beschreiben anregen bezieht sich die pädagogische Fachkraft auf das konkret Wahrnehmbare (z. B. im Bilderbuch), bei den komplexen Strategien zur Konzeptentwicklung hingegen geht sie im Gespräch über das konkret Wahrnehmbare hinaus und regt das Kind zu Antworten an, die nicht direkt dem Bild entnommen werden können, sondern durch Nachdenken erschlossen werden müssen (vgl. Beck, McKeown & Kucan, 2008; Sigel, 2000; Silverman, 2007; Tompkins, Zucker, Justice & Binici, 2013).

Die einfachen Strategien zur Konzeptentwicklung dienen in der Regel dem Einstieg in ein Gespräch und sorgen für eine gemeinsame Gesprächsgrundlage. Sie geben Kindern Halt und Sicherheit und schaffen so eine gute Ausgangsbasis. Außerdem bieten sie Kindern, die am Anfang ihres Spracherwerbs bzw. des Spracherwerbs im Deutschen stehen, die Möglichkeit, sich sprachlich zu äußern. Hinzu kommt, dass Kinder durch diese Strategien zur Teilnahme an Gesprächen motiviert werden und dabei auch Erfolgserlebnisse haben (van Kleeck, 2008). Sie regen sie jedoch weniger zu komplexeren Äußerungen und zu langanhaltenden Gesprächen an.

Der Einsatz der komplexen Strategien zur Konzeptentwicklung hingegen führt dazu, dass sich Kinder mental vom Hier und Jetzt in den Abstand bewegen. Es wendet sich so nicht konkret Wahrnehmbarem und nicht Greifbarem zu, wie z. B. Vergangenem, Zukünftigem und Abstraktem (vgl. Sigel, 2000). Dabei werden die dekontextualisierten sprachlichen Fähigkeiten, wie der Gebrauch komplexerer grammatikalischer Strukturen und differenzierter Begriffe (Wortschatz), angeregt und gefördert. Diese Loslösung vom konkreten Kontext ist ein wichtiger Entwicklungsschritt für Kinder und eine zentrale Voraussetzung für den Schriftspracherwerb (vgl. Lengyel, 2009). Der Einfluss dieser Strategien auf den Wortschatzerwerb ist darauf zurückzuführen, dass durch intensive Gespräche Beziehungen zwischen Begriffen, die im eigenen Begriffsnetz (vgl. auch Wissenslandkarte nach Fried, 2007; Albers, 2011) enthalten sind, hergestellt bzw. enger geknüpft werden. Außerdem können in anspruchsvollen Gesprächen neue Wörter eingeführt und dem Kind die Gelegenheit gegeben werden, den Wörtern häufiger zu begegnen und diese aktiv anzuwenden (vgl. Beck et al., 2008).

Wie können Begriffe nachhaltig eingeführt werden?

Ein wesentlicher Teil der Konzeptentwicklung stellt die Einführung von Begriffen dar, die insbesondere für jüngere Kinder bzw. Kinder im Zweitspracherwerbsprozess eine wichtige Rolle spielt und auch für die Grundlegung von Bildungssprache zentral ist. Eine Methode zur Einführung von Begriffen stellt der aus den USA stammende Ansatz »Text Talk – Robust Vocabulary Instruction for grades K-3« (Beck et al., 2008) dar. Die Methode wurde für die systematisch geplante nachhaltige Begriffseinführung mit vier- bis zehnjährigen Kindern entwickelt. Im Mittelpunkt des Ansatzes steht die aktive Auseinandersetzung der Kinder mit Begriffsbedeutungen in Erwachsenen-Kind-Interaktionen, die zu einer deutlichen Verbesserung des Leseverständnisses führte (hierzu zusammenfassend McKeown & Beck, 2011). In »Text Talk« geht es um zwei zentrale Fragestellungen:

a)  Welche Begriffe sollen ausgewählt werden?

b)  Wie sollen die ausgewählten Begriffe eingeführt werden?

a)  Welche Begriffe sollen ausgewählt werden?

Die Frage, welche Begriffe erarbeitet werden sollen und können, wird in der amerikanischen Fachliteratur ausführlich diskutiert. Hier gibt es mittlerweile weitgehende Übereinstimmung, dass dies differenzierte Begriffe sein sollen. Anerkannt ist die Unterscheidung von Beck, McKeown und Kucan (2002; 2008), in der Begriffe in drei Ebenen eingeteilt werden.

•  Als Ebene-1-Wörter werden Alltagsbegriffe bezeichnet, die keiner besonderen Aufmerksamkeit durch die pädagogische Fachkraft bedürfen, da die Kinder diese, bevor sie in die Schule kommen, nebenbei im Alltag erwerben (z. B. Hund, essen, heiß). Sie stellen in der Regel für Kinder mit Deutsch als Erstsprache keine große Herausforderung dar.

•  Ebene-2-Wörter sind differenzierte Begriffe, also solche, die die Kinder nicht nebenbei im Alltag erwerben und daher von der pädagogischen Fachkraft besondere Aufmerksamkeit verlangen (z. B. Zufall, erreichen, erschöpft). Differenzierte Begriffe sind oft präziser als Alltagsbegriffe und können in verschiedenen Kontexten vorkommen. Beispielsweise kann das Verb erreichen bedeuten, dass man an einem Ort ankommt oder eine bestimmte Punktzahl in einem Test erhält etc. Auf dem Weg zur Bildungssprache sind diese Begriffe besonders wichtig, da sie den Weg vom Mündlichen zum Schriftlichen ebnen. Hat ein Wort mehrere Bedeutungen, wie z. B. das Verb abziehen, kann es verschiedenen Ebenen zugeordnet werden. Das Kind versteht unter dem Wort abziehen alltagssprachlich, dass beispielsweise ein Aufkleber von einem Gegenstand abgelöst wird. Auf Ebene 2 hingegen erhält das Wort eine andere Bedeutung. Im Kontext des Mathematikunterrichts versteht man darunter das Subtrahieren. Der Erwerb dieser Begriffe erfordert vom Kind eine größere Anstrengung und ist entscheidend für das Sprachverständnis.

•  Unter Ebene-3-Wörter sind Fachbegriffe zu verstehen, die nur in einem bestimmten Bereich vorkommen (z. B. Lava, experimentieren, elektromagnetisch). Erwachsenen ist meist klar, dass die Kinder diese Wörter bzw. Begriffe nicht kennen, weshalb sie häufig erklärt werden.

Die Notwendigkeit, differenzierte Begriffe auch bereits in Kindertagesstätten gezielt einzuführen, wird in Deutschland in jüngster Zeit im Zusammenhang mit der Bedeutung der Bildungssprache für den Schulerfolg zunehmend erkannt (vgl. Mannel, Hardy, Sauer & Saalbach, 2016). Frühe Bildungssprache ist u. a. durch den Aufbau eines umfangreichen, differenzierten Wortschatzes charakterisiert (vgl. Sterner, Skolaude, Ruberg & Rothweiler, 2014; Tietze, Rank & Wildemann, 2016). Differenzierte Begriffe sind notwendig, um etwas zu erzählen, zu beschreiben, zu erfragen, zu vermuten, zu erklären oder zu begründen. Wichtig hierbei ist, dass das nicht nur Substantive, Verben und Adjektive sind, sondern auch Adverbien (z. B. zuerst, danach, deshalb) und Präpositionen (z. B. in, auf, unter, vor etc.). Kinder im Vorschulalter verwenden beispielsweise im Alltag meist allgemeine, unspezifische Verben wie machen (z. B. Mach mal die Tür zu!) (Gogolin, Neumann & Roth, 2007; vgl. Tietze et al., 2016, S. 10), der differenzierte Begriff schließen wäre der Bildungssprache zuzuordnen.

b)  Wie sollen die ausgewählten Begriffe eingeführt werden?

Mit ihrem Programm »Text Talk – Robust Vocabulary Instruction for grades K-3« geben Beck et al. (2008) konkrete Anregungen, wie die für die jeweiligen Vermittlungsstrategien ausgewählten Begriffe eingeführt werden können. Sie konkretisieren dies in einem Fünf-Stufen-Modell (hier am Beispiel des Begriffs › zögern‹ verdeutlicht):

•  Stufe 1: Kontextualisiere den Begriff (z. B. »In der Geschichte zögert Lisa, ohne ihren Teddy aus dem Laden zu gehen.«)

•  Stufe 2: Erkläre die Bedeutung des Begriffs (z. B. » Zögern bedeutet, dass man wartet, etwas nicht macht, da man sich nicht ganz sicher ist.«)

•  Stufe 3: Wende den Begriff auf einen weiteren Kontext an (z. B. »Jemand könnte zögern, wenn er etwas zum Essen noch nicht kennt.«)

•  Stufe 4: Gib den Kindern Gelegenheit, den Begriff aktiv zu verwenden (z. B. »Warum hast du auch schon mal gezögert?«)

•  Stufe 5: Sorge dafür, dass es viele Gelegenheiten zur Begegnung mit dem Begriff gibt (z. B. liest die pädagogische Fachkraft verschiedene Beispielsätze vor, die das Wort »zögern« enthalten. Die Kinder entscheiden, ob das Wort »zögern« richtig oder falsch verwendet wird.)

Im Rahmen dieser fünf Stufen der nachhaltigen Begriffsbildung werden die Kinder immer wieder auch direkt aufgefordert, den ausgewählten Begriff aktiv zu verwenden.

Rückmeldestrategien

Im Qualifizierungskonzept geht es um spezifische lernförderliche Rückmeldestrategien (vgl. Helmke, 2015), die zum Sprechen und Denken anregen, nicht um Kurzlob. Diese wohl häufigste Rückmeldung im frühpädagogischen Alltag (z. B. prima, toll, gut gemacht) ist unspezifisch und für die sprachliche Förderung nur wenig effektiv (vgl. Hattie & Timperley, 2007), da sich diese einfache Bekräftigung nur auf die Person bezieht und lediglich motivationale Bedeutung hat. Hattie und Timperley (2007, S. 102) bezeichnen Feedback als »eine bewusste Rückmeldung von Informationen an eine Person zu ihrem vorherigen Verhalten«. Der deutsche Begriff »Rückmeldung« wird gewählt, da er inhaltlich klarer und spezifischer ist als der in vielen unterschiedlichen Kontexten verwendete Begriff »Feedback«.

Die Rückmeldestrategien werden unterschieden in die einfachen Rückmeldestrategien (a) Wiederholung, (b) Umformulierung, (c) Indirekte Korrektur und (d) Erweiterung und in die komplexen Rückmeldestrategien (a) Denken sichtbar machen, (b) Infragestellen und Irritieren, (c) Denk- und Lerngerüst geben und (d) Lernprozesse sichtbar machen.

Einfache Rückmeldestrategien sind solche, die an der konkreten kindlichen Äußerung anknüpfen und darauf abzielen, dem Kind ein sprachliches Modell zu bieten. Die komplexen Rückmeldestrategien orientieren sich ebenfalls eng an einer Äußerung eines Kindes oder einer Handlung und regen das Kind zum Nachdenken und Sprechen über das eigene Denken und Lernen an. Beide Strategien tragen dazu bei, mit einem Kind über mehrere Sprecherwechsel hinweg im Gespräch zu bleiben und so in ein langanhaltendes Gespräch zu kommen.

Die Effektivität von Rückmeldungen ist in Metaanalysen zu Feedback allgemein sehr gut belegt (Hattie & Timperley, 2007; Kluger & DeNisi, 1996). In der viel beachteten Mega-Studie von Hattie (2013) gehört Feedback zu den zehn einflussreichsten Faktoren auf das Lernen. Es gibt jedoch sehr viele verschiedene Formen von Rückmeldung mit sehr unterschiedlichen Wirkungen, was darauf hinweist, dass einige Formen wirksamer sind als andere. Nach dem derzeitigen Forschungsstand gehört die gezielte Rückmeldung, die Lehrpersonen Lernenden geben, zu den zehn einflussreichsten Faktoren auf das Lernen.

1.4         Fokus Schlüsselsituationen

Auch wenn pädagogische Fachkräfte über die notwendigen Kompetenzen verfügen, um die dargestellten Sprachförderstrategien gezielt einzusetzen, bedeutet dies noch nicht, dass es ihnen tatsächlich gelingt, diese in der Praxis anzuwenden. Sie benötigen in ihrem Alltag Situationen, in denen dies möglich ist. Hierbei gibt es Situationen, die von der pädagogischen Fachkraft gezielt geplant werden können, wie die Lesesituation, die auch unter Bilderbuchbetrachtung oder Vorlesen thematisiert wird. Es gibt aber auch spontane Sprechanlässe, die sich aus der Alltagssituation ergeben und die deshalb nicht vorhersehbar und planbar sind. Ziel ist es, die pädagogischen Fachkräfte zum bewussten Einsatz der Sprachförderstrategien in nahezu allen pädagogischen Alltagssituationen zu qualifizieren. Ausgegangen wird im Qualifizierungskonzept »Mit Kindern im Gespräch« von der Lesesituation in der besonderen Form des Dialogischen Lesens. Diese Situation kann als prototypische Situation nicht nur für die Anwendung, sondern auch für den Erwerb von Sprachförderstrategien angesehen werden. Die meisten Forschungserkenntnisse zu Sprachförderstrategien stammen aus Studien zum Dialogischen Lesen (Whitehurst et al., 1988; Whitehurst et al., 1994; Whitehurst & Lonigan, 1998). Im Anschluss an die Schlüsselsituation »Lesesituation« erfolgt in der Qualifizierung die Auseinandersetzung mit denjenigen Situationen, in denen die Strategien außerdem angewendet werden können und die in der pädagogischen Alltagspraxis eine bedeutende Rolle einnehmen. Sie sind absteigend hinsichtlich ihres Grades an Regelmäßigkeit, Vorhersehbarkeit und damit auch Planbarkeit angeordnet. Der Aufbau geht damit von stärker strukturierten und planbaren sprachförderlichen Situationen aus (wie Lesesituationen, Routinesituationen, gezielte Aktivitäten) und führt über weniger planbare und geringer strukturierte Situationen (wie Symbol- und Rollenspiele) hin zu nicht planbaren, spontan auftretenden Sprechanlässen. Das heißt, der Grad an Strukturierung der Situation und damit die Planbarkeit der sprachfördernden Anregungen nimmt von Stufe zu Stufe ab. Die Komplexität der Situation hingegen und damit auch die Anforderungen an die Kompetenz der pädagogischen Fachkraft, die Strategien einzusetzen, steigen von Stufe zu Stufe an. Während die pädagogische Fachkraft in der Lesesituation die Möglichkeit hat, den Strategieeinsatz vorzubereiten und die Situation zu planen (z. B. indem sie ein (Bilder-)Buch aussucht und sich im Vorfeld überlegt, ob und welche Wörter sie wie neu einführen möchte), ist sie bei im Alltag sich zufällig ergebenden spontanen Sprechanlässen darauf angewiesen, dass sie die in der Qualifizierung erlernten Sprachförderstrategien spontan anwenden kann. Die Schlüsselsituationen beinhalten nicht nur das Potenzial, mit Kindern über reale und mentale Phänomene zu sprechen, sie eignen sich auch dafür, mit Kindern über Schrift ins Gespräch zu kommen.

1.5         Fokus Situiertes Lernen

Zentrales Kennzeichen des Qualifizierungskonzepts »Mit Kindern im Gespräch« ist, dass es neben dem inhaltlichen Fokus auf Sprachförderstrategien und Schlüsselsituationen auch einen expliziten methodischen Fokus auf Situiertes Lernen hat. Hierunter werden Methoden zusammengefasst, die sich in der Fortbildungsforschung als effektiv erwiesen haben (Hartinger, Lohrmann, Rank & Fölling-Albers, 2011). Sie sind nach Hartinger et al. (2011) gekennzeichnet durch folgende Merkmale:

•  Authentische Situationen

•  Betrachten verschiedener Perspektiven

•  Berücksichtigung des Kontextes

•  Kognitive Aktivierung

•  Kooperatives Lernen

Authentische Situationen