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Über dieses Buch:

Weil das Beste immer zum Schluss kommt … Die Stadtverwaltung von Tomelilla hat die beiden rüstigen Freundinnen Alma und Margit kurzerhand aus ihren hübschen Häuschen in ein Pflegeheim umquartiert: Platz für eine lukrative Feriensiedlung soll her. Doch so einfach lassen sich die Freundinnen nicht als altes Eisen abstempeln! Kurzerhand schalten sie eine Dating-Anzeige in der schwedischen Lokalzeitung – und können sich bald vor liebestollen Verehrern kaum mehr retten. Das treibt die garstige Heimleiterin zur Weißglut … und spielt Alma und Margit perfekt in die Hände: Der Feldzug, um ihre Selbstständigkeit und ihr geliebtes Zuhause zurückzuerobern, hat gerade erst begonnen!

Über die Autorin:

Karin B. Holmqvist, geboren 1944 im südschwedischen Simrishamn, machte eine kurze Karriere in der Kommunalpolitik und arbeitete anschließend als Sozialarbeiterin. In ihrer Freizeit ist sie Kabarettistin und schreibt Romane sowie Gedichte.

Bei dotbooks veröffentlichte Karin B. Holmqvist bereits die Romane »Schwedischer Sommer«, »Schwedisches Glück«, »Schwedische Herzen«, »Villa mit Herz« und »Die Liebe kommt an Regentagen«.

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eBook-Neuausgabe März 2019

Dieses Buch erschien bereits 2009 unter dem Titel »Zwei Damen auf Männerfang« bei Piper

Copyright © der schwedischen Originalausgabe 2006 by Karin Brunk Holmqvist

Die schwedische Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel »Sirila gentlemän sökes« bei Kabusa Böcker, Göteborg

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2009 by Piper Verlag GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/united photo studio

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96148-383-9

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Karin B. Holmqvist

Das fabelhafte Haus des Glücks

Roman

Aus dem Schwedischen von Annika Krummacher und Holger Wolandt

dotbooks.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Danksagung

Lesetipps

Liebe Leserin, lieber Leser,

es ist wieder Zeit für ein neues Buch. Genauso verrückt wie meine anderen? Natürlich, aber das heißt noch lange nicht, dass es ihm an Ernsthaftigkeit mangelt, und vielleicht ermutigt es auch zum Nachdenken. Wieder einmal möchte ich den Beweis antreten, dass wir alten Frauen uns etwas trauen und sehr wohl noch einiges können!

In diesem Buch setzen meine alten Damen große Pläne in die Tat um, und zwar durch Ideenreichtum und Aktivität. Außerdem trauen sie sich aufzubegehren, um ihr Ziel zu erreichen. Dass das Ganze schließlich auch noch den Alltag der beiden alten Damen bereichert, dazu kann man ihnen wohl nur gratulieren.

»Das fabelhafte Haus des Glücks« ist wie auch meine früheren Bücher fiktiv. Das heißt, dass die Personen nicht in der Realität existieren, wobei sie für mich während des Schreibens in höchstem Grad real waren. Ich habe mich über die Fortschritte der beiden Damen gefreut und zugleich ein bisschen boshaft über diejenigen gelächelt, die mit Fug und Recht eins ausgewischt bekommen.

Gewisse Orte im Buch gibt es auch in der Wirklichkeit, während andere reine Erfindung sind. Das heißt, dass Sie, liebe Bewohner und Kenner von Tomelilla, weder Zeit noch Kraft darauf verschwenden sollten, bestimmte Orte in der Realität aufzuspüren, weil sie möglicherweise fiktiv sind.

Ich habe gründlich recherchiert, dass in Tomelilla erfreulicherweise weder der etwas suspekte Gemeinderat noch die unfreundliche Leiterin des Altenheims in Wirklichkeit existieren.

Mit diesen Worten übergebe ich das Buch an Sie, liebe Leserinnen und Leser, und hoffe, dass Sie während des Lesens ebenso viel Freude haben werden wie ich beim Schreiben.

Karin B. Holmqvist

Kapitel 1

Wie die Henker, dachte Alma Nord, als die beiden Motorräder in Höchstgeschwindigkeit vorbeifuhren – in dem Moment, als sie die Gartenpforte geöffnet und ihre Füße auf den kleinen Kiesweg gesetzt hatte, der sich an ihrem niedrigen, weiß verputzten Haus entlangschlängelte.

Wer nicht wusste, wohin sie gleich gehen würde, der musste nur die Straße genauer betrachten. Quer zu den Spurrinnen, die die Autos hinterlassen hatten, waren kleine Vertiefungen zu sehen. Sie bildeten einen Pfad, der die Autospuren kreuzte. Almas linkes Bein war nämlich kürzer als ihr rechtes, und jedes Mal, wenn das kürzere Bein gegen den Straßenbelag stieß, hinterließ es einen Abdruck.

Almas kleiner Pfad führte zu einem grau verputzten Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Frequenz der Besuche zwischen den beiden Häusern war höher als die des Busses zwischen Tomelilla und Ystad, pflegten Alma und Margit zu witzeln.

Alma folgte dem Gartenweg, der von weiß gekalkten Steinen gesäumt war. Sie hielt sich am Geländer fest, während sie die beiden Treppenstufen zur rot gestrichenen Tür hochstieg. Ein plötzlicher Windstoß versetzte die etwas zu große Fassadenfahne in Bewegung, sodass sie Alma ins Gesicht fuhr. Alma schob die Fahne beiseite, öffnete die Tür und rief: »Hallihallo, Margit. Ich bin's!«

»Bin in der Küche!«

Das war genau genommen eine unnötige Information, da Margit sich tagsüber fast immer in der Küche aufhielt.

»Unglaublich, dass die keine Gläser herstellen können, die sich öffnen lassen.« Wieder und wieder versuchte Margit Berg, das Marmeladenglas zu öffnen, und ihr blasses Gesicht wies allmählich einen leicht rötlichen Ton auf. Sie sah nicht einmal zu Alma auf, sondern setzte ihren Kampf fort.

»Darf ich mal versuchen?« Alma streckte ihre Hand aus.

»Wenn ich das nicht kann, kannst du es auch nicht«, antwortete Margit in etwas scharfem Ton.

Die beiden Nachbarinnen waren beinahe wie Schwestern nach all den Jahren, die sie einander gegenüber gewohnt hatten, und trotz ihrer tiefen Freundschaft war manchmal eine gewisse Irritation zwischen ihnen zu bemerken.

»Piks mit einem Messer ein Loch in den Deckel, damit das Vakuum weggeht. Dann wird sich das Glas schon öffnen lassen.«

Margit schnaufte und stellte das Glas beiseite.

»Dann gibt es heute eben keine Marmelade.«

Sie setzten sich einander gegenüber an den rechteckigen Küchentisch. Mitten auf der grauen Resopalplatte lag ein sorgfältig gebügeltes Deckchen mit handbestickten Blumen. Margit nutzte ihre Gebäcketagere als Brotkorb: Auf der oberen Etage befanden sich zwei Stücke Weißbrot und auf der unteren zwei Scheiben Knäckebrot. Unter dem Brot lagen leuchtend rote Kaffeeservietten.

Sie tranken stets ihren Vormittagskaffee zusammen. Immer abwechselnd bei Alma und bei Margit. Das Sortiment auf den Kuchentellern sah gleich aus, egal, bei wem gerade Kaffee getrunken wurde. Es gab sogar eine Übereinkunft zwischen ihnen, damit sie nicht anfingen, sich gegenseitig zu übertrumpfen.

»Bald muss ich mir wohl eine Kette für die Brille besorgen.« Margit stand auf und suchte erst auf der Küchenarbeitsplatte und verschwand dann ins Wohnzimmer. Alma erhob sich rasch, zog ein scharfes Messer aus einer der Küchenschubladen und pikste ein Loch in den Deckel des Marmeladenglases. Gerade als dieser ein Klicken von sich gab, kam Margit mit der Brille in der Hand in die Küche zurück. Wütend starrte sie Alma an, die bereits den Deckel abschraubte und das Marmeladenglas auf den Tisch stellte.

An der Wand hing eine runde Uhr, die hartnäckig tickte. Rechts und links davon befanden sich zwei Wandteppiche. Auf den Fensterbänken standen vier weiße Übertöpfe mit rosafarbenen Usambaraveilchen. Die weißen Tüllgardinen mit Rüschen verliehen dem Ganzen etwas von einem Mädchenzimmer. Die Kücheneinrichtung war alt, aber gut erhalten. Oben hingen die hellblau gestrichenen Oberschränke und ein Gewürzregal, unten standen schmale Unterschränke mit Schiebetüren. Am unteren Rand der Oberschränke waren mit Reißzwecken hellblau gepunktete Bordüren befestigt. Die Herdplatten hatten Abdeckungen aus Kupfer, und auf die weißen Fliesen oberhalb der Spüle hatte Margit Aufkleber mit Phantasiemustern geklebt.

Die beiden Damen saßen schweigend da, während sie ihre Butterbrote schmierten. Im Transistorradio auf dem Küchentisch liefen die Regionalnachrichten. »Damit kommen wir zum Wochenendwetter, das zu kühl für die Jahreszeit ist. An der Ostküste sind Schnee- oder Regenschauer zu erwarten.«

Margit stellte das Radio ab.

»Haben die nichts Netteres zu melden?«, meinte sie.

»Also, dass jetzt März ist, kann man kaum glauben«, seufzte Alma.

»Na, immerhin sind die Frühblüher aufgegangen.«

»Ja, das stimmt. Hast du gestern im Fernsehen die Sendung ›Plus‹ gesehen?«, fragte Alma, während sie sich ein Stückchen Knäckebrot abbrach und in den Mund steckte.

»Ja, natürlich. Ist schon ein stattlicher Mann, dieser Jerker.«

»Sverker heißt der, Sverker Olofsson«, korrigierte Alma sie. »Ja, er sieht gut aus, und er kann den Leuten so richtig die Meinung sagen.«

»Wie den Typen von der Handyfirma, die diese arme Frau übers Ohr gehauen haben. Eine Schande ist das!«

»Aber das Unternehmen musste ganz schön zu Kreuze kriechen und ihr das Geld zurückzahlen.«

»Und das Handy hat Jerker am Ende der Sendung in den Mülleimer geworfen.«

»Sverker«, korrigierte Alma wieder.

Dann kicherten sie beide. Ein Höhepunkt der Sendung war es, dass der Moderator am Ende etwas in die Mülltonne warf, und sie amüsierten sich jede Woche aufs Neue darüber.

Draußen im Garten waren in den Beeten die ersten Frühlingsblumen zu sehen. Die Fliederlaube wirkte noch etwas kahl, weil sich das Grün noch nicht auf den Zweigen ausgebreitet hatte. Margit hatte von ihrem Haus eine bezaubernde Aussicht über die südschwedische Landschaft. Die Äcker waren frisch gepflügt, und die gleichmäßigen Furchen verliefen wie parallele Saiten bis zum Horizont.

Margit Berg war einundachtzig Jahre alt, doch ihr Körper war schlank und jugendlich. Ihr Gesicht war wohlproportioniert, und die wenigen Falten waren nicht tief, sondern lediglich weiche Linien in ihrer blassen Haut. Sie lebte seit beinahe fünfzig Jahren in dem Haus. Kurz nach ihrer Heirat hatten sie und Sture es zusammen gekauft. Im darauffolgenden Jahr war Axel auf die Welt gekommen Er war ein Einzelkind, gehegt und geliebt. Sture war gestorben, als Axel fünfzehn war, und Margit war froh gewesen, dass wenigstens ihr Sohn im Haus wohnte.

Alma Nord war schon viele Jahre Margits Nachbarin. Sie hatte das Haus zusammen mit ihrem Bruder Ove gekauft, der wie Alma nie geheiratet hatte. Seit Oves Tod trafen Alma und Margit sich täglich. Alma war kürzlich neunundsiebzig geworden, sah aber älter aus. Sie war eher kräftig, und ihr humpelnder Gang, der angeboren war, hatte ihren Körper mit den Jahren etwas schief gemacht. Doch sie hatte wunderschönes dunkles Haar mit nur ganz wenigen grauen Strähnen, und ihr Mund war so rot, dass man hätte glauben können, dass sie Lippenstift benutzte. Ja, trotz ihres etwas schwerfälligen Körpers war Alma auf ihre Weise schön und strahlte eine echte Wärme und Güte aus.

Die beiden Damen vertrieben sich die Tage damit, in ihren Gärten zu werkeln, sofern die Jahreszeit es zuließ. Sie schmückten ihre Häuschen, und abends bot der Fernseher eine beliebte Beschäftigung. Am Wochenende schauten sie manchmal zusammen fern, aber sie waren beide selbstständig und legten Wert auf ihre Freiheit. Natürlich hatten sie, seit sie beide alleinstehend waren, schon mal darüber diskutiert, ob sie nicht zusammenziehen sollten, um Geld zu sparen, aber da ihre Häuser schon längst abbezahlt waren, hielten sich die Wohnkosten in Grenzen, weshalb sie sich mit ihren täglichen Treffen begnügten.

An Gesprächsthemen mangelte es ihnen nie, sie hatten aber auch keine Angst vor längeren Gesprächspausen. Manchmal fuhren sie mit dem Bus nach Ystad, um einkaufen zu gehen. Sie waren Mitglieder in einem Seniorenklub, und wenn sie auch nicht regelmäßig an den Treffen teilnahmen, so nutzten sie doch die Gelegenheit, wenn ab und zu eine nette Veranstaltung auf dem Programm stand.

Margits Sohn Axel wohnte mit seiner Familie ebenfalls in Tomelilla. Er hatte eine kleine Klempnerfirma und konnte es immer mal einrichten, die beiden Damen zum Seniorenklub zu fahren. Seine Frau Greta arbeitete bei einem Pflegedienst, und wenn sie freihatte, übernahm sie es manchmal, sie hinzubringen. Margit schloss die Familie ihres Sohns jeden Abend in ihr Nachtgebet ein. Ohne ihre Hilfe wäre sie bestimmt nicht so gut klargekommen.

Ihr Enkel Christer hatte kürzlich den Führerschein gemacht, aber Margit hatte ganz entschieden abgelehnt, sich von ihm fahren zu lassen, ehe er mehr Erfahrung gesammelt hatte. Früher hatte Christer manchmal in den Sommerferien bei ihr gewohnt, und sie hatte es geliebt, mit ihm zu spielen und ihm vorzulesen, aber in den letzten Jahren hatten sie irgendwie den Kontakt zueinander verloren. Er war so groß und polterig geworden. Im Ohr trug er einen Ring und an den Handgelenken schwarze Lederriemen, aber natürlich nahm er sie in den Arm, wenn sie sich mal sahen. Nun ja, was vorbei ist, ist vorbei, dachte Margit manchmal, und man muss dankbar für das sein, was man erlebt hat. Ordentlich und nett war der Junge natürlich, aber keineswegs so gepflegt wie sein Vater in diesem Alter.

Margit schenkte Kaffee nach, und Alma nickte ihr freundlich zu.

»Ich verstehe gar nicht, warum die Männer immer so angeberisch sein müssen«, sagte Alma plötzlich. »Hast du gesehen, wie Anton Kvist sich neulich beim Seniorentanz wie ein Pfau vor den Damen gespreizt hat? Was hat er schon, worauf er so stolz sein könnte?«

»Es liegt wohl an diesem Glockenspiel, das den Männern zwischen den Beinen baumelt. Das scheint ihnen das Gefühl zu geben, als seien sie was Besonderes. Nun ja, wenn man nicht mehr hat, worauf man stolz sein kann ... Ein Schmuckstück ist es jedenfalls nicht.«

Alma kicherte laut, griff nach der roten Serviette und hielt sie sich verlegen vor den Mund.

»Nicht dass ich irgendwelche Erfahrung hätte, was das betrifft ...«, murmelte Alma, und dann ertönte das erste Lachen des Tages in Margits Küche. Alma klopfte leicht mit der Faust auf den Küchentisch, und Margit schaukelte vor und zurück, während sie sich auf die Knie schlug.

»Was wir für ein Zeug reden«, sagte Alma schließlich und wurde wieder ernst.

»Aber es stimmt doch, und hübsch ist es wirklich nicht.«

»Was für ein Glück, dass ich nie einen Mann abbekommen habe. Man hört ja so viel. Hjördis zum Beispiel.«

»Welche Hjördis?«

»Hjördis in Bengtsbo, unten am Wald. Ihr Allan scheint ein richtiger Sauertopf zu sein. Nett ist er auch nicht zu ihr.« Alma runzelte besorgt die Stirn. »Aber trotzdem hat sie ein fröhliches Gemüt. Irgendwann hat sie mir von Allan und seiner ganz besonderen Gangart erzählt. Er geht tatsächlich etwas merkwürdig, das muss man schon sagen.«

»Was hast du gehört?« Margit lehnte sich eifrig über den Tisch.

»Na ja, sein vornübergebeugter Gang ist dir doch wohl aufgefallen?«

Margit nickte und wartete auf die Fortsetzung.

»Hjördis meint, dass er aussieht wie ein Skispringer. Man hat den Eindruck, als würden seine Schuhe am Boden haften, fast so, als wären sie festgeleimt, während er selbst in einer Neigung von zwanzig Grad vornübergebeugt dasteht, ohne hinzufallen. Und in der Haltung kann er sogar gehen. Einmal hat sich Hjördis breitbeinig auf den Wohnzimmerfußboden gestellt, um auszuprobieren, wie weit sie sich vorbeugen kann, ohne hinzufallen. Plötzlich stand Allan in der Tür. ›Was in aller Welt machst du denn da?‹, hat er gefragt.«

Die beiden Damen kicherten.

»Hjördis war es peinlich«, fuhr Alma fort. »Und sie wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie war ganz angespannt und nervös, und plötzlich begann sie zu lachen. ›Du hast sie nicht mehr alle, das ist mal klar‹, sagte Allan da. Er ist noch lange in der Türöffnung stehen geblieben. Erst als er zum Küchenausgang rausgegangen war und die Tür so laut zugeknallt hatte, dass die kleine quadratische Glasscheibe nur so schepperte, hat sich Hjördis wieder in die Küche getraut.«

»Und das hat sie selbst erzählt?«, fragte Margit erstaunt.

»Ja, und sie hat auch gesagt, dass sie manchmal das Gefühl hat, innen ganz leer zu sein, sie spürt eine widerhallende Leere oder wie sie es ausgedrückt hat. Wenn sie sich so fühlt, dann hilft es meistens, wenn sie sich die Zeigefinger in die Ohren steckt. Sie hat das Gefühl, als würde der Körper dann ruhiger.«

»Oje.« Margit schüttelte den Kopf.

»Jedenfalls hat sich Hjördis auf einen Küchenstuhl gesetzt, die Augen geschlossen und sich die Zeigefinger in die Ohren gesteckt«, fuhr Alma fort, die richtig stolz war, dass sie etwas erzählen konnte, was Margit noch nicht wusste. »Als Hjördis einige Sekunden später die Augen wieder öffnete, stand Allan vor ihr und starrte sie an. Er schüttelte bloß den Kopf und ging dann ins Wohnzimmer.«

»Also, Sachen gibt es ...«

»Du hattest die Geschichte also noch nicht gehört?«, fragte Alma, denn sie wollte bestätigt wissen, dass sie mit einer wirklichen Neuigkeit aufgewartet hatte. »Bevor man so einen bekommt wie Allan Blom, ist es doch besser, gar keinen zu haben.« Aber sie sah ein bisschen traurig aus, als sie das sagte. »Hast du eigentlich schon Blumen gesät?«, erkundigte sie sich dann.

»Dieses Jahr werde ich mir Setzlinge kaufen. Wenn die Samen keimen, entstehen bei mir nur hoch aufgeschossene Stiele, die schon bald über den Blumentopfrand hinaushängen. Nein, dieses Jahr werde ich Pflanzen kaufen, das habe ich beschlossen.«

»Du hast ganz recht, Margit, es lohnt kaum die Mühe, die Blumen selbst zu säen. Und dann muss man sie auf Fensterbrettern und Tischen im Haus unterbringen.«

Sie nickten in schweigendem Einverständnis. Alma rollte die Serviette zusammen. »Danke für den Kaffee, Margit.«

Sie stand auf und schob den Stuhl unter den Tisch.

»Deine Usambaraveilchen sind wirklich wunderschön.« Sie zog die Gardine zur Seite und beugte sich über die Blumentöpfe.

»Du kannst gerne eine haben, wenn ich sie das nächste Mal teile.«

»Danke, sehr gern.«

Alma machte sich auf den Weg in den kleinen Flur. Dort befanden sich lediglich ein Telefontischchen, ein Stuhl und eine Hutablage. Zwei Sicherheitsketten waren an die Tür montiert. Margit ließ Alma hinaus, die sich beim Gehen bückte, um nicht schon wieder die Fassadenfahne ins Gesicht zu bekommen.

Das kürzere, linke Bein stieß hart auf den Kiesweg, als sie Margits Haus verließ, und sobald sie auf der Straße war, drehte sie sich um. Margit stand wie immer hinter der Küchengardine und winkte ihr zu. Jeden Tag dasselbe Ritual, mal von Almas Haus, mal von Margits. Jeden Vormittag verabschiedeten sie sich, als würden sie auf eine große Reise gehen.

Alma hatte keine Sicherheitsketten an ihrer Tür, aber sie beeilte sich, die Tür von innen abzuschließen. Dann ging sie in die Küche und schaltete die kleine Lampe über dem Herd an. Ende März und den ganzen Tag dunkel, dachte sie mürrisch. Sie ließ sich schwer auf einen Küchenstuhl fallen und saß eine ganze Weile still da. Dann begann sie sich am Ohr zu kratzen, erst vorsichtig, dann mit immer eifrigeren Bewegungen. Sie schüttelte den Kopf, als würde das helfen, dann stand sie auf und verschwand im Badezimmer.

Dort holte sie sich aus dem kleinen Spiegelschrank ein Wattestäbchen heraus, das sie sich ins Ohr steckte. Vorsichtig drehte sie es um und hob gleichzeitig den Blick zum Spiegel. Wie siehst du bloß aus?, sagte sie im Stillen zu sich selbst. Es war jedes Mal das Gleiche, wenn sie sich die Ohren reinigte: Der Kopf lag schief, und der Mund stand weit offen. Sie konnte nicht begreifen, warum sie jedes Mal den Mund offen stehen hatte, wenn sie sich die Ohren reinigte. Aber es ließ sich nicht ändern, denn sobald sie den Mund schloss, hielt die Hand aus irgendeinem Grund in ihrer Bewegung inne. Schließlich wickelte sie das Wattestäbchen in ein Stück Toilettenpapier und warf es in die Mülltüte.

»Das Glockenspiel, das ihnen zwischen den Beinen baumelt«, sagte sie laut und kicherte verlegen. Dann drehte sie sich um, als befürchtete sie, dass jemand sie gehört haben könnte.

Kapitel 2

Ulla Ström saß in ihrem Büro im Altenheim von Tomelilla. Das Telefon klingelte, und sie antwortete mit barscher Stimme: »Ulla Ström, Heimleiterin.« Dann wurde ihre Stimme plötzlich weich. Sie stand auf und schloss die Tür, schob die Mappe beiseite, die vor ihr auf dem Schreibtisch lag, und stützte die Ellbogen auf die Tischplatte.

»Du darfst nicht hier anrufen, das habe ich dir doch gesagt.« Sie lächelte verführerisch. »Nein, heute Abend kann ich nicht. Unsere Enkel sind zu Besuch. Nein, das geht nicht. Aber morgen haben wir ein Meeting, dann können wir uns hinterher kurz sehen. Ja, prima.« Sie lächelte vor sich hin. »Es ist abends schon länger hell, am besten sammelst du mich draußen am Wald auf. Auf dem Parkplatz am Friedhof. Wir müssen vorsichtig sein. Bussi, bussi!«

Es klopfte an der Tür, und Ulla zuckte zusammen.

»Herein!« Ihre Stimme hatte wieder die gewohnte Barschheit zurückgewonnen.

»Wir müssen mehr Personal für die Spätschicht organisieren.« Die Pflegehelferin sah irritiert aus.

»Unser Personalbudget ist schon ausgeschöpft. Wir müssen versuchen, mit den vorhandenen Kräften auszukommen.« Ulla Ströms Stimme klang nicht so, als gäbe es noch Spielraum für Verhandlungen.

»Aber Siv und Kerstin sind beide krank ...«

»Wir müssen versuchen, es so hinzubekommen, Carina. Es hat schon prekärere Situationen gegeben. Noch was?«

Carina knallte die Tür mit voller Kraft hinter sich zu.

»Carina!«

Die Tür öffnete sich wieder vorsichtig, und Carina sah herein, ohne etwas zu sagen.

»Das ist ein Altenheim, Carina. Hier knallen wir nicht mit den Türen. Die Senioren brauchen ihre Ruhe.«

»Ruhe!« Carina schnaufte. »Heute Nacht wird es kaum Ruhe geben. Die alten Leute werden ständig nach uns klingeln.«

Sie schloss die Tür und stürmte den Flur entlang davon.

Ulla seufzte irritiert und zog wieder die Mappe auf dem Schreibtisch heran. Sie lehnte sich in ihrem Bürostuhl zurück und schloss die Augen.

Alma machte ein Mittagsschläfchen auf dem Wohnzimmersofa. Auf dem Couchtisch lagen ihre Brille und die Tageszeitung »Ystads Allehanda«. Sie hatte sich über die Beine eine Decke gelegt, an deren unterem Ende ihre hellblauen, etwas fusseligen Hausschuhe hervorschauten.

Das Haus war nicht groß. Es gab eine Küche, ein kleines Wohnzimmer, ihr Schlafzimmer und natürlich die gute Stube, die sie fast nie benutzte. Dort standen der alte Esstisch mit sechs Stühlen, ein Bücherregal und drüben an den Fenstern, die zum Garten hinausgingen, ein Blumentischchen. Es hatte drei dünne Beine aus Teakholz und einen kastenförmigen Aufsatz, in dem drei Grünpflanzen standen. Den Esstisch schmückte ein gehäkeltes Deckchen, auf dem eine Vase mit Trockenblumen stand.

Da Alma keine Verwandten mehr hatte, nutzte sie das Zimmer äußerst selten. An den Weihnachtsfeiertagen lud sie natürlich Margit und ihren Sohn Axel mit Familie ein – als Dankeschön für die vielen Male, die er sie im Lauf des Jahres mit dem Auto irgendwo hingebracht hatte. Sie fand, dass einem Zimmer, das nicht benutzt wurde, irgendwie die Seele fehlte. Die gute Stube gab es nur, weil es sie immer dort gegeben hatte. Im Wohnzimmer hingegen war es richtig gemütlich. Unter dem niedrigen Couchtisch aus Teakholz lag ein roter Wiltonteppich. Auf dem Tisch standen eine Obstschale und eine kleine Bonbonniere, die saure Drops enthielt. Die beiden kleinen Sprossenfenster gingen zur Rückseite des Hauses hinaus. Dort befand sich der Garten, und dahinter war der Wald zu sehen, ein beliebtes Spaziergebiet mit Trimm-dich-Pfad.

Der Garten war hübsch und gepflegt. Alma hatte schon die Büsche beschnitten und das letzte Laub weggeharkt. An der Hauswand blühten bereits die Osterglocken. Im hinteren Teil gab es einen etwas erhöhten Steingarten. Ganz oben standen ein farbenprächtiger Gartenzwerg und eine Gans, die aus Beton gegossen waren. Alma war meist etwas unangenehm berührt, wenn sie die beiden Figuren betrachtete. Sie hatte sie sich kurz nach dem Tod ihres Bruders Ove gekauft. Immer schon hatte sie sich einen Gartenzwerg gewünscht, aber Ove hatte sich geweigert, so etwas Kitschiges für den Garten zu kaufen. Seit dem Kauf des Gartenzwergs hatte sie das Gefühl, Ove eins ausgewischt zu haben, doch irgendwie war sie auch der Meinung, dass sie jetzt, nach seinem Tod, den Garten nach ihrem eigenen Geschmack schmücken durfte.

Als sie den Gartenzwerg auf seinen Platz gestellt hatte, war es ihr schwergefallen, sich vom Fenster loszureißen. Sie fand, es sah richtig hübsch und dekorativ aus. Doch dann kam der Herbst, und draußen war es so kalt und ungemütlich. Der Gartenzwerg sah außerdem so allein aus, wo doch die ganzen Pflanzen Winterschlaf hielten. Da hatte sie ihm eine Gans als Gesellschaft gekauft. Als die Abende kalt zu werden begannen, taten ihr die Figuren leid, und sie stellte sich vor, dass sie froren. Da legte sie ihnen eine Decke über. Ein bisschen albern fand sie es schon, aber sie schlich trotzdem jeden Abend hinaus und brachte ihnen die Decke. Und um die Wahrheit zu sagen, gab sie ihnen auch noch einen kleinen freundschaftlichen Klaps. Sie waren für sie beinahe wie Familienmitglieder.

Eines Morgens hatte sie vergessen, die Decke wieder wegzunehmen, und als Margit zum Vormittagskaffee gekommen war, hatte sie erstaunt gefragt, warum draußen auf den Figuren eine Mohairdecke liege. Alma hatte rasch geantwortet, dass die Decke vor Vermoosung schützen solle. Doch Margit schien ihr nicht so recht zu glauben und warf noch mehrmals erstaunte Blicke auf das seltsame Arrangement.

Alma erhob sich vom Sofa und faltete sorgfältig die Decke zusammen, die sie sich über die Beine gelegt hatte. Sie setzte ihre Brille auf und ging zum Fenster. Eine Weile sah sie in den Garten hinaus. Zwar wurden ihre Kräfte mit den Jahren weniger, aber auf den Garten wollte sie auf keinen Fall verzichten. Das Haus und der Garten waren ihre einzigen Fixpunkte im Leben ... und natürlich Margit, die in so praktischer Entfernung wohnte.

Alma ging in die Küche und setzte sich fröstelnd an den Küchentisch. Nach ihrem Mittagsschlaf war ihr immer ein wenig kühl. Das Küchenfenster, von dem aus sie zu Margit hinüberschauen konnte, war mit zarten geblümten Gardinen versehen. Sie hatte sie vor einigen Jahren auf dem Markt in Sjöbo gekauft. Früher waren Margit und sie mit dem Bus hingefahren, inzwischen aber begnügten sie sich mit einer kleinen Runde auf dem Markt in Tomelilla. Dort wurden dieselben Dinge wie auf dem Markt in Sjöbo angeboten. Zwar gab es weniger Karusselle, aber das war ja mittlerweile auch nicht mehr so wichtig.

Der Markt von Sjöbo war in Almas Kindheit und Jugend der Höhepunkt des Jahres gewesen. Die besondere Magie, die Spannung, die Düfte und all das Schöne, was es dort zu kaufen gab. Sie hatte immer ein bisschen Marktgeld von ihren Eltern bekommen, das für Zuckerwatte, ein Glückslos und eine Runde auf einem der Karusselle gereicht hatte. Sie hatte ihre Eltern fest an der Hand gehalten und mit großen Augen all das betrachtet, was es auf dem Markt gab. Die lärmende Musik aus den Lautsprechern, die Durchsagen, mit denen irgendwelche Leute gesucht wurden, und die Ausrufer der Varietés – all das war so fremd gewesen und hatte sich ein bisschen verrucht angefühlt.

Die besoffenen Männer vor den Bierzelten hatten sie erschreckt, und sie hatte ihre Eltern noch fester an der Hand gepackt. Niemals würde sie vergessen, wie sie das erste Mal hatte Kettenkarussell fahren dürfen. Der dunkelhaarige Mann, der sie an der Schaukel angeschnallt hatte, sein alkoholgeschwängerter Atem und wie er ihr etwas aufdringlich über die nackten Beine gestrichen hatte. Sie hatte ihr geblümtes Kleid zurechtgezupft, weil sich die Schaukel aus Plastik kalt und unangenehm angefühlt hatte. Als das Fahrgeschäft startete, hatte sie zu ihren Eltern hinuntergeschaut. Sie lächelten und winkten ihr zu, aber sie traute sich nicht, ihren krampfhaften Griff um die Ketten der Schaukel zu lockern. Dann hob sie ab – höher und höher, ein schwindelerregendes Gefühl. Sie hatte eine unglaubliche Aussicht über den Marktplatz, das Gewimmel, die blinkenden Lichter von den anderen Karussellen, sie hörte die Rufe und das Gelächter. Alma konnte dieses Gefühl jederzeit wieder in sich wachrufen.

Sie erinnerte sich auch an das kleine Kinderkarussell und die Tombola, die zum Markt dazugehörten. Die Bevölkerung unterstützte den örtlichen Betreiber der Tombola, und die Lose gingen weg wie warme Semmeln. Damals gab es noch keine so genauen Kontrollen, was die Tombola betraf, und man erzählte sich, wie in einem Jahr einem konkurrierenden Losverkäufer am Nachbarstand aufgefallen war, dass der örtliche Tombolabetreiber zwar unglaublich viele Lose verkaufte, dass es jedoch den ganzen Tag über keine Gewinne zu vermelden gab. Kurz bevor sie ihre Sachen zusammenpackten, ging der Mann zu seinem Konkurrenten und befragte ihn wegen der ausbleibenden Gewinne.

»Oje«, sagte der örtliche Tombolabetreiber ein bisschen verlegen. »Ich habe ja ganz vergessen, die Lose mit den Gewinnen unterzumischen!« Die Erklärung war, dass er auf je tausend Lose auch eine kleine Tüte mit Gewinnlosen hätte mischen sollen. Aber der konkurrierende Losverkäufer war ein freundlicher Mann und machte kein Aufhebens um die Sache, sondern sagte einfach: »Na ja, leben tut man ja vom Verdienst.«

Manchmal, wenn Alma an den Markt dachte, musste sie die Augen fest zusammenkneifen, als würde sie Schmerz empfinden. Im ganzen Körper verspürte sie eine Art Schmerz, wenn sie an den Pferdemarkt dachte, den es früher auf dem Markt in Sjöbo gegeben hatte. Er hatte frühmorgens stattgefunden, und die Pferdehändler waren von nah und fern gekommen. Der Pferdemarkt hatte ein Stück entfernt vom normalen Markt gelegen. Ein einziges Mal war Alma mit ihrem Vater dort gewesen, ein einziges Mal und nie wieder, das hatte sie nach dem Besuch beschlossen. Die schönen Pferde mit ihren großen, dunklen Augen, ihr Wiehern und ihr ungeduldiges Scharren mit den Hufen, die Peitschenhiebe, die durch die Luft pfiffen, die besoffenen Kerle und die ganzen Schaulustigen, die das Elend auch noch guthießen. Ja, das Ganze war eine eher traurige Veranstaltung gewesen. Alma versuchte, die Erinnerungen nicht aufsteigen zu lassen, aber manchmal tauchten sie trotzdem auf.

Die Geschäfte wurden auf traditionelle Weise per Handschlag geschlossen und mit einem Schnaps besiegelt. Die Pferdehändler wischten den Flaschenhals ab, und dann bekam auch der Käufer einen Schluck Hochprozentiges. Alma erinnerte sich an die großen Brieftaschen der Pferdehändler. Sie waren dick und unförmig, und wenn die Besitzer mit ihren groben, schmutzigen Fingern die kleine Metallspange drückten, glichen die Brieftaschen langen Ziehharmonikas mit ihren vielen Fächern. Die Fächer waren mit Geldscheinen vollgestopft gewesen, was Alma fasziniert und sie für eine kurze Weile die Pferde hatte vergessen lassen.

Aber die fragenden Augen der Tiere, als wollten sie wissen, was mit ihnen geschehen würde, diese Blicke würden sie für immer begleiten, und sie empfand großes Mitleid für die schlecht behandelten Pferde. Daher hatte Alma mit Freude vor einigen Jahren in der Zeitung gelesen, dass der Gemeinderat von Sjöbo beschlossen hatte, den Pferdemarkt zu verbieten.

Alma zog die Gardine beiseite. Im selben Moment entdeckte sie Margit im gegenüberliegenden Fenster, und sie winkten einander zu. Eine warme Welle stieg in Alma auf. Danke, lieber Gott, für Margit, dachte sie und blickte dann weiter hinunter die Straße entlang. Dort stand eines der gemeindeeigenen Autos, und ein paar Männer waren damit beschäftigt, am Straßengraben Messstäbe in den Boden zu stecken. Es ist ja auch an der Zeit, dass sie endlich den Weg erneuern, dachte Alma zufrieden.

Kjell Johansson bog in den Friedhofsparkplatz ein. Es hatte zu dämmern begonnen, und er beobachtete unruhig die Hundebesitzer, die mit ihren Kötern auf dem Weg in den Wald waren. Er war aufgekratzt und irritiert zugleich. Das Wissen, dass Ulla bald mit ihrem Auto auf den Parkplatz kommen würde, erfüllte ihn natürlich mit freudiger Erwartung, aber er war gleichzeitig genervt, dass sie sich immer nur im Geheimen treffen konnten. Als Politiker und zudem noch Mitglied der Opposition im Gemeinderat war er in Tomelilla durchaus bekannt, und wenn seine und Ullas heimliche Treffen aufgedeckt würden, dann wäre seine politische Karriere in Gefahr.

Kjell sah auf die Uhr in seinem Auto. Ulla hatte angerufen und gesagt, dass sie sich vermutlich gegen sechs von der Arbeit freimachen konnte. Pünktlich wie immer hatte er sein kleines rotes Auto um exakt sechs Uhr geparkt. Er nutzte die Wartezeit, um alle SMS in seinem Handy zu löschen. Ullas löschte er immer sofort, aber die anderen pflegte er eine Weile aufzuheben. Manchmal hatte er die Befürchtung, dass seine Ehefrau Eva-Britt Verdacht schöpfte, wenn er relativ kurzfristig wegfuhr. Sollte sie eine der Nachrichten von Ulla lesen, käme es zur Katastrophe. Er würde auf die Straße gesetzt werden, da Eva-Britt über weitaus mehr Vermögen verfügte als er und zudem alleinige Eigentümerin des Hauses war.

In diesem Moment rollte Ullas Wagen heran, und sie winkte ihm fröhlich zu. Daraufhin drehte sie sich um, vergewisserte sich, dass niemand in der Nähe war, und stieg schnell in Kjells Auto. Er startete den Motor, noch ehe sie die Beifahrertür geschlossen hatte, und legte einen Kavaliersstart hin. Gerade als sie um die Ecke bogen, kam ein Paar vorbeispaziert. Ulla duckte sich. Ehe sie sich wieder aufrichtete, streichelte sie Kjell über die Oberschenkel, und er legte seine Hand auf ihre Haare.

»Hallo«, sagte sie.

»Hallo, meine Kleine. Endlich allein.«

»Allein?« Ulla machte eine Geste in Richtung Spazierweg.

»Wo fahren wir hin?«

»Zu dir oder zu mir?«, meinte Ulla lachend.

»Na, dann schlage ich den Parkplatz am Svampakreisel vor, wo sich morgens immer die Fahrgemeinschaften treffen. Da ist nach fünf Uhr selten jemand.«

»Ach, dass wir uns nie in einer ganz normalen Umgebung treffen können!« Ullas Stimme klang irritiert.

»Schlag doch einen besseren Platz vor, wenn du einen weißt.«

»Als Kommunalpolitiker müsstest du doch wohl eine Wochenendkonferenz organisieren können, an der sowohl der Gemeinderat als auch wir Heimleiter und die Abgeordneten des Sozialausschusses teilnehmen.«

»Gar nicht so leicht, wenn die Kassen leer sind. Für den Rest des Jahres herrscht Konferenzstopp. Stattdessen sind Tagesmeetings in der Gemeindeverwaltung angesagt.«

»Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg«, fuhr Ulla beleidigt fort.

Kjell fuhr routiniert durch den Svampakreisel und bog dann auf den Parkplatz ein. Ein einziges Auto parkte dort, das allerdings schon länger dastand, und zwar Tag und Nacht. Sobald Kjell den Motor ausgestellt hatte, löste er den Gurt und drehte sich zu Ulla um.

»Bekomme ich ein Bussi?«

»Kein Bussi, aber dafür einen richtigen Kuss.« Ulla umarmte ihn und gab ihm einen langen, verruchten Kuss. »Aua! Musst du die Handbremse anziehen? Ist nicht gerade bequem.« Ihre Stimme klang wieder genervt.

Kjell löste die Handbremse, drehte sich zu Ulla zurück und fuhr mit dem Küssen fort.

»Das Auto rollt!«, schrie Ulla im selben Moment, als das Auto einen Satz machte.

»Verdammt!« Kjell zog die Handbremse schnell an, öffnete die Tür und sah hinaus. »Hast du noch mehr gute Ideen?«, fragte er, während er konstatierte, dass die hinteren Räder über die Kante eines mit Wasser gefüllten Grabens gerollt waren. Er schloss die Autotür wieder, startete den Motor, legte den Gang ein und gab Gas, nur um festzustellen, dass sich die Räder im Leerlauf drehten.

»Was machen wir jetzt?« Plötzlich klang Ullas Stimme kläglich.

»Keine Ahnung.« Kjell stieg aus und sah nach. Die beiden hinteren Räder hingen hilflos über dem Graben. Er setzte sich wieder ins Auto und gab Gas, ohne jedoch von der Stelle zu kommen. »Da kommen wir ohne fremde Hilfe nicht raus«, sagte er düster.

»Meinst du, wir müssen den Abschleppdienst rufen?«

»Ich meine gar nichts. Ich versuche nachzudenken.«

Ulla saß still da und spielte an den Knöpfen ihres Mantels herum.

»Am besten gehst du zu Fuß nach Hause, dann hole ich Hilfe.«

»Zu Fuß nach Hause! Du hast sie ja nicht mehr alle! Das sind drei Kilometer bis zum Ort. Meinst du allen Ernstes, ich soll wie ein Idiot die Landstraße entlangspazieren? In hochhackigen Schuhen?«, fügte sie hinzu.

»Ich kann dir ein Taxi rufen.«

»Du bist wirklich von allen guten Geistern verlassen. Aber klar, wenn du es nicht anders willst, dann von mir aus gern. Ein Taxi! Was glaubst du eigentlich? Dann hätten die wirklich was zu tratschen in der Taxizentrale! Ich gehe zu Fuß!«

»So, jetzt reg dich bitte nicht auf. Du hast mich gebeten, die Handbremse zu lösen.«

Ulla raffte die Handtasche an sich, öffnete die Beifahrertür und ging Richtung Landstraße.

»Ulla, ich verspreche dir, dass ich für unser nächstes Treffen einen netteren Ort organisiere!« Kjell lief ihr ein paar Schritte hinterher, blieb dann aber stehen und kehrte zum Auto zurück.

Im Licht der Straßenbeleuchtung wanderte Ulla Ström, Leiterin des Altenheims, auf der Landstraße Richtung Tomelilla. Ihre hochhackigen Pumps schlugen gegen den Asphalt, und in ihrem Inneren war die warme Erregung der Liebe durch eine eisige Kälte ersetzt worden.

Kapitel 3

Alma stand an der Spüle in der Küche und wusch ihre Strümpfe, als das Telefon im Wohnzimmer klingelte.

»Alma Nord? Aha, klar.« Alma sah fragend aus. »Liegt etwas Besonderes an? Ja, ich komme.« Sie trocknete die Hände am blau-weiß karierten Küchenhandtuch, das sie sich über die Schulter gelegt hatte, und zog den Mantel über.

An der Gartenpforte blieb sie stehen und sah in beide Richtungen. Sie stellte fest, dass Margits Sohn Axel sein Auto am Straßenrand geparkt hatte, und ihr Erstaunen wuchs. Ihr linker Fuß schlug besonders hart auf den Straßenbelag, während sie zu Margits Haus hinüberging. Die Frühlingswinde waren abgeflaut, und die Fassadenfahne hing wie ein schlaffes Segel herab.

Margit öffnete die Tür, noch ehe Alma überhaupt angeklopft hatte.

»Komm herein.«

Alma sah gleich, dass Margit einen nervösen Zug im Gesicht und diese kleinen Zuckungen in den Mundwinkeln hatte, die sie immer bekam, wenn sie unruhig war. In der Küche kam Axel auf sie zu.

»Guten Tag, Alma. Nimm Platz.«

Nie zuvor hatte Alma darüber nachgedacht, wie viele Gedanken binnen weniger Sekunden in den Gehirnwindungen kreisen konnten. Ihr war klar, dass es kein gewöhnliches Kaffeekränzchen war, zu dem sie eingeladen worden war.

»War schon jemand von der Gemeindeverwaltung bei dir, Alma?«, fragte Axel mit erregter Stimme.

»Von der Gemeindeverwaltung?« Alma war verunsichert. »Na ja, die waren im Herbst da, um den Wasserverbrauch abzulesen, aber seitdem nicht mehr.«

»Die Gemeindeverwaltung will die Straße ausbauen und außerdem eine neue Einfahrt zur geplanten Feriensiedlung neben dem Freizeitpark anlegen.«

»Nun, der Weg ist ja auch ein Elend ...«, setzte Alma an. »Die Häuser sollen weg, Alma«, sagte Margit mit schwacher Stimme.

»Welche Häuser?«

»Na, unsere«, fuhr Margit fort, und ihre Stimme war so leise, dass Alma ihre Ohren aufsperren musste, um mitzubekommen, was sie sagte.