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© 2019, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

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ISBN 978-3-440-16523-2

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Signet

Ein schwieriger Fall

Detektivtagebuch von Kim Jülich

Donnerstag, 15:13 Uhr

Es gibt aufregende Neuigkeiten! Der Detektivclub hat einen neuen Fall, und zwar den schwierigsten überhaupt: den No-Jungs-Fall. Aber der Reihe nach. Bei der Clubsitzung gestern im Hauptquartier war die Stimmung ungefähr so fröhlich wie auf einer Beerdigung. Franzi starrte traurig in ihre Teetasse, Marie seufzte pausenlos und ich war auch nicht besonders gut drauf. Der offizielle Teil des Treffens war schnell beendet, da sämtliche Verbrecher der Stadt offenbar gerade eine schöpferische Pause einlegen und unser Detektivclub deshalb vorübergehend arbeitslos ist.

Dann klagten wir einander unser Leid. Es stellte sich heraus, dass jede von uns gerade ziemlichen Liebeskummer hat. Jungs können manchmal aber auch furchtbar unsensible, gefühlskalte Dummköpfe sein! Doch nachdem wir unserem Ärger Luft gemacht hatten, fühlten wir uns schon etwas besser.

Schließlich klopfte Franzi mit einem Löffel gegen ihre Teetasse und verkündete: »Mädels, so geht das nicht weiter. Die wunderschöne Adventszeit steht vor der Tür und die sollten wir uns nicht von den Jungs vermiesen lassen. Darum schlage ich vor, dass wir bis Weihnachten eine jungsfreie Zeit einlegen.«

Ist das nicht eine super Idee? Marie war erst etwas skeptisch, ließ sich aber schließlich überzeugen. Wir gelobten alle drei feierlich, bis Weihnachten weder zu flirten noch über unseren Liebeskummer oder über Jungs zu reden. Diese Themen sind ab sofort tabu!

Ich bin gespannt, wie es mit dem No-Jungs-Fall weitergeht. Denn eins ist sicher: Dieser Fall wird alles andere als leicht …

Nachdem Kim ihren Tagebucheintrag beendet hatte, schaltete sie den Computer aus und ging die Treppe hinunter. Heute wurde der Weihnachtsmarkt eröffnet! In einer halben Stunde war sie dort mit Marie und Franzi verabredet. Marie hatte einen Auftritt mit ihrem Schulchor, der ein paar Weihnachtslieder für die Eröffnungsfeier einstudiert hatte. Kim lächelte. Der erste Weihnachtsmarktbesuch des Jahres war immer etwas ganz Besonderes. Sie hatte sich vorgenommen, die Adventszeit in vollen Zügen zu genießen. Gab es etwas Schöneres, als leckere Weihnachtsplätzchen zu futtern, bei Kerzenschein Adventstee zu trinken und Geschenke zu basteln?

»Achtung, Kopfball!«, grölte eine Stimme in ihre Gedanken hinein.

Kim zuckte zusammen, als im Flur ein Ball haarscharf an ihrem Kopf vorbeisauste.

»Das war knapp!« Kims kleiner Bruder Ben kam angelaufen und schnappte sich den Ball. Dann kickte er ihn geschickt zu seinem Zwillingsbruder Lukas ins Wohnzimmer zurück. Die Zwillinge waren zehn Jahre alt und meistens furchtbare Nervensägen.

»Ihr wisst doch genau, dass ihr im Wohnzimmer nicht Fußball spielen sollt …«, begann Kim, aber es war schon zu spät.

Lukas hatte den Ball aus Versehen mit einem kräftigen Tritt gegen den Adventskranz geschossen, den Kims Mutter erst heute Mittag über dem Wohnzimmertisch aufgehängt hatte. Es gab einen dumpfen Knall, als der schwere Kranz auf den Tisch donnerte. Tannennadeln flogen herum und die roten Kerzen landeten polternd auf dem Boden. Als krönender Abschluss rieselte weißer Putz von der Decke. Es sah aus wie Puderschnee.

»Ups!« Lukas starrte schuldbewusst auf die Bescherung, die er angerichtet hatte.

»Guter Schuss«, bemerkte Ben anerkennend.

Frau Jülich stürmte ins Wohnzimmer und schimpfte sofort los: »Wie oft habe ich euch schon gesagt, dass ihr im Haus nicht Fußball spielen sollt? Den Ball kassiere ich ein! Und ihr helft mir jetzt, das Chaos zu beseitigen.«

Kim beschloss, sich lieber unauffällig zu verdrücken. Sie nahm ihre Windjacke von der Garderobe und schlüpfte hinein. Wenigstens hatte ihre Mutter vor lauter Ärger über die Zwillinge ganz vergessen, dass sie Kim eigentlich noch Englisch-Vokabeln hatte abfragen wollen. Frau Jülich war Lehrerin und legte großen Wert darauf, dass ihre Kinder gute Noten bekamen – ein Thema, das seit der letzten Englischarbeit mal wieder für Spannungen zwischen Kim und ihrer Mutter sorgte.

»Ich geh zum Weihnachtsmarkt!«, rief Kim in Richtung Wohnzimmer, wo die Zwillinge gerade dabei waren, die Kerzen wieder einzusammeln. »Bis später!«

Bevor ihre Mutter etwas erwidern konnte, zog sie die Tür hinter sich zu und marschierte los.

»Das Wetter muss bis Weihnachten aber noch anders werden.« Franzi warf einen unzufriedenen Blick zum Himmel, an dem dicke, graue Wolken hingen. Ein für Ende November viel zu warmer Wind blies ihr die roten Ponysträhnen ins Gesicht, als sie neben Kim vor der kleinen Bühne auf dem Marktplatz stand und auf Maries Auftritt wartete. Von Schnee keine Spur, aber wenigstens regnete es nicht.

»Keine Sorge, die Adventszeit fängt ja gerade erst an«, beruhigte Kim ihre Freundin. Sie schnupperte. »Rieche ich da etwa gebrannte Mandeln?« Sie sah sich um.

Der Weihnachtsmarkt bestand wie jedes Jahr aus vielen mit Lichterketten geschmückten Holzbuden, die sich auf dem Marktplatz rund um die Kirche drängelten. Es wurden Kerzen, Weihnachtsbaumschmuck, Holzspielzeug, Gewürze, Tee und viele andere hübsche Kleinigkeiten verkauft. Außerdem gab es natürlich diverse Getränke- und Essensstände sowie ein Karussell für Kinder.

Bevor Kim ausmachen konnte, woher der leckere Duft kam, stieß Franzi sie in die Seite. »Da kommt Marie«, zischte sie. »Es geht los!«

Kim sah zur Bühne, auf der sich gerade der Schulchor von Maries Gymnasium versammelte. Marie stand in der zweiten Reihe und winkte ihren Freundinnen fröhlich zu. Sie hatte ihre Haare zu einem lässigen Pferdeschwanz zusammengebunden und ihr brombeerfarbener Lippenstift harmonierte perfekt mit der Farbe ihres Halstuchs.

»Marie sieht mal wieder super aus«, sagte Kim.

Franzi grinste. »Hast du etwas anderes erwartet?«

Dann begann das Konzert. Der Chor gab bekannte Weihnachtslieder zum Besten, die nicht so ganz zu dem wenig winterlichen Wetter passen wollten. Die Zuhörer, die sich inzwischen vor der Bühne versammelt hatten, wirkten nur mäßig begeistert. Doch das änderte sich schlagartig beim letzten Lied. Es war Stille Nacht, heilige Nacht, das Marie als Solistin vortrug.

Kim stellte wieder einmal bewundernd fest, dass ihre Freundin eine unglaubliche Bühnenpräsenz hatte. Kein Wunder – das schauspielerische Talent hatte sie von ihrem Vater, Helmut Grevenbroich, geerbt, der ein bekannter Fernsehdarsteller war. Außerdem nahm Marie seit Jahren Gesangs- und Schauspielunterricht, weil sie später selbst Sängerin oder Schauspielerin werden wollte. Sie stand nun allein ganz vorne auf der Bühne und sang mit geschlossenen Augen. Und zwar mit solcher Inbrunst, dass die Leute aufhörten, sich zu unterhalten, und gebannt zuhörten. Als der letzte Ton verklungen war, herrschte einen Moment Stille. Dann brach tosender Applaus los, den Marie mit einer tiefen Verbeugung entgegennahm. Kim und Franzi klatschten wie verrückt. Maries Auftritte waren wirklich eine Klasse für sich!

Fünf Minuten später stürmte Marie auf ihre Freundinnen zu.

»Du warst super!« Kim begrüßte Marie mit einer Umarmung.

Franzi nickte eifrig. »Du hast es tatsächlich geschafft, mich bei plus 15 Grad in Weihnachtsstimmung zu versetzen.«

»Freut mich.« Marie grinste und strich sich eine blonde Haarsträhne hinters Ohr. »Dann kann die Adventszeit ja losgehen! Ich sag’s euch, Mädels, wir werden jede Menge Spaß haben.«

Franzi grinste. »Und zwar ganz ohne Jungs – herrlich!«

»Aber dafür brauchen wir eine Extraportion Power.« Kim streckte den Arm aus. Die anderen machten es ihr nach und alle drei legten die Hände übereinander.

»Die drei !!!«, riefen die Freundinnen im Chor.

»Eins!«, sagte Kim, »Zwei!« kam es von Franzi und »Drei!« von Marie.

Dann warfen sie gleichzeitig die Hände in die Luft und riefen, so laut sie konnten: »Power!!!«

Plötzlich begannen ein paar Leute zu klatschen. Kim wurde knallrot, als sie bemerkte, dass sie von allen angestarrt wurden. Offenbar hielten die Umstehenden das Power-Ritual für einen Teil des Weihnachtskonzerts. Kim hasste es, im Mittelpunkt zu stehen, und hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst. Sie blickte sich verzweifelt um. Gab es denn nirgendwo ein Mauseloch, in dem sie sich verkriechen konnte?

Signet

Professor Superschlau

Ein Mauseloch gab es leider nicht. Wegrennen war auch keine Lösung, das wäre nur noch peinlicher und außerdem ziemlich kindisch gewesen.

Kim schenkte den ungebetenen Zuschauern stattdessen einfach ein strahlendes Lächeln. »Danke, vielen Dank! Und eine fröhliche Adventszeit.« Dann hakte sie sich bei ihren Freundinnen unter und ging mit ihnen weiter, als wenn nichts gewesen wäre.

»Und da behauptest du immer, du hättest kein Schauspieltalent.« Marie knuffte Kim anerkennend in die Seite. »Das war ein super Auftritt!«

»Ach Quatsch …«, wehrte Kim ab. Sie wusste, dass ihre Stärken auf anderen Gebieten lagen. Als Kopf des Detektivclubs kannte sie sich ziemlich gut mit Computern und Technik aus. Und sie war eine scharfe Beobachterin. Jetzt zum Beispiel hatte sie die Quelle des leckeren Dufts erspäht.

»Neben dem Kinderkarussell gibt es gebrannte Mandeln!«, verkündete sie. »Ich brauche dringend Nervennahrung für unseren No-Jungs-Fall.«

Marie spendierte eine große Tüte für alle und Franzi zog grinsend eine Thermoskanne aus ihrem Rucksack. »Hat zufällig jemand Lust auf Kakao Spezial

Kim bekam kugelrunde Augen. »Wo hast du den plötzlich her?«

Kakao Spezial mit Vanillearoma war das Lieblingsgetränk der drei !!!. Sie gönnten es sich regelmäßig, wenn sie im Café Lomo ihre Clubsitzungen abhielten.

Franzi schraubte den Deckel der Thermoskanne ab und füllte ihn bis an den Rand mit dampfendem Kakao.

»Ich hab die Chefin vom Café Lomo nach dem Geheimrezept gefragt. Ab heute sind wir unabhängig und können überall und jederzeit unseren Kakao Spezial trinken.«

»Genial!«, fand Kim. Genüsslich nahm sie einen Schluck und sah den kleinen Kindern auf den Karussellpferden zu, wie sie unbeschwert lachten. Die hatten es gut, die wussten noch nicht, wie schrecklich Liebeskummer sein konnte. Und sie mussten sich noch nicht mit Englischvokabeln herumquälen.

Marie musterte Kim von der Seite. »Was ist los? Du machst plötzlich ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter.«

Kim stöhnte. Dann erzählte sie von dem Stress, den sie mit ihrer Mutter wegen der letzten Englischarbeit hatte. »Mama macht ein Drama draus, weil ich ausnahmsweise eine Drei geschrieben habe.«

»Was?«, rief Franzi empört. »Meine Mutter ist glücklich über jede Drei, die ich nach Hause bringe.«

Kim und Franzi gingen beide an die Georg-Lichtenberg-Gesamtschule. Während Kim in ihrer Klasse zu den besten Schülerinnen zählte, mogelte Franzi sich mehr oder weniger geschickt durch. Es gab nur ein Fach, in dem sie regelmäßig glänzte, und das war Sport.

Marie fand es völlig übertrieben, dass Frau Jülich nun jeden Tag mit Kim Englischvokabeln pauken wollte. »Das zieht sie bestimmt nicht durch«, tröstete sie Kim. »Vor Weihnachten organisiert sie doch wieder tausend Wohltätigkeitsveranstaltungen.«

»Hoffentlich hascht du recht«, nuschelte Kim, die den Mund voller gebrannter Mandeln hatte.

»Ich habe immer recht!« Marie zückte lachend ihren Geldbeutel und kaufte Kim zum Trost noch ein Lebkuchenherz.

Der Zuckerguss sah so verführerisch aus, dass Kim das Lebkuchenherz sofort anbeißen musste. Ruck, zuck war die Hälfte weg und Kim war ein bisschen flau im Magen. Stöhnend rieb sie sich den Bauch und murmelte: »Ich glaube, heute lasse ich das Abendessen ausfallen. Sonst passe ich bald nicht mehr in meine Lieblingsjeans.«

Franzi verdrehte die Augen. »Hör auf mit dem Quatsch! Du hast eine super Figur.«

»Danke!«, freute sich Kim und musste über sich selbst lachen. Advent und Weihnachten waren wohl nicht gerade der perfekte Zeitpunkt, um ernsthaft ans Abnehmen zu denken.

Die drei !!! schlenderten gemeinsam weiter und wunderten sich, warum es die Leute auf einmal so eilig hatten und alle gleichzeitig zur Bühne wollten.

»Gibt es dort was umsonst?« Franzi reckte den Hals, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen.

»Kann ich mir nicht vorstellen«, sagte Marie. Dann stutzte sie. »Ach, jetzt fällt es mir wieder ein! Der Bürgermeister wird gleich eine Rede halten. Angeblich will er irgendeine Überraschung verkünden.«

Da trat er auch schon nach vorne ans Mikrofon und die drei !!! mischten sich neugierig unters Publikum.

»Herzlich willkommen auf unserem Weihnachtsmarkt!«, begrüßte der Bürgermeister die zahlreich versammelten Besucher. »Die älteren Menschen unter uns werden sich noch gut erinnern.« Er lächelte, weil er selbst höchstens 40 Jahre alt und gerade erst frisch im Amt war. »Jeder kannte sie damals, die alte Marienfigur aus der Stadtkirche, die angeblich Wunder vollbringen kann. Und es ist tatsächlich ein kleines Wunder, dass die lange verschollene Holzfigur bei Renovierungsarbeiten am Seitenaltar plötzlich wieder aufgetaucht ist. Sie wurde inzwischen aufwendig restauriert. Jetzt bildet sie das Prunkstück unserer Holzkrippe, die damit endlich komplett ist!«

Die Zuschauer klatschten begeistert. Von verschiedenen Seiten hörte man erstaunte »Aaah!«- und »Oooh!«-Rufe.

Als sich der Applaus etwas gelegt hatte, zuckte Franzi enttäuscht mit den Schultern. »Ich versteh nicht, warum der Bürgermeister so viel Wirbel um die Sache macht. Ist doch nur eine alte, wurmstichige Holzfigur …« Franzi hatte mit leblosen Dingen noch nie groß etwas anfangen können. Dafür liebte sie Tiere über alles, besonders ihr Pony Tinka und ihr hinkendes Huhn Polly.

Franzi hatte zu Kim und Marie gesprochen, doch bevor ihre Freundinnen etwas erwidern konnten, drehte sich ein Mann vor ihnen unvermittelt um. Er war etwa Mitte 50, hatte graue, dünne Haare und eine Brille mit runden Gläsern, die auf das untere Ende seiner spitzen Nase gerutscht war.

»Ihr habt keine Ahnung. Die Figur ist von unermesslichem Wert!«, sagte er und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. Dann legte er den Zeigefinger auf die Lippen, um den furchtbar unwissenden Mädchen klarzumachen, dass sie gefälligst leise sein sollten.

Kim ärgerte sich. Was war das denn für ein eingebildeter Typ?

»Den kenne ich«, murmelte Marie. »Irgendwo hab ich ihn schon mal gesehen.« Sie durchstöberte sämtliche Schubfächer ihres Gehirns, kam aber nicht darauf.

Inzwischen redete der Bürgermeister weiter: »Ein besonders großes Lob möchte ich dem Familienunternehmen Gerold aussprechen. Marietta Gerold hat die Marienfigur in liebevoller Kleinarbeit restauriert und anschließend wunderschön vergoldet.«

Eine Frau mit ungewöhnlich hellen, fast weißblonden Haaren drehte sich zu den Zuschauern um und verbeugte sich leicht. Sie stand direkt vor der Bühne in der ersten Reihe und trug ein dunkelgrünes, hochgeschlossenes Kleid, das ihre schlanke Figur vorteilhaft betonte.

»Wir alle wissen diese außerordentliche Leistung zu schätzen«, sagte der Bürgermeister. »Marietta und Iris Gerold haben erst kürzlich das Familienunternehmen von ihrem verstorbenen Vater übernommen. Und es gab großen Zeitdruck. Schließlich musste die Figur rechtzeitig zur Eröffnung des Weihnachtsmarktes fertig werden. Also nochmals vielen, vielen Dank!«

Während die Zuschauer höflich applaudierten, machte Kim einen Schritt nach vorne, um die Restauratorin besser sehen zu können. Da entdeckte sie rechts neben Marietta Gerold noch eine Frau mit auffallend hellen Haaren. Sie war etwas kleiner und trug einen grauen Hosenanzug.

»Das muss Iris Gerold sein«, kombinierte Kim. »Aber was macht die für ein Gesicht? Als ob sie in eine Zitrone gebissen hätte!«

»Vielleicht ist sie eifersüchtig auf ihre Schwester«, vermutete Marie.

Der Mann vor ihnen drehte sich zum zweiten Mal unvermittelt um. »Iris Gerold, die begnadete Holzschnitzerin, eifersüchtig? Wohl kaum. Sie hat im Laufe der letzten Jahre fast alle übrigen Krippenfiguren geschnitzt. Alles Werke von erstaunlicher Präzision, die den beiden Ursprungsfiguren, die ihr verstorbener Vater angefertigt hat, in nichts nachstehen.«

Kim und Franzi tauschten einen genervten Blick. Was wollte dieser Professor Superschlau eigentlich von ihnen?

»Hören Sie …«, fing Kim an und versuchte möglichst höflich zu bleiben. »Wir …«

Weiter kam sie nicht. Marie bekam plötzlich hektische Flecken im Gesicht und rief aufgeregt dazwischen: »Jetzt weiß ich endlich, woher ich Sie kenne!«

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Bitte nicht berühren!

»Sie sind Dr. Gustav Bramlage, der bekannte Kunstexperte aus dem Fernsehen, stimmt’s?«, sprudelte Marie los. »Mein Vater ist ein Riesenfan von Ihnen und Ihrer Sendung. Er sieht sich Privatschätze jede Woche an.«

Im Bruchteil einer Sekunde verwandelte sich Professor Superschlau in Professor Supergeschmeichelt. »Das freut mich. Richte deinem Vater schöne Grüße von mir aus und sag ihm vielen Dank fürs Einschalten.«

»Mach ich.« Marie zögerte einen Augenblick. Dann kramte sie hektisch in ihrer Handtasche und holte Notizblock und Stift heraus. »Könnten Sie vielleicht … würden Sie mir ein Autogramm geben, für meinen Vater?«

Dr. Bramlage lächelte. »Natürlich.« Er beugte sich über den Notizblock und bedeckte eine ganze Seite mit seinem schwungvollen Namenszug. »Ich wünsche euch noch einen schönen Tag! Ihr solltet euch die Marienfigur unbedingt ansehen. Es lohnt sich.« Er verabschiedete sich mit einer knappen Verbeugung und pilgerte mit den anderen Weihnachtsmarktbesuchern hinüber zur Stadtkirche.

Franzi starrte ihm mit gerunzelter Stirn nach. »Kann mich bitte mal jemand aufklären? Was in aller Welt ist Privatschätze

Kim hatte von der Sendung auch noch nie gehört. Sonst war sie immer die Einzige, die in puncto Fernsehen und Showbusiness nicht auf dem Laufenden war. Deshalb konnte sie sich ein klitzekleines bisschen Schadenfreude nicht verkneifen, weil es Franzi diesmal genauso ging.

Marie blickte ihre Freundinnen todernst an. »Schämt euch für eure Bildungslücke!« Als Kim und Franzi betroffene Gesichter machten, prustete sie los. »War nur ein kleiner Scherz! Die Sendung ist todlangweilig. Da kommen irgendwelche Leute ins Museum und bringen Sachen mit, die sie zu Hause auf dem Speicher aufgestöbert haben: verstaubte Ölschinken, Zinnteller, Uhren und solchen Kram. Dr. Bramlage und andere Kunstexperten prüfen das Zeug und sagen, ob es wertvoll ist oder bloß billiger Trödel.«

»Ach so«, sagte Franzi. »Und was ist dieser Bramlage für ein Experte? Kennt er sich besonders gut mit Holzwürmern aus?«

Marie kicherte. »So ungefähr. Er ist Leiter der Abteilung Religiöse Kunst in unserem Stadtmuseum.«