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G.F. Barner
– 144–

Todeskommando Fort Blies

G.F. Barner

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74094-670-8

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»Captain, sie kommen!«

»Ruhig, Dick!«, zischte Rosco.

Captain Rosco lag hinter einem Strauch in völliger Deckung. Er konnte alles deutlich sehen, was sich unter ihm auf dem Weg abspielte.

Es war Zeit! Eine Kolonne Nordarmisten näherte sich langsam der Brücke. An ihrer Spitze ritt ein Zivilist. Er hielt den Kopf gesenkt und suchte den Weg aufmerksam nach Spuren ab. Ihm folgten in einiger Entfernung die beiden Wagen mit den Waffen- und Munitionsladungen. Halb verdeckt vom ersten Gespann konnte Rosco einen Lieutenant und einen Sergeanten erkennen, die aufmerksam den Hang absuchten.

»Jetzt kann der Zauber losgehen!«, flüsterte Dan Rosco und gab das Zeichen, das sein tödliches Spiel einleitete.

Lacy zog seinen Revolver, zählte bis fünf und drückte ab. Noch war die braungraue Pulverwolke nicht verflogen, da schoss er noch einmal. Für die Näherkommenden sollte es sich nach einem Zweikampf anhören. Zusammen mit dem zweiten Schuss stieß Lacy einen entsetzlichen und markerschütternden Schrei aus. Den Schrei eines zu Tode getroffenen Mannes. Lacy hatte seine Stimmbänder nicht geschont. Man hatte ihn mindestens bis auf dreihundert Schritte Entfernung vernommen. Rosco sah aus schmalen, zusammengekniffenen Augen auf die beiden Wagen hinab, die jetzt an der Brücke standen.

Seine Rechnung war aufgegangen. Der Sergeant in der letzten Reihe hob jäh die Hand. Der Zivilist drehte sich um und sprach auf den Lieutenant ein.

»Kolonne – haaalt!«, kommandierte der Lieutenant. Das hatte Daniel Rosco gewusst. Schüsse brachten jede Kolonne zum Halten.

»Sergeant, was ist da hinten los?«

Die Frage klang scharf und laut zu den versteckt liegenden Rebellen am Hang empor. Alle blickten nach hinten.

»Zwei Schüsse, dann ein Schrei, Sir!«, meldete ein Sergeant. »Aber niemand zu sehen!«

»Drei Mann zurück. Stevens, Sangers, Grubb – nach hinten! Seht nach, was los ist!«

Dick Younger hielt den einen Draht in der Hand. Das Ende, blankgeschabt und glänzend, schwebte keinen Zoll mehr über dem Minuspol der Batterie, die die Rebellen Stunden vorher, geschickt getarnt, in der Nähe der Brücke aufgestellt hatten.

»Captain, kann’s losgehen?«, fragte Younger leise.

»Ja, gleich!«, flüsterte Rosco. »Gerade reiten drei Männer zurück. Die anderen setzen sich wieder in Bewegung.«

In dieser Sekunde sah der Zivilist zum Hang hoch. Er hob das Gesicht, das sein breitrandiger Hut bis jetzt beschattet hatte.

Es war der Augenblick, in dem eine Hand nach Captain Roscos Herzen zu greifen schien.

Mein Gott, dachte Rosco, das ist doch …

Er musste seinen Befehl geben – zögerte – dann schrie er:

»Los!«

Das eine Wort genügte. Dick Younger presste den Finger auf den Pol der Batterie. Jetzt kam der Beweis, ob er gute Arbeit geleistet hatte.

In derselben Sekunde, in der der blankgeschabte Draht den Pol berührte, gab es einen Knall, der den Weltuntergang einzuleiten schien.

Was er sah, kam ihm wie ein unwirkliches Bild vor. Die Brücke hob sich mehr als drei Yards weit aus ihren Lagern. Der Luftdruck packte den Lieutenant, der am letzten Wagen vorbeigeritten und gerade bei den ersten Bohlen der Brückenauffahrt angelangt war, mit unverminderter Wucht. Meterlange Blitze schossen in allen Richtungen unter der Brücke hervor und ließen Rosco für Sekunden den Blick geblendet abwenden. Holzteile wirbelten schlagartig durch die Luft. Sie verschwanden in der gelbbraunen Staubwolke losgerissenen Sandes, aus der Steine mit der Gewalt von Geschossen fegten.

Der Lieutenant war nicht mehr zu sehen. Eine Wagenplane zerfetzte unter der Gewalt des Explosionsdrucks. Zwei der fünf Rundbögen des schweren Armeetransporters brachen in Stücke. Die Pferde stiegen schrill trompetend. Der Wagen zog so hart an, dass der Fahrer nach hinten flog. Der Mann sackte zusammen, als hätte ihm jemand mit einem Hammer vor die Brust gestoßen. Dann sauste er vom Bock, fiel seitlich neben den Wagen und blieb betäubt am Boden liegen.

Keine fünf Schritte von ihm entfernt ging der Gaul des Lieutenants durch. Der Sattel war leer. Im Staub, der haushoch über der Schlucht hing, lag Fenders flach am Boden. Er hatte sich überschlagen und rührte sich nicht mehr.

Wenige Schritte von ihm entfernt war Sergeant Clement vom Luftdruck gepackt und rücklings in die Schlucht geschleudert worden. Beim Aufschlag auf den steinigen Hang zerschmetterte sein linkes Bein. Er war so benommen, dass er nur noch ein dumpfes Brausen hörte.

Der erste Wagen, der von den durchgehenden Pferden nach vorn gerissen wurde, befand sich nun genau unter dem Baum, auf dem der ehemalige Cowboy und Zureiter Ortega saß. Er war zwar auf die Explosion vorbereitet gewesen und hielt sich eisern fest, dennoch schwankte er hin und her, als sich die Zweige des Baumes wie unter der Bö eines Hurricans bogen.

Ortega sah durch die dichten Äste den Wagen und die beiden blauuniformierten Burschen auf dem Bock. Sie befanden sich etwa drei Schritte in gerader Linie unter ihm.

Das war günstig.

In dem Augenblick, in dem die Pferde anzogen, stieß sich Ortega ab. Er glich einer Riesenfledermaus, als er hart hinter den beiden Nordstaatlern auf dem Wagen landete.

Die Plane riss ein, als hinter Ortega der zweite Rebell dieses Baumspringerkommandos aufkam. Unsanft prallte er auf die Ladung.

Ortega kletterte auf den Bock herunter. Für eine Sekunde sah er das starre, erschrockene Gesicht des Zivilisten in gleicher Höhe vor sich auftauchen. Irgendwie kam es Ortega bekannt vor. Doch er hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.

Rual Ortega griff nach dem schweren Reiterrevolver. Einen der Nordstaatler hatte er jetzt deutlich vor sich. Er hob den Lauf und schmetterte ihn herab. Der Mann kippte nach rechts vom Bock, drehte sich erschrocken um. Bevor er aber zu seiner Waffe greifen konnte, traf Ortega auch ihn. Mit voller Wucht fuhr ihm der Lauf des Revolvers über das Ohr, schmetterte gegen seinen Kopf und ließ den Hut im hohen Bogen davonsausen, Ortegas schnelle Linke fuhr dem Yankee unter die Achselhöhle, warf ihn hoch und schleuderte ihn vom Bock. Mit lautem Krach landete er am Boden.

Auf den freigewordenen Platz kletterte der zweite Rebell. Jetzt erst hatten beide Zeit, darauf zu achten, was der Zivilist tat. Er handelte schnell und geschickt. Er schrie einen Befehl. Sein Pferd wendete auf dem Fleck und preschte davon. Ortegas Kugel kam zu spät. Blitzschnell hatte sich der Mann auf den Hals seines Pferdes geworfen. Äußerst geschickt gelenkt, raste der Apfelschimmel unter einem Baum hindurch, der dem Reiter volle Deckung gab. Ortega konnte ihm nichts mehr anhaben. Er gab fluchend den Versuch auf, ihn zu treffen. Zudem vergrößerte sich die Entfernung des davonstürmenden Pferdes zu den Wagen in rasender Geschwindigkeit. Der Zivilist jagte aus dem Bereich der Revolverkugel heraus, ehe Ortega das Gewehr in der Hand hielt.

Teufel!, dachte Ortega. Der Kerl hat’s in sich.

Und dann tat der Mann das, was Ortega am wenigsten erwartet hätte. Er trieb sein Pferd mitten in die steile Schlucht hinein.

Als der Reiter des Apfelschimmels nach rechts sah, riss er entsetzt die Augen auf. Ein Blick genügte ihm. Er erkannte die grauen zerschlissenen Uniformen und den Mann, der wie eine Katze auf den Wagen gesetzt und mit beiden Fahrern innerhalb zweier Sekunden so reibungslos fertig geworden war.

»Ortega!«, rief Ward Stone erschrocken. »Wo Ortega ist, kann auch Rosco nicht weit sein. Großer Gott, das sind Roscos Männer!«

Als Stone am Hang anlangte, war sein Blickfeld nach rechts frei. Er suchte die Brücke, die einmal aus Bohlen, Balken und Stützen bestanden hatte. Doch die gab es nicht mehr. Nur Trümmer ragten aus dem Staub, der sich langsam lichtete. Einige Männer lagen am Boden, andere torkelten wie betrunken umher und suchten ihre Pferde, auf denen sich ihre Gewehre befanden.

Major Ward Stone überblickte die Situation. Es war furchtbar für ihn, dass er nicht helfen konnte. Als Lieutenant Fenders schwankend auftauchte, schrie er so laut er konnte:

»In die Schlucht, Fenders! Schnell, in die Schlucht!« Doch seine Worte gingen in dem plötzlich einsetzenden ohrenbetäubenden Gewehrfeuer unter. Ein Dutzend Pferde brachen getroffen zusammen.

Danach kam das Belfern einzelner Schüsse. Drüben jagten zwei Mann nebeneinander in die Tiefe des Tals hinein. Auf dem Hang aber stand wie kleine graue Bälle der Rauch der Gewehrschüsse. Immer noch zuckten Feuerblitze durch die grauen Pulverwolken. Jäh stockten beide Pferde, dann stürzten sie zu Boden. Einer der Männer konnte noch rechtzeitig abspringen, den anderen warf es so schwer hin, dass das sterbende Tier über ihn rollte und ihn zudeckte.

Major Ward Stone sah es mit Grauen. Er musste erkennen, dass er innerhalb von Sekunden der letzte Mann war, der noch im Sattel saß.

Scharfschützen, dachte Stone, texanische Scharfschützen, die brauchen noch nicht einmal zu zielen. Es liegt ihnen im Blut. Wohin sie schießen, da treffen sie auch.

Er sah, wie die beiden Wagen in rasender Fahrt über den Weg rollten. Auf den Böcken saßen Rebellen, keine Yankees mehr. Die Wagen verschwanden, ehe es einem der Leute möglich war, das zu verhindern. Sie tauchten wie ein Geisterspuk unter, hatten einfach den Besitzer gewechselt.

Die wertvolle Ladung befand sich in den Händen der Rebellen.

Rasches Knattern setzte jetzt ein. Hinter einem Pferd versteckt lagen ein paar Männer und feuerten zum Hang hoch. Andere liefen den Hang hinab und boten in ihren dunklen Uniformen lebende Zielscheiben. Sie schossen nicht, sie rannten nur schreiend in ihrer kopflosen Panikstimmung von dem geradezu feuerspuckenden Kamm des Hügels weg. Es gab keine Ordnung mehr. Alle beherrschte nur noch der Gedanke an Flucht. Was halfen da die drei oder vier Mann, die liegen geblieben waren und zum Hang hochfeuerten?

Einer der Laufenden stolperte, fiel hin und rührte sich nicht mehr. Sein gellender Todesschrei fegte den anderen in den Nacken. Sie sahen nur noch die neben ihnen aufspritzende Erde und rannten, was sie konnten.

Stone erkannte, während er in der Deckung einiger Büsche hielt, was der Gegner geplant hatte.

Aber er konnte nicht helfen. Er hatte kein Gewehr. Das lag auf einem der Wagen. Jetzt sah er Fenders wieder auftauchen. Der Lieutenant erschien hinter den Brückentrümmern. Er schrie irgendetwas, das im Peitschen der Schüsse unterging. Er kniete mit gezogenem Revolver hinter einem Balken. Es war Wahnsinn, er musste dort getroffen werden. Jeder Widerstand war Selbstmord! Stone wusste es und drückte den Apfelschimmel die Hacken ein.

»Fenders, zurück!«, schrie Stone im Heranjagen. »Fort hier! In Deckung, Mann!«

Er schrie umsonst. Fenders schoss bereits. Er war noch jung, an der Grenze und im Süden unerfahren, und wollte Major Stone nicht enttäuschen. Er fühlte sich für die Kolonne, die er anführte, und für die Wagenladung verantwortlich. Man hatte ihm den Befehl gegeben, die Männer, die alle keine praktische Kampferfahrung besaßen, nach Fort Bliss zu bringen. Dort sollte in vierzehn Tagen ein halbes Bataillon Rekruten eintreffen. Bis zu diesem Zeitpunkt mussten die Ausbilder alles für den Empfang der sogenannten »grünen Jungen« vorbereitet haben. Es war klar: Fenders wollte entweder seinen Befehl ausführen oder sterben. Im nächsten Augenblick raste Stone auf seinem Gaul heran, packte Fenders im Hochreißen seines Pferdes am Kragen und riss ihn herum.

»Weg, Mann!«, brüllte er ihn an. »Sind Sie des Teufels? Hier können Sie nur sterben! Fort, in die Schlucht! Los, kommen Sie!«

Er riss ihn auf das Pferd, Fenders schrie irgendetwas davon, dass er lieber sterben als seine Wagen im Stich lassen würde. Offenbar hatte er noch nicht erkannt, dass sie bereits den Besitzer gewechselt hatten.

»Mann, die Wagen sind verloren!«, brüllte Stone. »Halten Sie sich fest!«

Doch Fenders hörte nicht. Er war wie von Sinnen. Mutig wie ein Löwe und mit dem irren Mut eines Verzweifelten riss er sich los. Im Fallen geriet er vor den Apfelschimmel. Die Brust des Pferdes streifte ihn. Er flog kopfüber den Steilhang zur Schlucht hinab. Stone versuchte ihm zu folgen.

Der Versuch misslang, denn kaum war Stone aus der Deckung der Brückentrümmer heraus, als er das Peitschen von Schüssen hinter sich hörte.

In der nächsten Sekunde stieg sein Pferd schrill trompetend in die Höhe. Es musste getroffen sein.

Aus dem Sattel, dachte Stone, schnell aus dem Sattel!

Er warf sich nach rechts vom Pferd. Aber das Pferd drehte sich im Todeskampf und packte ihn doch. In hohem Bogen flog er davon. Das Letzte, was er sah, war ein Balken, der rasend schnell größer wurde.

Dann ging in einem einzigen Feuerblitz die Welt für ihn unter. Bewusstlos lag er zwischen den Trümmern der Brücke.

Captain Daniel Rosco lächelte zufrieden. Dieser ideale Hinterhalt war sein Plan gewesen. Durch die Sprengung der Brücke war er in den Besitz der feindlichen Waffenladung gekommen.

Es stand nicht sehr gut um den Süden. Daher mussten sie mit allen Mitteln kämpfen. Denn die Zeiten waren vorbei, in denen sie von Sieg zu Sieg geritten waren.

Schon standen die feindlichen Armeen in Nordtexas, der Heimat all ­dieser wilden, zerlumpt aussehenden Burschen. Sie ritten unter Rosco, weil sie mit glühendem Fanatismus bereit waren, ihr Land zu verteidigen und wenn sie dabei auch ihr Leben lassen mussten. Ihre Vaterlandsliebe ließ sie den Tod verachten.

Doch dieser Streich war ihnen gelungen. Die Wagen voller Waffen und Munition würden Fort Bliss nie erreichen.

*

Die Stimmen klangen von weither zu ihm herüber und waren furchtbar schrill. Erst als sie nach und nach näher kamen, wurden sie klarer. Er fühlte Schmerzen in seinem Kopf. Es brannte dort, als hielte ihm jemand ein Plätteisen an die Haare, dessen Glut die Haut zu rösten begann.

Jemand lachte. Dazwischen erklangen Schreie von Mauleseln.

Stone hörte seltsamerweise kein Wagenknarren.

Ein heiserer Befehl wurde gegeben. Er schien ihm zu gelten. Denn etwas drückte sich mit einem Mal hart und schwer gegen seine Brust.

Stone öffnete die Augen. Sein Blick wanderte einen blau schimmernden Gewehrlauf entlang zu einer Hand hinauf, die das Schloss eines Henrykarabiners umfasste. Deutlich konnte er den Zeigefinger am Abzugshahn erkennen. Stones Blick wanderte langsam höher und erfasste ein wildes Gesicht mit breiten Wangenknochen, schrägstehenden Augen und starken Brauen. Die Nase in diesem Gesicht war platt und etwas deformiert.

Stone dachte daran, dass der Besitzer dieser Nase einmal so hart von seinem Pferd geflogen war, dass er sich das Nasenbein dabei gebrochen hatte.

»Captain, er sein wach!«, schrie Ortega. Das Gelächter verstummte. Selbst die Maulesel, die Stone nun zwischen Ortegas krummen Beinen hindurch sehen konnte, schienen ihr schauriges Geschrei eingestellt zu haben. »Captain, er machen auf der Augen!«

»Die Augen, Ortega!«, sagte jemand in unmittelbarer Nähe. »Du wirst es nie lernen, was?«

»Und du nie nicht reiten auf Pfärd!«, erwiderte Ortega schlagfertig. »Kleine Überraschung, Mr Stone, äh?«