Epilog

 

Der Fall war also gelöst. Sowohl Hanna als auch Bernd, der sich anbot, Luka zu seinem Vater ins Krankenhaus zu fahren, hätten sich eine andere Lösung gewünscht. Diese war schwer zu ertragen.

Das Ereignis würde lebenslang auf allen Beteiligten lasten, besonders auf Marko Namecz und seinen Söhnen. Hier war psychologische Begleitung ein Muss, damit sie lernen konnten, mit dieser Belastung zu leben, ohne daran zugrunde zu gehen.

Hanna fuhr tief in Gedanken nach Hause. Sie betrat Julians Zimmer, der fragend vom PC aufschaute und sich unter ihrem Blick automatisch erhob. Hanna trat auf ihn zu und umarmte ihn so fest, als wolle sie ihn nie wieder loslassen. Julian, der auf solche Zärtlichkeitsattacken üblicherweise mit Widerstand reagierte, wenn sie für seinen Geschmack zu lange andauerten, hielt dieses Mal ganz still und schloss die Arme um seine Mutter. Nach einer gefühlten Ewigkeit ließ sie ihn los und Julian sah, dass Tränen in ihren Augen standen. Er fragte nicht. Irgendwann würde sie es ihm erzählen, dessen war er sich sicher.

»Ich mache uns ein paar Spaghetti«, sagte Hanna im Hinausgehen auf dem Weg in die Küche.

Es klingelte. Vor der Tür stand Rolf, eine Flasche Rotwein in der Hand.

»Hallo Hanna, ich hab gehört, dass du da bist. Konrad ist ein paar Tage nicht da und ich wollte mich gerne bei dir zum Essen einladen. Den Rotwein habe ich gleich mitgebracht.« Er grinste.

Hanna lächelte zum ersten Mal an diesem Tag.

»Na, dann komm rein, du kannst gleich damit anfangen, den Salat für die Vorspeise zu putzen. Und ein Glas Rotwein kann ich jetzt vertragen.«

 

 

ENDE

 

 

CAROLINE MARTIN

Ewige Bürde

 

Rheinlandkrimi 7

 

Dezernat Köln

Hanna Winter ermittelt

 

 

Inhalt

 

Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Epilog

 

 

Impressum

 

Überarbeitete Neuveröffentlichung August 2019

Copyright © 2019 by Caroline Martin

Copyright © 2019 der E-Book-Ausgabe by Verlag Peter Hopf, Petershagen

 

Dieser Roman wurde bereits unter dem Titel ›Niemand weiß, warum‹ in der Reihe KRIPO KÖLN veröffentlicht und von der Autorin für die vorliegende Fassung neu bearbeitet.

 

Covergestaltung: etageeins, Jörg Jaroschewitz

E-Book-Konvertierung: Die eBook-Manufaktur

Lektorat: Katja Kollig

Redaktionelle Betreuung: Thomas Knip

 

ISBN ePub 978-3-86305-289-8

 

www.verlag-peter-hopf.com

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

 

Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und die Verbreitung des Werkes in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf fotomechanischem, digitalem oder sonstigem Weg, sowie die Nutzung im Internet dürfen nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages erfolgen.

 

 

Prolog

 

Hanna Winter fuhr die Autobahnraststätte auf halbem Weg von Köln nach Düsseldorf an, manövrierte den Wagen in eine der wenigen freien Parklücken und griff genervt zum Handy.

»Hallo Frau Kramer, prima, dass ich Sie sofort erreiche … ja, Sie können sich sicher schon denken, was los ist, wenn ich Sie jetzt anrufe. Ja, genau, ich stehe im Stau, obwohl Samstag ist. Im Moment fahre ich von einer Tagesbaustelle zur nächsten. Also, was ich sagen will: Rechnen Sie ungefähr eine Stunde später mit mir, ja, 13 Uhr wird wohl klappen, sagt jedenfalls mein Navi. Jetzt haben Sie noch ein bisschen Zeit, bis wir uns sehen«, Hanna versuchte ein Lachen, »ich melde mich nochmal, wenn es nötig ist.«

Auch wenn sie fast nicht damit gerechnet hatte, stand Hanna um ein Uhr am vereinbarten Treffpunkt vor einem Blumenladen in der Düsseldorfer Altstadt und ließ ihren Blick in die Runde schweifen. Katrin Kramer, die das Geschäft einige Minuten zuvor schon betreten hatte und immer wieder einen prüfenden Blick nach draußen warf, trat jetzt eilig heraus, ging auf Hanna zu und begrüßte sie herzlich.

»Wie schön, dass das geklappt hat, Frau Winter! Ich freue mich, Sie zu sehen.«

»Genauso geht es mir auch«, antwortete Hanna lächelnd. »Wohin entführen Sie mich denn jetzt?«

»Ich dachte mir, wir gehen vielleicht erst essen und bummeln dann noch, wenn Sie Zeit haben.«

»Aber ja, ich habe mir bis zum Abend freigenommen.«

»Mögen Sie Fisch, Frau Winter? Hier gibt es nämlich gleich um die Ecke ein ausgezeichnetes, alteingesessenes Fischlokal.«

»Gerne, das hört sich richtig gut an.«

Kurze Zeit später saßen sie im Fischhaus und studierten die Speisekarte. Sie nahmen sich Zeit mit der Auswahl, auch, um ein plötzlich auftretendes Gefühl der Unsicherheit zu überspielen. War diese Verabredung doch nicht zu vorschnell getroffen worden? Schließlich kannten sie einander kaum.

Unsinn, dachte Hanna, um das zu ändern sitzen wir ja jetzt hier. Sie hob den Blick, als der Kellner kam, um die Bestellung aufzunehmen.

»Ich nehme die Seezunge und ein Wasser«.

»Und ich den kross gebratenen Zander und auch ein Wasser, bitte«, schloss Katrin Kramer sich an.

Nachdem der Kellner wieder gegangen war, trat eine kurze, etwas verlegene Stille zwischen den beiden Frauen ein, während sie sich freundlich zulächelten.

»Ja …«, Hanna zögerte einen Augenblick, bevor sie weitersprach, »ach was«, sie sah ihr Gegenüber plötzlich ernst geworden an. »Ich verzichte jetzt einfach mal auf lange dauernde Höflichkeitsfloskeln und biete Ihnen einfach das Du an. Wären wir uns nicht sympathisch, hätten wir uns erst gar nicht verabredet, sodass wir sowieso beim Du gelandet wären.« Hanna lachte und streckte der anderen ihre Hand über den Tisch hinweg entgegen. »Also: ich heiße Hanna.«

»Und ich bin Katrin.« Ohne zu zögern ergriff Katrin Kramer Hannas Hand und lächelte sie an.

»So, jetzt sollten wir zur Feier des Tages doch noch ein Glas Sekt bestellen. Darauf müssen wir anstoßen.« Hanna hob die Hand, um dem Kellner ein Zeichen zu geben. »Also eins muss ich ja sagen: es redet sich wesentlich leichter, wenn es nicht so förmlich ist, findest du nicht auch, Katrin?«

»Stimmt. Weißt du, ich fühle mich sowieso gerade ganz anders als sonst«, Katrin zögerte einen Moment. »Wenn ich ehrlich bin, bist du der erste Mensch, der mir hier begegnet, bei dem ich das Gefühl habe, wirklich offen sein zu können«, sie räusperte sich.

Der Kellner brachte Sekt und Wasser, sodass Hanna ihr Erstaunen über Katrins Worte verbergen konnte. Mit so viel Offenheit hatte sie nun gleich zu Anfang nicht gerechnet. Die Tatsache, dass dem aber so war, sprach für eine Last, die auf ihrer Düsseldorfer Kollegin lastete, und sie freute sich über das Vertrauen, was sie ihr auch sagte.

»Vielleicht liegt das daran, dass ich dir nichts beweisen muss«, überlegte Katrin Kramer. »Im Kommissariat bin ich immer auf der Hut und will keine Schwächen zeigen. Private Kontakte habe ich hier übrigens so gut wie nicht, bis auf die netten Inhaber des Dönerladens bei mir um die Ecke.«

Als das Essen kam, waren die beiden Kommissarinnen so tief ins Gespräch vertieft, dass der Kellner sich räuspern musste, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

 

 

Kapitel 1

 

»Jetzt bin ich doch froh, dass ich mich überwunden habe, mit dir walken zu gehen.« Renate Möller blieb einen Moment lang außer Atem stehen und lächelte ihrem Mann Günther zu. Dieser erwiderte das Lächeln und nickte.

»Und das, obwohl heute Dienstag ist und du eigentlich in die Stadt fahren wolltest. Siehst du, hat man sich erst mal überwunden, macht es auch Spaß!«

»Gut, dass es so viele Wald- und Grünflächen in Köln gibt. So können wir die Umgebung zum Walken immer mal ändern und es wird nicht langweilig.«

»Genug verschnauft?« Günther Möller sah seine Frau fragend an. Sie nickte und wollte sich gerade wieder in Bewegung setzen, als ihm plötzlich einfiel: »Warte kurz, ich glaube, es ist besser, wenn ich mich schnell mal in die Büsche schlage. Du weißt ja, meine Blase …«

»Gut, ich warte. Dann kann ich mich noch ein bisschen ausruhen. Ich rufe, wenn jemand kommt.«

Günther Möller verschwand ein paar Meter weit ins Dickicht hinein, blieb stehen und sah sich prüfend um. Ja, hier konnte er sich vor fremden Blicken sicher fühlen. Als er sich gerade anschickte, den Reißverschluss seiner Hose zu öffnen, hielt er jäh erschrocken inne. Das waren doch Haare, da links von ihm? Er kniff unwillkürlich die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Sein Mund fühlte sich plötzlich ganz trocken an, so als habe er bereits gemerkt, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte.

Vorsichtig machte der ältere Mann einen Schritt auf die menschliche Kontur zu, die unweit von ihm bewegungslos am Boden lag. Es war eine Frau, die gestolpert und gefallen zu sein schien, das Gesicht im Laub vergraben. Günther Möller bückte sich und berührte die Frau an der Schulter, doch sein »Hallo« erstarb, bevor er es aussprechen konnte. Instinktiv begriff er, dass hier jede Hilfe zu spät kam.

 

*

Hauptkommissarin Hanna Winter hatte der störrischen Kaffeemaschine am Ende des Flures gerade zwei Becher Cappuccino entrungen, als sie hörte, dass ihr Kollege, Kommissar Bernd Keller, in ihrem gemeinsamen Büro telefonierte. Sie konnte die Worte zwar nicht verstehen, aber sein Tonfall war unverkennbar. Hanna stieß die angelehnte Tür mit dem Ellbogen auf, sodass der Kaffee gefährlich zu schwappen begann. Bernd, der in solchen Situationen nie um einen ironischen Kommentar verlegen war, schien dies jedoch gerade nicht zu bemerken. Ernst schaute er von seiner Notiz auf, die er vor sich auf einen Zettel gekritzelt hatte. Hanna stellte einen Becher auf seinem Schreibtisch ab und sah ihn fragend an.

»Keine Kaffeepause?«

»Sieht ganz so aus. Der Chef hat uns gerade auf seine liebenswerte Art einen neuen Fall übertragen.«

Kriminalrat Dr. Wunderlich war in der Tat kein Sympathieträger. Groß und dünn, mit hagerem Gesicht und etwas vornübergebeugter Haltung, wirkte er auf den ersten Blick streng und unnahbar – ein Eindruck, der sich auch nicht verlor, wenn man ihn kannte. Als Chef war er oft übellaunig und schwer zu ertragen. Selbst wenn sein Team, zu dem auch Hanna und Bernd gehörten, einen Fall mit Bravour gelöst hatte, gehörte ein Lob selten zu seinem Repertoire. Hanna vermutete im Stillen, dass es irgendein gravierendes Ereignis in seinem Leben gegeben haben musste, das ihn verändert hatte. Bernd, der gar nicht erst versuchte, einen tieferen Sinn hinter Wunderlichs Verhalten zu finden, zog sie regelmäßig damit auf. Für ihn blieb ätzend einfach ätzend.

Hanna sah ihren Kollegen fragend an. Dieser erhob sich nun und warf einen raschen Blick auf seinen Notizzettel.

»Wir müssen nach Raderthal. Im Grüngürtel nahe der Brühler Straße liegt eine Frauenleiche. Ein älteres Ehepaar hat sie entdeckt.«

»Wer fährt?«

»Du, wenn du willst, Hanna. Ich war gestern beim Fußball …«

»Und hast mit den Jungs hinterher noch was getrunken, nehme ich an?« Hanna schnappte sich grinsend den Autoschlüssel und wandte sich zum Gehen. »Na dann los.«

 

*

Als die Hauptkommissarin und der Kommissar eine halbe Stunde später am Fundort der Leiche ankamen, waren die Spurensicherung und der smarte Gerichtsmediziner bereits vor Ort. Dr. Hennig Brandenburg war, wie jedes Mal, auch jetzt schon wieder fast fertig mit seiner Arbeit. Seit sie zusammenarbeiteten, war ihnen der Mann ein Rätsel geblieben. Immer wie aus dem Ei gepellt, nach der neuesten Mode gekleidet, von einer Wolke teuren Aftershaves umgeben – und wie immer machte er Hanna zuallererst Komplimente.

»Frau Winter, endlich ein Lichtstrahl, der meinen Tag erhellt! Sie sehen hinreißend aus. Das Petrol steht Ihnen fantastisch!«

Hanna errötete gegen ihren Willen, was der Arzt schmunzelnd zur Kenntnis nahm und Bernd zu einem ärgerlichen Kommentar veranlasste.

»Ich muss doch sehr bitten, Dr. Brandenburg!«, raunzte er. »Können Sie auch sachlich sein?«

»Natürlich kann ich das.« Der Gerichtsmediziner genoss die Situation sichtlich. »Also, dann hiermit sachlich: Ich freue mich wirklich, Sie zu sehen, Frau Winter. Besser so?«, fragte er den Kommissar, der jetzt nur müde abwinkte und den Kopf schüttelte.

Dr. Brandenburg wandte sich an die Hauptkommissarin. »Ich denke, Ihr Kollege meinte damit den Fall, nicht wahr?« Er zwinkerte ihr zu. »Tja, also: Die Frau ist ungefähr Mitte vierzig und wurde in den Rücken geschossen. Eine Austrittswunde gibt es nicht, sodass ich von einem Steckschuss ausgehe, und wahrscheinlich ist sie an inneren Blutungen gestorben. Ich nehme sogar an, dass sie nicht hätte sterben müssen, wenn sie rechtzeitig gefunden worden wäre. Es ist auch möglich, dass der Schuss sie nicht genau hier getroffen hat, sondern dass sie noch ein Stück laufen konnte, bevor sie zusammenbrach.« Er schaute Hanna ernst an. »Voilà, Ihr Fall, Herrschaften!« Er tippte sich mit ausgestrecktem Zeigefinger grüßend an die Stirn, drehte sich auf dem Absatz um und verschwand in Richtung seines Wagens.

»Wir sehen uns in der Gerichtsmedizin«, rief er über die Schulter hinweg zurück. »Ich freue mich schon …«

»Der Kerl ist sowas von anstrengend«, nörgelte Bernd hinter ihm her. »Immer diese Süßholzraspelei, widerwärtig. Weiß der eigentlich, dass du in festen Händen bist, Hanna?«

»Natürlich weiß er das, Bernd. Warum regst du dich so auf? Du kennst ihn doch. Das macht er sowieso nur, weil er weiß, dass du dich garantiert darüber aufregst.« Hanna grinste, wohl wissend, dass dem nicht ganz so war. »Aber warum sind wir eigentlich hier, lieber Kollege? Komm, lass uns unsere Arbeit tun!«

Die Frau, die ein Stück von ihnen entfernt auf dem feuchten Gras lag, wirkte noch im Tod verwundert, so als könne sie nicht glauben, was ihr da passierte. Mehr Erstaunen als Schmerz lag auf ihren hübschen Zügen, die unter den hellblond gefärbten Haaren zunehmend zu verblassen schienen. Bernd kniete sich neben die Tote und betrachtete sie eingehend.

»Sie sieht nett aus, findest du nicht? Und offensichtlich war sie verheiratet.« Er deutete auf den goldenen Ehering an ihrer Rechten. »Wer könnte diese Frau so hassen, um ihr das anzutun?« Bernd schüttelte den Kopf. Obwohl er mit 32 Jahren sechs Jahre jünger war als seine Kollegin, bemerkte er an sich eine wachsende Sensibilität, wenn er dem Tod unmittelbar gegenüberstand. Eigentlich war er davon ausgegangen, dass er mit der Zeit unempfindlicher dagegen werden würde, wenn die Routine sich einstellte, aber das Gegenteil war der Fall.

Als er aufblickte und in Hannas Gesicht sah, wusste er, dass es ihr gerade genauso erging. Anscheinend war das ein Phänomen, das sie hinnehmen mussten und das ausgerechnet bei der Mordkommission schwer zu ertragen war.

Nachdem sie die Leiche eingehend betrachtet hatten, gab Bernd einem jungen Beamten ein Zeichen, dass die Tote abtransportiert werden konnte.

»Haben Sie hier irgendwelche Spuren entdeckt, Kollege? Papiere, Smartphone, egal was?«

Der junge Mann schüttelte bedauernd den Kopf.

»Leider gar nichts, Herr Kommissar.«

Bernd seufzte. »Na prima. Es wäre ja auch ein Wunder gewesen, wenn sie tatsächlich irgendetwas bei sich gehabt hätte, was uns weiterhilft. Dann treten wir also die ganze Maschinerie los, Hanna«.