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Originalcopyright © 2016 Südpol Verlag, Grevenbroich

Autor: Thilo Krapp

Illustrationen: Thilo Krapp

E-Book Umsetzung: Leon H. Böckmann, Bergheim

ISBN: 978-3-943086-81-2

Alle Rechte vorbehalten.

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Für meine Eltern und meine Schwester.

Und für Othello, Giovanni,

Karlchen, Streifi und Tommy.

Ein dunkler Plan

Schräger Besuch

Der Neue

Auf der Jagd

Nachts

Verschwunden

Vermisst

Die große Grenze

An einem fernen Ort

In der Höhle des Löwen

Rosella

Im Wald

Die Katzenfrau

Allein oder nicht allein?

Natürlicher Feind

Hau ab!

Verzweifelt

Feuer und Eis

Am Fenster

Vor der Tür

In der Falle

Stille Zeugen

Kräx

Letzte Vorbereitungen

Rosellas Plan

Ein letztes Mal

Die Vögel

Denkt nach!

Krähen und Katzen

Im letzten Moment

Auf Abrahams Rücken

Freunde und Freiheit

Zurück

Im Galopp

Zuhause

Eine Familie

Karlchen

Sein Ziel waren 100 Katzen. 100 Katzen, aus denen er das Sieben-Leben-Gen gewinnen konnte. Sieben Leben, das war es, was Katzen so besonders machte. Sie fielen stets auf ihre Füße – äh, Pfoten. Sie hatten einen sechs­ten Sinn, der sie jede Gefahr erkennen und überleben ließ. Und er – Dr. Waldemar Wummering – hatte herausgefunden, warum das so war! Er brauchte nur noch zwei Katzen mit verschiedenfarbigen Augen, um sein einzigartiges Rezept anwenden zu können.

Wummering hatte für diesen Traum alles auf sich ge­nom­men: Er hatte sich völlig zurückgezogen und nur noch seiner Forschungsarbeit gewidmet. Den Spott der Kollegen hatte er ertragen, die ihn für verrückt erklärt hatten, als er seine Theorie vorgestellt hatte. Er hatte he­raus­gefunden, dass Katzen ein bestimmtes Magen­sekret absonderten, das ihr Nervensystem dazu befähigte, blitzschnell zu reagieren und das all ihre Sinne auf Hoch­touren fahren ließ. So konnten sie eine Maus schon in hundert Metern Entfernung im Gebüsch rascheln hören. Dieses Sekret schärfte ihren Geruchssinn, ihre Fähigkeit zu laufen, zu springen und zu schleichen. Kurzum: Es sicherte ihr Überleben und schenkte ihnen dadurch die berühmten Sieben Leben, die man den Katzen nachsagte.

Die Ägypter hatten um das Besondere der Katzen gewusst. Sie hatten sie verehrt und zusammen mit ihren Herrschern in eigenen Ruhestätten begraben. Bastet, die ägyptische Katzengottheit, galt als Symbol der Frucht­barkeit, der Freude und des Tanzes. Wieso sollten sich gerade die Ägypter, die genialsten Wissenschaftler ihrer Zeit, die die größten Bauwerke der Welt errichtet hatten, geirrt haben? Warum erkannten das seine Kollegen nicht? Diese Idioten!

Aber nun war endgültig Schluss! Den Job in der Arzneimittel-Firma hatte er gekündigt und nun zog er die Sache allein durch. Es hatte einige Fehlversuche gebraucht, bis er auf die Idee mit den Augen gekommen war. Drei Katzen mit verschiedenfarbigen Augen waren die besondere Zutat, durch die sein Elixier erst wirksam wurde. Das war es, das musste es sein! Er war nun schon so weit gekommen, er durfte jetzt nicht aufgeben. Eine Katze mit verschiedenfarbigen Augen hatte er schon gefangen. Jetzt fehlten ihm nur noch zwei. Und die würde er auch noch bekommen!

Giovanni lag im Gras, döste und blinzelte ab und zu träge in den Himmel. Gerade flog eine Amsel vorbei ... hmm, lecker! Er spannte schon die Hinterbeine an, als er es hinter sich maunzen hörte: »Gib dir keine Mühe, Dicker! Zu schnell für dich!«

Beleidigt drehte Giovanni sich zu seinem Zwillings­bruder um. Er war eine halbe Minute eher als Othello auf die Welt gekommen, da musste er schließlich ein bisschen größer und dicker sein. Na ja, vielleicht war er ein biss­chen viel dicker.

»Danke Kleiner! Du hast mir gerade den Fang verdorben!«, murrte er.

»Ich hol sie dir später, dann kannst du bei den Löwen­bergs damit angeben!«, lachte Othello. Die Lö­wen­bergs waren die Zweibeiner-Familie, bei der die beiden Brüder lebten.

»Gib dir meinetwegen keine Mühe! Die haben es eh nicht gern, wenn man ihnen so einen Leckerbissen schenkt.«

»Zweibeiner eben.« Othello grinste. »Die wissen es einfach nicht zu schätzen, wenn man sich für das bisschen Kost und Logis mal erkenntlich zeigt.«

DING DONG! Bis in den Garten war die Klingel zu hören. Jemand schellte Sturm an der Haustür der Löwen­­bergs. Während Giovanni weiter im Gras döste, lief Othello zur Vorderseite des Hauses, um zu gucken, wer da gekommen war.

Ein hagerer, langweiliger Typ mit einem langen Gesicht, der ein paar Zeitschriften in der Hand hielt, wartete vor der Haustür. Seine krausen Haare standen in einem voluminösen Büschel nach oben ab und eine riesige, runde Brille saß auf der spitzen Nase. Seine Kleider sahen altmodisch und abgetragen aus. Und wie der stank! So einen ekelhaften Geruch hatte Othello schon lange nicht mehr in der Nase gehabt! Der Mann roch überhaupt nicht natürlich, sondern irgendwie ... künstlich. Wie das Zeug, das sich Frau Löwenberg täglich in die Haare sprühte. Ob der irgend so einem komischen Zweibeiner-Rudel angehörte, das sein Revier – also das Stück Land, das es für sich beanspruchte – abstecken wollte? Othello musste lachen: Das Rudel der Stinker. Bis hierher und nicht weiter, sonst erstinken wir dich! Das konnte lustig werden, denn Frau Löwenberg war ganz groß darin, solchen Leuten den Laufpass zu geben. Auch wenn Othello und Giovanni die Zwei­beiner­sprache nicht verstehen konnten, wussten sie doch oft ziemlich genau, worüber die Löwenbergs sich unterhielten. Dafür lebten sie einfach schon zu lange mit ihnen zusammen und kannten sie viel zu gut. Schon öffnete Flora Löwen­berg die Tür.

»Ja bitte?«

»Verzeihung, meine Dame … Wollering, mein Name, Cornelius Wollering. Ich verkaufe ein Abonnement der Zeitschrift Glück der Frau. Wollen nicht auch Sie am Glück der modernen Frau teilhaben und richtig stricken, backen und kochen lernen?«

»Danke – kann ich schon alles. Brauch ich nicht. Guten Tag.« Frau Löwenberg drückte die Tür energisch zu, da schob der Kerl doch glatt seinen Fuß dazwischen!

»Aber warten Sie doch ...« Der müffelnde Mann steckte neugierig seinen Kopf in den Flur und blickte sich blitzschnell um.

»Was für eine Unverschämtheit! Ich habe gesagt Nein! Verschwinden Sie!« Frau Löwenberg wurde rot vor Wut. Mit Schwung holte sie aus und knallte die Tür zu. Gerade noch rechtzeitig zog der Mann seinen Fuß weg und stand im nächsten Moment allein auf dem Absatz.

Missmutig sah er sich um. Dabei fiel sein Blick auf Othello, der auf der Gartenmauer in der Nähe des Haus­eingangs saß. Der Mann starrte ihm ungläubig in die Augen und hielt für einen kurzen Moment die Luft an.

Giovanni schnüffelte angewidert in der Luft und blickte sich um. Was war das für ein Gestank? Und was war mit Othello? Er saß wie angewurzelt auf der Garten­mauer und starrte zum Hauseingang, als ob sich dort eine Gruppe Mäuse fröhlich in einer Futterschale suhlte – aber das würde ja kaum so stinken und wäre weitaus angenehmer. Schwerfällig erhob Giovanni sich und lief zu seinem Bruder herüber. Als er bei Othello ankam, sah der immer noch wie gebannt zur Haustür, aber was auch immer dort gewesen war, war schon verschwunden.

»Was war das? Das habe ich ja bis in den Garten gerochen.« Giovanni verzog das Gesicht.

»Da war so ein ... so ein stinkender Typ. Der hat mich ganz komisch angestarrt«, flüsterte Othello.

Giovanni zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Was soll’s, jetzt ist er ja wieder weg. Komm, wir gehen jagen«, sagte er und stieß Othello an. Der trottete schweigsam neben ihm her und sagte eine ganze Weile nichts. Giovanni stupste ihn: »Im Moment fliegen so viele Mücken auf dem Feld rum, das macht bestimmt Spaß, die zu fangen!«

Othellos Miene hellte sich auf. »Wart’s ab, heute schnappe ich mir eine riesengroße!«, rief er und flitzte davon.

»Das werden wir ja sehen!«, lachte Giovanni und rannte ihm nach.

Giovanni und Othello liefen durch das Gras bis zur Grenze des Nachbargrundstücks. Unten im Zaun, der aus geflochtenem Draht bestand, waren die Metallfäden aufgerissen und das Loch war groß genug, dass sie bequem hindurchschlüpfen konnten. Plötzlich stoppte Othello und stupste seinen Bruder an. »Guck mal, Dicker! Ist das nicht der Neuzugang, von dem alle reden?«

Ein kleiner schwarz-weißer Kater beobachtete sie von der anderen Zaunseite mit großen Augen.

»Ah, der Neue, wie?«, sprach Othello ihn an. »Gerade hergezogen, was? Na, wie geht’s denn so? Pass auf, damit das gleich klar ist – alles, was von dieser Seite des Zauns bis herunter zur Straße geht und dann von der Buche dahinten bis zum Wald, gehört uns. Und ...«

Der Schwarzweiße schüttelte unwillig den Kopf und machte einen Schritt zurück. Dann flüsterte er mit heiserer Stimme: »Er ist es! Er sucht mich bestimmt!«

Giovanni und Othello sahen sich verständnislos an. Was sollte das jetzt?

»Hä? Was meinst du?«, gab Othello zurück.

»Er! Er IST es!« Aus angsterfüllten, weit aufge­rissenen Augen starrte der Kater die beiden an, dann drehte er sich blitzschnell um und sprang durch den Garten davon, um hinter einer Klappe in der blauen Terrassentür des Nachbarhauses zu verschwinden. Neben der Klappe leuchtete kurz ein kleiner roter Punkt auf.

»Komischer Vogel!«, platzte es aus Othello heraus. »Was denkt der, wer er ist? Der große Geheimniskrämer, oder was? Wen meint der überhaupt?«

Othello sah hinüber zum Hauseingang der Löwen­bergs. Die Veranda war immer noch leer. Dann sah er zum Wohnzimmerfenster des Nachbarhauses, hinter dem der kleine Kater jetzt unruhig auf und ab tigerte. Dabei starrte er hektisch zwischen der Haustür der Löwen­bergs und Othello und Giovanni hin und her.

»Keine Ahnung ... seltsamer Kauz. Scheint aber harmlos zu sein, oder? Komm, wir hauen ab«, schlug Giovanni vor und die Kater schlüpften unter dem Zaun durch. Die Dämmerung brach an und beide spürten ihr Jagdfieber erwachen!